L 15 U 552/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 U 214/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 552/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 04.11.2020 wird zurückgewiesen.

Dem Kläger werden Verschuldenskosten in Höhe von 1.000,00 € auferlegt. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1301 (Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine) und/oder nach Nr. 1321 (Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis einer Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 80 Benzo(a)pyren-Jahren [(µgm³) × Jahre] der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) (im Folgenden: BK 1301 bzw. BK 1321).

 

Der am 00.00.0000 geborene Kläger absolvierte von 1980 bis1983 eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Von September 1985 bis Juli 1987 war er für die US-Army, Standort O., als Wachmann tätig.

 

Im Zeitraum von August 1987 bis Oktober 1999 hatte der Kläger eine Vielzahl unterschiedlicher Beschäftigungsverhältnisse, wobei er seinen Angaben nach abgesehen von einer Beschäftigung als Lagerleiter bei einer Gebäudereinigungsfirma als Kraftfahrer oder Auslieferungsfahrer für verschiedene Unternehmen tätig war.

 

Von Oktober 1999 bis März 2000 war der Kläger bei der Firma L. in F. als Revierfahrer angestellt. Danach arbeitete er als Fahrer und Sargträger bis ca. Mai 2001 für das Bestattungsunternehmen D. in K. und im Anschluss als Fahrer bei der Firma C. in S., wo er nach eigenen Angaben Konsumgüter jeglicher Art transportierte.

 

In der Zeit von 2003 bis 2010 war der Kläger in der Tankwagenspeditionsfirma seines Bruders, N., in O. als Auslieferungsfahrer für Heizöl (ca. 99 %) und Dieselkraftstoffe (ca. 1 %) tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit fuhr der Kläger ein 3-Kammer-Solofahrzeug mit ca. 14.000 l Fassungsvermögen. Seine Schichtzeit betrug 8-9 Stunden (5-Tage-Woche). Täglich belieferte er 5 bis 6 Kunden. Durchschnittlich befüllte der Kläger sein Fahrzeug 3 x bei der Firma Z. in Y.. Die Befüllung wurde über Domdeckel durchgeführt. Die Bodenentleerung dauerte für die gesamte Entladezeit pro Fahrzeugladung ca. 1 Stunde. Außerdem musste er ca. 1 x wöchentlich Additive in einem am Tankfahrzeug angebrachten ca. 50 l fassenden Tank nachfüllen. Während des Be- und Entladevorgangs benutzte der Kläger stets Handschuhe, Schutzschuhe sowie einen Arbeitsanzug. Atemschutz kam nicht zum Einsatz. Danach war der Kläger wieder als Berufskraftfahrer bis zu seiner Erkrankung tätig.

 

Im Juni 2011 wurde bei dem Kläger ein Urothelkarzinom der Harnblase diagnostiziert. Im Rahmen der Behandlung erfolgte u. a. die Entfernung der Blase und Anlage einer Ileum Neoblase für die Harnableitung sowie die Entfernung der linken Niere. Der Heilungsverlauf gestaltete sich prolongiert mit postoperativen Komplikationen und Nachoperationen.

 

Der Facharzt für Innere Medizin H. gab in seinem Befundbericht vom 14.12.2011 einen Nikotinkonsum des Klägers von über 35 Jahre bis dato von ca. 10 bis 15 Zigaretten/Tag, früher max. 40 Zigaretten am Tag an. Im Entlassungsbericht der M., W. vom 22.11.2011 über eine Reha-Maßnahme des Klägers vom 17.08.2011 bis 20.09.2011 wurde ein Nikotinkonsum von 20 bis 40 Zigaretten/Tag ab 1983 bzw. ca. 40 Packungsjahren dokumentiert.

 

Mit Schreiben vom 18.04.2018 beantragte der Kläger die Anerkennung und Entschädigung der BK 1301 und der BK 1321.

 

Auf Veranlassung der Beklagten erstellte der Geschäftsbereich Prävention unter dem 09.01.2019 eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition BK-Nummern 1301,1321. Im Hinblick auf seine Tätigkeit im Unternehmen N. im Zeitraum vom 01.10.2003 bis 15.05.2010 ergäben sich keine konkreten Hinweise darauf, dass der Kläger gegenüber krebserzeugenden aromatischen Aminen und/oder polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) exponiert gewesen sei. Es ergäben sich auch keine konkreten Hinweise darauf, dass der Kläger außerhalb der Zuständigkeit der Beklagten gegenüber krebserzeugenden aromatischen Aminen oder PAK exponiert gewesen sei. Von 1983 bis 1986 sei der Kläger bei der US-Army als Wachmann tätig gewesen und habe Bunker mit chemischen Kampfstoffen überwacht. Hinweise auf BK-relevante Stoffe lägen nicht vor. Er habe auch keinen direkten Kontakt zu diesen Stoffen gehabt.

 

Mit Bescheid vom 08.05.2019 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach den Nr. 1301 und Nr.1321 ab. Zur Begründung verwies sie auf die Stellungnahme des Präventionsdienstes.

 

Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2019 zurückgewiesen.

 

Mit der am 19.07.2019 beim Sozialgericht Gelsenkirchen erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren auf Anerkennung der BK 1301 und BK 1321 weiterverfolgt. Zur Begründung hat er vorgetragen, hinsichtlich der arbeitstechnischen Voraussetzungen hätte ein unabhängiges Sachverständigengutachten veranlasst werden müssen und es hätte ein Gutachterauswahlrecht stattfinden müssen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass er während der beruflichen Tätigkeit als Auslieferungsfahrer für Heizöl und Dieselkraftstoff gegenüber aromatischen Aminen und PAK exponiert gewesen sei. Auch die anderen Tätigkeiten seien zu prüfen. Es existiere ein neuer BK-Report zu aromatischen Aminen. Die Beklagte solle eine Überprüfung auf der Grundlage des BK-Reports vornehmen.

 

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

 

unter Abänderung des Bescheids vom 08.05.2019 und des Widerspruchsbescheids vom 10.07.2019 die Beklagte zu verurteilen, eine Berufskrankheit Nr. 1301 und 1321 anzuerkennen und zu entschädigen, insbesondere in Form der Verletztenrente und der Übergangsleistungen für fünf Jahre nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeiten.

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

            die Klage abzuweisen.

 

Sie hat auf ihre Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren Bezug genommen.

 

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 04.11.2020 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, aufgrund der Stellungnahme des Präventionsdienstes gehe die Kammer davon aus, dass während der beruflichen Tätigkeit als Auslieferungsfahrer eine Exposition in nennenswertem Umfang gegenüber aromatischen Aminen und PAK nicht stattgefunden habe. Während der anderen Tätigkeiten sei eine Exposition gegenüber aromatischen Aminen und PAK mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht bewiesen.

 

Gegen den der Bevollmächtigten des Klägers am 06.11.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 30.11.2020 Berufung eingelegt. Er verfolgt sein Begehren auf Anerkennung der BK 1301 und BK 1321 weiter und verweist darauf, dass sich aus den BK Reporten die Einfärbungen von Kraftstoffen mit Farben, die aromatische Amine enthalten, ergebe.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 04.11.2020 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 08.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.07.2019 zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach den Ziffern 1301 und 1321 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen,

 

hilfsweise nach § 106 SGG ein arbeitstechnisches Sachverständigengutachten zum Nachweis der Exposition gegenüber aromatischen Aminen durch das Einwirken von Heizöldämpfen beim Tankvorgang und das Einwirken von Heizölspritzern im Gesichtsbereich einzuholen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Im Rahmen eines Erörterungstermines am 03.05.2022 wies die Bevollmächtigte des Klägers unter Bezugnahme auf den BK-Report 1/2019 Aromatische Amine auf Farbstoffe in Heizöl und auf ein mögliches Vorkommen in Kampfstoffen hin. Hierzu hat der Geschäftsbereich Prävention der Beklagte mit Stellungnahme vom 24.05.2022 ausgeführt, dass der Kläger nach eigenen Angaben während der Be- und Entladevorgänge mit Handschuhen, Schutzschuhen und Arbeitsanzug gearbeitet habe, so dass ein dermaler Kontakt mit Heizöl ausgeschlossen werden könne. Eine inhalative Exposition während der Be- und Entladung könne ebenfalls ausgeschlossen werden, da die im Heizöl vorliegenden Azofarbstoffe nicht verdampften, weil der Dampfdruck zu niedrig liege. Vom Einfärben von Dieselkraftstoffen habe man in Deutschland bereits vor Jahrzehnten Abstand genommen, sodass bei dem Transport von Dieselkraftstoff ebenfalls keine Exposition gegenüber aromatischen Aminen vorgelegen habe.

 

Weiterhin hat die Beklagte eine Stellungnahme des Präventionsdienstes der Unfallversicherung Bund und Bahn vom 16.08.2022 bezüglich etwaiger Expositionen gegenüber aromatischen Aminen während der Tätigkeit des Klägers bei der US-Army vorgelegt. Darin wird ausgeführt, der Kläger sei als Wachmann bei der US-Army tätig gewesen und seine Haupttätigkeit habe im Patrouillieren auf dem Gelände bestanden. Der BK-Report 1/2019 Aromatische Amine beschreibe die Exposition gegenüber krebserzeugenden aromatischen Aminen bei der Kampfmittelbeseitigung und bei der Sanierung von Rüstungsaltlasten. Krebserzeugende aromatische Amine seien in Kampfstoff- und Sprengstofffabriken nicht hergestellt worden und nicht zur Füllung von Kampfmitteln verwendet worden. Nur in Einzelfällen seien aromatische Amine als Streckmittel oder Stabilisator in Munition verwendet worden. Ob der Kläger mit entsprechender Munition Umgang gehabt habe, könne nicht mehr nachvollzogen werden. Hinsichtlich der gelagerten Munitionsbestände und deren Zustand sei jedoch sicher davon auszugehen, dass eine Exposition gegenüber den verwendeten Inhaltsstoffen nicht stattgefunden habe.

 

Auf Einwände des Klägers hat die Unfallversicherung Bund und Bahn nach Einholung einer Stellungnahme der US-Streitkräfte unter dem 08.05.2023 nochmals ergänzend Stellung genommen und dargelegt, dass der Kläger weder Kontakt zu chemischen Kampfstoffen noch zu aromatischen Aminen während seiner Tätigkeit gehabt haben könne. Eine Umlagerung von Munition zu Belüftungszwecken sei nicht erfolgt und im Übrigen sei die Munition verschlossen in Kisten gelagert worden. Sollten aromatische Amine als Stabilisator verwendet worden sein, seien diese Stoffe bei den Lagerungstemperaturen fest und verblieben von der Metallhülle des Treibladungssatzes umschlossen.

 

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

 

Streitgegenstand im Berufungsverfahren ist allein das Begehren auf Anerkennung der BK 1301 und der BK 1321. Soweit der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren auch Entschädigungsleistungen anlässlich der genannten Berufskrankheiten in Form der Verletztenrente und der Übergangsleistungen geltend gemacht hat, verfolgt er diese Begehren im Berufungsverfahren nicht weiter.

 

Das Sozialgericht hat die auf die Anerkennung einer BK 1301 und BK 1321 gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Diese ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1, 56 SGG zulässig, jedoch nicht begründet. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 08.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.07.2019 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert, da diese Bescheide rechtmäßig sind. Der Kläger kann von der Beklagten weder die Anerkennung der BK 1301 noch die Anerkennung der BK 1321 beanspruchen.

 

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden.

 

In der Anlage 1 zur BKV sind unter Nr. 1301 „Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine“ und Nr. 1321 „Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis einer Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 80 Benzo(a)pyren-Jahren [(µgm³) × Jahre]“ jeweils als Berufskrankheit aufgeführt.

 

Für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit ist im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben. Dabei gilt für die Überzeugungsbildung des Gerichts hinsichtlich der "versicherten Tätigkeit", der "Verrichtung", der "Einwirkungen" und der "Krankheit" der Beweisgrad des Vollbeweises, also der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit. Für die Überzeugungsbildung vom Vorliegen der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge und der rechtlich zu bewertenden Wesentlichkeit einer notwendigen Bedingung genügt indes der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. statt vieler BSG, Urt. v. 06.09.2018 - B 2 U 13/17 R -, juris Rn. 9 m.w.N., stRspr).

 

Demnach liegen beim Kläger weder die Voraussetzungen für eine Anerkennung der BK 1301 noch für eine Anerkennung der BK 1321 vor. Beim Kläger ist zwar im Jahr 2011 ein Urothelkarzinom, und damit eine von den genannten Berufskrankheiten erfasste Erkrankung diagnostiziert worden, jedoch ist nicht im Vollbeweis gesichert, dass der Kläger während seiner von 1980 bis zur Diagnose der Erkrankung ausgeübten, nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Tätigkeiten Einwirkungen im Sinne der BK 1301 und/oder BK 1321 ausgesetzt gewesen ist.

 

Die Anerkennung der BK 1321 setzt den Nachweis beruflich bedingter Einwirkungen durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) voraus. Nach den arbeitstechnischen Ermittlungen haben sich jedoch keinerlei Hinweise auf eine Exposition des Klägers gegenüber PAK während seiner beruflichen Tätigkeit, und insbesondere auch nicht hinsichtlich seiner Tätigkeit für die US-Army und als Tanklastwagenfahrer ergeben. Der Kläger konnte auch selbst keine konkreten möglichen Gefährdungen durch PAK benennen.

 

Der Tatbestand der BK 1301 verlangt die Einwirkung humankarzinogener aromatischer Amine, die geeignet sind, Krebs der Harnwege zu verursachen. Es handelt sich hierbei nach den vorliegenden gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen (vgl. das aktualisierte Merkblatt zur BK 1301; Bek. des BMAS v. 01.07.2016, GMBl. 2016, 687) um 2-Naphthylamin, 4- Aminobiphenyl, Benzidin, 4-Chlor-o-Toluidin und o-Toluidin, die bekanntermaßen krebserzeugend auf das Zielorgan Harnblase wirken können. Entsprechende Einwirkungen auf den Körper des Klägers lassen sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen.

 

Soweit der Kläger eine mögliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen aufgrund seiner Tätigkeit bei der US-Army sieht, lässt sich dies nach den ausführlichen arbeitstechnischen Ermittlungen unter Einbeziehung des Präventionsdienstes der BG Bund und Bahn und Einholung einer Stellungnahme der US-Streitkräfte nicht bestätigen. Der Kläger war als Wachmann beschäftigt und wurde für die Bewachung von Munitionsbunkern eingesetzt. Bei der in diesen Bunkern gelagerten Munition handelte es sich um konventionelle Munition, wobei sich nicht mit Sicherheit feststellen lässt, dass die Munition aromatische Amine enthalten hat. Wie der Präventionsdienst in Übereinstimmung mit dem BK Report 1/2019 Aromatische Amine und unter Auswertung der Angaben der US-Streitkräfte angegeben hat, wurden aromatische Amine nur in Einzelfällen als Streckmittel oder Stabilisator in Munition verwendet. Ob dies im Fall der von dem Kläger überwachten Munition der Fall war, kann nicht mehr festgestellt werden. Im Übrigen kann dies aber auch dahingestellt bleiben, da nach den schlüssigen Ausführungen des Präventionsdienstes ausgeschlossen werden kann, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit bei der US-Army dermal oder inhalativ gegenüber aromatischen Aminen exponiert war. Selbst wenn in Einzelfällen aromatische Amine als Stabilisator in der Munition, die in den vom Kläger bewachten Bunkern lagerte, verwendet worden sein sollte, waren diese bei den Lagerungstemperaturen fest und von der Metallhülle des Treibladungssatzes umschlossen. Allein bei der Lagerung konnte es nicht zu einer Freisetzung kommen. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung bestätigte, hatte er zu keinem Zeitpunkt dermalen Kontakt zu der gelagerten Munition. Im Übrigen wird das laut BK Report 1/2019 Aromatische Amine als Stabilisator in Munition verwandte Diphenylamin nicht im Merkblatt zur BK 1301 genannt.

 

Nach dem Ergebnis der arbeitstechnischen Ermittlungen hatte der Kläger darüber hinaus auch keinerlei Kontakt zu Chemiewaffen. Zugang zum inneren Bereich der Bunker, in denen noch bis Anfang der 1990er Jahre Chemiewaffen gelagert wurden, hatten nur Angehörige der US-Streitkräfte, im Übrigen gilt auch für diese Waffen, dass allein bei der Lagerung aus diesen keine Stoffe freigesetzt werden. Zweifel an den Feststellungen des Präventionsdienstes und der Auskunft der US-Army ergeben sich für den Senat nicht. Diese sind plausibel und stehen im Übrigen hinsichtlich einer möglichen Exposition gegenüber aromatischen Aminen in Übereinstimmung mit den im BK-Report 1/2019 Aromatische Amine festgehaltenen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu etwaigen Expositionen bei Umgang mit Munition und Kampfstoffen. Demnach besteht ein möglicher Kontakt zu aromatischen Aminen nur bei der Kampfmittelbeseitigung oder der Sanierung von Rüstungsaltlasten. Begründete Einwendungen gegen die Ausführungen des Präventionsdienstes hat der Kläger nicht erhoben.

 

Der Kläger war auch während seiner Tätigkeit als Tanklastwagenfahrer krebserzeugenden aromatischen Aminen nicht direkt ausgesetzt. Als Auslieferungsfahrer für Heizöl hatte er lediglich im weitesten Sinne mit eingefärbtem Heizöl zu tun. Diesem war nach den Ausführungen des Präventionsdienstes ein Azofarbstoff (Sudanrot 462) in sehr geringer Konzentration (4,1 bis 4,5 mg/l, ca. 0,0005 %) beigefügt. Aus diesem Azofarbstoff kann durch eine chemische Reaktion das humankanzerogene aromatische Amin o-Toluidin abgespalten werden. Diese Abspaltung geschieht entweder nach dem Eindringen in den Körper in der Leber oder auf der Haut bei dermalem Kontakt, je nachdem, ob es sich um fettlösliche oder wasserlösliche Azofarbstoffe handelt (vgl. BK-Report 1/2019 Aromatische Amine S. 22). Deshalb liegt eine Einwirkung des krebserzeugenden aromatischen Amins o-Toluidin auf den Körper des Klägers nur vor, wenn entweder der Farbstoff Sudanrot 462 in den Körper des Klägers aufgenommen wurde oder aus dem Farbstoff Sudanrot 462 auf der Haut des Klägers o-Toluidin abgespalten wurde. Beides steht nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest. Es ist noch nicht einmal der Kontakt des Azofarbstoffes Sudanrot 462 selbst mit der Haut des Klägers oder dem übrigen Körper des Klägers nachgewiesen, so dass dahinstehen kann, ob die Exposition gegenüber einem Azofarbstoff der Exposition gegenüber einem aromatischen Amin, die der Normtext der BK 1301 verlangt, gleichsteht (so die Wissenschaftliche Stellungnahme v. 01.12.2015, Bek. des BMAS v. 01.07.2016, GMBl. 2016, S. 687).

 

Nach den Angaben des Klägers kommt ein Kontakt mit Heizöl und damit dem darin enthaltenen Azofarbstoff nur bei Beladen des Tanklastwagens in Betracht. Soweit der Kläger vorgetragen hat, beim Entladen sei es auch vorgekommen, dass ein gewisser Kontakt mit den Ölen stattfand, hat er dies zu keinem Zeitpunkt konkretisiert und ergaben sich auch aus den arbeitstechnischen Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten keine Hinweise für einen entsprechenden Kontakt.

 

Soweit der Kläger geschildert hat, bei Befüllen des Tanklastwagens über den Domdeckel aufsteigenden Dämpfen ausgesetzt gewesen zu sein, erscheint dies nachvollziehbar, jedoch lässt sich nicht belegen, dass diese Sudanrot 462 enthalten haben. Eine inhalative Aufnahme des Azofarbstoffes scheidet vielmehr aus, da nach den schlüssigen Ausführungen des Präventionsdienstes dieser Farbstoff bei normalen Außentemperaturen und Druckverhältnissen nicht verdampft. Dieses ist für den Senat auch plausibel, da der Farbstoff dem Heizöl zur Kennzeichnung zugegeben wird und somit jederzeit die Farbe behalten soll, was bei einem Verdampfen nicht der Fall wäre. Auch der BK-Report 1/2019 Aromatische Amine geht im Falle eines möglichen Kontaktes zu Azofarbstoffen von einer in der Regel ausschließlich dermalen o-Toluidinaufnahme aus (BK-Report 1/2019 Aromatische Amine, S. 134 unter 13.5.1.7). Der Kläger hat demgegenüber nicht dargelegt, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse diesen Ausführungen entgegenstehen sollen. Er ist trotz der in der Stellungnahme des Präventionsdienstes dargelegten wissenschaftlichen Erkenntnisse lediglich bei seiner laienhaften Einschätzung verblieben, dass eine inhaltive Aufnahme denkbar sei, ohne hierfür einen Beleg zu benennen.

 

Weiterhin ist auch eine dermale Aufnahme des Farbstoffes Sudanrot 462 oder auch nur ein Kontakt dieses Farbstoffes mit der Haut des Klägers nicht belegt. Der Senat kann bereits nicht die Überzeugung gewinnen, dass es beim Befüllen des Tanklasters mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Kontakt der Haut des Klägers mit Heizöl gekommen ist. Nach dem vom Präventionsdienst dokumentierten Angaben des Klägers hat er beim Befüllen seines Tanklastwagens Schutzanzug und Handschuhe getragen, die regelmäßig gereinigt wurden, so dass – bis auf das Gesicht des Klägers – der gesamte Körper bedeckt und bereits auf diese Weise vor einem Kontakt mit Heizöl geschützt war. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung davon berichtet hat, es habe sich abends ein Film auf seiner Haut befunden, ist nicht ersichtlich, woraus dieser Hautfilm bestanden hat. Auch der Kläger selbst konnte keine gesicherten Angaben hierzu machen, führte diesen jedoch offensichtlich auf die Dämpfe zurück, denen er beim Befüllen mit Heizöl ausgesetzt war. Da es – wie bereits dargelegt – nicht zu einem Verdampfen des Azofarbstoffes im Heizöl kommt, kann nicht angenommen werden, dass der vom Kläger angegebene Hautfilm Sudanrot 462 enthalten hat und es daher auf diese Weise zu einer Aufnahme des Farbstoffes oder sogar von o-Toluidin nach Abspaltung gekommen ist.

 

Darüber hinaus ist für den Senat nicht gesichert, dass es beim Befüllen des Tanklasters zu den vom Kläger geschilderten Heizölspritzern im Gesicht gekommen ist. Nachvollziehbar ist, dass es bei Beendigung des Füllvorganges zu einem Nachtropfen von Öl aus dem Befüllarm kommen kann und daher, wie vom Kläger vorgetragen, zur Vermeidung von Verschmutzungen durch herabtropfendes Öl dieses durch einen Eimer aufgefangen wurde. Es ist jedoch für den Senat nicht plausibel, dass etwaiges aus dem Befüllarm nach unten nachtropfendes Öl durch Wind bis in das Gesicht des Klägers geweht wurde, insbesondere wenn es noch durch einen Eimer aufgefangen wurde und damit vor Wind geschützt war.

 

Im Übrigen hat der Senat Zweifel, dass der Kläger damals tatsächlich wiederholt Ölspritzer in seinem Gesicht festgestellt hat. Dem Kläger, der sich während des Befüllvorgangs auf dem Dach des Tanklastwagens aufgehalten hat, mag bei windigem Wetter Regen- oder Kondenswasser ins Gesicht gespritzt sein, ein Kontakt mit Heizöl bei dieser Tätigkeit ist jedoch nicht belegt. Der Kläger hat seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach offensichtlich aus dem Geruch geschlossen, dass er Heizöl auf seinem Gesicht hatte. Allerdings war der Kläger beim Befüllvorgang – auch seinen Angaben nach – ständig einem Ölgeruch ausgesetzt, so dass der Geruch zur Identifikation etwaiger sich auf der Gesichtshaut befindender Stoffe als nicht geeignet erscheint. Wenn es tatsächlich bei windigem Wetter zu Spritzern einer Flüssigkeit in das Gesicht des Klägers während seiner Tätigkeit auf dem Tanklastwagen gekommen sein sollte, was nicht belegt ist, hätte es sich auch um Kondens- oder Regenwasser handeln können.

 

Insgesamt drängt sich dem Senat der Eindruck auf, dass die Angabe zu einem Kontakt mit Heizöl im Gesicht lediglich das Ergebnis einer Interpretation des Klägers aus der Retrospektive ist, ohne dass der Senat dem Kläger unterstellt, bewusst unzutreffend vorzutragen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger, was menschlich verständlich ist, nach einem Grund für seine schwerwiegende Erkrankung in seiner beruflichen Tätigkeit sucht und dabei sein eigenes Verhalten, namentlich seinen erheblichen Nikotinkonsum ausblendet. Dabei wird seine Tendenz erkennbar, berufliche Tätigkeiten retrospektiv als Gefährdungen im Sinne der BK 1301 darzustellen. So gab der Kläger an, während seiner Tätigkeit bei der US-Army hätten mit Sicherheit Belastungen bei der Umlagerung von chemischen Kampfstoffen sowie von Munition bestanden, wobei sich nach den durchgeführten Ermittlungen bereits nicht belegen ließ, dass entsprechende Umlagerungen stattfanden und ausgeschlossen werden konnte, dass der Kläger jemals Bunker mit chemischem Kampfstoffen betreten hat. In der mündlichen Verhandlung ergab sich dann auch, dass der Kläger allein gefährdende Ausdünstungen aus den Bunkern vermutete. Weiterhin wurde in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, bei der Tätigkeit als Tanklastwagenfahrer habe sich beim Kläger ein Hautfilm gebildet, wobei der Kläger spekulierte, dass sich dieser aufgrund von Heizöldämpfen auch auf die durch Handschuhe oder Kleidung geschützten Körperteile gelegt habe und es auf diese Weise zur einer Exposition durch aromatische Amine gekommen sei. Der Vortrag zu einem Hautfilm findet sich allerdings nicht in den vorherigen aktenkundigen Angaben des Klägers, so dass der Eindruck entsteht, dass hier in Reaktion auf die Feststellungen des Präventionsdienstes eine weitere Möglichkeit für eine dermale Exposition gegenüber Heizöl oder aromatischen Aminen gesucht wurde. Demnach ergeben sich für den Senat auch grundsätzliche Zweifel an den Angaben des Klägers zu etwaigen dermalen Kontakten mit Heizöl.

 

Belege dafür, dass es beim Befüllvorgang zu einem Kontakt mit Heizöl im Gesicht gekommen ist, sind darüber hinaus nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht vorgetragen. Der Senat kann sich somit bereits nicht davon überzeugen, dass es beim Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem dermalen Kontakt mit Heizöl gekommen ist, zumal nach der Stellungnahme des Präventionsdienstes bei Einhaltung der Arbeitsschutzmaßnahmen, die vom Kläger bestätigt wurde, ein dermaler Kontakt zu den transportierten Stoffen bzw. dem Heizöl oder Diesel ausgeschlossen werden kann.

 

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch bei Annahme gelegentlicher Heizölspritzer im Gesicht des Klägers ein Eindringen des Farbstoffes Sudanrot 462 in den Körper des Klägers oder die Abspaltung von o-Toluidin auf dessen Haut nicht nachgewiesen ist. Wie der Senat in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, muss sich nach den Ausführungen im BK-Report 1/2019 Aromatische Amine der Farbstoff eine gewisse Zeit auf der Haut befinden, damit er eindringen kann oder der Abspaltungsprozess von o-Toluidin stattfinden kann (vgl. BK-Report 1/2019, S. 23, wonach eine bakterielle oder enzymatische Spaltung stattfinden muss; siehe auch S. 134, wonach eine kurze Expositionszeit in der Regel nicht genügt). Etwaige Tropfen von Heizöl haben sich nach eigenen Angaben des Klägers nur sehr kurz auf der Haut im Gesicht befunden, denn der Kläger hat sie nach eigenen Angaben direkt weggewischt. Dies erscheint lebensnah und entspricht einer natürlichen Reaktion. Es ist auszuschließen, dass der Kläger seine Auslieferungstätigkeit mit Heizöl verspritztem Gesicht ausgeführt hat. Soweit der Kläger vorgetragen hat, regelmäßig habe sich ein Hautfilm auf seiner Haut gebildet, kann dieser offensichtlich nicht auf etwaige, nur gelegentlich auf das Gesicht gelangte Ölspritzer zurückzuführen sein. Insoweit kommen als Ursache allenfalls aufsteigende Dämpfe in Betracht, die, wie bereits ausgeführt, nach den schlüssigen Ausführungen des Präventionsdienstes jedoch nicht den Farbstoff Sudanrot 462 enthalten haben.

 

Belege für eine inhalative oder dermale Exposition des Klägers gegenüber krebserzeugenden aromatischen Aminen ergeben sich auch nicht aus allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wie im BK-Report 1/2019 Aromatische Amine (vgl. S. 134) ausgeführt wird, ist eine Exposition bei Umgang mit azofarbstoffhaltigen Mineralölprodukten in der Regel nicht quantifizierbar. Es zeigte sich in Biomonitoringuntersuchungen des britischen Health and Safety Laboratory (HSL), dass Rissprüfer und Formulierer, die Solvent-Red164-haltige Produkte verwendeten, keine im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhten o-Toluidin-Werte im Urin aufwiesen, woraus zu schließen ist, dass der berufliche Umgang mit Solvent-Red-164-basierten Produkten offenbar nicht zu einer relevanten Belastung mit o-Toluidin führt (vgl. BK Report 01/2019 Aromatische Amine, S. 85). Für eine berufliche Gefährdung des Klägers im Hinblick auf krebserzeugende aromatische Amine ergeben sich deshalb keinerlei Anhaltspunkte.

 

Demgegenüber – hierauf weist der Senat ergänzend hin – ist das Rauchen von Zigaretten ein validierter Risikofaktor für das Harnblasenkarzinom, das mit zunehmender Dauer und Anzahl der gerauchten Zigaretten steigt. Der Kläger hat seit 1983 durchgängig bis zur Diagnose des Harnblasenkarzinoms und damit ca. 28,5 Jahre geraucht, wobei unterschiedliche Angaben zur Anzahl der Zigaretten von 10 bis 15 am Tag und 20 bis 40 am Tag aktenkundig sind. Selbst wenn nur die geringere Anzahl von 10 bis 15 Zigaretten täglich zugrunde gelegt wird, ergibt sich im Falle des Klägers aufgrund des Nikotinkonsums eine nach aktuellem medizinischen Erkenntnisstand etwa Verdreifachung des Risikos für die Entstehung eines Harnblasenkarzinoms gegenüber Nichtrauchern (vgl. Mehrtens/Brandenburg, BKV, Kommentar, Stand Dez 2023, M 1301 S. 27). Von daher könnte selbst dann keine berufsbedingte Verursachung angenommen werden, wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen eine berufliche Einwirkung von krebserzeugenden aromatischen Aminen annähme, weil berufsfremde Ursachen gerade nicht positiv ausgeschlossen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R –, juris Rn. 35 a. E.).

 

Den im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.05.2024 gestellten Beweisanträgen des Klägers brauchte der Senat nicht nachzugehen.

 

Der Umfang der Amtsermittlungspflicht gemäß § 103 SGG richtet sich nach dem Streitgegenstand, nämlich dem prozessualen Anspruch des Klägers unter Berücksichtigung der Verteidigung des Beklagten und der möglichen Entscheidung des Gerichts, wobei das Ausmaß der Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht und sich der Umfang nach Einzelfall und Vortrag der Beteiligten bestimmt. Es müssen alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Entscheidung in prozessualer und materieller Hinsicht erheblich sind, wobei das Gericht notwendig von seiner rechtlichen Beurteilung ausgehen muss (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 103 Rn. 4 ff. m.w.N.). Demnach ist das Gericht im Falle eines Beweisantrages u.a. dann nicht gehalten, den Sachverhalt zu der von dem Beweisantrag erfassten Tatsache weiter aufzuklären, wenn es aus Sicht des Gerichts nicht auf diese Tatsache ankommt oder wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen ist (vgl. BSG, Beschluss v. 11.05.2023 – B 1 KR 95/21 B –, juris Rn. 14, st.Rspr).

 

Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Senat nicht gehalten, weitere Ermittlungen zu einer möglichen Exposition gegenüber aromatischen Aminen durch das Einwirken von Heizöldämpfen beim Tankvorgang und das Einwirken von Heizölspritzern im Gesichtsbereich des Klägers durchzuführen. Nach den schlüssigen Ausführungen des Präventionsdienstes ist für den Senat bereits erwiesen, dass es unter den Bedingungen, unter denen der Kläger seine Tätigkeit als Auslieferungsfahrer für Heizöl ausübte, aufgrund der physikalischen Eigenschaften des Azofarbstoffes Sudanrot 462 nicht zu einem Verdampfen dieses Farbstoffes gekommen ist. Folglich haben etwaige Dämpfe, denen der Kläger beim Tankvorgang ausgesetzt war, diesen Azofarbstoff nicht enthalten, und ist damit auch erwiesen, dass eine inhalative oder dermale Exposition gegenüber Sudanrot 462 durch etwaige Heizöldämpfe nicht erfolgt ist. Im Hinblick auf eine etwaige Exposition aufgrund von Heizölspritzern im Gesicht musste der Senat sich zu weiteren Ermittlungen ebenfalls nicht gedrängt fühlen, da bereits ein entsprechender dermaler Kontakt mit Heizöl für den Senat nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht.

 

Der Senat hat im Rahmen seines Ermessens von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, dem Kläger nach § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG sogenannte Verschuldenskosten aufzuerlegen. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist. Eine entsprechende Belehrung des Klägers ist durch den Vorsitzenden des Senats in der mündlichen Verhandlung am 14.05.2024 erfolgt.

 

Die Voraussetzungen einer missbräuchlichen Rechtsverfolgung sind ebenfalls gegeben. Diese ist anzunehmen, wenn die Weiterführung des Rechtsstreits von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss v. 19.12.2002 - 2 BvR 1255/02 -, juris Rn. 3; Beschluss v. 03.07.1995 - 2 BvR 1379/95 -, juris Rn. 10). Maßstab ist damit nicht die konkrete subjektive Sicht des Klägers, sondern die eines verständigen Beteiligten. Die Kenntnis seiner Bevollmächtigten ist dem Kläger insoweit zuzurechnen (vgl. LSG NRW, Urt. v. 18.10.2023 - L 12 SO 390/22 -, juris Rn. 44 m.w.N.).  

 

Nach diesen Maßstäben ist eine Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung gegeben. Für den Kläger ersichtlich lassen sich die für die Anerkennung einer BK 1301 oder BK 1321 erforderlichen Einwirkungen durch aromatische Amine bzw. PAK nicht nachweisen, sodass die Berufung offensichtlich keinen Erfolg haben kann. Dem anwaltlich vertretenen Kläger sind im Verhandlungstermin des Senats die Gründe hierfür ausführlich erläutert worden. Soweit der Kläger weiterhin behauptet, dass sich eine mögliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen aus Heizöldämpfen ergibt, denen er während des Befüllens des Tanklastwagens ausgesetzt war, steht dies im Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen bezüglich der physikalischen Eigenschaften des Farbstoffes Sudanrot 462. Der Kläger setzt sich hiermit nicht auseinander, sondern beharrt ohne nachvollziehbare Begründung laienhaft auf seiner Auffassung. Er hat keine weiteren Belege für eine etwaige dermale oder inhalative Aufnahme des Azofarbstoffes während seiner beruflichen Tätigkeit benannt, so dass auch für ihn erkennbar der entsprechende Nachweis von ihm nicht geführt werden kann. Letztlich stellt er seine laienhaften Vermutungen gegen die fundierten Ermittlungsergebnisse des Präventionsdienstes und des BK-Reports 1/2019 Aromatische Amine. Dass er hiermit nicht durchdringen kann, muss ihm und seiner erfahrenen Prozessbevollmächtigten ohne Weiteres einleuchten. Im Übrigen verfolgt der Kläger auch seine Klage auf Anerkennung der BK 1321 weiter, obwohl sich keinerlei Hinweise auf eine beruflich bedingte Einwirkung durch PAK ergeben haben und der Kläger selbst nicht einmal einen möglichen Kontakt zu PAK benennen kann.

 

Die Höhe der Kostenbeteiligung hat der Senat durch Schätzung des Kostenaufwands für die Fortführung des Berufungsverfahrens festgesetzt. Dabei hat er berücksichtigt, dass es sich bei § 192 SGG um eine Schadensersatzregelung handelt (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 192 Rn. 1a und Rn. 12 m.w.N.), die bei Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung das Privileg der staatlich finanzierten Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens entfallen lässt. Dies hat zur Konsequenz, dass der Beteiligte in einem solchen Fall die tatsächlichen Kosten für die weitere Bearbeitung des Rechtsstreits zu tragen hat (vgl. LSG NRW, Beschluss v. 08.12.2016 - L 4 U 575/16; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 29.02.2012 - L 29 AS 1144/11 -, juris Rn. 66). Als verursachter Kostenbetrag gilt dabei mindestens der Betrag nach § 184 Abs. 2 SGG, somit für Verfahren vor dem Landessozialgericht ein Betrag von mindestens 225 EUR. Im Übrigen können die anfallenden Gerichtskosten geschätzt werden. Dabei sind neben dem bei der Abfassung des Urteils entstehenden Kosten sämtlicher Richter und Mitarbeiter auch die allgemeinen Gerichtshaltungskosten zu berücksichtigen (vgl. Schmidt, a.a.O. § 192 Rn. 14).

 

Allein für das Absetzen des Urteils durch die Berichterstatterin sind mindestens sechs Richterarbeitsstunden anzusetzen. Hinzu kommen die durch die Mitbefassung der weiteren Berufsrichter verursachten mindestens drei weiteren Richterarbeitsstunden. Der Wert einer Richterstunde wurde bereits 1986/1987 mit 350-450 DM (dies entspricht ca. 180-230 EUR) angesetzt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 10.10.2011 - L 13 R 2150/10 -, juris Rn. 22 m.w.N.). Selbst unter Berücksichtigung dieser für 1986/1987 geltenden Werte, die sich zwischenzeitlich aufgrund der allgemeinen Kostenentwicklung deutlich gesteigert haben dürften, sind somit allein für die zur Absetzung des Urteils erforderlichen Richterarbeitsstunden Kosten in Höhe von mindestens 1.620 EUR entstanden, ohne dass hierbei die Kosten der Servicekräfte, die an der Ausfertigung des Urteils mitwirken oder die allgemeinen Gerichtshaltungskosten berücksichtigt wären. Die dem Kläger auferlegten Kosten i.H.v. 1.000 EUR liegen damit noch sehr deutlich unter den Kosten, die er mit der Weiterführung des Rechtsstreits tatsächlich verursacht hat. Bei der Bestimmung der Kostenhöhe hat der Senat zu Gunsten des Klägers geringe Einkommensverhältnisse unterstellt.

 

Die Kostenentscheidung im Übrigen beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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