1. Zum Erfordernis eines fiktiven Verwaltungsakts im Rahmen der Erstattung einer ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbrachten Leistung nach § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X. 2. Eine Rentenanpassungsmitteilung, die vom Rentenversicherungsträger selbst erlassen wurde und sowohl die Rentenart als auch die Rentenhöhe (vorher und nachher) erkennen lässt, stellt nach vorheriger Entziehung bzw Aufhebung der Rentenbewilligung einen Verwaltungsakt für die (zu Unrecht erbrachte) Weiterzahlung der Rente dar, so dass deren Rückforderung nicht auf § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X gestützt werden kann.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 12. Juli 2022 sowie der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2016 aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit welchem diese eine Erstattung überzahlter Rentenleistungen in Höhe von 128.624,47 € geltend macht.
Der am ... 1958 geborene Kläger absolvierte nach seinem 10.-Klasse-Schulabschluss von September 1974 bis Juli 1976 nach seinen Angaben eine abgeschlossene Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenmonteur und arbeitete in diesem Beruf bis Oktober 1977. Von November 1977 bis Dezember 1978 war er als Maschinist und von Januar 1979 bis zum 31. Dezember 1995 als Gleisfachwerker tätig. Nach Angaben der A... mbH vom 13. Mai 1996 führte der Kläger Abbau-, Bau- und Instandhaltungsarbeiten von oder an Gleisen und Weichen einschließlich Reinigungsarbeiten durch und übte insoweit eine Schmutzarbeit mit außergewöhnlicher körperlicher Belastung aus. Vorkenntnisse habe er nicht verwerten können. Er sei in die Lohngruppe 3 eingruppiert worden, wobei die niedrigste die Lohngruppe 1 und die höchste die Lohngruppe 12 gewesen sei. Seit dem 1. Januar 1996 war er arbeitslos gemeldet. Auch nachfolgend übte er keine versicherungspflichtige Beschäftigung mehr aus.
Bei dem Kläger ist seit dem 22. September 1995 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 aufgrund der schmerzhaft eingeschränkten Beweglichkeit im linken Hüftgelenk bei Hüftkopfnekrose und im linken Kniegelenk anerkannt. Mit Bescheid vom 19. August 2015 wurde der GdB aufgrund der Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke und des linken Kniegelenks ab dem 22. April 2015 auf 40 erhöht.
Aufgrund seines Hüftleidens beantragte der Kläger am 15. Januar 1996 bei der Bundesknappschaft, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist (im Folgenden: einheitlich Beklagte), zunächst Rente wegen Berufsunfähigkeit bei Aufgabe der in der knappschaftlichen Rentenversicherung versicherten Beschäftigung (als Gleisfachwerker) und später auch Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte ließ die Fachärztin für Innere Medizin Dipl.-Med. K. ihres Sozialmedizinischen Dienstes das Gutachten vom 13. Juni 1996 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 11. Juni 1996 erstatten. Im Rahmen der Anamnese habe der Kläger angegeben, verheiratet und Vater von sechs Kindern zu sein, von denen das jüngste wegen einer angeborenen Muskeldystrophie rollstuhlpflichtig sei. Dipl.-Med. K. diagnostizierte beim Kläger eine Hüftkopfnekrose links, eine Gonarthrose links (ohne Bewegungseinschränkung), eine Hepatose sowie Adipositas. Die Gutachterin schätzte ein, die Erkrankung des Bewegungsapparats lasse auf eine aufgehobene Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben seit dem 9. Mai 1995 schließen. Schon durch die nur sehr kurze Gehstrecke (max. 200-300 m bei stark hinkendem Gangbild, Unmöglichkeit längerer Autofahrten) sei es dem Kläger nicht möglich, einen Arbeitsplatz aufzusuchen, da ihm auch das Autofahren Probleme bereite. Nur durch die Implantation einer Hüft-Totalendoprothese (TEP) sei das Krankheitsbild zu lindern und die Leistungsfähigkeit zu steigern. Daraufhin gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 25. März 1997 ab dem 1. Januar 1996 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung auf Dauer. Die Anspruchsvoraussetzungen seien seit dem 31. Dezember 1995 erfüllt. Die Rente werde längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gezahlt. Im Anschluss daran bestehe Anspruch auf eine Regelaltersrente. Der monatliche Zahlbetrag betrug ab dem 1. Mai 1997 1.685,46 DM.
Der Kläger wurde zunächst am 11. Januar 1999 nachuntersucht. Dipl.-Med. K. stellte fest, dass eine TEP-Implantation zwischenzeitlich nicht erfolgt sei, da der Kläger nicht operationswillig sei. Es müsse von einem gleichbleibenden Befund ausgegangen werden; es sei weder zu einer Befundbesserung noch zu einer wesentlichen Verschlechterung gekommen. Während der zweiten Nachuntersuchung am 27. November 2000 führte Dipl.-Med. K. in ihrem Gutachten vom 21. Dezember 2000 aus, dass der Kläger aufgrund seiner Hüftkopfnekrose weiterhin in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt sei. Die fehlende Operationswilligkeit spreche jedoch für einen geringen Leidensdruck. Aufgrund der fehlenden Einnahme von Analgetika bestünden Zweifel an der ausgeprägten Schmerzsymptomatik. Sie empfahl daher die Durchführung einer medizinischen Rehabilitation zur korrekten Leistungsfindung.
Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme (Bescheid vom 16. Februar 2001). Hiergegen legte der Kläger am 12. März 2001 Widerspruch ein mit der Begründung, sein Sohn M. sitze im Rollstuhl und müsse rund um die Uhr gepflegt werden. Seine Ehefrau sei ebenfalls seit 1999 erwerbsunfähig, da ihr aufgrund eines Brusttumor eine Brust habe amputiert werden müssen. Sie dürfe nicht schwer heben; jede Bewegung und Belastungen sei zu viel für sie. Die Beklagte wies den Kläger sodann mit Schreiben vom 6. April 2001 darauf hin, dass Leistungen zur Rehabilitation Vorrang vor Rentenleistungen (Grundsatz „Rehabilitation geht vor Rente“) hätten und eine Prüfung der Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 116 Abs. 1 SGB VI nur möglich sei, wenn er an der medizinischen Leistung zur Rehabilitation teilnehme. Der Kläger trat gleichwohl die medizinische Rehabilitation nicht an. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Die Beklagte ließ den Kläger durch Dipl.-Med. K. am 5. Oktober 2001 erneut ambulant untersuchen. Diese stellte in ihrem Gutachten vom 9. Oktober 2001 fest, der Kläger sei ohne aktuelle Befunde erschienen. Die telefonische Rücksprache beim Hausarzt habe ergeben, dass der Kläger dort nur äußert selten vorstellig gewesen sei. Den mitbehandelnden Orthopäden habe er zuletzt im November 1999 aufgesucht. Der Kläger sei aufgrund seiner Hüftkopfnekrose in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Die fehlende Operationswilligkeit spreche jedoch für einen geringen Leidensdruck. Die nur seltenen Arztkonsultationen und die Ablehnung der medizinischen Rehabilitation ließen an der ausgeprägten Schmerzsymptomatik zweifeln. Der Kläger könne seinen bisherigen Beruf als Schlosser, Maschinist sowie Gleisfachwerker nicht mehr ausüben. Es sei ihm jedoch möglich, eine vorwiegend sitzende Tätigkeit vollschichtig und regelmäßig auszuüben. Die Wegefähigkeit sei gegeben.
Vor der Umstellung von DM auf € erhielt der Kläger die Erwerbsunfähigkeitsrente im Dezember 2001 in Höhe von 1.896,99 DM. Ausweislich der Rentenanpassungsmitteilung vom 1. Juli 2001 sollte der Zahlbetrag ab dem 1. Januar 2002 monatlich 969,92 € betragen.
Am 5. Dezember 2001 erließ die Beklagte einen mit „Rentenentziehung“ überschriebenen Bescheid. Sei der Empfänger einer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit infolge einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr berufs- oder erwerbsunfähig, so werde der Rentenbewilligungsbescheid aufgehoben und die Rente entzogen (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz [SGB X]). Anstelle der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit werde eine Rente wegen Berufsunfähigkeit geleistet, wenn der Berechtigte infolge einer Änderung in seinen Verhältnissen nicht mehr erwerbsunfähig, aber noch berufsunfähig sei. Die Feststellungen hätten ergeben, der Kläger könne außerhalb des Bergbaus noch die Tätigkeit eines Pförtners ohne Telefonvermittlung, Hilfsarbeiten im Labor und Büro sowie die Tätigkeit eines Lichtpausers vollschichtig verrichten. Diese Tätigkeiten seien gegenüber seinem Hauptberuf als Gleisfachwerker zumutbar. Die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit/Berufsunfähigkeit werde daher mit Wirkung vom 1. Februar 2002 entzogen. Ab dem 1. Februar 2002 bestehe Anspruch auf die Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsunfähigkeit im Bergbau. Über die Höhe dieser Leistung ergehe ein weiterer Bescheid.
Auf das am 9. Januar 2002 eingegangene Schreiben des Klägers vom 8. Januar 2002, das mit den Worten „hiermit lege ich F. M. Widerspruch ein, das ab 01.02.2002 meine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit entzogen werden soll“ eingeleitet war, wurde verwaltungsintern am 18. Januar 2002 festgestellt, dass die erfolgte Anhörung fehlerhaft gewesen sei. Obwohl der Widerspruch außerhalb der Frist eingegangen sei, werde empfohlen, die Entziehung der Rente bzw. die Anhörung gemäß § 24 SGB X zu wiederholen. Daraufhin erließ die Beklagte am 21. Februar 2002 einen gleichlautenden Rentenentziehungsbescheid, mit dem sie die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit/Berufsunfähigkeit mit Wirkung vom 1. April 2002 entzog. Ab dem 1. April 2002 bestehe Anspruch auf die Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsunfähigkeit im Bergbau. Über die Höhe dieser Leistung ergehe ein weiterer Bescheid.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers vom 19. März 2002 machte der Kläger geltend, er sei entsetzt, wie mit Leuten umgegangen werde, bei denen ein dauerhafter Schaden aufgetreten sei und beim Laufen und Sitzen starke Schmerzen aufträten. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2002 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die wesentliche Änderung in den Verhältnissen bestehe in der Stabilisierung des Gesundheitszustands des Klägers. Die wesentliche Verbesserung der Schmerzsymptomatik zeige sich dadurch, dass er mit der Funktionseinschränkung seiner Hüftkopfnekrose ohne Schmerzmittel und sehr seltenen Arztbesuchen zurechtkomme. Dadurch seien die Voraussetzungen für die Aufhebung des Bescheids vom 25. Juli 1997 mit Wirkung ab dem 1. April 2002 gegeben. Der Kläger erhob dagegen keine Klage.
Gleichwohl zahlte die Beklagte die Rente weiterhin monatlich aus. Die Zahlungen wurden auch entsprechend der jeweiligen Rentenanpassungsgesetze - mit Rentenanpassungsmitteilungen der Beklagten (mit jeweiligem Briefkopf der Beklagten) - jeweils zum 1. Juli (erstmals zum 1. Juli 2002) angepasst. Hinsichtlich der jährlichen Anpassungsmitteilungen und der Bescheide über die Änderung der Beiträge zur Krankenversicherung vom 22. Februar und 5. Dezember 2004 wird auf Blatt 72 bis 78 der Gerichtsakte Band I verwiesen.
Zudem erließ die Beklagte - entgegen ihrer Ankündigung - gegenüber dem Kläger keinen Bescheid über die Höhe der Rente wegen verminderter Berufsunfähigkeit im Bergbau.
Ausweislich der Verwaltungsakte bemerkte die Beklagte erst am 11. Januar 2015 die fehlende Zahlungseinstellung nach der Rentenentziehung. Daraufhin veranlasste sie - ohne irgendeine Vorabinformation an den Kläger - die Zahlungseinstellung ab Februar 2015.
Mit Schreiben vom 2. Februar 2015 hörte die Beklagte den Kläger zur Rückforderung von Geldleistungen nach § 50 Abs. 2 SGB X in Höhe von 128.624,47 € an. Trotz der Rentenentziehung mit bestandskräftigem Bescheid vom 21. Mai (gemeint Februar) 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 2002 sei die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bis zum 31. Januar 2015 ausgezahlt worden. Hierbei handle es sich um eine Rentenzahlung ohne Verwaltungsakt, da diese Rente mit Wirkung ab dem 1. April 2002 entzogen worden sei. Die Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsunfähigkeit im Bergbau sei nunmehr berechnet worden und der Rentenbescheid dieser Anhörung beigefügt. Für die Zeit vom 1. April 2002 bis zum 28. Februar 2015 ergebe sich (nach Verrechnung) noch eine Überzahlung von 128.624,47 €. Durch den Bescheid vom 21. Februar 2002 und den Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2002 habe der Kläger erkennen können, dass die Zahlung an ihn ohne Rechtsgrund erfolgt sei.
Mit Bescheid vom 2. Februar 2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger auf seinen Antrag vom 15. Januar 1996 Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsunfähigkeit im Bergbau. Die Rente beginne am 1. Januar 1996. Der Zahlbetrag dieser Rente betrage ab dem 1. März 2015 monatlich 207,24 €. Für die Zeit vom 1. April 2002 bis zum 28. Februar 2015 ergebe sich eine Überzahlung von 128.624,47 €. Diese sei zu erstatten. Der Anlage 1 des Bescheids war die Verrechnung der Nachzahlung mit der Rückforderung der Erwerbsminderungsrente und dem Ergebnis einer Überzahlung von 128.624,47 € zu entnehmen. Die Berechnung berücksichtigte - entgegen der Ausführungen im Bescheid - die Nichtzahlung der Rente bereits für Februar 2015.
Der Kläger sprach am 9. Februar 2015 bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland (DRM) vor und teilte mit, er sei weder bereit noch in der Lage, die überzahlte Rente rückwirkend ab dem 1. April 2002 zurückzuzahlen. Die Rente werde über einen Zeitraum von fast 13 Jahren zurückgefordert, obwohl die Beklagte für die lange Weiterzahlung mitverantwortlich sei. Trotz der fast jährlichen Rentenerhöhung und Änderungen bezüglich der Kranken- und Pflegeversicherung sei die Rente weitergezahlt worden. Der im Bescheid vom 21. Februar 2002 angekündigte gesonderte Bescheid über die Höhe der Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsunfähigkeit im Bergbau sei nicht erteilt worden. Daher sei er der Meinung gewesen, dass ihm die Rente für Bergleute in der gleichen Höhe wie die bislang gewährte Rente zustehe. Hätte die Beklagte hier einen neuen Bescheid erteilt, hätte er Sozialleistungen beantragen und einen neuen Rentenantrag zu einem viel früheren Zeitpunkt stellen können. Sozialleistungen wären sicher befürwortet worden, da seine Ehefrau selbst krank gewesen sei und nur ein geringes Einkommen gehabt habe. Die Rente sei zur Lebenshaltung verbraucht worden. Zudem stellte er einen neuen (zweiten) Rentenantrag. Die DRM leitete die Unterlagen an die Beklagte weiter.
Mit Bescheid vom 20. März 2015 forderte die Beklagte den Kläger für die Zeit vom 1. April 2002 bis zum 28. Februar 2015 zur Rückzahlung eines Betrags von 128.624,47 € auf. Auch im Rahmen der Ermessensausübung könne nicht auf die Rückforderung des überzahlten Betrags verzichtet werden, da angesichts der Höhe der zu Unrecht gezahlten Beträge deren Verzicht im Interesse der Versichertengemeinschaft unangemessen sei. Im Rahmen der Anhörung habe der Kläger sich darauf berufen, dass die Rente über einen langen Zeitraum zu Unrecht gezahlt worden sei. Sie - die Beklagte - gehe davon aus, dass ihm die Fehlerhaftigkeit dieser Zahlung bekannt war. Allein aus der Dauer der Überzahlung könne kein Vertrauen in den Bezug der Sozialleistung hergeleitet werden.
Dagegen richtete sich der Widerspruch des nunmehr anwaltlich vertretenen Klägers vom 27. März 2015. Infolge der jahrelangen Zahlung sei er gehindert gewesen, ergänzende Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen bzw. einen Neufeststellungantrag zu stellen.
Die Beklagte ließ den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. N., Stellvertretender Leitender Arzt ihres Sozialmedizinischen Dienstes, das Gutachten vom 7. Mai 2015 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 27. April 2015 erstatten. Dieser diagnostizierte beim Kläger eingesteifte Hüftgelenke beidseits bei bekannter Hüftkopfnekrose links mit Schmerzsymptomatik, eine Arthrose des linken Kniegelenks, eine Anämie unklarer Ursache, eine instabile Blase sowie Bluthochdruck. Der einfach strukturierte Kläger sei in reduziertem Allgemein- und Kräftezustand erschienen. Beide Hüftgelenke seien eingesteift. Es bestehe eine Myatrophie beider Oberschenkel. Der Hodensack sei erheblich entzündet. Als der Gutachter mit dem Kläger aus der unteren bis in die obere Etage gelaufen sei, habe der Kläger zwei Unterarmstützen genutzt und sich teilweise am Geländer hochgezogen. Das An- und Auskleiden sei mithilfe des Gutachters erfolgt. Hinzu kämen Probleme mit der instabilen Blase und dem häufigen Harndrang. Laborchemisch sei eine Anämie festgestellt worden, welche die Erschöpfung und die Leistungsinsuffizienz zusätzlich erkläre. Bekannt sei aus den Vorjahren ein langjähriger Alkoholkonsum, welcher jetzt moderat sei, die Leberschädigung stehe nicht im Vordergrund. Die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben sei vollständig aufgehoben. Die Wegefähigkeit sei nicht gegeben. Das Leistungsvermögen bestehe seit dem Rentenantrag auf Dauer.
Daraufhin gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 11. Mai 2015 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. März 2015.
Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Erstattungsbescheid vom 20. März 2015 mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2016 zurück. Der Entziehungsbescheid vom 21. Februar 2002 sei mit dem Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2002 bestätigt worden. Darüber hinaus sei dem Kläger mitgeteilt worden, ab dem 1. April 2002 bestehe Anspruch auf Rente für Bergleute und über die Höhe dieser Leistung werde ein weiterer Bescheid erteilt. Aufgrund der eindeutigen Ausführungen in den ergangenen Bescheiden hätte dem Kläger auffallen müssen, dass die Rente unverändert fortgezahlt worden sei, obwohl sie ihm nicht mehr zugestanden habe. Es sei nicht ersichtlich, dass er dies nicht hätte erkennen können. Es sei davon auszugehen, dass er die Weiterzahlung billigend in Kauf genommen und eine Rückfrage zur Klärung dieses offensichtlichen Widerspruchs nicht unternommen habe. Er habe insofern die der Sachlage angemessene Sorgfalt, die nach allgemeiner Lebenserfahrung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls hätte erwartet werden dürfen, verletzt mit der Folge, dass grobe Fahrlässigkeit vorliege. Die Ermessensausübung habe nur zur vollen Rückforderung des überzahlten Betrags führen können. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Beklagte zwar die Zahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente über den Entziehungspunkt hinaus zu vertreten habe, er jedoch die Überzahlung der Rentenleistung ohne weiteres durch eine Mitteilung habe verhindern oder zumindest reduzieren können. Die stillschweigende Entgegennahme der Rentenleistung könne im Rahmen der Interessenabwägung nicht dazu führen, dass sein Interesse am Behaltendürfen der Leistungen gegenüber dem Interesse der Versichertengemeinschaft an der Korrektur und Rückforderung überwiege. Der Kläger habe auch keine triftigen Hinweise für den Eintritt von Sozialhilfebedürftigkeit vorgetragen, sodass das Ermessen dahingehend nicht zu seinen Gunsten habe ausfallen können. Die Jahresfrist sei eingehalten worden.
Der Kläger hat sein Begehren mit seiner am 23. Mai 2016 vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau erhobenen Klage weiterverfolgt. Aufgrund der laufend erteilten Rentenanpassungen der Beklagten und der fortwährenden Gewährung der Rente habe er davon ausgehen dürfen, diese stehe ihm zurecht zu. Anhaltspunkte für eine Überzahlung hätten sich ihm nicht aufgedrängt. Die Entscheidung der Beklagten sei zudem ermessensfehlerhaft. Sie habe nicht berücksichtigt, dass er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation während des Rentenbezugs keiner Arbeitstätigkeit habe nachgehen können.
Mit Urteil vom 12. Juli 2022 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 50 Abs. 2 in Verbindung mit § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X lägen vor, da dem Kläger durch den Aufhebungsbescheid vom 21. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 2002 bekannt gewesen sei, dass er keinen Rentenanspruch gehabt habe. Die Beklagte habe auch das ihr eingeräumte Ermessen angemessen ausgeübt. Das öffentliche Interesse an der Rückforderung überwiege die Schutzwürdigkeit des Klägers selbst unter Berücksichtigung dessen Lebensalters und seines Gesundheitszustands eindeutig, wenn nicht gar ein Fall der Ermessensreduzierung auf null vorliege. Der Kläger habe durch die ergangenen Bescheide positiv gewusst, dass ihm ab April 2002 keine Erwerbsunfähigkeitsrente mehr zugestanden habe. Gleichwohl habe er zu keinem Zeitpunkt wegen der Diskrepanz zwischen der bestandskräftigen Aufhebung und der Weiterzahlung der Rente bei der Beklagten nachgefragt, was für die Kammer nicht nachvollziehbar sei.
Gegen das ihm am 15. August 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. September 2022 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und vorgetragen, er habe keine Kenntnis davon gehabt, dass ihm eine Rente zu Unrecht gezahlt worden sei. Ohne seine Veranlassung habe die Beklagte die (entzogene) Rente weitergezahlt und ihm auch regelmäßig Rentenerhöhungsmitteilungen übersandt. Dadurch habe sie bei ihm einen Vertrauenstatbestand geschaffen und er habe die Leistungen gutgläubig verbraucht. Die Beklagte habe sich auch widersprüchlich verhalten, wenn sie ihm einerseits mitgeteilt habe, die Rente werde entzogen und im selben Moment über einen bestehenden Anspruch auf Rente für Bergleute wegen verminderter Fähigkeit im Bergbau informiert habe. Aufgrund dieser Erklärung sei er von der Rechtmäßigkeit der Zahlungen ausgegangen. Grobe Fahrlässigkeit liege nicht schon dann vor, wenn ein Betroffener mit dem relevanten Umstand der Rechtswidrigkeit lediglich habe rechnen müssen. Aufgrund der pflichtwidrig unterlassenen bzw. mangelhaften Beratung/Auskunft liege eine Anspruchsverkürzung (nicht rechtzeitig gestellter Neuantrag auf Erwerbsminderungsrente oder ergänzende Sozialleistungen) als auch die Rückforderungsentscheidung zu seinen Lasten vor, was im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs korrigiert werden müsse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 12. Juli 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2016 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 12. Juli 2022 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und ihren Bescheid für rechtmäßig. Zudem verweist sie darauf, dass sämtliche Mitteilungen über die Rentenanpassung als Rentenart explizit die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auswiesen, so dass der Kläger daraus gerade nicht habe schließen können, es habe sich um die Rente für Bergleute gehandelt. Die Rückforderung stelle keine unbillige Härte dar. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er und seine Ehefrau bei Bezug der rückwirkend erbrachten Rente für Bergleute und dem Einkommen der Ehefrau als Bedarfsgemeinschaft hilfebedürftig im Sinne des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) geworden wären.
In der mündlichen Verhandlung des Senats am 14. August 2024 hat der Kläger angegeben, er habe sich im Hinblick auf die geäußerten Bedenken seines behandelnden Orthopäden zu den Risiken einer Hüft-TEP nicht dafür entscheiden können. Das Widerspruchsschreiben gegen den Rentenentziehungsbescheid habe er damals selbst verfasst. Er sei froh gewesen, dass die Rente nach der Unterbrechung weitergezahlt worden sei. Hierzu wird auf das Sitzungsprotokoll vom 14. August 2024 (Blatt 216 f. der Gerichtsakte Band II) verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht erhoben gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie ist auch statthaft gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG.
Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) des Klägers gegen den streitgegenständlichen Erstattungsbescheid der Beklagten vom 20. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. April 2016 als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid ist rechtswidrig und beschwert den Kläger im Sinne der §§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Hinsichtlich der überzahlten Rente für die Monate April und Mai 2002 besteht kein Erstattungsanspruch der Beklagten nach § 50 Abs. 2 SGB X (hierzu unter 1.). Die Erstattung für die Monate Juni 2002 bis Januar 2015 ist ebenfalls rechtswidrig (hierzu unter 2.). Für den Monat Februar 2015 ist keine Auszahlung der Rente mehr erfolgt.
1.
Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Erstattung der überzahlten Erwerbsminderungsrente für die Monate April und Mai 2002 nach § 50 Abs. 2 SGB X. Danach sind Leistungen, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, zu erstatten, wobei die §§ 45 und 48 SGB X entsprechend anzuwenden sind.
Die Beklagte hat in diesem Zeitraum die Rentenzahlungen ohne Verwaltungsakt erbracht. Denn die dem Kläger zuvor mit Bescheid vom 25. März 1997 auf Dauer gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ist mit dem Rentenentziehungsbescheid vom 21. Februar 2002 ab dem 1. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 2002 bestandskräftig aufgehoben und entzogen worden. Zwar hat der Rentenentziehungsbescheid vom 21. Februar 2002 den Rentenbewilligungsbescheid nicht ausdrücklich aufgehoben. Es wurden lediglich die Voraussetzungen für die Aufhebung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit benannt, jedoch findet sich in dem Bescheid keine ausdrückliche Verfügung der Aufhebung des Rentenbewilligungsbescheids vom 25. März 1997. Gleichwohl leidet der Bescheid nicht an einem Bestimmtheitsmangel nach § 33 Abs. 1 SGB X. Ein Aufhebungsbescheid, in dem das Datum des aufgehobenen Bewilligungsbescheids nicht genannt wird, ist hinreichend bestimmt, wenn dem Verfügungssatz ohne weiteres zu entnehmen ist, dass und in welcher Höhe die Bewilligungsentscheidung aufgehoben wird (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2012, L 7 AS 4111/11, juris Rn. 18). Hier ist dem Bescheid zwar nur zu entnehmen, dass die Rente ab dem 1. April 2002 entzogen wird. Es genügt jedoch, wenn durch den Erlass eines Widerspruchsbescheids Bestimmtheit hergestellt wird (Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 33 Rn. 19 m.w.N.) Der Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2002 stellt in seiner Einleitung bereits klar, dass der Bescheid vom 21. Februar 2002 die Aufhebung des Bescheids vom 25. März 1997 betrifft und durch die Begründung des Widerspruchsbescheids ergibt sich, dass die Beklagte vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Aufhebung des Bescheids vom 25. Juli 1997 mit Wirkung ab dem 1. April 2002 ausging.
Dass der Rentenentziehungsbescheid zugleich einen Anspruch auf Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsunfähigkeit im Bergbau regelt, steht der Anwendbarkeit des § 50 Abs. 2 SGB X nicht entgegenstehen. Denn dies ist vergleichbar mit dem Fall der Herabsetzung einer laufenden Leistung durch Neufeststellung und versehentlicher Weiterzahlung des ursprünglich höheren Betrags, für den die Anwendbarkeit von § 50 Abs. 2 SGB X angenommen wird (vgl. Schütze in Schütze, § 50 Rn. 22).
Die Beklagte hat die Leistung auch zu Unrecht erbracht, denn dem Kläger stand zum Zeitpunkt der Rentenzahlung kein Anspruch (mehr) auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu. Zwar wäre grundsätzlich der Erlass eines fiktiven Verwaltungsakts gegenüber dem Kläger mit der Rentenzahlung denkbar (vgl. zu dem Erfordernis der Bewilligung der Leistung durch einen fiktiven Verwaltungsakt Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 24. Juli 2001, B 4 RA 102/00 R, juris Rn. 24; BSG, Urteil vom 7. September 2006, B 4 RA 43/05 R, juris Rn. 38 ff; dazu kritisch Baumeister in Juris-Praxiskommentar SGB X, 3. Auflage 2023, § 50 Rn. 102). Aufgrund der Aufhebung des § 44 SGB VI zum 31. Dezember 2000 mit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (RRErwerbG) vom 20. Dezember 2000 kam ab dem 1. Januar 2001 die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und auch der Erlass eines Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligenden fiktiven Verwaltungsakts gegenüber dem Kläger nach dem 31. Dezember 2000 nicht mehr in Betracht. Dem Kläger hätte allenfalls eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt werden können. Auch ein solcher fiktiver Verwaltungsakt wäre aber nach den Feststellungen der Beklagten im Gutachten der Dipl. Med. K. vom 9. Oktober 2001 rechtswidrig, denn diese hat beim Kläger zum Untersuchungszeitunkt im Vergleich zu ihren Vorgutachten kein rentenberechtigendes Leistungsvermögen (mehr) festgestellt. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt nach der Einschätzung der Gutachterin, der sich der Senat anschließt, noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine körperlich leichte Tätigkeit vorwiegend im Sitzen vollschichtig und regelmäßig auszuüben. Die Wegefähigkeit war gegeben, da der Kläger zumindest kurze Strecken mit dem Pkw zurücklegen konnte. Da wegen der Möglichkeit, durch eine Hüft-TEP eine Besserung des Gesundheitszustands des Klägers erreichen zu können, eine Dauerrente nicht in Betracht kam, hätte zudem ein Rentenanspruch bereits im April und Mai 2000 noch keinesfalls bestehen können (§ 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI).
Der Kläger ist jedoch zum Zeitpunkt der Rentenzahlung nicht bösgläubig gewesen. Die Prüfung des Vertrauensschutzes richtet sich nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, der nach § 50 Abs. 2 SGB X bei anfänglich rechtswidrigen Zahlungen entsprechend gilt. Danach kann sich der Begünstigte dann nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des (fiktiven) Verwaltungsakts und der darauf beruhenden Zahlung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, wobei grobe Fahrlässigkeit dann vorliegt, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist in der Regel anzunehmen, wenn er einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellte und sich ihm die Fehlerhaftigkeit offensichtlich aufdrängen musste. Dabei ist auf die individuelle Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Klägers abzustellen.
Zwar war dem Kläger bekannt, dass ihm die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit/Berufsunfähigkeit mit Bescheid vom 21. Februar 2002 entzogen worden war; er hatte bereits für Februar 2002 keine Rentenzahlung mehr erhalten. Hierauf kommt es hier aufgrund der Besonderheiten des Verfahrensablaufs jedoch nicht an. Nach Auffassung des Senats ist durch die insoweit beweisbelastete Beklagte nicht nachgewiesen, dass der Kläger nicht auf die Rechtmäßigkeit der Weiterzahlung vertraute. Der Kläger hatte bereits gegen den ersten Rentenentziehungsbescheid vom 5. Dezember 2001 erfolgreich „Widerspruch“ jedenfalls insoweit erhoben, als die Entziehung zum 1. Februar 2002 nicht aufrecht erhalten blieb. Vielmehr stellte die Beklagte intern die formelle Rechtswidrigkeit des Bescheids mangels Anhörung fest und zahlte die Rente wieder aus, ohne dem Kläger die Gründe dafür offen zu legen und entzog die Rente dann ab dem 1. April 2002 erneut. Auch gegen diesen zweiten Rentenentziehungsbescheid vom 21. Februar 2002 hatte der Kläger Widerspruch erhoben und während der Weiterzahlung war das Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen. Hierzu hat der Kläger auch vorgetragen, über die Weiterzahlung der Rente nach der Unterbrechung froh gewesen zu sein. Insoweit hätte sich dem Kläger zumindest für die Monate April und Mai 2002 die Rechtswidrigkeit der Zahlung (noch) nicht aufdrängen müssen. Zudem hatte ihm die Beklagte mit dem Rentenentziehungsbescheid vom 21. Februar 2002 zugleich auch eine Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsunfähigkeit im Bergbau bewilligt und den angekündigten Bescheid über deren Höhe nicht erlassen. Der Kläger war aktiv zu einem weiteren Zuwarten aufgefordert und kannte die Höhe der Überzahlung bis zum Erlass des Bescheides vom 2. Februar 2015 nicht. Dieses widersprüchliche Verhalten der Beklagten ist nach Auffassung des Senats ebenfalls zu berücksichtigen. Der Kläger hatte damit durch ein fehlerhaftes Verhalten der Beklagten keine Kenntnis über die ihm zustehende Höhe der künftigen Zahlungen. Ein einfacher Vergleich der bisherigen und der ab dem 1. April 2002 bewilligten Rente war ihm dadurch nicht möglich. Mithin musste sich ihm die fehlerhafte Zahlungshöhe nicht aufdrängen. Soweit für die Erkennbarkeit eines Fehlers die Kenntnis der Rechtslage erforderlich ist, kann die Behörde ein Kennenmüssen gerade nicht pauschal unterstellen (vgl. Schütze, a.a.O. § 45 Rn. 69). Und erst dann, wenn sich Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung - hier der Zahlung - aufdrängen, besteht eine Verpflichtung zu Erkundigungen (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 4. März 1996, 7 S 2275/95, juris Rn. 30 m.w.N.). Aufgrund des Eindrucks, den der Senats in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gewinnen konnte, war dieser nicht in der Lage, den Unterschied zwischen einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, einer (fiktiven) Rente wegen voller Erwerbsminderung und einer Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsunfähigkeit im Bergbau zu erkennen. Der Kläger war in seinem gesamten Berufsleben mit körperlichen Arbeiten befasst und mit behördlichen Schreiben nicht vertraut. Seine - von ihm verfassten - Widerspruchsschreiben lassen erkennen, dass ihm im Hinblick auf seinen körperlich schwere Arbeiten ausschließenden Gesundheitszustand das Vorgehen der Beklagten völlig unverständlich erschien.
2.
Die Beklagte kann die Erstattung der überzahlten Erwerbsminderungsrente von Juni 2002 bis Januar 2015 nicht auf § 50 Abs. 2 SGB X als Rechtsgrundlage stützen, denn die Zahlungen sind nicht ohne Verwaltungsakt, sondern aufgrund eines Verwaltungsakts erbracht worden.
Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum ab Juni 2002 laufend (meist jährlich) Mitteilungen der Beklagten über die Rentenanpassungen zum 1. Juli erhalten. Derartige Mitteilungen des Rentenversicherungsträgers sind Verwaltungsakte (BSG, Urteil vom 24. Januar 1995, 8 RKn 11/93, juris Rn. 26; BSG, Urteil vom 23. März 1999, B 4 RA 41/98 R, juris Rn. 19). Regelungsgehalt der ersten dieser Rentenanpassungsmitteilungen nach dem Rentenentzug, nämlich der im Juni 2002 bekanntgegebenen „Mitteilung“ zum 1. Juli 2002, war die Aussage, dass dem Kläger angekündigte monatliche Zahlungen als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erbracht würden. Dieses Verständnis der Rentenanpassungsmitteilung 2002 entspricht ihrem Wortlaut. Sie beschränkt sich nicht auf die Mitteilung des Erhöhungsbetrags, sondern informiert nach dem individuell in das Formblatt eingetragenen Hinweis, die Rente sei angepasst, in den - jeweils individuell ausgefüllten - Rubriken über die Leistungsart, den bisherigen Zahlbetrag (für Juni 2002) und die neue Zahlung ab Juli 2002 (ohne Beschränkung auf die Zeit bis Juni 2003). Zwar beschränkt sich der Regelungsgehalt von Anpassungsbescheiden nach der Rechtsprechung des BSG in der Regel inhaltlich auf die wertmäßige Fortschreibung des bereits zuerkannten Rentenrechts und sagt daher regelmäßig nichts darüber aus, ob dem Betroffenen die Leistung auch zusteht oder nicht (BSG, Urteil vom 23. März 1999, a.a.O. Rn. 19). Dies kann jedoch nur dann gelten, wenn die angepasste Leistung ihrerseits auf einem bewilligenden Verwaltungsakt beruht. Im vorliegenden Fall beruhte, wie oben (unter 1.) ausgeführt, die dem Kläger bis einschließlich Mai 2002 gewährte Leistung nicht auf einem bewilligenden Verwaltungsakt. Die „Rentenanpassungsmitteilung" zum 1. Juli 2002 muss mit ihrem bekanntgegebenen Inhalt (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB X) aus dem objektivierten Empfängerhorizont heraus (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 1995, a.a.O. Rn. 29; BSG, Urteil vom 23. März 1999, a.a.O. Rn. 34) ausgelegt werden. Denn für die Auslegung einer behördlichen Äußerung als Verwaltungsakt kommt es nicht auf das von der Behörde Gewollte, sondern auf das objektivierte Empfängerverständnis an. Ob die Erklärung einer Behörde als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, richtet sich danach, wie der Empfänger diese Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls zu deuten hatte (BSG, Urteil vom 28. Juni 1990, 4 RA 57/89, juris Rn. 31). Die Mitteilung, ab Juli 2002 werde die Rente angepasst und in bestimmter Höhe gezahlt, konnte von dem Kläger zur Überzeugung des Senats nur dahin verstanden werden, dass er - wieder oder weiterhin - Rente bekommen solle, dass er also den angegebenen Monatsbetrag für Juni 2002 und ab Juli 2002 als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhalte (ebenso BSG, Urteil vom 24. Januar 1995, a.a.O. Rn. 29). Anders als in dem vom BSG entschiedenen Fall vom 23. März 1999 (B 4 RA 41/98 R) hat hier auch die Beklagte als Rentenversicherungsträger die Rentenanpassungsmitteilungen selbst erstellt und nicht der Rentenservice der Deutschen Post AG.
Auf dieser Grundlage erweist sich der auf § 50 Abs. 2 SGB X gestützte angefochtene Bescheid der Beklagten als rechtswidrig. Denn eine Erstattung überzahlter Sozialleistungen, die auf einem begünstigenden Verwaltungsakt beruhen, setzt entweder nach § 45 in Verbindung mit § 50 Abs. 1 SGB X die vorherige Rücknahme des bewilligenden Verwaltungsakts voraus oder nach § 38 in Verbindung mit § 50 Abs. 5 SGB X - im Falle einer offenbaren Unrichtigkeit - den Erlass eines Berichtigungsbescheids. Die Beklagte hat jedoch mit dem angefochtenen Bescheid vom 20. März 2015 ausdrücklich nur die Erstattung der überzahlten Rente geltend gemacht; die Rücknahme oder Berichtigung des bewilligenden Verwaltungsakts hat sie unterlassen. Ihr Bescheid kann hier auch nicht dahingehend ausgelegt oder umgedeutet werden, dass er zugleich eine Rücknahme- oder Berichtigungsentscheidung enthält. Denn er führt - in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. April 2016 - ausdrücklich aus, die Erstattung erfolge nach § 50 Abs. 2 SGB X. Diese Vorschrift regelt aber die Erstattung von Leistungen nur, soweit diese ohne Verwaltungsakt erbracht worden sind. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von jenem, den das BSG am 24. Januar 1995 (8 RKn 11/93, a.a.O.) entschieden hat. Dort hatte die Behörde die Erstattung nach § 50 Abs. 2 SGB X unter Hinweis darauf ausgesprochen, dass bei Unterstellung eines bewilligenden Verwaltungsakts, dieser zurückgenommen werden könnte. Zudem scheitert eine Umdeutung des angefochtenen Bescheids auch daran, dass dies nicht der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde entspricht. Denn noch im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Beklagten keine Veranlassung gesehen, die erteilten Bescheide zu ändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.