L 7 AS 318/24 NZB

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AS 235/21
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 318/24 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

I. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass ein Beteiligter "gehört", nicht jedoch "erhört" wird (vgl. u.a. BSG vom 16.4.2024, B 12 BA 17/24 B, Rn 14 m.w.N.).

II. Eine Abweichung von einer Entscheidung des Landessozialgerichts i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG erfasst nur eine Abweichung von Entscheidungen des zuständigen Berufungsgerichts. III. Wird geltend gemacht, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheides nicht vorgelegen haben, so ist dies kein die Zulassung begründender Verfahrensfehler; vielmehr ist Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung nach § 105 Abs. 3 SGG zu stellen.

 

I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 22. Juli wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


G r ü n d e :

Streitig im Klageverfahren war die Höhe des Kostenerstattungsanspruchs nach erfolgreichem Widerspruchsverfahren nach § 63 SGB X.

Mit Widerspruch vom 21.3.2021 gegen den Bewilligungsbescheid vom 16.3.2021 betreffend den Zeitraum 1.4.2021 bis 31.3.2022 machte der Bevollmächtigte der Kläger höhere Leistungen der Unterkunft und Heizung geltend. Mit Abhilfebescheid vom 14.7.2021 wurde dem Widerspruch vollumfänglich abgeholfen. Mit Kostennote vom 16.7.2021 machte der Bevollmächtigte der Kläger Kosten im Widerspruchsverfahren in Höhe von 1.213,80 € geltend, dabei eine Geschäftsgebühr von 1.000 €. Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 26.7.2021 setzte der Beklagte die Kosten in Höhe von 835,50 € fest (Geschäftsgebühr von 359 €). Den dagegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3.8.2021 als unbegründet zurück.

Im Klageverfahren wurde am 30.1.2023 in nichtöffentlicher Sitzung ein Erörterungstermin abgehalten, der laut Protokoll mit dem Beschluss endete, dass die "Verhandlung" vertagt wird und bei der Anwaltskammer eine Empfehlung zur Gebührenabrechnung im vorliegenden Fall eingeholt werde. Mit Anhörungsschreiben vom 13.12.2023 hörte die Kammervorsitzende die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid an. Ein Gutachten der Anwaltskammer sei entbehrlich, da § 14 Abs. 3 RVG nur im Vergütungsstreit zwischen Anwalt und Mandant gelte, nicht aber im Erstattungsfall relevant sei. Während der Beklagte hierzu sein Einverständnis erklärte, verwies der Bevollmächtige der Kläger mit Schriftsatz vom 1.1.2024 darauf, dass die Voraussetzungen des § 105 SGG nicht erfüllt seien. Der Sachverhalt sei nicht aufgeklärt. Das Gericht setze sich in Widerspruch zu seinen prozessleitenden Verfügungen, wonach ein kostenfreies Gutachten eingeholt werden sollte. Mit Gerichtsbescheid vom 22.7.2024 wurde die Klage abgewiesen. Der Sachverhalt sei geklärt. Wie die anwaltliche Tätigkeit zu beurteilen sei, sei eine Rechtsfrage, die die Kammervorsitzende beurteilen könne. Im Hinblick auf die Höhe der strittigen Geschäftsgebühr habe es keines Gutachtens der Anwaltskammer bedurft. § 14 Abs. 3 RVG gelte nicht im Erstattungsstreit zwischen Gebührenschuldner und Beklagtem. Die Tätigkeit sei nicht schwierig oder umfangreich gewesen. Die Berufung wurde im Urteil nicht zugelassen, auch nicht die Sprungrevision. Der Gerichtsbescheid war mit der Rechtsmittelbelehrung versehen, wonach Antrag auf mündliche Verhandlung beim Sozialgericht gestellt werden könne oder Nichtzulassungsbeschwerde.

Mit Schriftsatz vom 31.7.2024 legte der Bevollmächtigte der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde ein. Mit weiterem Schriftsatz vom 11.11.2024 begründete er die Beschwerde und machte geltend, dass das Sozialgericht die Berufung nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG hätte zulassen müssen, weil es von einer Entscheidung des "BSG" abweiche. Unter Ziffer II führte der Bevollmächtigte der Kläger weiter aus, dass die Berufung nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG zuzulassen sei, da ein Verfahrensmangel vorliege und geltend gemacht werde, auf dem die Entscheidung beruhen könne. Der Bevollmächtigte der Kläger habe die Einholung eines kostenfreien Gutachtens der Rechtsanwaltskammer nach § 14 Abs. 3 RVG beantragt. Mit dem Beschluss sollte eine Empfehlung i.S. einer amtlichen Auskunft eingeholt werden und kein förmliches Gutachten. Demnach sei der Sachverhalt nicht ausermittelt gewesen. Das Anhörungsschreiben habe dagegen nur Rechtsausführungen zur Anwendbarkeit des § 14 Abs. 3 RVG enthalten. Im Ergebnis hätte das Sozialgericht konkrete Ausführungen und Hinweise geben müssen, dass weitere Ermittlungen im Wege der Einholung amtlicher Auskünfte nach § 106 Abs. 3 Nr. 3 SGG nicht weiterverfolgt würden und warum der Sachverhalt konkret bei unveränderter Sachlage jetzt als geklärt angesehen werde. Es liege insofern eine Überraschungsentscheidung vor. Ein notwendiger fallbezogener Hinweis hätte ergehen müssen, inwiefern sachlich oder rechtlich eine Klärung nunmehr als gegeben angesehen werde. Dies sei nicht erfolgt. Hierauf beruhe die Entscheidung. Außerdem liege eine Divergenz vor. Das Sozialgericht habe im wörtlich zitierten Absatz 2 auf Seite 4 und Absatz 3 auf Seite 5 seiner Entscheidungsgründe einen Rechtssatz aufgestellt, der mit dem das Urteil des LSG Sachsen vom 20.5.2015, L 6 SB 289/14 tragenden Rechtssatz unvereinbar sei. Das BSG habe am 25.10.1956 in 6 RKa 2/56 ausgeführt, dass im Hinblick auf die Aufklärungspflicht das Gericht eine solche Auskunft bei der Urteilsfällung nur dann an Stelle einer mündlichen Zeugenaussage verwerten darf, wenn sie nach den besonderen Umständen des Einzelfalls ein geeignetes Mittel zur Erforschung des Sachverhalts darstellt. Die Einholung einer Empfehlung der Rechtsanwaltskammer sei damit vom Sozialgericht im Erörterungstermin als geeignetes Mittel zur Erforschung des Sachverhalts gesehen worden. Somit sei im Termin der Sachverhalt nicht als geklärt anzusehen.

Der Bevollmächtigte der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 22.7.2024 zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Ein Zulassungsgrund liege nicht vor.


II.

Die gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes einer Klage, die - wie hier - eine Geldleistung betrifft, insgesamt 750 € nicht übersteigt. Dieser Gegenstandswert wird vorliegend nicht erreicht. Der Bevollmächtigte der Kläger macht eine Kostenerstattung nach § 63 SGB X in Höhe von weiteren 378,30 € geltend (Kostennote von 1.213,80 € minus bewilligtem Betrag von 835,50 €).
 
Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist ausschließlich die Frage, ob ein Zulassungsgrund vorliegt, der nach § 144 Abs. 2 SGG die Zulassung der Berufung rechtfertigt. Demgemäß ist der im Schriftsatz vom 31.7.2024 enthaltene Sachantrag des Bevollmächtigten der Kläger für das Beschwerdeverfahren nicht relevant.

Der Bevollmächtigte der Kläger macht sowohl eine Divergenz zu LSG Sachsen vom 20.5.2015, L 6 SB 289/14 und BSG vom 25.10.1956, 6 RKa 2/56, als auch eine Überraschungsentscheidung als Verfahrensfehler geltend.

Eine Divergenz i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG ist nur gegeben, wenn einerseits ein abstrakter Rechtssatz der anzufechtenden Entscheidung und andererseits ein der Entscheidung eines der in Nummer 2 genannten Gerichte zu entnehmender abstrakter Rechtssatz nicht übereinstimmen (Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 14. Auflage 2023, § 144 Rn 30, § 160 Rn 14). Dabei liegt eine Abweichung nicht schon dann vor, wenn das Urteil des Gerichts nicht den Kriterien entspricht, die die in Nummer 2 genannten Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn das Gericht diesen Kriterien widerspricht, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt. Ein Rechtsirrtum im Einzelfall genügt nicht für die Annahme einer Divergenz. Dies gilt insbesondere auch für eine bloße fehlerhafte Subsumtion des Sachverhalts. Nicht die materiell-rechtliche Unrichtigkeit im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet einen Zulassungsgrund wegen Abweichung (vgl. BSG vom 15.11.2012, B 13 R 481/12 B; jurisPK-SGG § 144 Rn 39).

Eine Divergenz liegt nicht vor. Eine Abweichung von einer Entscheidung des Landessozialgerichts i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt nur in einer Abweichung vom zuständigen Berufungsgericht, nicht dagegen von einem Landessozialgericht eines anderen Bundeslandes (vgl. JurisPK-SGG § 144 Rn 38; Meyer-Ladewig, a.a.O., § 144 Rn 30). Das zuständige Berufungsgericht ist vorliegend das Bay. Landessozialgericht. Eine etwaige Abweichung des Sozialgerichts Regensburg von einer Entscheidung des LSG Sachsen ist daher rechtlich ohne Bedeutung. Auch in Bezug auf die Entscheidung des BSG vom 25.10.1956, 6 RKa 2/56 ist eine Divergenz nicht gegeben. In den vom Bevollmächtigten der Kläger zitierten Absätzen auf Seite 4 und 5 der Entscheidungsgründe des Sozialgerichts stellt dieses entgegen der Rechtsauffassung des Bevollmächtigten der Kläger keine abstrakten Rechtssätze auf, die in Widerspruch zu BSG vom 25.10.1956 gesehen werden könnten. Auf Seite 4 vollzieht das Sozialgericht eine Subsumtion zu § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG und legt dar, weshalb aus seiner Sicht die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid gegeben sind. Hinsichtlich seiner Auslegung des § 14 Abs. 3 RVG schließt es sich der von ihm zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung an und zieht hieraus den Schluss, dass es selbst, d.h. ohne Einholung eines Gutachtens, über die Billigkeit im Sinne des § 14 Abs. 1 RVG entscheiden darf. Weitere abstrakte Ausführungen in Abweichung zum BSG vom 25.10.1956 zu §§ 103, 106 SGG sind den vom Bevollmächtigten der Kläger bezeichneten Absätzen der sozialgerichtlichen Entscheidungsgründe nicht zu entnehmen.

Soweit der Bevollmächtigte der Kläger schließlich darlegt, dass aus verständiger Sicht eines Prozessbeteiligten der Sachverhalt im Erörterungstermin nicht als geklärt anzusehen gewesen sei, macht er sinngemäß geltend, dass die Auffassung des Sozialgerichts im Gerichtsbescheid hierzu falsch sei. Damit rügt er im Kern die materielle Unrichtigkeit der Entscheidung, was eine Divergenz nach obigen Ausführungen jedoch nicht zu begründen vermag.

Auch ein Verfahrensmangel nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG liegt nicht vor. Voraussetzung ist, dass sich der Mangel auf das gerichtliche Verfahren bezieht, er der Beurteilung des Landessozialgerichts unterliegt, die angefochtene Entscheidung auf ihm beruhen kann und er geltend gemacht worden ist. Bei der Beurteilung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, muss von der Rechtsauffassung des Sozialgerichts zum materiellen Recht ausgegangen werden (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O. § 144 Rn 31, 32a). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 62 SGG in Gestalt einer Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BSG vom 16.3.2016, B 9 V 6/15 R, Rn 26; Meyer-Ladewig, a.a.O. § 62 Rn 8a ff).

Nachdem das Sozialgericht im Erörterungstermin den Beschluss gefasst hat, eine Empfehlung der Rechtsanwaltskammer einzuholen, bestand eine konkrete Hinweispflicht, dass es nunmehr Abstand davon genommen hat, weil es seine bisherige Rechtsauffassung geändert hat, dass ein solches erforderlich bzw. entscheidungserheblich ist. Dieser konkreten Hinweispflicht hat das Sozialgericht mit dem Anhörungsschreiben vom 13.12.2023 Rechnung getragen, indem es in rechtlicher Hinsicht darauf hinweist, dass § 14 Abs.3 RVG vorliegend nicht anwendbar und damit ein Gutachten nicht erforderlich, d.h. nicht entscheidungserheblich ist. Indem es weiter mitteilt, dass es den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid entscheiden will, teilt es mittelbar auch mit, dass es die gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Entscheidung gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG, nämlich einen geklärten Sachverhalt und keine besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache tatsächlicher oder rechtlicher Art, als erfüllt ansieht. Dass ein Gerichtsbescheid nachfolgend ohne Zustimmung des Bevollmächtigten der Kläger erlassen wurde, ist nicht verfahrensfehlerhaft. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass ein Kläger "gehört", nicht jedoch "erhört" wird (st. Rspr. BSG vom 16.4.2024, B 12 BA 17/24 B, Rn 14; BSG vom 18.12.2012, B 13 R 305/11 B, Rn 8; BSG vom 9.5.2011, B 13 R 112/11 B, Rn 9 m.w.N.).

Soweit der Bevollmächtigte der Kläger sinngemäß auch der Auffassung ist, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheides i.S.v. § 105 Abs. 1 SGG nicht gegeben sind, hätte er anstelle einer Nichtzulassungsbeschwerde einen Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung stellen müssen. Auf diese Möglichkeit wurde er in der Rechtsmittelbelehrung hingewiesen. Wird mündliche Verhandlung beantragt, gilt der Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 3 HS 2 SGG als nicht ergangen. Mit im Verfahren vor dem Sozialgericht behebbaren Mängeln lässt sich eine Nichtzulassungsbeschwerde jedenfalls nicht begründen (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 145 Rn 3c m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

 

Rechtskraft
Aus
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