1. Für den Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Weiterbildung werden bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 und 2 SGB III die Verfügbarkeit, die Arbeitslosmeldung und die Erreichbarkeit fingiert (vgl. zur Fiktion der Erreichbarkeit: BSG, Urteil vom 10. Dezember 2019 - B 11 AL 4/19 R).
2. Beschäftigungslosigkeit i.S.d. § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III wird dagegen durch § 144 SGB III nicht fingiert. Dies gilt auch, wenn die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin für die Dauer der Teilnahme an der beruflichen Weiterbildung widerruflich und unentgeltlich freistellt.
Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. April 2023 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) nach Maßgabe des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) für die Zeit vom 8. Februar bis 20. April 2021.
Die 1963 geborene Klägerin absolvierte nach ihrer Schulzeit eine Berufsausbildung zur Bauzeichnerin, holte anschließend ihren Sekundarabschluss I/Realschulabschluss im Bereich Hauswirtschaft nach, schulte von 1986 bis 1988 zur Damenschneiderin um und war in der Folgezeit als Bauzeichnerin (1990 bis 2003 sowie von November 2018 bis April 2019), als Spielgruppenbetreuerin im G. (Juli 2003 bis Dezember 2003), als Damenschneiderin in der sozialen Betreuung seelisch behinderter Menschen in einem Pflegeheim (Januar 2004 bis August 2017), als Leiterin einer Nähschule (September bis Dezember 2017) und zuletzt als Betreuungskraft in der Senioren- und Familienbetreuung abhängig beschäftigt.
Die Beschäftigung als Betreuungskraft nahm die Klägerin im April 2018 bei der H. Senioren- und Familienbetreuung GmbH (im Folgenden: K.-GmbH) als Nebenbeschäftigung neben einem damals seit Dezember 2017 laufenden Alg-Bezug auf. Bei der K-GmbH handelt es sich um eine selbständige Franchise-Nehmerin der bundesweit tätigen I. GmbH & Co. KG, die laut ihrer Internetseite bundesweit mit mehr als 180 selbständigen Betreuungsunternehmen zusammenarbeitet. Vom 1. Dezember 2018 bis 30. April 2019 war die Klägerin erneut als Bauzeichnerin abhängig beschäftigt (20 Stunden pro Woche). Ob bzw. welcher Erwerbstätigkeit die Klägerin in der Zeit vom 1. Mai 2019 bis 30. April 2020 nachging, lässt sich den vorliegenden Akten nicht entnehmen. Für die Zeit vom 1. Mai 2020 bis 30. April 2021 schloss sie mit der K.-GmbH einen „Befristeten Arbeitsvertrag auf Abruf als Teilzeitbeschäftigte“. Die vereinbarte durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit betrug laut Arbeitsbescheinigung der K.-GmbH 15 Stunden pro Woche.
Am 17. Dezember 2020 beantragte die Klägerin unter Bezugnahme auf ein zuvor mit der Beklagten geführtes Telefongespräch die Förderung einer beruflichen Weiterbildung zur Betreuungskraft nach §§ 43b, 53b SGB XI. Die Umwandlung ihres bis zum 30. April 2021 befristeten Teilzeit-Arbeitsverhältnisses in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis sei ohne die beantragte Qualifikation nicht möglich, so dass Arbeitslosigkeit drohe. Die Arbeitgeberin werde sie für die Zeit der Maßnahme unentgeltlich freistellen (vgl. hierzu: Bestätigung der Arbeitgeberin vom 4. Januar 2021, Bl. 13 FbW-Akte).
Die Beklagte forderte die Klägerin mit Schreiben vom 21. Dezember 2020 zur Vorlage weiterer Unterlagen auf und wies sie ausdrücklich darauf hin, dass im Falle einer Bewilligung der Weiterbildung und einer damit einhergehenden unentgeltlichen Freistellung durch die Arbeitgeberin seitens der Beklagten keine Kosten zum Lebensunterhalt gewährt werden könnten. Auch in der Folgezeit wurde dies mehrfach erörtert, wobei die Klägerin deutlich machte, dass sie eine Förderung der Weiterbildung ausdrücklich auch mittels Gewährung von Alg begehre, notfalls jedoch die 10 Wochen der Weiterbildungsmaßnahme selbst „überbrücken“ würde (E-Mail vom 14. Januar 2021). Zuvor hatte die Klägerin angegeben, ohne Gehaltszahlungen an der Weiterbildung nicht teilnehmen zu können (vgl. Aktenvermerk vom 13. Januar 2021). Die Beklagte hatte die Klägerin insoweit auch darauf hingewiesen, dass bei fortlaufender Gehaltszahlung eine Förderung der Weiterbildung durch einen an die Arbeitgeberin zu zahlenden Zuschuss zum Arbeitsentgelt in Betracht komme. Hieran hatte die Arbeitgeberin der Klägerin jedoch kein Interesse.
Mit Bescheid vom 3. Februar 2021 bewilligte die Beklagte der Klägerin die Förderung der vom 8. Februar bis 20. April 2021 in Vollzeit laufenden Weiterbildung zur Betreuungskraft nach §§ 43b, 53b SGB XI bei der Bildungseinrichtung J., K., mittels Übernahme der Lehrgangs- und Fahrkosten in Höhe von insgesamt 2.347,60 EUR. Die Verschiebung der Maßnahme vom 15. Januar 2021 (vgl. hierzu: Bildungsgutschein, Bl. 22 FbW-Akte) auf den 8. Februar 2021 erfolgte – soweit sich das der Verwaltungsakte entnehmen lässt – aus Krankheitsgründen. Für die Dauer der Weiterbildungsmaßnahme wurde die Klägerin von ihrer Arbeitgeberin unentgeltlich freigestellt (Schreiben vom 4. Januar 2021, Bl. 77 Gerichtsakte - GA -).
Mit ihrem gegen diesen Bewilligungsbescheid eingelegten Widerspruch begehrte die Klägerin nochmals, dass ihr für die Zeit der beruflichen Weiterbildung Alg gewährt werde. Diesen Widerspruch verwarf die Beklagte mit der Begründung als unzulässig, dass bislang noch gar keine Entscheidung über einen Anspruch auf Alg bei beruflicher Weiterbildung ergangen sei (Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2021). Die hiergegen beim Sozialgericht (SG) Oldenburg eingelegte Klage S 4 AL 68/21 wurde von der Klägerin im August 2021 zurückgenommen.
Die Gewährung von Alg für die Zeit der Weiterbildungsmaßnehme lehnte die Beklagte mit dem im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheid vom 20. Mai 2021 ab. Die Klägerin habe bei Antritt der Maßnahme am 8. Februar 2021 noch in einem bis zum 30. April 2021 befristeten Beschäftigungsverhältnis gestanden, so dass am 8. Februar 2021 die gesetzlichen Merkmale von Arbeitslosigkeit nicht vorgelegen hätten.
Zwischenzeitlich hatte die Klägerin die Weiterbildungsmaßnahme erfolgreich absolviert (laut ihren Angaben im Erörterungstermin vom 12. Juli 2022 in der Zeit vom 8. Februar bis 19. April 2021). Ab dem 20. April 2021 wurde die Klägerin von der K.-GmbH entsprechend ihrer Qualifikation als Betreuungskraft nach §§ 43b, 53c SGB XI beschäftigt, ab Mai 2021 in Rahmen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Für die Finanzierung des Lebensunterhalts während der Weiterbildungsmaßnahme hatte sich die Klägerin nach ihren eigenen Angaben Geld leihen müssen.
In ihrem am 8. Juni 2021 gegen den Alg-Ablehnungsbescheid eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass gemäß § 144 Abs. 2 SGB III Alg auch an Arbeitnehmer zur gewähren sei, die vor Eintritt in die Maßnahme nicht arbeitslos gewesen seien. Sie habe am Tag des Eintritts in die Weiterbildungsmaßnahme die erforderliche Anwartschaftszeit erfüllt und sei unentgeltlich freigestellt gewesen. Damit sei bei Beginn der Maßnahme „der befristete Arbeitsvertrag nicht erfüllt“ worden und es habe „tatsächliche Beschäftigungslosigkeit“ vorgelegen.
Die Beklagte hat den Widerspruch mit der ergänzenden Begründung zurückgewiesen, dass die Klägerin durch ihre Arbeitgeberin für die Zeit der Weiterbildungsmaßnahme zwar unentgeltlich freigestellt worden sei, sich jedoch weiterhin in einem Arbeitsverhältnis befunden habe. Bei Nichtteilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme hätte die Klägerin ihren vertraglichen Pflichten nachgehen können und hätte dann in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden (weil die Freistellung in diesem Fall hinfällig geworden wäre). Die Merkmale einer Arbeitslosigkeit nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB III hätten am Tag des Antritts der Weiterbildungsmaßnahme nicht vorgelegen, so dass kein Anspruch auf Alg bei beruflicher Weiterbildung nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGB III bestanden habe (Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2021).
Mit ihrer am 7. August 2021 beim Sozialgericht (SG) Oldenburg erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen vertieft, wonach sie gemäß § 144 Abs. 2 SGB III sowie entsprechend Abschnitt 3.2 des von der Beklagten überreichten Merkblatts 6 – Förderung der beruflichen Weiterbildung Anspruch auf Alg bei beruflicher Weiterbildung habe. Die einschlägigen Regelungen unterschieden nicht zwischen arbeitsuchenden Beschäftigungslosen einerseits und unentgeltlich freigestellten Arbeitnehmern andererseits. Der befristete Arbeitsvertrag wäre ohne die berufliche Weiterbildung nicht verlängert bzw. entfristet worden. Um die Weiterbildungsmaßnahme zu ermöglichen, habe die Arbeitgeberin den Arbeitsvertrag „für den definierten Zeitraum der Fortbildung außer Kraft gesetzt“. Bei Nichtteilnahme an der Fortbildungsmaßnahme hätte sie (die Klägerin) „nicht einfach wieder die Arbeit aufnehmen können“, weil für die Freistellung „einige innerbetriebliche Umstrukturierungen erforderlich“ gewesen seien, die „nicht einfach wieder rückgängig gemacht werden konnten“ (Seite 3 der Klageschrift vom 6. August 2021). Der Arbeitsvertrag wäre „nicht wieder in Kraft gesetzt worden“, wenn die Qualifizierungsmaßnahme nicht stattgefunden hätte oder sie (die Klägerin) diese ohne Abschluss abgebrochen hätte (Schriftsatz vom 24. November 2022). Auf Nachfrage des SG hat die Klägerin dagegen angegeben, dass sie bei einem Abbruch der Maßnahme wieder bei ihrer Arbeitgeberin angefangen hätte zu arbeiten (vgl. Sitzungsniederschrift des Erörterungstermins vom 12. Juli 2022).
Das SG hat der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit der Weiterbildungsmaßnahme Alg in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Die Klägerin habe am Tag des Antritts der Maßnahme die Alg-Anwartschaft erfüllt. Die Arbeitslosigkeit der Klägerin, die unmittelbar aus ihrem Beschäftigungsverhältnis heraus die Weiterbildungsmaßnahme angetreten habe, sei nach § 144 Abs. 2 SGB III zu fingieren. Es frage sich, welchen Anwendungsbereich § 144 Abs. 2 SGB III noch haben sollte, wenn man – wie die Beklagte – auf das Bestehen tatsächlicher Arbeitslosigkeit abstelle. Es sei auch nicht einzusehen, dass die Klägerin für die Gewährung von Alg bei beruflicher Weiterbildung zunächst das Auslaufen ihres befristeten Beschäftigungsverhältnisses und damit den Eintritt von Arbeitslosigkeit hätte abwarten sollen. Zweck der Vorschrift sei gerade, dass diejenigen, die unmittelbar aus einer bestehenden Beschäftigung heraus eine Maßnahme nach §§ 81ff. SGB III antreten, nicht schlechter gestellt sein sollen als bereits arbeitslos gemeldete Personen (Urteil vom 26. April 2023).
Gegen das der Beklagten am 4. Mai 2023 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 2. Juni 2023 eingelegte Berufung. Die Klägerin sei bei Antritt der Weiterbildungsmaßnahme nicht arbeitslos gewesen, da sie nicht unwiderruflich, sondern allein wegen der Weiterbildungsmaßnahme von ihrer Arbeitgeberin freigestellt worden sei. Es sei gerade beabsichtigt gewesen, die Klägerin nach absolvierter Qualifizierung weiter zu beschäftigen und dauerhaft an die Arbeitgeberin zu binden. Diese Freistellung ohne vollständige Aufgabe des Direktionsrechts führe nicht zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses. Das Vorliegen von Arbeitslosigkeit könne auch nicht über § 144 SGB III fingiert werden, weil die Klägerin nicht allein wegen einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme beschäftigungslos gewesen sei. Entgegen der Auffassung des SG werde von der Klägerin nicht verlangt, erst das Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses und den Eintritt von Arbeitslosigkeit abzuwarten. Vielmehr sehe § 82 Abs. 3 SGB III bei bestehendem Arbeitsverhältnis eine Fördermöglichkeit durch Arbeitsentgeltzuschüsse an den Arbeitgeber vor. Dieser prozentual gedeckelte Zuschuss trage der Situation Rechnung, dass die Weiterbildung dem Arbeitgeber „massiv zu Gute“ komme. Im vorliegenden Fall habe die Arbeitgeberin der Klägerin es jedoch „dankend abgelehnt“, einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt zu beantragen und habe stattdessen die Klägerin unentgeltlich für die Maßnahme freigestellt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. April 2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertieft ihr bisheriges Vorbringen dahingehend, dass eine Fortführung bzw. Entfristung des Arbeitsverhältnisses nur nach erfolgter Qualifikation möglich gewesen sei und ihr Arbeitgeber sie für die Weiterbildungsmaßnahme unentgeltlich freigestellt habe. Eine einschränkende Klausel oder gar ein Recht auf „Rückbeorderung an den Arbeitsplatz“ sei der Arbeitgeberin nicht eingeräumt gewesen. Das Direktionsrecht sei für den Zeitraum der Qualifizierungsmaßnahme vollständig aufgegeben worden. Hätte die Arbeitgeberin die Klägerin während der Qualifizierungsmaßnahme „zurückbeordert“, so wäre als Folge hiervon der befristete Arbeitsvertrag zum 30. April 2021 „ersatzlos ausgelaufen“. Eine derartige Anordnung hätte die Klägerin „legal und gerichtsfest ablehnen können, was ich auch gemacht hätte“. Dass ihre Arbeitgeberin die Fördermöglichkeit nach § 82 Abs. 3 SGB III nicht habe nutzen wollen, dürfe nicht zum Nachteil der Klägerin ausgelegt werden. Die Rechtsauffassung der Beklagten lasse § 144 SGB III „vollständig ins Leere laufen“.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge (Alg-Verwaltungsakte, FbW-Verwaltungsakte und Verbis-Vermerke), die Gerichtsakte S 4 AL 68/21 (SG Oldenburg) sowie die erst- und zweitinstanzliche Gerichtsakte verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft, da der Betrag des zwischen den Beteiligten in Streit stehende Alg mehr als 1.000,00 Euro beträgt (vgl. hierzu im Einzelnen: Berechnung der Beklagten auf Seite 2 der Berufungsschrift) und damit über dem nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für die Statthaftigkeit einer Berufung maßgeblichen Grenzwert von 750,00 Euro liegt.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Alg für die Zeit der beruflichen Weiterbildung. Das erstinstanzliche Urteil unterliegt daher der Aufhebung.
1.
Ein Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit (§ 136 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) scheitert daran, dass die Klägerin während ihrer Teilnahme an der in Vollzeit durchgeführten beruflichen Weiterbildungsmaßnahme den Vermittlungsbemühungen der Beklagten nicht zur Verfügung stand. Die fehlende Verfügbarkeit der Klägerin (als zwingende Anspruchsvoraussetzung für einen Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit nach § 136 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 137 Abs. 1 Nr. 1, 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 SGB III) ist zwischen den Beteiligten wohl auch unstreitig.
2.
Ebenso wenig hat die Klägerin Anspruch auf Alg bei beruflicher Weiterbildung nach § 136 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 144 SGB III.
a.
Nach § 144 Abs. 1 SGB III hat Anspruch auf Alg bei beruflicher Weiterbildung, wer die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit allein wegen einer nach § 81 SGB III geförderten beruflichen Weiterbildung nicht erfüllt.
Zwar hat die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum eine nach § 81 SGB III geförderte berufliche Weiterbildung absolviert. Somit wird ihre fehlende Verfügbarkeit i.S.d. § 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 SGB III (s. hierzu oben Abschnitt 1.) gemäß § 144 Abs. 1 SGB III fingiert. Dies bedeutet, dass ein Alg-Anspruch der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum nicht bereits daran scheitert, dass sie damals in Vollzeit an einer Weiterbildungsmaßnahme teilnahm, sodass eine Vermittlung in Arbeit in dieser Zeit überhaupt nicht erfolgen konnte.
Allerdings erschöpft sich der Regelungsgehalt des § 144 Abs. 1 SGB III in dieser Fiktion, also in der Annahme von Verfügbarkeit trotz Teilnahme an einer Vollzeit-Weiterbildungsmaßnahme. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm („… wer die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit allein wegen einer nach § 81 SGB III geförderten beruflichen Weiterbildung nicht erfüllt“ - Hervorhebung durch den Senat). § 144 Abs. 1 SGB III fingiert somit nicht die weiteren Voraussetzungen eines Anspruchs auf Alg bei Arbeitslosigkeit, also auch nicht die für einen Alg-Anspruch erforderliche Beschäftigungslosigkeit (§ 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Dies bedeutet, dass bei einer berufsbegleitenden Weiterbildungsmaßnahme kein Anspruch auf Alg bei beruflicher Weiterbildung nach § 144 Abs. 1 SGB III besteht, weil in dieser Fallkonstellation die aus der Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme resultierende fehlende Verfügbarkeit nicht die alleinige Ursache für die Nichterfüllung der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit ist, sondern auch die aufgrund des Fortbestehens der Beschäftigung fehlende Beschäftigungslosigkeit (vgl. Kallert in: Rolfs/Knickriem/Deinert (Hrsg.), beck-online.GROSSKOMMENTAR (ehemals: Gagel, SGB II / SGB III), Stand: März 2022, § 144 SGB III Rn. 19 mit Hinweis auf LSG Hamburg, Urteil vom 8. Februar 2017 – L 2 AL 77/16).
Im vorliegenden Fall erfolgte die Weiterbildungsmaßnahme der Klägerin berufsbegleitend, d. h. bei weiterhin laufendem Beschäftigungsverhältnis (15 Stunden pro Woche gemäß Arbeitsbescheinigung der K.-GmbH; befristet bis zum 30. April 2021 bei bis zum 20. April 2021 laufender Weiterbildungsmaßnahme). Das Beschäftigungsverhältnis war in der Zeit der Weiterbildungsmaßnahme weder gekündigt noch auf sonstige Weise beendet worden. Auch die unentgeltliche Freistellung der Klägerin führte nicht zur Beschäftigungslosigkeit. Es handelte sich bei dem Arbeitsverhältnis der Klägerin auch nach erfolgter unentgeltlicher Freistellung - worauf die Beklagte in ihrer Berufungsschrift zutreffend hingewiesen hat - nicht nur noch um eine „leere Hülle“. Vielmehr erfolgte die unentgeltliche Freistellung ausdrücklich und ausschließlich zum Zwecke der Teilnahme an der - gerade auch im Interesse der Arbeitgeberin liegenden - Weiterbildungsmaßnahme. Im Erörterungstermin vom 12. Juli 2022 hat die Klägerin auf Nachfrage des SG ausdrücklich eingeräumt, dass sie bei Abbruch der Maßnahme ihre Beschäftigung wieder hätte aufnehmen können und dass sie dies auch getan hätte (dann allerdings nur bis zum Auslaufen der Beschäftigung am 30. April 2021). Es ist nicht erkennbar, dass bzw. aus welchem Rechtsgrund die K.-GmbH bei Nichtantritt oder Abbruch der Weiterbildungsmaßnahme die von der Klägerin angebotene Arbeitskraft hätte ablehnen oder eine entsprechende Vergütung hätte verweigern können. Es handelte sich schließlich nicht um eine ausdrückliche und rechtswirksam ausgesprochene unwiderrufliche Freistellung, sondern um eine im beiderseitigen Interesse erfolgte zweckgerichtete und vorübergehende Freistellung von der Arbeitspflicht (bei gleichzeitigem Wegfall des Vergütungsanspruches), um die für eine Entfristung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Qualifikation durch Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme zu erreichen. Es ist weder erkennbar noch als erwiesen anzusehen, dass die Arbeitgeberin die Freistellung auch bei Wegfall des ausdrücklich abgesprochenen Zwecks (Weiterbildung zur Betreuungsfachkraft) hätte fortbestehen lassen wollen. Dass für die Zeit der beidseitig widerruflichen Freistellung kein Arbeitsentgelt gezahlt worden ist, steht dem Vorliegen einer Beschäftigung i.S.d. § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nicht entgegen (vgl. hierzu etwa: BSG, Urteil vom 9. Februar 2006 - B 7a AL 58/05 R, Rn. 14 m.w.N.; ebenso: Urteil des erkennenden Senats vom 25. Januar 2021 - L 11 AL 15/19).
b.
Ein Anspruch auf Alg ergibt sich auch nicht aus § 144 Abs. 2 SGB III.
Nach § 144 Abs. 2 SGB III (in der im streitbefangenen Zeitraum und bis Ende Dezember 2021 geltenden Fassung) gelten bei einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer, die oder der vor Eintritt in die Maßnahme nicht arbeitslos war, die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit als erfüllt, wenn sie oder er
- bei Eintritt in die Maßnahme einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hätte, der weder ausgeschöpft noch erloschen ist, oder
- die Anwartschaftszeit im Fall von Arbeitslosigkeit am Tag des Eintritts in die Maßnahme der beruflichen Weiterbildung erfüllt hätte; insoweit gilt der Tag des Eintritts in die Maßnahme als Tag der persönlichen Arbeitslosmeldung.
Zwar war die Klägerin - wie für einen Anspruch nach § 144 Abs. 2 SGB III erforderlich - vor Eintritt in die Maßnahme nicht arbeitslos. Sie stand allerdings auch während der Weiterbildungsmaßnahme in einem Beschäftigungsverhältnis und war somit im streitbefangenen Zeitraum nicht beschäftigungslos i.S.d. § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III (s.o. Abschnitt a.). Bei der Beschäftigungslosigkeit i.S.d. § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III handelt es sich jedoch um eine zwingende Tatbestandsvoraussetzung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Hervorhebung durch den Senat); dies gilt auch für den Anspruch auf Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung nach § 144 Abs. 2 SGB III.
Der Klägerin ist einzuräumen, dass das Tatbestandsmerkmal „Beschäftigungslosigkeit“ im Wortlaut des § 144 Abs. 2 SGB III keine Erwähnung findet. Allerdings handelt es sich bei § 144 SGB III um eine schwer verständliche bzw. nicht einfach zu erfassende Norm (so: Söhngen in: Eicher/Schlegel, SGB III, Stand: September 2019, § 144 Rn. 5; Bienert, NZS 2020, 692, 695). Der Regelungsgehalt des § 144 Abs. 2 SGB III erschließt sich erst im systematischen Zusammenhang zu § 144 Abs. 1 SGB III (Söhngen, a.a.O., Rn 12; vgl. zur Umschreibung „eigenwillige Systematik des § 144 SGB III“: Bienert, a.a.O., S. 695).
Regelungszweck des § 144 Abs. 1 SGB III ist die Begründung eines Alg-Anspruchs trotz fehlender Verfügbarkeit. Schließlich fehlt es bei Teilnahme an einer in Vollzeit absolvierten Weiterbildungsmaßnahme an der für einen Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit zwingend erforderlichen objektiven sowie subjektiven Verfügbarkeit (§§ 137 Abs. 1 Nr. 1, 138 Abs. 5 SGB III): Die oder der Betroffene kann wegen der ihre bzw. seine Zeit und Arbeitskraft bindenden Weiterbildungsmaßnahme während dieser Maßnahme weder in eine Beschäftigung vermittelt werden noch (anderen) beruflichen Eingliederungsmaßnahmen zugewiesen werden (Fehlen der objektiven Verfügbarkeit i.S.d. § 138 Abs. 5 Nr. 1 und 2 SGB III). Da die oder der Betroffene an der Weiterbildungsmaßnahme teilnehmen und sie möglichst erfolgreich abschließen will, ist sie oder er auch nicht bereit, in dieser Zeit stattdessen eine Beschäftigung auszuüben und/oder stattdessen an einer (anderen) Maßnahme teilzunehmen (Fehlen der subjektiven Verfügbarkeit i.S.d. § 138 Abs. 5 Nr. 3 und 4 SGB III). Regelungszweck und -ziel des § 144 Abs. 1 SGB III ist es, trotz des Fehlens der für den Alg-Anspruch notwendigen Verfügbarkeit (§§ 137 Abs. 1, 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 SGB III) durch eine Fiktion dieser Tatbestandsvoraussetzung gleichwohl einen Alg-Anspruch zu begründen, nämlich einen Anspruch auf Alg bei beruflicher Weiterbildung (anstatt eines Anspruchs auf Alg bei Arbeitslosigkeit, vgl. hierzu anschaulich etwa: Bienert, NZS 2020, 692).
§ 144 Abs. 2 SGB III soll ausweislich der Gesetzesbegründung (zu dem im Wesentlichen inhaltsgleichen § 124a SGB III in der vom 1. Januar 2005 bis 31. März 2012 geltenden Fassung) Sachverhalte regeln, in denen ein Arbeitnehmer unmittelbar aus einem Beschäftigungsverhältnis in eine Weiterbildungsmaßnahme eintritt (BT-Drs. 15/1515, S. 84; vgl. hierzu auch: Kallert in: Knickrehm/Roßbach/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 8. Auflage 2023, § 144 SGB III, Rn. 6a: „unmittelbar im Anschluss an eine Beschäftigung“), also vor Beginn der Weiterbildungsmaßnahme (noch) nicht arbeitslos war und dementsprechend noch kein Alg bei Arbeitslosigkeit bezogen hatte. Diese Personengruppe kann sich wegen des Bestehens eines Beschäftigungsverhältnisses (bis zum letzten Tag vor Beginn der Weiterbildungsmaßnahme) bzw. wegen der Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme (ab dem ersten Tag nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses) weder vor noch bei oder nach Beginn der Weiterbildungsmaßnahme arbeitslos melden. Denn es fehlt in der Zeit des Bestehens des Beschäftigungsverhältnisses an der Beschäftigungslosigkeit (als notwendiges Merkmal von Arbeitslosigkeit, vgl. §§ 137 Abs. 1 Nr. 1, 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 SGB III) und ab dem Beginn der sich nahtlos an das Beschäftigungsverhältnis anschließenden Weiterbildungsmaßnahme an der Verfügbarkeit (als weiteres notwendiges Merkmal von Arbeitslosigkeit, vgl. §§ 137 Abs. 1 Nr. 1, 138 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 SGB III). Nachdem - wie bereits dargelegt - mittels § 144 Abs. 1 SGB III bei Teilnahme an einer nach § 81 SGB III geförderten Weiterbildungsmaßnahme die Verfügbarkeit fingiert wird, ist Regelungszweck und -ziel des § 144 Abs. 2 SGB III die Fingierung der - ebenfalls für einen Alg-Anspruch gemäß §§ 137 Abs. 1 Nr. 2, 141 SGB III unverzichtbaren - Arbeitslosmeldung, und zwar für den Tag des Eintritts in die Weiterbildungsmaßnahme (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGB III am Ende, vgl. Söhngen, a.a.O., Rn. 47; Müller in Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching (Hrsg.), BeckOK Sozialrecht, 73. Edition - Stand: 01.06.2024, § 144 SGB III Rn. 7; vgl. zur Anwendbarkeit dieser Fiktion auch auf die Fallgestaltung des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGB III: Söhngen, a.a.O., Rn. 13,14; Bienert, NZS 2020, 692, 695; Müller, a.a.O., Rn. 8).
Nach alledem wird zugunsten der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum zwar ihre Verfügbarkeit (gemäß § 144 Abs. 1 SGB III) und eine persönliche Arbeitslosmeldung per 8. Februar 2021 als dem ersten Tag der Weiterbildungsmaßnahme fingiert (gemäß § 144 Abs. 2 SGB III). Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung (Hervorhebung durch den Senat) scheitert jedoch daran, dass die Klägerin während des streitbefangenen Zeitraums nicht arbeitslos i.S. von beschäftigungslos war. Ebenso wie der Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit setzt auch der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung Beschäftigungslosigkeit voraus. Eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer, die oder der sich im streitbefangenen Zeitraum in einem Beschäftigungsverhältnis befindet (wozu - wie bereits dargelegt - auch ein Beschäftigungsverhältnis mit vorübergehender widerruflicher Freistellung ohne Entgeltfortzahlung zählt), kann kein Arbeitslosengeld beziehen, auch nicht in Form von Alg bei beruflicher Weiterbildung. Bei beruflicher Weiterbildung von beschäftigten Arbeitnehmern kommt vielmehr stattdessen ggf. ein Zuschuss zu dem vom Arbeitgeber weiterhin gezahlten Arbeitsentgelt in Betracht (§ 82 Abs. 3 SGB III). Ein solcher Zuschuss ist jedoch trotz entsprechender Hinweise der Beklagten nicht beantragt worden. Ebenso wenig ist ein solcher Anspruch nach § 82 Abs. 3 SGB III zulässiger Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens.
Die Klägerin kann ihren geltend gemachten Alg-Anspruch auch nicht aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10. Dezember 2019 – B 11 AL 4/19 R herleiten, wonach der Anspruch auf Alg bei beruflicher Weiterbildung nicht voraussetzt, dass der Teilnehmer an der geförderten Maßnahme Vorschläge zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann (Erreichbarkeit). Die Erreichbarkeit der Klägerin ist im vorliegenden Verfahren weder zweifelhaft noch streitig. Soweit das BSG in der genannten Entscheidung unter Rn. 16 ausgeführt hat, dass offenbleiben könne, ob durch § 144 Abs. 1 SGB III „alle Merkmale der Arbeitslosigkeit - nach § 138 Abs 1 SGB III Beschäftigungslosigkeit, Eigenbemühungen und Verfügbarkeit suspendiert sind“, kann der erkennende Senat dem nicht entnehmen, dass für einen Anspruch auf Alg bei beruflicher Weiterbildung auch von einer Beschäftigungslosigkeit in der Zeit des Arbeitslosengeldbezugs (Hervorhebung durch den Senat) abgesehen werden kann, darf oder sogar muss.
c.
Ebenso wenig konnte die Klägerin darauf vertrauen, dass ihr bei Bewilligung der Weiterbildungsmaßnahme auch Leistungen für den Lebensunterhalt gewährt würden. Die Beklagte hat von Anfang an und immer wieder darauf hingewiesen, dass auch bei Ausstellung eines Bildungsgutscheins keine Leistungen für den Lebensunterhalt gewährt werden könnten, sondern - bei Vorliegen der Voraussetzungen und einer entsprechenden Leistungsbereitschaft der Arbeitgeberin - allenfalls Zuschüsse zum Arbeitsentgelt gemäß § 82 SGB III in Betracht kamen (vgl. u.a. Schreiben der Beklagten vom 21. Dezember 2021, Telefonvermerke vom 13. und 14. Januar 2021). Dies ergab sich für die Klägerin auch klar und eindeutig aus dem am 15. Januar 2021 an sie übersandten Bildungsgutschein („Leistungen zum Lebensunterhalt: Kein Anspruch“). Als Reaktion auf die entsprechenden Hinweise der Beklagten hatte die Klägerin dann auch mit E-Mail vom 14. Januar 2021 - also noch vor Beginn der Weiterbildungsmaßnahme - mitgeteilt, den Lebensunterhalt für die Dauer der Maßnahme ggf. selbst zu finanzieren („Die zehn Wochen bekomme ich überbrückt“).
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.