Die Beschlüsse der Schiedsstelle vom 12.01.2024 – SchStVerf 07/22, 08/22, 06/23 und 7/23 – werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen vier Entscheidungen einer Schiedsstelle, mit denen ihre Zuständigkeit für den Abschluss von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen mit der Beklagten festgestellt und ihnen Auflagen erteilt wurden.
Die Kläger sind die Träger der Eingliederungshilfe in Nordrhein-Westfalen (§ 1 Abs. 1 AG-SGB IX NRW). Die Beklagte ist Trägerin der sog Kinderhäuser „K.“, A., „C.“, U., „W.“, H. und „C.“, M.. In den Kinderhäusern leben schwerstbehinderte Kinder und Jugendliche, die intensivpflegebürftig sind. Seit dem 01.10.2021 werden die Kinderhäuser als stationäre Pflegeeinrichtungen betrieben, vor der Gründung der stationären Einrichtungen erfolgte durch die Beklagte eine Betreuung der Kinder und Jugendlichen im Rahmen von ambulanten Konzepten. Aufgrund der konzeptionellen Umstellung stellte die Beklagte 2020 bei den jeweiligen Verbänden der Pflegekassen Anträge auf Zulassung als stationäre Pflegeeinrichtungen. Mit von der Beklagten mit den Pflegekassen für alle vier Kinderhäuser mit Wirkung ab dem 01.10.2021 geschlossenen Versorgungsverträgen nach dem SGB XI wurde die Erbringung von Leistungen der Pflege für die jeweilige Anzahl der vollstationären Plätze einschließlich einer dazu gehörigen Vergütung für Leistungen nach dem SGB XI vereinbart. Auch eine Vereinbarung über die Vergütung für Leistungen der Behandlungspflege und über die Versorgung mit außerklinischer Intensivpflege nach dem SGB V wurde abgeschlossen. Das den Antragstellungen zugrundeliegende Konzept und die jeweiligen vertraglichen Grundlagen sind für die vier Kinderhäuser identisch. Für alle vier Kinderhäuser liegt eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII vor, in denen der Beklagten von den Klägern als jeweils zuständigen Landesjugendämtern zur Auflage gemacht worden ist, qualifiziertes pädagogischen Personal in den Kinderhäusern einzusetzen.
Zwischen den Beteiligten war von Beginn an die Zuständigkeit für die Refinanzierung der pädagogischen Fachkräfte umstritten. Die Kläger sind der Meinung, dass nicht sie, sondern allenfalls der örtliche Träger der Eingliederungshilfe für die Finanzierung der erforderlichen pädagogischen Fachkräfte in Betracht komme. Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AG-SGB IX NRW sei eine Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Eingliederungshilfe – also die Zuständigkeit der Kläger – daran geknüpft, dass eine Leistungserbringung „über Tag und Nacht“ iSd § 27c Abs. 1 Nr. 1 SGB XII erfolge. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift sei, dass die Leistungsberechtigten tatsächlich Leistungen auf der Grundlage dieser Vorschrift erhielten. Die Beklagte ist demgegenüber der Auffassung, dass die Leistungen, die von pädagogischen Kräften geleistet werden, der Eingliederungshilfe zuzuordnen seien, für deren Erbringung der überörtliche Träger der Eingliederungshilfe nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AG-SGB IX NRW zuständig sei. Sie begehrt daher den Abschluss von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen gemäß §§ 123, 125 SGB IX von den Klägern.
Mit Schreiben vom 21.03.2022 stellte die Beklagte einen Schiedsantrag „gem. §§ 126 Abs. 2, 133 SGB IX“ bei der „Schiedsstelle nach § 133 SGB IX“ in Köln. Sie stellte folgende Anträge:
„Es wird festgestellt, dass der Antragsgegner als überörtlicher Träger der Eingliederungshilfe verpflichtet ist, mit der Antragstellerin jeweils über eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung unter Berücksichtigung der Inhalte und Strukturen nach §§ 123, 125 Abs.1 bis 3 SGB IX für die Kinderhäuser K. A., C. U., W. H. und C. M. zu verhandeln.
2. Die Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen nach §§ 123, 125 Abs. 2 SGB IX gemäß Ziff. 1 sind zum 1. Januar 2021 abzuschließen, hilfsweise zum 1. Oktober 2021 bzw. höchst hilfsweise ab Einreichung des Schiedsantrages in Höhe von 59,63 £ je Fachleistungsstunde.“
Bei den Kinderhäusern handele es sich um spezialisierte Wohneinheiten für intensivpflegebedürftige Kinder, die neben Leistungen der allgemeinen Pflege nach SGB XI und der Behandlungspflege nach SGB V auch Leistungen durch pädagogisches Personal in Form der Eingliederungshilfe erbringe. Ausweislich der pädagogischen Konzepte halte sie pädagogisches Personal vor, das sich ausweislich der formulierten Ziele (u.a. Sicherstellung des Kindeswohls, Voranbringung der kognitiven Entwicklung des Kindes nach Fähigkeiten und Fertigkeiten, motorische Mobilisation, soziale Vernetzung, Beteiligung an Lebensgestaltung, Aktivierung von Beziehungen) mit den genannten Methoden und Maßnahmen (u.a. Erstellung eines Förderplans) an die versorgten Kinder und Jugendliche wende. Die Beklagte schließe mit dem versorgten Kind bzw. seinen Eltern in der jeweiligen Einrichtung einen Heimvertrag. Sowohl die Kläger als auch die örtlichen Jugendhilfeträger hätten eine Zuständigkeit für die Finanzierung der pädagogischen Fachkräfte abgelehnt. Inhaltlich seien die Leistungen, die durch die pädagogischen Kräfte erbracht werden, der Eingliederungshilfe zuzuordnen, die Kläger seien als überörtliche Träger der Eingliederungshilfe sachlich nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AG-SGB IX für die beantragten Leistungen zuständig.
Die Kläger sind dem Antrag entgegengetreten. Der Schiedsantrag sei mit dem Antrag zu 1 unzulässig. Dieses Feststellungsbegehren stelle mit Blick auf Zweck und Regelungsgegenstand des Schiedsstellenverfahrens kein zulässiges Antragsbegehren dar. Der Schiedsantrag sei aber auch mit sämtlichen Anträgen unbegründet, da die Finanzierung des pädagogischen Personals nicht in die Zuständigkeit des Antragsgegners als überörtlichem Träger der Eingliederungshilfe falle.
Nach Beratung hat die Schiedsstelle folgende für alle betroffenen Kinderhäuser identische Beschlüsse vom 12.01.2024 - SchStVerf 07/22, 08/22, 06/23 und 07/23 - gefasst:
„1. Der Antragsgegner ist zuständig für den Abschluss einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung mit der Antragstellerin über die angebotenen Leistungen des Kinderheims…“ (jeweils mit Bezeichnung des Kinderheims).
„2. Es werden folgende Auflagen erteilt:
a.) Der Antragstellerin wird aufgegeben, das Konzept und die Leistungsvereinbarung hinsichtlich der Inhalte der Eingliederungshilfeleistungen zu überarbeiten und den Antragsgegner bis zum 09.02.2024 zur Verfügung zu stellen. Auf die Nachfragen des Antragsgegners im Schriftsatz vom 31.10.2023 im Rahmen des substantiierten Bestreitens bei seiner Plausibilitätsprüfung hat die Antragstellerin bis zum 09.02.2024 zu antworten, sofern die Antworten dem Grunde und der Höhe nach nicht von einer noch offenen Leistung abhängig ist.
b.) Die jeweiligen Antragsgegner werden beauflagt, bis zum 08.03.2024 in den Austausch über die überarbeiteten Konzeptionen und die Leistungsbeschreibungen zu treten und eine Rückmeldung zu den Konzeptionen zu geben.
c.) Es wird die Auflage erteilt, bis zum 22.03.2024 eine Verhandlung zu den Leistungen und den Vergütungen durchzuführen oder gemeinsam zu erklären, dass diese nicht mehr erforderlich sind.“
Einen weiteren Inhalt, namentlich eine Begründung, enthalten die Beschlüsse nicht.
Hiergegen richten sich die Klagen vom 19.02.2024. Die Kläger begehren die Aufhebung der Beschlüsse der Schiedsstelle. Die Beschlüsse seien formell rechtswidrig, da sie keine Begründung enthielten. Sie seien auch materiell rechtswidrig, da die Kläger für die Finanzierung der pädagogischen Fachkräfte nicht zuständig seien.
Der Kläger zu 1) beantragt,
den Beschluss der Schiedsstelle vom 12.01.2024 – SchStVerf 08/2022 aufzuheben.
Der Kläger zu 2) beantragt,
die Beschlüsse der Schiedsstelle vom 12.01.2024 – SchStVerf 07/22, 06/23 und 07/23 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Beschlüsse für rechtmäßig.
Mit Beschluss vom 25.03.2024 hat der Senat auf den entsprechenden einstweiligen Rechtsschutzantrag des Klägers zu 1) festgestellt, dass die Klage gegen den Beschluss der Schiedsstelle vom 12.01.2024 – SchStVerf 08/22 – aufschiebende Wirkung hat. Der Senat hat in einem Verhandlungstermin am 25.04.2024 die pädagogischen Fachkräfte der Beklagten T. und X. angehört. Zum Inhalt der Ausführungen wird auf das Terminsprotokoll verwiesen. Mit Beschluss vom 24.09.2024 hat der Senat die zunächst in zwei Klagen geführten Verfahren verbunden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klagen sind zulässig. Gegen die Entscheidung der Schiedsstelle ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben (§ 126 Abs. 2 Satz 3 SGB IX). Das Landessozialgericht ist gem. § 29 Abs. 2 Nr. 1 SGG sachlich zuständig, da die Kläger die Entscheidungen einer Schiedsstelle nach § 133 SGB IX anfechten. Eine Klage ist gegen eine der beiden Vertragsparteien zu richten (§ 126 Abs. 2 Satz 4 SGB IX, 11 Abs. 2 Satz 3 SchV NRW), daher richten sich die Klagen hier zutreffend gegen die Beklagte als (potentielle) Vertragspartnerin der Kläger.
Die Klagen sind als Anfechtungsklagen statthaft. Bei dem Beschluss einer Schiedsstelle handelt es sich wegen seiner Funktion als Interessenausgleich um einen vertragsgestaltenden Verwaltungsakt, den die Schiedsstelle als Behörde iS des § 31 SGB X erlassen hat und gegen den die Anfechtungsklage die zutreffende Klageart ist (BSG Urteil vom 23.07.2014 – B 8 SO 2/13 R). Die Klagefrist von einem Monat (§ 87 Abs. 1 Satz 1 SGG) haben die Kläger ausgehend von einer Übersendung der Beschlüsse frühestens am 17.01.2024 eingehalten, abgesehen davon fehlt den Beschlüssen auch eine Rechtsbehelfsbelehrung, so dass gem. § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG eine Jahresfrist gilt.
Die Klagen sind nicht etwa deswegen unzulässig, weil es entgegen § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG an einem Vorverfahren fehlen würde. Eines Vorverfahrens bedarf es gem. § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG nicht, wenn ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt. Gem. § 126 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ist gegen die Entscheidung der Schiedsstelle der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben, ohne dass es eines Vorverfahrens bedarf. Ob auch die Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 2 HS 1 SchV NRW, wonach es ebenfalls einer Nachprüfung der Entscheidung in einem Vorverfahren nicht bedarf, als untergesetzliche Rechtsnorm für den Wegfall der Vorverfahrenspflicht ausreichend ist (bejahend für Rechtsnormen im Range einer Verordnung BSG Urteil vom 13.12.2000 – B 6 KA 1/00 R; verneinend insoweit BSG Urteil vom 05.02.1985 – 6 RKa 31/83), kann der Senat daher offenlassen.
Die angefochtenen Schiedssprüche sind formell rechtswidrig. Da sie als Verwaltungsakte auf dem Gebiet des SGB anzusehen sind, gilt § 35 SGB X. Gem. § 35 Abs. 1 SGB X ist ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Eine Begründung enthalten die Schiedssprüche nicht. Die Sitzungsniederschrift ersetzt eine Begründung nicht. Allerdings gilt § 42 Satz 1 SGB X. Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist, kann hiernach nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Diese Vorschrift ist anzuwenden, soweit die Schiedsstelle eine Zuständigkeit festgelegt hat, also in einem Bereich tätig geworden ist, in dem es den bei der Festlegung von Leistungs- und Vergütungselementen anerkannten Gestaltungsspielraum (dazu BSG Urteil vom 23.07.2014 – B 8 SO 2/R) nicht gibt.
Die Schiedsstelle hat im Ergebnis zu Recht festgesellt, dass die Kläger (als Antragsgegner des Schiedsverfahrens) für den Abschluss einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung mit der Beklagten zuständig sind.
Abweichend zur Auffassung der Kläger ist die Tätigkeit der pädagogischen Fachkräfte als Leistung der Eingliederungshilfe anzusehen. Leistungen zur Sozialen Teilhabe werden gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB IX erbracht, um eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Der in § 113 Abs. 2 SGB IX aufgeführte Leistungskatalog ist nicht abschließend, weshalb es sich auch bei Leistungen, die in dieser Vorschrift nicht genannt sind, um Leistungen der Eingliederungshilfe handeln kann (dazu nur Luthe in jurisPK SGB IX § 113 Rn. 56 mwN). Bei den pädagogischen Fachkräften handelt es sich um Erzieher, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Heilpädagogen. Sie bauen als Bezugsbetreuer eine Bindung zu den Kindern und Jugendlichen auf und unterbreiten diesen Angebote sowohl innerhalb als auch außerhalb der Räumlichkeiten der Kinderhäuser. Angebote außerhalb der Einrichtung können zum Beispiel darin bestehen, dass die Fachkräfte mit den Bewohnern in den Garten oder zum Bäcker gehen. Die Angebote in den Räumlichkeiten dienen dazu, eine Tagesstruktur herzustellen. Diese Tätigkeiten haben die pädagogischen Leitungskräfte T. und X. gegenüber dem Senat nachvollziehbar und plausibel beschrieben. Einwendungen gegen die Richtigkeit dieser Tätigkeitsbeschreibung haben die Kläger nicht erhoben, weshalb der Senat keine Bedenken hat, diese der Entscheidung zugrunde zu legen. Die Pädagogen haben auch nachvollziehbar ausgeführt, dass die Frage, welche Angebote genau unterbreitet werden, naturgemäß davon abhängt, wie stark eingeschränkt das jeweilige Kind ist, dass aber auch bei sehr großen Einschränkungen eine soziale Teilhabe sichergestellt werden kann und es kein Kind gibt, dass so große Einschränkungen hat, dass man eine soziale Teilhabe ausschließen muss. Allein aufgrund der fehlenden Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte für pflegerische Tätigkeiten handelt es sich bei den beschriebenen Aktivitäten nicht um Pflege, sowie umgekehrt auch die Pflegekräfte aufgrund ihrer Qualifikation nicht in der Lage sind, eine pädagogische Förderung der noch in der Entwicklung befindlichen Kinder und Jugendlichen zu leisten. Insoweit handelt es sich bei den pädagogischen Leistungen auch nicht um aktivierende Pflege iSd § 43b SGB XI. Andernfalls wäre auch die durch die Landesjugendämter erteilte Auflage, in den Kinderhäusern neben dem Pflegepersonal pädagogische Fachkräfte (und nicht lediglich Betreuungskräfte iSd § 53b SGB XI iVm der Betreuungskräfterichtlinie) vorzuhalten, nicht erklärbar. Die pädagogischen Angebote wären nur dann nicht als Eingliederungshilfe zu qualifizieren, wenn die Fachkräfte im Kernbereich der schulischen Bildung tätig würden (BSG Urteil vom 18.07.2019 – B 8 SO 2/18 R mwN). Das ist hier nicht der Fall.
Der Umstand, dass die Kinderhäuser als Pflegeheime konzipiert sind und die Beklagte für die Kinderhäuser Versorgungsverträge iSd § 72 SGB XI mit den Pflegekassen geschlossen hat, steht der Qualifizierung der Tätigkeit der Pädagogen als Eingliederungshilfe nicht entgegen. Zwar kann eine Einrichtung nicht zugleich ein Pflegeheim und eine besondere Wohnform zur Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe iSv § 113 Abs. 5 SGB IX iVm § 42a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 3 SGB XII sein. Räumlichkeiten, in denen der Zweck des Wohnens von Menschen mit Behinderungen und der Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe für diese im Vordergrund steht, sind gem. § 71 Abs. 4 Nr. 3a SGB XI keine Pflegeeinrichtungen. Werden in derartigen Räumlichkeiten Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht, umfasst die Leistung auch die Pflegeleistungen (§ 103 Abs. 1 Satz 1 SGB IX), die Pflegekasse übernimmt dann nach Maßgabe des § 43a SGB XI einen Teil der Vergütung. Hieraus ist jedoch nicht – etwa im Umkehrschluss – abzuleiten, dass bei der Unterbringung eines Menschen mit Behinderungen in einem Pflegheim Eingliederungshilfe ausscheidet. Für eine derartige Annahme gibt es keine Rechtsgrundlage. § 36 Abs. 4 SGB XI und § 63b Abs. 3 SGB XII schließen in Pflegeeinrichtungen lediglich Leistungen der häuslichen Pflege aus. Für die Eingliederungshilfe existiert eine solche Vorschrift nicht. Demzufolge ist in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass auch Bewohner von Pflegeeinrichtungen einen Anspruch auf Eingliederungshilfe haben können (LSG Baden-Württemberg Urteil vom 16.09.2019 – L 7 SO 4797/16). Diese Annahme folgt auch aus § 13 Abs. 3 Satz 3 SGB XI. Hiernach bleiben vom grundsätzlichen Vorrang der Leistungen der Pflegeversicherung die Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nach dem SGB IX unberührt, sie sind im Verhältnis zur Pflegeversicherung nicht nachrangig. Nicht von entscheidender Bedeutung ist dabei, ob die Eingliederungshilfe innerhalb oder (wie im vom LSG Baden-Württemberg [a.a.O.] entschiedenen Fall) außerhalb des Pflegheimes – etwa in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen – erbracht wird.
Für die durch die pädagogischen Fachkräfte erbrachte Eingliederungshilfe sind die Kläger zuständig. Dies folgt aus einer analogen Anwendung von § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AG-SGB IX NRW.
Gem. § 1 Abs. 1 AG-SGB IX NRW sind in Nordrhein-Westfalen die Landschaftsverbände – also die Kläger – vorbehaltlich der in § 1 Abs. 2 AG-SGB IX enthaltenen Regelungen die sachlich zuständigen Träger der Eingliederungshilfe. Die Kreise und kreisfreien Städte sind hingegen zuständige Träger der Eingliederungshilfe für Leistungen der Eingliederungshilfe an Personen bis zur Beendigung der Schulausbildung an einer allgemeinen Schule oder einer Förderschule, längstens bis zur Beendigung der Sekundarstufe II. Dies gilt u.a. nicht für Leistungen der Eingliederungshilfe, die für diese Personen über Tag und Nacht entsprechend § 27c Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB XII der ab dem 01.01.2020 gF erbracht werden (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AG-SGB IX NRW).
Der (hier für die minderjährigen Leistungsberechtigten allein in Betracht kommende) § 27c Abs. 1 Nr. 1 SGB XII bestimmt: „Für Leistungsberechtigte, die nicht in einer Wohnung nach § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und Satz 2 leben, bestimmen sich der notwendige Lebensunterhalt nach Absatz 2 und der weitere notwendige Lebensunterhalt nach Absatz 3, wenn sie minderjährig sind und ihnen Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches über Tag und Nacht erbracht werden“. Die Vorschrift beinhaltet eine Sonderregelung für die Bestimmung des Lebensunterhalts für minderjährige Leistungsberechtigte. Sie beruht darauf, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass Minderjährigen – anders als Erwachsenen Menschen mit Behinderungen – eine individuell eigenständige Gestaltung der Unterkunft altersbedingt nicht möglich sei. Deshalb soll es für diese und für die in § 27c Abs. 1 Nr. 2 SGB XII genannten Personen bei einer Komplexleistung bzgl. der Leistungen nach Teil 2 des SGB IX und der existenzsichernden Leistung nach dem SGB XII bleiben. Die Vorschrift regelt somit eine Ausnahme gegenüber der seit dem 01.01.2020 sonst in der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen geltenden Rechtslage (dazu nur Falterbaum in Hauck/Noftz, SGB XII, § 27c Rn. 2).
Die Vorschrift gilt vor diesem Hintergrund und nach ihrem Wortlaut damit in direkter Anwendung nur für Kinder und Jugendliche, die – anders als in der vorliegenden Fallgestaltung – stationäre Eingliederungshilfe als Komplexleistung einschließlich der Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Sie ist indes analog anzuwenden auf Kinder und Jugendliche in stationären Pflegeheimen, die – wie die hier betroffenen Kinder und Jugendlichen – Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten.
Die entsprechende Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift kommt (nur) in Betracht, wenn die Norm analogiefähig ist, das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem vom Gesetzgeber geregelten Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von denselben Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (vergl. nur BSG Urteil vom 25.05.2022 – B 11 AL 29/21 R mwN).
Die Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AG-SGB IX ist analogiefähig, da mit ihr – als Ausnahme von der Ausnahme des § 1 Abs. 2 Satz 1 AG-SGB IX NRW – der Regelfall des § 1 Abs. 1 AG-SGB IX NRW – Zuständigkeit der Landschaftsverbände für die Eingliederungshilfe – wiederhergestellt wird. Das Gesetz enthält eine planwidrige Regelungslücke. Es ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber des SGB IX die vorliegende Fallgestaltung – Erbringung von Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche, die sich in Pflegheimen befinden – im Sinne einer planwidrigen Regelungslücke in § 1 AG-SGB IX NRW nicht erfasst hat. Hierfür spricht, dass die Frage, ob in stationären Pflegeinrichtungen für Kinder und Jugendliche überhaupt Eingliederungshilfe erbracht werden kann, bis zur vorliegenden Entscheidung des Senats nicht geklärt war. Deshalb ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber eine entsprechende Möglichkeit bei Schaffung der Regelung des § 1 AG-SGB IX nicht im Auge hatte.
Es ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber eine Zuständigkeit der Landschaftsverbände geschaffen hätte, wenn er die vorliegende Fallkonstellation bei der Zuständigkeitsregelung erfasst hätte. Die Fallgestaltungen sind nach dem maßgeblichen Lebenssachverhalt vergleichbar. Sowohl im Falle einer stationären Eingliederungshilfe in einer besonderen Wohnform als auch in der vorliegenden Konstellation der Unterbringung der Kinder und Jugendlichen in einem Pflegheim befinden sich die Kinder und Jugendlichen über Tag und Nacht außerhalb des Elternhauses. In beiden Fällen wird Eingliederungshilfe erbracht. Zwingende Gesichtspunkte dafür, für die jeweilige Eingliederungshilfe je nach Hauptleistungsträger der stationären Unterbringung unterschiedliche Träger für zuständig zu halten, sind nicht ersichtlich. Für eine Gleichbehandlung beider Fallgestaltungen sprechend die Gesetzesmaterialien (zu deren Relevanz im Rahmen einer Gesetzesfortbildung durch Analogie BSG Urteil vom 25.05.2022 – B 11 AL 29/21 R). Die Begründung des Gesetzgebers zu § 1 Abs. 2 AG-SGB IX NRW (LT-Drs. 17/1414 S. 48) lautet: „Die Kreise und kreisfreien Städte sollen für Eingliederungshilfeleistungen an Kinder und Jugendliche mit Behinderung zuständig bleiben, wenn diese in der Herkunftsfamilie leben“. In der Folge (LT-Drs. 17/1414 S. 49) führt der Gesetzgeber aus „Da sich die Zuständigkeit der Kreise und kreisfreien Städte auf die Herkunftsfamilie beschränkt, wurde zudem in Satz 2 klargestellt, dass die in Absatz 2 geregelte Zuständigkeit nicht die Zuständigkeit für die heutige stationäre und teilstationäre Leistung der Eingliederungshilfe, die bislang von den Landschaftsverbänden erbracht werden, umfasst“. Hieraus ist der Wille des Gesetzgebers zu erkennen, dass die Kreise und kreisfreien Städte nur dann zuständig sein sollen, wenn die Kinder und Jugendlichen in der Herkunftsfamilie leben. Dafür, dass dies ausdrücklich nur für stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe gelten soll, enthält die Gesetzesbegründung keine Anhaltspunkte. Abweichend zu der Auffassung der Kläger folgt dies insbesondere nicht aus den Worten „die bislang von den Landschaftsverbänden erbracht wurden“, da – wie ausgeführt – die vorliegende Fallgestaltung vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gesehen worden ist.
Ungeachtet ihrer somit gegebenen Richtigkeit im Ergebnis bei Festlegung der Zuständigkeit der Kläger für den Abschluss einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung mit der Beklagten sind die Schiedssprüche dennoch rechtswidrig und aufzuheben. Denn für die Regelungen zu 1. durch die Schiedsstelle gibt es keine Rechtsgrundlage, die Regelungen zu 2. hängen untrennbar mit der Regelung zu 1. zusammen und sind deshalb ebenfalls rechtswidrig. Rechtsgrundlage für das Schiedsstellenverfahren ist § 126 SGB IX. Nach § 126 Abs. 2 Satz 1 SGB IX kann jede Partei hinsichtlich der strittigen Punkte die Schiedsstelle nach § 133 SGB IX anrufen, wenn es innerhalb von drei Monaten nicht gelingt, Vereinbarungen zu schließen. Die Schiedsstelle hat gem. § 126 Abs. 2 Satz 2 SGB IX unverzüglich über die strittigen Punkte zu entscheiden. Der Entscheidungsspielraum der Schiedsstelle misst sich dabei am Vereinbarungsspielraum der Vertragsparteien (BSG Urteile vom 07.10.2015 – B 8 SO 1/14 R, vom 05.07.2018 – B 8 SO 28/16 R und vom 20.09.2023 – B 8 SO 8/22 R). Die Schiedsstelle kann daher nur solche Regelungen ersetzen, die gem. §§ 125 Abs. 1, 134 Abs. 1 SGB IX Gegenstand einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung sein können. Das ist bei der Zuständigkeit für die Leistungserbringung nicht der Fall, da diese nicht der Disposition der Beteiligten unterliegt. Wenn – wie hier – der Leistungsträger der Meinung ist, er sei für die Erbringung der Leistung, die Gegenstand einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung sein soll, nicht zuständig, kann ihn die Schiedsstelle nicht in eine Zuständigkeit hineinzwingen, hierfür wären im Rahmen einer Feststellungsklage (bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen) allein die Gerichte zuständig.
Die Frage, welche Leistungen der pädagogischen Fachkräfte wie vergütet werden, wird Gegenstand der zwischen den Beteiligten abzuschließenden Leistungs- und Vergütungsvereinbarung bzw. des Schiedsverfahrens sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG, § 154 Abs. 1 VwGO.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.