Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 08.08.2024 geändert. Der Antrag wird abgelehnt, soweit die Antragstellerin eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übernahme der Kosten bis Juli 2024 iHv 61.418,90 € begehrt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat 1/3 der Kosten der Antragstellerin und der Beigeladenen in beiden Instanzen zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Übernahme von ungedeckten Heimkosten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die 0000 geborene pflegebedürftige Antragstellerin, bei der eine Demenz besteht, wird seit dem 01.06.2020 im J. F., das von der Beigeladenen getragen wird, vollstationär betreut. Sie verfügt über Renteneinkommen, das im Juli 2024 1.699,45 € betrug. Außerdem hat sie Anspruch auf Leistungen der Pflegversicherung.
Am 16.01.2020 beantragte die Antragstellerin Hilfe zur Pflege. Darüber hinaus beantragte die Beigeladene Pflegewohngeld. Beide Anträge lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheiden vom 26.01.2021 ab, weil die Antragstellerin ihre Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen habe. Gegen beide Ablehnungsbescheide erhob die Antragstellerin Widerspruch mit der Begründung, der Verbleib unklaren Vermögens könne wegen ihrer Demenz nicht weiter aufgeklärt werden. Mit Widerspruchsbescheiden vom 08.12.2021 bzw. 07.12.2021 wies die Antragsgegnerin die Widersprüche zurück, da eine Geldabhebung im Jahre 2014 in Höhe von ca. 42.400 € ungeklärt sei und auch im Zusammenhang mit der Rückzahlung eines angeblichen Privatdarlehens Auffälligkeiten bestünden. Die gegen die Ablehnung des Pflegewohngeldes gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht mit Gerichtsbescheid vom 21.11.2022 rechtskräftig ab.
Am 07.01.2022 erhob die Antragstellerin gegen die Ablehnung der Hilfe zur Pflege Klage bei dem Sozialgericht Duisburg (Az. S 48 SO 2/22). Das Verfahren ist noch anhängig.
Mit Schreiben vom 24.06.2024 kündigte die Beigeladene den Heimvertrag über den vollstationären Pflegeheimplatz außerordentlich fristlos wegen Zahlungsverzugs. Bereits im März 2024 habe der Zahlungsrückstand 60.007,29 € betragen und sei seither noch weiter angewachsen. Die Beigeladene forderte die Antragstellerin auf, den Heimplatz umgehend, spätestens aber bis zum 19.07.2024 zu räumen und in ordnungsgemäßem und vertragsgerechtem Zustand zurückzugeben. Sollte diese Frist fruchtlos verstreichen, müsse die Antragstellerin damit rechnen, dass Räumungsklage erhoben werde.
Die Antragstellerin hat am 05.07.2024 bei dem Sozialgericht Duisburg beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr monatlich 2.469,74 € bis spätestens zur Entscheidung in der Hauptsache zu zahlen. Mit Schriftsatz vom 23.07.2024 hat die Beigeladene die Antragstellerin aufgefordert, den Heimplatz bis zum 15.08.2024 zu räumen. Danach werde ohne Vorankündigung Räumungsklage erhoben. Die Beigeladene hat eine Forderungsaufstellung vorgelegt, aus der u.a. hervorgeht, dass im Juli 2024 ein ungedeckter Bedarf iHv 981,17 bestand. Insgesamt sei ein Betrag iHv 61.418,90 € offen.
Auf Hinweis des Sozialgerichts hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 06.08.2024 ihren Antrag erweitert und beantragt, auch die offenen Heimkosten der Antragstellerin bei der Beigeladenen vollständig zu zahlen, um den Heimplatz der Antragstellerin zu erhalten.
Mit Beschluss vom 08.08.2024 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, die bis Juli 2024 entstanden Kosten der Antragstellerin für die Inanspruchnahme der Leistungen der Hilfe zur Pflege in der Einrichtung der Beigeladenen iHv 61.418,90 € sowie ab August 2024 bis Oktober 2024 iHv 981,17 € monatlich vorläufig zu übernehmen. Die Antragstellerin habe einen Anspruch auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten glaubhaft gemacht. Sie habe ihre Hilfebedürftigkeit glaubhaft gemacht. Die Hilfebedürftigkeit sei als anspruchsbegründende Tatsache vom Hilfesuchenden darzulegen. Sei die Hilfebedürftigkeit auch nach Ausschöpfung aller denkbaren Erkenntnisquellen nicht hinreichend wahrscheinlich, so gehe dies nach allgemeinen Regeln zu Lasten des Hilfesuchenden. Von diesem Grundsatz bestünden jedoch Ausnahmen, insbesondere bei psychischen Erkrankungen; dies könne dazu führen, dass Sozialhilfe ausnahmsweise auch bei Restzweifeln zu bewilligen sei (Bezugnahme auf den Beschluss des Senats vom 25.10.2017 - L 9 SO 413/17 B ER). Bei der Aufklärung des Verbleibs des Restbetrages der im Dezember 2013 und Februar 2014 von Konten abgehobenen Geldbeträge iHv insgesamt ca. 86.000 € habe eine Verwendung von ca. 33.100 € anlässlich eines verlorenen Rechtsstreits von der Antragsgegnerin bereits im Verwaltungsverfahren nachgezeichnet werden können. Hinzu komme eine Zahlung iHv 11.276,93 € zzgl. Zinsen iHv 125,91 € aufgrund eines Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts Duisburg vom 17.02.2017. Der Verbleib eines Betrages iHv ca. 41.000 € sei jedoch nach wie vor nicht vollständig aufgeklärt. Für die Annahme einer Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin sprächen die zwischenzeitigen Erkenntnisse der Ermittlungen im Hauptsacheverfahren (S 48 SO 2/22). Ausweislich einer Bescheinigung des H., Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie vom 03.02.2020 lägen bei der Antragstellerin eine dementielle Entwicklung sowie ein Charles-Bonnet-Syndrom bei Makuladegeneration vor. Es sei bereits aufgrund dieser Diagnosen und den Beschreibungen im vorgenannten Anhörungsvermerk des Betreuungsgerichts vom 14.01.2020 kaum vorstellbar, dass die Antragstellerin noch sachdienliche Erklärungen über die nunmehr über ein Jahrzehnt zurückliegenden Barabhebungen geben könne. Hinzu komme, dass die weitere gerichtliche Nachfrage bei dem seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin Rechtsanwalt Z. nach dessen Mitteilung im Hauptsacheverfahren vom 07.09.2023 zu keiner weiteren Aufklärung, aber auch zu keinen für die Antragstellerin negativen Ergebnissen geführt habe. Gleiches gelte für die im Verfahren der Hauptsache durch das Gericht zwischenzeitig eingeholten Kontoauszüge. Aufgrund der mit Schreiben der Beigeladenen vom 24.06.2024 ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung des Heimvertrages liege auch ein Anordnungsgrund vor.
Gegen diesen ihr am 09.08.2024 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 23.08.2024 Beschwerde erhoben. Selbst das Sozialgericht Duisburg sei zu dem Ergebnis gelangt, dass der Verbleib von Vermögen im Umfang von ca. 41.000 € ungeklärt sei. Weshalb das Sozialgericht trotzdem meine, die Antragstellerin habe das Bestehen eines Anspruchs mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dargetan, sei in jeder Hinsicht unverständlich.
Die Antragstellerin und die Beigelade sind der Beschwerde entgegengetreten. Die Antragstellerin hat zum Beleg ihrer Pflegebedürftigkeit und ihrer geistigen Einschränkungen Gutachten und ärztliche Berichte sowie Unterbringungsbeschlüsse des Amtsgerichts I. vorgelegt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.
Die Beigeladene hat erklärt, von einer Räumungsklage gegen die Antragstellerin abzusehen, sofern der Senat im vorliegenden Beschwerdeverfahren den angefochtenen Beschluss bestätigt.
II.
Die allein von der Antragsgegnerin erhobene zulässige Beschwerde ist nicht begründet, soweit das Sozialgericht die Antragsgegnerin zur Zahlung der laufenden Kosten der Hilfe zur Pflege in der Einrichtung der Beigeladenen ab August 2024 verpflichtet hat. Insoweit hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat verweist, verpflichtet.
Soweit das Sozialgericht die Antragsgegnerin verpflichtet hat, die bis Juli 2024 entstandenen Kosten der Antragstellerin für die Inanspruchnahme der Leistungen der Hilfe zur Pflege in der Einrichtung der Beigeladenen iHv 61.418,90 € zu übernehmen, ist die Beschwerde wegen Fehlen eines Anordnungsgrundes (dazu sogleich) begründet. Allerdings folgt der Senat bei summarischer Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auch insoweit den Ausführungen des Sozialgerichts zum Anordnungsanspruch. Ergänzend weist der Senat auf seine aktuelle Rechtsprechung zu den sog. Heimfällen hin (Urteil des Senates vom 28.09.2023 – L 9 SO 170/21). Die Antragstellerin kann aufgrund ihrer Erkrankung nicht nur keine Auskunft mehr über den Verbleib des Vermögens erteilen, sondern sie könnte – sollte sie noch Inhaberin des Vermögens sein – auch nicht mehr darüber verfügen. Das Bestehen einer fortgeschrittenen Demenz ist durch das Gutachten des MDK vom 29.12.2021 glaubhaft gemacht. Eine situationsbezogene Gesprächsführung war nicht möglich, einfache Aufforderungen wurden nicht verstanden. Die Handlungen und Unterlassungen eines Bevollmächtigten können dem Heimbewohner nach der erwähnten Rechtsprechung des Senates nur zugerechnet werden, wenn der Vertreter das Vermögen ausschließlich für Bedarfe des Vertretenen einsetzt oder wenigstens noch eine Kontrollmöglichkeit des Vertretenen besteht, dieser also den Vertreter überwachen und die Vollmacht ggfs. widerrufen kann. Beides ist hier nicht der Fall.
Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass die Einschränkungen hinsichtlich ihrer Fähigkeit, den Verbleib ihres Vermögens zu erläutern oder ggfs. darüber zu verfügen, bereits zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme in der Einrichtung der Beigeladenen im Juni 2020 vorlagen, weshalb das Sozialgericht zu Recht ab diesem Zeitpunkt einen Anordnungsanspruch angenommen hat. Dies wird ergänzend belegt durch die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterbringungsbeschlüsse des Amtsgerichts I. vom 23.12.2019, 07.01.2020, 14.01.2020 und 03.02.2020 nebst den zugrundeliegenden Anhörungsprotokollen. Das Amtsgericht I. hatte die Unterbringung der Antragstellerin auf der Grundlage des PsychKG bis März 2020 genehmigt, da bei der Antragstellerin u.a. ein deliranter Zustand mit wahnhaftem, halluzinatorischem Erleben bei fehlender Realitätskontrolle vorliege. Für die Annahme der Antragsgegnerin, der vom Amtsgericht I. festgesellte Zustand könnte sich nach Abschluss der Unterbringung wieder signifikant verbessert haben, gibt es keinerlei Grundlage. Das H. diagnostiziert in seinem Entlassungsbericht vom 14.02.2020 Demenz und eine beginnende Alzheimer-Erkrankung, die Antragstellerin erhielt ein Antidementivum. Gegen eine Besserung spricht, dass nach den Angaben des vom Amtsgericht I. zitierten Stationsarztes bereits seit 2017 deutliche geistige Einschränkungen der Antragstellerin (sie sei seither „nie mehr richtig normal geworden“) vorlagen, vor der stationären Aufnahme eine Kurzzeitpflege mit Pflegegrad 2 erforderlich war und nach dem Gutachten des MDK bereits im September 2021 der Pflegegrad 3 gegeben war.
Soweit die Antragsgegnerin meint, die Beschlüsse des Amtsgerichts I. unterstrichen ihre Rechtsauffassung „mit Nachdruck“, weil sich die „äußerst kritische Frage“, stelle „wer dann am 06.01.2020 und am 11.01.2020 die Bargeldabhebungen über 2 x 1.000 € bzw. über 2.000 € vorgenommen hat, zu denen die Tochter durch Schreiben vom 22.05.2020 erklärte, diese Barabhebungen hätten im Zusammenhang mit der Rückzahlung eines Darlehens gestanden, das für den Kauf eines Autos aufgenommen worden sei“ steht diese Frage einem Anordnungsanspruch nicht entgegen. Sollte die Antragsgegnerin mit diesen Ausführungen mutmaßen, Dritte hätten der Antragstellerin Vermögen entzogen oder treuwidrig unter Einflussnahme auf die tatsächlich nicht mehr geschäftsfähige Antragstellerin darüber verfügt, ist sie auf einen Regressanspruch zu verweisen. Einem Anspruch der hilfebedürftigen, dementen Antragstellerin stehen derartige Überlegungen nicht entgegen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Umstand, dass das Begehren der Antragstellerin auf einen Schuldbeitritt gerichtet ist, nach der Rechtsprechung des Senats dem Ausspruch eines Grundurteils iSd § 130 Abs. 1 SGG nicht entgegenstehen dürfte (auch dazu Urteil des Senats vom 10.03.2022 – L 9 SO 136/19).
Indes hat die Antragstellerin hinsichtlich der Rückstände einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Ein solcher ist nur gegeben, wenn dem Antragssteller im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zumutbar ist. In Übereinstimmung mit obergerichtlicher Rechtsprechung zu den Unterkunftskosten nach dem SGB II (dazu eingehend LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 06.1.2017 – L 7 AS 2132/17 B ER) ist der Senat auch bei den hier betroffenen Kosten für eine stationäre Unterbringung nicht grundsätzlich der Auffassung, dass ein Anordnungsgrund erst angenommen werden kann, wenn eine Räumungsklage erhoben worden ist. Dies gilt jedoch – ebenfalls parallel zur genannten Rechtsprechung zum SGB II – nicht, wenn nicht die laufenden Kosten, sondern Forderungen aus der Zeit vor der Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes betroffen sind. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der zuständigen Fachsenate des LSG Nordrhein-Westfalen (dazu LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 11.12.2013 – L 20 SO 491/13 B ER mwN), auf die das Sozialgericht grundsätzlich zutreffend Bezug genommen hat, ist der für die Übernahme ungedeckter Heimkosten durch den Sozialhilfeträger beim einstweiligen Rechtsschutz erforderliche Anordnungsgrund gegeben, wenn der Verlust des Heimplatzes wegen eingetretener Zahlungsrückstände konkret droht. Es ist keineswegs naheliegend, dass eine Räumungsklage und Räumung des gekündigten Heimplatzes tatsächlich erfolgen, obwohl die laufenden Kosten des Bewohners gedeckt sind, namentlich dann, wenn für diese Kosten der Sozialhilfeträger eintritt. Auch unter Zugrundelegung von betriebswirtschaftlichen Überlegungen wäre in einer solchen Situation die Durchführung eins Räumungsverfahrens nur schwer nachvollziehbar. Ein solches würde die Realisierung der offenen Forderung keinen Schritt näherbringen (sondern eher erschweren) und wäre für den Heimträger – hier die Beigeladene – mit prozessualen Risiken behaftet. So überwiegen nach zivilgerichtlicher Rechtsprechung bei der Prüfung einer Räumungsfrist nach § 721 ZPO die Gläubigerinteressen regelmäßig bei Zahlungsverzug nur dann, wenn die Zahlung der laufenden Nutzungsentschädigung während der Räumungsfrist nicht gewährleistet ist (LG Kleve Urteil vom 26.05.2012 – 3 O 15/12). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Heimträger für den Fall eines Versterbens des Bewohners durch die Vorschrift des § 19 Abs. 6 SGB XII geschützt wird (so auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 11.12.2013 – L 20 SO 491/13 B ER).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens sowie der überragenden Bedeutung der Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übernahem der laufenden Kosten Rechnung.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).