L 5 P 139/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 15 P 6/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 P 139/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 24.11.2021 wird zurückgewiesen.

 

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 12.889,22 EUR. festgesetzt.

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Fahrtkosten zur Tagespflege der verstorbenen Versicherten Q. in Höhe von 12.889,22 EUR.

 

Die 0000 geborene und 0000 verstorbene Versicherte Q. war bei der Beklagten gesetzlich pflegeversichert. Der Sohn der Versicherten führt das Klageverfahren als Erbe fort.

 

Die Versicherte hielt sich seit dem Jahr 2014 bis zu ihrem Tod mehrmals wöchentlich in der Tagespflege der AWO D. im H.-straße N01 auf. Sie erhielt bis Ende 2016 Leistungen der Beklagten nach der Pflegestufe III und ab dem 01.01.2017 Leistungen nach dem Pflegegrad 5 sowie zusätzliche Betreuungsleistungen beziehungsweise ab 2017 Entastungsbeträge. Für die Fahrten zur Tagespflege nahm die Versicherte die Firma R. sowie die Firma C. als private Fahrdienste in Anspruch.

 

Mit Bescheid vom 13.03.2015 teilte die Beklagte mit, die Fahrtkosten zur Tagespflege würden im Rahmen der zusätzlichen Betreuungskosten übernommen, da die Tagespflege keinen entsprechenden Fahrdienst habe. Ein von der Einrichtung zur Verfügung gestellter Fahrdienst wurde nicht in Anspruch genommen. Im oben genannten Zeitraum entstanden für die Versicherte insgesamt Fahrtkosten in Höhe von 25.989,00 EUR.

 

Am 18.04.2016 hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Duisburg unter dem Aktenzeichen S 15 P 60/16 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Fahrtkosten zur Tagespflege seien in vollem Umfang gemäß § 41 SGB XI erstattungsfähig. Der private Fahrdienst sei aufgrund ihrer Erkrankung erforderlich gewesen.

 

Am 06.01.2017 hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Duisburg unter dem Aktenzeichen S 15 P 6/17 Klage erhoben. In diesem Verfahren hat sie die Fahrtkosten ab dem 01.01.2017 begehrt.

 

Die Beklagte hat in dem Verfahren S 15 P 60/16 mitgeteilt, dass von den begehrten 25.989,00 EUR einen Betrag in Höhe von 13.099,78 EUR an die Versicherte überwiesen worden sei. Dabei handele es sich um den Höchstbetrag der erstattungsfähigen Kosten.

 

Nach dem Tod der Versicherten am 00.00.0000 hat der Kläger die Verfahren als Erbe weitergeführt.

 

Das Sozialgericht hat die Verfahren mit Beschluss vom 12.11.2020 unter dem gemeinsamen Aktenzeichen S 15 P 6/17 verbunden.

 

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 12.889,22 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.04.2016 zu zahlen.

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat die Ansicht vertreten, für weitere, über die bereits erfolgten Zahlungen hinausgehenden Zahlungen bestehe keine Rechtsgrundlage. Die noch für das Jahr 2017 zur Verfügung stehenden 250,00 EUR werde sie an den Kläger anweisen.

 

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 24.11.2021 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein über die bereits von der Beklagten gezahlten 13.349,78 EUR hinausgehender Zahlungsanspruch bestehe nicht. § 41 SGB XI stelle keine Anspruchsgrundlage für die Geltendmachung von Fahrtkosten für einen Versicherten dar. Die anfallenden Aufwendungen für die Beförderung seien mit dem Pflegesatz abgegolten und könnten nicht gesondert abgerechnet werden.

 

Der Einlegung der Sprungrevision hat die Beklagte nicht zugestimmt.

 

Der Kläger hat am 23.12.2021 Berufung gegen das Urteil eingelegt. Er ist der Auffassung, das Sozialgericht sei seiner Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen nicht nachgekommen. Der private Fahrdienst R. habe in Anspruch genommen werden müssen, weil die Tagespflegeeinrichtung keinen Fahrdienst zur Verfügung gestellt habe.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 24.11.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 12.889,22 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.04.2016 zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beklagte ist der Auffassung, das erstinstanzliche Urteil sei rechtmäßig ergangen. Das Sozialgericht habe den Sachverhalt nicht weiter ermitteln müssen. Beförderungskosten zur Tagespflegeeinrichtung seien bereits durch die gezahlten Pauschalen abgedeckt. Eine gesonderte Erstattung von Fahrtkosten sei neben der Zahlung der Pauschale aus § 41 Abs. 2 SGB XI nicht vorgesehen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

A. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet.

 

I. Das Sozialgericht hat die erhobene Klage des Klägers auf Zahlung eines Betrages in Höhe von insgesamt 12.889,22 EUR für entstandene Fahrtkosten seiner Mutter, der Versicherten Q., für die Hin- und Rückreise zur Tagespflegeeinrichtung im Ergebnis zurecht abgewiesen.

 

1. Die erhobene Klage ist unzulässig.

 

Sofern man in der erhobenen Klage ein Verpflichtungsbegehren gemäß § 54 Abs. 1 SGG sehen will, ist zu berücksichtigen, dass der Kläger die Bescheide, mit denen der Versicherten das jeweilige Pflegegeld bewilligt wurde, nicht angefochten hat. Nach seinem Vortrag sind Fahrtkosten zur und von der Tagespflegeeinrichtung nicht in den in § 41 SGB XI genannten Beträgen enthalten. Somit geht die Klage davon aus, dass ein Anspruch auf eine vollständige Erstattung der entstandenen Fahrtkosten besteht. Da Leistungen der Beklagten als Behörde nur durch oder aufgrund eines Verwaltungsaktes erfolgen können, kann der Kläger den mit der Klage begehrten Zahlungsanspruch nur mit der auf Verpflichtung zum Erlass eines Verwaltungsaktes gerichteten Verpflichtungsklage geltend machen.

 

Die Klage ist bereits unzulässig, weil das nach § 78 SGG durchzuführende Vorverfahren nicht durchgeführt worden ist. Das Erfordernis eines Vorverfahrens vor Erhebung einer Verpflichtungsklage ergibt sich aus § 78 Abs. 3 Abs. 1 S.1 SGG. Wenn der Erlass eines Verwaltungsaktes begehrt wird, so ist dies zunächst gegenüber der Behörde geltend zu machen. Erst gegen die Ablehnungsentscheidung in Gestalt eines Widerspruchsbescheides kann die Verpflichtungsklage erhoben werden. (vgl. BeckOGK/Becker, 1.8.2024, SGG § 78 Rn. 36, beck-online). Wie bereits dargelegt, hat der Kläger weder einen Antrag gestellt noch gegen eine ablehnende Entscheidung Widerspruch erhoben.

 

b) Die Klage ist auch als Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG nicht zulässig. Im Staat-Bürger-Verhältnis ist die isolierte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) nur ausnahmsweise statthaft, wenn ein Verwaltungsakt bezüglich der begehrten Leistung nicht zu ergehen hat. Denn durch eine isolierte Leistungsklage dürfen die Voraussetzungen einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) nicht umgangen und es kann auf die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens nicht verzichtet werden (LSG Baden-Württemberg Urteil vom 17.05.2021 – L 11 R 3586/20, BeckRS 2021, 13758 Rn. 18, beck-online). Der Kläger hätte hier einen höheren als den bewilligten Pflegesatz der Beklagten aufgrund der Fahrtkosten durch Anfechtung eines Bewilligungsbescheides oder durch Antrag auf Erlass eines entsprechenden Bewilligungsbescheides geltend machen müssen. Ein Grund, vorliegend einen Ausnahmefall für die isolierte Leistungsklage anzunehmen, ist nicht ersichtlich.

 

2. Die Klage ist im Übrigen auch unbegründet.

 

In zeitlicher Hinsicht reicht das Begehren des Klägers vom Beginn des Jahres 2015 bis zum Tod der Versicherten am 00.00.0000.

 

Ein Anspruch des Klägers auf Erlass eines Verwaltungsaktes, mit dem die Beklagte weitere Fahrtkosten in Höhe von 12.889,22 EUR erstattet, besteht nicht.

 

Gemäß § 41 Abs. 1 S. 1 SGB XI haben Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 Anspruch auf teilstationäre Pflege in Einrichtungen der Tages- oder Nachtpflege, wenn häusliche Pflege nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt werden kann oder wenn dies zur Ergänzung oder Stärkung der häuslichen Pflege erforderlich ist. Die teilstationäre Pflege umfasst auch die notwendige Beförderung des Pflegebedürftigen von der Wohnung zur Einrichtung der Tagespflege oder der Nachtpflege und zurück. Eine entsprechende Regelung bestand bis zum 31.12.2016 in § 41 Abs. 1 S.1 SGB XI a.F. Die Aufwendungen für die Fahrdienste der Einrichtungen werden im Rahmen der nach Absatz 2 geltenden Wertgrenzen übernommen. Eine Anrechnung von Beförderungskosten mit selbstständig tätigen Fahrdiensten zusätzlich zu den Pflegesätzen soll nach Vorstellung des Gesetzgebers nicht erfolgen (Reimer in: Hauck/Noftz SGB XI, 2. Ergänzungslieferung 2024, § 41 SGB 11, Rn. 9).

 

Die in § 41 vorgesehene teilstationäre Pflege in Form von Tages- und Nachtpflege ist eine die häusliche Pflegehilfe nach § 36 ergänzende Sachleistung. Die Tages- und Nachtpflege soll der Verwirklichung des Grundsatzes des Vorrangs der häuslichen Pflege vor der vollstationären Pflege nach § 3 dienen, indem sie den Pflegebedürftigen und Pflegepersonen andere Möglichkeiten als die stationäre Pflege für den Fall aufzeigt, dass häusliche Pflege nicht in ausreichendem Maße bewerkstelligt werden kann. Es soll die Pflegebereitschaft und -fähigkeit erhalten und gefördert werden (Reimer in: Hauck/​Noftz SGB XI, 2. Ergänzungslieferung 2024, § 41 SGB 11, Rn. 1).

 

 

 

Nach der Konzeption des Gesetzes und dem in der Gesetzesbegründung eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers handelt es sich bei den in § 41 Abs. 2 S. 2 SGB XI genannten Beträgen ausdrücklich um Höchstsätze. Über diese Höchstbeträge hinaus kann eine Leistungsgewährung durch die Pflegekassen nicht erfolgen. Die Gesetzesbegründung, aus der sich noch einmal ergibt, dass Beförderungskosten selbstständig tätiger Fahrdienste zusätzlich zu den Pflegesätzen ausdrücklich nicht gewährt werden sollen, stellt darüber hinaus noch einmal klar, dass entsprechende Beförderungskosten von der gezahlten Pauschale des § 41 Abs. 2 S. 2 SGB XI umfasst sind und darüber hinaus Kosten nicht zu erstatten sind (vgl. Fraktionsentwurf PflegeVG, BT-Drs. 12/5292, S. 114).

 

Auch der Umstand, dass der Kläger offensichtlich den von der Tagespflegeeinrichtung zur Verfügung gestellten Fahrdienst für die Versicherte für ungeeignet gehalten hat und auch deshalb einen privaten Fahrdienst beauftragt hat, kann nicht dazu führen, dass der von der Beklagten zu gewährende Betrag über die in § 41 Abs.1 S. 2 SGB XI genannten Höchstbeträge hinausgeht. Die teilstationäre Pflege umfasst nach Abs. 1 S. 2 auch die (vom Heim sicherzustellende, notwendige) Beförderung der pflegebedürftigen Person von ihrer Wohnung zum (Tages-/Nacht-) Pflegeheim und zurück; die hierfür anfallenden Aufwendungen sind mit dem Pflegesatz abgegolten und können nicht gesondert abgerechnet werden (NK-GesundhR/Heribert Renn, 2. Aufl. 2018, SGB XI § 41 Rn. 7, beck-online). Werden anstelle des zur Verfügung stehenden Fahrdienstes andere Fahrdienste in Anspruch genommen, so kann ein hierfür anfallender Betrag nicht von der Pflegekasse übernommen werden, sofern diese schon die Höchstbeträge nach § 41 Abs. 1 S. 2 SGB XI gewährt.  Leistungen der Pflegeversicherung müssen nicht deshalb gewährt werden, weil der Betroffene die vorhandenen, gesetzlich vorgesehenen Angebote im Rahmen der von ihm in Anspruch genommenen teilstationären Pflege nicht nutzen will. Wenn dabei Eigenbeteiligungen anfallen, beruht das darauf, dass die Leistungen der Pflegeversicherung nicht den vollständigen Bedarf decken, sondern der Höhe nach begrenzt sind (zur Ausweitung des Sachleistungsanspruchs nach § 41 SGB XI zum 1.1.2015 vgl. die Neufassung dieser Vorschrift durch Art 1 Nr. 11 des Ersten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften - Erstes Pflegestärkungsgesetz vom 17.12.2014, BGBl I 2222, 2224; vgl. auch BSG Urteil vom 25.2.2015 – B 3 KR 13/13 R, BeckRS 2015, 69880 Rn. 43, beck-online).

 

II. Für den Senat ist abschließend nicht ersichtlich, dass die Beklagte die gemäß § 41 Abs. 2 S. 2 SGB XI zu zahlenden Beträge im hier streitgegenständlichen Zeitraum nicht vollständig und bis zum jeweiligen Höchstbetrag gezahlt hat. Überdies ist auch keine anderweitige gesetzliche Anspruchsgrundlage, aus der sich der begehrte Zahlungsbetrag ergeben kann, ersichtlich.

 

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Bei dem Kläger handelt es sich nicht um einen privilegierten Sonderrechtsnachfolger im Sinne des § 183 S. 1 SGG. Gem. § 56 SGB I kommen als Sonderrechtsnachfolger der Ehegatte, der Lebenspartner, die Kinder, die Eltern und der Haushaltsführer (§ 56 Abs. 4 SGB I) in Betracht, wenn diese mit dem Berechtigten im Zeitpunkt seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind. Die Voraussetzungen liegen bei dem Kläger nicht vor. Da er ein sonstiger Rechtsnachfolger im Sinne des § 183 S. 2 SGG ist, ist das Berufungsverfahren für ihn nicht mehr gerichtskostenfrei.

 

C. Gründe für die Zulassung der Revision i.S.d. § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

D. Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3, 47 Abs. 1 und 2 GKG und folgt dem auf eine Geldleistung gerichteten Klageantrag.

 

Rechtskraft
Aus
Saved