I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
T a t b e s t a n d :
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) für den Zeitraum 01.03.2021 bis 08.09.2022.
Der am 1997 geborene Kläger ist afghanischer Flüchtling. Er reiste nach eigenen Angaben am 21.12.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein (Anhörung vom 28.06.2016). Im hier streitigen Zeitraum absolvierte der Kläger eine Ausbildung zum medizinischen Fachangestellten.
Der Niederschrift zur Anhörung gen. § 25 AsylG am 21.11.2016 lässt sich entnehmen, dass der Kläger eine Adresse seine Mutter nennen konnte. Seinen Angaben zur Folge habe er noch zwei Schwestern in seinem Heimatland.
In einer Anhörung vom 03.07.2017 gab der Kläger an zuletzt vor einem halben Jahr Kontakt zu seiner Schwester gehabt zu haben. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger vom Tod seiner Mutter erfahren. Er habe keinen Kontakt zu seinen Geschwistern.
In der öffentlichen Sitzung der 18. Kammer des Bayerischen Verwaltungsgerichts A-Stadt am 20.12.2017 gab der Kläger an, dass seine Mutter zwischenzeitlich verstorben sei. Zu seinen Schwestern habe er keinen Kontakt. Der letzte Kontakt sei aufgrund der Sterbemitteilung erfolgt. Hierbei habe seine Schwester angegeben, dass die Mutter umgebracht worden sei. Die Mutter sei von unbekannten nach dem Kläger gefragt worden. Seine Schwester habe darauf bestanden, den Kontakt zu ihm abzubrechen. Seine Schwester gebe ihm die Schuld am Tod der Mutter.
Mit Antrag vom 15.10.2021 beantragte der Kläger für sich Kindergeld nach dem BKGG.
Mit Bescheid vom 14.12.2021 lehnte die Beklagte die Gewährung von Kindergeld ab März 2021 ab. Es seien keine eigenen Bemühungen oder Bemühungen anderer dargelegt worden, den Aufenthalt der Mutter zu ermitteln.
Mit Schreiben vom 04.01.2022, eingegangen bei der Beklagten am 07.01.2022, legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.02.2022 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger habe keine Bemühungen unternommen im den Aufenthaltsort seiner Mutter zu ermitteln. Hierzu habe er weder staatliche Stellen, Behörden, Konsulate noch private Hilfsorganisationen (z.B. Suchdienst des Rotes Kreuzes) aufgesucht. Auch habe die Beklagte Bedenken, dass die Suche über Bekannte des Klägers "plötzlich" nicht mehr zumutbare gewesen sei.
Mit Schreiben vom 08.03.2022 erhob die Prozessbevollmächtigte des Klägers hiergegen Klage. Der Kläger habe keinen Kontakt zu Bekannten oder seiner Mutter. Wegen der katastrophalen Umstände vor Ort könne er auch keine Ermittlungen anstellen. Der Kläger habe im Generalkonsulat in A-Stadt jmd. kennen gelernt, der ihm Hilfe hinsichtlich der Beantragung seiner Tazkira vermittelt könne. Wer die Personen in Afghanistan gewesen sei, sei dem Kläger nicht bekannt. In Afghanistan gebe es keine Sterbeurkunden. Der Kläger habe durch ein Telefonat erfahren, dass seine Mutter verstorben sei. Ihm sei nicht bekannt, ob der Mann am Telefon ein Bekannter, ein Freund oder der Mann seiner Schwester gewesen sei.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
den Ablehnungsbescheid vom 14.12.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Kindergeld für den Zeitraum März 2021 bis September 2022 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten sowie das Sitzungsprotokoll vom 01.08.2024 ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 14.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Kindergeld für sich selbst gem. § 1 Abs.2 S.1 BKGG.
Gem. § 1 Abs.2 S.1 BKGG erhält Kindergeld für sich selbst, wer in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, Vollwaise ist oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt und nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen ist.
Der Kläger konnte insoweit nicht nachweisen Vollwaise zu sein. Als Vollwaisen gelten Kinder nur dann, wenn weder leibliche Eltern noch Adoptiveltern leben (Fellmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl., § 1 BKGG (Stand: 22.02.2024), Rn. 96).
Der Kläger hat insoweit in der mündlichen Verhandlung vom 01.08.2024 angegeben, angerufen worden zu sein und hierbei vom Tod seiner Mutter erfahren zu haben. Jedoch kann der Kläger sich weder an das Datum des Telefonats, noch die Jahreszeit, Telefonnummer und Anrufer erinnern. Er habe insoweit nur zugehört und nicht weiter nachgefragt. Eine Sterbeurkunde, wie in Deutschland, gebe es in Afghanistan nicht. Der Kammer ist es daher nicht möglich ansatzweise den Tod der Mutter nachzuprüfen. Auch erscheint es insoweit nicht nachvollziehbar, warum der Kläger während des Telefonats nicht in Erfahrung gebracht habe, wer ihn angerufen habe. Der Tod seines Vaters ist insoweit unstreitig zwischen den Beteiligten. Der Kläger bleibt insoweit hinsichtlich des Todes der Mutter weiterhin beweispflichtig.
Soweit die Beklagte weiterhin davon ausgeht, dass die Mutter des Klägers nicht verstorben sei, hat der Kläger auch keine Eigenbemühungen zur Feststellung des Aufenthaltsortes nachgewiesen.
Der Nichtkenntnis des Aufenthaltsortes gleichgestellt ist insoweit die missbräuchliche Unkenntnis. Ein solcher Fall liegt vor, wenn das Kind die Kenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern zwar tatsächlich nicht besitzt, es sich diese aber zumutbar ohne nennenswerte Mühe beschaffen kann (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23.06.2016, Az.: L 5 KG 1/15, Rn. 34 ff. - juris). Im Rahmen einer Anhörung im Jahre 2016 konnte der Kläger einen Aufenthaltsort seiner Mutter angegeben. Es sind nach Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich dieser zwischenzeitlich geändert habe. Den Verwaltungsakten lässt sich insoweit entnehmen, dass der Kläger bis 2017 noch Kontakt zu seiner Schwester hatte. Ihm wäre es daher zumutbar und möglich gewesen über seine Schwester oder im hier streitigen Zeitraum bis zur Machtübernahme der Taliban im August 2021 über das afghanische Konsulat, die deutsche Botschaft in Kabul (Dienstbetrieb seit 15.08.2021 eingestellt) oder ggf. über den DRK (ggf. Nutzung des Onlineangebotes "Trace the Face") den Aufenthalt seiner Mutter in Erfahrung bringen zu können oder sich den Tod seiner Mutter bestätigen lassen zu können. Insoweit war auch zu berücksichtigen, dass der Kläger von Deutschland aus Hilfe für die Erlangung seiner Tazkira in Afghanistan organisieren konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.