S 22 KG 10/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 22 KG 10/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

I. Die Klage wird abgewiesen.


II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) für den Zeitraum März 2020 bis Juli 2021.
Der am 1998 geborene Kläger ist afghanischer Flüchtling und reiste erstmals 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Der Niederschrift zur Anhörung gem. § 25 AsylG vom 16.12.2016 lässt sich entnehmen, dass der Kläger seine Tashikira von seinem Bruder erhalten habe. Hierbei gab er an, dass sein Vater in J-Stadt lebe und dort als Taxifahrer arbeite. Er habe einen Vater, zwei Brüder, eine Schwester, zwei Onkel väterlicherseits und einen Onkel mütterlicherseits.
In der öffentlichen Sitzung der 5. Kammer des Bayerischen Verwaltungsgericht am 20.11.2017 gab der Kläger an, dass sein Vater seine Flucht organisiert habe. Er habe seit vier Monaten keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern. Seine Familie halte sich im I-Stadt auf. Kontakt habe der Kläger nur zu seinem älteren Bruder, der in Pakistan studiere.
Mit Antrag vom 08.09.2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Kindergeld. Im Fragebogen vom 29.09.2020 gab der Kläger an, dass seine Mutter verstorben sei und sein Vater in Afghanistan lebe. Er habe keinen Kontakt zu seinem Vater. Eine Sterbeurkunde gebe es nicht, da in Afghanistan so etwas nicht ausgestellt werde.
In der Folgezeit forderte die Beklagte mehrfach den Kläger auf, Angaben zu seinem Vater zu tätigen und zu erläutern inwiefern ihm der Aufenthaltsort bekannt sei bzw. inwiefern Kontakt bestehe.
Mit Schreiben vom 16.03.2021 gab die Prozessbevollmächtigte des Klägers an, dass der Kläger das letzte Mal im Monat vor seiner Flucht seinen Vater gesehen habe. Er habe keinerlei Kontaktdaten und wisse auch nicht, ob sein Vater noch lebe.
Mit Bescheid vom 24.03.2021 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kindergeld nach dem BKGG ab dem Monat März 2020 ab. Der Kläger habe keine Bemühungen oder Bemühungen anderer Personen dargelegt den Aufenthalt seiner Eltern zu ermitteln.
Mit Schreiben vom 23.04.2021 legte die Prozessbevollmächtigte des Klägers hiergegen Widerspruch ein.
Mit Schreiben vom 03.05.2021 forderte die Beklagte den Kläger erneut auf auszuführen, welche Bemühungen er unternommen habe, um den Aufenthaltsort seines Vaters in Erfahrung zu bringen.
Mit Schreiben vom 25.05.2021 führt die Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, dass der Kläger weder Telefonnummer noch vollständige Namen von Nachbarn oder Freunden seines Vaters kenne. Wegen der fehlenden Infrastruktur in Afghanistan sei der Kontakt zum Vater nicht zustande gekommen. Auf Schreiben habe er keine Antwort erhalten. Das Konsulat habe dem Kläger nicht helfen wollen. Private Organisationen habe der Kläger nicht beauftragt. Der DRK Suchdienst stehe für entsprechende Ermittlungen nicht zur Verfügung.
Mit Schreiben vom 27.05.2021 bat die Beklagte um detaillierte Darlegung der Bemühungen.
Mit Schreiben vom 08.06.2021 führt die Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, dass Afghanistan nicht über ein Meldesystem wie Deutschland verfüge. Im privaten Umfeld sei eine Recherche mangels afghanischer Bekannter oder Freunde nicht möglich. Auch seine Vormünder und Betreuer seien nicht in der Lage gewesen den Aufenthaltsort des Vaters zu ermitteln.
Der Kläger bezog im Zeitraum 09.12.2020 bis 31.08.2021 Leistungen der Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.2021 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger habe keine ausreichenden Bemühungen vorgetragen, den Aufenthaltsort seines Vaters zu ermitteln. Der Vortrag, dass der Kläger keine Verwandten, Bekannte oder Nachbarn des Vaters habe, die er kontaktieren könne, sei nicht glaubhaft.
Mit Schriftsatz vom 26.07.2021 erhob die Prozessbevollmächtigte des Klägers hiergegen Klage. Die Mutter des Klägers sei verstorben und zum Vater bestehe seit Beginn der Flucht kein Kontakt mehr. Ihm sei sowohl unbekannt, ob der Vater noch leben als auch wo er sich aufhalte. Auf Anraten des Jobcenters habe der Kläger Kindergeld beantragt. Der Kläger habe eine alte Mobilfunknummer seines Vaters, die er vor vielen Jahren erhalten habe. Unter dieser Nummer sei der Vater aber nicht zu erreichen. Darüber hinaus ging die Nummer irgendwann verloren. Eine Suche über den DRK Suchdienst sei aktuell nicht möglich.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
den Ablehnungsbescheid vom 24.03.2021 sowie den Widerspruchsbescheid vom 05.07.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Kindergeld für den Zeitraum März 2020 bis Juli 2021 zu gewähren.
 
Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Hinsichtlich des Beweisthema "Aufenthaltsort der Eltern des Klägers" wurden L. und O. schriftlich befragt. Dies bezüglich wird auf die Schreiben vom 13.06.2023 verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Niederschrift der Öffentlichen Sitzung vom 01.08.2024 ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 24.03.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld für sich selbst im hier streitgegenständlichen Zeitraum. Er erfüllt insoweit nicht die notwendigen Leistungsvoraussetzungen des § 1 Abs.2 S.1 BKGG.
Kindergeld für sich selbst erhält nach § 1 Abs.2 S.1 BKGG, wer in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen ist und Vollwaise ist oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt.
Der Kenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern ist eine missbräuchliche Unkenntnis gleichzustellen. Ein solcher Fall liegt vor, wenn das Kind die Kenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern zwar tatsächlich nicht besitzt, sie sich aber in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe beschaffen kann (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23.06.2016, Az.: L 5 KG 1/15, Rn. 34ff. - juris).
So verhält es sich nach Auffassung der Kammer hier, da der Kläger weder im streitigen Zeitraum noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keine ausreichenden Bemühung, den Aufenthaltsort seines Vaters in Erfahrung zu bringen, nachgewiesen hat. Der Kläger hätte vorliegend darlegen müssen, welche Versuche er unternommen habe, um seinen Vater ausfindig zu machen.
Der Kläger trägt insoweit vor keine privaten Hilfsorganisationen eingeschaltet zu haben. Seine Prozessbevollmächtigte trägt insoweit vor, dass der DRK Suchdienst nicht zur Verfügung gestanden habe.
Hierzu ist auszuführen, dass der DRK nach Kenntnis der Kammer seine Tätigkeit mit Machtübernahme der Taliban im August 2021 massiv eingeschränkt hat. Jedoch besteht unabhängig von der aktiven Tätigkeit des DRK vor Ort, bspw. des DRK Suchdienstes, die Möglichkeit die Onlineplattform "Trace the Face" zu nutzen.

Vorliegend war auch zu berücksichtigen, dass für den Kläger bis August 2021 (Machtübernahme der Taliban) die Möglichkeit bestand sich hinsichtlich der Suche nach seinem Vater an das afghanische Konsulat oder die deutsche Botschaft in K-Stadt (Diensteinstellung seit 15.08.2021) zu wenden.
Eine pauschale Ablehnung der Aufnahme von Kontaktversuchen oder die Suche nach seinem Vater genügen vorliegend nicht für den Bezug von Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz. Dem Kläger ist es insoweit zumutbar den Minimalanforderungen an dem Nachweis von Eigenbemühungen unabhängig von ihren Erfolgsaussichten nachzukommen (bspw. Kontaktaufnahme mit dem afghanischen Konsulat). Der Kläger hatte insoweit einen Anhaltspunkt für die Suche nach seinem Vater als diesem der letzte Aufenthalt aus dem Jahre 2017 bekannt war sowie die damalige berufliche Tätigkeit (Taxifahrer in J-Stadt [Afghanistan]).  Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung angibt sein Bruder habe sich auf die Suche nach dem Vater begeben, ist dies insofern zu pauschal und substantiiert und entzieht sich - ohne dass der Kläger zumindest den Namen des Bruders nebst Datum der Reise und Verlauf der Reise mitteilt - einer Überprüfung durch das Gericht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
Saved