L 3 KA 14/20

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Hannover (NSB)
Aktenzeichen
S 78 KA 311/13
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 3 KA 14/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Auch sog Defekturarzneimittel können im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung nur verordnet werden, wenn sie die Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach Maßgabe des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse bieten (zu Oxybutynin Grachtenhaus Instillationssets; Festhalten an der Senatsentscheidung vom 18. April 2018 - L 3 KA 31/15, juris).

Auf die Berufungen des Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Hannover vom 16. Dezember 2015 (Aktenzeichen: S 78 KA 311/13 und S 78 KA 704/13) aufgehoben und die Klagen abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird für die Zeit bis zum Verbindungs­beschluss vom 15. September 2016 für das vormalige Verfahren L 3 KA 144/15 auf 893,02 Euro und für das bis dahin selbstständige Verfahren L 3 KA 145/15 auf 2.687,10 Euro festgesetzt; für die Zeit ab dem Verbindungs­beschluss wird der Streitwert auf 3.580,12 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Der beklagte Beschwerdeausschuss wendet sich gegen zwei Urteile des Sozialgerichts <SG> Hannover, mit dem zwei Bescheide über die Festsetzung von Arzneimittelkostenregressen (Verordnung von Oxybutynin 0,025 % G. Instillat.Set 10 ml x 100 St) aufgehoben worden sind.

Die Klägerin ist Fachärztin <FA> für Kinder- und Jugendmedizin und war in den Quartalen II bis IV/2009 in (überörtlicher) Gemeinschaftspraxis (Berufsausübungsgemeinschaft <BAG>) mit zwei weiteren Ärztinnen (Dr.  L. und Dr.  M.) zur vertragsärztlichen Versorgung im Bereich der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung <KÄV> Niedersachsen zugelassen.

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse <KK> beantragte am 7. bzw 10. Mai 2010 bei der Prüfungsstelle Niedersachsen mit zwei Schreiben die Feststellung eines sonstigen Schadens (Schreiben vom 4. Mai 2010 = jeweils Bl 1 der von dem Beklagten übersandten Verwaltungs­vorgänge <VV> und <VV-II>). Dabei überreichte sie vier Verordnungen von Ärztinnen der BAG für ihre Versicherte N. (* O. 2007) vom 3. Juni 2009 (Bl 2 VV; ausgestellt von Dr.  M.), vom 27. Juli 2009, vom 14. September 2009 und vom 2. November 2009 (Bl 2 f VV-II; ausgestellt von der Klägerin). Das verordnete Arznei­mittel Oxybutynin 0,025 % G. Instillat.Set 10 ml (ein intravesikal appliziertes Anticholinergikum zur Therapie neurogener Blasenent­leerungs­störungen, das mit einem Instillationsset in der G.-Apotheke in P. als Fertigspritzenset hergestellt wurde) sei nicht zulasten der gesetzlichen Kranken­ver­sicherung <gKV> verordnungsfähig gewesen (Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot). Insoweit sei durch die Verordnungen ein Schaden iH von 697,59 Euro und iH von 2.054,29 Euro entstanden. Die Beigeladene zu 2. setzte als Schaden die Differenz zwischen den Kosten des verordneten Arzneimittels der G.-Apotheke und den Kosten eines auf der Grundlage des Neues Rezeptur-Formulariums <NRF> hergestellten Arzneimittels an (vgl Bl 2 VV und Schreiben vom 28. September 2010 = Bl 49 VV bzw Bl 56 VV-II). Im Laufe des Verfahrens erhöhte sie die Beträge um 195,43 Euro auf 893,02 Euro bzw um 632,81 Euro auf 2.687,10 Euro (zwei Schreiben vom 17. Februar 2011 = Bl 73 VV bzw Bl 80 VV-II).

In ihrer Stellungnahme verwiesen die Ärztinnen auf den Gesundheitszustand der Versicherten (Schreiben vom 15. Juni 2010= Bl 19 VV bzw Bl 26 VV-II). Es handele sich um ein Kleinkind mit komplexen angeborenen Fehlbildungen. Unter anderem liege eine lumbale Spina bifida mit Hydrocephalus mit einer daraus resultierenden Blasenentleerungsstörung vor. Das Kinder­krankenhaus der Kliniken der Stadt Q. habe 2009 die Therapie mit intravesikalem Oxybutynin begonnen und die ambulante Fortsetzung empfohlen. Bei dem verordneten Fertigpräparat der G.-Apotheke handele es sich um das einzige zugelassene Fertigpräparat.

Mit Bescheid vom 23. August 2012 setzte die Prüfungsstelle gegen die Klägerin einen Regress iH von 893,02 Euro fest (Bl 77 VV; Verordnung vom 3. Juni 2009); die beiden anderen Mitglieder der BAG erhielten mit selbem Datum gleichlautende Bescheide (Bl 82 und Bl 87 VV). Hiergegen erhob die Klägerin am 13. September 2012 Widerspruch (Schreiben vom 12. September 2012 = Bl 97 VV).

Mit Bescheid vom 25. April 2013 setzte die Prüfungsstelle gegen die Klägerin einen Regress iH von 2.687,10 Euro fest (Bl 84 VV-II; Verordnungen vom 27. Juli, 15. September und 2. November 2009); die anderen Mitglieder der BAG erhielten ebensolche Bescheide (Bl 87 VV-II und Bl 92 VV-II). Hiergegen erhob die Klägerin am 3. Mai 2013 Widerspruch (Schreiben vom 2. Mai 2013 = Bl 104 VV-II).

Zur Begründung ihrer Widersprüche führte die Klägerin jeweils umfangreich aus. Während des laufenden Zulassungsverfahrens sei das Fertigarzneimittel aufgrund einer Übergangs­vorschrift (Hinweis auf § 141 Abs 4 des Arzneimittelgesetzes <AMG>) weiter verordnungsfähig gewesen. Ihr Fall sei anders als die den Entscheidungen des Bundessozialgerichts <BSG> zugrunde liegenden. Sie habe nicht gewusst und sei von der KK auch nicht darauf hingewiesen worden, dass die Verordnung eines Rezeptur-Arzneimittels günstiger gewesen wäre, zudem sei der Schaden unzutreffend ermittelt worden. So hätten bspw Kosten für sog Rundkegel abgesetzt werden müssen.

Der Beklagte wies die Widersprüche gegen die Bescheide der Prüfungsstelle zurück und bestätigte die festgesetzten Regresse (Bescheid vom 8. Mai 2013 = Bl 180 VV <Bescheid der Prüfungsstelle vom 23. August 2012> und Bescheid vom 18. Dezember 2013 = Bl 200 VV-II <Bescheid der Prüfungsstelle vom 25. April 2013>; jedes Mitglied der damaligen BAG erhielt einen eigenen Bescheid). Die Prüfungs­stelle habe zu Recht entschieden, dass Oxybutynin 0,025 % G. Instillat.Set 10 ml mangels Zulassung nicht zulasten der gKV verordnungsfähig gewesen ist. Aus der für Fertigarzneimittel, die nach dem 6. September 2005 erstmals unter die Zulassungs­pflicht fielen, geltenden Übergangsvorschrift (§ 141 Abs 4 AMG) folge nichts anderes, weil die Vorschrift lediglich die Verkehrs- und nicht die Verordnungsfähigkeit betreffe. Der beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte <BfArM> gestellte Antrag auf Zulassung des Arzneimittels sei im Übrigen vom Hersteller zurückgezogen worden. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise zulässige Verordnung eines nicht zugelas­senen Arzneimittels nach der Rspr des Bundesverfassungsgerichts <BVerfG> lägen nicht vor, weil es sich bei einer Blasensentleerungsstörung aufgrund einer lumbalen Spina bifida mit Hydrocephalus nicht um eine lebensbedrohliche und regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handle.

Die Klägerin hat gegen den Bescheid vom 8. Mai 2013 am 23. Mai 2013 Klage bei dem SG Hannover erhoben (Schriftsatz vom 23. Mai 2013). Am 20. Dezember 2013 hat sie bei dem SG Hannover Klage gegen den Bescheid vom 18. Dezember 2013 erhoben (Aktenzeichen des SG: S 78 KA 704/13). Zur Begründung hat sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs­verfahren wiederholt und vertieft. Das Abstellen auf die fehlende Zulassung des Arzneimittels übersehe, dass von dem Hersteller zum Zeitpunkt der Verordnung ein Zulassungsantrag gestellt gewesen sei. Es berücksichtige außerdem nicht, dass auch nicht zugelassene Arzneimittel, wie Rezeptur- und Defektur-Arzneimittel zulasten der gKV verordnet werden könnten. Zugelassene Arzneimittel mit dem Wirkstoff Oxybutynin hätten bei der 2-jährigen Versicherten nicht zur Verfügung gestanden. Sie habe keine Kenntnis von einer fehlenden Verordnungsfähigkeit gehabt; darauf habe es keinerlei Hinweise bspw in Publikationen, Mitteilungen oder Rundschreiben gegeben.

Der Beklagte ist dem Begehren im Wesentlichen unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens entgegengetreten.

Die beigeladene KÄV hat unter Hinweis auf ein Urteil des SG Hamburg (vom 27. Februar 2015 – S 33 KR 590/09) ausgeführt, für Oxybutynin 0,025 % G. Instillat.Set 10 ml bestehe (nach wie vor) keine Zulassungspflicht nach § 21 Abs 1 AMG (wird ausgeführt).

Das SG Hannover hat die angefochtenen Bescheide des Beklagten aufgehoben (Urteil vom 16. Dezember 2015 = Bl 87 dA <Bescheid vom 8. Mai 2013> und Urteil vom selben Tag = Bl 75 der Verfahrensakte S 78 KA 704/13 <Bescheid vom 18. Dezember 2013>). Zwar handle es sich bei Oxybutynin 0,025 % G. Instillat.Set 10 ml um ein Fertig­arznei­mittel, das grds einer Zulassung bedürfe (Hinweis auf § 21 Abs 1 AMG), doch falle es aufgrund fehlender industrieller Herstellung unter die Ausnahmevorschrift von § 21 Abs 2 AMG (wird unter Anschluss an SG Hamburg [S 33 KR 590/09] ausgeführt). Da der Beklagte den Vorwurf der Unwirtschaftlichkeit allein darauf stütze, dass die Klägerin anstelle einer NRF-Rezeptur das inhaltsgleiche teurere Präparat der G.-Apotheke verordnet habe und vor dem Hintergrund, dass auch die NRF-Rezeptur über keine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses <GBA> verfüge, bedürfe es im konkreten Fall keiner Feststellungen zum Nachweis über Qualität und Wirksamkeit. Außerdem habe die fachkundig besetzte Kammer mit Blick auf den konkreten Behandlungsfall keinen Zweifel daran, dass eine Oxybutynin-Therapie in der zugelassenen oralen bzw transdermalen Form nicht indiziert gewesen sei. Die gerügte Unwirtschaftlichkeit sei daher allein unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, dass statt einer produktneutralen Rezeptur ein teureres Arzneimittel von der G.-Apotheke verordnet wurde (wird umfangreich ausgeführt). Im Ergebnis sei ein mit dem Regress zu sanktionierender Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht festzustellen. Jedenfalls fehle es an einer vorherigen Beratung. Beglaubigte Abschriften der Entscheidungen sind dem Beklagten am 21. Dezember 2015 zugestellt worden (Empfangs­bekenntnis unter Bl 100b dA und Bl 88a der Verfahrensakte S 78 KA 704/13).

Der Beklagte hat gegen die beiden Urteile bei dem Landessozialgericht <LSG> Niedersachsen-Bremen am 28. Dezember 2015 zwei Berufungen eingelegt (Schriftsätze vom 22. Dezember 2015 = Bl 103 dA und Bl 91 der Verfahrensakte S 78 KA 704/13 [Aktenzeichen des Berufungs­verfahrens L 3 KA 145/15]). Der Senat hat die beiden Verfahren unter dem vorliegenden Aktenzeichen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden (Beschluss vom 11. Januar 2017 = Bl 143 dA).

Zur Begründung verweist der Beklagte auf sein bisheriges Vorbringen und trägt mit Blick auf die Ausführungen des SG ergänzend vor: Eine Zulassungsfreiheit nach § 21 Abs 2 AMG führe nicht automatisch zur Verordnungsfähigkeit zulasten der gKV. Hierfür bedürfte es einer positiven Empfehlung des GBA, die nicht vorliege. Da auch kein Seltenheitsfall gegeben und keine ausnahmsweise Verordnungsfähigkeit mit Blick auf Verfassungsrecht anzunehmen sei, komme es auf Erwägungen zu kostengünstigeren Rezepturen nicht an.

Der Beklagte stellt den Antrag,

          die Urteile des Sozialgerichts Hannover vom 16. Dezember 2015 (S 78 KA 311/13 und S 78 KA 704/13) aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,                                                                                                              

          die Berufungen zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Urteile aus deren Gründen für zutreffend. Der Sachverhalt lasse sich nur unzureichend und wesentlich zu kurz nach den Regelungen des Fünften Buchs Sozial­gesetzbuch <SGB V> beurteilen; nachvollziehbar werde er erst unter Rückgriff auf das AMG, die Verordnung über den Betrieb von Apotheken (Apothekenbetriebsordnung <ApBetrO>) und das Apothekengesetz <ApoG>.

Die Beigeladene zu 2. schließt sich den Ausführungen des Beklagten an (Schriftsatz vom 11. Oktober 2017 = Bl 155 dA).

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze und den weiteren Inhalt der Verfahrensakte, den Inhalt der Verfahrensakte L 3 KA 145/15 (S 78 KA 70/13) sowie die von dem Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen haben dem Senat vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Berufungen des Beklagten gegen die Urteile des SG Hannover vom 16. Dezember 2015 haben Erfolg. Das SG hat den Bescheid vom 8. Mai 2013 und den Bescheid vom 18. Dezember 2013 zu Unrecht aufgehoben.

A.    Gegenstand des Verfahrens (§ 95 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>) ist in Verfahren der Wirtschaftlichkeits­prüfung wie den vorliegenden (allein) der das Verfahren abschließende Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses (stRspr des BSG, s bspw Urteil vom 11. Mai 2011 – B 6 KA 13/10 R, BSGE 108, 175 = SozR 4-2500 § 106 Nr 32 = juris, jeweils Rn 16; Urteil vom 19. Juni 1996 – 6 RKa 40/95, BSGE 78, 278 <279 f> = SozR 3-2500 § 106 Nr 35 S 194 f = juris Rn 12). Der Senat hat daher über die Rechtmäßigkeit der von der Klägerin angefochtenen Bescheide vom 8. Mai 2013 und 18. Dezember 2013, mit dem der Beklagte ihre Widersprüche gegen die Festsetzung zweier Regresse durch die Prüfungsstelle zurückgewiesen und die Festsetzung eines Regresses für das 2. Quartal 2009 und eines Regresses für das 3. und 4. Quartal 2009 bestätigt hat, zu entscheiden.

B.    Die Berufungen sind bei einem Wert des Beschwerdegegenstands für den Beklagten iH von 893,02 Euro und iH von 2687,10 Euro statthaft (§ 143 Halbs 2 iVm § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG) und auch sonst zulässig, insbesondere sind sie jeweils innerhalb der vorgesehenen Frist von einem Monat (§ 151 Abs 1 SGG) und damit fristgerecht bei dem LSG (§ 151 Abs 1 SGG) eingelegt worden.

C.   In der Sache haben die Rechtsmittel des Beklagten Erfolg. Das SG hat den Klagen zu Unrecht stattgegeben.

I.     Die Klagen sind als (isolierte) Anfechtungsklagen gem § 54 Abs 1 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig (zur Klagebefugnis des einzelnen Gesellschafters einer BAG s BSG, Urteil vom 3. Februar 2010 – B 6 KA 37/08 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 = juris, jeweils Rn 16).

II.    Die Klagen sind indes unbegründet. Die beiden angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat gegen sie zu Recht Regresse festgesetzt.

1.    Es handelt sich allerdings nicht um Regresse wegen eines sonstigen Schadens iS von § 32 der Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung gem § 106 SGB V ab dem Jahr 2008 <PrüfV 2008>, wie dies die Beigeladene zu 2. in ihren Prüfanträgen angenommen hat, sondern um Arzneimittelkostenregresse nach Einzelfall­prüfung. Dies ergibt sich aus der stRspr des BSG (Urteil vom 5. Mai 2010 – B 6 KA 5/09 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 28 = juris, jeweils Rn 21 ff; Urteil vom 13. Oktober 2010 – B 6 KA 48/09 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 30 = juris, jeweils Rn 11; Urteil vom 11. September 2019 – B 6 KA 15/18 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 59 = juris, jeweils Rn 28), wonach sich der Schaden, der den KKen durch die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel entstanden ist, grundlegend von dem sonstigen Schaden unterscheidet. Bei Verordnungsregressen besteht der zu ersetzende Schaden der KK darin, dass sie gegenüber der Apotheke Arzneimittel (die gegen eine vertragsärztliche Verordnung ausgehändigt wurden und ausgehändigt werden durften) bezahlen muss, die der Arzt nicht hätte verordnen dürfen und der Versicherte nicht beanspruchen konnte. Sie hat mithin Kosten aufgewandt, die sie prinzipiell aufwenden muss, die aber im konkreten Fall nicht angefallen wären, wenn der Vertragsarzt den normativen Vorgaben entsprochen hätte. Der Regress wegen eines sonstigen Schadens ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass das Verhalten des Arztes Folgekosten der KK in anderen Leistungsbereichen ausgelöst hat; der zu ersetzende Schaden ist der Struktur nach einem Mangelfolgeschaden nach bürgerlichem Recht vergleichbar (zu alledem BSG, Urteil vom 5. Mai 2010, aaO).

2.    Gesetzliche Grundlage für die Prüfung von Arzneimittelverordnungen im Einzelfall ist § 106 Abs 2 S 4 SGB V (hier idF des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Kranken­ver­sicherung <GKV-Modernisierungsgesetz – GMG> vom 14. November 2003 [BGBl I 2190]). Danach können die Landesverbände der KKen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den KÄVen über die in § 106 Abs 2 S 1 SGB V vorgesehenen Auffälligkeits- und Zufälligkeitsprüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Hiervon haben die genannten Vertragspartner in Niedersachsen mit der vorliegend maßgeblichen PrüfV 2008 Gebrauch gemacht, nach deren § 33 S 1 die Prüfungs­stelle auf Antrag einer KK oder eines Vertragspartners in begründeten Fällen prüft, ob der Vertragsarzt unwirtschaftliche Arzneimittelanwendungen veranlasst hat.

3.    Die Arzneimittelkostenregresse sind zu Recht ergangen. Die aufgrund der genannten Rechtsgrundlage (s oben <2.>) durchgeführten Einzelfall­prüfungen sind rechtmäßig. Die Annahme der Unwirtschaftlichkeit wie auch die Höhe der beiden festgesetzten Regresse sind nicht zu beanstanden. Die Klägerin durfte der Versicherten Oxybutynin 0,025 % G. Instillat.Set 10 ml nicht zulasten der gKV verordnen, weil jene keinen Anspruch auf Versorgung mit diesem Arzneimittel gegen ihre zu 2. beigeladene KK hatte.

a) (aa)    Zutreffend ist bereits das SG davon ausgegangen, dass es sich bei dem hier maßgeblichen Präparat um ein Fertigarzneimittel handelt (hierzu und zum Folgenden s bereits Senatsurteil vom 18. April 2018 – L 3 KA 31/15, juris, Rn 27). Fertigarzneimittel sind gem § 4 Abs 1 S 1 AMG Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden oder andere zur Abgabe an Verbraucher bestimmte Arzneimittel, bei deren Zubereitung in sonstiger Weise ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt oder die, ausgenommen in Apotheken, gewerblich hergestellt werden. Die hier problematischen Oxybutynin-Fertigspritzensets wurden wegen der regel­mäßigen Abnahme im gesamten Bundesgebiet und der langen Herstellungsdauer im Voraus – dh vor dem Vorliegen einer konkreten ärztlichen Verordnung (Bundesgerichtshof <BGH>, Urteil vom 4. September 2012 – StR 534/11, BGHSt 57, 312 = juris, jeweils Rn 21 <Münchener Apotheke>) – hergestellt. Das Arzneimittel ist auch in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht worden. Das Inverkehrbringen umfasst das Vorrätighalten zum Verkauf oder zur sonstigen Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere (Weber in: Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl 2021, § 4 AMG Rn 44). Die G. GmbH hat diese Schritte des Inverkehrbringens erfüllt, weil sie weitergehend sogar schon veranlasst hat, dass die hier streitbefangenen Oxybutynin-Instillationssets mit eigener Pharmazentralnummer (PZN: 1915753) und dem Hersteller­abgabepreis (980,17 Euro) in der für die Auflistung verkehrsfähiger Arzneimittel maßgeblichen Lauer-Taxe aufgenommen worden sind (so ausdrücklich: Thüringer LSG, Urteil vom 30. Mai 2017 – L 6 KR 424/14, juris unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 2. Juli 2013 – B 1 KR 18/12 R, BSGE 114, 36 = SozR 4-2500 § 130a Nr 9 = juris). Dass dementsprechend die G.-Apotheke selbst vom Vorliegen eines Fertigarzneimittels ausgegangen ist, zeigt sich schon daran, dass sie beim BfArM einen Antrag auf Zulassung gem § 21 Abs 1 S 1 AMG gestellt hat.

Demgegenüber kann es sich bei den Instillationssets nicht um eine Rezeptur handeln, für die gem § 21 Abs 2 Nr 1a Alt 2 AMG keine Zulassungspflicht besteht. Die Rezeptur wird schon nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift nur für einzelne Personen hergestellt, also erst nach Ausstellung einer Verordnung und gerade nicht im Voraus und auch nicht in größeren Mengen.

(bb) Die Versicherte konnte von der Beigeladenen zu 2. die Behandlung ihrer Blasenent­leerungsstörung mit dem (Fertig)Arzneimittel Oxybutynin 0,025 % G. Instillat.Set 10 ml als Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 iVm § 31 Abs 1 S 1 SGB V) mangels indikationsbezogener Zulassung nicht beanspruchen. Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheits­be­schwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 SGB V). Versicherte können die Versorgung mit einem verschrei­bungspflichtigen Fertigarzneimittel zulasten der gKV aber (vorbehaltlich weiterer Ausnahmen, s bspw § 34 SGB V) grds nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikations­gebiet besteht, in dem es angewendet werden soll; Fertig­arzneimittel sind mangels Zweck­mäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 S 3, § 12 Abs 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht der gKV umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs 1 AMG) arzneimittel­rechtliche Zulassung fehlt (stRspr des BSG, zuletzt bspw Urteil vom 24. Januar 2023 – B 1 KR 7/22 R, BSGE <vorgesehen> = SozR 4 <vorgesehen> = juris Rn 10; Urteil vom 19. März 2020 – B 1 KR 22/18 R, KRS 2020, 336 = juris, jeweils Rn 13; Urteil vom 11. September 2018 – B 1 KR 36/17 R, GesR 2019, 38 = juris, jeweils Rn 12; Urteil vom 20. März 2018 – B 1 KR 4/17 R, SozR 4-2500 § 2 Nr 12 = juris, jeweils Rn 11; s bereits Urteil vom 23. Juli 1998 – B 1 KR 19/96 R, BSGE 82, 233 <235 f> = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 17 = juris Rn 14 <Jomol>; sa Urteil vom 3. Februar 2010 – B 6 KA 37/08 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 = juris, jeweils Rn 25; Urteil vom 5. November 2008 – B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 21 = juris, jeweils Rn 19).

Zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht streitig, dass für Oxybutynin 0,025 % G. Instillat.Set 10 ml in den maßgeblichen drei Quartalen des Jahres 2009 keine Zulassung vorgelegen hat. Der gestellte Antrag auf Zulassung ist zurückgenommen worden; eine Zulas­sung nach 2009 wäre ohnehin ohne Belang (gewesen). Deshalb kann es keine Auswirkungen haben, wenn 2019 das Arzneimittel Vesoxx zugelassen worden ist.

Das Arzneimittel galt entgegen dem Vorbringen der Klägerin auch nicht gem § 141 Abs 4 AMG (eingefügt durch Art 1 Nr 75 des Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 29. August 2005 [BGBl I 2570]) bis zum Abschluss des Zulassungsverfahrens als zugelassen. Die Vorschrift begründet für erstmals der Zulassungspflicht nach § 21 AMG unterfallende Fertigarzneimittel unter der Voraussetzung einer rechtzeitigen Beantragung der Zulassung die Verkehrsfähigkeit und betrifft damit ersichtlich nicht eine vorläufige (fiktive) Zulassung von Arzneimitteln (hierzu s § 105 AMG idF von Art 3 § 7 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24. August 1976 [BGBl I 2445]). Eine solche wäre im Übrigen auch nicht ausreichend gewesen (vgl BSG, Urteil vom 3. Februar 2010 – B 6 KA 37/08 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 = juris, Rn 29 mwN).

(cc) An der fehlenden Verordnungsfähigkeit zulasten der gKV ändert sich auch dann nichts, ginge man davon aus, dass vorliegend die Zulassungspflicht ausnahmsweise nach § 21 Abs 2 Nr 1 AMG ausgeschlossen gewesen wäre (so das SG Hamburg, Urteil vom 27. Februar 2015 – S 33 KR 590/09, juris; die 78. Kammer des SG Hannover hat seine in dem vorliegenden Urteil vertretene Auffassung in späteren Entscheidungen nicht weiter vertreten). Nach der genannten Vorschrift bedarf es einer Zulassung nicht für Arzneimittel, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind und aufgrund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu 100 abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind. Hiermit sind sog Defekturarzneimittel iS von § 1a Abs 9 ApBetrO gemeint. Mit dieser Regelung sollen Fertigarzneimittel von der Zulassung freigestellt werden, die im Wesentlichen in der Apotheke selbst und nicht durch einen industriellen Hersteller produziert werden.

Entgegen der Auffassung des SG führte eine solche arzneimittelrechtliche Zulassungsfreiheit jedoch nicht dazu, dass Oxybutynin 0,025 % G. Instillat.Set 10 ml unbeschränkt zulasten der gKV verordnet werden dürfte. Zugelassene Arzneimittel sind neben der arzneimit­telrechtlichen keiner zusätzlichen krankenversicherungsrechtlichen Qualitätsprüfung (nach denselben Maßstäben) unterworfen, weil es bei dem für die Zulassung geforderten Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels im Kern um dieselben Kriterien geht, an denen auch die Leistungen der gKV gemessen werden (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 27/02, BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 = juris, jeweils Rn 20; vgl auch Urteil vom 3. Februar 2010 – B 6 KA 37/08 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 = juris, jeweils Rn 27). Wird nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften indes keine Zulassung benötigt, können die mit der Zulassung nachgewiesenen Anforderungen nicht für den Leistungskatalog der gKV wirken. In diesen Fällen unterliegen die ambulant durchge­führten Pharmakotherapien dem Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs 1 SGB V für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden <NUB> (stRspr des BSG, s bspw Urteil vom 27. März 2007 – B 1 KR 30/06 R, SGb 2007, 287 <288> = juris Rn 12; Urteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 27/02, aaO, jeweils Rn 20; Urteil vom 28. März 2000 – B 1 KR 11/98 R, BSGE 86, 54 <58> = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 63 = juris Rn 16 <ASI-Therapie>; Urteil vom 23. Juli 1998 – B 1 KR 19/96 R, BSGE 82, 233 <237> = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 18 f = juris Rn 16 <Jomol>; vgl auch Urteil vom 3. Februar 2010 – B 6 KA 37/08 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 = juris, jeweils Rn 31; s auch Senatsurteil vom 18. April 2018 – L 3 KA 31/15, juris, Rn 31; aus dem Schrifttum bspw Pflugmacher in: Wenner/von Koppenfels-Spies, SGB V, 4. Aufl 2022, § 31 Rn 12; Pitz in: jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, § 31 Rn 60; sa Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, 8. Aufl 2022, § 31 Rn 27f; Luthe in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 31 – Stand: Erg.-Lfg. 3/21 – Rn 53a).

Damit bräuchte Oxybutynin 0,025 % G. Instillat.Set 10 ml eine positive Empfehlung des GBA, denn die notwendige Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit (§ 2 Abs 1 S 1 und § 12 Abs 1 SGB V) muss für alle Leistungen nach dem SGB V und damit ausnahmslos für alle Arzneimittel gelten (s bereits Senatsurteil vom 18. April 2018, aaO). Eine solche hat für den Einsatz zur Behandlung neurogener Blasenentleerungsstörungen jedoch zu keiner Zeit vorgelegen. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung (einer NUB) notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt worden ist, sodass sich die Frage nach einem sog Systemversagen (zu den Antragsberechtigten s § 135 Abs 1 S 1 SGB V) – unabhängig davon, dass vorliegend auch in einem solchen Fall eine Freigabe der Pharmakotherapie nicht in Frage gekommen wäre (dazu sogleich) – nicht stellt (zum Systemversagen s bspw BSG, Urteil vom B 1 KR 21/19 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 54 = juris, jeweils Rn 16f mwN; vgl auch Urteil vom 3. Februar 2010 – B 6 KA 37/08 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 = juris, jeweils Rn 32).

Im Übrigen steht zur Überzeugung des Senats auch fest, dass dieses Präparat nicht den erforderlichen Anforderungen an Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach Maßgabe des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse genügt. Dies ergibt sich aus den bestandskräftigen Entscheidungen des BfArM zur Versagung der arzneimittel­rechtlichen Zulassung für Oxybutynin 0,1 % G. Instillat.Set 10 ml: symptomatische Behand­lung von neurogenen Blasenentleerungsstörungen (neurogene Detrusorhyper­aktivität), welche mit Selbstkatheterisierung behandelt werden. Nach der Begründung dieser Entschei­dungen entspricht das von der Antragstellerin vorgelegte Erkenntnismaterial nicht dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, ist das Arzneimittel nach dem geltenden Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht ausreichend geprüft worden und ist die Wirksamkeit nach dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse unzu­reichend begründet worden. Insbesondere hat das BfArM bemängelt, dass (wenigstens) eine klinische Studie fehlt, die für eine Übertragbarkeit literaturbekannter Studien auf das hier maß­gebliche Produkt spricht und die Überlegenheit der Therapie mit diesem Arzneimittel gegenüber der oralen Gabe von Oxybutynin darlegt. Eine während des Widerspruchs­ver­fahrens von der Antragstellerin vorgelegte Studie (STEG-CORP_111804) war mit schwer­wiegenden Mängeln behaftet, etwa einer Änderung des Studienziels im Verlauf der Studie und einer fehlenden Verblindung.

Ohne Bedeutung ist es, dass Oxybutyninhydrochlorid-Instillationslösung auch als NRF-Rezeptur geführt wird (NRF 9.3 mit einer Konzentration von 0,025 %). Bei der Rezepturen-Sammlung handelt es sich nicht um eine Positivliste zur Verordnung von Rezepturen zulasten der gKV.

Nur ergänzend wird in diesem Zusammenhang schließlich darauf hingewiesen, dass der Einwand der Beigeladenen zu 1., die KK sei nach der Entscheidung des SG Hamburg vom 27. Februar 2015 verpflichtet worden, die Rechnungen des seinerzeit klagenden Apothekers über die Lieferung von Fertigspritzen-Instillationssets mit steriler Oxybutynin-HCl-Lösung 0,1 % zu vergüten, für den vorliegenden Fall nicht entscheidend ist. Denn das Recht der KKen, Rechnungen der Apotheker zu prüfen und ggf zu beanstanden, bestimmt sich – auf der Grundlage von § 129 SGB V iVm dem jeweils geltenden Rahmenvertrag über die Arzneimit­telversorgung – nach anderen Vorgaben als die Prüfung der Leistungspflicht nach § 31 Abs 1 SGB V bzw der vertragsärztlichen Verordnung nach § 106 Abs 2 S 4 (zu den unterschied­lichen Rechtsbeziehungen vgl auch BSG, Urteil vom 28. September 2010 – B 1 KR 3/10 R, BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6 = juris).

(dd) Die Beschränkung der leistungsrechtlichen Ansprüche gesetzlich Krankenversicherter auf Leistungen nach Maßgabe eines Leistungskatalogs unter Beachtung des Wirtschaftlichkeits­gebots ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 <45 f> = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 Rn 26 = juris Rn 57 <sog Nikolausbeschluss>; BSG, Urteil vom 4. April 2006 – B 1 KR 12/04 R, BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7 = juris, jeweils Rn 29 <D-Ribose>), solange es für besondere (notstandsähnliche) Situationen unter engen Voraussetzungen Ausnahmen gibt (hierzu sogleich). Versicherte haben keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf bestimmte Leistungen zur Krankenbehandlung (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, 1 BvR 347/98, aaO, Rn 51 <sog Nikolausbeschluss>; 1. Kammer des 1. Senats, Beschluss vom 11. April 2017 – 1 BvR 452/17, SozR 4-2500 § 137c Nr 8 = juris, jeweils Rn 23; BSG, Urteil vom 10. November 2021 – B 1 KR 7/21, BSGE 133, 134 = SozR 4-2500 § 27a Nr 21 = juris, jeweils Rn 20; Urteil vom 28. Mai 2019 – B 1 KR 25/18 R, BSGE 128, 154 = SozR 4-2500 § 34 Nr 21 = juris, jeweils Rn 14; Urteil vom 28. Mai 2019 – B 1 KR 14/18 R, juris Rn 16 mwN aus seiner Rspr).

(ee) Mit dieser Begrenzung des Leistungsanspruchs der Versicherten korrespondiert notwendi­gerweise eine – als durch sachgerechte und vernünftige Gründe des Gemeinwohls begründete Regelung – verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstandende Beschränkung der vertrags­ärztlichen Leistungserbringer auf solche Therapieoptionen, die vom Katalog der gKV umfasst sind (vgl hierzu BSG, Urteil vom 3. Februar 2010 – B 6 KA 37/08 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 = juris, jeweils Rn 46; Urteil vom 13. Oktober 2010 – B 6 KA 48/09 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 30 = juris, jeweils Rn 43; sa bereits das Urteil vom 20. März 1996 – 6 RKa 62/94, BSGE 78, 70 < 88 f> = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 S 44 f = juris Rn 51 und das Urteil des 1. Senats des BSG vom 25. September 2000 – B 1 KR 24/99 R, SozR 3-2500 § 13 Nr 23 S 112 f = juris Rn 17). „Therapiefreiheit“ besteht – unabhängig von Bindungen des Berufsrechts und der Patientenrechte (zum Verhältnis von Therapiefreiheit und Selbst­bestim­mungsrecht des Patienten s Ziegler, GesR 2021, 483 ff) – hinsichtlich gesetzlich Kranken­ver­sicherter lediglich innerhalb des vom Leistungsrecht der gKV definierten Rahmens. Bei dieser Vorgabe handelt es sich um eine verfassungskonforme Regelung der Berufsausübung der Vertrags­ärzte iS von Art 12 Abs 1 S 2 des Grundgesetzes <GG>, die sich aus den Erfordernissen einer beitrags­finanzierten, solidarischen Kranken­versicherung und in Sonderheit aus dem sie beherrschenden Wirtschaft­lichkeitsgebot ergibt (BSG, Urteil vom 25. September 2000 – B 1 KR 24/99 R, aaO; zur Vereinbarkeit der gesetzlichen Grundlagen für die Festbetrags­festsetzung bei Arzneimitteln [§ 35 SGB V] mit der Therapiefreiheit von Vertragsärzten s BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 1 BvL 28/95 ua, BVerfGE 106, 275 <304 ff> = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 22 ff = juris Rn 124 ff; sa Senatsurteil vom 29. September 2021 – L 3 KA 23/19, Umdruck S 15).

b)    Die Versicherte konnte eine Versorgung mit Oxybutynin 0,025 % G. Instillat.Set 10 ml zulasten ihrer KK auch nicht ausnahmsweise im Rahmen eines Off-Label-Use beanspruchen, weder nach § 35c SGB V, der die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln aufgrund von Empfehlungen des GBA und im Falle von klinischen Studien regelt noch nach den allgemeinen vom BSG entwickelten Grundsätzen. Ein Off-Label-Use kommt von vornherein nur in Betracht, wenn ein Fertigarzneimittel über (irgend‑)eine arznei­mittelrechtliche Zulassung für eine bestimmte Indikation verfügt. Das ist in Hinblick auf das vorliegende Instillationspräparat nicht der Fall.

c)    Ein Anspruch der Versicherten gegen ihre KK auf Versorgung mit Oxybutynin 0,025 % G. Instillat.Set 10 ml ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen der grundrechts­orientierten Leistungsauslegung nach den Maßstäben des Beschlusses des BVerfG vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98, aaO; seit dem 1. Januar 2012 gilt insoweit § 2 Abs 1a SGB V idF des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes <GKV-VStG> vom 22. Dezember 2011 [BGBl I 2983]).

Es ist mit den Grundrechten aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 S 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebens­bedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten ärztlichen Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheits­verlauf besteht (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25, 49 f = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 Rn 32 ff = juris Rn 63 ff <sog Nikolaus­beschluss>). Der Gesetzgeber hat im Anschluss an diese Rspr mit dem GKV-VStG geregelt, dass Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizini­schen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs 1 S 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen können, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheits­verlauf besteht (§ 2 Abs 1a S 1 SGB V). Die Regelung soll den Geltungsumfang des sog Nikolaus­beschlusses für das Leistungsrecht der gKV insgesamt klarstellen (BT-Drucks 17/6906 S. 52; hierzu vgl auch BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 1/16 R, BSGE 122, 171 = SozR 4-2500 § 31 Nr 28 = juris, jeweils Rn 21 <Immunglobulin-Therapie>). Dass er dabei auch Erkrankungen, die lebens­bedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankungen zumindest wertungsmäßig vergleich­bar sind, mit einbezogen hat, war von Verfassung wegen nicht geboten (vgl BVerfG, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 BvR 2056/12, BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18 = juris, jeweils Rn 18), entsprach aber der Rspr des BSG (im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG, s bspw Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R, BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9 = juris, jeweils Rn 32 mwN <„Lorenzos Öl“>).

Der Anspruch ist, wenn um die Versorgung mit einem Arzneimittel gestritten wird, auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet wie der Off-Label-Use; die tatbestandlichen Anforderungen unter­scheiden sich indes. Vorausgesetzt wird,

•    dass der Versicherte an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen oder zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung leidet,

•    zu deren Behandlung keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung steht

•    und dass durch den Einsatz der begehrten Leistung eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

(aa) Vorliegend fehlt es an der ersten Voraussetzung. Bei der Versicherten besteht, jedenfalls soweit Oxybutynin 0,025 % G. Instillat.Set 10 ml verordnet worden ist, keine lebens­bedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Wertungsmäßig vergleichbar mit einer solchen Erkrankung ist der wahrscheinlich drohende Verlust eines wichtigen Sinnes­organs oder einer herausgehobenen körperlichen Funktion innerhalb eines kürzeren über­schaubaren Zeitraums (stRspr des BSG, s bspw Urteil vom 24. Januar 2023 – B 1 KR 7/22 R, BSGE <vorgesehen> = SozR 4 <vorgesehen> = juris Rn 29; Urteil vom 19. März 2020 – B 1 KR 22/18 R, juris Rn 20 mwN). Das ist bei einer Blasenentleerungs­störung nicht der Fall.

(bb) Die dritte Voraussetzung ist ebenfalls nicht erfüllt. Auch im Rahmen der grundrechts­orientierten Auslegung gelten die Vorschriften des Arzneimittelrechts (stRspr des BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 10/16 R, BSGE 122, 181 = SozR 4-2500 § 2 Nr 6 = juris, jeweils Rn 18 ff <Avastin® I>; Urteil vom 11. September 2018 – B 1 KR 36/17 R, GesR 2019, 38 = juris, jeweils Rn 15 ff <Avastin® II>; für die Zeit zwischen sog Nikolausbeschluss und Inkrafttreten von § 2 Abs 1a SGB V s Urteil vom 4. April 2006 – B 1 KR 7/05 R, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4 = juris, jeweils Rn 34 ff <Tomudex®>). Daraus folgt, dass Arzneimittel, für die eine Zulassung abgelehnt worden ist, für die eine Zulassung abzulehnen gewesen wäre oder für die eine Zulassung zurückgenommen, widerrufen oder ruhend gestellt worden ist, auch nicht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zulasten der gKV verordnet werden können.

d)    Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Seltenheitsfalls sind nicht ersichtlich. Hierzu dürfte das Krankheitsbild aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar sein (stRspr des BSG, s bspw Urteil vom 19. März 2020 – B 1 KR 20/19 R, BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18 = juris, jeweils Rn 40 mwN). Das ist nicht der Fall.

4.    Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass es in diesen Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf ein Verschulden der Klägerin nicht ankommt (stRspr des BSG, s bspw Urteil vom 5. Mai 2010 – B 6 KA 5/09 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 28 = juris, jeweils Rn 26; Urteil vom 5. November 2008 – B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 21 = juris, jeweils Rn 28).

5.    Der Festsetzung eines Regresses hätte auch keine Beratung durch die Prüfgremien vorangehen müssen. Nach stRspr des BSG ist eine vorgängige Beratung nicht geboten, wenn dem Arzt - wie vorliegend der Klägerin - im Einzelfall vorgeworfen wird, das verordnete Arzneimittel sei von der Leistungspflicht der gKV nicht gedeckt, zB weil es bereits an der Verordnungsfähigkeit des Arzneimittels fehlt (sog Basismangel, BSG, Urteil vom 5. November 2008 – B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 21 = juris, jeweils Rn 27; Urteil vom 3. Februar 2010 – B 6 KA 37/08 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 = juris, jeweils Rn 23).

6.    Schließlich ist auch die Höhe der verfügten Regresse nicht zu beanstanden. Zu Recht hat der Beklagte einen Schadensersatz in Höhe des vollen Nettopreises festgesetzt und nicht nur die Differenz zwischen diesem Preis und dem einer ggf kostengünstigeren Rezeptur. Denn nach stRspr des BSG wird der durch eine unrechtmäßige ärztliche Verordnung eingetretene Schaden nicht dadurch infrage gestellt, dass der Krankenkasse des Versicherten auch bei einer rechtmäßigen Verordnung Kosten entstanden wären (BSG, Urteil vom 20. März 2013 – B 6 KA 17/12 R, SozR 4-5540 § 48 Nr 2 = juris, jeweils Rn 36 f; Urteil vom 13. August 2014 – B 6 KA 38/13 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 47 = juris, jeweils Rn 36). Diese Rspr berücksichtigt, dass es auf die Beachtung der für die vertragsärztliche Versorgung geltenden Bestimmungen nicht mehr ankäme, wenn die Kosten, die hypothetisch bei rechtmäßigem Verhalten angefallen wären, schadensmindernd berücksichtigt würden (BSG, aaO).

D.   Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung von § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 1 und §§ 162 Abs 3, 154 Abs 3 der Verwaltungsgerichtsordnung <VwGO>. Die Klägerin hat die Kosten der von ihr ohne Erfolg geführten Klagen (in beiden Rechtszügen) zu tragen.

E.    Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor.

F.    Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf der Anwendung von § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 3 S 1 des Gerichtskostengesetzes <GKG>. Maßgeblich ist die mit den angefochtenen Urteilen für den Beklagten verbundene Beschwer. Diese liegt nach dem Verbinden bei insgesamt 3.580,12 Euro und zuvor bei 893,02 Euro und 2.687,10 Euro (für das ursprünglich selbstständige Berufungsverfahren L 3 KA 145/15).

Rechtskraft
Aus
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