S 28 KR 882/23

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 882/23
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine Fraktion des Deutschen Bundestages ist insolvenzfähig, so dass die Zahlungspflicht zur Insolvenzgeldumlage festzustellen ist.

ENTWURF

Sozialgericht Berlin

 

 

S 28 KR 882/23

Bild entfernt.

verkündet am
11. Dezember 2024

 

 

 

 

 

 

 

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

        

 

- Kläger -

Proz.-Bev.:

gegen

         BKK mkk – meine krankenkasse,  

Lindenstr. 67, 10969 Berlin,

- Beklagte -

1.      GKV-Spitzenverband der Krankenkassen,  

Reinhardtstr. 28, 10117 Berlin,

2.      Bundesagentur für Arbeit,
vertreten durch die Geschäftsführerin des Operativen Service der Agentur für Arbeit Berlin-Mitte

Charlottenstr. 87-90, 10969 Berlin,

- Beigeladene -

 

 

 

hat die 28. Kammer des Sozialgerichts Berlin auf die mündliche Verhandlung am 11. Dezember 2024 durch die Richterin am Sozialgericht … sowie die ehrenamtliche Richterin … und den ehrenamtlichen Richter für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Festsetzung der Insolvenzgeldumlage.

Die Klägerin ist eine Bundestagsfraktion, deren Mitarbeiter zum Teil bei der Beklagten krankenversichert sind.

Mit Bescheid vom 1. November 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2023 stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Zahlungspflicht zur Insolvenzgeldumlage fest und erhob die Insolvenzgeldumlage für den Monat Juli 2021 in Höhe von 20,06 Euro und für die Monate August bis Oktober 2021 in Höhe von 18,22 Euro monatlich.

Am 23. Mai 2023 hat die Klägerin Klage erhoben.

Die Klägerin trägt vor, dass sie als Fraktion des Deutschen Bundestages nicht insolvenzfähig und daher auch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen nicht möglich sei. Nach §§ 358 Abs. 2 SGB III, 12 Abs. 1 S. 2 InsO sei die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über Personen des öffentlichen Rechts nicht möglich. Die Bundestagsfraktion sei ein öffentlich-rechtliches Gebilde sui generis. Außerdem sei § 358 Abs. 1 S. 2 SGB III erfüllt. Da die Fraktion von notwendigen Aufwendungen vom Bundeshaushalt freigestellt werde, sei die Zahlungsfähigkeit durch öffentlich-rechtliche Mittel gesichert. Des Weiteren seien die Ausnahmetatbestände der §§ 328 Abs. 1 S. 2 SGB III und 12 Abs. 1 S. 2 InsO verfassungskonform auszulegen. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG garantiere die Freiheit des Mandats für Fraktionsmitglieder. Das daraus folgende Recht auf unabhängig organisierte Selbstbestimmung widerspreche der Funktion eines Insolvenzverwalters. Die Klägerin verweist im Weiteren auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages vom 26. September 2019. Danach sei die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über Vermögen des Bundes unzulässig. Außerdem würde der Übergang der Verfügungsgewalt auf den Verwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Ablauf des Bundestages stören. Insoweit sei auf die Parallele zu den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Rundfunkanstalten hinzuweisen. Das von der Beklagten zitierte Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtages Rheinland-Pfalz vom 13. Oktober 2003 beruhe auf Landesrecht und sei im Übrigen im Ergebnis unbestimmt.

Nachdem die Klägerin den Hilfsantrag auf Feststellung, dass sie insolvenzgeldfähig sei, zurückgenommen hat, beantragt sie,

den Festsetzungsbescheid der Beklagten vom 1. November 2021 in Verfassung des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2023 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass die Klägerin nicht zu den Ausnahmen für besondere Arbeitgebergruppen gehöre. Die Beklagte verweist auf eine Besprechung zwischen Beigeladenem zu 1, Beigeladener zu 2 und der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 24. März 2021. Aus dieser ergebe sich unter TOP 7, dass die Fraktionen nicht unter die in § 11 Nr. 1 AAG genannten Ausnahmen fielen. Fraktionen seien nach einer Entscheidung des BAG vom 16. Mai 2019 (8 AZR 316/18) kein Teil der öffentlichen Verwaltung, sie übten keine öffentliche Gewalt aus. Fraktionen seien rechtlich selbständig und nicht Organe des Parlaments. Sie seien nicht in die staatliche Behördenstruktur eingegliedert. Fraktionen seien auch keine sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts, da es an einer Verleihung dieses Status durch staatlichen Hoheitsakt fehle. Es fehle auch einer Freistellung im Sinne des § 359 Abs. 1 S. 2 SGB III. In Anlehnung an § 12 InsO müsse der gesetzliche Sicherungsumfang bei Zahlungsunfähigkeit einer Fraktion mindestens Leistungen vorsehen, die nach dem SGB III im Falle eines Insolvenzereignisses nach § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 3 von Arbeitnehmern beansprucht werden könnten. Dies sei nicht gegeben.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Der Beigeladene zu 1 verweist auf das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtages Rheinland-Pfalz vom 13. Oktober 2013. Die Beigeladene zu 2 verweist darauf, dass das Ergebnis der Besprechung vom 24. März 2021 eine Verbindliche Verfahrensinformation enthalte.

Wegen des Inhaltes der Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 26. September 2019 und des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtages Rheinland-Pfalz vom 13. Oktober 2003 sowie wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte über die Sache entscheiden, obwohl zur mündlichen Verhandlung seitens der Beigeladenen zu 1 niemand erschienen ist, weil diese ordnungsgemäß über den Termin benachrichtigt und in der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde (vgl. §§ 110 Abs. 1 S.2, 126 SGG).

Die Klage hat keinen Erfolg.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

1.

Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Umlage durch die Beklagte sind die §§ 28h Abs. 2, 28d S. 1 und 2, 28i S. 1 SGB IV. Unter der Betriebsnummer … (…) sind bei der Beklagten mehrere Arbeitnehmer der Klägerin gemeldet, so dass diese als Einzugsstelle für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge auch die Umlage für die Zahlung des Insolvenzgeldes festzusetzen hat.

2.

Nach § 358 Abs. 1 S. 1 SGB III werden die Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes durch eine monatliche Umlage von den Arbeitgebern aufgebracht.

Das von der Beklagten genannte AAG (Gesetz über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung) ist insoweit nicht einschlägig.

Nach § 358 Abs. 1 S. 2 SGB III werden bestimmte Arbeitgeber, nämlich der Bund, die Länder, die Gemeinden sowie Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren nicht zulässig ist, und solche juristischen Personen des öffentlichen Rechts, bei denen der Bund, ein Land oder eine Gemeinde kraft Gesetzes die Zahlungsfähigkeit sichert, und private Haushalte nicht in die Umlage einbezogen.

Die Insolvenzfähigkeit ist in §§ 11, 12 der InsO geregelt. Gemäß § 11 Abs. 1 InsO kann ein Insolvenzverfahren über das Vermögen jeder natürlichen und jeder juristischen Person eröffnet werden; der nicht rechtsfähige Verein steht insoweit einer juristischen Person gleich. Für bestimmte juristische Personen des öffentlichen Rechts sieht § 12 Abs. 1 InsO eine Ausnahme von der in § 11 InsO normierten generellen Insolvenzfähigkeit juristischer Personen vor. Danach ist unzulässig das Insolvenzverfahren über das Vermögen (1.) des Bundes oder eines Landes und (2.) einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht eines Landes untersteht, wenn das Landesrecht dies bestimmt.

Die Regelungsgehalte des § 12 InsO und § 358 Abs. 1 S. 2 SGB III überschneiden sich in dem hiesigen Zusammenhang insoweit teilweise, dass für einige Fälle sowohl die Insolvenzfähigkeit nach InsO als auch explizit (erneut) die Umlage nach SGB III ausgeschlossen ist.

Im Ergebnis liegt hier für die Fraktionen des Bundestages keiner der Ausschlusstatbestände von der Insolvenzumlage nach § 358 Abs. 1 S.1 SGB III beziehungsweise § 12 InsO vor.

a)

Die Fraktionen des Bundestages sind nicht „Bund“ im Sinne der Regelungen (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 InsO bzw. § 358 Abs. 1 S. 2 SGB III). Diese Ausnahmevorschrift folgt dem Grundsatz, dass der Staat mit seinem Staatshaushalt und der zumindest theoretisch unbeschränkten Möglichkeit weiterer Steuererhebung nicht insolvenzfähig ist. Dies trifft ungeachtet aller (theoretischer) Streitigkeiten über den Rechtscharakter der Fraktionen auf diese nicht zu. Die Fraktionen handeln nach allgemeiner Ansicht nicht als Organ des Staates. Die Fraktionen des Bundestages sind gesetzlich im Zwölften Abschnitt des Abgeordnetengesetzes (AbgG) geregelt. Nach § 54 Abs. 1 AbgG sind die Fraktionen rechtsfähige Vereinigungen, die nach § 54 Abs. 2 AbgG selbständig klagen und verklagt werden können. Sie sind nicht Teil der öffentlichen Verwaltung und üben keine öffentliche Gewalt aus (§ 54 Abs. 3 AbgG). Sie stehen dem Staat nach der ausdrücklichen Regelung in § 54 Abs. 2 AbgG also als eigenständige juristische Personen gegenüber. Sie erhalten begrenzte Mittel aus dem Bundeshaushalt (vgl. § 58 Abs. 1 AbgG) und verfügen somit über ein von diesem abgrenzbares Vermögen, das sie eigenständig und unabhängig verwalten.

b)

Die Fraktionen des Bundestages sind auch keine juristischen Personen des Öffentlichen Rechts, bei denen der Bund, ein Land oder eine Gemeinde kraft Gesetzes die Zahlungsfähigkeit sichert (§ 358 Abs. 1 S. 2 SGB III). Die Fraktionen sind (ungeachtet aller theoretischen Streitigkeiten) nach obigen Ausführungen zwar als juristische Personen des Öffentlichen Rechts anzusehen. Eine Gewährleistungspflicht des Bundes oder gar ein gesetzlich geregelter Übergang von Verbindlichkeiten auf den Bund bei Überschuldung einer Fraktion findet sich – im Gegensatz etwa zu den Regelungen in § 10 Abs. 3 Sächsisches Fraktionsrechtsstellungsgesetz oder § 9 Abs. 4 Hamburgisches Fraktionsgesetz – auf Bundesebene weder im AbgG noch an anderer Stelle. Insbesondere findet er sich nicht in der Regelung zur Ausstattung der Fraktionen mit Geld- und Sachleistungen in § 58 AbgG. Denn dieser regelt nach Abs. 4 zweckgebundene und nach Abs. 2 jährlich festgelegte Beträge. Daraus ergibt sich keine Absicherung der Zahlungsfähigkeit generell.

Eine den Vorgaben des § 358 Abs. 1 S. 2 SGB III entsprechende Absicherung der Zahlungsunfähigkeit einer Fraktion ist auch nicht verfassungsrechtlich geboten oder unmittelbar aus dem Verfassungsrecht herzuleiten. Eine Überleitung der Verbindlichkeiten oder Ausfallshaftung des Bundes ergibt sich nicht aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch der Fraktionen auf eine angemessene finanzielle Ausstattung (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 16. Juli 1991, 2 BvE 1/91). Zum einen ist dieser Anspruch durch die Voraussetzung der Angemessenheit nicht nur anspruchsbegründend, sondern auch begrenzend. Die finanzielle Ausstattung muss den Fraktionen eine sachgemäße Erfüllung ihrer Aufgaben ermöglichen, sie geht aber nicht darüber hinaus. Soweit die Fraktion also Mittel nicht sachgemäß – etwa entgegen den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit – einsetzt, kann sich der Anspruch auf eine angemessene finanzielle Ausstattung darauf nicht erstrecken. Außerdem bezieht sich der Anspruch nicht auf die Freistellung von konkreten Forderungen, sondern wird durch die pauschale Zuweisung von Mitteln erfüllt (vgl. einfachgesetzliche Umsetzung in § 58 Abs. 2 AbgG). Kann die Fraktion von ihr eingegangene Verbindlichkeiten aus den ihr zur Verfügung gestellten Mitteln nicht erfüllen, erweitert sich der Anspruch nicht um die Freistellung von diesen Verbindlichkeiten, sondern bleibt beschränkt auf die insgesamt zur sachgemäßen Wahrnehmung erforderlichen Gesamtsumme.

Die weiteren ausdrücklich geregelten Fälle des § 12 InsO und § 358 Abs. 1 Satz 2 SGB III sind hier offensichtlich nicht einschlägig.

3.

Des Weiteren sind die Fraktionen auch nicht von der Umlage ausgenommen, weil über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren aus übergeordneten verfassungsrechtlichen Gründen nicht zulässig wäre (s. u.a. Jaeger, InsO, § 12 Rn 47). Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Sinne zwar ohne gesetzliche Regelung unmittelbar aus dem Verfassungsrecht die Insolvenzunfähigkeit der Kirchen (BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 1983, 2 BvL 13/82, 2 BvL 14/82, 2BvL 15/82, BVerfGE 66, 1 ff.) und der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1992, 1 BvL 35/81, BVerfGE 89, 144 ff.) hergeleitet. Diese Rechtsprechung ist aber nicht auf die Fraktionen übertragbar.

Zum einen stellt die Argumentation in den genannten Entscheidungen entscheidend auf den Umstand ab, dass sowohl bei den Kirchen (BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 1983, 2 BvL 13/82, 2 BvL 14/82, 2BvL 15/82, BVerfGE 66, 1/21) als auch bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durch die Gewährleistungspflicht des Staates (BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1992, 1 BvL 35/81, BVerfGE 89, 144/153 ff.) ein jedenfalls praktisch unbegrenztes Vermögen als Haftungsmasse vorhanden ist. Somit könne praktisch ausgeschlossen werden, dass es zur Zahlungsunfähigkeit komme und es entfalle das Bedürfnis der Insolvenzfähigkeit. Dies ist nach obigen Ausführen bei den Fraktionen des Bundestages gerade nicht der Fall. Fraktionen steht keine eigene oder fremde Vermögensmasse zur Verfügung, die den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit faktisch ausschließt.

Zum anderen stützen sich die genannten Entscheidungen auf Grundrechte, die jeweils unmittelbar ein institutionelles und kollektives Organisationsrecht beinhalten (einerseits die kollektive Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3, 5 und 6 WRV und andererseits die Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Fraktionen verfügen über eine entsprechendes verfassungsrechtliche verbürgtes Organisationsrecht nicht. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in anderen Zusammenhängen aus der Regelung zum freien Mandat in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG eine verfassungsrechtlich relevante Funktion der Parlamentsfraktionen bei der Meinungs- und Willensbildung der Abgeordneten hergeleitet hat (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 1976, 2 BvR 802/5, BVerfGE 43, 142; BVerfGE, Urteil vom 16. Juli 1991, 2 BvE 1/91, BVerfGE 84, 304), so ist damit keine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht oder der Rundfunkfreiheit vergleichbare Organisations- und Wirtschaftsautonomie verbunden. Die vom Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang anerkannten Fraktionsrechte beziehen sich allesamt unmittelbar auf die Stellung bei der parlamentarischen Arbeit.

Dementsprechend sind auch die denkbaren Eingriffe in einem etwaigen Insolvenzverfahren unterschiedlich zu bewerten. Im Falle der kollektiven Religionsfreiheit und des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen sowie der Rundfunkfreiheit kann durch die Entscheidung über die Mittelverwendung unmittelbar die Ausübung der jeweils geschützten Freiheit beeinträchtigt werden. Demgegenüber ist der Eingriff in die freie Mandatsausübung des Mandatsträgers durch eine Beeinflussung der Mittelverwendung auf Fraktionsebene nur sehr mittelbar denkbar. Außerdem erhält auch jeder Abgeordnete unabhängig von der Fraktion unmittelbar eigene finanzielle Mittel als Amtsausstattung, die seine durch die Mandatsausübung veranlassten Aufwendungen entschädigt (vgl. § 12 AbgG). Insofern hängt die Mandatsausübung – anders als die Arbeit der Rundfunkanstalten und der Kirchen – nicht an den Fraktionsmitteln. Soweit einzelne denkbare Eingriffsmaßnahmen eines Insolvenzverwalters im Rahmen der Insolvenzverwaltung gegen Rechte der Fraktion oder einzelner Mandatsträger verstoßen sollten (etwa das Einsichtsrecht in Korrespondenz), wäre diese Maßnahmen im Einzelfall zu unterlassen. Dies zieht aber nicht die Notwendigkeit nach sich, die Fraktionen schlechterdings für insolvenzunfähig zu erklären.

Spätestens mit dem Eintritt in die Liquidationsphase (vgl. § 62 AbgG) nehmen die (ehemaligen) Fraktionen keine der Mandatsausübung dienende Funktion mehr wahr. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt steht einer Insolvenzfähigkeit also keine verfassungsrechtliche Rechtsposition aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG mehr entgegen. Da es – wieder im Gegensatz zu Kirchen oder Rundfunkanstalten – regelmäßig zur Auflösung von Fraktionen des Bundestages kommt, besteht also absehbar zumindest eine Phase der Insolvenzfähigkeit.

Dem widerspricht auch nicht, dass der Gesetzgeber mit § 62 AbgG zwar eine Liquidation, aber keine Insolvenz von Fraktionen vorgesehen hat. Eine ausdrückliche Regelung zur Insolvenzfähigkeit ist vor dem Hintergrund des § 11 InsO entbehrlich. Die Argumentation, die Regelung zur Liquidation im AbgG seien als spezialgesetzliche Regelungen gegenüber dem Insolvenzrecht anzusehen, ist nicht überzeugend. Die (ordentliche) Liquidation nach § 62 AbgG ist etwas anderes als das Insolvenzverfahren nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Eine Liquidation nach § 62 AbgG wird in aller Regel nicht mit Zahlungsunfähigkeit einhergehen. Tritt jedoch Zahlungsunfähigkeit der Fraktion ein, ist auch zum Schutz der betroffenen Gläubiger die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bei der Liquidation angezeigt.

Demgegenüber steht ein durchaus erhebliches Schutzbedürfnis der Gläubiger, insbesondere von Mitarbeitern der Fraktionen bei Zahlungsunfähigkeit. Es widerspricht sowohl der Konzeption der Insolvenzordnung wie auch des § 358 SGB III die Insolvenzunfähigkeit einer juristischen Person des Öffentlichen Rechts anzunehmen, deren Gläubiger letztlich vor einer ungesicherten Überschuldung dieser juristischen Person nicht geschützt sind.

Nach alldem ist es nicht verfassungsrechtlich zwingend, die Fraktionen des Bundestages schlechterdings für insolvenzunfähig zu erklären. Sollte hier ein generelles Bedürfnis gesehen werden, steht es dem Bundesgesetzgeber frei, eine den Regelungen in § 18 Abs. 5 Brandenburgisches Fraktionsgesetz, § 10 Abs. 3 Sächsisches Fraktionsrechtsstellungsgesetz oder § 9 Abs. 4 Hamburgisches Fraktionsgesetz vergleichbare Regelung zu schaffen und damit einerseits die Gefährdungslage für die betroffenen Fraktionsmitarbeiter bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und somit andererseits die Insolvenzfähigkeit auszuschließen.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197 a SGG, 154 VwGO und folgt der Entscheidung in der Sache. Da die Beigeladenen keinen Antrag gestellt haben, entspricht es der Billigkeit, dass ihre außergerichtlichen Kosten nicht von der Klägerin zu tragen sind, § 162 Abs. 3 VwGO

Die Kammer hat die Sprungrevision zugelassen.

Gemäß § 161 Abs. 1 SGG steht den Beteiligten gegen das Urteil eines Sozialgerichts die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht im Urteil oder auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Die Revision ist gemäß § 161 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn ein Revisionsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG vorliegt.

Ein Revisionsgrund nach §§ 161 Abs. 2 S. 1, 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG ist gegeben. Gemäß §§ 161 Abs. 2, 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG ist die Sprungrevision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Von einer grundsätzlichen Bedeutung ist dann auszugehen, wenn sich eine Rechtsfrage stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich und auch durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (vgl. Leitherer, in: Meyer/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 160, Rn. 6, m.w.N.). Die klärungsbedürftige Frage im vorliegenden Fall, ob eine Fraktion des Bundestages zur Insolvenzgeldumlage nach § 358 Abs. 1 SGB III herangezogen werden kann und damit, ob eine Fraktion des Bundestages insolvenzfähig ist, ist eine Rechtsfrage von Bedeutung über den entschiedenen Einzelfall hinaus. Die Frage stellt sich für sämtliche Parlamentsfraktionen, sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene, soweit es an Gesetzen zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit im Sinne des § 348 Abs. 1 S. 2 SGB III fehlt. Eine obergerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage liegt bisher nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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