Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 6. Juni 2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des klägerischen Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 15. Mai 2020 bis 5. Januar 2021.
Der 1990 in Polen geborene, ledige und kinderlose Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und hat seinen Wohnsitz seit August 2007 in Deutschland. Er war vor dem streitgegenständlichen Zeitraum zuletzt vom 1. Juni 2018 bis 31. Januar 2020 in Stettin als Technologe beschäftigt und beim polnischen Sozialversicherungsträger (ZUS) versichert. Er erzielte in der Zeit von Februar 2019 bis Januar 2020 folgendes Arbeitsentgelt in polnischen Zloty (PLN): Februar bis Juli 2019 jeweils 3.580,- PLN, August 2019 2.557,12 PLN, September 2019 3.409,60 PLN, Oktober und November 2019 jeweils 3.580,- PLN, Dezember 2019 2.446,18 PLN, Januar 2020 3.580,- PLN. Der Kläger pendelte arbeitstäglich von Deutschland, wo er in M (Uckermark/Land Brandenburg) wohnte und lebte, nach Stettin. Am 23. Februar 2020 meldete sich der Kläger, der sich sofort nach seiner Kündigung bereits in Polen arbeitslos gemeldet hatte, bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte zuletzt Alg für die Zeit vom 15. Mai 2020 bis 5. Januar 2021 (142 Tage) in Höhe eines Leistungsbetrages von 12,56 € tgl (Änderungsbescheid vom 10. November 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2020).
Das Sozialgericht (SG) Neuruppin hat die auf Gewährung von höherem Alg im Streitzeitraum gerichtete Klage unter Bezugnahme auf die Berechnungen der Beklagten in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 6. Juni 2024). Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren auf höheres Alg weiter. Bei ihm sei ein vergleichbares Entgelt eines Technologen bzw Ingenieurs in Deutschland entsprechend seiner Diplom-Ausbildung in Polen zugrunde zu legen, nicht die polnische Vergütung in PLN. Auszugehen sei daher von einem Jahresnettoeinkommen iHv 45.640,- €.
Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 6. Juni 2024 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 10. November 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2020 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 15. Mai 2020 bis 5. Januar 2021 höheres Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (vgl §§ 153 Abs.1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Ihm steht für den streitbefangenen Leistungszeitraum vom 15. Mai 2020 bis 5. Januar 2021 kein höheres Alg als das von der Beklagten iH eines Leistungsbetrages von tgl 12,56 € bewilligte zu.
Gegenstand des Verfahrens sind neben dem SG-Gerichtsbescheid der Änderungsbescheid vom 10. November 2020, der den Bescheid vom 27. Oktober 2020 iSv § 86 SGG in vollem Umfang ersetzt hat, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2020.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Gewährung von Alg auf der Grundlage eines höheren Bemessungsentgelts als 26,17 € tgl zu. Die Bemessung in den angefochtenen Bescheiden der Beklagten erweist sich als rechtmäßig.
Der Kläger hatte dem Grunde nach gegen die Beklagte einen Anspruch auf Alg für den streitbefangenen Zeitraum. Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen, das auch bei einer Klage auf höhere Leistungen stets zu prüfen ist (stRspr; vgl zB Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 17. September 2020 - B 11 AL 1/20 R = SozR 4-6065 Art 62 Nr 2 – Rn 14 mwN), ist zu bejahen. Der Kläger hatte sich persönlich arbeitslos gemeldet (§ 137 Abs. 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung -<SGB III> iVm § 141 SGB III) und war in der Folgezeit bis zum 5. Januar 2001 auch arbeitslos (§ 137 Abs. 1 Nr 1 SGB III, § 138 Abs. 1 SGB III). Unter Berücksichtigung der nach polnischen Rechtsvorschriften vom 1. Juni 2018 bis 31. Januar 2020 zurückgelegten Beitragszeiten hatte er auch die Anwartschaftszeit erfüllt, weil er innerhalb der Rahmenfrist von 30 Monaten, beginnend mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg, dh im Zeitraum vom 1. Februar 2019 bis 31. Januar 2020, mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (vgl § 142 Abs. 1, § 143 Abs. 1 SGB III in der seit 1. Januar 2020 gültigen Fassung des Gesetzes vom 18. Dezember 2018 <BGBl I 2651>).
Diese Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in Polen sind für den auf nationalem Recht beruhenden Anspruch des Klägers gegen die Beklagte nach Art. 61 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO 883/2004) maßgebend, weil der Kläger während seiner Tätigkeit in Polen als Grenzgänger anzusehen war. Als Grenzgänger wird eine Person bezeichnet, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt und in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, in den sie in der Regel täglich, mindestens jedoch einmal wöchentlich zurückkehrt (Art. 1 Buchst f VO 883/2004). Dies traf auf den Kläger während der in Rede stehenden Beschäftigung in Polen nach seinen insoweit berichtigten und belegten Angaben im Verwaltungsverfahren zu. Zumindest war der Kläger in dieser Zeit aber als sog unechter Grenzgänger anzusehen. Dies ist dann der Fall, wenn die Beziehung zum Wohnstaat stärker gelockert ist, weil der Erwerbstätige seltener als einmal wöchentlich dorthin zurückkehrt (vgl zum Ganzen BSG, Urteil vom 29. März 2022 – B 11 AL 4/21 R = SozR 4-4300 § 151 Nr 3 – Rn 13 mwN). Die Abgrenzung kann im vorliegenden Fall unentschieden bleiben. Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits entschieden, dass der Statutenwechsel vom Beschäftigungs- zum Wohnstaat in dieser Konstellation nur eintritt, wenn der unechte Grenzgänger nach Eintritt der Arbeitslosigkeit in seinen Wohnstaat zurückkehrt, um dort Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2017 - B 11 AL 21/16 R = SozR 4-6065 Art 65 Nr 1 – Rn 18). Dieses aus Art. 65 Abs. 2 Satz 3 VO 883/2004 folgende Wahlrecht hat der Kläger ausgeübt, indem er sich bei der Beklagten arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat. Unabhängig von der Frage, ob der Kläger stets mindestens einmal wöchentlich nach Deutschland zurückgekehrt ist oder seltener, ist die Beklagte daher der für ihn zuständige Träger (Art. 65 Abs. 2, 5 VO 883/2004) und richtet sich sein Anspruch nach deutschem Recht (Art. 11 Abs. 3 Buchst c VO 883/2004). Schließlich gilt auch die für die Erfüllung der Anwartschaftszeit maßgebliche Berücksichtigung der im Beschäftigungsstaat zurückgelegten Versicherungszeiten nach Art. 61 Abs.1 VO 883/2004 sowohl für echte als auch für unechte Grenzgänger (vgl BSG, Urteil vom 29. März 2022 – B 11 AL 4/21 R – aaO mwN).
Anspruch auf Alg besteht nach § 149 SGB III iHv 67 bzw 60 Prozent des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Gemäß § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 150 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (§ 151 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Leistungsentgelt ist das nach Maßgabe von § 153 SGB III um pauschalierte Abzüge verminderte Bemessungsentgelt.
Der Kläger hat danach im Bemessungszeitraum vom 1. Februar 2019 bis 31. Januar 2020 umgerechnet von PLN in € (vgl insoweit zur maßgebenden Umrechnung Art. 90 der Verordnung <EG> Nr 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO 883/2004; Referenzwechselkurs der Europäischen Zentralbank am 1. Februar 2020: 1 PLN = 0,23505077 €) ein Bruttoentgelt iHv insgesamt 9.550,78 € erzielt (vgl die zutreffende Aufstellung der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2020). Daraus ergibt sich rechnerisch (für jeden der 365 Tage des Bemessungszeitraums) ein Bemessungsentgelt iHv 26,17 €. Das tägliche Bemessungsentgelt ist nach § 153 Abs. 1 Satz 1 SGB III um pauschalierte Abzüge zu vermindern. Abzüge sind gemäß § 153 Abs. 1 Satz 2 SGB III in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes vom 18. Dezember 2018 (BGBl I 2651) eine Sozialversicherungspauschale iHv 20 Prozent des Bemessungsentgelts (Nr 1), die Lohnsteuer, die sich nach dem vom Bundesministerium der Finanzen aufgrund des § 51 Abs 4 Nr 1a Einkommensteuergesetz (EStG) bekannt gegebenen Programmablaufplans bei Berücksichtigung der Vorsorgepauschale nach § 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 Buchst a bis c EStG zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, ergibt (Nr 2) und der Solidaritätszuschlag (Nr 3). Ergänzend zu § 153 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III bestimmt § 153 Abs. 2 Satz 1 SGB III, dass sich die Feststellung der Lohnsteuer nach der Lohnsteuerklasse richtet, die zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, als Lohnsteuerabzugsmerkmal gebildet war. Spätere Änderungen der Lohnsteuerklasse sind nach Maßgabe von § 153 Abs. 2 Satz 2 SGB III zu berücksichtigen.
Die Beklagte hat keine Abzüge für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag vorgenommen und somit abzüglich der Sozialversicherungspauschale iHv 20 Prozent zutreffend ein Leistungsentgelt von tgl 20,94 € errechnet. Hieraus errechnet sich für den kinderlosen Kläger bei einem allgemeinen Leistungssatz von 60 Prozent (vgl § 149 Nr 2 SGB III) im Streitzeitraum ein Alg-Leistungsbetrag iHv tgl 12,56 €.
Für die von dem Kläger begehrte fiktive Bemessung nach Maßgabe eines vergleichbaren Ingenieursgehalts in Deutschland existiert keine Rechtsgrundlage. Die Voraussetzungen einer fiktiven Bemessung nach § 152 SGB III in der bis 30. September 2022 geltenden Fassung liegen nicht vor, weil der Kläger bereits im einjährigen Bemessungszeitraum 365 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt hatte. Letztlich begehrt er eine Bemessung anhand von höheren als den in Polen tatsächlich versicherten Entgelten, die weder in nationalem Recht noch im Unionsrecht eine Grundlage findet. Vielmehr ergibt sich aus Art. 65 Abs. 5 Buchst a Satz 1 VO 883/2004 und Art. 63 Abs. 3 VO 883/2004 eine Gleichbehandlung eines ehemaligen Grenzgängers mit Arbeitslosen, die zuletzt im Wohnstaat beschäftigt waren. Aus dieser folgt, dass dem Grenzgänger – hier dem Kläger - auf der Grundlage seines im Beschäftigungsstaats – hier Polen - erzielten Entgelts eine Arbeitslosenunterstützung in derselben Höhe zuerkannt wird wie einem Arbeitnehmer, der im Wohnstaat ebenso hohe Einkünfte erzielt hat (vgl zur Geltung der inländischen Beitragsbemessungsgrenze auch für in Deutschland wohnhafte Grenzgänger BSG, Urteil vom 29. März 2022 – B 11 AL 4/21 R - aaO). Zudem obliegt die Ausgestaltung von Dauer und Höhe der Arbeitslosenunterstützung den Mitgliedstaaten, denen durch das lediglich koordinierende europäische Sozialrecht insoweit keine Beschränkungen auferlegt sind (vgl insoweit BSG, Urteil vom 12. Dezember 2017 – B 11 AL 21/16 R – aaO – Rn 20).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.