S 2 R 256/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Heilbronn (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 256/24
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze

Die jüngere Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg, wonach ein Antrag auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, mit dem die Gewährung einer laufenden Sozialleistung abgelehnt worden ist, in der Regel zugleich einen neuen Antrag auf die laufende Leistung selbst enthalten soll (LSG Baden-Württemberg vom 26.09.2024, L 10 R 1533/24, Rn. 22 juris) kann nicht in Fällen gelten, in denen von Rechtsanwälten oder vergleichbar qualifizierten Prozessbevollmächtigten lediglich ein ausdrücklicher Überprüfungsantrag gestellt worden ist. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen von Rechtsanwälten oder vergleichbar qualifizierten Prozessbevollmächtigten ist nämlich in der Regel davon auszugehen, dass diese das Gewollte richtig wiedergeben (BSG vom 17.09.2020, B 4 AS 13/20 R, Rn. 23 juris). Nicht anderes kann bei der Auslegung von Anträgen im Verwaltungsverfahren gelten.

 

Gericht:

Sozialgericht Heilbronn

 

Datum:

09.01.2025

 

Aktenzeichen:

S 2 R 256/24

 

Entscheidungsart:

Gerichtsbescheid

 

 

 

 

 

 

Normenkette:

§ 44 SGB X

 

Titelzeile:

Zu LSG Baden-Württemberg vom 26.09.2024, L 10 R 1533/24: Keine Auslegung eines von einem Rechtsanwalt ausdrücklich gestellten  Überprüfungsantrags als neuer Leistungsantrag

 

Leitsatz:

Die jüngere Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg, wonach ein Antrag auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, mit dem die Gewährung einer laufenden Sozialleistung abgelehnt worden ist, in der Regel zugleich einen neuen Antrag auf die laufende Leistung selbst enthalten soll (LSG Baden-Württemberg vom 26.09.2024, L 10 R 1533/24, Rn. 22 juris) kann nicht in Fällen gelten, in denen von Rechtsanwälten oder vergleichbar qualifizierten Prozessbevollmächtigten lediglich ein ausdrücklicher Überprüfungsantrag gestellt worden ist.

 

Bei der Auslegung von Prozesserklärungen von Rechtsanwälten oder vergleichbar qualifizierten Prozessbevollmächtigten ist nämlich in der Regel davon auszugehen, dass diese das Gewollte richtig wiedergeben (BSG vom 17.09.2020, B 4 AS 13/20 R, Rn. 23 juris). Nicht anderes kann bei der Auslegung von Anträgen im Verwaltungsverfahren gelten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tenor:

 

Die Klage wird abgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

Tatbestand

 

Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer, statt auf Zeit.

 

Mit Bescheid vom 04.11.2021 bewilligte die DRV B dem im Jahr 1966 geborenen Kläger ab 01.11.2019 befristet bis 31.10.2022 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Rentenanspruch sei zeitlich begrenzt, weil die volle Erwerbsminderung nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand des Klägers beruhe, sondern auch auf den Verhältnissen des Arbeitsmarkts.

 

Grundlage der Bewilligung war der Entlassungsbericht der S-Klinik zu einer vom 27.05.2021 bis 24.06.2021 vom Kläger absolvierten Rehabilitationsmaßnahme. Im Entlassungsbericht waren nachstehende Diagnosen genannt worden: Rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode), Leberzirrhose bei chronischer Hepatitis, latente Hypothyreose (medikamentös substituiert), Adipositas Grad III und (Zustand nach) Leukämie im Kindesalter, Chemotherapie und Stammzellentransplantation in den 70er Jahren. Seit April 2019 sei der Kläger hinsichtlich seiner Teilzeittätigkeit (25 Stunden pro Woche) als Staplerfahrer wegen der depressiven Symptomatik arbeitsunfähig. Aus psychologischer Sicht liege das Leistungsvermögen hinsichtlich der letzten Tätigkeit aktuell bei unter 3 Stunden pro Tag. Die Leberzirrhose führe zu einer Einschränkung der allgemeinen Leistungsfähigkeit auf leichte Tätigkeiten.

 

Dr. D vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten hatte in einer Stellungnahme vom 15.09.2021 der Bewertung des Leistungsvermögens durch die S-Klinik zugestimmt. Eine Besserung hielt sie wegen der Wechselwirkung der somatischen und psychosomatischen Beschwerden für unwahrscheinlich.

 

Mit Bescheid vom 22.06.2022 gewährte die DRV B die Rente weiterhin auf Zeit bis zum 30.06.2024. Zuvor hatte die Psychiaterin H vom sozialmedizinischen Dienst der DRV B in ihrer Stellungnahme vom 22.06.2022 erklärt, unter Berücksichtigung des Reha-Entlassungsberichts (wie Dr. D) von einer negativen Prognose auszugehen. Aus einem aktuellen Befundbericht (gemeint wohl: vom 23.05.2022. Dr. H/Dr. P) ergebe sich ein grenzkompensiertes Zustandsbild und keine Veränderung des Leistungsvermögens. In dem zuletzt genannten Befundbericht war eine Befundänderung in den letzten 12 Monaten ausdrücklich verneint worden.

 

Die Beklagte informierte die DRV B mit Schreiben vom 18.08.2022 darüber, für das weitere Verfahren zuständig zu sein, weil der Kläger türkische Beitragszeiten zurückgelegt hatte.

 

Mit Schreiben vom 31.08.2022 (Bl. 53 SG) wurde für den Kläger von einer Rechtsanwältin gegenüber der DRV B ein Überprüfungsantrag bezüglich des Bescheids vom 22.06.2022 gestellt („...beantrage ich den Bescheid vom 22.06.2022 gemäß § 44 SGB X auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen...“). Der Kläger wünsche sich eine unbefristete Rente. Es sei unklar, auf welcher Grundlage die Rente befristet worden sei, die Gesundheitsstörungen des Klägers seien chronisch.

 

Mit Bescheid vom 22.11.2022 verfügte die Beklagte gegenüber dem Kläger die Weitergewährung der bisher von der DRV B bewilligten Rente ab 01.12.2022.

 

Anschließend entschied die Beklagte bezugnehmend auf den Überprüfungsantrag, dass es nach Überprüfung der Sach- und Rechtslage bei der bereits ergangenen Entscheidung verbleibe (Bescheid vom 09.12.2022). Von einer Verschlechterung der vorbestehenden Erkrankungen sei nicht auszugehen.

 

Der Kläger legte hiergegen anwaltlich vertreten Widerspruch ein. Es sei nicht entscheidend, ob eine Verschlechterung eingetreten sei, sondern ob es unwahrscheinlich sei, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne.

 

Dr. X vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten gelangte zu dem Ergebnis, dass beim Kläger insbesondere auf psychiatrischem Gebiet ein chronifizierter Dauerzustand vorliege. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe ein Leistungsvermögen von 3 bis unter 6 Stunden (Stellungnahme vom 07.06.2023).

 

Mit Bescheid vom 05.10.2023 half die Beklagte dem Widerspruch insoweit ab, als dem Kläger (auch) eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.05.2019 auf Dauer bewilligt wurde. Darüber hinaus bestehe ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab 01.11.2019 bis 31.10.2025.

 

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 31.10.2023 hatte mitteilen lassen, dass er aufgrund der Schwere seiner chronischen Erkrankungen ausdrücklich eine Dauerrente wegen voller Erwerbsminderung wünsche, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2023 zurück. Angesichts des Leistungsvermögens des Klägers sei die Rente wegen voller Erwerbsminderung wegen der derzeitigen Situation auf dem Teilzeitarbeitsmarkt aus rechtlichen Gründen zu befristen.

 

Der Kläger hat am 02.02.2024 anwaltlich vertreten Klage beim SG Heilbronn erhoben. Die vorliegenden Gesundheitsstörungen seien dauerhaft und es sei unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne.

 

Der Kläger beantragt sachdienlich gefasst,

 

den Bescheid vom 09.12.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.12.2023 aufzuheben, die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 22.06.2022 in der Fassung der Bescheide vom 22.11.2022 und 05.10.2023 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm statt der befristeten Rente eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Es seien keine neuen rechtserheblichen Tatsachen vorgetragen worden, die zu einer Änderung der bisherigen Beurteilung führen könnten.

 

Das Gericht hat den Kläger darauf hingewiesen, dass angesichts des im Entlassungsbericht und den Bescheiden angenommenen Leistungsvermögens von 3 bis unter 6 Stunden pro Tag eine „Arbeitsmarktrente“ bewilligt worden sei. Nach § 102 Abs. 2 S. 5 SGB VI sei ein Anspruch auf eine unbefristete Rente bei einer Arbeitsmarktrente ausgeschlossen. Der Kläger ist daher um Mitteilung gebeten worden, ob das Verfahren fortgeführt werde und (falls ja) ob er der Auffassung sind, bei ihm habe zum Zeitpunkt des Erlasses des überprüften Bescheids vom 22.06.2022 ein Leistungsvermögen von unter 3 Stunden pro Tag vorgelegen.

 

Der Kläger hat daraufhin vortragen lassen, die Klage fortzuführen. Er gehe von einer deutlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes aus. Zu den bestehenden chronischen bekannten Grunderkrankungen kämen schwere Magenschmerzen hinzu. Die daraufhin erfolgte gerichtliche Rückfrage nach dem Zeitpunkt der geltend gemachten Verschlechterung ist vom anwaltlich vertretenen Kläger inhaltlich nicht beantwortet worden. Stattdessen sind ohne zeitliche Einordnung weitere Beschwerden vorgetragen worden.

 

Das SG hat die Beteiligten zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Der Kläger hat daraufhin Berichte über eine Behandlung im November 2024 vorlegen lassen.

 

Für den weiteren Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

 

 

Entscheidungsgründe

 

I. Das SG entscheidet durch Gerichtsbescheid, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 105 SGG. Die Beteiligten sind hierzu angehört worden. Ihr Vorbringen gibt keinen Anlass, von dieser Verfahrensweise abzuweichen.

 

II. Streitgegenstand ist die Aufhebung des Bescheids vom 09.12.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.12.2023, die vom Kläger begehrte Verpflichtung der Beklagten, den Bescheid vom 22.06.2022 in der Fassung der Bescheide vom 22.11.2022 und 05.10.2023 abzuändern und die vom Kläger gewünschte Verurteilung der Beklagten, ihm statt der befristeten Rente eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren. Es geht also nur um die Gewährung einer unbefristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X.

 

Die jüngere Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg, wonach ein Antrag auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, mit dem die Gewährung einer laufenden Sozialleistung abgelehnt worden ist, in der Regel zugleich einen neuen Antrag auf die laufende Leistung selbst enthalten soll und wonach mit der Ablehnung des Rücknahmeantrags der Leistungsträger daher in der Regel zugleich einen neuen Leistungsantrag ablehnen soll (LSG Baden-Württemberg vom 26.09.2024, L 10 R 1533/24, Rn. 22 juris) ändert daran nichts. Zum einen ist mit Bescheid vom 22.06.2022 keine laufende Sozialleistung abgelehnt worden, vielmehr eine befristete Bewilligung erfolgt. Zum anderen kann die dargestellte Rechtsprechung nicht in Fällen gelten, in denen von Rechtsanwälten oder vergleichbar qualifizierten Prozessbevollmächtigten lediglich ein ausdrücklicher Überprüfungsantrag gestellt worden ist. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen von Rechtsanwälten oder vergleichbar qualifizierten Prozessbevollmächtigten ist nämlich in der Regel davon auszugehen, dass diese das Gewollte richtig wiedergeben (BSG vom 17.09.2020, B 4 AS 13/20 R, Rn. 23 juris). Nicht anderes kann bei der Auslegung von Anträgen im Verwaltungsverfahren gelten. Wird also wie vorliegend von einem anwaltlich vertretenen Kläger ausdrücklich nur ein Überprüfungsantrag gestellt („...beantrage ich den Bescheid vom 22.06.2022 gemäß § 44 SGB X auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen...“) kann darin nicht zusätzlich im Wege der Auslegung ein neuer Antrag auf die laufende Leistung selbst gesehen werden.

 

III. Die gemäß §§ 54 Abs. 1, Abs. 4 und 56 SGG statthafte, kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ist zulässig, aber unbegründet. Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer.

 

1. Rechtsgrundlage des Überprüfungsbegehrens ist § 44 SGB X. Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

 

2. Es besteht kein Anspruch auf Abänderung des Bescheids vom 22.06.2022 in der Fassung der Bescheide vom 22.11.2022 und 05.10.2023, weil die genannten Bescheide rechtmäßig sind.

 

a) Gemäß § 43 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Abs. 1) bzw. voller Erwerbsminderung (Abs. 2), wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

 

Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

 

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

 

Renten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit werden grundsätzlich auf Zeit geleistet, § 102 Abs. 2 S. 1 SGB VI. Nur Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann, § 102 Abs. 2 S. 5 SGB VI.

 

b) Ausgehend von den dargestellten Rechtsgrundlagen hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer.

 

aa) Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der 22.06.2022, weil an diesem Tag der überprüfte Bescheid erlassen worden ist.

 

Der Verwaltungsakt, dessen Rücknahme nach § 44 SGB X begehrt wird, muss im Zeitpunkt seines Erlasses, also von Anfang an rechtswidrig sein. Wird er hingegen erst nachträglich rechtswidrig, kann er nur unter den Voraussetzungen des § 48 SGB X aufgehoben werden (BSG vom 15.06.2010, B 2 U 22/09 R, Rn. 18 juris; Baumeister in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., Stand: 15.11.2023, § 44 Rn. 53).

 

bb) Am 22.06.2022 war der Kläger gesundheitsbedingt jedenfalls noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

 

Dies ergibt sich aus folgenden (im Wege des Urkundsbeweises verwerteten) übereinstimmenden ärztlichen Ausführungen: Dem Entlassungsbericht der S-Klinik, der Stellungnahme von Dr. D, der Einschätzung der Psychiaterin H und dem Befundbericht vom 23.05.2022 von Dr. H/Dr. P. Dem Entlassungsbericht lässt sich schlüssig entnehmen, dass die körperlichen Erkrankungen des Klägers nur zu qualitativen Einschränkungen führten, nicht aber zu einer Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens. In psychischer Hinsicht wirkte der Kläger etwas erschöpft und etwas angespannt. Es zeigte sich eine deutliche Grübelneigung, aber es lagen keine Störungen der Aufmerksamkeit, der Konzentration oder des Gedächtnisses vor. Die Stimmung des Klägers wirkte gedrückt bei eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit. Ausgehend von diesen Befunden hat die Psychiaterin H überzeugend auf ein grenzkompensiertes Zustandsbild geschlossen. Dies mag eventuell ein Leistungsvermögen von täglich unter 6 Stunden hinsichtlich leichter Tätigkeiten unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts begründen können, in keinem Fall aber ein Leistungsvermögen von unter 3 Stunden pro Tag. Die Befunde weisen hierfür keine hinreichend tiefgreifende Störungsintensität auf. Das Bestehen eines Leistungsvermögens von über 3 Stunden täglich ist nicht nur von der S-Klinik, sondern auch von Dr. D und der Psychiaterin H bestätigt worden. Ausweislich des Befundberichts vom 23.05.2022 von Dr. H/Dr. P lässt sich im Zeitraum seit dem Abschluss der Rehabilitationsmaßnahme in Bad Buchau bis zum 22.06.2022 auch keine Zustandsveränderung beim Kläger feststellen.

 

Greifbare Anhaltspunkte für ein zu diesem Zeitpunkt bestehendes Leistungsvermögen von unter 3 Stunden bestehen nicht. Insbesondere ergeben sich diese nicht aus dem klägerischen Vortrag im Überprüfungs- oder Klageverfahren, der hierzu (trotz gerichtlicher Aufforderung zur entsprechenden Stellungnahme) schweigt. Zu der gerichtlichen Bewertung in Widerspruch stehende ärztliche Einschätzungen sind nicht ersichtlich. Die vom Kläger vorgelegten ärztlichen Unterlagen beziehen sich auf einen späteren Zeitpunkt als den 22.06.2022 und die geltend gemachte Verschlechterung ist zeitlich trotz entsprechender Rückfrage nicht eingegrenzt worden.

 

cc) Ausgehend vom dargestellten Leistungsvermögen hat der Kläger keinen Anspruch auf eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.

 

Kann der Versicherte täglich an 5 Tagen in der Woche gesundheitsbedingt nicht mehr 6 Stunden (aber mehr als 3 Stunden) erwerbstätig sein, ist er gem. § 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI an sich nur teilweise erwerbsgemindert. Das BSG ist vor vielen Jahrzehnten aber davon ausgegangen, dass für Teilzeitarbeit kein Arbeitsmarkt bestehe und deshalb eine teilweise Erwerbsminderung in die volle Erwerbsminderungsrente „durchschlage“ (Gürtner in: Beck’scher Online Groß-Kommentar SGB VI, Stand 01.07.2020, § 43, Rn. 30). Dies hatte der Große Senat des BSG in den Beschlüssen vom 11.12.1969 und 10.12.1976 (BSGE 30, 167 = SozR Nr. 79 zu § 1246 RVO = BB 1970, 535; BSGE 43, 75 = SozR 2200 § 1246 Nr. 13 = NJW 1977, 2134) bereits zum nach der Reichsversicherungsordnung geltenden Recht entschieden. Nach dem Willen des Gesetzgebers (siehe BTDrucks 14/4230 S. 25 zu Nr. 10) sollte dies wegen der damals ungünstigen Arbeitsmarktsituation auch nach dem 31.12.2000 beibehalten werden (Gürtner a.a.O.). Dies ergibt sich auch aus § 102 Abs. 2 S. 5 SGB VI, der auf Renten „unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage“ abstellt (Gürtner a.a.O.).

 

Nach § 102 Abs. 2 S. 5 SGB VI ist ein Anspruch auf eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bei einer solchen „Arbeitsmarktrente“ ausgeschlossen. Nur Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, können demnach unbefristet geleistet werden. Dies ist beim Kläger aber nicht der Fall.

 

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
Saved