S 3 U 92/24

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 3 U 92/24
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

I. Der Bescheid der Beklagten vom 09.05.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.03.2024 wird aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 16.12.2022 ein Arbeitsunfall ist.

III. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.


T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung des Ereignisses vom 16.12.2022 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der 1970 geborene Kläger war im Unfallzeitpunkt als Kfz-Mechaniker in der Werkstatt des Autohauses K. in B.-Stadt beschäftigt. Am 16.12.2022 zwischen 07:00 Uhr und 07:30 Uhr verließ der Kläger die Hauseingangstür des von ihm bewohnten Anwesens A-Straße in A-Stadt. Er beabsichtigte, mit dem Auto seiner Freundin, Frau Z., wohnhaft S.-Straße 5, L.-Stadt zur Arbeit zu fahren. Auf dem Parkplatz seines Grundstücks kratzte er das Auto seiner Freundin auf der Beifahrerseite ab, als sein eigenes Auto, das auf abschüssigem Grund stand, sich in Bewegung setzte und den Kläger zwischen den beiden Autos einklemmte. Der Kläger wurde noch am Morgen des Unfalltages durch seine Freundin zur Erstbehandlung in die A.-Klinik in Z. gebracht. Dort wurde folgende Erstdiagnose gestellt: "Becken- und Knieprellung links. HWS-Distorsion."

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 09.05.2023 entschied die Beklagte, dass kein Arbeitsunfall vorliegt. Kosten für die medizinische Behandlung des Klägers (§ 27 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII) wurden von der Beklagten nicht bzw. nicht mehr übernommen. Auch einen Anspruch auf Verletztengeld (§ 45 SGB VII) lehnte die Beklagte ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, das Enteisen des Fahrzeugs sei dafür vorgesehen gewesen, die Fahrbereitschaft des Kraftfahrzeugs zu erhalten. Es habe sich dabei um eine vorbereitende Tätigkeit gehandelt, die grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich und nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei.

Hiergegen ließ der Kläger am 23.05.2023 durch den VdK Widerspruch erheben. Zur Begründung ließ er ausführen, es liege ein Wegeunfall/Arbeitsunfall vor, weil der Unfall nach Verlassen der äußeren Tür des Wohnhauses auf dem Weg zur Arbeit passiert sei. Abweichungen vom direkten Weg seien versichert, wenn beispielsweise Kinder vor der Arbeit in den Kindergarten, in die Tagesbetreuung oder zur Schule gebracht bzw. nach der Arbeit dort wieder abgeholt würden, wenn aufgrund besonderer Verkehrssituationen, etwa durch Stau, Sperrungen oder Ausfälle im öffentlichen Nahverkehr, Umwege genommen werden müssten, wenn Umwege erforderlich seien, um Mitglieder einer Fahrgemeinschaft von zu Hause abzuholen oder nach Hause zu bringen, oder wenn der Arbeitsplatz über einen längeren Weg schneller erreicht werden könne.

Im Vorverfahren wurden die näheren Umstände des Ereignisses vom 16.12.2022 durch Schriftverkehr zwischen dem VdK als Vertreter des Klägers und der Beklagten näher aufgeklärt. Seitens des Klägers wurde vorgetragen, er habe am Unfalltag mit dem Auto seiner Freundin zu seiner Arbeitsstätte fahren müssen. Denn die Freundin habe dem Kläger mitgeteilt, dass an ihrem Auto seltsame Geräusche während der Fahrt aufgetreten seien. Da der Kläger Mechaniker sei, habe er an diesem Tag das Auto testen und mit dem Auto fahren wollen, um den Fehler feststellen zu können. Die Freundin des Klägers arbeite im K-Haus in L.-Stadt. Am Unfalltag habe sie einen freien Tag gehabt. Der übliche Arbeitsweg des Klägers von der Wohnung zum Betrieb verlaufe vom Grundstück A-Straße in A-Stadt durch die Stadt A-Stadt, anschließend Richtung L. dann Richtung B. bis zur Arbeitsstelle M-Weg in B.-Stadt. Seine Freundin könne den Vorfall bezeugen. Am 16.12.2022 habe es Eisregen gegeben. Das Auto des Klägers sei von selbst durch die abschüssige Straße nach unten gerutscht und habe den Kläger zwischen die beiden Autos eingeklemmt. Der Kläger übermittelte Fotos, um zu verdeutlichen, wie abschüssig die Straße ist. Auf die aktenkundigen Fotos, Bl. 124 - 126 der Verwaltungsakte, wird gemäß § 136 Absatz 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug genommen. Die Freundin habe an diesem Tag das Auto nicht benutzen wollen. Sie habe frei gehabt. Die Freundin habe deshalb geholfen, weil sie mit dem Kläger zusammen das Haus verlassen habe, um die Hunde rauszulassen. Das Auto des Klägers sei an diesem Tag nicht bewegt worden. Vorgelegt wurde ein Artikel aus dem Internet, in welchem von einem ähnlichen Vorfall berichtet wurde. Auf den aktenkundigen Artikel, Bl. 123 der Verwaltungsakte, wird gemäß § 136 Absatz 2 Satz 1 SGG Bezug genommen.

Im Rahmen der Abhilfeprüfung mit Vermerk vom 11.03.2024 nahm die Beklagte Bezug auf ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Sachsen-Anhalt vom 14.12.2022 (Az.: L 6 U 61/20), in welchem das zwischenzeitliche Anbringen einer Frostschutzmatte auf der Frontscheibe als privatnützige Unterbrechung des Arbeitsweges angesehen wurde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.03.2024 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 09.05.2023 zurück. Zur Begründung führte sie aus, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit seien trotz ihrer Betriebsdienlichkeit eine grundsätzlich unversicherte Vorbereitungshandlung. Das Freikratzen des Pkw stelle eine privatwirtschaftliche Verrichtung dar, die als solche nicht mehr unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung gestanden habe. Diese Unterbrechung des Weges sei auch mehr als geringfügig gewesen. Eine andere rechtliche Bewertung wäre allenfalls dann gerechtfertigt, wenn die unfallbringende Tätigkeit unvorhergesehen notwendig werde, damit der Weg zur Arbeit zurückgelegt werden könne (z. B. unvorhergesehenes Auftanken eines Kraftfahrzeugs, wenn der Treibstoff für das benutzte Fahrzeug plötzlich aus Umständen, die der Versicherte nicht zu vertreten habe, für ihn vollkommen unerwartet zur Neige gehe, etwa weil wegen einer Verkehrsumleitung oder wegen eines Staus der Kraftstoffverbrauch so stark ansteige, dass der Versicherte ohne ein Nachtanken die Arbeitsstelle bzw. seine Wohnung nicht mehr erreichen könne). Vorliegend lasse sich jedoch kein unvorhersehbares Ereignis annehmen, weil in den Wintermonaten in Deutschland immer mit Kälte und Eis zu rechnen sei.

Hiergegen hat der Kläger am 16.04.2024 durch den VdK Klage zum Sozialgericht Landshut erheben lassen mit der Begründung, die Vorbereitungshandlung habe unterwegs - also nach dem Verlassen der Außentür mit der Intention, in die Arbeit zu fahren - stattgefunden. Es sei nicht klar, warum das Freikratzen des Kraftfahrzeugs den versicherten Weg unterbreche und warum diese Unterbrechung "mehr als geringfügig" sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 09.05.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.03.2024 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 16.12.2022 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

Ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen hat die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.06.2024 vorgebracht, dass ein Arbeitsunfall auch deshalb abzulehnen sei, weil der Kläger ohne den privaten Zweck, nämlich die beabsichtigte Feststellung des Fehlers am Fahrzeug der Freundin, dieses Auto nicht gewählt hätte, um zur Arbeit zu kommen. Ohne den privaten Zweck hätte sich der Unfall somit nicht ereignet.

Im Hinblick auf die weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die vorliegende Streitakte.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 09.05.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.03.2024 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zur Überzeugung der Kammer hat der Kläger am 16.12.2022 einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Absatz 1 SGB VII erlitten.

Arbeitsunfälle sind nach § 8 Absatz 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Absatz 1 Satz 2 SGB VII). Zu den versicherten Tätigkeiten gehört nach § 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.

Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; BSG, Urteil vom 26.11.2019, B 2 U 8/18 R Rn. 12 m. w. N. - juris).

Der Kläger war zum Zeitpunkt des Ereignisses vom 16.12.2022 als Kfz-Mechaniker in der Werkstatt des Autohauses K. in B.-Stadt beschäftigt und unterfiel damit gemäß § 2 Absatz 1 Nummer 1 SGB VII dem kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personenkreis.

Seine konkrete Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses, das Freikratzen des Autos seiner Freundin, stand entgegen der Auffassung der Beklagten auch in einem sachlichen Zusammenhang mit dem gemäß § 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII als versicherte Tätigkeit in Betracht kommenden Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach dem Ort seiner Tätigkeit (Arbeitsstätte).

Zu den in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Tätigkeiten gehört gemäß § 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Dabei ist nicht der Weg als solcher, sondern dessen Zurücklegen versichert, also der Vorgang des Sichfortbewegens auf einer Strecke, die durch einen Ausgangs- und einen Zielpunkt begrenzt ist. Versichert ist in der gesetzlichen Unfallversicherung mithin als Vorbereitungshandlung der eigentlichen Tätigkeit das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach dem Ort der Tätigkeit. Der Versicherungsschutz besteht deshalb, wenn der Weg erkennbar zu dem Zweck zurückgelegt wird, den Ort der Tätigkeit - oder nach deren Beendigung im typischen Fall die Wohnung - zu erreichen. Maßgebliches Kriterium für den sachlichen Zusammenhang ist, ob die anhand objektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges darauf gerichtet ist, eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung auszuüben, d. h. ob sein Handeln auf das Zurücklegen des direkten Weges zu oder von der Arbeitsstätte bezogen ist (BSG, Urteil vom 23.01.2018, B 2 U 3/16 R Rn. 12 m. w. N. - juris).

Am 16.12.2022 befand sich der Kläger bereits auf einem versicherten Weg im Sinne des § 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII. Der versicherte Weg im Sinne von § 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII von einem Wohnhaus zur Arbeitsstätte beginnt grundsätzlich mit dem Durchschreiten der Außentür des Wohnhauses. Unter Versicherungsschutz steht auch das Zurücklegen des Weges von der Außentür des Wohnhauses zu einem Fahrzeug, um mit ihm die Fahrt zur Arbeitsstätte anzutreten (BSG, Urteil vom 23.01.2018, a. a. O. Rn. 13 m. w. N.). Die Außentür des Wohnhauses hatte der Kläger im Zeitpunkt des Ereignisses vom 16.12.2022 bereits durchschritten, so dass der Ausgangspunkt des versicherten Weges im Sinne des § 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII bereits erreicht war.

Allerdings hatte der Kläger den an sich versicherten Weg zur Arbeitsstätte unterbrochen, als er das Auto seiner Freundin auf dem zum Grundstück gehörenden Parkplatz auf der Beifahrerseite von Eis freikratzte. Denn wie sich aus dem Wortlaut des § 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII und dem dort verwendeten Begriff "unmittelbar" ergibt, steht grundsätzlich nur das Zurücklegen des direkten Weges nach und von der versicherten Tätigkeit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung noch der Fortbewegung auf das ursprüngliche Ziel hin - hier der Arbeitsstätte des Klägers - dient, ist die Handlungstendenz des Versicherten. Wird der Weg zum oder vom Ort der versicherten Tätigkeit aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen, entfällt grundsätzlich der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und damit der Versicherungsschutz. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob der Versicherte lediglich seine Fortbewegung beendet, um sich an Ort und Stelle einer anderen, nicht nur geringfügigen Tätigkeit zuzuwenden, oder ob er den eingeschlagenen Weg verlässt, um an anderer Stelle einer privaten Verrichtung nachzugehen und erst danach auf den ursprünglichen Weg zurückzukehren (BSG, Urteil vom 23.01.2018, a. a. O. Rn. 15 m. w. N.). Während der Zeit, in der der Kläger das Auto seiner Freundin auf der Beifahrerseite von Eis freikratzte, unterbrach der Kläger seine Fortbewegung, um sich an Ort und Stelle einer anderen Tätigkeit zuzuwenden. Dies stellt eine Unterbrechung des versicherten Sichfortbewegens auf der Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte dar.

Diese Unterbrechung ist auch nicht lediglich als geringfügig anzusehen. Lediglich geringfügige Unterbrechungen des versicherten Weges lassen den Versicherungsschutz unberührt. Eine Unterbrechung ist nur dann geringfügig, wenn sie auf einer Verrichtung beruht, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit anzusehen ist. Das ist der Fall, wenn sie nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung auf das ursprünglich geplante Ziel führt, weil sei ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung "im Vorbeigehen" oder "ganz nebenher" erledigt werden kann (BSG, Urteil vom 23.01.2018, a. a. O. Rn. 16 m. w. N.). Das Freikratzes des Autos der Freundin auf der Beifahrerseite stellte eine mehr als nur geringfügige Unterbrechung des Sichfortbewegens dar. Denn das Freikratzen des Autos von Eis erfordert einen nicht unerheblichen Zeitaufwand und geht daher mit einer nennenswerten zeitlichen Verzögerung einher. Das Freikratzen des Autos setzte eine neue Handlungssequenz in Gang, die sich - auch äußerlich - deutlich vom weiteren Zurücklegen des Weges zur Arbeitsstätte, nämlich dem Einsteigen in den Pkw und die Aufnahme der Fahrt, abgrenzen lässt.

Das Freikratzen des Autos der Freundin auf der Beifahrerseite stand vorliegend jedoch als Vorbereitungshandlung unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Vorbereitungshandlungen sind Maßnahmen, die einer versicherten Tätigkeit vorangehen und ihre Durchführung erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen (BSG, Urteil vom 23.01.2018, a. a. O. Rn. 17 m. w. N. - juris). Um eine solche Vorbereitungshandlung handelte es sich auch beim Freikratzen des Autos der Freundin. Denn dadurch, dass der Kläger das Auto der Freundin von Eis freikratzte, ermöglichte der Kläger erst die beabsichtigte anschließende Fahrt zur Arbeitsstätte mit diesem Auto.

Nur bestimmte Handlungen zur Vorbereitung einer versicherten Tätigkeit stehen nach § 8 Absatz 2 SGB VII unter Versicherungsschutz. Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen in § 8 Absatz 2 SGB VII bestimmte typische Vorbereitungshandlungen selbst dem Versicherungsschutz unterstellt, weil er insoweit ein über den Schutzbedarf der eigentlichen beruflichen Tätigkeit hinausgehendes soziales Schutzbedürfnis angenommen hat. Der Versicherungsschutz für vorbereitende Tätigkeiten ist deshalb grundsätzlich auf diejenigen Verrichtungen beschränkt, die das Gesetz selbst ausdrücklich nennt (BSG, Urteil vom 23.01.2018, a. a. O. Rn. 18 m. w. N.). Aus diesem Grund ist die Widerspruchsbegründung vom 28.06.2023 nicht zielführend, soweit dort auf den Umstand hingewiesen wurde, dass Abweichungen vom direkten Weg versichert seien, wenn beispielsweise Kinder vor der Arbeit in den Kindergarten, in die Tagesbetreuung oder zur Schule gebracht bzw. nach der Arbeit dort wieder abgeholt würden, wenn aufgrund besonderer Verkehrssituationen, etwa durch Stau, Sperrungen oder Ausfälle im öffentlichen Nahverkehr, Umwege genommen werden müssten, wenn Umwege erforderlich seien, um Mitglieder einer Fahrgemeinschaft von zu Hause abzuholen oder nach Hause zu bringen, oder wenn der Arbeitsplatz über einen längeren Weg schneller erreicht werden könne. Denn das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an welchem Kinder von Versicherten fremder Obhut anvertraut bzw. nach der Arbeit dort wieder abgeholt werden (§ 8 Absatz 2 Nummer 2 lit. a SGB VII), sowie das Abholen und Zurückbringen von Mitgliedern einer Fahrgemeinschaft von und nach dessen Haus (§ 8 Absatz 2 Nummer 2 lit. b SGB VII) sind in § 8 Absatz 2 SGB VII kraft Gesetzes dem Versicherungsschutz unterstellte Vorbereitungshandlungen. Sind aufgrund besonderer Verkehrssituationen (etwa durch Stau, Sperrungen oder Ausfälle im öffentlichen Nahverkehr) Umwege erforderlich oder kann der Arbeitsplatz über einen längeren Weg schneller erreicht werden, so handelt es sich hierbei um den unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne des § 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII. Alle in der Widerspruchsbegründung vom 28.06.2023 genannten Konstellationen stellen somit Vorbereitungshandlungen dar, die kraft Gesetzes in § 8 Absatz 2 SGB VII dem Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung unterfallen. Demgegenüber wird das Freikratzen des Autos von Eis in § 8 Absatz 2 SGB VII nicht ausdrücklich als versicherte Vorbereitungshandlung genannt.

Sonstige typische Vorbereitungshandlungen sind grundsätzlich nicht versicherte eigenwirtschaftliche Tätigkeiten. Eine Ausweitung des Versicherungsschutzes auf weitere Vorbereitungshandlungen kommt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur dann in Betracht, wenn diese mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit oder der kraft Gesetzes versicherten Vorbereitungshandlung so eng verbunden sind, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise eine Einheit bilden. Hierfür ist ein besonders enger sachlicher, örtlicher und zeitlicher Zusammenhang erforderlich, der die Vorbereitungshandlung nach den Gesamtumständen selbst bereits als Bestandteil der versicherten Tätigkeit erschienen lässt. Ausnahmsweise lässt daher eine mehr als geringfügige Unterbrechung eines versicherten Weges den Versicherungsschutz unberührt, wenn die Unterbrechung in einem inneren, nämlich engen sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, z. B. als Vorbereitungshandlung mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit oder der kraft Gesetzes versicherten Vorbereitungshandlung eng verbunden ist (BSG, Urteil vom 23.01.2018, a. a. O. Rn. 19 m. w. N.).

Die Rechtsprechung hat deshalb auch bei solchen Verrichtungen einen Versicherungsschutz bejaht, bei denen die Gesamtumstände dafür sprachen, das unfallbringende Verhalten dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung zuzurechnen. Dabei handelte es sich in den bislang entschiedenen Fällen um Sachverhalte, bei denen die betreffende Verrichtung während der Dienstzeit bzw. bei der Zurücklegung des Betriebsweges oder des Weges zum oder vom Ort der Tätigkeit unerwartet notwendig geworden war, um weiterhin die betriebliche Arbeit verrichten bzw. den Weg zurücklegen zu können. So ist Versicherungsschutz angenommen worden bei Maßnahmen zur Behebung einer während eines versicherten Weges auftretenden Störung am benutzten Fahrzeug, beim Auftanken eines Kraftfahrzeugs bei unvorhergesehenem Benzinmangel oder beim Beschaffen von Medikamenten, wenn dies dazu diente, trotz einer während der Dienstzeit oder auf einer Geschäftsreise plötzlich aufgetretenen Gesundheitsstörung die betriebliche Tätigkeit fortsetzen zu können bzw. bei unmittelbar vor Dienstantritt aufgetretenen Beschwerden dies erst zu ermöglichen (BSG, Urteil vom 23.01.2018, a. a. O. Rn. 19 m. w. N.). Speziell zur Problematik des Auftankens eines Pkw zur Beendigung des gerade angetretenen Weges ist mittlerweile aber höchstrichterlich klargestellt worden, dass das normale, verbrauchsbedingte Auftanken eines Fahrzeugs auch dann nicht dem Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung unterfällt, wenn es zur Beendigung des gerade angetretenen Weges notwendig ist. Denn der Tankvorgang ist örtlich und zeitlich nicht festgelegt und unterliegt jeweils der privaten Entscheidung der Versicherung. Die Notwendigkeit, gerade zu einer bestimmten Zeit tanken zu müssen, hängt von einer Vielzahl von Umständen ab, die der Einflussnahme durch den Unternehmer weitgehend entzogen sind. Zudem kann regelmäßig ohne Weiteres am Vortag geprüft werden, ob der Kraftstoffvorrat für den nächsten Tag ausreicht. Andernfalls bestünde ein Wertungswiderspruch, weil der vorausschauend tankende Fahrer regelmäßig nicht unter Versicherungsschutz stünde, wohingegen der nicht vorsorgende Fahrer bei selbst herbeigeführtem Benzinmangel in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen würde. Offengelassen wurde, inwieweit außergewöhnliche Umstände (namentlich genannt wurden Verkehrsumleitungen, Staus, Benzindiebstahl) ausnahmsweise dennoch die Einbeziehung des Auftankens in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung rechtfertigen könnten (BSG, Urteil vom 30.01.2020, B 2 U 9/18 R Rn. 14 ff. - juris). Während der Durchführung allgemeiner Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit eines der Zurücklegung des Weges dienenden Fahrzeugs, z. B. (vorausschauendes) Tanken, Inspektionen, Reparaturen, besteht kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG, Urteil vom 23.01.2018, a. a. O. Rn. 19 m. w. N.).

Vorliegend teilt die Kammer zwar die Auffassung der Beklagten, wonach das Freikratzen des Autos der Freundin keine Verrichtung ist, die unerwartet notwendig geworden war, um den Weg zur Arbeit antreten zu können. So hat der Deutsche Wetterdienst bereits am 15.12.2022 für die Nacht zum 16.12.2022 u. a. für den Bereich B vor Niederschlägen, die im Verlauf der Nacht in Schnee übergehen, und vor Glatteis gewarnt (abrufbar unter https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2022/12/15.html).

Dies steht zur Überzeugung der Kammer der Anerkennung des Ereignisses vom 16.12.2022 als Versicherungsfall jedoch nicht entgegen. Denn zur Überzeugung der Kammer besteht trotz der Vorhersehbarkeit der Wetterverhältnisse ein besonders enger sachlicher, örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Freikratzen des Autos der Freundin und der nach § 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII kraft Gesetzes vom Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung umfassten Vorbereitungshandlung des Zurücklegens des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach dem Ort der Tätigkeit.

Noch nicht abschließend geklärt ist in der Rechtsprechung die Frage, ob ein derartiger besonders enger sachlicher, örtlicher und zeitlicher Zusammenhang bereits deshalb anzunehmen ist, weil der Kläger mit dem Freikratzen des Autos einer straßenverkehrsrechtlichen Pflicht nachkam. Denn nach § 23 Absatz 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) ist, wer ein Fahrzeug führt, dafür verantwortlich, dass seine Sicht nicht durch den Zustand des Fahrzeugs beeinträchtigt wird. Ein Verstoß gegen diese Pflicht stellt gemäß § 49 Absatz 1 Nummer 22 StVO eine Ordnungswidrigkeit dar. Indem der Kläger das Auto seiner Freundin von Eis befreite, erfüllte er die sich aus § 23 Absatz 1 Satz 1 StVO ergebende straßenverkehrsrechtliche Pflicht, für eine durch den Zustand des Fahrzeugs unbeeinträchtigte Sicht zu sorgen. Hierdurch unterscheidet sich der vorliegende Fall von den Fällen, welche den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23.01.2018 (a. a. O. - Überprüfung des Straßenbelags auf Glätte) und vom 30.01.2020 (a. a. O. - Tanken) zu Grunde lagen. In beiden Fällen hat das BSG die Frage diskutiert, ob die in diesen Fällen vorgenommene Vorbereitungshandlung schon deshalb dem Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung unterfällt, weil der Kläger mit der Vornahme dieser Vorbereitungshandlung einer straßenverkehrsrechtlichen Pflicht nachkam. In beiden Fällen hat das BSG aber das Bestehen einer straßenverkehrsrechtlichen Pflicht verneint und deshalb diese Frage nicht abschließend beantworten müssen. Entschieden wurde vom BSG bereits, dass jedenfalls die auf dem Weg erfolgende Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die allein Privatinteressen schützen (in jenem Fall die Wartepflicht nach § 34 StVO und § 142 Strafgesetzbuch - StGB - nach einem Unfall), nicht in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen wird (BSG, Urteil vom 17.02.2009, B 2 U 26/07 R Rn. 18 - juris).

Die Pflicht nach § 23 Absatz 1 Satz 1 StVO dient zwar zur Überzeugung der Kammer nicht leidglich Privatinteressen, sondern dem Allgemeininteresse aller Verkehrsteilnehmer an einer möglichst gefahrlosen Teilnahme am Straßenverkehr. Sofern man auf dem Standpunkt steht, dass Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung immer dann besteht, wenn mit dieser Vorbereitungshandlung eine straßenverkehrsrechtliche Pflicht erfüllt wird, so unterfiele die konkrete Verrichtung des Klägers, nämlich das Freikratzen des Autos der Freundin vom Eis, bereits aus diesem Grund dem Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob es sich dieser Auffassung anschließt. Jedenfalls kann zur Überzeugung der Kammer nicht jegliche im Allgemeininteresse liegende straßenverkehrsrechtliche Pflicht den Unfallversicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung begründen. Denn § 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII beschränkt den unfallversicherungsrechtlichen Schutz grundsätzlich allein auf den Fortbewegungsvorgang. Die Erfüllung etwaiger straßenverkehrsrechtlicher Pflichten, welche nicht mit der Fortbewegung im Zusammenhang stehen oder diese erst ermöglichen, stellt demgegenüber eine grundsätzlich nicht vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfasste eigenwirtschaftliche Handlung dar. Von einer derartigen straßenverkehrsrechtlichen Pflicht, welche die Fortbewegung erst ermöglicht, ist hier allerdings auszugehen. Denn hätte der Kläger das Auto seiner Freundin nicht von Eis freigekratzt, hätte sich dieses in einem nicht betriebsfähigen Zustand befunden. Der Weg zur Arbeitsstelle hätte in diesem Fall mit diesem Auto nicht angetreten werden können und dürfen.

Zur Überzeugung der Kammer bedarf es aber für die Frage des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Unfallversicherung des Abstellens auf das Bestehen einer im Allgemeininteresse liegenden straßenverkehrsrechtlichen Pflicht nicht. Denn das BSG hat in der Vergangenheit - unabhängig von der Frage des Bestehens einer straßenverkehrsrechtlichen Pflicht - die Prüfung des besonders engen sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs auch unter dem Aspekt vorgenommen, ob die Vorbereitungshandlung notwendig war, um den Weg zur Arbeitsstätte zurückzulegen (BSG, Urteil vom 23.01.2018, a. a. O. Rn. 20). Dies ist vorliegend zu bejahen. Das Freikratzen des Autos der Freundin war erforderlich, um dieses in einen betriebsfähigen Zustand zu versetzen und hiermit den Arbeitsweg zurücklegen zu können.

Überdies besteht zur Überzeugung der Kammer vorliegend auch losgelöst von der Frage der Notwendigkeit der konkreten Verrichtung ein besonders enger sachlicher, örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der konkreten Verrichtung, nämlich dem Freikratzen des Autos der Freundin, und dem nach § 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII versicherten Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der besonders enge sachliche Zusammenhang besteht darin, dass der Kläger mit dem Auto seiner Freundin zur Arbeitsstätte fahren wollte, er hierzu aber aufgrund des Zustands des Autos nicht in der Lage war. Der besonders enge örtliche Zusammenhang besteht darin, dass der Kläger das Auto seiner Freundin an dem Platz auf seinem Grundstück von Eis freikratzen musste, auf dem das Auto stand. Bevor das Auto von Eis freigekratzt war, konnte der Kläger das Auto nicht an einen anderen Platz bewegen. Der besonders enge zeitliche Zusammenhang bestand deshalb, weil das Auto unmittelbar vor Antritt der Fahrt von Eis freigekratzt werden musste. Hätte der Kläger das Auto zu einer anderen Zeit - etwa bereits am Vorabend oder auch nur eine Stunde vor beabsichtigtem Fahrtantritt - von Eis befreit, so wäre das Fahrzeug bei Fahrtantritt bei den an diesem Tag herrschenden Witterungsverhältnissen erneut vereist gewesen. Hierdurch unterscheidet sich der vorliegende Fall auch vom Urteil des BSG vom 30.01.2020 (a. a. O.), in welchem das Tanken zur Beendigung des gerade angetretenen Weges nicht dem Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung unterstellt wurde. Ein vorausschauend handelnder Versicherter kann das Fahrzeug bereits ausreichend mit Tank befüllen, bevor er die Fahrt antritt. Der Kläger hätte das Fahrzeug seiner Freundin aber nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt von Eis befreien können, sondern er musste diese Verrichtung unmittelbar vor Fahrtantritt durchführen.

Damit unterscheidet sich dieser Fall auch von anderen Fallkonstellationen etwa des Kaufs einer Wochenkarte, einer Erkundigungsfahrt zur neuen Arbeitsstelle am Tag vor Arbeitsbeginn, eines Einkaufs für die Pause, des morgendlichen Anziehens, Waschens und Frühstückens oder der Reparatur und Wartung des eigenen Pkw, in denen jeweils von dem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzurechnenden und damit nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Vorbereitungshandlungen ausgegangen wurde (vgl. die Rechtsprechungsübersicht bei G. Wagner, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl. 2022 [Stand: 28.06.2024], § 8 Rn. 64). Der Kauf einer Wochenkarte, eine Erkundigungsfahrt sowie ein Einkauf für die Pause können grundsätzlich zu jeder Zeit durchgeführt werden. Für den Kauf einer Wochenkarte ist nicht einmal zwingend das Aufsuchen einer Verkaufsstelle erforderlich, sondern dies kann auch online geschehen. Auch für den Einkauf für die Pause muss nicht zwingend ein Teil des Arbeitsweges zurückgelegt werden. Der Einkauf für die Pause kann auch vorsorglich bereits im Voraus erfolgen, sofern die eingekauften Lebensmittel bis zum Verzehr konserviert werden können. Das morgendliche Anziehen, Waschen und Frühstücken steht nicht in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem Zurücklegen des Arbeitsweges. Derartige Tätigkeiten werden auch an arbeitsfreien Tagen regelmäßig vorgenommen. Auch die Reparatur und Wartung des eigenen Pkw ist räumlich und zeitlich vom Arbeitsweg getrennt.

Soweit sich die Beklagte zur Begründung ihrer Rechtsauffassung auf ein Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 14.12.2022 (L 6 U 61/20) beruft, in welchem der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung in einem Fall verneint wurde, in welchem sich ein Versicherter auf dem Arbeitsweg verletzte, als er sein Auto mir einer Frostschutzmatte auf der Frontscheibe hat abdecken wollen, wird diese Entscheidung in der Kommentarliteratur überwiegend kritisch bewertet (vgl. Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, Dokumentstand: Juni 2024, Werkstand: 6. Ergänzungslieferung 2024, § 8 Rn. 125b; G. Wagner a. a. O. Rn. 64.2; Westermann, jurisPR-SozR 20/2023 Anm. 2). Westermann (a. a. O.) weist darauf hin, dass Zeit und Ort der in Frage stehenden Maßnahme hier festgelegt waren und nicht im Belieben der versicherten Person standen. Die Handlungstendenz der versicherten Person beim Anbringen der Abdeckmatte habe allein darauf gezielt, das Fahrzeug für die versicherte Rückfahrt von der Arbeitsstelle fahrbereit zu halten. Die zentralen Argumente dafür, allgemeine Vorbereitungshandlungen vom Versicherungsschutz auszuschließen, griffen hier nicht. Es bestünden Bedenken, das Moment des "Unerwarteten" als hartes Kriterium anzusehen. Für Maßnahmen, bei denen das Fahrzeug im Winter fahrbereit gemacht werde, würde dies bedeuten, dass der Versicherungsschutz von der Wetterprognose abhänge. Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an.

Soweit die Beklagte die Auffassung geäußert hat, ein Arbeitsunfall sei auch deshalb abzulehnen, weil der Kläger ohne den privaten Zweck, nämlich die beabsichtigte Feststellung des Fehlers am Fahrzeug der Freundin, dieses Auto nicht gewählt hätte, um zur Arbeit zu kommen und sich somit ohne den privaten Zweck der Unfall nicht ereignet hätte, steht dies der Annahme einer Verrichtung, die in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, zur Überzeugung der Kammer ebenfalls nicht entgegen. Denn vorliegend ist von einer sog. Tätigkeit mit gespaltener Handlungstendenz auszugehen. In einem solchen Fall besteht Versicherungsschutz, wenn die Verrichtung im Einzelfall betrieblichen Zwecken wesentlich zu dienen bestimmt war. Sie braucht betrieblichen Zwecken hingegen nicht überwiegend zu dienen bestimmt gewesen zu sein. Die Abgrenzung ist danach vorzunehmen, ob der Versicherte die Verrichtung auch dann vorgenommen hätte, wenn der private Zweck weggefallen wäre, wenn also die Verrichtung nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der betrieblichen Handlungstendenz findet (BSG, Urteil vom 09.11.2010, B 2 U 14/10 R Rn. 24 - juris). Auch ohne den privaten Zweck, nämlich die beabsichtigte Feststellung des Fehlers am Fahrzeug der Freundin, hätte der Kläger am selben Tag zur selben Uhrzeit denselben Weg von der Hausaußentür zur Arbeitsstätte angetreten. Bei der Wahl des Fahrzeugs, welches er zur Bestreitung des Arbeitsweges nutzt, war der Kläger frei. Dass er sich aus einem privaten Zweck an diesem Tag für das Fahrzeug seiner Freundin entschied, lässt den Versicherungsschutz nach § 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII nicht entfallen.

Während dieser versicherten Tätigkeit ereignete sich auch ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper des Klägers einwirkendes Ereignis, als sein eigenes Auto, das auf abschüssigem Grund stand, sich in Bewegung setzte und den Kläger zwischen den beiden Autos einklemmte.

Schließlich erlitt der Kläger infolge des Ereignisses vom 16.12.2022 auch einen Gesundheitserstschaden. Im Durchgangsarztbericht der A-Klinik in Z.-Stadt vom 16.12.2022 wurde als Gesundheitserstschaden eine Becken- und Knieprellung links sowie eine HWS-Distorsion diagnostiziert. Die Prellung des linken Kniegelenks wurde überdies durch die in der Radiologischen Gemeinschaftspraxis Dres. S. in Z.-Stadt durchgeführte Kernspintomographie des linken Kniegelenks vom 21.12.2022 radiologisch gesichert.

Welche Unfallfolgen aus diesem Gesundheitserstschaden resultierten und wie lange die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit andauerte, ob also insbesondere ausschließlich die in der Arberlandklinik Zwiesel erfolgte Behandlung des Klägers bis Mitte Januar 2023 als unfallbedingt anzusehen ist oder auch die nachfolgende Behandlung durch Dr. Taubenhansl, ist für die Anerkennung des Ereignisses vom 16.12.2022 als Arbeitsunfall irrelevant. Etwaige Folgen des Arbeitsunfalls vom 16.12.2022 und hieraus resultierende Leistungsansprüche des Klägers sind nicht Gegenstand dieses Klageverfahrens, sondern durch die Beklagte in einem weiteren Verwaltungsverfahren zu prüfen.

Aus den vorstehenden Gründen hat die Klage Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Rechtskraft
Aus
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