L 13 SB 29/22

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
1. Instanz
SG Bremen (NSB)
Aktenzeichen
S 20 SB 117/19
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 13 SB 29/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 statt bislang 40 und mithin die Schwerbehinderteneigenschaft.

Bei dem 1961 geborenen Kläger wurde zuletzt mit Bescheid vom 30. November 2007 eine Behinderung im Sinne des § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) a.F. (§ 152 SGB IX n.F.) mit einem GdB von 40 ab dem 11. September 2007 festgestellt. Die Feststellung der Beklagten beruhte auf dem Bestehen eines depressiven Syndroms/somatisches Syndrom (Einzel-GdB: 30), Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom (Einzel-GdB: 20) sowie Belastungsbeschwerden des linken Kniegelenkes (Einzel-GdB: 10). In der Folgezeit stellte der Kläger mehrere Neufeststellungsanträge und wies auf die Verschlimmerung seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie neu aufgetretene Beeinträchtigungen in Form von Herzproblemen, Bluthochdruck, Arthrose, Magenprobleme (Reflux) und Schlafapnoe hin. Die Beklagte lehnte sämtliche Neufeststellungsanträge ab.

Am 29. August 2018 stellte der Kläger wiederum einen Neufeststellungsantrag bei der Beklagten, der den Ausgangspunkt des vorliegenden Rechtsstreits bildet. Sein Schlafapnoesyndrom habe sich verschlechtert. Gleiches gelte für die bereits festgestellte Funktionsbeeinträchtigung depressives Syndrom/somatisches Syndrom. Auf Anfrage der Beklagten legte der Kläger einen Bericht des Schlaflabors mit der Diagnose hochgradiges obstruktives Schlafapnoe-Syndrom, CPAP-Therapie seit 07/2017 vor. Dort wurde ausgeführt, beim Auslesen der Speicherkarte habe sich eine sehr geringe Nutzungszeit gezeigt. Mit dem Kläger sei die Notwendigkeit zur Maskenoptimierung durch den Versorger besprochen worden. Die Beklagte holte sodann einen Befundbericht der Hausärztin L. ein, welche ausführte, der Kläger klage seit Jahren über verschiedene Beschwerden, welche seine Angst vor einer schweren Erkrankung widerspiegeln würden und somit psychosomatisch zu verstehen seien. Daraus ergäben sich gelegentliche Krankschreibungen. Die Beklagte holte anschließend einen Befundbericht des Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Arztes F. ein, der die Diagnose hochgradiges obstruktives Schlafapnoesyndrom sowie die durchgeführte CPAP-Therapie seit 07/2017 bestätigte. Bei der letzten Vorstellung im Juni 2018 habe der Kläger eine Maskenintoleranz berichtet. Der Ärztliche Dienst der Beklagten sah auf Grundlage der Befundberichte keine wesentlichen Änderungen der Funktionsbeeinträchtigungen, sodass die Beklagte den Antrag auf Neufeststellung mit Bescheid vom 25. Januar 2019 ablehnte.

 

Den vom Kläger hiergegen am 18. Februar 2019 eingelegten und trotz Aufforderung der Beklagten nicht begründeten Widerspruch wies diese mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 2019 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat durch seine Prozessbevollmächtigte am 23. April 2019 Klage beim Sozialgericht (SG) A-Stadt erhoben mit dem Antrag, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 2019 zu verurteilen, ihm einen GdB von mindestens 50 zuzuerkennen. Er hat ausgeführt, die bei ihm vorhandene depressive Störung und seine etlichen Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen seien anstatt zu den leichten Anpassungsschwierigkeiten zu den mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten zu zählen, welche mit einem GdB von 50 bis 70 bewertet würden, da allein die vielzähligen Neurosen eine Anpassung an den gesellschaftlichen Alltag immens erschwerten. Hinzu kämen die für Depression typischen Symptome wie Antriebslosigkeit und einem andauernden Gefühl der Verzweiflung und Ausweglosigkeit, welche zu einer extremen Vereinsamung durch die eigene Abgrenzung führten, sodass ein Leben in der Gesellschaft kaum möglich erscheine. In der Gesamtschau mit den weiteren Einzel-GdB für das Hals- und Lendenwirbelsäulesyndrom, das Schlafapnoesyndrom sowie die Belastungsbeschwerden des linken Knies ergebe sich somit ein GdB von mindestens 50, zumal die Beklagte den Bluthochdruck, die Refluxkrankheit, das Hüft- und Fußleiden beidseits sowie die Ellenbogenbeschwerden gleichermaßen bei der Errechnung des Gesamt-GdB hätte berücksichtigen müssen.

Das SG A-Stadt hat einen Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. M. eingeholt, welcher mit Datum vom 7. Juli 2020 berichtet hat, beim Kläger bestünden ein sogenanntes Schulter-Arm-Syndrom beidseits, ein Impingement-Syndrom der rechten Schulter sowie degenerative Wirbelsäulenveränderungen. Dem Befundbericht beigefügt waren Berichte vom Radiologen und vom MRT.

Das SG A-Stadt hat zudem einen Befundbericht der Dr. E. eingeholt, die mit Datum vom 3. August 2020 berichtet hat, der Kläger sei vom 5. Mai 2020 bis zum 28. Mai 2020 untersucht und behandelt worden. Der Kläger leide unter einer Angststörung, die mit sozialem Rückzug und reduzierter Stimmung einhergehe. Die Stimmung habe sich jedoch unter der Gabe von Medikamenten (Paroxetin und Isidon) ebenso wie der Schlaf gebessert, wobei der Kläger dauerhaft kaum belastbar sei und hinsichtlich der Ängste und der Panik keine Verbesserung zu erwarten sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 11. Februar 2022 hat das SG A-Stadt die Klage, nach vorheriger Anhörung der Beteiligten, abgewiesen. Im Vordergrund stehe nach den vorliegenden Befunden und auch nach den eigenen Angaben des Klägers die psychische Beeinträchtigung. Diese sei unter Berücksichtigung des eingeholten Befundberichts von Dr. E. von der Beklagten mit einem Einzel-GdB von 30 angemessen berücksichtigt worden, weil sich die vom Kläger geschilderten Beeinträchtigungen der Schwere nach nicht objektivieren ließen. Dr. E. bestätige zwar die massiven Panikstörungen und Schlafstörungen. Sie habe aber auch eine Verbesserung des Schlafs und der Stimmung nach medikamentöser Behandlung geschildert, wenngleich sie auf die fehlende dauerhafte Belastbarkeit des Klägers aufgrund der bestehenden Angststörung hingewiesen habe. Eine weitere Therapie oder Behandlung durch einen Facharzt oder Therapeuten habe der Kläger jedoch auch auf weitere Nachfrage durch das Gericht nicht angegeben, sodass eine Aufklärung und ein objektivierter Nachweis des Ausmaßes der aktuell vorliegenden psychischen Störungen nicht möglich gewesen seien. Das Schlafapnoesyndrom sei, da es mittels CPAP therapiert werde, mit einem Einzel-GdB von 20 angemessen bewertet. Auch die orthopädischen Leiden im Bereich der Wirbelsäule seien mit einem GdB von 20 angemessen bewertet. Die Beeinträchtigungen der Schultergelenke und des linken Kniegelenks seien mit einem GdB von jeweils 10 hinreichend gewürdigt. Insgesamt sei der Gesamt-GdB mit 40 zutreffend gebildet worden.

Der Kläger hat durch seine Prozessbevollmächtigte am 15. März 2023 Berufung gegen den Gerichtsbescheid eingelegt. Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen seine Ausführungen aus dem erstinstanzlichen Verfahren, die das SG nicht hinreichend berücksichtigt habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des SG A-Stadt vom 11. Februar 2022 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 2019 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, den GdB des Klägers mit mindestens 50 ab Antragstellung festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

                        die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den Gerichtsbescheid des SG A-Stadt für zutreffend.

Der Senat hat nochmals einen Befundbericht der Dr. E. eingeholt. Diese hat mit Datum vom 4. Oktober 2022 berichtet, der Kläger sei zuletzt am 25. August 2022 behandelt worden. Er leide unter einer Panikstörung, einer Angststörung, einer Schlafstörung sowie COPD. Sein Gesundheitszustand sei schwankend und instabil, wobei es zurzeit wieder zu ausgeprägten Schlafstörungen und Panikattacken mit sozialem Rückzug komme.

Mit ergänzendem Befundbericht vom 22. Dezember 2022 hat Dr. E. mitgeteilt, der Kläger werde mit den Medikamenten Isidon und Paroxetin therapiert.

Der Senat hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens. Der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie D. hat mit Gutachten vom 24. April 2023 ausgeführt, auf körperlich-neurologischen Fachgebiet finde sich beim Kläger anamnestisch ein Schlafapnoesyndrom, welches erstmals im Juli 2017 festgestellt worden sei. Der Kläger gebe in der Anamnese glaubhaft an, dass er Schwierigkeiten mit der Maske habe, unter nächtlichen Panikattacken leide und die Maske deshalb in der Nacht abziehe. Hinweise auf Aggravation oder Simulation hätten sich nicht gefunden. Hinsichtlich des Schlafapnoesyndroms bestehe die Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung. Diese könne jedoch aufgrund der regelmäßig auftretenden Panikattacken nicht kontinuierlich durchgeführt werden, was zu Folgeerscheinungen führe. Hier seien in erster Linie Konzentrationsstörungen zu nennen, die zu beobachten gewesen seien und im Laufe des Untersuchungsprozesses zugenommen hätten. Die Bewertung der Schlafapnoe mit dem Einzel-GdB von 20 sei daher zu niedrig angesetzt, da sie die tatsächlichen Verhältnisse nicht berücksichtige. Das Schlafapnoesyndrom in der beim Kläger vorliegenden Schwere und der nicht möglichen kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung müsse deshalb mit dem Schweregrad der nächsten Stufe, mit 50, bewertet werden. Neben dem Schlafapnoesyndrom bestehe auf psychiatrischem Fachgebiet eine Anpassungsstörung mit depressiven Zügen und Angstsymptomen. Die in der Vergangenheit berichtete Depression des Klägers lasse sich heute nicht mehr nachweisen. Der Einzel-GdB überschreite den Wert von 20 insoweit nicht. Auf anderem Fachgebiet fänden sich vor allem Beschwerden vom Bewegungsapparat ausgehend im Bereich der Wirbelsäule, wobei sich bei der Untersuchung keine Befunde oder Hinweise gefunden hätten, die einen berechtigten Zweifel an dem diesbezüglich anerkannten Einzel-GdB von 20 rechtfertigen würden. Allerdings führten die Beschwerden, welche vom Bewegungsapparat ausgingen, zu zusätzlichen Einschränkungen, welche über die durch das Schlafapnoesyndrom bedingten Einschränkungen hinausgingen. Insbesondere die Beweglichkeit im physikalischen Bereich sei hiervon betroffen. Der führende Einzel-GdB der Schlafapnoe erhöhe sich deshalb um 10, sodass der GdB für den Gesamtzustand der Behinderung des Klägers 60 betrage. Dieser bestehe seit der Antragstellung vom 24. Dezember 2017 und habe sich seitdem nicht geändert.

Die Beklagte ist dem Sachverständigengutachten unter Hinweis auf eine gutachterliche Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes vom 4. Mai 2023. Diese ging weiterhin von einem Gesamt-GdB von 40 aus, wobei sich hinsichtlich der festgestellten Einzel-GdB keine Änderungen ergaben. Die ärztliche Beraterin hat ausgeführt, dem psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen D. könne keine höhergradige psychische Funktionsbehinderung entnommen werden. Die Bewertung zum Schlafapnoesyndrom falle zum einen nicht in seinen Fachbereich. Zum anderen werde diese fachärztlich behandelt und ein mit CPAP behandeltes Schlafapnoesyndrom bedinge nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen einen GdB von 20.

Der Senat hat daraufhin einen Befundbericht des HNO-Arztes F. eingeholt. Dieser hat mit Datum vom 30. August 2023 nochmals auf das beim Kläger bereits 2017 diagnostizierte hochgradige obstruktive Schlafapnoesyndrom hingewiesen. Er sei mehrfach zwischen August 2017 bis zuletzt Februar 2021 somnologisch bzw. im Schlaflabor untersucht worden. Dabei sei es nicht möglich gewesen, dem Kläger mit der CPAP-Therapie als Goldstandard zur Behandlung der Krankheit zu helfen. Ursächlich für die CPAP-Intoleranz sei ein traumatisches Erlebnis während der Wehrdienstzeit. Der Kläger habe bei einer Atemschutzübung mit einer Gesichtsmaske über drei Stunden in eine Röhre festgesessen. Infolgedessen sei es seinerzeit zu einer notwendigen psychotherapeutischen Intervention gekommen. Der Kläger sei auch zum Zeitpunkt der Maskenerprobung aufgrund einer Panikstörung weiterhin in Behandlung gewesen. Die als weitere Therapiemöglichkeit vom Schlaflabor empfohlene progenierede Aufbissschiene sei nicht umzusetzen gewesen aufgrund unzureichender Verankerung an dem vorhandenen Gebiss. Eine Dreifachimplantatversorgung mit einer Selbstbeteiligung von 16.000 € sei vom Kläger nicht zu leisten gewesen. Bei letztmaliger Kontrolle im Schlaflabor im Februar 2021 sei die Indikation für einen Zungen/Hypoglossus-Schrittmacher nicht gegeben gewesen. Damit sei zu diesem Zeitpunkt bei absoluter CPAP-Intoleranz keine Therapiemöglichkeit gegeben. Entsprechend habe der Kläger bei seiner letzten Vorstellung im April 2023 über persistent eingeschränkten Nachtschlaf, regelmäßiges Erwachen und „nicht wieder einschlafen können“ berichtet. Daraus resultiere Tagesmüdigkeit.

Dr F. hat seinem Befundbericht Berichte des Schlaflabors vom 2. August 2019, 19. Februar 2021 und 23. März 2021 beigefügt, wegen deren Inhalt auf die Gerichtsakte Bezug genommen wird.

Die Beklagte hat im Hinblick auf den Befundbericht an ihrer Rechtsauffassung festgehalten und auf eine neuerliche gutachtliche Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes vom 19. Oktober 2023 verwiesen. Hier hat die ärztliche Beraterin ausgeführt, bei der letzten Schlaflaboruntersuchung im Februar 2021 sei nur noch ein leicht- bis mittelgradiges Schlafapnoesyndrom, zusätzlich noch mit Rückenlagebezug, nachgewiesen worden. Eine Indikation für einen Zungenschrittmacher sei entsprechend nicht gegeben gewesen, ggf. nur eine solche für eine Lagerungsweste. Dies würde keinen GdB bedingen. Eine dort vorgeschlagene Kontrolluntersuchung unter Medikation mit gegebenenfalls Anpassung einer Rückenlageverhinderungsweste sei nicht erfolgt, wie sich aus dem Befundbericht des HNO-Arztes ergebe.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte, seinen GdB mit mindestens 50 festzustellen.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i. V. m. § 152 SGB IX in der zum 1. Januar 2018 in E. getretenen Neufassung durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG, BGBl. I 2016, 3234 ff.). Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer solchen ist im Schwerbehindertenrecht bei einer Änderung im Gesundheitszustand des behinderten Menschen auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, während das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - juris Rn. 26 m. w. N.). Dabei sind die in dem früheren Bescheid bei der Feststellung des Gesamt-GdB berücksichtigten Einzel-GdB – anders als der Gesamt-GdB selbst – nicht in Bestandskraft erwachsen (BSG, Urteil vom 5. Juli 2007 - B 9/9a SB 12/06 R - juris Rn. 17 f.) und es handelt sich bei der Neufeststellung dementsprechend nicht um eine reine Hochrechnung des im früheren Bescheid festgestellten Gesamt-GdB, sondern um dessen Neuermittlung auf der Grundlage der aktuell tatsächlich vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2000 - B 9 SB 3/00 R - juris Rn. 14).

Nach § 152 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (Abs. 1 S. 1). Als GdB werden dabei nach § 152 Abs. 1 S. 5 SGB IX n. F. die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Grundlage der Bewertung waren dabei bis zum 31. Dezember 2008 die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP). Dieses Bewertungssystem ist zum 1. Januar 2009 ohne wesentliche inhaltliche Änderungen abgelöst worden durch die aufgrund des § 30 Abs. 17 (bzw. Abs. 16) BVG erlassene und zwischenzeitlich mehrfach geänderte Rechtsverordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung- VersMedV -) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I 2412). Die darin niedergelegten Maßstäbe waren nach § 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX (in der bis zum 14. Januar 2015 gültigen Fassung) auf die Feststellung des GdB entsprechend anzuwenden. Seit dem 15. Januar 2015 existiert im Schwerbehindertenrecht eine eigenständige Rechtsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung, in der die Grundsätze für die medizinische Bewertung des GdB und auch für die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen aufgestellt werden (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der seit dem 15. Januar 2015 gültigen Fassung bzw. § 153 Abs. 2 SGB IX in der seit dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung). Hierzu sieht der zeitgleich in E. getretene § 159 Abs. 7 SGB IX (nunmehr § 241 Abs. 5 SGB IX n. F.) als Übergangsregelung vor, dass bis zum Erlass einer solchen Verordnung die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten.

Als Anlage zu § 2 VersMedV sind "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) erlassen worden, in denen u.a. die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) i. S. des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden sind. Diese sind auch für die Feststellung des GdB maßgebend (vgl. Teil A Nr. 2 a VMG). Die AHP und die zum 1. Januar 2009 in E. getretenen VMG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG], vgl. z. B. Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 SB 2/13 R - juris Rn. 10 m. w. N.).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 152 Abs. 3 S. 1 SGB IX n. F. nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (s. § 2 Abs. 1 SGB IX) und die damit einhergehenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB (vgl. Teil A Nr. 3 c VMG) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in den VMG feste Grade angegeben sind (Teil A Nr. 3 b VMG). Hierbei führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung und auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d ee VMG; vgl. zum Vorstehenden auch BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - juris Rn. 29).

Die Bemessung des GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl. BSG a.a.O. Rn. 30). Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Maßgeblich für die darauf aufbauende GdB-Feststellung ist aber nach § 2 Abs. 1, § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX n. F., wie sich nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken. Bei der rechtlichen Bewertung dieser Auswirkungen sind die Gerichte an die Vorschläge der von ihnen gehörten Sachverständigen nicht gebunden (BSG, Beschluss vom 20. April 2015 - B 9 SB 98/14 B - juris Rn. 6 m.w.N.).

Unter Beachtung dieser Grundsätze sind der Gerichtsbescheid des SG A-Stadt vom 11. Februar 2022 und die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat vielmehr zu Recht die Feststellung eines GdB von mindestens 50 abgelehnt.

Der Senat folgt in wesentlichen Zügen der Begründung des Gerichtsbescheides des SG A-Stadt vom 11. Februar 2022, der er sich nach eigener Sachprüfung anschließt und die er daher nicht wiederholt (§ 153 Abs. 2 SGG), die aber nachfolgend, aufgrund der weiteren Ermittlungsergebnisse, verschiedener Ergänzungen bedarf.

So ist zunächst unter Berücksichtigung der Feststellungen im Sachverständigengutachten des Neurologen und Psychiaters D. vom 24. April 2023 davon auszugehen, dass sich die depressive Symptomatik des Klägers zwischenzeitlich gebessert hat, sodass der vom SG A-Stadt für angemessen erachtete und von der Beklagten bislang berücksichtigte Einzel-GdB von 30 nicht mehr gerechtfertigt erscheint. So hat der Sachverständige ausgeführt, die in der Vergangenheit berichtete Depression des Klägers lassen sich heute hier nicht mehr nachweisen. Die klinisch-psychiatrischen Befunde seien weitgehend intakt gewesen. Insbesondere seien die höheren kognitiven und psychischen Funktionen ungestört gewesen. Die psychische Erkrankung solle daher jetzt als Anpassungsstörung mit depressiven und ängstlichen Zügen bezeichnet werden und entsprechend Teill B Nr. 3.7 VMG als leichtere psychovegetative oder psychische Störung eingestuft werden. Der Senat schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen an und geht unter Berücksichtigung der genannten Ziffer der VMG davon aus, dass insoweit ein Einzel-GdB von (lediglich) 20 gerechtfertigt ist.

Der Senat folgt dem Sachverständigengutachten auch insoweit, als dass dieses davon ausgeht, dass beim Kläger nunmehr das festgestellte Schlafapnoesyndrom als führende gesundheitliche Einschränkung einzuschätzen ist. Dies deckt sich auch mit dem schriftsätzlichen Vorbringen des Klägers sowie seinen Ausführungen im Termin zur mündlichen Verhandlung, in welcher er seine Schlafprobleme sowie insbesondere seine Probleme mit der CPAP-Maskentherapie anschaulich beschrieben hat. Der Senat geht daher davon aus, dass das Schlafapnoesyndrom den Kläger, jedenfalls im Zusammenspiel mit den vorhandenen psychischen Problemen, in seinem Alltag am meisten beeinträchtigt.

Entgegen den Ausführungen im Sachverständigengutachten geht der Senat allerdings nicht davon aus, dass der Einzel-GdB des Schlafapnoesyndroms mit 50 zu bewerten ist. Zwar besteht beim Kläger, wie zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, wohl die Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung, sodass unter Berücksichtigung von Teil B Nr. 8.7 VMG ein Einzel-GdB von mindestens 20 anzunehmen ist. Der Senat gelangt jedoch nicht zu der Überzeugung, dass beim Kläger aufgrund nicht durchführbarer nasaler Überdruckbeatmung bereits ein Einzel-GdB von 50 für das beschriebene Schlafapnoesyndrom gerechtfertigt ist. Zwar folgt aus den weiteren vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere dem Befundbericht des HNO-Arztes F. vom 30. August 2023 und den beigefügten Berichten des Schlaflabors, dass beim Kläger eine CPAP-Intoleranz besteht. Auch hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung sowie zuvor bereits schriftsätzlich ausführlich beschrieben, warum eine Maskenversorgung bei ihm nicht möglich sei und zu nächtlichen Panikattacken führe. Bei der Beantwortung der Frage, ob bei Nicht-Durchführbarkeit der nasalen Überdruckbehandlung nach Teil B Nr. 8.7 VMG schematisch ein GdB von 50 anzunehmen ist oder ob je nach Schweregrad der Erkrankung und den hieraus im Einzelfall resultierenden Funktionseinschränkungen eine Abweichung von diesem Tabellenwert nach Teil A Nr. 2 d) S. 2 VMG geboten ist, ist jedoch der Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin zur Schlafapnoe vom September 2012 zu berücksichtigen. Wegen der Rechtsnatur als antizipierte Sachverständigengutachten ist der Inhalt der VMG jedenfalls nicht ausschließlich mit Hilfe juristischer Auslegungsmethoden zu ermitteln. Vielmehr sind inhaltliche Zweifel an ihrem durch besondere medizinische Sachkunde geprägten Inhalt vorzugsweise durch Nachfrage bei dem fachlich verantwortlichen Urheber, hier also bei dem beim BMAS gebildeten unabhängigen Ärztlichen Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin (§ 3 VersMedV), zu klären (BSG, Urteil vom 27. Oktober 2022 – B 9 SB 4/21 R – juris Rn. 29). Eine solche Nachfrage erübrigt sich hier im Hinblick auf den bereits vorliegenden Beiratsbeschluss zur Schlafapnoe, der dementsprechend aus den vorstehenden Gründen bei der Auslegung zu berücksichtigen ist. Danach ist ein GdB mit 50 für Schlafapnoe nur für begründete Ausnahmefälle in Betracht zu ziehen. Ein GdB mit 50 setzt insoweit Folgestörungen und funktionelle Einbußen voraus, die eine Vergleichbarkeit mit den funktionellen Einschränkungen einer Narkolepsie (Tagesschläfrigkeit, Schlafattacken, Kataplexien, automatisches Verhalten im Rahmen von Ermüdungserscheinungen, Schlaflähmungen, vgl. Teil B Nr. 3.2 VMG) rechtfertigen. Der Senat ist nicht zu der Überzeugung gelangt, das beim Kläger eine solche Vergleichbarkeit gegeben ist. So hat er im Termin zur mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass seine Schlafapnoe nicht zu Beeinträchtigungen in seinem beruflichen Alltag führe und er bei seiner Arbeit als Kraftfahrer voll konzentriert sei und überhaupt keine Probleme habe. Dies spricht eindeutig gegen ein derart schweres Ausmaß der Schlafapnoe, dass ein Vergleich mit einer Narkolepsie gerechtfertigt wäre, zumal eine mit diesem Krankheitsbild vergleichbare Symptomatik auch in den Gutachten des Sachverständigen D. nicht festgestellt worden ist. Zwar hat der Kläger auch ausgeführt, dass er nach seiner Arbeit zu Hause oft „platt“ sei und dann früh schlafen gehe. Hobbys habe er keine und es sei schon lange her, dass er einmal unterwegs gewesen sei. Dennoch vermag der Senat nicht zur Überzeugung zu gelangen, dass hieraus eine entsprechende Vergleichbarkeit mit dem Schweregrad des Krankheitsbildes einer Narkolepsie folgt, zumal die beschriebenen Einschränkungen des Privatlebens gleichermaßen auf die psychische Erkrankung und den damit verbundenen sozialen Rückzug des Klägers zurückgeführt werden können. Lediglich ergänzend ist zudem anzumerken, dass ausweislich des letzten Berichts des Schlaflabors vom 19. Februar 2021 über den Aufenthalt des Klägers vom 17. Februar 2021 bis zum 19. Februar 2021 seinerzeit nur noch ein leicht- bis mittelgradiges obstruktives Schlafapnoesyndrom beim Kläger diagnostiziert wurde. Dies spricht für eine Besserung der Symptomatik und gegen eine Vergleichbarkeit mit einer Narkolepsie, zumal in dem Bericht weitere Therapieempfehlungen gegeben werden, die vom Kläger, sei es aus Unkenntnis oder Unwillen, nicht weiterverfolgt wurden.

Die weiteren Beschwerden des Klägers rechtfertigen in Anwendung von Teil A Nr. 3 d ee VMG keine weitere Erhöhung des GdB und nicht die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft. Insoweit folgt der Senat den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid des SG A-Stadt vom 11. Februar 2022. Keine der beschriebenen weiteren Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers ist als so schwerwiegend einzuschätzen, dass eine Erhöhung des Gesamt-GdB auf 50 gerechtfertigt wäre. Selbst wenn man unter Berücksichtigung des vorstehend dargestellten Beiratsbeschlusses davon ausginge, dass für die Schlafapnoe zwar kein GdB von 50, aber ein höherer Einzel-GdB als 20, mithin 30 bis 40, festgestellt werden könnte, würde sich unter Berücksichtigung der Einzel-GdB von jeweils 20 für die psychischen Leiden des Klägers einerseits und seines Wirbelsäulenleidens andererseits unter Anwendung von Teil A Nr. 3 c VMG ein Gesamt-GdB von allenfalls 40 ergeben.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen stets zur vollen Überzeugung des Gerichts in der Weise nachgewiesen werden müssen, dass vernünftige Zweifel nicht verbleiben und das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann. Auch hinsichtlich des geltend gemachten Ausmaßes einer Gesundheitsstörung ist für den Ausspruch einer entsprechenden Feststellung eine jeden vernünftigen Zweifel ausschließende volle Überzeugung erforderlich, dass die Funktionsstörung in diesem Ausmaß vorliegt und die Möglichkeit einer lediglich mit einem geringeren GdB zu bewertenden Störung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausscheidet. Verbleiben insoweit Zweifel, ist auch im Falle überwiegender Wahrscheinlichkeit eines höher zu bewertenden Ausmaßes eine Höherbewertung nicht möglich, so lange deren Erforderlichkeit auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht mit dem entsprechenden Beweismaß der vollen richterlichen Überzeugung als erwiesen gelten kann.

Dies führt in den häufigen Fällen, in denen der Gesamt-GdB in vertretbarer Weise entweder einen Zehnergrad höher oder niedriger angenommen werden kann, zudem regelmäßig dazu, dass eine richterliche Heraufsetzung des GdB auf den höheren vertretbaren Wert aufgrund der in diesen Fällen zumeist verbleibenden Zweifel nach den Regeln der objektiven Beweislast (hierzu BSG, Urteil vom 27. Oktober 2022 – B 9 SB 4/21 R – juris Rn. 41, m. w. N.) nicht in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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