1. Ein vorläufiger Bewilligungsbescheid, der sich nach § 39 Abs. 2 SGB X mit Erlass des endgültigen Festsetzungsbescheids erledigt hat, kann nicht nach § 44 SGB X überprüft werden, da es am zu überprüfenden Gegenstand fehlt, sodass eine sachliche Prüfung im Rahmen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht eröffnet ist.
2. Ein endgültiger Festsetzungsbescheid wird nicht gemäß § 86 1. Halbsatz SGG Gegenstand eines Widerspruchsverfahrens über die Überprüfung (§ 44 SGB X) der Höhe der vorläufig zu bewilligenden Leistungen nach dem SGB II. Vielmehr entfällt der Gegenstand des Überprüfungsverfahrens nachträglich.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Gewährung von vorläufig höheren Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit von Juli 2016 bis Juni 2017 streitig.
Der 1965 geborene Kläger stand beim Beklagten laufend im (ergänzenden) Bezug von Arbeitslosengeld II.
Am 31.05.2016 beantragte der Kläger die Weiterbewilligung von Leistungen ab dem 01.07.2016. Mit Bewilligungsbescheid vom 06.07.2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 13.08.2016 und 02.12.2016 gewährte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.07.2016 bis 31.12.2016 vorläufig Leistungen unter Anrechnung eines Einkommens aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Die Entscheidung wurde gestützt auf § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II idF vom 21.07.2014 iVm § 328 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Hiergegen erhob der Kläger am 15.07.2016 Widerspruch. Mit Bescheid vom 26.07.2017 setzte der Beklagte die Leistungen für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2016 endgültig fest. Mit Erstattungsbescheid ebenfalls vom 26.07.2017 forderte der Beklagte vom Kläger die Erstattung von insgesamt 399,04 € für August, September und Dezember 2016. Der Widerspruch hiergegen wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2019 als unbegründet zurückgewiesen, die endgültige Festsetzung ersetze den vorläufigen Bescheid vollständig, der Erstattungsbescheid sei nicht zu beanstanden.
Am 14.11.2016 beantragte der Kläger die Weiterbewilligung von Leistungen ab dem 01.01.2017. Mit Bewilligungsbescheid vom 02.12.2016, gestützt auf § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II idF vom 26.07.2016, in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27.02.2017 gewährte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis 30.06.2017 vorläufig Leistungen unter Anrechnung eines Einkommens aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Mit Bescheid vom 30.11.2017 setzte der Beklagte die Leistungen für den Zeitraum von Januar bis Juni 2017 endgültig fest.
Der Klägerbevollmächtigte stellte mit Schreiben vom 28.08.2017 einen Antrag auf Überprüfung folgender Bescheide: "Änderungsbescheid vom 02.12.2016 (Bewilligungszeitraum 01.10.2016 bis 30.06.2017), 28.07.2016, 13.08.2016 (Bewilligungszeitraum 01.09.2016 bis 31.12.2016) und 06.07.2016 (Bewilligungszeitraum 01.07.2016 bis 31.12.2016)". Zur Begründung des Überprüfungsantrags wurde angeführt, die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) seien für diese Zeiträume fehlerhaft berechnet.
Mit Bescheid vom 25.09.2017 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ab. Ein Bewilligungs- bzw. Änderungsbescheid vom 28.07.2016 sei nicht ergangen. Die übrigen im Antrag benannten Bescheide seien hinsichtlich der Berechnung der KdUH überprüft worden und insoweit nicht zu beanstanden.
Dagegen legte der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 06.10.2017 Widerspruch ein. Der Bescheid vom 25.09.2017 sei aufzuheben, die Bescheide vom 02.12.2016, 13.08.2016 und 06.07.2016 seien abzuändern und höhere Leistungen zu gewähren. Die Mietkosten seien in Höhe der tatsächlichen Zahlungsverpflichtung in den Bedarf einzustellen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2018 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger habe nichts vorgebracht und es gebe auch sonst keine neuen Erkenntnisse, die für die Unrichtigkeit der Bescheide vom 02.12.2016, 13.08.2016 und 06.07.2016 sprechen könnten. Eine sachliche Prüfung dieser Bescheide habe daher abgelehnt werden dürfen.
Der Klägerbevollmächtigte erhob am 03.04.2018 Klage zum Sozialgericht München gegen den Bescheid vom 25.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.2018.
Das Sozialgericht wies mit Urteil vom 14.10.2021 die Klage ab; diese sei bereits unzulässig. Die Anfechtungsklage richte sich bei einem Antrag nach § 44 SGB X nicht nur auf den Überprüfungsbescheid, sondern auch den zu überprüfenden Bescheid. Vorliegend bestehe aufgrund der vorläufigen Bewilligung kein Rechtsschutzbedürfnis, da in diesem Fall der Leistungsbezieher vorrangig den Anspruch auf eine abschließende Entscheidung über den Leistungsanspruch geltend zu machen habe.
Gegen das dem Kläger am 24.11.2021 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat der Kläger am 22.12.2021 Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingereicht.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung an folgendem Antrag festgehalten:
Er beantragt
hiermit wiederholt, meiner Berufung stattzugeben und den Beklagten dazu zu verurteilen, die tatsächlichen Angaben/Absetzbeträge wie vorgelegt, für eine korrekte Bedarfs- und Einkommensermittlung anzuerkennen, bzw. zu erklären, welche Einnahmen/Ausgaben positionsgenau, wie vom Kläger vorgelegt, in der Bedarfs- und Einkommensermittlungen Berücksichtigung fanden und welche nicht, und diesen Aufwand nicht dem Gericht zu überlassen,
die Differenz zur vollen tatsächlichen Miete nachzuzahlen sowie
die Verjährung sämtlicher Beklagten/Forderungen festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Vervollständigung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.10.2021 ist form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und ist auch statthaft.
Der Kläger beantragte erstinstanzlich - unter Aufhebung des Überprüfungsbescheids vom 25.09.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.2018 - die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung vorläufig höherer Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum und führte zur Begründung an, dass höhere KdUH zu übernehmen seien, rückwirkend ein Zwölfmonatszeitraum zu betrachten sei und seine Investitionen in eine selbstständige Tätigkeit zu berücksichtigen seien. Im Berufungsverfahren hat er schriftsätzlich diese Begründung im Wesentlichen wiederholt. Alle Begründungselemente hat er auch in seinen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellten Antrag aufgenommen und mündlich zum Ausdruck gebracht, dass er höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung seiner Ausgaben begehrt. Daher ist der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag des Klägers so auszulegen, dass er sein Begehren der Aufhebung des Überprüfungsbescheids vom 25.09.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.2018 und der Bewilligung höherer Leistungen weiterverfolgt.
Die so verstandene Berufung ist unbegründet, da die Klage erfolglos bleibt; sie ist jedoch, anders als das Sozialgericht entschied, nicht unzulässig, sondern unbegründet. Der Bescheid vom 25.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.2018 ist im Ergebnis rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da sich die zu überprüfenden Bescheide vollumfänglich erledigt haben.
Statthafte Klageart ist vorliegend eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 iVm § 56 SGG). Die Anfechtungsklage zielt auf die Aufhebung des die Überprüfung ablehnenden Bescheids in Gestalt des Widerspruchsbescheids, die Verpflichtungsklage auf die Aufhebung der vorläufigen Ausgangsbescheide und die Leistungsklage auf die Verurteilung zu höheren, weiterhin vorläufig beanspruchten Leistungen (Baumeister in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 44 SGB X (Stand: 15.11.2023) Rn. 192 mwN).
Rechtsgrundlage für die Überprüfung der vorläufigen Bewilligung durch den Beklagten ist § 40 Abs. 1 SGB II iVm § 44 SGB X. Auch nach Unanfechtbarkeit ist gemäß § 40 Abs. 1 SGB II iVm § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Leistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Der Überprüfungsantrag vom 28.08.2017 für die Zeit von Juli bis Dezember 2016 wurde mangels zu überprüfenden Bescheids vom Beklagten im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Dieser war nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf die Überprüfung der vorläufigen Bewilligungsbescheide gerichtet. Die vorläufigen Bescheide vom 06.07.2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 13.08.2016 und 02.12.2016 sowie der vorläufige Bescheid vom 02.12.2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27.02.2017 haben sich gemäß § 39 Abs. 2 SGB X mit Erlass der endgültigen Festsetzungsbescheide vom 26.07.2017 und vom 30.11.2017 jedoch erledigt. Damit fehlt es an dem zu überprüfenden Gegenstand. Der Überprüfungsantrag geht ins Leere, da die sachliche Prüfung im Rahmen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wie es auch das Sozialgericht und der Beklagte angenommen haben, nicht eröffnet ist.
Für den Zeitraum von Januar bis Juni 2017 bezog sich der Überprüfungsantrag vom 28.08.2017 nach § 44 SGB X ebenfalls ausschließlich auf den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 02.12.2016. Zwar erledigte sich dieser erst während des laufenden Widerspruchsverfahrens gegen den Überprüfungsbescheid vom 25.09.2017 nach § 39 Abs. 2 SGB X, als der endgültige Festsetzungsbescheid vom 30.11.2017 erging. Bei einem Widerspruchsverfahren gegen einen ablehnenden Überprüfungsbescheid gemäß § 44 SGB X wird jedoch ein Verwaltungsakt, der den im Rahmen des Verfahrens nach § 44 SGB X zu überprüfenden Verwaltungsakt abändert oder ersetzt, nicht gemäß § 86 1. Halbsatz SGG Gegenstand des Vorverfahrens (Senger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86 SGG (Stand: 03.04.2024) Rn. 29).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.