Tritt infolge eines im Rahmen einer unfallversicherten Tätigkeit aufgetretenen Knalls (Unfallereignis) eine – wenn auch nur vorübergehende – Vertäubung (Gesundheitserstschaden) auf, handelt es sich um einen Arbeitsunfall.
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 13.02.2024 und der Bescheid der Beklagten vom 23.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2021 aufgehoben und wird das Ereignis vom 31.08.2018 als Arbeitsunfall festgestellt.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Ereignisses vom 31.08.2018 als Arbeitsunfall
streitig.
Der 1963 geborene Kläger war bei der T1 GmbH als Lagerist berufstätig.
Bei der Beklagten wurde der Arztbericht des W1 vom 14.09.2018 aktenkundig. Darin wurde ausgeführt, dass der Kläger bei ihm am 13.09.2018 eingetroffen sei und angegeben habe, beim Arbeiten mit Rohren seien mehrere Rohre aufeinander „geflogen“, dabei habe sich ein lauter Knall ereignet. Für die Ohren beidseits wurden „TF u.GG o.B.“ und „Ohrgeräusch“ sowie „Tymp.: bds. Combliance u. Reflexe o.B.“ befundet und ein Zustand nach Knalltrauma diagnostiziert. Beigefügt waren die Audiogramme vom 23.08.2017 und 13.09.2018. In der ebenfalls beigefügten Rechnung wurden als Diagnosen ein Zustand nach Knalltrauma sowie eine Hochtonschwerhörigkeit beidseits angegeben.
Sodann ging bei der Beklagten die Ärztliche Unfallmeldung des Arztes R1 vom 17.09.2018 ein. Darin wurde ausgeführt, dass der Kläger bei ihm am 17.09.2018 eingetroffen sei und angegeben habe, beim Arbeiten seien Rohre aufeinander gefallen, dabei habe sich ein lauter Knall ereignet. Diagnostiziert wurde ein dekompensierter Tinnitus. Im beigefügten Arztbrief vom 18.09.2018 führte R1 aus, die Überweisung sei durch den behandelnden Arzt für HNO-Heilkunde erfolgt, der Kläger habe unter Tränen geschildert, seit einem Knalltrauma am 31.08.2018 um 10.30 Uhr bei der Arbeit habe sich ein massives Ohrgeräusch rechtsseitig in Form eines hohen Pfeifens eingestellt, er könne seit dieser Zeit nicht mehr schlafen und sich nicht mehr konzentrieren, habe starke Kopfschmerzen und sei auch depressiv und extrem geräuschempfindlich. In psychischer Hinsicht sei der Kläger deutlich depressiv herabgestimmt. Es handele sich um einen dekompensierten Tinnitus aurium. Unter der aktuellen Medikation sei bisher keine Besserung des Tinnitus und der depressiven Symptomatik im Rahmen einer akuten Belastungsreaktion eingetreten.
Aktenkundig wurde sodann der Arztbrief des S1 vom 25.09.2018. Dieser führte darin aus, dass der Kläger sich nach erfolgter Überweisung durch R1 am 25.09.2018 vorgestellt habe. Der Kläger habe über einen seit etwa 15 Jahren bestehenden Tinnitus beidseits „Hochton, piepsend, dauerhaft vorliegend, ohne Pulssynchronizität“ geklagt und angegeben, am 31.08.2018 habe sich der Tinnitus aufgrund eines Knalltraumas massiv verstärkt, im Rahmen eines Arbeitsunfalles habe es im Betrieb einen Riesenknall gegeben, der zunächst zu einem kompletten Hörverlust für Stunden geführt habe, inzwischen sei das Hören wiedergekommen, der Tinnitus habe sich jedoch nicht gelegt, der Tinnitus sei rechtsbetont, nun habe er massiv psychische Probleme, er schlafe nicht mehr, bringe keine Konzentration mehr, könne nicht Autofahren, „benutze“ einen Chauffeur, hinzukämen Schwindelanfälle, Kopfbrummen über den ganzen Tag, der Tinnitus müsse leiser werden, sonst drehe er durch. Ferner habe der Kläger berichtet, im Vorfeld habe über Jahre eine hohe Stressbelastung am Arbeitsplatz bestanden. S1 beschrieb den Kläger als sich psychisch massiv belastet zeigend, innerlich angespannt, unter dem Tinnitus leidend, verzweifelt, mit erhöhter Somatisierungsneigung, mit unterschwelligen Ängsten und katastrophierenden Kognitionen hervortretend. Beim Kläger zeige sich ein dekompensierter sensineuraler Tinnitus nach Knalltrauma. Der Kläger leide bereits seit etwa 15 Jahren unter einem Tinnitus, der sich im Rahmen einer ständigen Stressbelastung am Arbeitsplatz chronifiziert habe. Das Knalltrauma habe zu einer deutlichen Exazerbation geführt. Der Kläger sei massiv innerlich angespannt, mit der Gesamtsituation unzufrieden und verzweifelt.
Auf Anfrage der Beklagten, warum das vom Kläger als Arbeitsunfall angeschuldigte Ereignis bislang nicht als Arbeitsunfall angezeigt worden sei, teilte der Geschäftsführer der Arbeitgeberin des Klägers S2 am 25.10.2018 (Bl 59, 61) mit, in den erfolgten Krankmeldungen sei die Position „Arbeitsunfall“ nicht angekreuzt gewesen, erst drei Wochen nach der ersten Krankmeldung habe ein Neurologe (als Nachfolgearzt des HNO-Arztes) feststellen wollen, dass die Krankheit des Klägers auf einem Arbeitsunfall beruhe. Der Kläger habe an seinem Arbeitsplatz weder seinem Vorgesetzten noch seinen Kollegen von einem Vorfall berichtet, der auf einen Arbeitsunfall beziehungsweise das ursächliche Ereignis, das angebliche Zusammenknallen von PE-Rohren, schließen lasse. Auch keinem der anderen Kollegen, die sich zum fraglichen Zeitpunkt auf dem Lagergelände befunden hätten, sei ein derartiges Ereignis bekannt. Es sei hier eine beabsichtigte Irreführung durch den Kläger zur Erlangung zusätzlicher Leistungen zu vermuten. Es werde mit aller Deutlichkeit ein Zusammenhang der angegebenen Krankheit mit der Tätigkeit im Unternehmen bestritten. Beigefügt waren die von der Ärztin B1 am 03.09.2018 sowie 07.09.2018 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, in denen die Position „Arbeitsunfall, Arbeitsunfallfolgen, Berufskrankheit“ nicht angekreuzt sind, sowie die von W1 am 17.09.2018 und von R1 am 24.09.2018, 01.10.2018 sowie 04.10.2018 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, in denen die Position „Arbeitsunfall, Arbeitsunfallfolgen, Berufskrankheit“ angekreuzt sind.
Aus der von der AOK - Die Gesundheitskasse B2 am 30.10.2018 vorgelegten Mitglieds- und Vorerkrankungsbescheinigung gehen unter anderem als Diagnosen für die Zeit vom 10.03.2014 bis zum 14.03.2014 eine akute Belastungsreaktion, vom 26.02.2015 bis zum 13.03.2015 eine akute Belastungsreaktion, vom 28.07.2017 bis zum 02.08.2017 ein Tinnitus aurium, vom 03.09.2018 bis zum 14.09.2018 ein Tinnitus aurium sowie vom 17.09.2018 bis zum 05.11.2018 ein Tinnitus aurium, eine mittelgradige depressive Episode, Anpassungsstörungen sowie unbekannte und nicht näher bezeichnete Krankheitsursachen hervor.
Im weiteren Verlauf ging bei der Beklagten die Ärztliche Unfallmeldung des R1 vom 05.11.2018 ein. Darin wurde ausgeführt, dass sich der Kläger bei ihm am 04.10.2018 erneut vorgestellt habe. In der beigefügten Aktennotiz vom 05.10.2018 führte R1 aus, der Kläger beschreibe keine wesentliche Besserung seines massiven Ohrgeräusches, mit dieser Beeinträchtigung könne er auch nicht arbeiten. In der ebenfalls beigefügten Aktennotiz vom 18.10.2018 führte R1 aus, der Kläger beklage eine Verschlechterung der Symptomatik, vor allem in psychischer Hinsicht, der Tinnitus sei unverändert. Dessen Ehegattin habe eine extreme Reizbarkeit und Angstzustände beschrieben und angegeben, der Kläger könne nicht alleine sein.
Ferner zog die Beklagte Auszüge der von W1 über den Kläger geführten Patientenkartei bei. Daraus gehen für den 23.08.2017 die Angaben des Klägers, er habe ein seit über 20 Jahren bestehendes Ohrgeräusch beidseits, das sich immer wieder gebessert habe, jedoch nun kontinuierlich auf beiden Seiten ansteige, und ein zunehmend verschlechtertes Hörvermögen, und die Befunde Tinnitus aurium sowie Schwerhörigkeit (Audio: Abfall der Hörkurve rechts ab 0,25 kHz auf maximal 80 dB bei 8 kHz und links ab 0,25 kHz auf maximal 65 dB bei 4 kHz, Sprachaudiogramm: Worte: Verständlichkeit rechts bei 65 dB 75 %, bei 80 dB 95 % und links bei 65 dB 50 %, bei 80 dB 90 %, bei 95 dB 100 %), für den 13.09.2018 die Angaben des Klägers, es habe sich vor zwei Wochen im Geschäft ein Knalltrauma ereignet und dadurch sei das Ohrgeräusch wieder lauter geworden, die Befunde Tinnitus aurium, Zustand nach Knalltrauma, depressives Syndrom sowie Hochtonschwerhörigkeit beidseits (Audio: Abfall der Hörkurve rechts ab 0,25 kHz auf maximal 85 dB bei 6 kHz, links ab 0,25 kHz auf maximal 70 dB bei 6 und 8 kHz) und der ergänzende Hinweis, objektiv sei durch das Knalltrauma im Vergleich zum Voraudiogramm keine Hörverschlechterung eingetreten, und für den 24.10.2018 die Angaben des Klägers, er sei derzeit in einer Tagesklinik, und die Befunde Tinnitus aurium sowie Schwerhörigkeit (Audio: Abfall der Hörkurve rechts ab 0,125 kHz auf maximal 80 dB bei 6 kHz und links ab 0,25 kHz auf maximal 80 dB bei 6 kHz, Sprachaudiogramm: Worte: Verständlichkeit rechts bei 65 dB 70 %, bei 80 dB 100 %, bei 95 dB 100 % und links bei 65 dB 65 %, bei 80 dB 90 %, bei 95 dB 95 %) hervor. Beigefügt war das Audiogramm vom 24.10.2018.
Der Kläger führte in dem am 29.11.2018 mit der Beklagten geführten Telefonat und in seinem nachgereichten Schreiben aus, am Freitag, den 31.08.2018 zwischen 10:00 und 11:00 Uhr seien beim Hantieren mit Rohren – die Rohre seien aufeinander geschlagen – ein lauter Knall und dadurch bei ihm ein kompletter Gehörverlust entstanden. Er sei nach dem Vorfall gleich zum Lagerleiter K1 gegangen und habe ihm den Sachverhalt geschildert, habe sich nach einer kurzen Pause wegen der Schmerzen abgemeldet und sei nach Hause gegangen. Er habe gedacht, dass die Beschwerden über das Wochenende besser würden, und sei deshalb nicht gleich zum Arzt gegangen. Er sei dann am Montag zu seiner Hausärztin B1 gegangen, habe die Krankmeldung dann persönlich beim stellvertretenden Niederlassungsleiter B3 abgegeben und habe mit diesem auch noch einmal über den Unfall gesprochen. Er habe gegenüber dem Niederlassungsleiter K2 am 10.09.2018 telefonisch und am 19.09.2018 persönlich sowie gegenüber dem Betriebsrat R2 am 27.09.2018 persönlich den Sachverhalt geschildert. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe sich der Lagerist F1 auf dem Außengelände befunden.
Der Kläger befand sich ausweislich des Entlassungsberichts der Akut-Tagesklinik W2 – Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität U1 vom 29.11.2018 dort vom 22.10.2018 bis zum 28.11.2018 in teilstationärer Behandlung.
Auf Anfrage der Beklagten teilte die Ärztin B1 am 23.01.2019 telefonisch mit, aus der über den Kläger geführten Patientenkartei gehe hervor, dass sich dieser bei ihr am 03.09.2018 und 07.09.2018 wegen eines Tinnitus vorgestellt habe, ohne einen Arbeitsunfall angegeben zu haben. Kenntnis hierüber habe sie erst durch den Bericht des W1 vom 13.09.2018 erhalten.
Auf Anfrage der Beklagten teilte der Regionalleiter Südwest der Arbeitgeberin S3 am 20.12.2018 mit, am 31.08.2018 sei keine Unfallmeldung beim Lagerleiter K1 erfolgt, die Arbeit sei nicht früher beendet worden, am 03.09.2018 habe der Kläger dem stellvertretenden Niederlassungsleiter B3 gesagt, dass er ein ständiges Pfeifen wahrnehme, von einem Arbeitsunfall sei seitens des Klägers keine Rede gewesen.
Mit Bescheid vom 23.01.2019 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 31.08.2018 als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung wies die Beklagte darauf hin, sie habe erstmals mit dem Bericht des W1 über die am 13.09.2018 erfolgte Untersuchung Kenntnis von dem als Arbeitsunfall geltend gemachten Ereignis erhalten. Außerdem fehle es angesichts dessen, dass W1 keine Hörverschlechterung dokumentiert habe, an einem unfallbedingten Körperschaden.
Hiergegen legte der Kläger am 31.01.2019 Widerspruch ein. Er führte ergänzend aus, dass er die Ärztin B1 über den Arbeitsunfall informiert habe und W1 aufgrund dessen Urlaubs erst am 10.09.2018 habe aufsuchen können. Zwar leide er bereits seit geraumer Zeit an einem Tinnitus. Dieser sei aber bis zu dem von ihm als Arbeitsunfall angeschuldigten Ereignis deutlich geringer, die Auswirkungen wesentlich harmloser gewesen. Aufgrund dieses Ereignisses sei es zu einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen. Ferner machte der Kläger weitere Angaben zu diesem Ereignis.
Die Beklagte holte zu dem vom Kläger als Arbeitsunfall angeschuldigten Ereignis die Auskünfte des Lagerleiters K1 vom 13.02.2019, des Niederlassungsleiters B3 vom 13.02.2019, des Niederlassungsleiters K2 vom 21.02.2019, des Betriebsrats R2 vom 22.02.2019 und des Lageristen F1 vom 16.08.2019 ein.
Ferner gab die Ärztin B1 auf Anfrage der Beklagten unter dem 03.07.2019 an, es sei damals eine Überweisung zum Arzt für HNO-Heilkunde zur weiteren Diagnostik und insbesondere zur Abklärung, ob es sich um einen Arbeitsunfall handele, erfolgt.
Der Kläger befand sich ausweislich des Entlassungsberichts der Reha-Klinik B4 vom 09.07.2019 dort vom 08.05.2019 bis zum 19.06.2019 in stationärer Behandlung. Außerdem erfolgte im weiteren Verlauf eine Hörgeräteversorgung bei der KIND Hörgeräte W3.
Die Beklagte holte sodann das Gutachten des Arztes G1 vom 26.02.2020 ein. Der Gutachter gelangte zu der Einschätzung, dass eine Persönlichkeitsänderung nach Kumulation belastender Lebensereignisse, eine maladaptive Verarbeitung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion, ein schwer ausgeprägtes depressives Syndrom, eine soziale Phobie, ein Tinnitus aurium sowie die Hörgeräteversorgung durch das Unfallereignis mitverursacht oder verschlimmert worden seien.
In der präventionsdienstlichen Stellungnahme vom 17.02.2020 führte die Aufsichtsperson R3 aus, zur Unfallermittlung sei eine Lärmermittlung durch das Referat „Physikalische Einwirkungen am Arbeitsplatz“ durchgeführt worden, in welcher die Unfallsituation nachgestellt worden sei. Die Messung habe folgendes Ergebnis aufgezeigt: Es könnten zwei Messwerte herangezogen werden: 1. Tageslärmexposition: Beim Aufprall der Rohre in die Gitterbox sei kurzzeitig ein Laeq-Wert von 92,4 dB(A) gemessen worden. Es könne angenommen werden, dass mehrere Knallereignisse pro Tag stattgefunden haben könnten. Wenn die Sekundenereignisse durchgehend betrachtet würden, könnten diese 5 Minuten pro Tag in Anspruch nehmen. Bei Hochrechnung dieses Sekundenereignisses in Verbindung mit der übrigen Tätigkeit, wie Fahren auf einem Dieselstapler mit einem LpAeq-Wert von 76 dB(A), sei der untere Auslösewert 80 dB(A) sowie der obere Auslösewert 85 dB(A) des Tageslärmexpositionspegels von 77,6 dB(A) unterschritten. 2. Spitzenschalldruckpegel: Beim Aufprall der Rohre in die Gitterbox sei ein LpCpeak-Wert von 128,2 dB(C) gemessen worden. Auch bei einem doppelt so lauten Ereignis wie der nachgestellten Unfallsituation, also dann 131,2 dB(C), sei der untere Auslösewert 135 dB(C) und der obere Auslösewert 137 dB(C) unterschritten.
Der Arzt H1 vertrat in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 22.06.2020 die Ansicht, akzeptiere man ein Knalltrauma, so könne allenfalls von einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion und dadurch vorübergehend verstärktem Tinnitus ausgegangen werden. Ein Tinnitus sei natürlich grundsätzlich nicht objektivierbar, ebenso wenig wie eine Anpassungsstörung, jedoch sei eine depressive Symptomatik in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Ereignis vom 31.08.2018 angenommen worden.
Daraufhin holte die Beklagte das Gutachten des Arztes K3 vom 08.09.2020 ein. Der Gutachter führte aus, ein kompensierter Tinnitus habe sich durch das Unfallereignis zu einem dekompensierten Tinnitus verschlimmert, dies sei mit dem Unfallereignis als auslösender Faktor in Verbindung zu bringen. Die vorliegende Hörstörung sei sicherlich vorbestehend, da der Kläger selbst und glaubhaft angebe, dass das Hörvermögen vorübergehend verschlechtert gewesen sei, sich aber dann wieder normalisiert habe. Die Messungen am Arbeitsplatz hätten jeweils grenzwertige Befunde ergeben. Beim Herunterfallen der Rohre in den Gitterkorb sei ein Peak von 128,2 dB(C) gemessen worden. Per Definition und Lehrbuch sollte ein einmaliges kurzes Schall-Ereignis für 1 bis 3 Sekunden jedoch einen Peak von 135 dB(C) erreichen, um Gehörschäden auszulösen. Beim Kläger sei jedoch davon auszugehen, dass ein erheblicher Vorschaden durch die Hörstörung vorgelegen habe. Im Prinzip sei das laute Schallereignis von 128 dB(C) auf einen vulnerablen Patienten beziehungsweise auf vulnerable empfindliche Ohren getroffen. Daher sehe er hier in der Verstärkung des Tinnitus einen kausalen Zusammenhang, welcher die Spirale einer psychologischen psychiatrischen Erkrankung in Gang gesetzt habe. Diese sei sicherlich endogen bedingt und nicht durch das Knalltrauma ursächlich ausgelöst. Beigefügt war das Audiogramm vom 09.06.2020.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 19.10.2020 mit, es sei beabsichtigt, den Bescheid vom 23.01.2019 insoweit aufzuheben, als dass das Ereignis vom 31.08.2018 als Arbeitsunfall anzuerkennen sei und dieses zu einer Verschlimmerung des unfallunabhängig vorbestehenden Tinnitus geführt habe. Diese unfallbedingte Verschlimmerung sei jedoch nicht mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Grade zu bewerten, so dass ein Anspruch auf Rente nicht bestehe. Darüber hinaus sei auch die Notwendigkeit der Hörgeräteversorgung nicht rechtlich wesentlich auf die unfallbedingte Verschlimmerung des Tinnitus zurückzuführen.
In seiner weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme vom 10.11.2020 führte H1 aus, ob das Knalltrauma tatsächlich für eine Hörminderung und einen verstärkten Tinnitus auslösend gewesen sei, müsse HNO-ärztlich entschieden werden.
Die Aufsichtsperson R3 teilte auf Anfrage der Beklagten am 12.02.2021 unter Vorlage des präventionsdienstlichen Messberichts und Beifügung von Lichtbildern mit, dass die Messung in Ohrhöhe erfolgt sei.
Der Arzt S4 führte in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 13.02.2021 aus, die angegebene Verschlimmerung des Tinnitus sei nicht mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen. Die Annahme des K3, bereits ab einem Schalldruck von 135 dB(C) könne ein Knalltrauma ausgelöst werden, widerspreche der aktuellen Literatur, wonach der Auslösewert nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft oberhalb 150/160 dB(C) liege. Die Annahme des K3, es sei nach dem Unfallereignis eine vorübergehende Minderung der Hörleistung im Sinne einer Vertäubung aufgetreten, wie das nach großer Lärmeinwirkung typisch sei, sei unwahrscheinlich, da der Schalldruck bei 131 dB(C) um den Faktor 2, bei 135 dB(C) um den Faktor 4 und bei 150 dB(C), dem Auslösewert eines Knalltraumas, um den Faktor 128 höher sei, als mit 128,2 dB(C) gemessenen.
Auf die vom Kläger gegen die präventionsdienstliche Stellungnahme vorgetragenen Einwände hin, führte die Aufsichtsperson R3 am 16.03.2021 aus, dass die nunmehr vom Kläger vorgetragene Arbeitsweise nicht dessen früherer Darstellung entspreche.
Die Beklagte wies, nachdem zuvor noch ein zusprechender Entwurf eines Widerspruchsbescheides vom 20.04.2021 aktenkundig geworden war, den vom Kläger aufrechterhaltenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.2021 zurück. Sie führte zur Begründung aus, bei dem Ereignis vom 31.08.2018 sei es zwar zu einer Lärmeinwirkung gekommen, die jedoch nicht das schädigende Ausmaß eines Knalltraumas erreicht und deshalb auch zu keiner rechtlich wesentlichen Körperschädigung geführt habe. Die beim Kläger bestehenden Beschwerden wie Hörminderung, Tinnitus, maladaptive Verarbeitung gesundheitlicher Beeinträchtigungen und Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion seien durch dieses Ereignis weder verursacht noch richtungsweisend verschlimmert worden, sondern seien vorbestehend.
Hiergegen hat der Kläger am 11.06.2021 Klage zum Sozialgericht (SG) Konstanz erhoben. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das SG Konstanz hat von Amts wegen das Gutachten des Arztes Z1 vom 02.03.2022 eingeholt. Dieser ist zu der Einschätzung gelangt, der Kläger habe am 31.08.2018 ein Knalltrauma erlitten, für den Tinnitus gebe es keine erkennbaren Ursachen als den Unfall. Der Hörverlust sei schicksalhaft entstanden. Der Kläger sei einem Impulslärmereignis Typ B über 120 dB ausgesetzt gewesen, das regelmäßig audiologische Hörschädigungen und gewebliche Innenohrschädigungen zeige. Damit sei die unbegründete präventionsdienstliche Auffassung, erst ab 135 dB(C) könne ein Hörschaden auftreten, widerlegt. Vielmehr sei die Impulslärmbelastung von 128,2 dB(C) geeignet, einen Hörschaden in Form von Tinnitus ursächlich zu bewirken. Auf Grund des vorliegenden Vorschadens in Form einer Innenohrschwerhörigkeit sei das Risiko zudem erhöht gewesen. Für einen Kausalzusammenhang spreche weiterhin der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem erstmaligen Auftreten des Tinnitus. Ein Tinnitus könne apparativ-objektiv nicht nachgewiesen werden. Dies treffe auch auf andere Schädigungsfolgen nach Unfällen – vor allem auch auf Schmerz – zu. Ebenso wie beim Schmerz sei man daher beim Tinnitus des Menschen auf subjektive Angaben und Skalen angewiesen und müsse zusätzlich die Plausibilität des Gesamtzusammenhangs geprüft werden.
Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme des Arztes W4 vom 18.03.2022 vorgelegt. Dieser hat ausgeführt, ein akutes Schalltrauma werde dann als sogenanntes Knalltrauma bezeichnet, wenn eine Druckspitze von 150/160 dB(C) und ein Schalldruckpegel von 135 dB erreicht werde. Ein solches Knalltrauma könne dann die entsprechenden reversiblen oder bleibenden Schäden am Innenohr verursachen. Bei dem Unfall des Klägers sei eine Druckspitze LpCeak von 128,2 dB(C) und ein Höchstwert des Schalldruckpegels LAImax von 114,3 dB gemessen worden, wobei somit die genannten Grenzwerte nicht erreicht worden seien. Eine direkte Schädigung der Innenohren durch das stattgefundene Schalltrauma könne also nach der derzeit gültigen allgemeinen Auffassung bei dem Unfall nicht eingetreten sein. Die von Z1 herangezogenen Veröffentlichungen, wonach audiologische Hörschädigungen und gewebliche Innenohrschädigungen bei sogenanntem Impulslärm von bereits 120 dB nachgewiesen worden seien, basierten auf Untersuchungen an Chinchillas (meerschweinchenähnliche Nagetiere), deren direkte Übertragbarkeit auf den Menschen erheblich anzuzweifeln sei.
Z1 hat hiergegen in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 30.09.2022 eingewandt, während sich W4 nur auf Sekundärliteratur stütze, gebe es noch weitere Primärliteratur über Impulslärmschäden nach Impulslärmspitzen zwischen 112 bis 139 dB(A) beziehungsweise 130 bis 140 dB(A) oder gar 105 bis 135 dB(A).
W4 hat sodann in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 12.11.2022 an seiner Einschätzung festgehalten, indem er ausgeführt hat, die von Z1 herangezogene Primärliteratur könne wegen der Methodik der ihr zugrunde gelegenen Untersuchungen nur eingeschränkt als Argument für die Wirkung von Impulslärm herangezogen werden, da in allen Fällen neben dem Impulslärm auch ein erheblicher zum Teil potentiell gehörschädigender Hintergrundlärm vorgelegen habe.
Schließlich hat das SG Konstanz von Amts wegen das Gutachten des Arztes L1 vom 13.04.2023 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, eine objektive und objektivierbare Messung von Ohrgeräuschen sei bislang nicht möglich, weder audiometrisch noch durch Messung von Hirnaktivitäten oder durch Bildgebung. Vorliegend seien ein Knalltrauma, ein Explosionstrauma, ein akutes Lärmtrauma und ein akustischer Unfall zu verneinen. Auch sei ein knalltraumabedingter Gehörschaden in Form eines messbaren Hörverlustes nicht nachweisbar, es habe sich keine Veränderung der Hörkurve im Vergleich zum Tonaudiogramm vor dem Ereignis gezeigt. Allerdings könne bei der Einwirkung einer starken Schalldruckwelle unter 150 dB eine vorübergehende Vertäubung auftreten. Typisch seien dann Klagen über minuten- oder stundenlange Vertäubungen und spontane Geräuschempfindungen, die der Kläger am Unfalltag geäußert habe. In der Regel klängen die Beschwerden folgenlos ab. Eine vorübergehende Vertäubung durch ein Unfallereignis könne eventuell auch zu einem vorübergehenden aber nicht permanenten Tinnitus führen. Ferner könnten Traumata beziehungsweise Schäden der äußeren Haarzellen des Innenohrs Hörminderungen oder auch isoliert einen Tinnitus hervorrufen. Der Sachverständige ist zu der Einschätzung gelangt, dass die Dekompensation des bereits vorhandenen Tinnitus durch das Unfallgeschehen hätte hervorgerufen werden können. Des Weiteren spiele die psychische Komorbidität bei der Bearbeitung des Ereignisses eine erhebliche Rolle. Damit wäre dem Gutachten des K3 zu folgen. Ein Knalltrauma sei aber eher nicht anzunehmen.
Das SG Konstanz hat am 27.09.2023 die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Den dabei geschlossenen Widerrufsvergleich dergestalt, dass die Beklagte das Ereignis vom 31.08.2018 ausgehend von ihrem Schreiben vom 19.10.2020 als Arbeitsunfall anerkenne, hat die Beklagte mit Schreiben vom 10.10.2023 widerrufen.
Das SG Konstanz hat mit Gerichtsbescheid vom 13.02.2024 die Klage abgewiesen. Es fehle bereits am Nachweis eines am 31.08.2018 eingetretenen Gesundheitserstschadens. Ein Gesundheitserstschaden könne nicht mit der erforderlichen Gewissheit nachgewiesen werden. Zwar halte das Gericht den vom Kläger geschilderten Sachverhalt grundsätzlich für plausibel und
durchaus glaubwürdig, dennoch dürfe der rechtlich gebotene Beweisgrad letztlich nicht erreicht sein. Der konkrete Gesundheitserstschaden müsse zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Zeitnah erstellte medizinische Befundberichte oder Atteste fehlten allerdings. Für den Unfalltag selbst fehle jegliche medizinische Befundung. Die erste medizinische Behandlung drei Tage später am 03.09.2018 bei der Allgemeinmedizinerin B1 sei ohne Bezug zu einem ihr gegenüber konkret geltend gemachten Unfallereignis erfolgt. Die erste fachärztliche Behandlung bei W1 sei erst knapp 2 Wochen später am 13.09.2018 erfolgt. Das Gericht habe sich daher letztlich nicht davon überzeugen können, dass es am 31.08.2018 im Rahmen der beruflichen Tätigkeit tatsächlich zu einem rechtlich relevanten Gesundheits(erst)schaden gekommen sei, nachdem die erste fachärztliche Behandlung erst knapp zwei Wochen nach dem streitgegenständlichen Unfallereignis erfolgt sei. Diese Lücke habe auch durch die eingeholten Gutachten nicht überzeugend geschlossen werden können. Im Übrigen dürfe im Schreiben der Beklagten vom 19.10.2020 eine vorbehaltlose und damit verbindliche Zusicherung nicht zu sehen sein, da hierin lediglich die Absicht erklärt worden sei, das Ereignis vom 31.08.2018 sei unter gewissen Einschränkungen als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Hiergegen hat der Kläger am 08.03.2024 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 13.02.2024 und den Bescheid der Beklagten vom 23.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2021 aufzuheben und das Ereignis vom 31.08.2018 als Arbeitsunfall festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der angegriffene Gerichtsbescheid sei weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht zu beanstanden.
Das Gericht hat am 31.07.2024 die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert.
Sodann hat das Gericht die Ärztin G2, ehemals B1, schriftlich als sachverständige Zeugin gehört. Sie hat mit Schreiben vom 20.09.2024 unter Beifügung ihrer Einträge in ihrer über den Kläger geführten Patientenkartei angegeben, Kenntnis darüber, dass es sich um einen Tinnitus auf Grund eines Lärmtraumas handele, habe sie über den Arzt für HNO-Heilkunde erhalten. Sodann hat das Gericht den ehemaligen Kollegen des Klägers, B5, am 15.10.2024, den Lagerleiter H2, ehemals K1, am 14.10.2024, den Bruder des Klägers, Z2, am 15.10.2024, den mit dem Kläger befreundeten H3 am 15.10.2024 sowie die Schwester des Klägers, P1, am 15.02.2024 unter anderem zu der Frage, ob der Kläger ihnen gegenüber über durch das als Arbeitsunfall angeschuldigte Ereignis aufgetretene Gesundheitsstörungen/Verletzungen berichtet habe, schriftlich als Zeugen befragt.
Die Beteiligten haben sich mit ihren Schriftsätzen vom 04.12.2024 und 13.12.2024 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143 und § 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG Konstanz vom 13.02.2024 sowie des Bescheides der Beklagten vom 23.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2021 und die Feststellung des Ereignisses vom 31.08.2018 als Arbeitsunfall.
II. Der Senat hat den Rechtsstreit nicht an das SG Konstanz zurückverwiesen. Es spricht zwar viel dafür, dass das Verfahren an einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG leidet, da das SG Konstanz durch Gerichtsbescheid entschieden hat, obwohl die hierfür nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG erforderliche Voraussetzung, dass die Rechtssache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, nicht gegeben sein dürfte, da vorliegend bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls gegeben sind, zwei im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten, zwei im Gerichtsverfahren eingeholte Gutachten und diverse beratungsärztliche Stellungnahmen, jeweils verschiedene medizinische Fachgebiete betreffend und sich teilweise widersprechend, sowie eine präventionsdienstliche Stellungnahme auszuwerten gewesen sind. Allerdings ist entgegen § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme im Berufungsverfahren nicht notwendig gewesen.
III. Der Senat hat den Gerichtsbescheid des SG Konstanz vom 13.02.2024 und den Bescheid der Beklagten vom 23.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2021 aufgehoben und das Ereignis vom 31.08.2018 als Arbeitsunfall festgestellt. Denn der Bescheid vom 23.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2021, mit dem die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 31.08.2018 als Arbeitsunfall abgelehnt hat, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Das SG Konstanz hat die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungklage des Klägers im Sinne des § 54 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG (zum Wahlrecht eines Versicherten, den Anspruch auf Feststellung, dass ein Ereignis ein Arbeitsunfall ist, im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage zu verfolgen: Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 27.04.2010 – B 2 U 23/09 R, juris Rn. 9; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 55 Rn. 13 f.) zu Unrecht abgewiesen.
1. Zwar ist das Ereignis vom 31.08.2018 nicht schon deshalb als Arbeitsunfall festzustellen, weil etwa in dem Schreiben der Beklagten vom 19.10.2020 eine insoweitige Zusicherung vorgelegen hätte. Zwar sieht § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine Zusicherung in Form einer von der zuständigen Behörde erteilten Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen vor. Erforderlich ist hierfür aber, dass eine einseitige Verpflichtung der Behörde zu einem späteren Tun beziehungsweise eine Selbstverpflichtung der Behörde zu einem späteren Tun in Form eines Verwaltungsaktes oder eine verbindliche Zusage einer materiellen Regelung für die Zukunft vorliegt (Kepert in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Auflage, § 34 [Stand: 15.11.2023] Rn. 7, 8, 18; Littmann in Hauck/Noftz SGB X, 3. Ergänzungslieferung 2024, § 34 Rn. 11). Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Denn die Beklagte hat in ihrem Schreiben vom 19.10.2020 lediglich ausgeführt, sie „beabsichtige“, den Bescheid vom 23.01.2019 insoweit aufzuheben, als dass das Ereignis vom 31.08.2018 als Arbeitsunfall anzuerkennen sei und dieses zu einer Verschlimmerung des unfallunabhängig vorbestehenden Tinnitus geführt habe. Eine Absichtserklärung stellt aber gerade keine verbindliche Zusage mit Selbstbindungswillen dar.
2. Das Ereignis vom 31.08.2018 ist aber deshalb als Arbeitsunfall festzustellen, da die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls vorliegen.
2.1 Für die Feststellung eines Ereignisses als Arbeitsunfall gelten folgende Grundsätze:
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Die Anerkennung eines Arbeitsunfalls setzt voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang) sowie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (BSG, Urteil vom 07.05.2019 – B 2 U 31/17 R, juris Rn. 10; Urteil vom 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R, juris Rn. 9; Urteil vom 04.09.2007 – B 2 U 24/06 R, juris Rn. 9).
Die Feststellung eines Versicherungsfalls setzt voraus, dass der Vollbeweis über die anspruchsbegründenden Umstände und Ereignisse erbracht werden kann. Das bedeutet, dass das Gericht diese aufgrund seiner freien Überzeugungsbildung als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zutreffend feststellen können muss. Dies ist der Fall, wenn ihr Vorliegen in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass sämtliche Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 V 1/12 R, juris Rn. 33; BSG, Urteil vom 24.11.2010 – B 11 AL 35/09 R, juris Rn. 21). Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen der versicherten Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (zur Berufskrankheit: BSG, Urteil vom 16.03.2021 – B 2 U 11/19 R, juris Rn. 12). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass die richterliche Überzeugung hierauf gestützt werden kann (BSG, Urteil vom 15.05.2012 – B 2 U 31/11 R, juris Rn. 34; Urteil vom 18.01.2011 – B 2 U 5/10 R, juris Rn. 20; Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R, juris Rn. 20). Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Insoweit ist eine wertende Gegenüberstellung der ursächlichen Faktoren erforderlich. Lassen sich die anspruchsbegründenden Umstände und Ereignisse oder lässt sich ein Ursachenzusammenhang zwischen der versicherten Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten (BSG, Urteil vom 20.12.2016 – B 2 U 16/15 R, juris Rn. 23; Urteil vom 31.01.2012 – B 2 U 2/11 R, juris Rn. 28; Urteil vom 18.11.2008 – B 2 U 27/07 R, juris; Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R, juris).
2.2 Unter Zugrundelegung der oben dargelegten Grundsätze und auf Basis des durch den Senat festgestellten Sachverhalts sind die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls erfüllt. Der Kläger ist Versicherter gewesen (siehe 2.2.1) und hat einen Unfall erlitten (siehe 2.2.2), die Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (siehe 2.2.3) und hat zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis geführt (siehe 2.2.4) und das Unfallereignis hat einen Gesundheitserstschaden des Klägers objektiv und rechtlich wesentlich verursacht (siehe 2.2.5).
2.2.1 Der Kläger hat am 31.08.2018 als Beschäftigter bei der T1 GmbH zu dem in der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Personenkreis der Beschäftigten gezählt.
2.2.2 Der Kläger hat an diesem Tag auch einen Unfall erlitten.
a. Ein Unfall erfordert ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis. Ein solches ist ein tatsächliches, die Dinge veränderndes Geschehen (BSG, Urteil vom 26.11.2019 – B 2 U 8/18 R, juris Rn. 17). Als Einwirkung ist die durch einen äußeren Vorgang ausgelöste Änderung des Körperzustandes zu verstehen, die von dem (möglicherweise zeitnah danach eintretenden) Gesundheitserstschaden zu unterscheiden ist (Keller in Hauck/Noftz SGB VII, 4. Ergänzungslieferung 2024, § 8 Rn. 11). Zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Einwirkung von außen bedarf es noch nicht einmal eines äußerlichen, mit den Augen zu sehenden Geschehens, so dass jede Störung im Körperinnern potentiell durch ein äußeres Geschehen wenigstens (mit)verursacht sein kann (Wagner in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Auflage, § 8 SGB VII [Stand: 28.06.2024] Rn. 126).
b. Bei dem am 31.08.2018 aufgetretenen Knall handelt es sich um ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und damit um einen Unfall.
Dies entnimmt der Senat dem Arztbericht des W1 vom 14.09.2018 sowie dessen über den Kläger geführten Patientenkartei, wonach der Kläger ihm gegenüber angegeben hat, beim Arbeiten mit Rohren seien 2 Wochen zuvor mehrere Rohre aufeinander „geflogen“ und dabei habe sich ein lauter Knall ereignet, der Ärztlichen Unfallmeldung des R1 vom 17.09.2018, wonach der Kläger ihm gegenüber angegeben hat, dass beim Arbeiten Rohre aufeinander gefallen seien und sich dabei ein lauter Knall ereignet habe, sowie dem Arztbrief des S1 vom 25.09.2018, wonach der Kläger ihm gegenüber angegeben hat, im Betrieb habe es einen Riesenknall gegeben. Ferner hat der Kläger ausweislich der Aktennotiz der Beklagten über das mit ihm am 29.11.2018 geführte Telefonat sowie dessen nachgereichtem Schreiben angegeben, am 31.08.2018 zwischen 10:00 und 11:00 Uhr habe sich beim Hantieren mit Rohren – die Rohre seien aufeinandergeschlagen – ein lauter Knall ereignet. Des Weiteren ergibt sich aus dem Entlassungsbericht der Akut-Tagesklinik W2 vom 29.11.2018 über die dort vom 22.10.2018 bis zum 28.11.2018 durchgeführte teilstationäre Maßnahme, dass der Kläger angegeben hat, er habe im Rahmen eines Arbeitsunfalls vor 8 Wochen ein Knalltrauma erlitten. Außerdem hat der Lagerleiter K1 in der Auskunft vom 13.02.2019 ausgeführt, dass der Kläger am 31.08.2018 gegen 11:00 Uhr erwähnt hat, beim Verladen von Rohren seien diese aneinandergestoßen, hat der Niederlassungsleiter K2 in der Auskunft vom 21.02.2019 ausgeführt, dass der Kläger am 19.09.2018 angegeben hat, beim Handling mit PE-Rohren seien diese aneinandergestoßen und hätten einen Knall verursacht, und hat der Lagerist I1 der Auskunft vom 16.08.2019 ausgeführt, dass der Kläger nach dem sich am 31.08.2018 gegen 10:30 Uhr beim Verladen von 12 Meter langen Stangen ereigneten Unfall gleich zum Arzt gefahren ist. Ferner ergibt sich aus dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik B4 vom 09.07.2019 über die dort vom 08.05.2019 bis zum 19.06.2019 durchgeführte stationäre Behandlung, dass der Kläger angegeben hat, im August 2018 habe es einen Arbeitsunfall gegeben, wobei Rohre von einem Stapler gefallen und aufeinander gekracht seien, so dass es bei ihm, der keinen Gehörschutz getragen habe, zu einem Knalltrauma gekommen sei. Diese Angaben des Klägers sind durchgehend konsistent.
Auch im Rahmen der durchgeführten Begutachtungen hat der Kläger konsistent und in sich widerspruchsfrei über das Unfallereignis berichtet. So hat er ausweislich des Gutachtens des G1 vom 26.02.2020, das der Senat gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 415 ff. ZPO im Wege des Urkundenbeweises verwertet hat, angegeben, der Unfall sei am 31.08.2018 eingetreten, als er zwei Stunden vor dem vorgezogenen Feierabend mit einem Stapler 12 Meter lange Plastikrohre im Lager bewegt habe und dabei mehrere auf der Staplergabel liegende Plastikröhren aus einer Fallhöhe von etwa 1,5 Metern auf bereits im Lager liegende Plastikröhren gefallen seien und sich dabei ein ungewöhnlich lautes Aufprallgeräusch – ein Knall – ereignet habe. Nach den Ausführungen des Sachverständigen haben relevante Zweifel an den Angaben des Klägers einer vergleichenden Konsistenzprüfung durchgehend standgehalten. Ferner hat der Kläger ausweislich des Gutachtens des K3 vom 08.09.2020, das der Senat gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 415 ff. ZPO im Wege des Urkundenbeweises verwertet hat, angegeben, dass er am 31.08.2018 ein Knalltrauma erlitten habe, als er Rohre, die etwa 12 Meter lang gewesen seien und einen Durchmesser von etwa 20 cm gehabt hätten, in einen großen Metallkorb habe abfüllen wollen, sich dabei, als er nach Verlassen des Gabelstaplers direkt daneben gestanden sei, diese Rohre wohl gelöst hätten und mit einem großen Knall gegeneinander und in den Metallkorb gefallen seien. Schließlich hat der Kläger nach dem Gutachten des Z1 vom 02.03.2022, das der Senat gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 402 ff. ZPO im Wege des Sachverständigenbeweises verwertet hat, angegeben, er habe mit dem Stapler zehn Meter lange Rohre transportiert, die, als er aus dem Stapler ausgestiegen sei, ins Rutschen gekommen und aus einer Höhe von 1,5 Metern beim Fallen in ein Gestell aufeinandergestoßen seien, wodurch er ein Knalltrauma erlitten habe.
Der Senat hat keinerlei Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben und ist daher davon überzeugt, dass der Kläger am 31.08.2018 einem Knall ausgesetzt gewesen ist. Dabei handelt es sich um eine Einwirkung von außen und mithin einen Unfall.
2.2.3 Die Verrichtung des Klägers zur Zeit des Unfalls ist der versicherten Tätigkeit zuzurechnen gewesen.
a. Dieser innere bzw. sachliche Zurechnungszusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG, Urteil vom 28.06.2022 – B 2 U 8/20 R, juris Rn. 13). Die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung müssen im Vollbeweis, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (BSG, Urteil vom 06.65.2021 – B 2 U 15/19 R, juris Rn. 13; Urteil vom 20.01.1987 – 2 RU 27/86, juris Rn. 13). Maßgeblich ist die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird. Handelte der Beschäftigte zur Erfüllung einer sich aus seinem Arbeitsvertrag ergebenden Verpflichtung, ist der innere Zusammenhang unmittelbar zu bejahen (BSG, Urteil vom 28.06.2022 – B 2 U 8/20 R, jurs Rn. 13). Auch kann dieser angenommen werden, wenn die Verrichtung zumindest darauf gerichtet ist, entweder eine eigene, objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, oder der Betroffene eigene unternehmensbezogene Rechte aus der Beschäftigung ausübt oder er eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um eine vermeintliche Pflicht aus dem Rechtsverhältnis zu erfüllen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht (BSG, Urteil vom 06.05.2021 – B 2 U 15/19 R, juris Rn. 14).
b. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass der Kläger mit dem Verladen der Rohre zur Erfüllung einer sich aus seinem Arbeitsvertrag mit der T1 GmbH ergebenden Verpflichtung gehandelt hat, so dass ein innerer beziehungsweise sachlicher Zurechnungszusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit als Lagerist und dem Verladen der Rohre als der zum Unfall führenden Verrichtung zu bejahen ist.
2.2.4 Der Kläger hat den Knall zudem „infolge“ seiner versicherten Tätigkeit erlitten, so dass die erforderliche Unfallkausalität ebenfalls vorliegt.
a. Der in § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII verwendete Terminus eines „infolge einer den Versicherungsschutz (...) begründenden Tätigkeit“ eingetretenen Unfalls umschreibt den Rechtsgrund, aufgrund dessen der wegen der Verrichtung einer versicherten Tätigkeit zuständige Unfallversicherungsträger überhaupt versicherungsrechtlich für Schäden und Nachteile des Verletzten einzustehen hat. Denn Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung ist durch deren Träger nicht für jedwede Schädigung zu leisten, die zeitlich während einer versicherten Tätigkeit eintritt (BSG, Urteil vom 17.12.2015 – B 2 U 8/14 R, juris Rn. 18 ff. und Urteil vom 24.07.2012 – B 2 U 9/11 R, juris Rn. 30). Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung existiert – außer in der Schifffahrt (vgl. § 10 SGB VII) – weder ein sogenannter Betriebsbann noch ein sogenannter Wegebann (BSG, Urteil vom 17.12.2015 – B 2 U 8/14 R, juris Rn. 13; Urteil vom 04.09.2009 – B 2 U 28/06 R, juris Rn. 16). Die Beschäftigtenunfallversicherung versichert grundsätzlich gegen alle, aber gerade auch nur gegen solche Gefahren, die sich „infolge“ der versicherten Tätigkeit verwirklichen.
b. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass sich der Knall infolge des Aufeinanderfallens der vom Kläger verladenen Rohre ereignet hat, so dass eine Unfallkausalität zwischen dem Verladen der Rohre als der versicherten Verrichtung und dem Knall als dem Unfall zu bejahen ist.
2.2.5 Der Kläger hat durch den Knall als Gesundheitserstschaden jedenfalls eine vorübergehende Vertäubung und somit objektiv und rechtlich wesentlich verursacht einen Gesundheitserstschaden erlitten.
a. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger einen Gesundheitserstschaden erlitten hat.
aa. Gesundheitserstschaden ist grundsätzlich jeder regelwidrige körperliche, geistige oder seelische Zustand, der unmittelbar durch die (von außen kommende, zeitlich begrenzte) Einwirkung rechtlich wesentlich verursacht wurde, die selbst rechtlich wesentlich durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit verursacht wurde. Von diesem zum Tatbestand des Arbeitsunfalls gehörenden Primärschaden sind diejenigen Gesundheitsschäden zu unterscheiden, die rechtlich wesentlich erst durch den Erstschaden verursacht (unmittelbare Unfallfolgen) sind oder sich in der Folge gegebenenfalls unter Hinzutreten weiterer Bedingungen entwickeln oder der versicherten Tätigkeit aufgrund Spezialvorschriften zuzurechnen sind (mittelbare Unfallfolgen). Das Vorliegen von Unfallfolgen gleich welcher Art ist keine Tatbestandsvoraussetzung des Arbeitsunfalls. Der den Gesundheitserstschaden begründende regelwidrige physische oder psychische Zustand entspricht dem allgemeinen Krankheitsbegriff (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.01.2016 – L 8 U 977/15, juris Rn. 27). Der Gesundheitserstschaden setzt mithin keine Dauerschädigung oder Gesundheitsschäden von erheblichem Gewicht oder mit notwendiger Behandlungsbedürftigkeit voraus. Auch Bagatellverletzungen (zum Beispiel ein „blauer Fleck“) sind regelwidrige Gesundheitszustände, die zwar einen Arbeitsunfall begründen, aber zumeist keine Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung auslösen. Maßgebend ist aber eine substantielle somatische oder psychische Verletzung im Sinne einer Regelwidrigkeit, die einen pathologischen Zustand herbeiführt, was nicht gleichzusetzen ist mit regelhaft ablaufenden physiologisch-biologischen belastenden körperlich oder seelischen Prozessen. Aufgetretene Schmerzen allein rechtfertigen daher die Anerkennung eines Arbeitsunfalles noch nicht, da Schmerz als zunächst normale körperliche Reaktion auf eine Körpereinwirkung ohne das Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte noch nicht zwingend auch den Eintritt einer substanziellen Läsion am Körper belegt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.01.2016 – L 8 U 977/15, juris Rn. 28; vergleiche zum Ganzen auch: LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.07.2020 – L 17 U 43/19, juris Rn. 32; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.01.2013 – L 6 U 2874/12, juris Rn. 28; Keller in Hauck/Noftz SGB VII, 3. Ergänzungslieferung 2024, § 8 Rn. 13; Köhler, SGb 2014, 69ff., 77; Ricke in beck-online.Großkommentar, Kasseler Kommentar, Rolfs/Körner/Krasney/Mutschler [Stand: 15.11.2023] § 8 Rn. 35-36; Wagner in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Auflage, § 8 SGB VII [Stand: 20.06.2023] Rn. 165; Wietfeld in BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, 71. Edition [Stand: 01.12.2023] § 8 Rn. 137-139; Ziegler in Becker/Franke/Molkentin/Hedermann, SGB VII, 6. Auflage 2024, § 8 Rn. 210). Die von der Beklagten im Berufungsverfahren in ihrem Schriftsatz vom 26.08.2024 vertretene Auffassung, minimale Regelwidrigkeiten ohne Arbeitsunfähigkeit oder Behandlungsbedürftigkeit seien bei der Frage, ob ein Gesundheitserstschaden vorliegt, ebenso bedeutungslos wie bloße Schmerzen, teilt der Senat daher nicht.
bb. Der Senat ist davon überzeugt, dass tatsächlich jedenfalls eine – wenn auch nur vorübergehende – Vertäubung und damit ein pathologischer Zustand, mithin ein Gesundheitserstschaden vorgelegen hat.
Die Beklagte hat zwar im Berufungsverfahren in ihrem Schriftsatz vom 21.05.2024 zutreffend ausgeführt, dass unfallzeitnah erhobene medizinische Befunde, die objektiv auf die versicherte Einwirkung zurückgeführt werden können, fehlen und zwei Wochen nach dem Unfall keine objektive Hörverschlechterung im Vergleich zum Voraudiogramm festgestellt worden ist. Allerdings zielen diese Ausführungen letztlich lediglich darauf ab, dass eine Hörverschlechterung und/oder ein Tinnitus unfallzeitnah nicht hat objektiviert werden können. Die Beklagte verkennt aber, dass der Kläger im unmittelbaren zeitlichen Anschluss an den Unfall eine vorübergehende Vertäubung erlitten hat.
Dies ergibt sich aus den von Anfang an konsistenten Angaben des Klägers gegenüber den ihn behandelnden Ärzten. So hat sich der Kläger am 03.09.2018 (Montag nach dem Arbeitsunfall) sowie am 07.09.2018 bei der Ärztin B1 wegen eines Tinnitus und am 13.09.2018 (nach dem Urlaub des Arztes) bei W1 wegen eines lauten Knalls und einem Ohrgeräusch vorgestellt, was diesen Arzt dazu bewogen hat, einen Zustand nach Knalltrauma zu diagnostizieren. Im weiteren Verlauf hat sich der Kläger am 17.09.2018 bei R1 wegen eines lauten Knalls beziehungsweise eines Knalltraumas sowie eines massiven Ohrgeräuschs rechtsseitig in Form eines hohen Pfeifens vorgestellt, was diesen Arzt veranlasst hat, einen dekompensierten Tinnitus zu diagnostizieren. Sodann hat sich der Kläger am 25.09.2018 bei S1 wegen eines Knalltraumas beziehungsweise Riesenknalls sowie eines aufgrund dessen massiv verstärkten Tinnitus und eines zunächst kompletten Hörverlusts für Stunden vorgestellt, so dass erneut ein dekompensierter sensineuraler Tinnitus nach Knalltrauma diagnostiziert worden ist. Außerdem hat der Kläger im Rahmen der vom 22.10.2018 bis zum 28.11.2018 stattgefundenen Maßnahme in der Akut-Tagesklinik W2 angegeben, dass er im Rahmen eines Arbeitsunfalls ein Knalltrauma erlitten und seitdem die Tinnitusausprägung deutlich zugenommen hat, und im Rahmen der vom 08.05.2019 bis zum 19.06.2019 stattgefundenen Maßnahme in der Rehaklinik B4 angegeben, dass es zu einem Knalltrauma gekommen ist und er seitdem einen starken Tinnitus, Schwindel und eine Schwerhörigkeit beidseits hat. Schließlich hat der Kläger in dem Telefonat mit der Beklagten am 16.10.2019 dieser gegenüber angegeben, dass es akustisch zu einem heftigen Knall gekommen ist, er sofort völlig vertäubt gewesen ist und, außer einem Ohrgeräusch, nichts mehr gehört hat.
Auch im Rahmen der durchgeführten Begutachtungen hat der Kläger konsistent und in sich widerspruchsfrei über den erlittenen Gesundheitsschaden berichtet. So hat er ausweislich des Gutachtens des G1 vom 26.02.2020 angegeben, dass sein Gehör im Moment des Knalls erst mal weg gewesen und er komplett taub gewesen ist und er erst am Morgen nach der ersten Nacht erstmals wieder Hörempfindungen registriert hat, gleichzeitig aber ein starkes Ohrgeräusch in Form eines hochfrequenten Pfeifens, in das sich immer wieder andere Geräusche gemischt haben, da gewesen ist. Nach den Ausführungen des Sachverständigen haben relevante Zweifel an den Angaben des Klägers einer vergleichenden Konsistenzprüfung durchgehend standgehalten. Ferner hat der Kläger ausweislich des Gutachtens des K3 vom 08.09.2020 angegeben, dass er nach dem Knall subjektiv so gut wie gar nichts mehr gehört hat, das Gehör sich in den nächsten Tagen wieder gebessert hat, aber ein extrem starker Tinnitus geblieben ist. Schließlich hat der Kläger nach dem Gutachten des Z1 vom 02.03.2022 angegeben, dass er bei der Arbeit, als mehrere Rohre aufeinander geknallt sind, dadurch ein Knalltrauma erlitten hat und er seitdem ein starkes Ohrgeräusch rechts und ein weniger starkes Ohrgeräusch links hat.
Das Gericht weist ferner darauf hin, dass der Umstand, dass der Kläger erst knapp zwei Wochen nach dem sich am Freitag, den 31.08.2018, ereigneten Arbeitsunfall einen Arzt für HNO-Heilkunde aufgesucht hat, damit zu erklären ist, dass er sich erst nach dem Wochenende am 03.09.2018 bei seiner Hausärztin B1 und nach erfolgter Überweisung erst nach Ablauf des Urlaubs des Arztes W1 dort am 13.09.2018 hat vorstellen können.
In Bezug auf die Ausführungen der Beklagten im Berufungsverfahren in ihrem Schriftsatz vom 21.04.2024, auch L1 habe in seinem Gutachten ausgeführt, dass die nach dem Ereignis angegebene subjektive Hörverschlechterung, die als vorübergehende Vertäubung gewertet werden könnte, nicht objektiviert worden sei, wird darauf hingewiesen, dass dies dem Umstand geschuldet ist, dass diese Vertäubung an einem Freitag aufgetreten ist und der Kläger verständlicherweise in der Hoffnung, sein Gesundheitszustand würde sich wieder verbessern, mit dem Aufsuchen seiner Hausärztin bis zum folgenden Montag, als zwar diese Vertäubung, nicht aber die vom Kläger darüber hinaus subjektiv empfundene Verschlechterung des Tinnitus, schon wieder abgeklungen gewesen ist, gewartet hat und die vorübergehende Vertäubung dann auch durch den erst am 13.09.2018 aufgesuchten Arzt für HNO-Heilkunde nicht mehr hat objektiviert werden können. Darauf, ob daneben beziehungsweise darüber hinaus eine unfallbedingte Verstärkung des Tinnitus vorgelegen hat, kommt es für die Frage, ob ein Gesundheitserstschaden vorgelegen hat, nicht mehr an. Abgesehen davon kann aber nach den überzeugenden Ausführungen des Z1 in seinem Gutachten vom 02.03.2022 ein Tinnitus apparativ-objektiv nicht nachgewiesen werden, weswegen man beim Tinnitus auf subjektive Angaben und Skalen angewiesen und zusätzlich die Plausibilität des Gesamtzusammenhangs zu prüfen ist. Auch L1 hat in seinem Gutachten vom 13.04.2023, das der Senat ebenfalls gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 402 ff. ZPO im Wege des Sachverständigenbeweises verwertet hat, ausgeführt, dass eine objektive und objektivierbare Messung von Ohrgeräuschen bislang weder audiometrisch noch durch Messung von Hirnaktivitäten oder durch Bildgebung möglich ist. Ob aber nun neben der vorübergehenden Vertäubung beziehungsweise darüber hinaus auch eine unfallbedingte Verstärkung des Tinnitus vorgelegen hat, muss letztlich der Prüfung der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen einer etwaigen unfallbedingten Verstärkung des Tinnitus und dem geltend gemachten Dauerschaden vorbehalten bleiben.
Der Senat hat im Hinblick auf die berichtete vorübergehende Vertäubung keinerlei Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Klägers und ist daher davon überzeugt, dass der Kläger am 31.08.2018 einen Gesundheitsschaden jedenfalls in Form der vorübergehenden Vertäubung erlitten hat.
b. Eine haftungsbegründende Kausalität zwischen dem Knall und dem Gesundheitserstschaden ist ebenfalls gegeben.
aa. Eine Gesundheitsstörung ist Folge eines Unfalls, wenn sie durch den Unfall wesentlich verursacht worden ist. Voraussetzung ist das „objektive“, das heißt aus der nachträglichen Sicht eines optimalen Beobachters, Vorliegen einer Gesundheitsstörung, die spezifisch durch den Unfall verursacht worden ist (BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 16/17 R, juris Rn. 14). Ob ein Gesundheitserstschaden dem Unfall zuzurechnen ist (sogenannte haftungsbegründende Kausalität), beurteilt sich nach der Zurechnungslehre der Theorie der wesentlichen Bedingung (BSG, Urteil vom 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R, juris Rn. 12; BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R, juris Rn. 12 ff.). Die Zurechnung erfolgt danach in zwei Prüfungsschritten:
(a) Erster Prüfungsschritt: Zunächst ist die Verursachung der Schädigung durch den Unfall im naturwissenschaftlich-naturphilosophischen Sinne festzustellen. Ob die Ursache-Wirkung-Beziehung besteht, beurteilt sich nach der Bedingungstheorie. Nach ihr ist eine Bedingung dann notwendige Ursache einer Wirkung, wenn sie aus dem konkret vorliegenden Geschehensablauf nach dem jeweiligen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse (Erfahrungssätze) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine-qua-non). Ob die versicherte Verrichtung beziehungsweise der auf der Verrichtung kausal beruhende Unfall Ursache für den Gesundheitsschaden ist und diesen objektiv (mit-)verursacht hat, ist eine rein tatsächliche Frage (BSG, Urteil vom 07.05.2019 – B 2 U 34/17 R, juris Rn. 23, 33). Sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten (gegebenenfalls unter Einholung von Sachverständigengutachten) beantwortet werden (BSG, Urteil vom 26.06.2014 – B 2 U 4/13 R, juris Rn. 25). Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R, juris Rn. 17).
Der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen muss als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden. Das Vorliegen eines Gesundheitserstschadens muss – wie oben bereits dargelegt – im Vollbeweis, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für das Gericht feststehen. Hierbei ist zwar eine völlige Gewissheit nicht zu fordern, die bloße Möglichkeit genügt andererseits jedoch nicht. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Für die Feststellung des naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhangs genügt – wie oben bereits dargelegt – der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Dieser ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht; allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht.
(b) Zweiter Prüfungsschritt: Ist der Unfall in diesem Sinne eine notwendige Bedingung des Gesundheitsschadens, wird dieser ihm aber nur dann zugerechnet, wenn er ihn wesentlich (ausreichend: mit-) verursacht hat. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der „Wesentlichkeit“ der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll (BSG, Urteil vom 17.12.2015 – B 2 U 8/14 R, juris Rn. 20).
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache gelten folgende Grundsätze: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) „wesentlich“ und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar (im ersten Prüfungsschritt) naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als „wesentlich“ anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als „Gelegenheitsursache“ oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R, juris Rn. 15; BSG, Urteil vom 05.07.2011 – B 2 U 17/10 R, juris Rn. 28 ff.).
bb. Es spricht mehr dafür als dagegen und ist mithin hinreichend wahrscheinlich, dass der sich am 31.08.2018 ereignete Unfall in Form eines Knalls den Gesundheitserstschaden in Form einer vorübergehenden Vertäubung wesentlich verursacht hat.
(a) Nach der wissenschaftlichen und gutachterlichen Literatur können extrem hohe Schalldruckpegel das Gehör unmittelbar schädigen.
Im amtlichen Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV wird an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen, dass oberhalb des Wertes von 137 dB(C), der in der Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch Lärm und Vibrationen (Lärm-VibrationsArbSchV) als einer der oberen Auslösewerte für Präventionsmaßnahmen aufgeführt wird, gesundheitliche Schädigungen möglich sind. Eine Grenze für eine unmittelbare Schädigung ist in diesem Merkblatt nicht angegeben. Erst einmalige Schallereignisse von mehr als 150 dB(C)peak können im Einzelfall akute Gehörschäden hervorrufen (Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit [BK-Nr. 2301] – Königsteiner Empfehlung – Update 2020, S. 13).
Nach Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 8. überarbeitete Auflage 2019 kann das Gehörorgan durch Schalleinwirkung akut geschädigt werden, ist je nach Art der schädigenden Schallwellen, den Begleitumständen und den Auswirkungen auf das Ohr – neben der akuten vorübergehenden Vertäubung – mit einem Knalltrauma, einem Explosionstrauma, einem akuten Lärmtrauma und einem akustischen Unfall 4 Formen zu unterscheiden und können beim Knalltrauma, Explosionstrauma und akuten Lärmtrauma vorübergehende Vertäubungen auftreten, auch wenn der Lärmpegel gering unter den anerkannten Grenzwerten gelegen hat, wobei dann Klagen über minuten- oder stundenlange Vertäubungen („Wattehören“) und spontane Geräuschempfindungen typisch sind (S. 212) und diese Beschwerden in der Regel folgenlos abheilen. Das Knalltrauma entsteht durch einmalige oder wiederholte Einwirkung einer sehr starken Schalldruckwelle, deren Druckspitze oberhalb 150/165 dB(C) liegt, wobei der Geschädigte subjektiv sofort eine Vertäubung der Ohren, verbunden mit Tinnitus, oft auch einen stechenden Schmerz empfindet (S. 213, 217). Das Explosionstrauma ist in der Regel ein einmaliges Ereignis (S. 226). Das akute Lärmtrauma entsteht durch die Einwirkung exzessiv hoher Schallstärken zwischen 130 und 160 dB für die Dauer einiger Minuten, wobei die Hörstörung immer sofort nach Beendigung der Lärmexposition vorhanden und oft hochgradig vorhanden ist (S. 229, 230). Das akute Mini-Lärmtrauma entsteht bei einer Lärmeinwirkung von 2 bis 3 Sekunden mit einem Lärmpegel von nur 130 dB(C), wobei eine umschriebene vorübergehende oder anhaltende Hörminderung auftreten kann (S. 233). Ein akustischer Unfall kann bei einer Schallstärke ab 90 dB(A) eintreten, wenn eine Kopfneigung in einer extrem verdrehten Zwangslage vorgelegen hat und die Hörstörung einseitig gewesen ist. Die Annahme eines akustischen Unfalls geht von der Überlegung aus, dass die Schwerhörigkeit durch ein Zusammenwirken von Lärmbelastung und einem Sauerstoffmangel der Organe des Innenohrs hervorgerufen wird (S. 239) (vergleiche zum Ganzen: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.10.2023 – L 3 U 18/18, juris Rn. 44).
(b) Für das Vorliegen eines haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs zwischen dem Knall und der vorübergehenden Vertäubung spricht zunächst, dass bereits K3 in seinem Gutachten vom 08.09.2020 die Einschätzung vertreten hat, dass das vom Präventionsdienst mit 128,2 db(C) gemessene Schallereignis auf einen vulnerablen Patienten beziehungsweise auf vulnerable empfindliche Ohren getroffen ist, weswegen er sogar in der Verstärkung des Tinnitus einen kausalen Zusammenhang gesehen hat. Ob sich die von K3 angenommene knallbedingte Verstärkung des Tinnitus zurückgebildet hat und in einen unfallunabhängigen Ausgangszustand eingemündet ist oder ob – wie K3 meint – die knallbedingte Verstärkung des Tinnitus die Spirale einer psychologischen psychiatrischen Erkrankung in Gang gesetzt hat, ist für die haftungsausfüllende Kausalität zwischen einer etwaigen unfallbedingten Verstärkung des Tinnitus als etwaigem Gesundheitserstschaden und den geltend gemachten Unfallfolgen als Dauerschaden und damit für die Frage, ob und bejahendenfalls welche Leistungsansprüche gegeben sind, nicht aber – da bereits in der vorübergehenden Vertäubung ein Gesundheitserstschaden zu sehen ist – für die Prüfung der Voraussetzungen, ob überhaupt ein Ereignis als Arbeitsunfall festzustellen ist, von Bedeutung.
Zwar hält S4 in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 13.02.2021, die der Senat als qualifiziertes Parteivorbringen berücksichtigt hat, die Einschätzung des K3, wenn auch grundsätzlich für vorstellbar, aber doch für unwahrscheinlich, da eine Verdoppelung des als Auslöser des Unfallereignisses gemessenen Schallpegels bei 131 dB(C) und eine Vervierfachung bei 135 dB(C) läge und der Schalldruck bei 150 dB(C), dem Auslösewert eines Knalltraumas, um den Faktor 128 höher sein müsse, als gemessen, weswegen angesichts dieser doch erheblichen Differenzen als Alternative zu der angeschuldigten Verursachung des Tinnitus und der vorübergehenden Minderung der Hörleistung eine endogene Verschlechterung der vorbestehenden Hörstörung und des vorbestehenden Tinnitus, auch wegen der deutlichen zeitlichen Latenz zwischen dem angenommenen Unfallereignis und dem Aufsuchen des Arztes für HNO-Heilkunde, in Frage komme.
Allerdings hat Z1 in seinem Gutachten vom 02.03.2022 und in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 30.09.2022 überzeugend dargelegt, dass Impulslärm vom Typ B über 120 dB(C) regelmäßig audiologische Hörschädigungen und gewebliche Innenohrschädigungen zeigt, die wahrscheinlich auf übermäßige Verschiebungen der Gewebe im Innenohr zurückzuführen sind. Damit ist die aus seiner Sicht unbegründete Auffassung, erst ab 135 dB(C) könne ein Hörschaden auftreten, widerlegt. Er hat ferner zutreffend darauf hingewiesen, dass auf Grund des vorliegenden Vorschadens in Form einer Innenohrschwerhörigkeit das Risiko zudem erhöht gewesen ist.
Für einen Kausalzusammenhang spricht ferner der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem erstmaligen Auftreten der vorübergehenden Vertäubung.
Ob letztlich die Ansicht des Z1, die vom Präventionsdienst gemessene Impulslärmbelastung von 128,2 dB(C) sei geeignet, einen Hörschaden in Form von Tinnitus ursächlich zu bewirken, zutrifft oder ob W4, der in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 18.03.2022 und 12.11.2022, die der Senat als qualifiziertes Parteivorbringen berücksichtigt hat, ausgeführt hat, dass ein akutes Schalltrauma, das reversible oder bleibende Schäden am Innenohr verursachen könne, erst dann als sogenanntes Knalltrauma bezeichnet werde, wenn eine Druckspitze von 150/160 dB(C) und ein Schalldruckpegel von 135 dB(C) erreicht werde, zu folgen ist, kann offen bleiben. Denn diese Frage betrifft ebenfalls die haftungsausfüllende Kausalität zwischen dem Gesundheitserstschaden und den geltend gemachten Unfallfolgen, also die Frage, ob der vom Kläger beschriebene Knall den dauerhaft vorhandenen Tinnitus und die möglicherweise hierdurch mittelbar verursachte psychische Dekompensation wesentlich ursächlich herbeigeführt hat.
Für maßgeblich erachtet der Senat schließlich die Ausführungen des L1 in seinem Gutachten vom 13.04.2023. Dieser hat zwar – letztlich ebenso wie W4 – ein Knalltrauma, für das Druckspitzen zwischen 150 und 165 dB(C) erforderlich sind, ein Explosionstrauma, für das Spitzenschalldruckpegel von 160 und 190 dB(C) erforderlich sind, ein akutes Lärmtrauma, für das Schalldruckpegel zwischen 130 und 160 dB(C) erforderlich sind, und einen akuten Hörverlust aufgrund eines akustischen Unfalls, für den eine Lärmeinwirkung zwischen 90 und 120 dB(C) ausreichend sind, verneint. Aber er hat auch ausgeführt, dass bei der Einwirkung einer starken Schalldruckwelle unter 150 dB(C) eine vorübergehende Vertäubung auftreten kann, auch wenn der Schalldruckpegel gering unter den anerkannten Grenzwerten gelegen hat. Typisch sind dann nach seinen überzeugenden Darlegungen Klagen über minuten- oder stundenlange Vertäubungen („Wattehören“) und spontane Geräuschempfindungen, welche der Kläger am Unfalltag geäußert hat. Der Sachverständige hat ferner ausgeführt, dass in der Regel die Beschwerden folgenlos abklingen und eine vorübergehende Vertäubung durch ein Unfallereignis eventuell auch zu einem vorübergehenden aber nicht permanenten Tinnitus führen kann. Damit hat L1 ein Unfallereignis, nämlich eine starke Schalldruckwelle, und einen hierauf wesentlich ursächlich zurückführbaren Gesundheitserstschaden, nämlich eine vorübergehende Vertäubung und spontane Geräuschempfindungen, bejaht (vergleiche zum Ganzen: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.10.2023 – L 3 U 18/18, juris Rn. 46, wonach bei einem maximalen Schalldruckpegel von bis zu 129 dB(A) die Schmerzgrenze als überschritten und geeignet erachtet wird, eine vorübergehende Hörminderung im Sinne eines Mini-Lärmtraumas auszulösen). Die weiteren Ausführungen des Sachverständigen wiederum, nämlich dass die Dosis-Wirkungs-Beziehung beachtet werden müsse, nur eine geringe Schädigung, eventuell auch nur vorübergehend, auftreten könne, wenn die Lautstärke gerade nur den Grenzwert erreicht oder überschritten habe, und für eine ausgeprägtere Schädigung Lautstärken erforderlich seien, die weit über den Grenzwerten lägen, betrifft ebenfalls wieder die Frage der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem Unfall beziehungsweise dem Gesundheitserstschaden und den geltend gemachten Unfallfolgen in Form eines dauerhaft vorhandenen Tinnitus und einer psychische Dekompensation.
Nach alledem sind die Voraussetzungen für die Feststellung eines Arbeitsunfalls gegeben.
Die Frage, ob auf den Arbeitsunfall wesentlich ursächlich Unfallfolgen und bejahendenfalls welche zurückzuführen sind und ob aufgrund des Arbeitsunfalls ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, beispielsweise in Form von Heilbehandlung, Verletztengeld und/oder Verletztenrente, besteht, bleibt einem weiteren gegebenenfalls noch anzustrengenden Verwaltungsverfahren vorbehalten.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
V. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.