A., A-Straße, A-Stadt
- Kläger -
Proz.-Bev.:
Rechtsanwältin B., B-Straße, B-Stadt
gegen
Landeshauptstadt Stuttgart - Sozialamt - vertreten durch den Oberbürgermeister, Eberhardstraße 33, 70173 Stuttgart
- Beklagte -
Beigeladen:
1. E., E-Straße, E-Stadt
- Beigeladene -
2. F., F-Straße, F-Stadt
- Beigeladene -
Streitigkeiten nach dem SGB XII (Sozialhilfe) einschließlich der Angelegenheiten nach Teil 2 SGB IX
Die 22. Kammer des Sozialgerichts Nürnberg hat auf die mündliche Verhandlung in Nürnberg
am 16. Dezember 2024
durch Richter am Sozialgericht a.w.a.Ri. Heilek als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter V. und K.
für Recht erkannt:
- Der Bescheid vom 18.06.2021 in Fassung des Änderungsbescheides vom 02.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2022 wird aufgehoben.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
T a t b e s t a n d :
Der Rechtsstreit wird im Zusammenhang mit Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch (SGB XII) geführt. Es ist zwischen den Beteiligten die Rückzahlung von darlehensweise gewährten Sozialhilfeleistungen nach dem Ableben der Leistungsempfängerin durch einen Miterben streitig.
Die Beklagte gewährte Mutter des Klägers, Frau D., im Zeitraum vom 25.07.2018 bis 19.06.2020 Sozialhilfe in Form von Hilfe zur Pflege als Zuschuss. Nachdem sie erfahren hatte, dass die Leistungsempfängerin über ein Haus in Rumänien verfügte, dessen Wert ein Gutachter im September 2019 auf 9.930 EUR schätzte, und dadurch – zusammen mit weiterem Vermögen – die Vermögensfreigrenze überschritten war, wandelte sie mit Bescheid vom 19.05.2020 rückwirkend die im Zeitraum 14.07.2018 bis 31.10.2018 bewilligten Zuschussleistungen in Höhe von 5.977,06 EUR in ein Darlehen zur „Überbrückung bis zur Veräußerung des Grundvermögens“ um. In dem Bescheid wurde folgende Nebenbestimmun getroffen:
„Das Darlehen wird sofort im Gesamtbetrag zur Rückzahlung fällig, ohne dass es einer Kündigung bedarf […], spätestens mit Ableben der Leistungsberechtigten.“
Gegen die Umwandlung des Zuschusses in ein Darlehen legte Frau D. keinen Widerspruch ein. Etwa einen Monat später, am 19.06.2020, verstarb sie und wurde von ihren drei Kindern beerbt. Der Kläger sowie seine beiden Schwestern F. und E. wurden Miterben zu je einem Drittel.
Ohne vorherige Anhörung erließ die Beklagte am 18.06.2021 gegen den Kläger einen Bescheid, mit dem sie von ihm das seiner Mutter noch zu Lebzeiten gewährte Darlehen in Höhe von 5.977,06 EUR zurückforderte. Gleichlautende Bescheide gingen auch an die beiden Schwestern des Klägers. Eine Rechtsgrundlage für die Rückforderung gab die Beklagte im Bescheid nicht an. Mit Änderungsbescheid vom 02.07.2021 wurde der Rückzahlungsbetrag auf 5.272,73 EUR korrigiert. Der Kläger legte gegen die Rückforderung Widerspruch ein. Von dem Darlehen habe er keine Kenntnis gehabt, es sei seiner Mutter noch zu Lebzeiten gewährt worden. Unabhängig davon könne er die Berechnung der Rückforderung nicht nachvollziehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.10.2022 wies die Widerspruchsbehörde den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 09.11.2022 hat der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben, die auf Grund seines Wohnsitzes in A-Stadt an das Sozialgericht Nürnberg verwiesen worden ist. Der Kläger begehrt die Aufhebung des Rückforderungsbescheides und möchte das Darlehen nicht zurückzahlen. Eine Veräußerung des ohnehin fast wertlosen Grundstückes in Rumänien sei unter Berücksichtigung der Anreisekosten und Gebühren unwirtschaftlich. Er sei aber bereit, seinen Miteigentumsanteil an die Beklagte zu veräußern.
Der Kläger beantragt:
Der Ausgangsbescheid vom 18. Juni 2021 in der Fassung des Korrekturbescheides vom 2. Juli 2021 sowie des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2022 wird aufgehoben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen darauf, dass die Rückforderung durch Verwaltungsakt habe erfolgen können, weil das Darlehen ebenfalls als Verwaltungsakt gewährt worden sei. Bei der Rückforderung handle es sich um eine Nachlassverbindlichkeit im Sinne von § 1967 BGB, für die die Miterben – also auch der Kläger – nach § 2058 BGB gesamtschuldnerisch haften würden. Der Rückforderungsbescheid sei rechtmäßig. Auf eine etwaige Rechtswidrigkeit der Darlehensbewilligung komme es nicht an, weil diese bestandskräftig geworden sei.
Das Gericht hat beide Schwestern mit Beschluss vom 19.01.2023 nach § 75 Abs. 1 SGG zu dem Rechtstreit beigeladen.
Die Beigeladene Frau F. führt gegen den an sie adressierten Bescheid einen gesonderten Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Stuttgart, Az. S 20 SO 3575/22, über den noch nicht entschieden ist. Sie hat sich dahingehend eingelassen, dass ihr das Wertgutachten über das Grundstück nicht bekannt sei und sie auch nicht nachvollziehen könne, dass die bereits gewährten Leistungen rückwirkend in ein Darlehen umgewandelt worden seien. Das Haus sei über 30 Jahre lang nicht bewohnt worden, unrenoviert und damit so gut wie wertlos. Ihren Miteigentumsanteil würde sie aber an die Beklagte veräußern.
Die Beigeladene Frau E. hat einen Anteil von einem Drittel der Rückzahlungsforderung bereits an die Beklagte zurückgezahlt. Außerdem wäre sie bereit, ihren beiden Geschwistern die Miteigentumsanteile abzukaufen, damit diese von dem Erlös das Darlehen zurückzahlen können.
Eine gütliche Einigung ist gescheitert, weil die Beklagte kein Interesse am Erwerb der Miteigentumsanteile hatte und die Beigeladene F. dem Angebot ihrer Schwester, die Miteigentumsanteile anzukaufen, nicht nähertreten wollte.
Die Leistungsakte der Beklagten ist beigezogen worden. Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird hierauf verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Klage hat vollumfänglich Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
Gegenstand dieses Rechtsstreites ist der Rückforderungsbescheid vom 18.06.2021 in Fassung des Änderungsbescheides vom 02.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2022, mit dem die Beklagte vom Kläger als Miterbe die Rückzahlung eines seiner Mutter gewährten Darlehens in Höhe von 5.272,73 EUR verlangt.
Die beiden Schwestern des Klägers waren zum Verfahren beizuladen, weil durch die zu treffende Entscheidung ihre Interessen berührt werden (§ 75 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 87, 90 und 92 SGG). Statthafte Klageart ist die isolierte Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG. Der Sozialrechtsweg ist eröffnet, da die Rückforderung durch Verwaltungsakt erfolgt ist (Mecke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 91 SGB XII, Stand: 01.08.2022, Rn. 39; Lückemann in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 17a, Rn. 12). Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Nürnberg ergibt sich aus § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Die Klage ist begründet, weil der streitgegenständliche Darlehens-Rückforderungsbescheid rechtswidrig ist (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Auf die Frage, ob die ursprüngliche Darlehensbewilligung vom 19.05.2020 rechtmäßig gewesen ist, kommt es nicht an. Der Darlehensbescheid ist bestandskräftig, weil die Mutter des Klägers keinen Rechtsbehelf eingelegt hat (§ 77 SGG). Der Kläger ist als Erbe an die Bestandskraft gebunden (vgl. Giesbert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 77 SGG, Stand: 15.06.2022, Rn. 50).
Der Darlehens-Rückforderungsbescheid ist formell rechtswidrig, weil der Kläger vor dessen Erlass nicht angehört worden ist (§ 24 Abs. 1 SGB X). Der Anhörungsmangel bleibt aber ohne Folge, denn er ist nach Durchführung des Vorverfahrens geheilt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X).
Der Darlehens-Rückforderungsbescheid ist materiell rechtswidrig, weil es an einer Rechtsgrundlage für den Erlass eines entsprechenden Bescheides gegenüber einem Erben fehlt. Die Beklagte muss die Darlehensrückforderung zivilrechtlich beitreiben.
Zu Lebzeiten des Leistungsempfängers ist Rechtsgrundlage für die Rückforderung eines durch Verwaltungsakt gewährten Darlehens nach § 91 SGB XII der Darlehensbescheid selbst (Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 28. April 2022 – L 4 SO 57/20 –, juris), so dass nach Eintritt der Fälligkeit die Rückzahlung – als Kehrseite der Bewilligung – beim Leistungsempfänger ebenfalls im Wege des Erlasses eines Verwaltungsaktes zurückgefordert werden kann (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.10.2012 – L 23 SO 106/10, juris-Rn. 60).
Anders ist dies jedoch zu beurteilen, wenn ein zu Lebzeiten nach § 91 SGB XII gewährtes Darlehen erst nach dem Ableben des Leistungsempfängers von den Rechtsnachfolgern bzw. Erben zurückgefordert werden soll. Hier würde ein Rückforderungsbescheid gerade nicht die Kehrseite der Darlehensbewilligung darstellen, weil es sich um völlig unterschiedliche Adressaten der Bescheide handelt. Im Zweifel ist den Erben – wie auch im Falle des Klägers – das Darlehen überhaupt nicht bekannt. Somit kann aus dem Erlass eines Darlehensbewilligungsbescheides nicht später gegenüber den Rechtsnachfolgern die Schlussfolgerung gezogen werden, dass auch die Rückforderung per Verwaltungsakt möglich ist. Zusätzlich ist § 102 SGB XII, wonach der Erbe einer leistungsberechtigten Person zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet ist, nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf Darlehensschulden nicht anwendbar (BSG, Urteil vom 11. September 2020 – B 8 SO 3/19 R, juris-Rn. 16).
Eine Darlehensrückforderung bei den Rechtsnachfolgern durch Verwaltungsakt würde außerdem die zivilrechtlichen Regelungen zum Aufgebotsverfahren (§ 1970 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB), zur Nachlassverwaltung und zur Nachlassinsolvenz (§ 1975 ff. BGB) aushöhlen und etwaige andere Nachlassgläubiger durch die eigene Vollstreckungsmöglichkeit der Behörde unzulässig benachteiligen. Bei der Erbringung von darlehensweisen Leistungen mindert der Darlehensrückgewähranspruch als vom Erblasser herrührende Schuld gemäß § 1967 Abs. 2 BGB bereits den Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls (BSG a.a.O., juris-Rn. 16). Die darlehensweise gewährte Sozialleistung kann vom Sozialhilfeträger nicht nochmals oder wahlweise durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden (vgl. BSG a.a.O., juris-Rn. 17).
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die Darlehensbewilligung gegenüber der Mutter des Klägers mit einer Nebenbestimmung versehen, wonach das Darlehen spätestens mit dem Ableben der Leistungsempfängerin zur Rückzahlung fällig wird. Damit ist das gewährte Darlehen auch ohne Erlass eines weiteren Verwaltungsaktes am 19.06.2020, dem Todestag der Mutter des Klägers, zur Rückzahlung fällig geworden. Die Rückzahlungsverpflichtung stellt mithin keine neue Schuld der Erben dar, die erst durch den Rückforderungsverwaltungsakt entsteht. Vielmehr handelt es sich um Schulden, die bereits von der Erblasserin herrühren (sog. zivilrechtliche Erblasserschuld nach § 1967 Abs. 2 BGB) und die den Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalles mindern.
Würde die Beklagte den Rückzahlungsanspruch durch Erlass eines Verwaltungsaktes bei den Erben geltend machen und ggf. selbst vollstrecken, dann würde dies etwaige weitere Nachlassgläubiger benachteiligen, ohne dass es hierfür eine gesetzliche Grundlage gibt. Außerdem würde die Beklagte durch den Verwaltungsakt die Voraussetzung schaffen, dass sie gleichzeitig sowohl zivilrechtlich (aus der Erblasserschuld), als auch öffentlich-rechtlich (als neue Schuld des Erben) die Forderung beitreiben kann. Dies ist mit dem im BGB vorgesehenen System der Behandlung von Nachlassverbindlichkeiten nicht vereinbar.
Die Beklagte wird sich wie jeder andere Gläubiger der Erblasserin auch in die Liste der Nachlassgläubiger einreihen müssen, um auf dem Zivilrechtsweg die Rückzahlung des Darlehens oder zumindest einer entsprechenden Quote aus der Erbmasse zu erreichen.
Im Ergebnis war die Klage somit erfolgreich und der Bescheid aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gegen dieses Urteil findet gemäß § 143 SGG die Berufung an das Bayerische Landessozialgericht nach Maßgabe der beigefügten Rechtsmittelbelehrung statt.
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