S 11 BL 4/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 11 BL 4/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze


1. Zum Vorliegen von Blindheit bei Lebersche hereditäre Optikusneuropathie (LHON)
2. Nichterweislichkeit von Blindheit geht grds. zu Lasten des Betroffenen.

 

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 21.01.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.01.20222 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


T a t b e s t a n d :

Der Kläger begehrt die Gewährung von Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG).

Der 1971 geborene Kläger stellte am 10.09.2020 einen Antrag auf Gewährung von Blindengeld. Der Beklagte zog die Unterlagen aus dem Verfahren auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) sowie auf Feststellung von Merkzeichen bei Der Kläger war im Rahmen des Verfahrens auf Feststellung eines GdB am 31.07.2020 durch R1. augenärztlich untersuchen worden. Der Sachverständige stellte fest, es sei zweifelsfrei von einer beidseitigen visuellen Minderung auszugehen. Der Visus rechtes Auge/ linkes Auge betrage jeweils 0,01. Der optokinetische Nystagmus (OKN) sei beidseits auslösbar. Der Kläger leide unter einer Optikusatrophie (molekulargenetisch gesichert: LHON).

Der Beklagte ließ den Kläger am 24.11.2020 durch P. untersuchen. Der Sachverständige führte aus, der OKN sei beidseitig horizontal wie vertikal auslösbar. Im Abstand von fünf Meter sowie von einem Meter hätte jeweils keine Sehschärfe erhoben werden können. Bei einem Abstand von 0,5 Meter sei beidäugig ein Visus von 0,01 festzustellen gewesen. Aufgrund der subjektiven Visusangaben läge Blindheit nach dem Gesetz vor. Es ergäben sich jedoch Diskrepanzen zwischen den subjektiven Angaben und den objektiven Befunden, sodass weder Blindheit noch hochgradige Sehbehinderung nachgewiesen werden könne. Bei der Gesichtsfelduntersuchung hätten bei der Goldmann-Perimetrie rechts keine Angaben gemacht werden können, links sei ein konzentrisch eingeengtes Sichtfeld angegeben worden. Am Bjerrum-Schirm seien keine Angaben in 2 Meter, jedoch in 0,5 Metern gemacht worden. Fingerperimetrisch seien die Außengrenzen an beiden Augen bis 70° in allen Quadranten intakt. Die Optikus- sowie Netzhautatrophie am rechten Auge sei deutlich ausgeprägter als am linke Auge, also entgegengesetzt zu den subjektiven Funktionen. Es bestünden deutliche Diskrepanzen zwischen den subjektiven Angaben des Klägers und den objektiv erhobenen Befunden.

Der Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 21.01.2021 den Antrag auf Gewährung von Blindengeld ab. Hiergegen wurde am 03.02.2021 Widerspruch eingelegt. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wurde ein augenärztliches Gutachten nach Aktenlage durch R2. erstellt. Dieser führte aus, die Ableitung eines reproduzierbaren Muster-VEPs auch mit deutlich verlängerter Latenz am linken Auge trotz der eher reduzierten Amplitude stehe im Gegensatz zu einer Sehschärfe von 0,01. Die Auslösbarkeit des OKN sei ein weiteres Indiz gegen die subjektiven Angaben zur Sehschärfe am linken Auge. Blindheit sei bisher nicht ausreichend nachgewiesen. Das Krankheitsbild LHON gehe typischerweise mit einer zunächst schwerwiegenden Funktionsminderung auf einem Auge einher. Die vom Kläger beobachtete weitere Verschlechterung an beiden Augen sei nicht typisch für diese Erkrankung. Angesichts der objektiven Befunde sei nicht von einer Sehschärfe von mehr als 0,06 am linken Auge auszugehen, sodass zumindest ein GdB von 100 bestehen würde. Der Beklagte ließ den Kläger daraufhin nochmals durch P. untersuchen. Bei der Untersuchung am 30.11.2021 stellte der Sachverständige fest, dass der OKN an beiden Augen sowohl horizontal als auch vertikal auszulösen ist. Die Sehschärfe werde für die Ferne ohne Korrektur mit einem Abstand von einem Meter mit Handbewegung angegeben. Bei einem Abstand von fünf Metern würden keine Angaben gemacht. Bei Durchführung der Muster-VEP seien am rechten Auge/linkes Auge jeweils reproduzierbare Potentiale mit deutlich verzögerten Latenzen und Amplituden unter der Norm festzustellen. Bei der Gesichtsfeldprüfung nach Goldmann mit der Testmarke III/4 werde am rechten Auge keine Testmarke erkannt, am linken Auge ein konzentrisch stark eingeschränktes Gesichtsfeld, Außengrenzen oben bei 0° bis 2°, temporal 2° bis 4°, unten 0° bis 5°, nasal 0° bis 1°. Zusammenfassend stellte der Gutachter fest, dass sich die Angaben bei der Gesichtsfelduntersuchung nicht mit der Orientierung des Klägers in Einklang bringen lassen. Mit dem angegebenen Gesichtsfeld wäre die relativ selbständige Mobilität in unbekannter Umgebung so nicht möglich. Die angegebenen Gesichtsfelddefekte würden nicht zu der Morphologie und zu den für eine LHON eigentlich typischen Gesichtsfelddefekte passen. Es lägen keine Befunde vor, die eine Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung beweisen. Der Beklagte wies daraufhin den Wiederspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2022 zurück.

Der Kläger hat hiergegen am 10.02.2022 Klage zum Sozialgericht München erheben lassen. Der vom Kläger angegebene behandelnde Augenarzt hat trotz Aufforderung keinen Befundbericht abgegeben. Der Kläger wurde dann durch den Sachverständigen K. am 22.09.2022 augenärztlich untersucht. Bei der Gesichtsfelduntersuchung stellt der Sachverständige fest, dass die Außengrenzen bezüglich der Reizmarke III/4e unregelmäßig, teils angedeutet sternförmig eingeschränkt angegeben werden. Die Mittelpunktfixation werde relativ gut eingehalten, obwohl der Kläger nach eigenem Bekunden den Mittelpunkt nicht sehe. Bei zentrifugaler Perimetrierichtung werde hinsichtlich der Reizmarke III/4e ein zentraler Gesichtsfeldausfall mit Grenzen, die über die vorgenannten Außengrenzen hinaus und mehrfach bis zum Gesichtsfeldrand reichen, angegeben. Bei der Sehschärfeprüfung würden alle Handbewegungen immer synchron mit den Augen verfolgt. Der OKN sei mit auf die zentrale Netzhaut projizierten mittelgroßen Mustern auslösbar und spräche aller klinischen Erfahrung nach wahrscheinlicher für eine Sehschärfe von über 0,02 und schließe eine Sehschärfe von 0,05 oder darüber nicht aus. Der Kläger gäbe zur vorliegenden Haupterkrankung (LHON) hier untypisch konzentrisch eingeschränkte Gesichtsfeldaußengrenzen an. Insgesamt könne nicht mit ausreichender Sicherheit Blindheit festgestellt werden. Eine hochgradige Sehbehinderung könnte aller Wahrscheinlichkeit nach bereits eingetreten sein, sie könne aber derzeit nicht mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen werden.

Der Kläger hat zum Gutachten des Sachverständigen K. mit Schreiben vom 06.12.2022 umfassend Stellung genommen. Aufgrund der Einwendungen der Klägerseite wurde um eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen K. eingeholt. Dieser führt in seiner Stellungnahme vom 05.02.2023 u.a. aus, dass der Nachweis von Blindheit bzw. hochgradiger Sehbehinderung derzeit nicht gelinge, der Kläger mache keine nachvollziehbaren reproduzierbare validen Angaben zum Gesichtsfeld. Auch die Vorgutachter konnten jeweils hochgradige Sehbehinderung wie auch Blindheit nach dem Gesetz nicht als erwiesen ansehen. Die Klägerseite hat nochmals mit Schreiben vom 20.03.2023 zur ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen K. Stellung genommen.

Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 06.06.2023 unter Fristsetzung von der Absicht in Kenntnis gesetzt, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG zu entscheiden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 21.01.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2022 zu verurteilen, im Antrag Blindengeld nach dem BayBlindG zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Beigezogen war die Verwaltungsakte des Beklagten.

 


Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akte und der Klageakte Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Das Sozialgericht München ist sachlich und örtlich zuständig. Die form- (§ 90 SGG) und fristgerecht (§ 87 SGG) erhobene Klage ist zulässig.

Der vorliegende Rechtsstreit kann durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt hinreichend geklärt ist (§ 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat den derzeit keinen Anspruch auf Gewährung von Blindengeld nach dem BayBlindG.

Gemäß Art.1 BayBlindG erhalten Blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen auf Antrag zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen ein monatliches Blindengeld.
Nach Abs. 2 der Vorschrift ist blind, wem das Augenlicht vollständig fehlt.
Als blind gelten auch Personen,
1. deren Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 1/50 beträgt, oder
2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von
einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der
Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.

Hochgradig sehbehindert ist nach Abs. 3 wer nicht blind im Sinne von Abs. 2 ist und
1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 1/20 beträgt, oder
2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung von 100 nach dem SGB IX bedingen.

Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten (Abs. 5).

Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 (1/50) oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe Teil A Nr. 6 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze - VG, Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung):

aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

dd) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,

ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,

gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass beim Kläger derzeit keine Blindheit vorliegt. Wie bereits die Sachverständigen im Verwaltungsverfahren so kommt auch der Sachverständige K. zum Ergebnis, dass Blindheit derzeit nicht nachgewiesen ist. Die Sachverständigen gehen zweifelsfrei von einer beidseitigen Minderung der Sehkraft aus. Hauptursache für das massiv reduzierte Sehvermögen ist die fortgeschrittene Degeneration beider Sehnerven (partielle Optikusatrophie), die genetisch als eine Leber´sche Hereditäre Optikus-Neuropathie (LHON) gesichert ist. Die subjektiven Visus-Angaben stimmen allerdings mit den objektiven Befunden nicht überein. So ist der OKN auf beiden Augen horizontal und vertikal auslösbar, was eine oberhalb der Blindheitsgrenze liegende Sehschärfe voraussetzt. Die Muster-VEP waren am linken Auge reproduzierbar mit verlängerten Latenzen und niedrigen Amplituden auslösbar. Mit der Blitz-VEP können bei Stimulation des rechten Auges gut reproduzierbare und identifizierbare Reizantworten, bei Stimulation des linken Auges etwas unsichere Reizantworten mit verminderten Amplituden kortikal abgeleitet werden. Die Ableitung der Blitz-VEP spricht für ein besseres rechtes Auge. Im Test nach K1. können auf die zentrale Netzhaut projizierte Musterreize am rechten Auge wie am linken Auge mit mittleren und großen Mustern einen OKN auslösen. Dieses Ergebnis ist erfahrungsgemäß eher mit einer Sehzeichensehschärfe von 0,05 oder darüber vereinbar als darunter. Bei der Untersuchung durch K. ist die Muster-VEP bei guter Mitarbeit nur noch angedeutet ableitbar und legt allenfalls eine bessere Sehzeichensehschärfe als zumindest 0,02 nahe. Dass bei der Untersuchung durch K. der OKN mit auf die zentrale Netzhaut projizierte mittelgroßen Mustern auslösbar war, spricht dies klinischer Erfahrung nach wahrscheinlicher für eine Sehschärfe von 0,02 und schließt eine Sehschärfe von 0,05 und darüber nicht aus. Auch der Sachverständige R2., der ein Gutachten nach Aktenlage erstellt hat, stellt eindeutige Widersprüche zwischen den subjektiven Angaben zum Sehvermögen und den objektiven Befunden fest, die Blindheit nicht ausreichend nachweisen lassen. Der Sachverständige R2.führt weiter aus, dass das Krankheitsbild LHON typischerweise mit einer zunächst schwerwiegenden Funktionsminderung an einem Auge, meist nach Monaten gefolgt vom zweiten Auge, einhergeht. Danach stabilisiere sich das Sehvermögen in aller Regel und nicht selten komme es sogar zu einer geringen Verbesserung.

Die beim Kläger beobachtete weitere Verschlechterung, dazu noch an beiden Augen, ist nicht typisch. Der Sachverständige P. stellt ebenfalls fest, dass die Visus-Angaben nicht zu den ableitbaren reproduzierbaren Potentialen passen und aufgrund der aufgezeigten Diskrepanzen eine Blindheit nicht nachgewiesen ist.
Auch eine Gesichtsfeldeinschränkung, die einer Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzen wäre, liegt nicht im erforderlichen Maße nachweisbar vor. Der Kläger gibt konzentrisch eingeschränkte Gesichtsfeldaußengrenzen an. Hier wäre auch aufgrund des massiven, temporalen Nervenfaseruntergangs ein eher großes Zentralskotom zu erwarten. Bei der Gesichtsfelduntersuchung haben sich weder die Außengrenzen des Gesichtsfeldes noch die Grenzen des Zentralskotoms zulässig bestimmen lassen. Der Sachverständige P. stellt bei der Untersuchung am 24.11.2020 bereits fest, dass rechts in der Goldmann-Perimetrie keine Angaben gemacht wurden, links ein konzentrisch eingeengtes Gesichtsfeld angegeben ist. Fingerperimetrisch sind die Außengrenzen an beiden Augen bis 70° in allen Quadranten intakt. Die Optikus- und Netzhautatrophie am rechten Auge ist ausgeprägter als am linken. Der Sachverständige stellt dazu fest, dass dies gerade entgegengesetzt zur subjektiven Funktion ist. R2.führt hierzu aus, dass bei einer LHON es klassischerweise zu einem ausgedehnten zentralen Gesichtsfeldausfall kommt und das periphere Gesichtsfeld typischerweise nicht betroffen ist. Das mittels Fingerperimetrie freie Gesichtsfeld deutet eindeutig auf eher normale Außengrenzen hin, das den bei der Untersuchung P. angegebenen Gesichtsfeldbefund am linken Auge angesichts des Muster-VEP nicht erklärt. Der Sachverständige P. kommt bei nochmaliger Untersuchung des Klägers am 30.11.2021 ebenfalls zum Ergebnis, dass in der Zusammenschau der Befunde sich die Angaben bei der Gesichtsfelduntersuchung nicht mit der Orientierung des Klägers im Raum in Einklang bringen lassen. Hier wird festgestellt, dass am rechten Auge in der Goldmann-Perimetrie ein minimales zentrales Restgesichtsfeld angegeben wird, bei der Bjerrum-Gesichtsfelduntersuchung fehlt eine adäquate Aufweitung bei Prüfung in verschiedenen Abständen. Am linken Auge werden bei den Gesichtsfelduntersuchungen nach Goldmann und am Bjerrum-Schirm die Testmarken nicht erkannt. Der Sachverständige führt dabei aus, dass mit dem angegebenen Gesichtsfeld die relativ selbständige Mobilität des Klägers in ihm unbekannter Umgebung nicht möglich wäre. Bei der Untersuchung durch K. wird die größere Reizmarke V/4e teilweise in engeren Grenzen angegeben als die Standardmarke III/4e. Die Grenzen des Zentralskotoms werden oft weiter angegeben, als die zuvor genannten Grenzen. Insgesamt ist eine Einschränkung des Gesichtsfeldes, die einer Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung gleichzuachten wäre, nicht hinreichend nachgewiesen.

Auch eine hochgradige Sehbehinderung ist nicht im erforderlichen Maße nachgewiesen. Der Sachverständige P. stellt wie bereits oben ausgeführt die Diskrepanzen dar, dass die Visus-Angaben beispielsweise nicht zu den ableitbaren, reproduzierbaren Potentialen passen. Auch der Sachverständige K. kommt aufgrund der unterschiedlichen Angaben des Klägers einerseits und der objektiven Befunde andererseits zum Ergebnis, dass eine hochgradige Sehbehinderung wahrscheinlich schon vorliegt, diese sich aber noch nicht beweisen lässt.

Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen, so gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG 13. Aufl. 2020, § 103 Rdnr. 19 ff m.w.N.; BayLSG vom 08.10.2013, L 15 BL 2/09). Anspruchsbegründende Tatsachen unterliegen grundsätzlich dem notwendigen Vollbeweis, sodass die Nichterweislichkeit zu Lasten des Klägers geht. Etwaige Beweiserleichterungen kommen nicht zum Tragen (vgl. ausführlich BSG vom 11.08.2015, B 9 BL 1/14 R Rdnr. 24). Für den Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen; erforderlich ist jedoch ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt, dass hier Blindheit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegt (vgl. BayLSG vom 27.09.2016, L 15 BL 11/15; BayLSG vom 28.11.2019, L 15 BL 1/19).

Der Beweis, dass Blindheit bzw. hochgradige Sehbehinderung beim Kläger vorliegen, ist bislang nicht in ausreichendem Maße geführt, sodass Blindheit bzw. hochgradige Sehbehinderung nicht festgestellt werden kann. Auch ein GdB von 100 wie er zunächst im Bescheid im Schwerbehindertenverfahren vom 31.08.2020 für die Sehbehinderung festgestellt war (mit Anhörungsschreiben vom 12.01.2022 wurde der Kläger zur Herabsetzung des GdB sowie zum Entzug der Merkzeichen H und Bl angehört), wäre für das hier vorliegende Blindengeldverfahren unerheblich, da es diesbezüglich keine Bindungswirkung gibt (BayLSG vom 20.12.2018 - L 15 BL 6/17).

Das Gericht schließt sich den umfassenden und fundierten Feststellungen des Sachverständigen K. an, der den Kläger untersucht hat, sich mit den Unterlagen im Verwaltungsverfahren sowie den vorgelegten Unterlagen im Klageverfahren und den Einwänden der Klägerseite im Gutachten und in der ergänzenden Stellungnahme detailliert auseinandergesetzt hat. Das Gericht hat keine Bedenken, die Einschätzung des Sachverständigen seiner eigenen Einschätzung zugrunde zu legen.
Da derzeit weder Blindheit noch hochgradige Sehbehinderung im erforderlichen Maße nachgewiesen ist, war die Klage abzuweisen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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