Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 29. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Kostenübernahme für eine Mammareduktionsplastik beidseitig.
Die 00.00.0000 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.
Am 00.00.0000 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für eine Mammareduktion. Ihre Brüste seien für ihren Körper zu groß, sie empfinde dies als Entstellung. Zudem habe sie orthopädische Schmerzen, die auch trotz Gewichtsabnahme in der Schulter und in der Wirbelsäule verblieben seien. Zum Antrag reichte sie ärztliche Unterlagen ein, u.a. des C. (S.) vom 23. Oktober 2017, wonach das Reduktionsgewicht pro Seite 500 Gramm betrage.
Unter dem 4. Dezember 2017 nahm der U. (U.) zu dem Begehren der Klägerin nach persönlicher Untersuchung Stellung. Es lägen keine Hautirritationen vor. Auch eine relevante Mammaasymmetrie sei nicht zu erkennen. Es werde empfohlen, regelmäßig Heilmittelverordnungen zum Auftrainieren der insuffizienten rumpfstabilisierenden Muskulatur in Anspruch zu nehmen.
Mit Bescheid vom 13. Dezember 2017 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für die begehrte Operation unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des U. ab. Die Klägerin habe seit dem 1. Januar 2016 lediglich 18 Einheiten Krankengymnastik verordnet bekommen.
Am 22. Dezember 2017 legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie leide seit 5 Jahren an übergroßen Brüsten. Orthopädische Behandlungen sowie sportliche Betätigung, die sie seit Jahren durchführe, würden keine Linderung bringen. Sie reichte zum Widerspruch eine Stellungnahme vom 17. Januar 2018 der Fachärztin für Gynäkologie A. ein, die die begehrte Operation aus orthopädischen und dermatologischen Gründen für medizinisch indiziert erachtete.
Unter dem 18. April 2018 nahm der U. erneut zu dem Begehren der Klägerin Stellung und verblieb bei seiner Einschätzung aus dem Gutachten vom 4. Dezember 2017.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Es seien keine chronischen, rezidivierenden Hautirritationen erkennbar. Eine große Menge an Heilmittelversorgungen sei nicht zu erkennen. Zudem gebe es keine wissenschaftlichen Studien, die einen Zusammenhang zwischen der Größe der Brust und dem Auftreten von orthopädischen Beschwerden belegten.
Mit der am 4. Juli 2018 erhobenen Klage zum Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie habe seit der Schwangerschaft Probleme mit der Größe der Brüste. Obwohl sie regelmäßig Sport treibe und an Gewicht verloren habe, erfahre sie keine Linderung.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Dezember 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2018 zu verurteilen, die Kosten für die beantragte Mammareduktion zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
und auf ihr Vorbringen im Widerspruchsbescheid verwiesen.
Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin beigezogen und den Sachverhalt zudem weiter aufgeklärt durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Chirurgie, plastische Chirurgie, Sozialmedizin I.. Diese hat unter dem 15. April 2019 ihr Gutachten erstellt und im Wesentlichen ausgeführt, hinsichtlich der von der Klägerin in Ansatz gebrachten Rückenbeschwerden gebe es nach wie vor keine valide, evidenzbasierte und wissenschaftlich anerkannte Studie, die einen Zusammenhang zwischen einer definierten Brustgröße und ebenso definierten morphologischen Veränderungen von Seiten der Wirbelsäule aufzeigen könnte. Auch hätten Rückenschmerzen eine multifaktorielle Genese. Sie kämen bei Frauen mit großen und kleinen Brüsten, aber auch bei Männern vor. Hinsichtlich der Behandlung der Rückenschmerzen lägen mittlerweile zahlreiche interdisziplinär abgestimmte Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Kreuzschmerzen (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. <AWMF>-Register-Nr. Nationale Versorgungsleitlinie <NVL>-007), Nackenschmerzen (AWMF-Register-Nr. 053 - 007), Kopfschmerzen (AWMF-Register-Nr. 062 - 007) und zum Umgang mit funktionellen Körperbeschwerden (AWMF-Register-Nr. 051-001) vor, wobei in keiner dieser Leitlinien eine Mammareduktionsplastik als Therapieoption unspezifischer Rückenschmerzen in Ansatz gebracht werde. Im Gegenteil werde in der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz hinsichtlich der Rückenschmerzsymptomatik ausdrücklich vor einem monokausalen Erklärungsmodell gewarnt. Die wiederkehrenden Beschwerden von Seiten der Wirbelsäule würden auf anlagebedingte Veränderungen beruhen (Skoliose, Beinlängendifferenz, degenerative Veränderungen) und seien nicht auf die Größe der Brüste zurückzuführen. Eine medizinische Indikation zur Durchführung einer Mammareduktionsplastik könne daher nicht bestätigt werden. Anzuraten sei der Klägerin eine deutliche Steigerung der sportiven Aktivitäten, z.B. im Sinne einer regelmäßigen Aquafitness zum Auftrainieren der Rückenstreck- und rumpfstabilisierenden Muskulatur, aber auch zur Gewichtsreduktion. Auch wäre die Verordnung von Reha-Sport sinngebend. Eine therapieresistente Hauterkrankung im Bereich der Unterbrustfalten bestehe nicht.
Auf Antrag der Klägerin hat das SG ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt. Die Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie, Chirurgie und Handchirurgie Y. hat unter dem 16. März 2020 ihr Gutachten erstellt und im Wesentlichen ausgeführt, dass bei der Klägerin eine Kyphosierung der Brustwirbelsäule mit Vorfall beider Schultern sowie ein degeneratives und bereits chronifizierendes HWS- sowie BWS-Syndrom mit Insertionstendinopathie der paravertebralen Rückenmuskulatur vorliege. Hieraus resultiere ein segmentales Schmerzsyndrom auf Höhe der Brust- und Halswirbelsäule mit Funktionseinschränkungen im Sinne einer reduzierten Beweglichkeit in diesen Bereichen. Die beschriebenen orthopädischen Grunderkrankungen sowie die hieraus resultierende und von der Klägerin glaubhaft beschriebene Beschwerdesymptomatik würden in direktem Zusammenhang mit der zugrundeliegenden Makromastie stehen. Dieser Zusammenhang sei durch zahlreiche Studien wissenschaftlich belegt, denen zufolge die Brustverkleinerung das einzige ursachenorientierte Verfahren sei, welches die beschriebenen Beschwerden nachhaltig und endgültig behandeln würde. Die konservativen Behandlungen von Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates seien lediglich symptomorientiert und würden die eigentliche Ursache, nämlich die überschwere und große Brust nicht beheben. Wie mehrere Studien zeigen würden, hätten konservative Maßnahmen keinen Langzeiteffekt auf die Beschwerdesymptomatik bei Makromastie. Vielmehr würden die Beschwerden mit der Brustgröße und weniger mit dem Körpergewicht korrelieren. Demzufolge sei festzuhalten, dass die bisher eingeleitete konservative Therapie mittels physiotherapeutischer Beübung und die Kräftigung der Rücken- und Schultermuskulatur durch die sportliche Betätigung sowohl kurz- als auch langfristig nicht zu einer Reduzierung des Beschwerdebildes führen werde. Es sei eher davon auszugehen, dass die degenerativen Wirbelsäulenveränderungen sich im Laufe der Zeit verschlimmern und zu einem irreversiblen Schaden führen könnten. Aus ihrer Sicht liege bei der Klägerin ein dermaßen ausgeprägter Befund vor, dass eine Resektion von 700 bis 900 Gramm pro Brustseite notwendig sein werde, um eine suffiziente Entlastung der Wirbelsäule sowie des Schultergürtels zu erzielen.
Mit Urteil vom 29. Oktober 2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der geltend gemachte Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Mammareduktion stehe der Klägerin unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt zu. Eine chirurgische Behandlung in Form der Brustverkleinerung müsse ultima ratio sein. Erforderlich zur Kostentragungspflicht der Krankenkasse sei eine schwerwiegende Erkrankung der Wirbelsäule, die erfolglose Ausschöpfung aller konservativer orthopädischer Behandlungsmaßnahmen und die mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahme auch den gewünschten Erfolg bringe. Aufgrund der überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen E. sei es der Auffassung, dass die begehrte Mammareduktion nicht medizinisch indiziert sei. Die Gutachterin führe aus, dass mit der Reduktion des Körpergewichts auch eine Verminderung des Brustgewichts erreicht werden könnte. Dies bestätige auch das Gutachten nach § 109 SGG, welches von einer Reduktion des Brustgewichtes durch Gewichtsreduktion pro Seite von 100 bis 200 Gramm spreche. Zudem habe die Beklagte dargelegt, dass die Klägerin unter Berücksichtigung der von ihr geschilderten Beschwerden kaum Heilmittelversorgung in Anspruch genommen habe. Dies dürfte aber notwendig sein, um den Anspruch auf die Operation zu begründen. Auch den Empfehlungen des U. sei zu entnehmen, dass die Klägerin Heilmittelverordnungen in Anspruch nehmen solle.
Außerdem sei zu berücksichtigen, dass sämtliche Gutachten bei der Klägerin von einer Makromastie sprächen. Diese Voraussetzungen seien erfüllt, wenn das Gewicht jeder Brust unter 1.500 Gramm liege. Eine Gigantomastie (ein Gewicht über 1.500 Gramm pro Seite) liege bei der Klägerin nicht vor. Das entsprechend zu erwartende Reduktionsgewicht werde von dem behandelnden Arzt auf 500 Gramm geschätzt; die Gutachterin nach § 109 SGG schätze das Reduktionsgewicht auf 700 bis 900 Gramm. Beide Schätzungen würden nicht die Ausmaße haben, um für das Gericht eine Operation zu begründen.
Zudem würden bisher keine randomisierten Studien dazu existieren, ob die begehrte Operation dem allgemeinen Stand der medizinischen Kenntnisse entspricht. Eine valide und evidenzbasierte Studienlage, aus der sich ableiten ließe, dass die Mammareduktionsplastik dem allgemeinen Stand der medizinischen Kenntnisse entspreche, liege nicht vor. Das Gericht verkenne nicht, dass die Sachverständige nach § 109 SGG verschiedene Nachweise zitiert und referiert habe. Hierbei handele es sich jedoch nicht um Studien der Evidenzklassen 1b oder 1a. Die jüngste, von der Sachverständigen nach § 109 SGG zitierte Studienlage sei aus dem Jahr 2004 und somit zur Heranziehung nicht geeignet. Zudem belege dies für das Gericht eindrücklich, dass aktuelle Studien zu der hier vorliegenden Problematik gerade nicht existierten.
Gegen das am 9. November 2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25. November 2020 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (NRW) eingelegt. Zur Begründung verweist sie auf das Gutachten der Sachverständigen Y. und die Doktorarbeit der Frau M. zur Thematik „Biomechanische Belastungen vor und nach operativer Therapie der Mammahypertrophie“ aus dem Jahr 2013.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 29. Oktober 2020 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2018 zu verurteilen, der Klägerin eine beidseitige Mammareduktionsplastik zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe Bezug und verweist auf einen Auszug über abgerechnete Heilmittel der letzten fünf Jahre.
Der Senat hat einen Befundbericht des behandelnden Orthopäden Z. beigezogen, mit dem Inhalt, dass die Klägerin dort seit dem 28. August 2015 in Behandlung sei bei einer einmaligen Vorstellung 2015, 2016 und 2017, zweimaligen Vorstellung 2018, einmalig 2019 und einmalig 2021. Es wird ausgeführt, dass aufgrund des Befundes des MRT der HWS (chronischer Bandscheibenschaden) von einem Kausalzusammenhang mit der Brustgröße auszugehen sei.
Die Sachverständige I. hat zu den Ausführungen der Sachverständigen Y., zur Berufungsbegründung und zum aktuellen Befundbericht am 15. März 2021 ergänzend Stellung genommen. Im Wesentlichen hat sie ausgeführt, dass dem Argument, es bestünden erhebliche Beschwerden von Seiten des Stütz- und Bewegungsapparates, woraus eine Notwendigkeit zu einer Mammareduktionsplastik abzuleiten sei, nicht gefolgt werden könne. So sei dem Auszug aus der Heilmittelverordnung der Krankenkasse aus den letzten 5 Jahren, d.h. seit Januar 2016 eine Verordnung von Krankengymnastik 3 x à 6 Einheiten 2018 und 2019 zu entnehmen. Für die Jahre 2016, 2017 und 2020 sei keine entsprechende Verordnung dokumentiert. Eine übermäßige Beschwerdehaftigkeit könne hieraus nicht abgeleitet werden.
Auch der behandelnde Orthopäde Z. berichte über allenfalls gelegentliche Vorstellungen der Klägerin: einmal im Jahr 2015 aus Gründen von Beschwerden von Seiten der linken Ferse, einmal im Jahr 2016 aus Gründen von Beschwerden der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, ebenso im Februar 2017, Februar 2018 und August 2018 sowie im Januar 2019 und Januar 2021. Dieses spreche für ein ausgesprochen niederfrequentes Behandlungssetting. Auch seien den Einträgen in der Krankendatei lediglich paravertebrale Verspannungen und segmentale Druckempfindlichkeiten zu entnehmen; funktionelle Einbußen entsprechend einer Messung nach Neutral-Null seien nicht berichtet worden. Der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhanges könne nach wie vor nicht durch valide, evidenzbasierte und wissenschaftlich anerkannte Studien geführt werden. Konservative Maßnahmen mit Gewichtsreduktion, Steigerung der körperlichen Fitness, gezieltem Auftrainieren der Rückenstreck- und rumpfstabilisierenden Muskulatur, gegebenenfalls Krankengymnastik und orthopädische Behandlungen stünden im Vordergrund, eine medizinische Indikation zur Durchführung einer Mammareduktionsplastik könne nicht bestätigt werden.
Die Klägerin hat hierauf eingewandt, dass regelmäßig nur sechs krankengymnastische Behandlungen verordnet würden. Während der ab dem Jahr 2020 bestehenden Pandemie sei es auch unzumutbar gewesen, sich einer Gefährdung durch Inanspruchnahme physiotherapeutischer Behandlungen auszusetzen. Die Gewichte der Brüste seien nie hinreichend bestimmt worden. Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens hätten sich die Brüste deutlich vergrößert. Hinzukomme, dass eine Reduzierung des Körpergewichtes nicht zugleich eine Reduzierung des Brustgewichtes bedinge. Die Gewichtsabnahme um mehrere Kilogramm bedeute nicht, dass das Brustgewicht in gleicher Weise reduziert werde, sondern nur in einem deutlich geringeren Maße. Zudem wirkten sich die Zugkräfte, die in der Bewegung bei sportlichen Übungen auf den Haltungsapparat wirkten, ungleich schlimmer aus, je höher sich das Übergewicht der Brust darstelle. Mithin sei die sportliche Aktivität ab einer gewissen Größe der Brust kontraproduktiv und krankheitsfördernd.
Nachfolgend hat auf Antrag der Klägerin Y. am 2. August 2021 ergänzend Stellung genommen und ausgeführt, es liege bei einem krankhaft vergrößerten Organ – so wie es die Brust in diesem Fall darstelle – auch ohne histologisch krankhaft verändertes Drüsengewebe im engeren Sinne eine Morbidität vor. Die Pathologie liege in diesem Zusammenhang in der Hypertrophie des Drüsengewebes und der übermäßigen Belastung der Hals- und Brustwirbelsäule durch das hohe Gewicht der Brüste.
Bei einem zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung gegebenem BMI von 28,1 kg/m2 bestehe zwar eine Präadipositas, es sei jedoch bei insgesamt festem und hauptsächlich drüsenlastigem Brustgewebe nicht mit einer signifikanten Reduktion des Brustgewichtes durch weitere diätetische Maßnahmen zu rechnen. Aus der Anzahl der Besuche der Klägerin beim behandelnden Orthopäden ihren Leidendruck abzuleiten, sei nicht sachgerecht. Die Vorstellung in einer orthopädischen Praxis könne die Ursache der bestehenden Beschwerden, nämlich die in Relation zum Körper zu große Brust, nicht beheben. Eine niederfrequente Vorstellung in der orthopädischen Praxis sei Zeichen der Resignation von Seiten der Klägerin. Auch sei nicht nachvollziehbar, dass der mögliche kausale Zusammenhang zwischen einer überproportional vergrößerten Brust und den im Rahmen der MRT-Untersuchungen beschriebenen Pathologien auf Höhe der Hals- und Brustwirbelsäule, verkannt werde. Konservative Therapiemaßnahmen würden allenfalls zu einem geringen Anteil die Beschwerden der Klägerin lindern und nicht zu einer Behebung der Ursache und somit nicht zu einer langfristigen Reduzierung der Schmerzsymptomatik führen.
Mit weiterer ergänzender Stellungnahme vom 23. November 2021 hat die Sachverständige Y. die zuvor von ihr benannten Studien einer Evidenzklasse zugeordnet.
Der Senat hat sodann eine Übersicht über die AU-Zeiten der Klägerin seit dem 1. November 2015 von der Beklagten beigezogen (Diagnosen: akute Bronchitis, akute Konjunktivitis).
Nachfolgend hat der Senat den Facharzt für Orthopädie X. zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt, der unter dem 21. September 2023 sein schriftliches Gutachten erstattet hat. Er hat folgende Diagnosen getroffen: Chronischer Schulter-Nacken-Schmerz bei Bandscheiben- und Zwischenwirbelgelenkdegeneration C4/C5 und C5/C6; chronischer thorakaler Rückenschmerz bei Bandscheiben- und Zwischenwirbelgelenkdegeneration und Seitausbiegung; chronischer lumbaler Rückenschmerz bei Bandscheiben- und Zwischenwirbelgelenkdegeneration; fachfremd: Makromastie beidseits; Adipositas; Psoriasis vulgaris; allergisches Asthma bronchiale; Carpaltunnelsyndrom. Er hat ausgeführt, dass die im Wirbelsäulenbereich bestehenden degenerativen Veränderungen, die Seitausbiegung und die Hyperlordose der Lendenwirbelsäule einen regelwidrigen Körperzustand darstellen würden. Hier ergebe sich die Notwendigkeit einer zeitweisen ärztlichen Behandlung und zusätzlicher krankengymnastischer Übungsbehandlung und ggf. einer Schmerztherapie. Ergänzend könnten physikalische Maßnahmen durchgeführt werden. Eine beiderseitige Mammareduktionsplastik könne bei degenerativen Veränderungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule nicht unmittelbar an der Krankheit ansetzen. Vielmehr seien persistierende Beschwerden durch die bereits bildgebend dokumentierte Degeneration zu erwarten.
Dementsprechend sei eine beiderseitige Mammareduktionsplastik zur Behebung der Beschwerden im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule nicht erforderlich. Vielmehr werde sie nicht als ausreichend angesehen, um einen hinreichenden Heilerfolg zu erreichen. Stattdessen seien konservative Behandlungen mit Kräftigung der Rumpfmuskulatur und insbesondere der Rückenstrecker hierzu geeignet. Auch eine weitere Gewichtsreduktion werde bei Übergewicht als zielführend eingeschätzt. Damit sei die gewünschte Operation nicht zweckmäßig, da die Wirksamkeit der Behandlung in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen wissenschaftlich nicht belegt werden könne.
Die degenerativen Veränderungen mit Seitausbiegung der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule ließen sich als wesentliche Schmerzursache durch eine Mammareduktionsplastik nicht beeinflussen. Dies werde im Rahmen des Gutachtens von Frau Y. nicht ausreichend gewürdigt, so dass es zu einer abweichenden Einschätzung im Rahmen der eigenen Begutachtung kommt.
Zu Einwendungen der Klägerin hat der Sachverständige X. am 18. Dezember 2023 Stellung genommen. Er ist bei seiner Einschätzung verblieben.
Im Übrigen wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung, die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
A. Die am 25. November 2020 schriftlich eingelegte Berufung der Klägerin gegen das ihr am 9. November 2020 zugestellte Urteil des SG Gelsenkirchen vom 29. Oktober 2020 ist zulässig, insbesondere gemäß §§ 143, 144 SGG ohne gerichtliche Zulassung statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1, Abs. 3; § 64 Abs. 1, Abs. 2; § 63 SGG).
B. Die Berufung ist unbegründet. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I. Die Klage ist zulässig. Ihr Begehren verfolgt die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG), die form- und fristgerecht erhoben worden ist (§§ 87 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2; 90 SGG).
II. Die Klage ist indes unbegründet. Der Bescheid vom 13. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Sie hat keinen Sachleistungsanspruch auf eine beidseitige Mammareduktionsplastik.
1. Eine Krankenhausbehandlung kann die Klägerin nicht beanspruchen. Es hat sich nicht feststellen lassen, dass die von ihr als stationäre Krankenhausleistung begehrte Mammareduktionsplastik im krankenversicherungsrechtlichen Sinne notwendig ist.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V in Verbindung mit § 39 Abs. 1 SGB V umfasst die Krankenbehandlung auch die Erbringung von Krankenhausleistungen. Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre, stationsäquivalente oder tagesstationäre Behandlung durch ein nach § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus, wenn die Aufnahme oder die Behandlung im häuslichen Umfeld nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Ob eine stationäre Krankenhausbehandlung in diesem Sinne aus medizinischen Gründen notwendig ist, hat das Gericht im Streitfall grundsätzlich uneingeschränkt zu überprüfen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Großer Senat, Beschluss vom 25. September 2007 - GS 1/06 – BSGE 99, 111).
a) Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V zunächst das Vorliegen einer Krankheit voraus. Damit wird ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (ständige Rechtsprechung BSG, Urteil vom 8. März 2016 – B 1 KR 35/15 R – SozR 4-2500 § 27 Nr. 28, Rn. 9; BSG, Urteil vom 28. September 2010 – B 1 KR 5/10 R – SozR 4-2500 § 27 Nr. 20, Rn. 10 m.w.N.; BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 R – BSGE 100, 119).
Dabei kommt Krankheitswert im Rechtssinne nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit oder Normabweichung zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder an einer anatomischen Abweichung leidet, die entstellend wirkt. Es besteht kein Anspruch gegen die Krankenkasse auf Herstellung eines völlig unversehrten Körperbildes. Ein Anspruch auf Krankenbehandlung in Form körperlicher Eingriffe ist ausgeschlossen, wenn diese Maßnahmen nicht durch Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand im Sinne der krankenversicherungsrechtlichen Grundsätze veranlasst werden (BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 37/18 R – BSGE 129, 52, Rn. 8 m.w.N.; BSG, Urteil vom 30. September 2015 – B 3 KR 14/14 R – SozR 4-2500 § 33 Nr. 48, Rn. 29; BSG, Urteil vom 28. September 2010 – B 1 KR 5/10 R – SozR 4-2500 § 27 Nr. 20, Rn. 10; BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 9/04 R – juris, Rn. 12).
aa) In diesem krankenversicherungsrechtlichen Sinne bestehen bei der Klägerin folgende Krankheiten: chronischer Schulter-Nacken-Schmerz, thorakaler sowie lumbaler Rückenschmerz bei Bandscheiben- und Zwischenwirbeldegenerationen, wobei im Bereich der Brustwirbelsäule zusätzlich eine Seitausbiegung besteht, zudem liegt eine Kyphosierung mit Vorfall beider Schultern vor. Diese Diagnosen sind von den Sachverständigen X. und I., die Kyphosierung ergänzend von der Sachverständigen Y. getroffen worden. Sie sind überzeugend begründet und zwischen den Beteiligten im Übrigen auch unstreitig. Ergänzend hat die Sachverständige Y. eine Insertionstendinopathie i.S. einer Fehlbelastung am Muskelansatz der paravertebralen Rückenmuskulatur mit Schmerzsyndrom in Hals- und Brustwirbelsäule beschrieben, der Sachverständige X. zusätzlich eine Adipositas.
bb) Ebenso besteht – zwischen den Beteiligten und den Sachverständigen unstreitig – bei der Klägerin eine Makromastie i.S. einer Größenzunahme der Brust über das altersentsprechende Maß hinaus.
(1) Die Mammahypertrophie als solche hat, auch eingedenk des Umstandes, dass sie diagnostisch klassifiziert ist (ICD-10 N62), keinen Krankheitswert im krankenversicherungsrechtlichen Sinn, solange mit ihr keine Funktionsmängel einhergehen bzw. sie zu körperlichen Beschwerden führt (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 R – BSGE 100, 119, Rn. 12; LSG Hamburg, Urteil vom 25. August 2016 – L 1 KR 38/15 – juris, Rn. 16; LSG NRW, Urteil vom 28. November 2017 – L 1 KR 644/15 – juris Rn. 30; Hessisches LSG, Urteil vom 9. Februar 2017 – L 1 KR 134/14 – juris, Rn. 17; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. März 2010 – L 5 KR 118/08 – juris, Rn. 26). Für eine organisch kranke Brust bestehen hier jedoch keine Anhaltspunkte.
(2) Eine Erkrankung i.S. von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V liegt auch nicht in der Variante der entstellenden Wirkung nach Würdigung der Fotodokumentation in den Gutachten der Sachverständigen I. und Y. vom entkleideten und unbekleideten Oberkörper der Klägerin vor.
Um eine behandlungsbedürftige Entstellung annehmen zu können, genügt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht jede körperliche Abnormität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit hervorruft und damit zugleich erwarten lässt, dass der Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist. Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein: Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder generell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen, etwa die Ausbildung eines sechsten Fingers an einer Hand. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi „im Vorbeigehen“ bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt. Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Rechtsordnung im Interesse der Inklusion behinderter Menschen fordert, dass Nichtbehinderte ihre Wahrnehmung von Behinderung korrigieren müssen (so BSG, Urteil vom 8. März 2016 – B 1 KR 35/15 R – SozR 4-2500 § 27 Nr. 28, Rn. 14). Ausgehend vom objektiven Krankheitsbegriff kommt es für die Bewertung der Entstellung nicht auf eine subjektive oder persönliche Einschätzung der Betroffenen an. Die Feststellung, dass im Einzelfall Versicherte wegen einer körperlichen Abnormität entstellt sind, ist anhand eines objektiven Maßstabes zu beurteilen und in erster Linie Tatfrage.
Die Rechtsprechung hat als Beispiele für eine Entstellung das Fehlen natürlichen Kopfhaares bei einer Frau, eine Wangenatrophie oder Narben im Lippenbereich angenommen oder erörtert. Dagegen hat das BSG bei der Fehlanlage eines Hodens eine Entstellung nicht einmal für erörterungswürdig angesehen und eine Entstellung bei fehlender oder wenig ausgeprägter Brustanlage sowie bei Asymmetrie der Brüste unter Berücksichtigung der außerordentlichen Vielfalt in Form und Größe der weiblichen Brust abgelehnt. In diesem Zusammenhang hat das BSG ausdrücklich auch nicht beanstandet, die Verneinung der entstellenden Wirkung einer Asymmetrie der Brüste entscheidend darauf zu stützen, dass sich diese im Alltag durch vorhandene Prothesen, die auch unter einem Badeanzug getragen werden können, verdecken lässt. Hieran hat das BSG auch später im Grundsatz festgehalten, aber seine Rechtsprechung fortentwickelt (BSG, Urteil vom 10. März 2022 – B 1 KR 3/21 R – BSGE 134, 13, Rn. 18). Nach dieser neueren Rechtsprechung kann eine Entstellung in eng begrenzten Ausnahmefällen auch an üblicherweise von Kleidung bedeckten Körperstellen möglich sein.
Da die gesellschaftliche Teilhabe ganz überwiegend im bekleideten Zustand erfolgt, ist die Erheblichkeitsschwelle jedoch bei Auffälligkeiten im Gesichtsbereich deutlich eher überschritten als an sonstigen, regelmäßig durch Kleidungsstücke verdeckten Bereichen des Körpers. In diesen Bereichen müssen die Auffälligkeiten deshalb besonders schwerwiegend sein. Erforderlich ist, dass selbst die Offenbarung im privaten Bereich die Teilhabe, etwa im Rahmen der Sexualität, nahezu ausschließen würde. Hierbei ist wiederum nicht das subjektive Empfinden der Betroffenen maßgeblich, sondern allein die objektiv zu erwartende Reaktion. Die Auffälligkeit muss evident abstoßend wirken. Diese Erheblichkeitsschwelle wird bei der Klägerin aufgrund des Erscheinungsbildes der Brüste im unbekleideten wie bekleideten Zustand offensichtlich nicht erreicht.
cc) Nicht festzustellen ist des Weiteren eine (ggf. infolge einer Mammareduktionsplastik zu beseitigende) dermatologische Erkrankung der Brüste der Klägerin. Keine/r der Sachverständigen konnte im Bereich der Unterbrust-Umschlagfalte intertriginöse, also entzündliche im Bereich einander berührender Hautflächen liegende, Hautareale feststellen.
dd) Ebenfalls nicht festzustellen ist eine psychische Erkrankung der Klägerin. Weder die im Wege des Befundberichtes gehörten behandelnden Ärzte noch die im Gerichtsverfahren tätig gewordenen Sachverständigen haben Hinweise auf psychische Beschwerden von Krankheitswert angegeben. Aus dem Vortrag der Klägerin selbst ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine psychotherapeutische Erkrankung. Der Senat stellt dabei keineswegs in Abrede, dass die Klägerin subjektiv unter ihrer Makromastie leidet. Hinreichende Hinweise darauf, dass dieser Leidenszustand selbst Krankheitswert erlangt haben könnte, gibt es jedoch nicht.
b) Eine Mammareduktionsplastik ist in der Form der hier begehrten stationären Krankenhausbehandlung nicht i.S. von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V geeignet, die bei der Klägerin bestehenden krankheitswertigen Schmerzen in allen drei Bereichen der Wirbelsäule, die mit Bandscheiben- und Zwischenwirbeldegenerationen, einer Seitausbiegung im Bereich der Brustwirbelsäule und einer Kyphose einhergehen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Zur Erreichung dieser Krankheitsziele reichen vielmehr ambulante Behandlungsmaßnahmen aus, was einen Anspruch auf stationäre Krankenhausbehandlung gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausschließt.
aa) Insofern kann der Senat die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage dahinstehen lassen, ob die Mammareduktionsplastik zur Behandlung von Rückenschmerzen bei Makromastie wissenschaftlich anerkannt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) oder – i.S. des abgesenkten Qualitätsmaßstabs – „nur“ das Potenzial einer erfolgreichen Behandlungsmethode i.S. von § 137c Abs. 3 Satz 1 SGB V bietet (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2022 – B 1 KR 33/21 R – BSGE 135, 198, Rn. 24; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 1. März 2022 – L 26 KR 227/19 – juris, Rn. 48 unter Bezugnahme auf Carstens/Schröter, MEDSACH 2015, 76). Denn auch wenn man von einer grundsätzlichen wissenschaftlichen Anerkennung der Mammareduktionsplastik oder jedenfalls ihres Behandlungspotenzials ausgeht, ändert dies nichts daran, dass es zusätzlich der individuellen Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung im Einzelfall bedarf (Ihle, in: jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 137c <Stand: 05.09.2023>, Rn. 50; Wahl, in: jurisPK-SGB V, § 39 <Stand: 02.03.2021>, Rn. 55; Heinz, in: jurisPK-SGB V, § 12 <Stand: 15.06.2020>, Rn. 86). Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich allein nach den medizinischen Erfordernissen. Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre Behandlung (BSG, Beschluss vom 25. September 2007 – GS 1/06 – juris, Rn. 15; Heinz, a.a.O.). So liegt es bei der Klägerin.
bb) Eine Leistung ist notwendig, wenn gerade sie nach Art und Ausmaß zur Zweckerzielung zwangsläufig, unentbehrlich und unvermeidlich ist (BSG, Urteil vom 26. Oktober 1982 – 3 RK 16/81 – SozR 2200 § 182b Nr. 25, Rn. 14; BSG, Urteil vom 26. Oktober 1982 – 3 RK 28/82 – SozR 2200 § 182b Nr. 26, Rn. 12; Heinz, a.a.O., Rn. 87).
(1) Insofern haben sowohl die Sachverständige I. als auch der Sachverständige X. übereinstimmend überzeugend angenommen, dass eine konsequente Anwendung von Physiotherapie, Krankengymnastik und gezieltem medizinischem Aufbautraining sowie eine konsequente Schmerztherapie zumindest genauso geeignet sind, den gewünschten Therapieerfolg zu erreichen. Insbesondere hat der Sachverständige X. dargelegt, dass die im Falle der Klägerin bestehende Besonderheit einer Seitausbiegung der Brustwirbelsäule und die hierdurch verursachten Beschwerden durch die Mammareduktionsplastik nicht beeinflusst würden, es folglich selbst im Falle einer Mammareduktion weiterhin konservativer Behandlungsmaßnahmen zur Schmerzbekämpfung bedürfte und im Übrigen konservative Therapiemaßnahme genauso geeignet sind, den gewünschten Behandlungserfolg zu erzielen.
(2) Der Senat folgt diesen Sachverständigengutachten, die den individuellen Sachverhalt vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei bewertet haben (vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab BSG, Beschluss vom 27. Januar 2021 – B 13 R 7/20 BH – juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 29. Mai 2015 – B 13 R 129/15 B – juris, Rn. 14; BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 – B 2 U 20/01 R – juris, Rn. 25; Katzenmeier, in: Prütting/Gehrlein, Zivilprozessordnung <ZPO>, 16. Aufl. 2024 Vorbemerkung vor §§ 402 ff. Rn. 4). Für die Schlüssigkeit ihrer Beurteilungen spricht, dass sie hinsichtlich der Eignung konservativer therapeutischer Behandlungsmaßnahmen zur Beseitigung bzw. Linderung von Rückenschmerzen mit der Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Kreuzschmerzen übereinstimmen, während dort die Mammareduktionsplastik als mögliches Behandlungsinstrument nicht erwähnt ist (zur Heranziehung von Leitlinien als Kriterium der Überprüfung der Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens: BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8, Rn. 26). Auch zahlreiche andere, interdisziplinär abgestimmte Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Kreuzschmerzen (AWMF-Register-Nr. NVL-007), Nackenschmerzen (AWMF-Register-Nr. 053 - 007), und zum Umgang mit funktionellen Körperbeschwerden (AWMF-Register-Nr. 051-001) empfehlen konservative Therapieansätze als Mittel der Wahl und sehen eine Mammareduktionsplastik nicht vor.
(3) Die Ausführungen der Sachverständigen Y. sind demgegenüber nicht überzeugend. Soweit sie darauf verweist, dass konservative Behandlungsoptionen ungeeignet seien, um das Schmerzbild nachhaltig zu bessern, steht diese Ansicht im Widerspruch zu den erwähnten Leitlinien. Die Leitlinien werden u.a. von der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Vereinigung und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften herausgegeben. Die Versorgungsleitlinien werden methodisch nach den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin entwickelt. Sie basieren auf systematisch recherchierter und kritisch bewerteter Evidenz. Sie werden von einer multidisziplinären Leitliniengruppe entwickelt und in einem formalen Konsensprozess erstellt. Hiermit setzt die Sachverständige sich nicht auseinander, was allein schon die Schlüssigkeit ihrer Ausführungen in Frage stellt.
Auch der Sachverständige X. kritisiert das Gutachten von Frau Prof Dr. Liebau dahingehend überzeugend, dass die Schmerzbelastung – wie bereits dargestellt – nicht (nur) aufgrund der Brustgröße besteht, sondern bei der Klägerin auch degenerative Veränderungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule und die Seitausbiegung als wesentliche Schmerzursache mit in die Beurteilung einzubeziehen sind. Eine solche Unterscheidung wird von Frau Y. ohne nachvollziehbaren Grund nicht vorgenommen.
Y. setzt sich, anders als die Sachverständigen I. und X., auch nicht mit dem tatsächlichen Therapiegeschehen der Klägerin auseinander, sondern ersetzt diese Auseinandersetzungen durch eine letztlich abstrakte Prognose, dahingehend, dass nur eine Mammareduktionsplastik geeignet ist, den Behandlungserfolg zu sichern. Soweit Y. diese Hypothese nicht an dem konkreten Therapiegeschehen der Klägerin festmacht, hält der Senat ihr Gutachten auch deshalb für unschlüssig. Zudem behauptet die Sachverständige lediglich, dass alle konservativen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft seien, führt aber nicht aus, welche Therapiemöglichkeiten in welcher Frequenz und mit welchem Ergebnis von der Klägerin in Anspruch genommen wurden. Ihre Bewertung ist auch insoweit nicht nachvollziehbar, als die Klägerin etwa eine Schmerztherapie nach Aktenlage gar nicht durchlaufen hat.
Soweit die Klägerin darauf verweist, regelmäßig Krankengymnastik zu betreiben, überzeugt dieser Einwand daher ebenfalls nicht. Dem Auszug aus der Heilmittelverordnung der Beklagten ist eine engmaschige Heilmittelanwendung nicht zu entnehmen. Seit Januar 2016 erfolgte eine Verordnung von Krankengymnastik 3 x à 6 Einheiten in 2018 und 2019. Für das Jahr 2016, 2017 und 2020 sind keine entsprechenden Verordnungen dokumentiert. Anders als die Klägerin meint, ersetzt ihr (unregelmäßiger) Besuch eines Fitnessstudios auch keine Heilmittelanwendung, auch nicht etwa in Gestalt eines fachkundig begleiteten medizinischen Aufbautrainings.
cc) Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass etwaige psychische Beschwerden – ihr Vorliegen im krankheitswertigen Sinne entgegen der Überzeugung des Senates unterstellt – ebenfalls nicht geeignet wären, eine stationäre Krankenhausbehandlung mit dem Ziel einer Mammareduktionsplastik zu rechtfertigen. Insofern, also hinsichtlich der Behandlung psychischer Beschwerden, gelten für die Brustverkleinerung keine anderen Maßstäbe als für die Brustvergrößerung (vgl. BSG, Urteil vom 8. März 2016 – B 1 KR 35/15 R – SozR 4-2500 § 27 Nr. 28, Rn. 16; BSG, Urteil vom 11. September 2012 – B 1 KR 3/12 R – BSGE 111, 289, Rn. 16; BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 R – BSGE 100, 119, Rn. 16; BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 3/03 R - BSGE 93, 252, Rn. 15; zur Mammareduktionsplastik bereits: Senat, Beschluss vom 12. April 2019 – L 11 KR 709/17 – juris, Rn. 26). Denn selbst eine nachvollziehbare psychische Belastung durch die bestehende Brustgröße würde eine Mammareduktionsplastik auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht rechtfertigen können, weil insoweit jedenfalls zunächst ein Anspruch auf eine unmittelbare Behandlung mit den Mitteln einer psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Behandlung in Betracht käme (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 R – a.a.O., Rn. 16). Hiervon hat die Klägerin indessen bislang keinen Gebrauch gemacht.
2. Der primärrechtliche Sachleistungsanspruch folgt auch nicht aus § 27 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V. Die Klägerin ist offensichtlich keine "Versicherte mit einer lebendbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung" im Sinne von § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
D. Gründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.