1.) Es ist nach der aktuell geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung nicht überwiegend wahrscheinlich, dass eine Multiple Sklerose durch eine Hepatitis A+B-Impfung hervorgerufen oder verschlimmert wird. 2.) Angaben zu möglichen (hier: "sehr seltenen") Nebenwirkungen des zur Impfung verwendeten Arzneimittels in der Gebrauchsinformation oder Fachinformation stellen keinen Beleg für einen Ursachenzusammenhang dar. 3.) Vermutungen über die Verursachung von Schäden durch die im Impfstoff enthaltenen aluminiumhaltigen Adjuvantien sind wissenschaftlich widerlegt. 4.) Da nach dem derzeitigen aktuellen wissenschaftlichen Stand keine Studien existieren, die einen Ursachenzusammenhang zwischen einer Hepatitis A+B-Impfung und einer Multiplen Sklerose belegen, scheidet auch eine sogenannte "Kannversorgung" aus. Die bloße Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt auch insoweit nicht.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Februar 2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Zusammenhang mit einer im September 2005 erfolgten truppenärztlichen Doppelimpfung gegen Hepatitis A und B um die Anerkennung einer Multiplen Sklerose (MS) als Folge einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) und um die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) in der bis 31. Dezember 2024 geltenden Fassung in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1978 geborene geschiedene Kläger ist gelernter Maurer und Betonbauer. Er war ab Januar 1999 als Grundwehrdienstleistender und dann bis Dezember 2010 als Soldat auf Zeit Angehöriger der Bundeswehr. Am 19. September 2005 wurde er truppenärztlich mit dem Doppelimpfstoff Twinrix®Erwachsene (im Folgenden: Twinrix) gegen Hepatitis A und B geimpft. Impfungen gegen Hepatitis A und B waren zuvor im Februar 2002 sowie Januar und Februar 2004 erfolgt.
In den G-Akten ist in der Zeit ab dem 19. September 2005 zunächst lediglich ein Eintrag vom 14. November 2005 enthalten. Dort heißt es (soweit leserlich): „seit Freitag Halsschmerzen, Halsschmerzen besser, Cephalgie re betont fronto-temporal … re. Ohr, kein Eiter … T. 36,8 Grad, LK re + li geschwollen …. NNH re > li., klopfdolent, Sinus frontalis betont… Photophobie … Übelkeit Ibuprofen 600…“ enthalten. Die betreffende G-Karte wurde am 6. Dezember 2005 abgeschlossen (Bl. 35 f. Band I der Medizinakte).
Der Kläger stellte sich am 16. Januar 2006 erneut truppenärztlich vor. In der Einlegekarte zur G-Karte ist hierzu vermerkt, dass seit drei Jahren rezidivierende Sensibilitätsausfälle/Parästhesien bestanden hätten, aktuell im Bereich des linken Hemithorax bis Gürtellinie, linker Ellenbogen, Daumen und D II links seit WE (Bl. 37 Band I der Medizinakte).
Der Truppenarzt veranlasste daher eine fachärztliche Vorstellung, die am Folgetag bei dem niedergelassenen S1 erfolgte. Dieser berichtete mit Datum vom 18. Januar 2006 von einem Verdacht auf (V.a.) eine entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems (ZNS). Das Lhermitte-Zeichen sei mit elektrisierenden Missempfindungen entlang der HWS links und einer Hypästhesie der linken Gesichtshälfte positiv gewesen. Der Hirnnervenstatus sei ansonsten normal gewesen. Beim Armhalteversuch habe eine Absinktendenz des linken Armes bestanden, der FNV [Finger-Nase-Versuch] sei wiederholt links wie der Bárány-Zeigeversuch links unsicher gewesen. Es habe eine Hypästhesie am linken Arm und links parakal bis in Höhe des Hüftgelenks reichend ventral und basal bestanden. Die Muskeleigenreflexe seien normal und die Koordination der unteren Extremitäten sei gut gewesen, das Pyramidenbahnzeichen negativ. Am Nervus medianus sei bei linksseitiger Stimulation ein ausfallendes Potential zu messen gewesen.
Der Kläger wurde vom 17. bis 31. Januar 2006 zur weiteren Abklärung im Bundeswehrkrankenhaus (BWK) U1 stationär behandelt. In dem Entlassungsbericht sind als Diagnosen eine akut aufgetretene Halbseitensymptomatik links bei dringendem Verdacht auf das Vorliegen einer klinischen Erstmanifestation einer Encephalitis disseminata (ICD-10 G35.9) genannt.
In der Anamnese wurde ausgeführt, dass der Kläger vor etwa einer Woche zunächst ein brennendes, unangenehmes Gefühl im Bereich der linken Wange verspürt habe, welches sich zu einem Taubheitsgefühl entwickelt habe. Seit fünf Tagen empfinde er occipital beginnende, nach links ausstrahlende, dumpf anmutende „Kopfschmerzen" bzw. ein unangenehmes Gefühl vor allem beim Berühren oder Haarekämmen. Seit vier Tagen habe er ein Taubheitsgefühl im Bereich des gesamten Iinken Armes wahrgenommen, ausstrahlend in alle fünf Finger, am deutlichsten in den ersten beiden Fingern und zum kleinen Finger hin abnehmend wie im Bereich des gesamten linken Thoraxes bis in die Leiste reichend, dort auch eine Kribbelparästhesie. Ab dem Aufnahmetag habe er dann noch eine Taubheit sowie ein Schmerzgefühl, besonders im Bereich des Nackens linksseitig wahrgenommen. Durch die beschriebenen Missempfindungen, vor allem im Bereich der Fingerspitzen, habe er Schwierigkeiten, feinmotorische Aktivitäten auszuführen, etwa beim Halten eines Stiftes oder einer Tasse. Muskuläre Schwächen als solches oder Koordinationsstörungen sowie Sehstörungen oder anderweitige Auffälligkeiten würden verneint. Ähnliche Missempfindungen habe er nur vor einigen Jahren bei Rangeleien/Ringen („Schwitzkasten"), passager verlaufend in den Extremitäten verspürt.
Im Aufnahmebefund habe sich ein positives Zeichen nach Lhermitte mit Ausstrahlung in die HWS und linken Arm gezeigt. Der Lagesinn im Bereich der Finger der linken Hand sei unsicher und vermindert gewesen. Es habe eine Hyp- und Dysästhesie sowie eine verminderte Spitz-Stumpf-Diskrimination in den Bereichen der linken Wange und des Unterkiefers, des gesamten linken Armes distal und der Finger I und II zunehmend, sowie im gesamten linken Thorax (dorsal und ventral bis zur medialen Linie und bis zur Leiste reichend), links glutaeal ausstrahlend bestanden. Die sonstige klinisch-neurologische Untersuchung sei nach dem Befund unauffällig, ebenso die psychiatrische wie die allgemein-internistische.
Unter Würdigung der bildgebenden Befunde, der elektrophysiologischen Ergebnisse und der Liquorserologie sei nach den McDonalds-Kriterien das Vorliegen einer MS wahrscheinlich. Der Kläger sei bei fast kompletter Rückbildung der sensiblen Symptomatik auf seinen Wunsch entlassen worden.
Der Kläger befand sich ab dem 25. April bis 4. Mai 2006 zur Verlaufskontrolle erneut im BWK U1. In dem Entlassungsbericht wurde eine Encephalitis disseminata (ICD-10 G35.9) diagnostiziert. Er sei völlig beschwerdefrei und fühle sich wohl. Im MRT des Schädels habe sich ein neu aufgetretener Herd bei größenrückläufigen bekannten Herden ergeben, ebenso im MRT der HWS/BWS vom Folgetag ein neuer Herd, bei Regredienz der bekannten Herde ohne Aktivitätszeichen. Die Zusammenschau des bisherigen Verlaufs und der erhobenen Befunde mache das Vorliegen einer MS sehr wahrscheinlich. Eine immunmodulierende Therapie mit Interferon (Betaferon) wurde angeraten.
Vom 4. Juli bis 14. Juli 2006 fand erneut eine Verlaufskontrolle statt, bei der eine Encephalomyelitis disseminata mit schubförmiger Verlaufsform (ICD-10 G35.10) diagnostiziert wurde. Neurologische Ausfälle seien verneint und lediglich eine MS-assoziierte Müdigkeit (Fatigue) angegeben worden. Der Kopf sei aktiv und passiv frei beweglich, es habe kein Meningismus bestanden. Das Zeichen nach Lhermitte sei negativ, die Hirnnerven seien ebenso wie Trophik und Tonus ohne pathologischen Befund, die Arm- und Beinvorhalteversuche unauffällig gewesen. Paresen hätten nicht bestanden. Die Muskeleigenreflexe seien an der oberen Extremität allseits symmetrisch untermittellebhaft, an der unteren Extremität symmetrisch lebhaft gewesen. Die Sensibilität sei epikritisch unauffällig gewesen, ebenso das Schmerz- und Temperaturempfinden; das Vibrationsempfinden habe 7 bis 8/8 am Großzehengrundgelenk betragen. Der Lagesinn sei unauffällig gewesen. Im MRT des Schädels hätten sich zwei neue Herde gezeigt, im MRT der HWS/oberen BWS keine neuen Herde bei nahezu nicht mehr abgrenzbarem Herd auf Höhe HWK 5. Diagnostisch bestehe insgesamt wahrscheinlich bzw. weitestgehend gesichert eine MS. Die Gesundheitsziffer VI werde empfohlen; eine Dienstunfähigkeit liege aber nicht vor. Eine Teilnahme an einem für September 2006 geplanten Auslandseinsatz im Kosovo erscheine vertretbar. Die Therapie mit Betaferon solle fortgeführt werden, da damit zumindest klinisch manifeste Schübe verhindert werden könnten.
Der Kläger befand sich nach einem im Feldlazarett P1 festgestellten V.a. einen erneuten Schub der MS und daher notfallmäßigem Abbruch des Auslandseinsatzes im Kosovo vom 8. Januar bis 17. Januar 2007 erneut im BWK U1. Dort wurde eine Encephalomyelitis disseminata mit schubförmigem Verlauf (ICD-10 „G35.10“) bei aktuell erneutem Schub mit Kribbelparästhesien beider Hände, Hypästhesie der linken Gesichtshälfte, der linken Schulter und der linken Hand diagnostiziert. Im MRT des Schädels hätten sich zwei neue Läsionen ohne Kontrastmittelaufnahme gezeigt; das MRT der HWS/oberen BWS habe keine Zunahme der Läsionslast ergeben. Die Therapie mit Betaferon wurde vorerst weitergeführt.
Vom 6. März bis 19. März 2007 wurde er erneut notfallmäßig im BWK U1 behandelt. Bei unveränderter Diagnose wurde ein Schub mit Kribbelparästhesien und Hypästhesie im Bereich beider Beine berichtet. Nach den Angaben des Klägers war ein Kribbeln der linken Hand seit Januar 2006 und ein Kribbeln der rechten Hand seit Januar 2007 durchgehend vorhanden. Das MRT der HWS vom 7. März 2007 ergab eine Progredienz der MS-Herde im zervikalen Myelon in Höhe der HWK 2 und 4 mit Kontrastmittelaufnahme in zwei Herden. Bei dem MRT des Schädels am Folgetag zeigte sich bei gleicher Läsionslast eine linkshemisphärische Schrankenstörung mit Aufnahme von Kontrastmitteln in zwei vorbestehende Herden. Die Therapie mit Betaferon wurde auf Wunsch des Klägers beibehalten.
Bereits vom 22. April bis 4. Mai 2007 wurde er erneut im BWK U1 nach notfallmäßiger Vorstellung mit erneut sensibler Symptomatik mit Kribbelparästhesien, Hypästhesien und schmerzhafter Allodynie stationär aufgenommen. Betroffen waren beide Beine, insbesondere links, der Rumpf, die Hände und die Unterarme sowie der Kopf. Eine MRT-Aufnahme des Schädels habe drei neue kontrastmittelanreichernde Herde gezeigt. Im MRT der HWS/BWS sei ein neuer kontrastmittelanreichernder Herd in Höhe HWK 6 dargestellt. Die Therapie wurde auf Infusionen mit Natalizumab umgestellt, die dort beginnend im Juni 2007 verabreicht wurden. Nach den Berichten des BWK U1 wurde die Therapie bei der schubweise verlaufenden, remittierenden, jedoch mit zunehmendem Residuum – hier den Sensibilitätsstörungen an beiden Händen – einhergehenden MS sehr gut vertragen. Den weiteren Berichten des BWK U1 ist zu entnehmen, dass im August 2007 eine erneute klinische Verschlechterung im Sinne eines verstärkten Lhermitte-Zeichens mit Sensibilitätsstörungen in Armen und Beinen eingetreten war.
Ab 2007 erfolgte eine körperlich weniger anspruchsvolle Verwendung des Klägers als Fuhrparkleiter. Nach der truppenärztlichen Stellungnahme vom 18. Juni 2007 wurde dieser auf seinem bisherigen Dienstposten in einer Kampfkompanie für nicht mehr einsatzfähig gehalten und eine dringende Kommandierung/Versetzung auf einen Posten etwa im Stabsdienst empfohlen.
In dem Bericht der M1-Klinik – Behandlungszentrum K1 für Multiple Sklerose Kranke GmbH – über eine ambulante Vorstellung im Oktober 2007 wurde neben der schubförmigen Multiplen Sklerose (ICD-10 G35.11) mit hoher Krankheitsaktivität (klinisch in Form von Schüben wie als kontrastmittelaufnehmende Läsionen) und u.a. ein V.a. auf eine damit einhergehende Fatiguesymptomatik diagnostiziert. Die auch von dort aus für sinnvoll gehaltene Therapie mit Natalizumab wurde seitens des BWK U1 zunächst fortgesetzt. Der Kläger befand sich im Oktober 2010 bei V.a. Fremdgefährdung durch Androhen eines Amoklaufs in stationärer Behandlung im Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin des Bezirks U2 in M2. Nach ausführlicher Untersuchung habe sich der V.a. eine psychische Störung nicht erhärtet, die zu einem Amoklauf führen könnte, wohl aber ein solcher auf eine nicht näher bezeichnete organische Persönlichkeits- und Verhaltensstörung aufgrund einer Krankheit, Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns (ICD-10 F07.9).
Der Kläger wurde bei der truppenärztlichen Entlassungsuntersuchung für verwendungsfähig mit Einschränkungen (Signierziffer 2) eingestuft und Ende Dezember 2010 regulär aus der Bundeswehr entlassen.
Die fortlaufende Therapie mit Natalizumab wurde im Hinblick auf das konkrete Risiko einer PML [Progressive Multifokale Leukoenzephalopathie] im April 2018 auf Ocrelizumab umgestellt. Nach Berichten des Neurozentrums des Universitätsklinikums F1 aus Februar und September 2020 waren unter Natalizumab keine Schübe oder Nebenwirkungen aufgetreten; ein Hinweis auf eine PML habe nicht bestanden. Der Kläger könne in seiner jetzigen Tätigkeit als Busfahrer arbeiten. Eine Fatigue sei mit einer Anpassung des Lebensstils ausgeglichen. im Befund wurde anamnestisch ein Taubheitsgefühl im Bereich des Haaransatzes rechts angegeben. Es habe eine dezente Hypästhesie der rechten Körperhälfte bestanden. Der seit November 2017 behandelnde W1 bescheinigte dem Kläger im September 2019, dass bei einem anamnestisch seit 2007 stabilen Verlauf keine Einschränkungen hinsichtlich der Tätigkeit als Busfahrer ersichtlich seien. Im Dezember 2019 schloss dieser eine akute Exazerbation oder Progression aus (ICD-10 G35.10G), der Kläger fühle sich wohl und in allen Bereichen leistungsfähig, neue Probleme seien nicht aufgetreten. Die Befunde seien erfreulich stabil und durch den Rückgang früherer sensibler Störungen im Verlauf sogar gebessert. Das MRT des Kopfes habe stabile Verhältnisse im Vergleich zur Voruntersuchung gezeigt, was äußerst erfreulich sei. Am 24. September 2020 berichtete dieser, dass der Kläger einen stabilen Verlauf beschrieben habe und neue Beschwerden nicht aufgefallen seien. Die Immuntherapie mit Ocrevus verlaufe unproblematisch, Nebenwirkungen würden nicht empfunden. Bei der Untersuchung hätten sich normale Hirnnerven gezeigt, Paresen bestünden nicht, der Tonus sei normal. Störungen der Oberflächensensibilität seien nicht aufgefallen, die Muskeleigenreflexe seien symmetrisch mittelstark, das Gangbild sei unauffällig, auch die weitere Koordination. Bei weiter stabilem Verlauf bestünden keine Einschränkungen der Fahrtauglichkeit und der Berufsausübung des Klägers. Am 2. Dezember 2020 berichtete W1, dass die MRT des Kopfes einen im Vergleich zur Voraufnahme unveränderten Befund gezeigt habe.
Der Kläger beantragte, vertreten durch seine damalige Bevollmächtigte, wegen der von ihm auf die Hepatitis (B)-Impfung zurückgeführten MS bei dem N1 Landesamt für Soziales, Jugend und Familie mit einem dort im August 2020 eingegangenen Antrag eine Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Die Bevollmächtigte führte hierzu aus, dass der Kläger bereits kurz nach der Impfung grippeähnliche Symptome mit sehr hohem Fieber entwickelt habe. Etwa eine Woche nach der Impfung habe er das Bewusstsein verloren und habe sofort behandelt werden müssen. Bereits am darauffolgenden Tag sei er krankgeschrieben zu Hause gewesen. Seine linke Gesichtshälfte sei wie nach einem Zahnarzttermin taub gewesen. Das Taubheitsgefühl habe mehrere Wochen angehalten. Er habe auch seine gewohnte Leistung nicht mehr abrufen können. Etwa sechs Wochen nach der Impfung habe er einen weiteren Rückfall erlitten und habe erneut massive Gliederschmerzen bekommen, weshalb er auch einen Arzt habe aufsuchen wollen. Kurz zuvor sei ihm wieder schwindelig geworden und er habe erneut das Bewusstsein verloren. Er habe einen weiteren Fieberschub erlitten und habe sich zunächst zuhause auskurieren müssen. Anfang des Jahres 2006 habe sich die Symptomatik erheblich verschlechtert. Die linke Gesichtshälfte habe gebrannt und sich angefühlt, als habe er dort teils großflächige, nässende Wunden. Am darauffolgenden Tag sei sein linker Arm taub gewesen und er habe diesen nur noch sehr schwer bewegen und seine Bewegungen kaum kontrollieren können. Im Lauf desselben Tages sei seine komplette linke Körperhälfte taub geworden und sein Gangbild habe sich erheblich verändert, da er auch Probleme gehabt habe, das linke Bein anzuheben. Mit seiner linken Hand habe er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr greifen können, so dass er zunächst alle Gegenstände mit der rechten Hand gefasst habe. Nach der Behandlung in U1 im Januar 2006 habe er eine Vielzahl von „Schüben“ gehabt. Es werde daher um Prüfung gebeten, ob die Schädigungen auf die Impfung zurückzuführen seien.
Das Landesamt leitete den Antrag zuständigkeitshalber an das Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr weiter.
Der Kläger führte dort weiter aus, dass es sich um eine Pflichtimpfung gehandelt habe. Die Impfbücher seien eingesammelt und dann Impftermine vergeben worden. Meistens habe er nicht einmal gewusst, wogegen er geimpft worden sei. Er leide unter Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Muskelschwäche, eingeschränkter psychischer Belastbarkeit und Taubheitsgefühlen. Bei ihm sei ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt.
Die Beklagte holte nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen und eines Vorerkrankungsverzeichnisses der Krankenkasse eine Sozialmedizinische Versorgungsbegutachtung nach Aktenlage bei der S2 ein. Diese führte mit Datum vom 23. Juli 2021 aus, dass eine Encephalitis disseminata (= Multiple Sklerose) als Ergebnis der im Januar 2006 durchgeführten Untersuchungen diagnostisch gesichert sei. Die Wesenseinheit/Kongruenz der am 16. Januar 2006 in der G-Karte genannten Beschwerden lasse rückblickend darauf schließen, dass sich die MS bereits 2003 klinisch-symptomatisch manifestiert habe. Dass die Diagnose erst 2006 habe gesichert werden können, sei keineswegs ungewöhnlich, da es sich bei der MS um eine Erkrankung des ZNS handele, deren Feststellung angesichts diffuser Krankheitszeichen mit häufig beginnenden latenten Verlauf bis zur diagnostischen Sicherung nach dem McDonald-Kriterien Jahre in Anspruch nehmen könne. Diese Kriterien erforderten komplexe Voraussetzungen, zu denen auch der Nachweis einer räumlichen und zeitlichen Dissemination (Streuung) entzündlich-entmarkender Herde im ZNS gehöre. Daher könne nur rückblickend geschlussfolgert werden, dass sich die Erkrankung bereits 2003 manifestiert habe. Den medizinischen Dokumentationen bis zuletzt Dezember 2020 sei die Form einer MS mit vorherrschend schubförmigem Verlauf ohne Angabe einer akuten Exazerbation oder Progression zu entnehmen. Die bis 2006/2007 erfolgte Therapie mit Interferon sei ab 2007 in eine Immuntherapie mit Natalizumab/Ocrevus umgewandelt worden, unter der es zu einem stabilen Verlauf ohne weitere Schübe und/oder Nebenwirkungen gekommen sei. Die von dem Kläger in seinem Antrag geltend gemachten Beschwerden seien Symptome einer MS. Über zusätzliche, hiervon abgrenzbare Erkrankungen müsse nicht diskutiert werden. Nach den aktuellen ärztlichen Berichten, die hinsichtlich des Verlaufs und des Erkrankungsausmaßes beste Therapieerfolge ohne Nebenwirkungen und mit jahrelangem, stabilem Verlauf ohne akute Exazerbationen oder Progression bezeugten, begründeten die tatsächlichen Einschränkungen einen GdB von 30.
Eine Entstehung der MS durch die am 19. September 2005 durchgeführte Impfung sei nicht wahrscheinlich. Dies ergebe sich nicht nur daraus, dass von bereits Jahre zuvor bestandenen, rückblickend zuordnungsfähigen Krankheitszeichen auszugehen sei, sondern vielmehr, da die medizinische Wissenschaft in der Zwischenzeit anhand der anerkannten Studienlage eine kausale Wahrscheinlichkeit zwischen der angeschuldigten Impfung und einer MS als nicht gegeben erforscht habe. Die pauschale Auffassung, wonach Impfungen generell eine potentielle Gefahr für das Entstehen von immunologisch vermittelten Erkrankungen im Sinne einer wesentlichen oder annähernd gleichwertigen kausalen Bedingung zugesprochen werden solle, gehöre nicht zum anerkannten Wissensgut der herrschenden Lehrmeinung. Abzustellen sei auf die STIKO [Ständige Impfkommission], die darlege, unter welchen Umständen von einer Impfkomplikation und/oder einem Impfschaden auszugehen sei. Bei allem Verständnis für eine Suche des Betroffenen nach der Schuldfrage sei darauf hinzuweisen, dass die MS explizit in Europa die häufigste chronisch-entzündliche Erkrankung des ZNS sei. Eine gegenüber der Zivilbevölkerung höhere Prävalenzrate bei Soldaten sei indes trotz pflichtgemäß befohlener regelmäßiger Basis- und Indikationsimpfungen nicht nachgewiesen. Zwischenzeitlich sei medizinisch-wissenschaftlich geklärt und anerkannt, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen Hepatitisimpfungen und der Entstehung einer MS nicht gegeben sei. Im konkreten Fall sei abgesehen davon auch keine pathogene Impfreaktion dokumentiert. Die medizinisch-wissenschaftliche Literatur habe sich ausführlich mit dem eventuellen Zusammenhang zwischen einer Hepatitis B-Impfung und der Entwicklung einer MS auseinandergesetzt. Hierzu seien in den vergangenen Jahren 16 Studien publiziert worden, die bei Mailand T et al. (J Neurol 2017) zusammengefasst seien. Eine Studie habe eine Assoziation zwischen einem spezifischen Impfstoff (Engerix B) und dem Auftreten einer MS beschrieben, ohne jedoch einen generellen Zusammenhang zwischen Hepatitis B-Impfungen und MS nachzuweisen. Lediglich zwei Studien aus den Jahren 2005 und 2006 hätten ein höheres Risiko für das Auftreten einer MS nach Hepatitis B-Impfung beschrieben. Die größere Studie (Hernán et al., Neurology 2006) sei von der WHO wegen methodischer Mängel wie einer zu geringen Stichprobe und Patientenselektion kritisch bewertet worden. In 13 von 16 Studien sei kein signifikantes Risiko für das Auftreten einer MS nach Hepatitis B-Impfung beschrieben. Gegen einen Kausalzusammenhang spreche auch die Tatsache, dass die geographische Inzidenz und Prävalenz der Hepatitis B-Infektion genau entgegengesetzt zu den Verhältnissen bei MS stünden. Wenn es wenig wahrscheinlich sei, dass die Infektion eine MS auslösen könne, erscheine es nicht plausibel, dass dies durch den Impfstoff geschehe. Die Anerkennung eines Impfschadens sei nach alledem nicht zu rechtfertigen.
Die daneben in Betracht kommende „Kannversorgung“ setze zum einen voraus, dass es sich um eine Gesundheitsstörung handele, bei der die Fragen zur Ätiologie [Beschreibung der Ursache einer Krankheit] noch nicht abschließend geklärt seien. Dies könne bei der MS nur unter Einschränkung als erfüllt angesehen werden, da heute als erwiesen gelte, dass die MS auf ein Zusammenspiel von genetischer Veranlagung und Umweltfaktoren zurückzuführen sei, so etwa auf die Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus, das Rauchen, einer unterdurchschnittlichen Exposition gegenüber Sonnenlicht und UV-Strahlung wie Wechselschichtdienste. Die zweite Voraussetzung der „Kannversorgung“, dass bezogen auf die fallbezogene Gegenständlichkeit keine Aussage zur kausalen Wahrscheinlichkeit getroffen werden könne, sei eindeutig nicht erfüllt, da in Bezug auf den konkreten Schädigungstatbestand, hier die Hepatitis-Impfung, und die als Impfschaden geltend gemachte MS eine klare Aussage zur kausalen Wahrscheinlichkeit getroffen werden könne. Die Aussagen zur „Kannversorgung“ in den zuletzt 2008 herausgegebenen „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ würden nicht mehr uneingeschränkt gelten.
Zusammengefasst habe es sich aller Wahrscheinlichkeit nach bei der zeitlichen Nähe zwischen der im September 2005 erfolgten Impfung und der Sicherung der MS-Diagnose im Januar 2006 um ein zufälliges Zusammentreffen ohne kausalen Bezug gehandelt.
Da Einiges dafür spreche, dass die MS bereits vor September 2005 klinisch präsent gewesen sei, bestünde theoretisch die Möglichkeit eines durch die Impfung getriggerten Schubes. Dies sei jedoch keine relevante Möglichkeit, da pathologisch überschießende Impfreaktionen nicht medizinisch dokumentiert nachgewiesen seien und daher die Grundlage für eine Herleitung der Wahrscheinlichkeit fehle. Darüber hinaus sei angesichts der Nachweise zu Form und Verlauf der Erkrankung auch nicht von einer dauerhaften, richtungsweisenden und GdS-relevanten Verschlimmerung auszugehen.
In seinem Prüfvermerk vom 3. September 2021 schloss sich der K2 dem Gutachten an.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2021 stellte die Beklagte fest, dass die geltend gemachte Gesundheitsstörung „Multiple Sklerose“ keine Folge einer WDB sei; ein Anspruch auf Versorgung bestehe nicht. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen wehrdienstlichen Einflüssen und einer Schädigung der Gesundheit des Klägers, die zu der geltend gemachten Gesundheitsstörung hätte führen oder diese hätte verschlimmern können, sei nicht nachgewiesen. In den G-Unterlagen sei mit Eintrag vom 16. Januar 2006 dokumentiert, dass seit drei Jahren (also etwa seit 2003) rezidivierende Sensibilitätsausfälle/Parästhesien im Bereich des der linken Thoraxhälfte bis Gürtellinie zu verzeichnen seien. Die Beschwerden ließen retrospektiv darauf schließen, dass sich die MS bereits seit 2003 klinisch-symptomatisch manifestiert habe. Die Entstehung der MS durch die als ursächlich geltend gemachte Impfung gegen Hepatitis A und B sei damit nicht wahrscheinlich. Dies gelte nicht nur, da von Krankheitszeichen auszugehen sei, die bereits Jahre zuvor bestanden hätten und rückblickend zuordnungsfähig seien, sondern vielmehr, weil die medizinische Wissenschaft in der Zwischenzeit anhand der anerkannten Studienlage eine kausale Wahrscheinlichkeit zwischen der angeschuldigten Impfung und einer MS als nicht gegeben erforscht habe. Mittlerweile sei medizinisch-wissenschaftlich geklärt und anerkannt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhanges zwischen Hepatitis-Impfungen und der Entstehung einer MS nicht begründet sei. Abgesehen von der Nebensächlichkeit, dass im konkreten Fall keine pathogene Impfreaktion dokumentiert sei, sei die Kausalität heute aufgrund der in der medizinischen Wissenschaft anerkannten Forschungsergebnisse zu verneinen. Die Institution der „Kannversorgung" greife bei der Gesundheitsstörung der MS nicht mehr, da mittlerweile bei der Konstellation MS und Hepatitis-Impfung die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges im Ergebnis zu verneinen sei.
Der Kläger legte hiergegen, vertreten durch seine damalige Bevollmächtigte, Widerspruch mit der Begründung ein, seine Gesundheitsproblematik sei nach der Impfung aufgetreten. Der Zusammenhang zwischen der dienstlich angeordneten Hepatitis A/B-Impfung und der MS sei wissenschaftlich nicht ausgeschlossen. Auf eine „Kannversorgung“ werde hingewiesen. Mit einer erst nach dem Erlass des Widerspruchsbescheides (s.u.) eingegangenen E-Mail vom 18. Januar 2022 wies die Bevollmächtigte noch u.a. darauf hin, dass in dem Beipackzettel zu dem Medikament Twinrix als (mit bis zu 1 von 10.000 Impfstoffdosen sehr seltene) Nebenwirkung auch die MS genannt sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2022 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Ausweislich der versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 23. Juli 2021 sei der Ursachenzusammenhang zwischen der geltend gemachten Gesundheitsstörung MS und der durchgeführten Impfung nicht wahrscheinlich. Ebenfalls sei die Erkrankung keine nachteilige Folge der truppenärztlichen Behandlung, da diese leitliniengerecht durchgeführt worden sei. Auch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hätten sich keine neuen Tatsachen oder Erkenntnisse ergeben, die eine Änderung der mit Bescheid vom 13. Oktober 2021 getroffenen Entscheidung gerechtfertigt hätte, so dass dem Widerspruch nicht abzuhelfen sei.
Der Kläger hat am 7. Februar 2022 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) mit dem Begehren erhoben, die MS als Folge einer WDB anzuerkennen und eine entsprechende „Kannversorgung“ dem Grunde nach zu gewähren. Die Einlassung der Beklagten, dass sich die MS bereits 2003 klinisch gezeigt habe, sei reine Spekulation, weil auch andere Ursachen für die geschilderten Beschwerden denkbar seien. Die Diagnose sei 2006 und somit nach der Impfung gesichert worden. Im Jahr 2006, also erst nach der Impfung sei eine Encephalitis disseminata und damit eine Sonderform der MS diagnostiziert worden, deren Ätiologie gerade nicht geklärt sei. Direkt nach der Impfung seien symptomatische Beschwerden aufgetreten, so dass sich der Zusammenhang aufdränge. In dem Beipackzettel zu dem Präparat werde die MS als seltene Nebenwirkung erwähnt. Das SG Landshut habe daher in einer Entscheidung vom 8. April 2008 einen Zusammenhang zwischen der Impfung mit Twinrix und der MS als wahrscheinlich angesehen (Az. S 15 VJ 1/06). Es gebe zumindest keine Gewissheit darüber, dass die MS nicht durch die Impfung mit Twinrix ausgelöst worden sein könne. In seinem Falle sei die kausale Abfolge von Ursache und Wirkung evident, so dass mehr für als gegen einen Zusammenhang spreche und somit von einer Wahrscheinlichkeit im Sinne der Vorschrift auszugehen sei.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten, da die MS nach der medizinischen Wissenschaft auf ein Zusammenspiel zwischen genetischer Veranlagung und Umweltfaktoren zurückzuführen sei; auch könne in Bezug auf die Hepatitis-Impfung und die MS eine klare Aussage zur kausalen Wahrscheinlichkeit getroffen werden. Die Voraussetzungen für eine „Kannversorgung“ seien damit nicht erfüllt. Soweit sich der Kläger auf das Urteil des SG Landshut beziehe, gehe diese Entscheidung fälschlicherweise davon aus, dass eine statistische Häufung von MS-Erkrankungen oder MS-Schüben nach einer durchgeführten Hepatitis-B-Impfung in einzelnen Studien, aber nicht in der Mehrzahl der durchgeführten Studien beobachtet worden sei. Richtig sei, dass nur eine einzige Studie diesen Zusammenhang bisher belegt habe; diese weise zudem Mängel auf. Auch der Verweis darauf, dass die Medizinprodukt-Informationen (Beipackzettel) bezüglich möglicher Nebenwirkungen des Impfstoffs die MS benenne, gehe fehl. Denn weil die STIKO einen entsprechenden Ursachenzusammenhang als Hypothese und unbewiesene Behauptung aufführe, sei der Impfstoffhersteller schon aus Haftungsgründen genötigt, auf einen solchen Effekt hinzuweisen, ohne dass daraus ein hinreichender wissenschaftlicher Beleg folge. Ein Zusammenhang zwischen der Impfung und der MS sei nicht hinreichend wahrscheinlich und könne auch nicht über die „Kannversorgung“ hergestellt werden.
Das SG hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts bei R1, Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums H1, ein fachneurologisches Gutachten nach Aktenlage eingeholt, das dieser mit Datum vom 27. September 2022 erstattet hat.
Er hat in Auswertung der Aktenlage zunächst darauf hingewiesen, dass der Kläger anlässlich der ärztlichen Untersuchung bei der Bundeswehr am 16. Januar 2006 über seit drei Jahren rezidivierende Sensibilitätsausfälle/Parästhesien berichtet habe; aktuell habe er diese seit dem Wochenende im Bereich des linken Hemithorax bis Gürtellinie links, Ellenbogen, Daumen und D II links.
Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass der Kläger an einer schubförmig verlaufenden MS oder auch Encephalitis disseminata (ED) erkrankt sei. Bei einer MS handele es sich um eine chronisch-entzündliche Erkrankung des ZNS, also des Gehirns und des Rückenmarks, welche in der Regel im frühen Erwachsenenalter beginne. Sie stelle mit mehr als 250.000 Erkrankten in Deutschland die häufigste chronisch-entzündliche ZNS-Erkrankung junger Menschen dar. Die Erkrankung verlaufe oft schubweise, jedoch insgesamt sehr individuell und könne über die Zeit unterschiedliche Formen annehmen. Krankheitssymptome entstünden durch Schädigung der Nervenisolierschicht (sog. Demyelinisierung), sowie durch den Abbau von Nervenfasern und Nervenzellen. Die klinischen Symptome einer MS seien abhängig von der Lokalisation der jeweiligen Entzündungsherde im Gehirn bzw. Rückenmark. Häufige Symptome umfassten beispielsweise Taubheitsgefühle, Kribbeln oder Missempfindungen der Haut, Sehstörungen, Probleme bei der Darm- oder Blasenentleerung, Gang- oder Gleichgewichtsstörungen, Lähmungserscheinungen, starke Müdigkeit und rasche Erschöpfung. Die Erkrankung zähle zu den durch immunologische Prozesse verursachten neurologischen Erkrankungen. Die exakte Ursache sei noch immer nicht gänzlich verstanden. Letztlich bestünden jedoch Fehlregulationen des Immunsystems, welche zu der genannten Demyelinisierung von Nervenfasern im ZNS führen. Diese sogenannten Demyelinisierungsherde (oder auch „Herde" oder „Entzündungsherde") könnten im MRT sichtbar gemacht werden. Durch die Gabe von Kontrastmitteln bei solchen MRT-Untersuchungen könnten frische bzw. aktive Entzündungsherde von älteren, bereits „abgeklungenen" Entzündungsherden unterschieden werden. Frische bzw. aktive Entzündungsherde reicherten anders als ältere Entzündungsherde Kontrastmittel an. Stattgehabte Entzündungen hinterließen regelhaft „Narben" im Gehirngewebe, welche sich in entsprechenden MRT-Untersuchungen darstellen ließen.
Die MS sei bei dem Kläger erstmals im Januar 2006 dokumentiert worden. Er habe zu diesem Zeitpunkt über Sensibilitätsstörungen im Bereich des linken Hemithorax, des Ellenbogens und der Finger links geklagt. In der daraufhin initiierten neurologischen Abklärung habe sich in der bildgebenden Diagnostik mittels MRT ein den geklagten Beschwerden gut erklärender, entzündlicher und kontrastmittelaufnehmender und somit frischer Entzündungsherd im Rückenmark gezeigt. Darüber hinaus hätten sich aber auch laut der Befunde sowohl im Gehirn, als auch im Rückenmark mehrere Herde bzw. Narben gezeigt, welche kein Kontrastmittel aufgenommen hätten und demzufolge mit älteren Entzündungsherden der MS plausibel zu erklären seien.
Bei Patienten, welche mit dem klinischen Verdacht einer erstmaligen Manifestation einer MS neurologisch vorstellig würden, fänden sich außerordentlich häufig Hinweise darauf, dass schon in der Vergangenheit Beschwerden vorgelegen hätten, welche auf eine damals also schon bestehende, aber eben ärztlich nicht diagnostizierte MS hindeuteten. Solche Beschwerden umfassten beispielsweise nach kurzer Zeit spontan rückläufige Kribbel- bzw. Taubheitsgefühle oder Missempfindungen der Haut, auch einseitige Sehstörungen für einige Tage. In der MRT könnten dann, lokalisatorisch häufig gut zu diesen zuvor oft vernachlässigten, bagatellisierten oder auch fehlgedeuteten Beschwerden passend, entsprechend ältere, also nicht kontrastmittelaufnehmende, Herde bzw. Narben einer MS gefunden werden. Dass die Diagnose einer MS vielfach nicht zum erstmaligen demyelinisierenden Ereignis – also zum Zeitpunkt des ersten MS-bedingten Entzündungsgeschehens in Gehirn oder Rückenmark – gestellt werde, sondern häufig erst Jahre später, sei 2021 auch in einer Analyse ambulanter Daten vieler Tausend Patienten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern aufgezeigt worden. Auf der anderen Seite fänden sich bei Patienten mit nachweislich ärztlich gesicherter MS in bildgebenden Verlaufskontrollen oft frische entzündliche Herde, ohne dass diese mit klinischen Beschwerden assoziiert seien. Dieses Phänomen sei auch bei dem Kläger zu beobachten gewesen. So hätten sich auch bei diesem im April 2006 bei einer Verlaufsuntersuchung in der Neurologie am BWK U1 mit dokumentierter klinischer Beschwerdefreiheit dennoch in den MRT-Untersuchungen mehrere neue und zum Teil kontrastmittelaufnehmende entzündliche MS-Herde im zentralen Nervensystem gezeigt.
Ausweislich der Unterlagen habe der Kläger am 16. Januar 2006 beim ärztlichen Dienst der Bundeswehr berichtet, seit drei Jahren unter rezidivierenden Sensibilitätsstörungen bzw. Parästhesien zu leiden. Nach dem Bericht des BWK U1 habe er bei Rangeleien bzw. Ringen passagere Missempfindungen in den Extremitäten verspürt. Auch aufgrund der dokumentierten MRT-Diagnostik müsse davon ausgegangen werden, dass die berichteten, wohl Jahre vor dem aktuellen Ereignis stattgehabten Sensibilitätsstörungen und Missempfindungen jeweils Ausdruck entzündlicher Veränderungen im ZNS gewesen seien, mithin bei dem Kläger eine MS schon deutlich vor Januar 2006 bestanden habe, aber eben nicht ärztlich diagnostiziert worden sei.
Nach den vorliegenden Akten sei der Kläger am 19. September 2005, also vier Monate vor der ärztlichen Diagnose der MS, mit Twinrix gegen Hepatitis A und B geimpft worden. Hinweise auf eventuelle Unverträglichkeiten nach der Impfung seien der Akte nicht zu entnehmen. Durch Modulationen im Immunsystem sei grundsätzlich denkbar, dass in zeitlichem Zusammenhang (also wenige Tage bis etwa 6 Wochen danach) mit einer Impfung bei Patienten mit einer bekannten MS Schübe ausgelöst werden könnten. Ein MS-Schub bezeichne das Auftreten bereits bekannter oder neuer Symptome über eine Dauer von mindestens 24 Stunden. Regelhaft ließen sich dann, lokalisatorisch zu den klinischen Beschwerden passend, im MRT frische entzündliche Herde im zentralen Nervensystem darstellen. In systematischen Studien und Übersichtsarbeiten zu ebendieser Frage hätten allerdings keine Zusammenhänge zwischen Impfungen – auch Hepatitis-Impfungen – und einer Schubauslösung bei bereits diagnostizierter MS beobachtet werden können. Eine Assoziation der im September 2005 durchgeführten Impfung mit den, retrospektiv als MS-Schub zu bezeichnenden, klinischen Beschwerden im Januar 2006 sei sowohl nach dem derzeitigen Wissensstand als auch aufgrund des zeitlichen Abstandes nicht plausibel. Auch sei wissenschaftlich lange diskutiert worden, ob vor allem auch Hepatitis B-Impfungen Auslöser einer MS sein könnten. Auch hier hätten in mehreren systematischen Studien und Übersichtsarbeiten keine Zusammenhänge zwischen diesen Impfungen und einer Erkrankung an einer MS nachgewiesen werden können.
Daher sei zusammenfassend festzuhalten, dass die Ursache der bei dem Kläger im Januar 2006 erstmals verdächtigten und kurz darauf bestätigten MS mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht die stattgehabte Impfung gegen Hepatitis A & B mittels Twinrix dargestellt habe. Es müsse davon ausgegangen werden, dass bei dem Kläger eine MS schon deutlich vor 2006 bestanden habe; die im Januar 2006 dokumentierten Beschwerden seien plausibel mit einem MS-Schub vereinbar. Auch dieses Schubereignis sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht durch die stattgehabte Impfung gegen Hepatitis A & B mittels Twinrix ausgelöst worden. Die Kausalitätsbeurteilung in dem Gutachten von S2 vom 23. Juli 2021 könne insgesamt nachvollzogen werden.
Grundlage seiner Einschätzungen und Bewertungen seien unter anderem die der Akte zu entnehmenden schriftlichen Befunde der MRT-Diagnostik. CDs oder wenigstens Papierdarstellungen der durchgeführten MRT hätten nicht vorgelegen. Falls trotz seiner Ausführungen weiterer Klärungsbedarf bezüglich des Alters der in den MRT-Untersuchungen im Januar 2006 dokumentierten MS-Herde bestehen sollte, empfehle er ein neuroradiologisches Zusatzgutachten.
Die Bevollmächtigte hat hiergegen eingewandt, dass der Sachverständige nicht geklärt habe, ob die von ihm festgestellten älteren Entzündungsherde auch andere Ursachen haben könnten. Aus den Befunden gehe nicht hervor, wie alt die festgestellten Narben tatsächlich seien. Es sei gerade nicht auszuschließen, dass die festgestellten älteren Narben eine völlig andere Genese hätten oder aber eben doch so jung seien, dass sie Zeichen einer impfinduzierten MS sein könnten. Sie schließe sich dem Vorschlag für ein neuroradiologisches Zusatzgutachten an. Eine Rücknahme der Klage könne davor nicht erfolgen.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG noch ein weiteres Gutachten bei H2, Abteilung Neuroradiologie des Universitätsklinikums H1, eingeholt. In seinem nach Aktenlage erstatten Gutachten vom 28. Februar 2023 hat der Sachverständige ausgeführt, dass nach einer ausführlichen Literaturrecherche zur Frage eines kausalen Zusammenhangs zwischen Hepatitis A+B-Impfung und MS keinerlei Hinweise auf einen Zusammenhang mit der Hepatitis A-Komponente des Doppelimpfstoffs Twinrix zu finden gewesen seien. Für die Hepatitis-B-Komponente seien in der Vergangenheit tatsächlich Bedenken geäußert worden, wonach sie Auslöser für das Auftreten einer MS oder einer Progression („Wiederaufflackern") dieser Erkrankung sein könne. Einige wenige Arbeiten an kleineren Patientengruppen hätten zwar Assoziationen gezeigt, was im Fazit des Paul-Ehrlich-Instituts seinen Niederschlag gefunden habe (Stand: 29. November 2005; Bl. 145 ff. der SG-Akte). Die meisten Studien widerlegten aber einen solchen Zusammenhang, wie ausführlich in der neueren Übersichtsarbeit von Mailand und Frederiksen (2017; Bl. 149 ff. der SG-Akte) zum Thema „Impfungen und Multiple Sklerose" dargelegt worden sei. Eine aktuelle Arbeit von Sestili et al. (2021; B. 165 ff. der SG-Akte) sei zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Eine noch neuere Arbeit von Akhtar et al. (2022; Bl. 171 ff. der SG-Akte) habe umgekehrt sogar einen protektiven Effekt durch den HBV-Impfstoff gegenüber MS postuliert.
Der Stellungnahme von S2 vom 23. Juli 2021 sei nichts hinzuzufügen oder zu erwidern. Es sprächen hier in der Tat mehr Fakten gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen Hepatitis B-Impfung und MS als dafür. Die MS des Klägers sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die Impfung vom 19. September 2005 mit Twinrix verursacht worden.
Ferner werde noch Stellung zu der in dem Gutachten von R1 aufgeworfenen Frage nach dem Alter der im Januar 2006 dokumentierten MS-Herde genommen. In dem im BWK U1 angefertigten MRT des Neurokraniums vom 18. Januar 2006 hat der Sachverständige mehrere – ihrer Lokalisation nach näher beschriebene – Läsionen des Gehirns festgestellt, von denen einzelne, aber nicht alle Kontrastmittel aufgenommen hätten. Im MRT der Halswirbelsäule und der Brustwirbelsäule vom 19. Januar 2006 hat er eine T2-Hyperintensität links dorsolateral im Myelon in Höhe des 2. Halswirbelkörpers (HWK 2) und eine weitere ähnliche Läsion in Höhe HWK 4 dorsomedial berichtet. Die Läsion in Höhe HWK 2 habe Kontrastmittel aufgenommen; die Läsion in Höhe HWK 4 habe keine eindeutige Kontrastmittelaufnahme aufgewiesen. Es zeige sich ein typisches Befundmuster für MS mit Erfüllung der McDonald Kriterien für örtliche und zeitliche Dissemination. Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass akute MS-Herde für eine Dauer ca. drei bis sechs Wochen Kontrastmittel aufnähmen. Weniger als 10 % der Läsionen zeigten länger als sechs Monate eine Kontrastmittelanreicherung. Wenn ein MS-Herd also kein Kontrastmittel mehr aufnehme, müsse er in der Regel mehr als drei bis sechs Wochen zuvor erstmals aufgetreten sein. Eine zuverlässige Aussage darüber, ob die am 18. Januar 2006 nachweisbaren MS-Herde zum Zeitpunkt der Impfung im September 2005 entstanden seien, sei somit nicht möglich.
Mit Gerichtsbescheid vom 7. Februar 2024 hat das SG die Klage nach Anhörung der Beteiligten zu dieser Verfahrensweise abgewiesen. Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Zur Begründung hat es auf die Begründung des angefochtenen Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides verwiesen. Ergänzend hat es sich auf das Sachverständigengutachten von R1 gestützt, der für das Gericht überzeugend dargelegt habe, dass die Frage eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Impfung mit Twinrix und der im Januar 2006 gestellten Diagnose einer MS zu verneinen sei. Es müsse danach davon ausgegangen werden, dass bei dem Kläger eine MS schon deutlich vor 2006 bestand habe. Die im Januar 2006 dokumentierten Beschwerden seien plausibel mit einem MS-Schub vereinbar. Auch dieses Schubereignis sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht durch die Impfung ausgelöst. Die Einschätzung des Sachverständigen stehe vollumfänglich in Übereinstimmung mit der Stellungnahme von S2 vom 23. Juli 2021. Das Gericht habe keinerlei Anlass, den überzeugenden Ausführungen des R1 nicht zu folgen. Auch H2 sei in seinem auf Antrag des Klägers eingeholten Sachverständigengutachten dazu gelangt, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und MS nicht hergestellt werden könne.
Der Kläger hat am 5. März 2024 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung hat er u.a. ausgeführt, dass es entgegen der Urteilsbegründung nicht bereits seit 2003 Sensibilitätsausfälle gegeben habe, sondern erst nach der besagten Impfung. Im Beipackzettel der Impfung sei die MS als eine Nebenwirkung aufgeführt. Hierfür sei nachgewiesenermaßen die Vielzahl an Aluminiumverbindungen in dem Impfstoff verantwortlich. So belegten es verschiedene – wörtlich – „unabhängige Studien", welche einfach online zu finden seien. Jede einzelne Aluminiumverbindung wirke erwiesenermaßen neurotoxisch. Auch stimme die Angabe in dem Gerichtsbescheid, wonach er vom 17. bis 30. Januar „2016“ im BWK U1 zur stationären Behandlung gewesen sei, nicht mit der Realität überein.
Die jetzige Bevollmächtigte des Klägers hat ferner ausgeführt, dass das Sachverständigengutachten des R1 spekulativ sei. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass bereits vor der streitbefangenen Impfung im MRT ältere Entzündungen vorgelegen hätten; es seien ältere Narben im Gehirn und Rückenmark sichtbar gewesen und zudem frische Entzündungsherde im Rückenmark. Er habe jedoch nicht abgeklärt, ob diese älteren Herde auch auf andere Ursachen zurückzuführen seien. Der Entstehungszeitpunkt der älteren Narben sei aus den Befunden ebenfalls nicht hervorgegangen. Die Diagnose MS sei erst nach der Impfung gesichert worden. Der Kläger habe im Anschluss an die streitbefangene Hepatitis A und B-Impfung, etwa eine Woche danach, an einem Taubheitsgefühl im Gesicht und länger andauernden Kreislaufproblemen sowie dumpf anmutenden Kopfschmerzen gelitten. Das Taubheitsgefühl habe sich in den gesamten linken Arm ausgebreitet. Die Symptomatik habe sich schließlich gravierend gesteigert und in den stationären Aufenthalt im BWK U1 vom 17. Januar bis 30. Januar 2006 gemündet, wo auch die Diagnose einer MS gestellt worden sei. Die Sensibilitätsausfälle hätten vor der streitbefangenen Impfung nicht vorgelegen. Im Befundbericht des Bundeswehrkrankenhauses U1 vom 21. März 2006 sei unter Diagnosen vermerkt: „Akut aufgetretene sensible Halbseitensymptomatik links bei dringendem Verdacht auf das Vorliegen einer klinischen Erstmanifestation einer Encephalitis disseminata (ICD 10: G35.9)“. Werde die Autoimmunerkrankung durch einen exogenen Faktor – hier die streitbefangene Hepatitis A und B Impfung – zum Tragen gebracht, so sei der exogene Faktor als gleichwertig mitursächlich anzusehen und daher als Vollursache zu werten. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG stünden nämlich die (Krankheits-)Anlage als auch das schädigende Ereignis (Impfung) nebeneinander, wenn das Leiden auf einer Anlage beruhe, die bisher kein krankhaftes Geschehen ausgelöst habe, so die Entscheidung des LSG Saarbrücken vom 27. Mai 2008 (L 5 VJ 10/04). Die Ätiologie der MS sei bislang noch nicht vollständig geklärt. Bei der MS besteht in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit darüber, ob es sich um eine Infektionskrankheit oder um eine neuro-allergische, auf einer Autoimmunreaktion basierende Erkrankung handele, wobei auch die Bedeutung endogener Faktoren noch umstritten sei. In seltenen Fällen könne trotzdem ein Zusammenhang der MS mit einer Schädigung wahrscheinlich sein, wenn der Schub des Leidens in augenfälliger zeitlicher Verbindung mit außergewöhnlich massiven Belastungsfaktoren auftrete und dann bei jeder der genannten wissenschaftlichen Hypothesen die gleiche Beurteilung abzugeben wäre. Eine enge zeitliche Verbindung sei allenfalls zu fordern, wenn eine ausgeprägte Impfreaktion ursächlich in Betracht komme, was vorliegend der Fall sei. Über die Ätiologie und Pathogenese der Erkrankung MS sei eine teilweise Aufschlüsselung des Pathomechanismus unter anderem mit dem Hinweis auf genetische Faktoren und die Provokation durch Umwelteinflüsse – so auch Impfungen – erfolgt, so dass die „Kannversorgung“ anzuwenden sei. Jede Impfung, die eine starke Immunantwort herausfordere, sei nämlich geeignet eine MS auszulösen. Der zeitliche Zusammenhang zwischen der Impfung und der Diagnosestellung MS sei unstreitig. Die Bevollmächtigte hat u.a. auf das Urteil des Senats vom 13. Juli 2010 (L 6 VJ 4797/07) verwiesen, in dem eine MS als Impfschaden nach der Impfung anerkannt worden sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Februar 2024 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Oktober 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2022 zu verpflichten, eine Multiple Sklerose als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Beschädigtenversorgung, insbesondere Beschädigtenrente, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass die Ausführungen im Tatbestand des Gerichtsbescheides, wonach am 16. Januar 2006 seit drei Jahren bestehende rezidivierende Sensibilitätsausfälle dokumentiert seien, mit dem entsprechenden Eintrag in der G-Karte des Klägers übereinstimmten. Es sei auffällig, dass die Bevollmächtigte nur ältere Rechtsprechung zitiere. Dies liege wohl an dem Umstand, dass die nunmehr ständige Rechtsprechung des BSG andere Schlussfolgerungen ziehe als vor circa 20 Jahren – was insbesondere mit neuen Erkenntnissen in der medizinischen Wissenschaft zusammenhänge. Es gelte, dass bei allen medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand maßgebend sei. So habe das LSG Niedersachsen-Bremen in seinem Urteil vom 5. November 2020 (L 10 VE 46/17) ausgeführt, dass es nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand keine Hinweise für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Impfung und der Auslösung von MS gebe. Mittlerweile existiere in der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur keine Stimme mehr, die den Verdacht aufrechterhalte, eine Impfung könne eine MS auslösen. Wenn sich in Einzelfällen im zeitlichen Zusammenhang zu einer Impfung der klinische Beginn einer MS manifestiere, spreche dies noch nicht für das Vorliegen eines ursächlichen Zusammenhangs, auch dann nicht, wenn andere Auslöser der Erkrankung nicht ersichtlich seien, so auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. April 2023 – L 7 VE 14/18 –, das LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20. Februar 2020 – L 14 U 61/1 – und das Bayerische LSG, Urteil vom 14. Dezember 2021 – L 15 VJ 4/13.
Auch die Voraussetzungen für eine „Kannversorgung“ lägen nicht vor. Die Verwaltung sei nach der Rechtsprechung des BSG nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs – die so gut wie nie widerlegt werden könne - ausreichen zu lassen. Es genüge nicht, wenn ein Arzt oder auch mehrere Ärzte einen Ursachenzusammenhang nur behaupteten. Vielmehr sei es erforderlich, dass diese Behauptung medizinisch-biologisch nachvollziehbar begründet und durch wissenschaftliche Fakten untermauert sei. Es bestehe zwar über Ätiologie und Pathogenese der MS keine klare medizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung, aber eine klare Auffassung darüber, dass eine Impfung zur Entstehung einer MS-Erkrankung nicht beitragen könne. Dies sei medizinisch-wissenschaftlich geklärt und anerkannt. Ausgehend hiervon scheidet im Falle des Klägers auch eine „Kannversorgung“ aus, weil über die Ursache der beim Kläger vorliegenden Erkrankung nicht generell in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Die Ausführungen des Klägers seien daher überholt und nicht tragfähig.
Die zeitliche Verbindung zwischen einer Gesundheitsstörung und dem geleisteten Dienst könne für sich alleine die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs nicht begründen. Es müsse vielmehr der ungünstige Einfluss einer bestimmten Dienstverrichtung oder allgemeiner dienstlicher Verhältnisse auf die Entstehung oder Verschlimmerung der Krankheit dargetan werden, da Krankheiten aller Art, insbesondere innere Leiden, zu jeder Zeit auch ohne wesentliche Mitwirkung eines schädigenden Vorgangs entstehen könnten. Zudem stehe hier der zeitliche Zusammenhang allein deshalb in Frage, da der Kläger bereits im Januar 2006 angegeben habe, seit drei Jahren an rezidivierenden Sensibilitätsausfällen zu leiden. Der Kläger setze sich im Übrigen auch nicht in der gebotenen Tiefe mit dem neurologischen Sachverständigengutachten vom 27. September 2022 auseinander.
Die Bevollmächtigte hat hierzu darauf hingewiesen, dass bei Hepatitis-Impfungen in der Gelben Liste unter Nebenwirkungen ausdrücklich auch die MS genannt werde. Sie hat hierzu einen Auszug aus der Liste vorgelegt, in der als Nebenwirkung einer Hepatitis B-Impfung ohne Häufigkeitsangabe unter anderem eine „Neuritis (einschließlich Guillain-Barré-Syndrom, Optikusneuritis und Multiple Sklerose)“ angegeben ist (Bl. 75 der Senatsakte). Insofern gingen die Ausführungen der Gegenseite, es handele sich nicht um den aktuellen Stand der Wissenschaft, ins Leere. Sie hat ferner erneut den Ablauf des Krankheitsgeschehens aus Sicht des Klägers geschildert. Es habe ein enger zeitlicher Rahmen zwischen der Gabe der Impfung und dem Ausbruch der MS bestanden.
Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 7. Februar 2024, mit dem es die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG) abgewiesen hat. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2019 - B 9 SB 48/19 B – juris, Rz. 8 m.w.N.; Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/Keller, 14. Aufl. 2023, § 54 Rz. 34).
Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung in Form einer Beschädigtengrundrente für die Zeit nach Ende des Wehrdienstes nach § 80 SVG (in der bis 31. Dezember 2024 geltenden Fassung); ebenso besteht kein Anspruch auf Feststellung der bei ihm vorliegenden MS-Erkrankung als Folge einer WDB. Der angefochtene Bescheid vom 13. Oktober 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2022 ist daher nicht rechtwidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Soweit der Kläger beanstandet, dass das SG in der angefochtenen Entscheidung eine Behandlung im BWK U1 im Januar „2016“ erwähnt habe, hat das SG dort lediglich die entsprechenden (unrichtigen) Angaben seiner Bevollmächtigten in der Klagebegründung referiert.
Das SVG vom 26. Juli 1957 (BGBl. I S. 785; letzte Bekanntmachung vom 16. September 2009, BGBl. I S. 3054) ist hier weiterhin anzuwenden. Nach Art. 90 Abs. 6 des Gesetzes über die Entschädigung der Soldatinnen und Soldaten und zur Neuordnung des Soldatenversorgungsrechts vom 20. August 2021 (BGBl. I S. 3932) ist das bisherige SVG zwar zum 31. Dezember 2024 außer Kraft getreten; zum 1. Januar 2025 ist mit der Herauslösung der Beschädigtenversorgung aus dem bisherigen SVG insoweit das Soldatenentschädigungsgesetz (SEG, Art. 1, Art. 90 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. August 2021) an dessen Stelle getreten. Über einen bis zum 31. Dezember 2024 gestellten und nicht bestandskräftig beschiedenen Antrag auf Leistungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz ist jedoch nach dem zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Recht zu entscheiden (§ 80 Abs. 2 Satz 1 SEG). Damit ist auch das bereits zum 1. Januar 2024 außer Kraft getretene und durch das Vierzehnte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XIV) ersetzte BVG (Art. 58 Nr. 2, Art. 60 Abs. 7 des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12. Dezember 2019, BGBl. I. 2652) weiterhin anzuwenden (vgl. auch § 142 Abs. 2 Satz 1 SGB XIV). Da der Kläger seinen hier gegenständlichen Antrag auf Versorgung bereits 2020 gestellt hat, richtet sich das Verfahren weiterhin nach SVG i.V.m. dem BVG.
Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung seines Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit in diesem Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. Die Versorgung nach § 80 SVG umfasst nach dem insoweit entsprechend anwendbaren § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG den Anspruch auf Beschädigtenrente (§§ 29 ff. BVG).
Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) – bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungs-rechts vom 13. Dezember 2007 (BGBl I S. 2904) am 21. Dezember 2007 als Minderung der Er-werbsfähigkeit (MdE) bezeichnet – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeein-trächtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, see-lischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25, besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. Urteil des Senats vom 18. Dezember 2014 – L 6 VS 413/13 –, juris, Rz. 42).
Nach der Legaldefinition des § 81 Abs. 1 SVG ist unter einer Wehrdienstbeschädigung eine gesundheitliche Schädigung zu verstehen, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse (wie einer truppenärztlichen Behandlung) herbeigeführt worden ist.
Durch diese gesetzlichen Bestimmungen ist nach einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum für die Anerkennung von Schädigungsfolgen, welche eine Beschädigtengrundrente stützen können, eine dreigliedrige Kausalkette vorgegeben: Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang muss zu einer primären Schädigung (hier der WDB) geführt haben, welche wiederum die geltend gemachte Schädigungsfolge bedingt haben muss. Dabei müssen sich die drei Glieder selbst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen, während für den ursächlichen Zusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreicht (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 3/13 R –, SozR 4-3200 § 81 Nr. 6, Rz. 14 m. w. N.), wie dies § 81 Abs. 6 Satz 1 SVG für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung normiert. Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend – seit Juli 2004 – den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 und 12 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08, S. 3 f.) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 6/13 R –, juris, Rz. 17). Ein Gesundheitsschaden (als Schädigungsfolge) muss darüber hinaus nicht nur sicher feststehen. Er muss auch durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (z. B. ICD-10) unter Verwendung der dortigen Schlüssel exakt bezeichnet werden können (Urteil des Senats vom 17. Dezember 2015 – L 6 VS 2234/15 –, juris, Rz. 33 m. w. N.). Der Senat orientiert sich bei der Beurteilung von MdE und GdS für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 an den im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteile vom 29. August 1990 – 9a/9 RVs 7/89 –, BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1, vom 23. Juni 1993 – 9/9a RVs 1/91 –, BSGE 72, 285, vom 9. April 1997 – 9 RVs 4/95 –, SozR 3-3870 § 4 Nr. 19 und vom 18. September 2003 – B 9 SB 3/02 R –, BSGE 190, 205) AHP in der jeweils geltenden Fassung, danach an den VG (vgl. Urteil des Senats vom 23. Juni 2016 – L 6 V 1095/14 –, juris, Rz. 51).
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das Soziale Entschädigungsrecht und damit auch das SVG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität zwischen Schädigung und Schädigungsfolge genügt gemäß § 81 Abs. 6 Satz 1 BVG die Wahrscheinlichkeit. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BSG u.a. im Interesse eines Gleichlaufs mit dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung über den Wortlaut der Norm hinaus auch für die haftungsbegründende Kausalität zwischen schädigendem Ereignis und Schädigung (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 – B 9 VS 2/98 R –, juris). Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der nach der Rechtsprechung des BSG auch im Bereich des SVG anzuwenden ist (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 2006 – B 9a VS 1/05 R –, juris, Rz. 23), sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Dies setzt voraus, dass Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen sind oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind.
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, a. a. O., § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).
Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 81 Abs. 6 Satz 1 SVG bzw. des inhaltsgleichen § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Nach der Rechtsprechung des für das Soziale Entschädigungsrecht zuständigen 9. Senats des BSG gilt als Ursache im Rechtssinn nicht jede Bedingung, gleichgültig mit welcher Intensität sie zum Erfolg beigetragen hat und in welchem Zusammenhang sie dazu steht. Als Ursachen sind vielmehr nur diejenigen Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Das ist der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges als annähernd gleichwertig anzusehen sind. Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Im Einzelnen bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 6/13 R –, juris, Rz. 18 ff.). Für den anzuwendenden Beweisgrad muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein „deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
Bei dem „Glaubhafterscheinen“ im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der schädigende Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3 3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Die „Schädigung“ im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfg meint den schädigenden Vorgang und umfasst das schädigende Ereignis und die Schädigung (Knörr, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht - Handkommentar, 1. Aufl. 2012, §§ 12-18 KOVVfG Rz. 5; S. Knickrehm, a.a.O. § 1 BVG Rz. 16). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin nicht eingeengt, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 und 12 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 17).
Ausgehend von diesen rechtlichen Gegebenheiten und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG besteht kein Anspruch des Klägers auf eine Beschädigtenversorgung in Form einer Beschädigtengrundrente, da der Senat nicht feststellen kann, dass die Impfung ursächlich für die MS-Erkrankung des Klägers ist oder einen Schub im Sinne der zuletzt geltend gemachten Verschlechterung ausgelöst hat. Es fehlt nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen R1, die durch den Wahlgutachter H2 vollumfänglich bestätigt wurden, an der überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der angeschuldigten Impfung und der Erkrankung des Klägers an MS. Damit ermangelt es zugleich auch an einem Anspruch auf Feststellung dieser Erkrankung als Folge einer WDB, was der Senat ebenfalls ablehnt.
Der von dem Kläger angeschuldigte truppenärztliche Impfvorgang, der zuletzt durch den beim SG vorgelegte Impfpass belegt wurde, kann rechtlich als „Wehrdienstverrichtung" im Sinne des § 81 Abs. 1 SVG qualifiziert werden (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 17. Februar 2005 – L 8/5 VS 27/02 –, juris, Rz. 24); er kommt prinzipiell auch als schädigendes Ereignis in Betracht.
Insoweit ist eine Entsprechung zum Impfschadensrecht geboten (vgl LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Februar 2021 – L 13 VS 61/20 –, juris, Rz. 30 ff.). Nach der Rechtsprechung des BSG zum Infektionsschutzgesetz (IfSG) – entsprechend der bereits genannten dreigliedrigen Kausalkette – müssen die schädigende Einwirkung (Schutzimpfung), der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen (primären) Schädigung, also eine Impfkomplikation, und eine dauerhafte gesundheitliche Schädigung (Impfschaden) im Vollbeweis nachgewiesen und nicht nur wahrscheinlich sein (hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VJ 1/10 R –, juris, Rz. 36). Allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge reicht der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus (vgl. zuletzt BSG, Beschluss vom 2. Februar 2024 – B 9 V 10/23 B –, juris, Rz. 9).
Die Feststellung einer unüblichen Impfreaktion im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Dann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind (vgl. Urteil des Senats vom 17. November 2016 – L 6 VJ 4009/15 –, juris, Rz. 61).
Maßstab dafür ist die im Sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist (BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VJ 1/10 R –, juris, Rz. 37 m.w.N.). Dabei sind alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnis-standes zu beantworten (BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VJ 1/10 R –, juris, Rz. 43).
Bei allen medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, ist der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand maßgebend, welcher die Grundlage bildet, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen der konkret geschädigten Personen zu bewerten sind. Dies entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Sozialen Entschädigungsrecht und damit auch im Impfschadensrecht, dem Schwerbehindertenrecht (vgl. BSG, Urteile vom 17. Dezember 1997 – 9 RVi 1/95 –, SozR 3-3850 § 52 Nr. 1 S. 3 und vom 24. April 2008 – B 9/9a SB 10/06 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 9, Rz. 25) und im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. BSG, Urteile vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –, BSGE 96, 196 <200 f.> und vom 23. April 2015 – B 2 U 10/14 R –, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 6, Rz. 20; Senatsurteil vom 21. April 2015 – L 6 VJ 1460/13 –, juris, Rz. 66). Dieser Erkenntnistand ergibt sich indes noch nicht durch wissenschaftliche Einzelmeinungen (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015 – B 2 U 10/14 R –, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 6, Rz. 21). Ein bestimmter Vorgang, der unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefunden hat, muss, wenn über ihn erst jetzt abschließend zu entscheiden ist, nach dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft beurteilt werden. So kann auch die vor Jahrzehnten bejahte Kausalität aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden als fehlend erkannt werden, sogar mit der Folge, dass eingeräumte Rechtspositionen zurückzunehmen oder nur aus Gründen des Vertrauensschutzes (§ 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]) zu belassen sind (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 V 1/10 R –, SozR 4-3100 § 62 Nr. 2). Bei der Anwendung der neuesten medizinischen Erkenntnisse ist ebenso zu prüfen, ob diese sich überhaupt auf den zu beurteilenden, mitunter lange zurückliegenden Vorgang beziehen. Da andere Ursachen jeweils andere Folgen nach sich ziehen können, gilt dies insbesondere für die Beurteilung von Kausalzusammenhängen. Dementsprechend muss im Impfschadensrecht sichergestellt werden, dass die nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse in Betracht zu ziehenden Impfkomplikationen gerade auch die Impfstoffe betreffen, die im konkreten Fall Verwendung gefunden haben (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VJ 1/10 R –, SozR 4-3851 § 60 Nr. 4, Rz. 43; Senatsurteil vom 28. April 2022 – L 6 VJ 254/21 –, juris, Rz. 60).
Der Kläger wurde zwar am 19. September 2005 truppenärztlich mit Twinrix gegen Hepatitis A und B geimpft, was sich aus dem vorlegten Impfpass ergibt. Ob er dabei ausreichend über Impfrisiken aufgeklärt worden ist, was er bestreitet, wofür es aber an jeglichem Nachweis fehlt, ist für die Entscheidung über den Anspruch nicht relevant (Urteil des Senats vom 3. Dezember 2020 – L 6 VJ 753/19 –, juris, Rz. 72).
Für die Anerkennung einer Schädigungsfolge oder die Gewährung von daraus folgenden Leistungen fehlt es indessen sowohl am Nachweis einer Impfkomplikation wie dass die MS mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit auf die angeschuldigte Impfung zurückzuführen ist, was auch dem aktuellen wissenschaftlichen Stand entspricht.
Ein Krankheitsgeschehen nach der am 19. September 2005 erfolgten Impfung, das als unübliche Impfreaktion anzusehen sein könnte, ist bereits nicht im erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen, auch wenn der Kläger zuletzt noch dem Senat ein solches geschildert hat.
Für die Frage, ob eine unübliche Impfreaktion vorliegt, ist auf die Abgrenzung der STIKO zwischen einer üblichen Impfreaktion und dem Verdacht auf eine mögliche Impfkomplikation zurückzugreifen (zuletzt: Epidemiologisches Bulletin Nr. 4/2023, S. 36 f.). Danach wird unter einer Impfkomplikation eine über das übliche Maß hinausgehende gesundheitliche Schädigung verstanden. Um eine Impfkomplikation von einer üblichen Impfreaktion, die nicht meldepflichtig ist, abzugrenzen, hat die STIKO, wie nach § 20 Abs. 2 IfSG gefordert, Merkmale für übliche Impfreaktionen definiert. Übliche und damit nicht meldepflichtige Impfreaktionen sind das übliche Ausmaß nicht überschreitende, vorübergehende Lokal- und Allgemeinreaktionen, die als Ausdruck der Auseinandersetzung des Organismus mit dem Impfstoff anzusehen sind. Die STIKO hat die folgenden Kriterien für übliche Impfreaktionen entwickelt:
Für die Dauer von 1 bis 3 Tagen (gelegentlich länger) anhaltende Rötung, Schwellung oder Schmerzhaftigkeit an der Injektionsstelle.
Für die Dauer von 1 bis 3 Tagen Fieber (39,5°C [bei rektaler Messung]), Kopf- und Gliederschmerzen, Mattigkeit, Unwohlsein, Übelkeit, Unruhe, Schwellung der regionären Lymphknoten.
Im gleichen Sinn zu deutende Symptome einer „Impfkrankheit“ 1 bis 3 Wochen nach Verabreichung von attenuierten Lebendimpfstoffen: z.B. eine leichte Parotisschwellung, kurzzeitige Arthralgien oder ein flüchtiges Exanthem nach der Masern-, Mumps-, Röteln- oder Varizellenimpfung oder milde gastrointestinale Beschwerden, z.B. nach der oralen Rotavirus- oder Typhus-Impfung.
Ausgenommen von der Meldepflicht sind auch Krankheitserscheinungen, denen offensichtlich eine andere Ursache als die Impfung zugrunde liegt. Alle anderen Impfreaktionen sollten gemeldet werden.
Die bloße Aufnahme schädigender Substanzen in den Körper reicht also für eine solche Schädigung allein im Regelfall nicht aus, vielmehr ist es grundsätzlich notwendig, dass diese Einwirkung über zunächst rein innerkörperliche Reaktionen (im Sinne normabweichender physiologischer oder biologischer Prozesse) oder Strukturveränderungen hinaus zu (irgend)einer Funktionsstörung führt (vgl. Urteil des Senats vom 28. April 2022 – L 6 VJ 254/21 –, juris, Rz. 68, unter Verweis auf BSG, Urteil vom 27. Juni 2017 – B 2 U 17/15 R –, juris, Rz. 22). Die ungewöhnliche Impfreaktion muss alsbald nach einer Impfung mit Sicherheit aufgetreten sein; es muss sich um eine gesundheitliche Schädigung bestimmter Art handeln. Falls eine solche Primärschädigung nicht erwiesen ist, erübrigt es sich, einen ursächlichen Zusammenhang mit dem letzten Glied der Ursachenkette zu prüfen (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 27. Juni 2007 – L 4 VJ 3/04 –, juris, Rz. 27).
Ausgehend hiervon fehlt es an dem erforderlichen Nachweis einer primären Schädigung bzw. WDB im Sinne einer Impfkomplikation. Denn das von dem Kläger bereits im Verwaltungsverfahren und auch zuletzt berichtete Krankheitsgeschehen, das bereits kurz nach den Impfungen aufgetreten sein soll, ist, obwohl es gravierender Natur sein könnte, nicht ärztlich gesichert. Hinweise auf eventuelle Unverträglichkeiten nach der Impfung sind der Akte vielmehr nicht zu entnehmen. Darauf haben sowohl die Sozialmedizinerin S2 in ihrem urkundsbeweislich zu verwertenden Gutachten im Verwaltungsverfahren und ebenso auch der gerichtliche Sachverständige R1 fachkundig hingewiesen. Die vom Kläger zuletzt geschilderte Bewusstlosigkeit mit hohem Fieber wird durch die beigezogenen G-Karten gerade nicht bestätigt, erst recht nicht halbseitige Taubheit des Gesichts. Denn danach wurde erstmals am 14. November 2005, also mehr als 8 Wochen nach der Impfung und damit nicht im engen zeitlichen Zusammenhang, ein Arzt konsultiert und – soweit leserlich – Halsschmerzen, Kopfschmerzen und Übelkeit sowie eine Nasennebenhöhlenentzündung berichtet, also typische Erkältungssymptome, ohne dass vom Kläger damals ein Zusammenhang mit der Impfung geltend gemacht oder gar Bewusstlosigkeit o. ä. erwähnt wurde. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch, dass er bei der nächsten Untersuchung vom 17. Januar 2006 seine Beschwerden auf einen möglichen Zeckenbiss zurückführte, was wenig Sinn macht, wenn tatsächlich so deutliche Symptome nach der Impfung aufgetreten wären. Bei dem behaupteten medizinischen Notfall steht aber eine umgehende ärztliche Behandlung zu erwarten und nicht erst nach acht Wochen (Urteil des Senats vom 3. Dezember 2020 – L 6 VJ 753/19 –, juris, Rz. 64). Es fehlt also bereits am Nachweis einer Impfkomplikation, so dass deswegen auch eine „Kannversorgung“ ausscheidet.
Des Weiteren ist nach dem Ergebnis der umfassenden medizinischen Sachaufklärung auch nach Einholung des Antragsgutachtens nach § 109 SGG nicht überwiegend wahrscheinlich gemacht, dass die MS durch die Impfung hervorgerufen oder verschlimmert sein könnte. Dass der Kläger nicht jeweils persönlich begutachtet wurde, begründet keine Mängel der Sachverhaltsaufklärung. Denn die Aktenlagegutachten waren vor dem Hintergrund ausreichend, dass medizinische Sachverhalte im Jahr 2005/2006 zu beurteilen gewesen sind, die eine persönliche Untersuchung nicht zwingend erscheinen lassen (Urteil des Senats vom 3. Dezember 2020 – L 6 VJ 753/19 –, juris, Rz. 76).
Der Kläger leidet nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme an einer MS mit schubförmigem Verlauf (ICD-10 G35.1-), zuletzt ohne Angabe einer akuten Exazerbation oder Progression (ICD-10 G35.10). Der Verdacht auf diese Erkrankung wurde erstmals während des Aufenthalts vom 17. bis 30. Janaur 2006 in der Neurologie des BWK U1 geäußert und hat sich im Verlauf im M1 -Klinik – Behandlungszentrum K1 für Multiple Sklerose Kranke GmbH aus Oktober 2007 bestätigt. Die Diagnose ist unstrittig. Es ermangelt aber an einem rechtlich wesentlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und der Entstehung oder Verschlimmerung der MS-Erkrankung.
Für den Nachweis reicht es mitnichten aus, worauf der Kläger allein verweist, dass in den Angaben zu Nebenwirkungen in der Packungsbeilage bzw. Gebrauchsinformation (§§ 11 Abs. 1 Nr. 5, 4 Abs. 13 AMG) zu Twinrix eine MS als sehr seltene Nebenwirkung sowie in der Gelben Liste eine MS nach einer Hepatitis B-Impfung als Nebenwirkung ohne Angabe der Häufigkeit angegeben ist. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf verwiesen, dass die Herstellerhinweise allein dem Ausschluss der Herstellerhaftung geschuldet sind. Denn der Hinweis besagt nichts über einen wissenschaftlich belegten Ursachenzusammenhang (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. Juni 2012 – L 13 VJ 59/11 –, juris, Rz. 36; Friedrich/Friedrich, ZESAR 2017, 491, 493; vgl. zur Nichtanwendbarkeit der WHO-Kriterien zur Kausalitätsbewertung eines Verdachtsfalles einer unerwünschten Arzneimittelwirkung im Versorgungsrecht: LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Februar 2021 – L 13 VS 61/20 –, juris, Rz. 34). Selbst wenn also eine Nebenwirkung in den Fachinformationen nach § 11a Arzneimittelgesetz [AMG] genannt ist, enthebt das nicht der Prüfung der Kausalität (vgl. dazu LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Februar 2021 – L 13 VS 61/20 –, juris, Rz. 39). Denn das Urteil führt zutreffend aus, dass die WHO-Kriterien zur Kausalitätsbewertung eines Verdachtsfalles einer unerwünschten Arzneimittelwirkung danach nicht anzuwenden sind (so auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25. September 2012 - L 7 VJ 3/08, juris, Rz. 32; Bayerisches LSG, Urteile vom 25. Juli 2017 - L 20 VJ 1/17, juris, Rz. 97 und 14. Mai 2019 - L 15 VJ 9/17, juris, Rz. 60). Weiter wird richtig dargelegt, dass das zum französischen Produkthaftungsrecht ergangene Urteil des EuGH vom 21. Juni 2017 (C-621/15) für das deutsche Soziale Entschädigungsrecht, insbesondere das Impfschadensrecht, nicht von Belang ist (Urteil des Senats vom 3. Dezember 2020 – L 6 VJ 753/19 –, juris, Rz. 85, ebenso Bayerisches LSG, Urteil vom 14. Mai 2019 - L 15 VJ 9/17, juris, Rz. 65 m.w.N.; Roos, ZFSH/SGB 2018, S. 146, 148 f.). Aus der im Urteil des EuGH herangezogenen europäischen Produkthaftungsrichtlinie ergibt sich im Übrigen keine Beweislastumkehr, wie insbesondere die Antwort des EuGH auf die dortige zweite Vorlagefrage zeigt. Auch das deutsche Impfschadensrecht sieht grundsätzlich keine Beweislastumkehr vor (vgl. BSG, Beschluss vom 5. Juni 2020 - B 9 V 4/20 B, juris, Rz. 6 m.w.N.).
Bei der Bewertung ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei der MS nach den fachkundigen Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen R1 um die häufigste chronisch-entzündliche ZNS-Erkrankung junger Menschen handelt, welche in der Regel typischerweise - wie auch beim Kläger - im frühen Erwachsenenalter beginnt, was schon allein Zweifel an der monokausalen Betrachtung des Klägers begründet. Weiter werden oft schon lange Zeit vor der eigentlichen ärztlichen Diagnose und Dokumentation Beschwerden geäußert, welche jedoch oft vernachlässigt, bagatellisiert oder auch fehlgedeutet werden, wie sachverständig dargelegt ist. D.h. der Krankheitsverlauf des Klägers ist geradezu typisch verlaufen und hat schon insoweit keinen Zusammenhang mit einer WDB aufgewiesen.
Das wird im Weiteren durch die Krankheitsdokumentation bestätigt. Mit den beiden gerichtlichen Sachverständigen, gestützt durch die aktuelle medizinische Datenlage, die insbesondere H2 aufbereitet hat, muss davon ausgegangen werden, dass bei dem Kläger die MS schon deutlich vor 2006 bestand; die in 01/2006 dokumentierten Beschwerden folglich nur plausibel mit einem MS-Schub vereinbar sind. Auch dieses Schubereignis, d.h. die behauptete Verschlimmerung, wurde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht durch die stattgehabte Impfung gegen Hepatitis A & B mittels Twinrix ausgelöst.
Die Erkrankung ist danach nicht erst im Januar 2006, sondern eindeutig bereits vor der Impfung aufgetreten. Der Senat stützt sich dafür auf den gerichtlichen Sachverständigen R1, der nachvollziehbar darauf hingewiesen hat, das sich bei einer Erstdiagnose einer MS außerordentlich häufig schon Hinweise auf eine frühere Manifestation dieser Erkrankung zeigen, die aufgrund der erforderlichen sowohl räumlichen als auch zeitlichen Dissemination für die endgültige Diagnosestellung auch erforderlich sind. R1 hat in diesem Zusammenhang – ebenso wie bereits S2 in ihrem nach § 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]) verwertbaren Gutachten im Verwaltungsverfahren – auf die im Januar 2006 von dem Kläger geschilderten, rezidivierenden Sensibilitätsausfälle bzw. Parästhesien hingewiesen, die seit etwa drei Jahren bestanden. Dieses Phänomen hat der Kläger später ebenso geschildert, so ist der Dokumentation der Neurologie des BWK U1 zu entnehmen, dass er bei Rangeleien/Ringen passagere Missempfindungen in den Extremitäten verspürt hatte.
Dass der Kläger dies im Berufungsverfahren bestreitet, ändert nichts daran, dass seine früheren Angaben in der G-Akte urkundlich verwertbar dokumentiert sind. Weder nach dem SGG noch nach der ZPO gibt es zwar eine Beweisregel in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund der Gesichtspunkte, dass die Erinnerung hierbei noch frischer war und sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, juris, Rz. 12; Urteil des Senats vom 7. Dezember 2017 – L 6 VG 4996/15 –, juris, Rz. 82).
Die dokumentierten ersten Angaben sind für den Senat deshalb glaubhafter, weil sie anders als das jetzige Vorbringen noch in einem nicht entschädigungsrelevanten Kontext erfolgten, sondern therapeutisch durchaus Konsequenzen haben können. Denn es stellt einen großen Unterschied dar, ob Sensibilitätsstörungen bzw. Parästhesien einmalig, nämlich nur bei der Untersuchung 2006, oder seit Jahren immer wieder bestanden. Das hat auch der Kläger selbst so eingeordnet, weil er zuvor wegen seiner Beschwerden keinen Arzt konsultierte, sondern erst nachdem diese immer wieder auftraten. Er hat diese selbst nicht mit der Impfung 2005 in Zusammenhang gestellt, jedenfalls ist dem Arztbericht nichts dementsprechendes zu entnehmen. Der Sachverständige legt ausgehend von diesen ersten Angaben für den Senat nachvollziehbar dar, dass davon ausgegangen werden muss, dass die zeitlich vor der angeschuldigten Impfung liegenden Beschwerden jeweils Ausdruck bereits entzündlicher Veränderungen des ZNS gewesen sind. Dass die damaligen Beschwerden auch andere Ursachen gehabt haben könnten, wie der Kläger eingewandt hat, überzeugt vor dem Hintergrund der in Übereinstimmung mit dem Gutachten von S2 stehenden Ausführungen des Sachverständigen zum typischen Verlauf einer Diagnosestellung einer MS nicht. Von einem späteren Auftreten der MS-Erkrankung nach der Impfung kann damit nicht ausgegangen werden.
Das kann allerdings nicht radiologisch erhärtet werden, wie dies zunächst aufgrund der älteren Herde R1 gemeint hat. Denn nach dem Gutachten des H2 ist eine zuverlässige Aussage darüber, ob die am 18. Januar 2006 nachweisbaren MS-Herde zum Zeitpunkt der Impfung im September 2005 entstanden sind, nicht möglich. Der Umstand, dass ein MS-Herd kein Kontrastmittel mehr aufnimmt, lässt allein darauf schließen, dass dieser in der Regel mehr als 3 bis 6 Wochen zuvor erstmals aufgetreten sein muss, was gegen die Kausalität spricht. Die von dem Kläger zuletzt aufgeworfene Frage nach der Genese der entsprechenden älteren Herde bzw. Narben ist also bereits sachverständig geklärt, so dass kein weiterer Ermittlungsbedarf besteht, schon gar nicht aufgrund der Behauptung, es fehle noch eine radiologische Auswertung.
Entgegen der Darstellung des Klägers handelt es sich bei der Encephalitis disseminata (ED) nicht um eine Sonderform der MS, sondern lediglich um eine andere Bezeichnung der Erkrankung. Der Senat stützt sich auch insoweit auf das Gutachten des R1, der beide Bezeichnungen ausdrücklich synonym verwendet hat. Die von dem Kläger für die Behauptung einer vorliegenden Sonderform offensichtlich herangezogene Entscheidung des SG Landshut (Urteil vom 8. April 2008 – S 15 VJ 1/06 –, juris) betraf demgegenüber eine akute disseminierte Enzephalomyelitis (ICD-10 G04.0), die beim Kläger nicht diagnostiziert wurde.
Des Weiteren spricht nach der aktuell geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und einer MS. Der Senat stützt sich auch insoweit auf das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen R1. Dieser hat für den Senat überzeugend ausgeführt, dass in systematischen Studien und Übersichtsarbeiten keine Zusammenhänge zwischen Impfungen – auch Hepatitis-Impfungen – und einer Schubauslösung bei bereits diagnostizierter MS beobachtet werden konnten und dass eine Assoziation der im September 2005 durchgeführten Impfung mit den retrospektiv als MS-Schub zu bezeichnenden klinischen Beschwerden im Januar 2006 sowohl nach dem derzeitigen Wissensstand als auch aufgrund des zeitlichen Abstandes nicht plausibel ist. Nach wissenschaftlicher Diskussion, ob vor allem auch Hepatitis B-Impfungen Auslöser einer MS sein könnten, konnten in mehreren systematischen Studien und Übersichtsarbeiten keine Zusammenhänge zwischen diesen Impfungen und einer Erkrankung an einer MS nachgewiesen werden. Dem schließt sich der Senat an, zumal dieses Ergebnis auch durch das Wahlgutachten von H2 in aller Deutlichkeit bestätigt worden ist. Dessen ausführliche Literaturrecherche zur Thematik „Kausaler Zusammenhang zwischen Hepatitis A+B-Impfung und Multiple Sklerose" mit diesbezüglichen Hinweisen aus dem Paul-Ehrlich-Institut (Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel) ergaben, dass es für die Hepatitis-A-Komponente des Doppelimpfstoffes Twinrix und Multiple Sklerose keinerlei Hinweise gab. Für die Hepatitis-B-Komponente sind in der Vergangenheit tatsächlich Bedenken geäußert worden, sie könne Auslöser für das Auftreten einer MS oder einer Progression („Wiederaufflackern") dieser Erkrankung sein. Einige wenige Arbeiten an kleineren Patientengruppen zeigten zwar Assoziationen, was im Fazit des Paul-Ehrlich-Instituts seinen Niederschlag gefunden hat (Stand: 29. November 2005). Die meisten Studien haben aber einen solchen Zusammenhang widerlegt, wie ausführlich in der neueren Übersichtsarbeit von Mailand MT und Frederiksen JL (2017) zum Thema „Impfungen und Multiple Sklerose" dargelegt wird. Eine aktuelle Arbeit von Sestili 0 et al. (2021) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Eine noch neuere Arbeit von Akhtar S et al (2022) aus Kuwait postuliert umgekehrt sogar einen protektiven Effekt durch den HBV-Impfstoff gegenüber MS.
Der Verweis des Klägers auf das Urteil des SG Landshut vom 8. April 2008 (S 15 VJ 1/06 –, juris) trägt demgegenüber nicht, da dieses auf einem von dem dort gehörten Sachverständigen angenommenen damaligen Erkenntnisstand in der medizinischen Wissenschaft beruhte und zudem ein ursächlicher Einfluss einer Hepatitis B-Impfung auf die Entstehung einer MS dort nur als möglich, aber als nicht beurteilbar angesehen wurde (vgl. auch LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. Juni 2012 – L 13 VJ 59/11 –, juris, Rz. 34). Dies ist durch das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen jedoch widerlegt, was im Übrigen auch durch das Wahlgutachten untermauert wird (vgl. zur fehlenden Verursachung einer MS durch eine Hepatitis B-Impfung bereits Urteil des Senats vom 17. November 2016 – L 6 VJ 4009/15 –, juris Rz. 74; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 5. November 2020 – L 10 VE 46/17 –, juris, Rz. 33).
Eine Assoziation der in 09/2015 durchgeführten Impfung mit den, retrospektiv als MS-Schub zu bezeichnenden, klinischen Beschwerden in 01/2016, ist darüber hinaus sowohl nach dem derzeitigen Wissensstand, als auch aufgrund des zeitlichen Abstandes nicht plausibel, so dass auch eine Verschlimmerung durch die Impfung ausscheidet.
Dass die im Impfstoff enthaltenen aluminiumhaltigen Adjuvantien die behauptete Reaktion erklärten, ist wissenschaftlich widerlegt (Urteil des Senats vom 3. Dezember 2020 – L 6 VJ 753/19 –, juris, Rz. 89). Im Übrigen hat sich die STIKO mit einer möglichen Verursachung von Impfschäden durch Aluminiumverbindungen als Adjuvantien in Impfstoffen befasst und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass im Vergleich zur Exposition über Trinkwasser, Lebensmittel oder Medikamente die Aluminium-Exposition durch aluminiumhaltige Adjuvantien in Impfstoffen gering ist. Impfbedingte Schadensvermutungen sind daher weiterhin reine Spekulation (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 18. Mai 2017 – L 20 VJ 5/11 –, juris, Rz. 86; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. Mai 2016 – L 4 VJ 1/14 –, juris, Rz. 58).
Die geltend gemachten Ansprüche lassen sich schließlich in Ermangelung einer Impfkomplikation nicht auf eine sogenannte „Kannversorgung“ nach § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG stützen (Urteil des Senats vom 3. Dezember 2020 – L 6 VJ 753/19 –, juris, Rz. 93). Danach gilt Folgendes: Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer WDB erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums der Verteidigung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer WDB anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (vgl. zur Aufhebung der im Rundschreiben des BMAS vom 12. Dezember 1996 – VI 5 55470 erteilten allgemeinen Zustimmung das Rundschreiben des BMAS vom 7. November 2016 – Va 2 – 55070 – 2). In diesen Fällen reicht nach der Rechtsprechung des BSG die „gute Möglichkeit“ eines Zusammenhangs einer Krankheit mit einem entschädigungsrechtlich erheblichen Vorgang aus; es muss wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs vertritt. Dass dieser Zusammenhang bloß theoretisch möglich ist, genügt nicht, weil die Verwaltung nicht ermächtigt ist, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs – die so gut wie nie widerlegt werden kann – ausreichen zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 10. November 1993 – 9/9a RV 41/92 –, juris, Rz. 19; BSG, Urteil vom 17. Juli 2008 – B 9/9a VS 5/06 R –, juris, Rz. 19; Urteil des Senats vom 17. November 2016 – L 6 VJ 4009/15 –, juris, Rz. 74).
Eine „Kannversorgung“ scheidet hier unabhängig vom fehlenden Nachweis einer Impfkomplikation aber jedenfalls deshalb aus, weil trotz der von dem Sachverständigen R1 erwähnten allgemeinen Ungewissheiten hinsichtlich der exakten Ursachen einer MS jedenfalls in Bezug auf das konkret angeschuldigte schädigende Ereignis, hier die Hepatitis-A+B-Impfung, und die als Impfschaden geltend gemachte MS nach dem derzeitigen aktuellen wissenschaftlichen Stand keine Studien existieren, die einen Ursachenzusammenhang belegen (vgl. zur fehlenden Verursachung einer MS durch eine Hepatitis B-Impfung bereits Urteil des Senats vom 17. November 2016 – L 6 VJ 4009/15 –, juris Rz. 74; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 5. November 2020 – L 10 VE 46/17 –, juris, Rz. 33). Das hat der Wahlgutachter H2 nochmals in aller Deutlichkeit bestätigt. Der Verweis des Klägers auf ein altes Urteil des Senats vom 13. Juli 2010 (L 6 VJ 4797/07 – n.v.) zur „Kannversorgung“ im Sinne der Verschlimmerung einer vorbestehenden MS ist schon deshalb nicht einschlägig, weil das Verfahren einen anderen Impfstoff (FSME) betraf, zumal damals ein zeitlicher Zusammenhang bestand. Das von dem Kläger angeführte Urteil des LSG für das Saarland vom 27. Mai 2008 (L 5 VJ 10/04 – juris) erging ebenfalls zu anderen Impfungen.
Lässt sich der Vollbeweis in Bezug auf die drei Glieder der Kausalitätskette nicht führen oder der Ursachenzusammenhang zwischen den drei Gliedern der Kausalitätskette nicht wahrscheinlich machen und auch über die Kann-Versorgung nicht herstellen, so geht die Nichterweislichkeit der Tatsache bzw. des Ursachenzusammenhangs nach den allgemeinen Regeln der Beweislast zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs hierauf stützen will, vorliegend also zu Lasten des Klägers (Bayerisches LSG, Urteil vom 30. April 2024 – L 15 VJ 2/23 –, juris, Rz. 61, juris; BSG, Urteil vom 27. August 1998 – B 9 VJ 2/97 R –, juris, Rz. 22).
Anhaltspunkte dafür, dass die MS-Erkrankung nachteilige Folge der truppenärztlichen Behandlung ist, liegen schließlich ebenfalls nicht vor, da diese leitliniengerecht durchgeführt wurde.
Die Berufung konnte damit keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.