1. Der Bescheid v. 04.10.2017 in Gestalt des Änderungsbescheides v. 08.01.2018 und des Widerspruchsbescheides v. 14.11.2018 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Leistungen unter Berücksichtigung der vollständigen Aufwendungen für Miete und Betriebskosten i.H.v. insgesamt 635 € monatlich im Zeitraum 01.11.2017 – 31.10.2018 zu gewähren.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten im notwendigen Umfang zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die vollständige Berücksichtigung seiner tatsächlichen Unterkunfts- und Heizaufwendungen im Rahmen von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – (SGB II).
Der im Jahr 1973 geborene Kläger steht seit dem Jahr 2013 bei der Beklagten im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Er lebt allein in einer Mietwohnung in der A-Straße, A-Stadt, die 77 qm groß ist und über drei Zimmer verfügt. Für die Wohnung war im hier streitgegenständlichen Zeitraum eine Grundmiete i.H.v. 485 € sowie eine Betriebskostenvorauszahlung i.H.v. 150 € monatlich zu zahlen.
Nachdem es zuvor bereits verschiedene Streitigkeiten zwischen den Beteiligten über die Angemessenheit der Mietaufwendungen gab, übersandte die Beklagte dem Kläger am 12.01.2015 nochmals eine schriftliche Aufforderung, seine Bruttokaltmiete zu senken. Diese läge erheblich über dem Grenzwert i.H.v. 435,60 €, welcher sich aus dem von ihr erstellen „Grundsicherungsrelevanten Mietspiegel“ ergebe. Diese Aufforderung verband sie mit der Androhung, die tatsächliche Bruttokaltmiete nur noch bis zum 30.06.2015 zu übernehmen. Dies setzte sie dann auch erstmalig durch Bescheid v. 17.04.2015 für den Zeitraum 01.05. – 31.10.2015 so um. Nach dem Widerspruchsverfahren schloss sich bei dem erkennenden Gericht der Rechtsstreit S 21 AS 1127/15 an, der mit einer rechtskräftigen Abweisung der Klage endete. Auch in den folgenden Bewilligungszeiträumen berücksichtigte die Beklagte nur die Beträge, die nach ihrem jeweils geltenden „Grundsicherungsrelevanten Mietspiegel“ angemessen waren.
Am 19.09.2017 stellte der Kläger einen Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab 11/2017. Durch Bescheid v. 04.10.2017 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum 01.11.2017 – 31.10.2018 unter Berücksichtigung einer für angemessen gehaltenen Nettokaltmiete i.H.v. 404,24 € sowie Nebenkosten i.H.v. 120 € monatlich.
Der Kläger legte hiergegen mit Schreiben v. 10.10.2017, eingegangen bei der Beklagten am 23.10.2017, Widerspruch ein. Die von der Beklagten als angemessen bezeichneten Werte seien realitätsfern.
Durch Änderungsbescheid v. 08.01.2018 bewilligte die Beklagte dem Kläger dann Leistungen für den o.g. Zeitraum unter Berücksichtigung einer für angemessen gehaltenen Nettokaltmiete i.H.v. 472,81 € und Heizkosten i.H.v. 69 € monatlich. Hierbei legte sie hinsichtlich der Miete den Maximalwert für Ein-Personen-Haushalte ihres „schlüssigen Konzept zur Ermittlung der angemessenen Referenzmiete im Sinne der Rechtsprechung des BSG (Stand 06/2017)“, das ab dem 01.07.2017 angewandt wurde, zugrunde. Dieses verweist im Wesentlichen auf ein im Auftrag der Beklagten durch das Institut Wohnung und Umwelt (IWU) erstelltes Gutachten v. 18.07.2017 („Grundsicherungsrelevanter Mietspiegel“ – Methodenbericht). Den für die Heizkosten angesetzten Betrag errechnete sie auf Basis der Nebenkosten-Abrechnung für das Jahr 2016, wobei sie zu dem Ergebnis kam, dass die Heizkosten 46 % der Nebenkostenvorauszahlung ausmachen.
Durch Bescheid v. 14.11.2018 wurde der Widerspruch schließlich im Übrigen zurückgewiesen. Die Übernahme nur der angemessenen Kosten sei nicht zu beanstanden, da der Kläger seit Langem aufgefordert sei, die Kosten zu senken, und ihm dies möglich und zumutbar sei.
Der Kläger hat am 10.12.2018 Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben.
Er trägt sinngemäß vor, er habe sich in der Vergangenheit ausreichend aber vergeblich um günstigeren Wohnraum bemüht und dies dem Gericht auch bereits im vorigen Verfahren S 21 AS 1127/15 durch Vorlage entsprechender Bewerbungslisten nachgewiesen. Auch habe die Beklagte bis heute nicht nachweisen können, dass es tatsächlich Wohnraum zu dem von ihr für angemessen gehaltenen Preis gebe. Weiter habe es einer neuen Kostensenkungsaufforderung bedurft, da sich die Angemessenheitsgrenze seit der Aufforderung im Jahr 2015 geändert habe.
Schließlich sei der „Grundsicherungsrelevante Mietspiegel 2017“ kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenze im Sinne der BSG-Rechtsprechung, da sog. Substandardwohnungen (ohne Bad, mit Kachelofen, im Souterrain), die für Leistungsberechtigte unzumutbar sind, bei der Berechnung nicht aussortiert worden sein.
Er beantragt sinngemäß,
den Bescheid v. 04.10.2017 in Gestalt des Änderungsbescheides v. 08.01.2018 und des Widerspruchsbescheides v. 14.11.2018 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen unter Berücksichtigung der vollständigen Aufwendungen für Miete und Betriebskosten i.H.v. insgesamt 635 € monatlich im Zeitraum 01.11.2017 – 31.10.2018 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, der Kläger habe seit dem Jahr 2015 keine schriftlichen Nachweise für Bemühungen um kostengünstigeren Wohnraum eingereicht. Zudem sei auch die Ernsthaftigkeit seiner vorherigen Suche in Zweifel zu ziehen. Einer erneuten Kostensenkungsaufforderung wegen geänderter Grenzwerte habe es nicht bedurft.
Auch sei ihr „Grundsicherungsrelevanter Mietspiegel 2017“ ein schlüssiges Konzept. Es bedürfe nach dem Urteil des BSG v. 17.09.2020 - B 4 AS 11/20 R - bereits keiner ins Einzeln gehenden Überprüfung bestimmter Detailfragen, da keine fundierten Einwände erhoben worden seien. Zudem sei ein vergleichbares Konzept bereits vom LSG Nordrhein-Westfalen durch Urteil v. 05.12.2019 – L 7 AS 1764/18 – für rechtmäßig erklärt und dort ausgeführt worden, dass die Nichtaussonderung von Substandardwohnungen unschädlich sei. Dies habe das BSG durch Urteil v. 17.09.2020 – B 4 AS 22/20 R – bestätigt.
Sie hat weiter eine ergänzende Stellungnahme des IWU v. 20.05.2021 vorgelegt. Darin wird erläutert, bei der Erstellung des Gutachtens sei man davon ausgegangen, dass in Internetannoncen auf Online-Vermietungsplattformen keine Substandardwohnungen angeboten würden. Nach sonstigen Primärerhebungen und dem Stand der Fachdiskussion handele es sich bei online inserierten Wohnungen um solche eines höherpreisigen Marktsegment. Dies bestätige sich auch im vorliegenden Fall anhand eines Vergleichs der zugrunde gelegten Daten, die aus Onlineinseraten stammen, mit den Daten der institutionellen Vermieter.
Zudem gebe es nach der letzten Gebäude- und Wohnungszählung im Rahmen des Zensus 2011 in A-Stadt von 43.418 zu Wohnzwecken vermieteten Wohnungen nur 348 die kein WC oder Dusche/Badewanne aufwiesen und nur 2.657 Wohnungen mit Einzel-/Mehrraumöfen. Es sei zudem davon auszugehen, dass diese Daten veraltet seien und der Anteil der Substandardwohnungen weiter zurückgegangen sei. Der Anteil sei so gering, dass eine Reduktion des Angebotsdatensatzes um diese Wohnung auf das Ergebnis nur marginale Auswirkungen hätte. Zudem sei im Rahmen der Gutachtenerstellung bei statistischen Unsicherheiten grundsätzlich eine Günstigerrechnung erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht kann gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid v. 04.10.2017 in Gestalt des Änderungsbescheides v. 08.01.2018 und des Widerspruchsbescheides v. 14.11.2018 ist teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat Anspruch auf Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 635 € monatlich im Zeitraum 01.11.2017 – 31.10.2018.
Streitgegenständlich ist vorliegend allein die Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung im o.g. Zeitraum. Der Kläger hat sein Begehren zulässig auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II (zur Zulässigkeit einer solchen Beschränkung nur BSG, Urteil v. 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 78 Rn. 10 mwN; BSG, Urteil v. 29. August 2019 – B 14 AS 43/18 R –, BSGE 129, 72-80, SozR 4-4200 § 22 Nr. 103, Rn. 10) beschränkt. Diese Auslegung des Klageantrags folgt der Rechtsprechung des BSG zum sog Meistbegünstigungsprinzip. Danach sind im sozialgerichtlichen Verfahren gestellte Anträge bzw. Rechtsbehelfe ohne Bindung an den Wortlaut nach dem wirklichen Willen des Antragstellers auszulegen. Insbesondere ist derjenige Rechtsbehelf gegen denjenigen Verwaltungsakt als eingelegt anzusehen, der nach Lage der Sache in Betracht kommt und Erfolg versprechen kann (BSGE 74, 77, 79 = SozR 3-4100 § 104 Nr. 11 S 47 mwN; SozR 4-3500 § 18 Nr. 1 Rn. 22).
Erkennbar ging es dem Kläger hier bei Klageerhebung einzig um die Überprüfung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung für den streitgegenständlichen Zeitraum. Die Bewilligung der Leistungen für den Regelbedarf bedarf daher keiner weiteren Überprüfung. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Frage, ob das von den Eltern des Klägers gewährte, vierteljährliche Darlehen als Einkommen anzurechnen gewesen wäre. Eine Anrechnung auf die Kosten der Unterkunft und Heizung kommt aufgrund der geringen Höhe der zu verteilenden Einkünfte jedenfalls nicht in Betracht (vgl. der ähnliche Fall in BSG, Urteil vom 10. November 2011 – B 8 SO 18/10 R –, SozR 4-3500 § 44 Nr. 2, Rn. 13 - 14).
Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.d. tatsächlichen Bruttowarmmiete (635 € monatlich).
Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Zur Bestimmung des anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft ist von den tatsächlichen Aufwendungen auszugehen. Will das Jobcenter nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anerkennen, weil es sie für unangemessen hoch hält, muss es grundsätzlich ein Kostensenkungsverfahren durchführen und der leistungsberechtigten Person den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang der Aufwendungen mitteilen (BSG, Urteil v. 17.09.2020 - B 4 AS 11/20 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 109 Rn. 15). Vorliegend bestehen keine Zweifel, dass der Kläger eine ordnungsgemäße Kostensenkungsaufforderung (vgl. hierzu BSG, Urteil v. 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 70 Rn. 41 ff) erhalten hat. Insbesondere ist die Übersendung einer neuen, weiteren Kostensenkungsaufforderung bei Änderung der örtlichen Referenzmiete nicht erforderlich, da dem Betroffenen bereits durch die erste Aufforderung bekannt war, dass seine Unterkunftskosten zu hoch sind und diese zukünftig nicht mehr vollständig übernommen werden können. Es kommt hier mithin allein darauf an, ob der Umfang der angemessenen Kosten der Unterkunft richtig ermittelt worden ist.
Die Ermittlung des angemessenen Umfangs der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung hat in zwei größeren Schritten zu erfolgen: Zunächst sind die abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft, bestehend aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten (= Bruttokaltmiete), zu ermitteln; dann ist die konkrete Angemessenheit dieser Aufwendungen im Vergleich mit den tatsächlichen Aufwendungen, insbesondere auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit der notwendigen Einsparungen, einschließlich eines Umzugs, zu prüfen (stRspr; vgl etwa BSG, Urteil v. 30.01.2019 - B 14 AS 24/18 R - BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 101, Rn. 19 mwN; BSG, Urteil v. 17.09.2020 - B 4 AS 22/20 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 111 Rn. 23 -). Die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen hat unter Anwendung der Produkttheorie ("Wohnungsgröße in Quadratmeter multipliziert mit dem Quadratmeterpreis") in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen, das sich wie folgt zusammenfassen lässt: (1) Bestimmung der (abstrakt) angemessenen Wohnungsgröße für die leistungsberechtigte(n) Person(en), (2) Bestimmung des angemessenen Wohnungsstandards, (3) Ermittlung der aufzuwendenden Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept, (4) Einbeziehung der angemessenen kalten Betriebskosten (stRspr; zusammenfassend BSG, Urteil v. 30.01.2019 - B 14 AS 24/18 R - BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 101, Rn. 20 mwN; BSG, Urteil v. 17.09.2020 - B 4 AS 22/20 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 111 Rn. 23 -).
Vorliegend wurde nach Auffassung der Kammer im Konzept der Beklagten der qualitative Wohnstandard der Wohnungen nicht hinreichend berücksichtigt, so dass dieses nicht als schlüssig im Sinne der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung bezeichnet werden kann.
Ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Netto- oder Bruttokaltmiete erfordert ein planmäßiges Vorgehen im Sinne einer systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenn auch orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum unter Beachtung von mehreren, von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Mindestvoraussetzungen, die auch die Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung betreffen (BSG, Urteil v. 17.09.2020 – B 4 AS 22/20 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 111 Rn. 27 mwN). Nach der Rechtsprechung des BSG soll das schlüssige Konzept die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarkts im Vergleichsraum dem Angemessenheitswert zugrunde liegen und dieser realitätsgerecht ermittelt wird. Schlüssig ist ein Konzept, wenn es neben rechtlichen bestimmte methodische Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist. Dies erfordert trotz Methodenvielfalt insbesondere eine Definition der untersuchten Wohnungen nach Größe und Standard, Angaben über die Art und Weise der Datenerhebung, Angaben über den Zeitraum, auf den sich die Datenerhebung bezieht, Repräsentativität und Validität der Datenerhebung, Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze bei der Datenauswertung, Vermeidung von "Brennpunkten" durch soziale Segregation sowie eine Begründung, in der die Ermittlung der Angemessenheitswerte aus den Daten dargelegt wird (BSG, Urteil vom 05. August 2021 – B 4 AS 82/20 R –, Rn. 32).
Für einen angemessenen Wohnungsstandard muss die Wohnung nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen und keinen gehobenen Wohnstandard aufweisen, wobei es genügt, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, angemessen ist (BSG, Urteil v. 05. August 2021 – B 4 AS 82/20 R –, Juris, Rn. 17 - 18). Wohnungen mit (Kohle-)Ofenheizung und Wohnungen ohne Bad genügen nicht einfachsten Bedürfnissen im o.g. Sinne. Zur Bildung eines grundsicherungsrelevanten Mietwertes sind diese Werte nicht mit heranzuziehen, denn auf Wohnungen mit diesem untersten Ausstattungsgrad können Hilfebedürftige bei der Wohnungssuche grundsätzlich nicht verwiesen werden. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, diese Werte seien einzubeziehen, um eine möglichst breite Datenbasis zu erhalten. Wenn solche Wohnungen nicht den unteren, sondern den untersten Standard abbilden, gehören sie von vornherein nicht zu dem Wohnungsbestand, der überhaupt für die Bestimmung einer Vergleichsmiete abzubilden ist (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 50/10 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr 42, Rn. 29). Unklar ist nach der bisherigen BSG-Rechtsprechung, ob auch Wohnungen mit Einraumgasöfen als unzumutbar zu gelten haben. Dies kann jedoch an dieser Stelle dahinstehen, da die Beklagte Ermittlungen zum Ausstattungsstandard der von ihr berücksichtigten Wohnungen vollständig unterlassen hat.
Vorliegend wird in dem Gutachten des IWU, das die Beklagte ihrem „schlüssigen Konzept“ zugrunde gelegt hat, der qualitative Wohnstandard der berücksichtigten Wohnungen bereits nicht definiert. Konsequenterweise werden aus den verwendeten Datensätzen nicht solche ausgeschieden, die zu Wohnungen mit Ofenheizung und/oder Gemeinschaftsbad gehören. Laut Ziffer 4.3.2 des Gutachtens des IWU, S. 16, war dies im verwendeten Datensatz nicht möglich. Damit werden solche Wohnungen aber nach dem gewählten Ansatz letztlich in die Ermittlung der Vergleichsmiete mit einbezogen. Dies haben die Beklagte und das IWU im Ergebnis bestätigt.
Die beklagtenseits vorgebrachten Argumente, wonach der fehlende Ausschluss solche sog. Substandardwohnungen auf die ermittelte Referenzmiete für Ein-Personen-Haushalte wie den des Klägers keine Auswirkung haben soll, überzeugen die Kammer nicht.
Dies gilt zunächst für die in der ergänzenden Stellungnahme des IWU geäußerte Ansicht, aufgrund des höheren Preisniveaus online inserierter Wohnungen sei es „sehr unwahrscheinlich“, dass ein relevanter Anteil von Substandardwohnungen miterfasst worden seien. Denn wie das IWU zuvor selbst ausführt, stammen die von ihm verwendeten Datensätze gerade nicht nur von Online-Vermietungs-Plattformen (z.B. immobilienscout24.de) sondern beispielsweise auch aus online gestellte Angebote aus Tageszeitungen. Letztere sind aber gerade die Angebote, die auch in den Print-Ausgaben von Zeitungen vorhanden sind und von den Verlagen zugleich auch online verfügbar gemacht werden, mithin nicht rein „online inseriert“. Weiter liegen der Auswertung des IWU auch Datensätze von Wohnungen „institutioneller Vermieter“ zugrunde, die also nicht zwingend online inseriert wurden. Hier wäre es zudem leicht möglich gewesen, eventuell enthaltene Substandardwohnungen auszuscheiden. Unter dem Strich erscheint die Datenbasis daher so disparat, dass sie nicht insgesamt als online inseriert und damit als höherpreisig bezeichnet werden kann.
Darüber hinaus ist auch die These des IWU, dass höherpreisige Wohnungen in nicht-berechnungsrelevanter Anzahl einen Substandard aufweisen, nicht belegt. Es mag zwar richtig sein, dass höherpreisige Wohnungen tendenziell seltener die genannten Merkmale aufweisen. Dass dies sich jedoch in keiner Weise auf die Ermittlung der Vergleichsmiete ausgewirkt haben kann, erscheint dem Gericht nicht ohne Weiteres plausibel und wurde vom IWU auch nicht rechnerisch untermauert. Diesbezügliche Zweifel des Gerichts folgen bereits aus den vom IWU selbst zitierten Zahlen des Zensus 2011, die durchaus einen relevanten Anteil solcher Wohnungen am Gesamtwohnungsmarkt in A-Stadt ergeben haben (dazu siehe noch zugleich). Es erscheint daher selbst bei Annahme eines „höherpreisigen“ Segmentes nicht unmittelbar evident, dass dieses überhaupt keine oder nur vernachlässigbar wenige Substandardwohnungen enthält. Auch solche Wohnungen können bei der allgemeinen großstädtischen Wohnungsnot überteuert angeboten werden.
Auch das zweite Argument aus der ergänzenden Stellungnahme des IWU, wonach es generell nur noch wenige Substandardwohnungen gebe, vermag nicht zu überzeugen. Aus den genannten Zahlen des Zensus 2011 für Wohnungen ohne Bad und/oder WC und mit Ofenheizung ergibt sich, dass zusammengenommen immerhin knapp sieben Prozent der A-Stadter Mietwohnungen damals diese Merkmale aufgewiesen haben. Dass deren Anzahl seitdem zurückgegangen ist, ist zwar höchstwahrscheinlich. Wie stark der Rückgang war, kann jedoch allenfalls spekuliert werden. Zu berücksichtigen ist jedoch andererseits, dass im Bereich der hier interessierenden Kleinwohnungen (bis 50 qm für Einpersonenhaushalte) des niedrigen Preissegments die Quote solcher Substandardwohnungen eher höher sein dürfte als in der Grundgesamtheit aller Mietwohnungen.
Vor diesem Hintergrund ist nach Überzeugung der Kammer die abschließende Schlussfolgerung des IWU, wonach die Berücksichtigung von Substandardwohnungen auf die ermittelte ortsübliche Vergleichsmiete keine Auswirkungen haben konnte, allenfalls spekulativer Natur. Denn die konkrete Anzahl der berücksichtigten unzumutbaren Wohnungen ist im Ergebnis völlig unklar. Daran vermögen auch statistische „Günstigerrechnungen“ an anderer Stelle nichts zu ändern.
Auch aus den von der Beklagten zitierten Urteilen des LSG Nordrhein-Westfalen v. 05.12.2019 – L 7 AS 1764/18 – und nachfolgend des BSG, Urteil v. 17.09.2020 – B 4 AS 22/20 R – ergibt sich nicht, dass ihr Konzept hinsichtlich der Berücksichtigung des Wohnstandards nicht zu beanstanden wäre. Denn im Gegensatz zum hiesigen Verfahren hatte die Behörde dort nachvollziehbar dargelegt, dass es sich bei den inserierten Wohnungen um qualitativ angemessene Wohnungen handelte und Wohnungen ohne Bad und/oder Heizung nicht angeboten wurden. Dies deckte sich dort mit der Qualitätsbeschreibung der ausgewerteten Wohnungen, bei denen etwa der Anteil von Wohnungen mit Kohleöfen mit "0%" ausgewiesen war (LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 05. Dezember 2019 – L 7 AS 1764/18 –, Rn. 39, juris). An einer solchen nachvollziehbaren Darlegung fehlt es hier gerade. Hinsichtlich der zitierten Entscheidung des BSG ist zu beachten, dass dieses die tatsächliche Feststellung des LSG, wonach Substandardwohnung in nicht relevantem Umfang in die Ermittlung der Vergleichsmiete eingeflossen seien, aufgrund der revisionsrechtlichen Beschränkungen ungeprüft übernahm und das vorinstanzliche Urteil lediglich auf Rechtsanwendungsfehler hin prüfte.
Zugleich ergibt sich aus den soeben genannten Entscheidungen, dass es durchaus möglich ist, am Markt solche Datensätze zu erhalten, die auch Qualitätsmerkmale der Wohnungen enthalten. Auch die institutionellen Vermieter hätten gezielt daraufhin befragt werden können. Somit wird von der Beklagten hier nichts Unmögliches verlangt.
Schließlich ist es nicht richtig, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Prüfung, ob die Vergleichsmiete anhand eines schlüssigen Konzepts ermittelt wurde, lediglich auf konkrete Beanstandungen der Kläger hin zu erfolgen hätte. Vielmehr ist es gerichtlich voll überprüfbar, ob die Ermittlung der abstrakt angemessenen Nettokaltmiete und die Erstellung eines schlüssigen Konzepts im Rahmen der Methodenvielfalt zutreffend erfolgt ist. Die volle gerichtliche Überprüfung des Angemessenheitswerts und des Verfahrens zu seiner Ermittlung schließt nicht aus, dass bei dieser Kontrolle der Verwaltung deren in der Methodenvielfalt zum Ausdruck kommenden Eigenverantwortung Rechnung getragen und die gerichtliche Kontrolle als eine nachvollziehende Kontrolle ausgestaltet wird (sog. Verfahrenskontrolle).
Zur Umsetzung der gerichtlichen Kontrolle ist es auf eine entsprechende Klage hin zunächst Aufgabe des Gerichts, die Rechtmäßigkeit des vom beklagten Jobcenter ermittelten abstrakten Angemessenheitswerts sowohl im Hinblick auf die Festlegung des Vergleichsraums als auch die Erstellung eines schlüssigen Konzepts zu überprüfen.
Ist die Ermittlung dieses abstrakten Angemessenheitswerts rechtlich zu beanstanden, ist dem Jobcenter Gelegenheit zu geben, diese Beanstandungen durch Stellungnahmen, ggf. nach weiteren eigenen Ermittlungen, auszuräumen.
Gelingt es dem Jobcenter nicht, die Beanstandungen des Gerichts auszuräumen, ist das Gericht zur Herstellung der Spruchreife der Sache nicht befugt, seinerseits ein schlüssiges Konzept – ggf. mit Hilfe von Sachverständigen - zu erstellen. Vielmehr kann das Gericht zur Herstellung der Spruchreife, wenn ein qualifizierter Mietspiegel vorhanden ist, auf diesen zurückgreifen; andernfalls sind mangels eines in rechtlich zulässiger Weise bestimmten Angemessenheitswerts die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft dem Bedarf für die Unterkunft zugrunde zu legen, begrenzt durch die Werte nach dem WoGG plus Zuschlag von 10 %. Dadurch soll den Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarkts zumindest ansatzweise gemäß gesetzgeberischer Entscheidungen - wenn auch für einen anderen Personenkreis - durch eine "Angemessenheitsobergrenze" Rechnung getragen werden, die die Finanzierung extrem hoher und per se unangemessener Mieten verhindert (BSG, Urteil v. 30.01.2019 – B 14 AS 24/18 R –, BSGE 127, 214-223, SozR 4-4200 § 22 Nr. 101, Rn. 26 - 30).
So liegt der Fall aber hier. Das von der Beklagten angewandte Konzept genügt insbesondere hinsichtlich der Definition des qualitativen Wohnstandards der berücksichtigten Wohnungen nicht den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Auch auf entsprechenden Hinweis des Gerichts erfolgte keine Nachbesserung des Konzeptes. Da es in A-Stadt nur einen einfachen und keinen qualifizierten Mietspiegel gibt, folgt der Grenzwert vorliegend aus der Tabelle in § 12 WoGG in der im Bewilligungszeitraum geltenden Fassung zzgl. 10 % Sicherheitszuschlag. Hieraus ergibt sich für die anzuwendende Mietenstufe VI ein Wert von 522 € zzgl. 10 %, mithin 574,20 €.
Für den vorliegenden Fall ergibt sich damit im Ergebnis, dass die Bruttokaltmiete des Klägers in Höhe von 566 € monatlich (Gesamtmiete i.H.v. 635 € abzgl. Heizkostenabschlag 69 €) angemessen ist und mithin Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der Gesamtmiete gewährt werden müssen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Das zulässige Rechtsmittel der Berufung ergibt sich aus § 143 SGG. Der Gegenstandswert liegt hier über 750 € (93,19 € Absenkung der Bruttokaltmiete x 12 Monate).