L 28 KR 218/22

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 223 KR 357/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 KR 218/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juni 2022 wird zurückgewiesen.

 

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin in der Kranken- und Pflegeversicherung der Landwirte (KVdL) und die von der Beklagten geforderten Beiträge sowie über die Befreiung von der Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung.

Die am. J1951 geborene Klägerin bezieht seit 1. Januar 2015 eine Altersrente für langjährig Versicherte und war in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) bei der S Krankenkasse Ost pflichtversichert. Nach dem Tod ihres Bruders, Herrn M, am 26. Februar 2019 erbte sie gemeinsam mit ihrer Schwester dessen landwirtschaftlichen Betrieb mit einer Größe von 161,26 ha. Der landwirtschaftliche Betrieb ist in A, einem Ortsteil der Einheitsgemeinde Sl, im Landkreis B in S-A ansässig.

Die Beklagte erfuhr hiervon am 30. September 2019 durch eine Mitteilung des gemeinsamen Katasters der Berufsgenossenschaft. Gemeldet wurden für die Zeit vom 27. Februar 2019 bis 14. Mai 2019 landwirtschaftliche Flächen im Umfang von insgesamt 161,26 ha (Zuckerrüben 29,33 ha, Garten 0,88 ha, Mähdrusch 112,80 ha, Futterbau 0,45 ha, Industriegemüse 17,80 ha) und für die Zeit ab 15. Mai 2019 insgesamt 161,57 ha (Zuckerrüben 37,41 ha, Garten 0,88 ha, Mähdrusch 101,37 ha, Futterbau 0,71 ha, Stilllegung 0,11 ha, Industriegemüse 21,09 ha). Mit Schreiben vom 1. Oktober 2019 übersandte die Beklagte der Klägerin zur Prüfung ihres Versicherungsverhältnisses einen Fragebogen und mehrere Informationsblätter. In dem Schreiben der Beklagten hieß es, dass der Gesetzgeber Möglichkeiten zur Befreiung von der Versicherungspflicht eingeräumt habe. Für den Beginn der Befreiung seien bestimmte Fristen zu beachten. Nach Rücklauf des Fragebogens stellte die Beklagte mit Bescheid vom 8. November 2019 fest, dass die Klägerin seit dem 27. Februar 2019 bei ihr kranken- und pflegeversichert sei und setzte die Beiträge rückwirkend für die Zeit vom 27. Februar 2019 bis 31. Oktober 2019 in Höhe von insgesamt 4.321,07 Euro und für die Zeit ab dem 1. November 2019 monatlich in Höhe von 535,67 Euro (KV 455,89 Euro, PV 79,78 Euro) auf Grundlage der Beitragsklasse 14 und einem für die Beitragseinstufung maßgeblichen korrigierten Flächenwert von 70.145,00 Euro und einem Anteil von 50% – laut Berechnungswerten für das Unternehmen Nr. 71130159 in A fest. Die Beitragsklasse richte sich nach den sog. korrigierten Flächenwerten.

Mit Schreiben vom 8. November 2019 informierte die Beklagte die S Krankenkasse O darüber, dass sie ab 27. Februar 2019 die Versicherung für die Klägerin durchführe.

Der Beitrag wurde mit Bescheid vom 5. Dezember 2019 ab dem 15. Mai 2019 wegen geänderter Betriebsverhältnisse auf Grundlage eines höheren korrigierten Flächenwerts von 72.905,00 Euro und einer Beitragsklasse 15 neu festgesetzt. Die laufenden monatlichen Beiträge beliefen sich auf 568,82 Euro (484,10 Euro KV, 84,72 Euro PV). Die Klägerin erhob gegen die Bescheide vom 8. November 2019 und 5. Dezember 2019 wenig später Widerspruch.

Mit Bescheid vom 3. Januar 2020 wurden die Beiträge für die Zeit ab 1. Januar 2020 auf Grundlage eines korrigierten Flächenwerts von 72.795,00 Euro und einer Beitragsklasse 15 erneut festgesetzt. Es ergab sich ein monatlicher Beitrag in Höhe von insgesamt 568,82 Euro (484,10 Euro KV, 84,72 Euro PV).

Die Widersprüche gegen den Bescheid vom 8. November 2019 in der Fassung der Bescheide vom 5. Dezember 2019 und 3. Januar 2020 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2020 zurück. Die Erbengemeinschaft M L – bestehend aus der Klägerin und ihrer Schwester - betreibe ein landwirtschaftliches Unternehmen und bewirtschafte eine Flächengröße über der festgesetzten Mindestgröße. An dem Unternehmen halte die Klägerin Anteile von 50 %. Sie trage das wirtschaftliche Risiko für die Bewirtschaftung einer die Mindestgröße übersteigenden landwirtschaftlichen Nutzfläche. Der Umfang des von ihr betriebenen landwirtschaftlichen Unternehmens überschreite bei weitem die festgesetzte Mindestgröße. Sie gehöre damit zum in der landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegekasse versicherungspflichtigen Personenkreis. Sie sei nicht versicherungsfrei, es bestehe auch keine Vorrangversicherung bei einer anderen gesetzlichen Krankenkasse. Für die Klägerin bestehe als Rentnerin zwar Versicherungspflicht in der allgemeinen gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Daneben gehöre sie, da sie das wirtschaftliche Risiko für die Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Nutzfläche trage, zum versicherungspflichtigen Personenkreis in der KVdL. Es bestehe nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) ein Vorrang der Versicherungspflicht als landwirtschaftliche Unternehmerin. Es sei unerheblich, ob sie das Unternehmen wie vorgetragen nur im Nebenerwerb betreibe. Bei ihrer Eigenschaft als Rentnerin handele es sich offensichtlich nicht um eine hautberufliche Tätigkeit. Die Renteneinkünfte seien kein Arbeitseinkommen. Es sei zwar zutreffend, dass sie nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 5 KVLG 1989 erfülle, wonach Versicherungspflicht für Personen bestehe, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und während der letzten fünf Jahre vor Vollendung des 65. Lebensjahres mindestens 60 Kalendermonate als landwirtschaftliche Unternehmer versichert gewesen seien. Dies führe jedoch nicht zum Ausschluss der Versicherungspflicht als Landwirtin. Denn sie erfülle die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989.

Am 18. Februar 2020 (Schreiben vom 17. Februar 2020) beantragte die Klägerin die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2020 ab. Der Befreiungsantrag sei außerhalb der gesetzlichen Antragsfrist gestellt worden und daher verspätet eingegangen. Die Antragsfrist ende drei Monate nach Eintritt der Versicherungspflicht, ausgehend vom Eintritt der Versicherungspflicht demnach am 27. Mai 2019. Es handele sich hierbei um eine Ausschlussfrist. Es sei unerheblich, ob die Klägerin als Versicherte innerhalb von drei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht Kenntnis von deren Bestehen gehabt habe. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist sei nicht zu gewähren. Wegen des Grundsatzes der formellen Publizität von Gesetzen könne sich die Klägerin nicht auf die Unkenntnis der Rechtslage berufen. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch komme nicht in Betracht. Im Schreiben vom 1. Oktober 2019 sei die Klägerin auf die gesetzlichen Befreiungsmöglichkeiten hingewiesen worden.

Die Klägerin hat am 24. Februar 2020 gegen den Bescheid vom 8. November 2019 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 5. Dezember 2019 und 3. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2020 bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben.

Am 2. April 2020 hat die Klägerin zudem gegen den Bescheid vom 19. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2020 bei dem Sozialgericht Magdeburg Klage erhoben, die mit Beschluss vom 20. April 2020 an das örtlich zuständige Sozialgericht Berlin verwiesen und unter dem Az. S 208 KR 714/20 registriert worden ist. Diese Klage ist vom Sozialgericht Berlin zum hiesigen Verfahren verbunden worden (Beschluss vom 8. Oktober 2020).

Die Klägerin und ihre Schwester haben zum 1. Juli 2020 den landwirtschaftlichen Betrieb unter sich aufgeteilt und die Erbengemeinschaft aufgelöst. Seither bewirtschaftet die Klägerin eine Fläche von 78,67 ha (64,38 ha Mähdreschfrüchte, 14,25 ha Zuckerrüben, 0,04 ha Stilllegung/Pflege) alleine.

Mit Bescheid der Beklagten vom 10. August 2020 sind die Beiträge für die Zeit ab 1. Juli 2020 bis laufend auf Grundlage eines korrigierten Flächenwertes von 85.502,00 Euro und der Beitragsklasse 17 neu festgesetzt werden. Der monatliche Beitrag belief sich auf 635,12 Euro (540,53 Euro KV/94,59 Euro PV).

Mit Bescheid der Beklagten vom 5. Januar 2021 sind die Beiträge für die Zeit ab 1. Januar 2021 erneut neu festgesetzt worden. Der monatliche Beitrag belief sich auf 612,21 Euro (521,03 Euro KV/91,18 Euro PV). Mit Bescheid vom 22. März 2021 sind Beiträge für das Jahr 2021 in Höhe von 303,84 Euro erstattet worden. Der Klägerin wurde der Beitragsanteil aus der Rente, der gemeinsam mit dem Beitrag aus der landwirtschaftlichen Unternehmertätigkeit den Beitrag der höchsten Beitragsklasse überschritt, erstattet.

Mit Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2022 sind die Beiträge für die Zeit ab 1. Januar 2022 neu festgesetzt worden. Der monatliche Beitrag belief sich auf 613,25 Euro (521,03 Euro KV/92,22 Euro PV). Mit Bescheid vom 23. März 2022 sind Beiträge für das Jahr 2022 in Höhe von 179,34 Euro erstattet worden.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 10. Juni 2022 abgewiesen. Die Klage sei hinsichtlich des Hauptantrags, mit dem die Aufhebung des Bescheides vom 8. November 2019 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 5. Dezember 2019, 3. Januar 2020, 10. August 2020, 5. Januar 2021 und 19. Januar 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2020 und die Feststellung der als landwirtschaftliche Unternehmerin nicht bestehenden Pflichtversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung der Landwirte begehrt werde, zulässig, aber unbegründet. In der KVdL seien nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 Unternehmer der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Wein- und Gartenbaus sowie der Teichwirtschaft und der Fischzucht (landwirtschliche Unternehmer) versicherungspflichtig, deren Unternehmen, unabhängig vom jeweiligen Unternehmer, auf Bodenbewirtschaftung beruhe und die Mindestgröße erreiche. Ein Unternehmen der Landwirtschaft erreiche die Mindestgröße, wenn sein Wirtschaftswert einen von der landwirtschaftlichen Alterskasse unter Berücksichtigung der örtlichen oder regionalen Gegebenheiten festgesetzten Grenzwert erreiche. Seit dem 1. Januar 2014 gelten nach dem Mindestgrößenbeschluss der landwirtschaftlichen Alterskasse vom 20. November 2013 nach Produktionsverfahren (Unternehmsteile) differenzierte, bundeseinheitliche Mindestgrößen. Bei Unternehmen, die sich - wie hier - aus verschiedenen Unternehmensteilen zusammensetzten (Gemischtunternehmen), sei laut dem Mindestgrößenbeschluss die Mindestgröße gegeben, wenn die jeweils festgesetzte Mindestgröße von einem Unternehmensteil erreicht werde. Bei Unternehmen der Landwirtschaft einschließlich Grünland liege die Mindestgröße bei 8 ha. Unternehmer sei, wer seine berufliche Tätigkeit selbständig ausübe.

Die Klägerin erfülle seit dem Erbfall diese Voraussetzungen. Sie habe zunächst in Erbengemeinschaft mit ihrer Schwester eine landwirtschaftliche Fläche von ca. 160 ha bewirtschaftet, von der allein die auf Mähdrusch entfallende Fläche ca. 80 ha betragen habe. Seit 1. Juli 2020 bewirtschafte sie eine Fläche von ca. 80 ha alleine, hiervon entfalle allein ein Areal von 64,38 ha auf Mähdrusch. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei es nicht relevant, ob sie das landwirtschaftliche Unternehmen hautberuflich oder nebenberuflich betreibe. Da § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 keine Altersgrenze vorsehe, führe der Umstand, dass die Klägerin erst im Rentenalter den landwirtschaftlichen Betrieb geerbt habe, nicht zu einer anderen Bewertung. Das Gesetz sehe hierfür keinen Ausnahmetatbestand vor. Auch der Umstand, dass die Klägerin nicht die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 KVLG 1989 erfülle, führe zu keiner anderen Beurteilung. Es handele sich bei dieser Vorschrift nicht um eine abschließende Regelung für Rentner. Die Annahme der Klägerin, dass bei Rentnern, die § 2 Abs. 1 Nr. 5 KVLG 1989 nicht unterfallen würden, im Umkehrschluss § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 nicht unterfallen könnten, finde keine Grundlage im Gesetz. Im Übrigen habe § 2 Abs. 1 Nr. 5 KVLG 1989 einen eigenständigen Anwendungsbereich für diejenigen landwirtschaftlichen Unternehmer, die in Rente gingen und ihren Betrieb nicht weiterbetreiben würden. Auch der Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 4a Satz 1 KVLG 1989, wonach nicht versicherungspflichtig ist, wer außerhalb der Land- und Forstwirtschaft hauptberuflich selbständig erwerbstätig ist, liege nicht vor. Eine selbständige Erwerbstätigkeit habe die Klägerin als Rentnerin neben der Landwirtschaft nicht ausgeübt. Die Versicherungspflicht in der KVdL gehe auch einer etwaigen Versicherungspflicht in der KVdR vor. Denn gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 KVLG 1989 bestehe Vorrang der Versicherungspflicht nach diesem Gesetz für die in § 5 Abs. 1 Nr. 11 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) genannten Rentner, wenn sie nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 versicherungspflichtig seien, was hier der Fall sei. Berechnungsfehler hinsichtlich der Beitragseinstufung seien nicht erkennbar.

Die Klage sei hinsichtlich des Hilfsantrags betreffend die Aufhebung der die Befreiung ablehnenden Bescheide und die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin von der Versicherungspflicht zu befreien, ebenfalls unbegründet. Der Antrag sei innerhalb von drei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht zu stellen gewesen und innerhalb dieser Frist nicht gestellt worden. Der Befreiungsantrag sei verspätet eingegangen. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist sei nicht in Betracht gekommen. Selbst wenn § 4 Abs. 2 KVLG 1989 sich dahingehend auslegen ließe, dass bei Versäumung der Frist eine Wiedereinsetzung zulässig sein sollte, sei die Klägerin nicht ohne ihr Verschulden verhindert gewesen, die Frist einzuhalten. Die Versicherungs- und Beitragspflicht trete unmittelbar mit der Verwirklichung des sie begründenden Tatbestandes kraft Gesetzes ein und nicht durch einen Feststellungsbescheid der Beklagten. Es komme nicht auf den Willen und das Bewusstsein der Beteiligten an. Die Beklagte habe eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zu Recht ausgeschlossen. Dies folge aus dem Grundsatz der Publizität von Gesetzen, wonach diese mit ihrer Veröffentlichung als allen Normadressaten als bekannt gelten. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, so behandelt zu werden, als hätte sie den Befreiungsantrag rechtzeitig gestellt, bestehe ebenfalls nicht. Die Beklagte sei ihrer Aufklärungspflicht hinreichend nachgekommen, indem sie im Schreiben vom 1. Oktober 2019 auf die Befreiungsmöglichkeit hingewiesen habe. Dass die Beklagte die Klägerin nicht früher aufgeklärt habe, sei ihr nicht vorzuwerfen, da sie erst durch die Mitteilung des Katasters der Berufsgenossenschaft am 30. September 2019 von den Änderungen der Verhältnisse erfahren habe. Wäre die Klägerin ihrer Pflicht nach § 27 Abs. 1 KVLG 1989, die Aufnahme der Tätigkeit als landwirtschaftliche Unternehmerin innerhalb von zwei Wochen bei der Beklagten zu melden, nachgekommen, hätte die Beklagte einen früheren Hinweis auf die Befreiungsmöglichkeit erteilen können.

Gegen das ihr am 22. Juni 2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin, vertreten durch die Rentenberatung P, am 29. Juni 2022 Berufung eingelegt; später hat die Rentenberatung ihr Mandat niedergelegt. Zur Begründung führt sie aus, dass aus § 2 Abs. 1 Nr. 5 KVLG 1989 klar hervorgehe, dass bei über 65-jährigen Versicherten kein typischer Fall eines landwirtschaftlichen Unternehmens vorliege. Es handele sich bei der Klägerin um eine über 65-jährige Versicherte, die aufgrund eines Erbes erstmals mit einer „angeblichen“ Pflichtversicherung in der KVdL konfrontiert werde und damit um einen atypischen Fall. Außerdem sei die Klägerin nicht über die Befreiungsmöglichkeit aufgeklärt worden. Die Antragsfrist zur Befreiung von der Versicherungspflicht sei noch nicht abgelaufen, da gegen den Bescheid zum Vorliegen der Versicherungspflicht fristgemäß Widerspruch erhoben worden sei und das Verfahren nach wie vor anhängig sei. Die Tätigkeit als landwirtschaftliche Unternehmerin sei als nachrangig zu betrachten und vom zeitlichen Umfang als eher gering einzustufen.

Mit Bescheid der Beklagten vom 6. Januar 2023 ist die Höhe der Beiträge für die Zeit ab 1. Januar 2023 neu festgesetzt worden. Der monatliche Beitrag hat sich auf 658,61 Euro belaufen (561,00 Euro KV/97,61 Euro PV). Mit Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2023 sind die Beiträge für die Zeit ab 1. Juli 2023 auf monatlich 669,83 Euro (561,00 Euro KV/108,83 Euro PV) neu festgesetzt worden. Mit einem weiteren Bescheid vom 4. Januar 2023 sind die Beiträge für Zeit ab 1. Januar 2024 neu festgesetzt worden. Der monatliche Beitrag beläuft sich auf 724,22 Euro (606,55 Euro KV/117,67 Euro PV). Mit Bescheiden vom 6. Februar 2023 und 23. Februar 2024 sind Beiträge in Höhe von 15,90 Euro bzw. 416,94 Euro erstattet worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juni 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. November 2019 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 5. Dezember 2019 und 3. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2020 und die Bescheide vom 10. August 2020, 5. Januar 2021, 19. Januar 2022, 6. Januar 2023, 10. Juli 2023 und vom 4. Januar 2024 aufzuheben und festzustellen, dass sie seit dem 27. Februar 2019 nicht als landwirtschaftliche Unternehmerin in der Kranken- und Pflegeversicherung der Landwirte pflichtversichert ist,

hilfsweise,

den Bescheid vom 19. Februar 2020 der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als landwirtschaftliche Unternehmerin von der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung der Landwirte zu befreien.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Zu den Voraussetzungen einer Befreiung von der Versicherungspflicht führt sie ergänzend aus, dass eine Befreiung nach § 4 Abs. 2 Satz 4 KVLG 1989 erst ergehen könne, wenn ein anderweitiger Krankenversicherungsschutz nachgewiesen sei. Einen anderweitigen Versicherungsschutz habe die Klägerin weder nachgewiesen, noch habe sie einen solchen geltend gemacht.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§ 143, § 144 Abs. 1, § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Einlegung der Berufung durch die bereits im erstinstanzlichen Verfahren mandatierte Rentenberatung Pnach § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGG war wirksam, auch wenn die Rentenberatung nicht vertretungsbefugt war, weil es sich vorliegend, worauf das Sozialgericht im erstinstanzlichen Verfahren bereits zutreffend hingewiesen hatte, um eine Streitigkeit außerhalb der Befugnisse des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, auch in Verbindung mit Satz 2, des Rechtsdienstleistungsgesetzes handelt. Nach § 73 Abs. 3 Satz 2 SGG bleiben bis zur Zurückweisung, zu der es hier nicht einmal gekommen ist, vorgenommene Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten sowie Zustellungen oder Mitteilungen in Verfahren vor den Tatsacheninstanzen an diesen wirksam (B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 73 Rn. 35). Die Prozesshandlungen sind im Berufungsverfahren nicht zurückgewiesen worden, das Mandat ist inzwischen niedergelegt worden. Die Klägerin wird nunmehr durch eine Rechtsanwältin nach § 78 Abs. 2 Satz 1 SGG vertreten.  

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens sind in Bezug auf den Hauptantrag der Klägerin die Bescheide der Beklagten vom 8. November 2019 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 5. Dezember 2019 und 3. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2020 und die gemäß § 153 Abs. 1 SGG, § 96 Abs. 1 SGG zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Beitragsbescheide der Beklagten vom 10. August 2020, 5. Januar 2021, 19. Januar 2022, 6. Januar 2023, 10. Juli 2023 und 4. Januar 2024, die die Höhe der Beiträge für die Zeit ab 1. Juli 2020, 1. Januar 2021, 1. Januar 2022, 1. Januar 2023, 1. Juli 2023 und 1. Januar 2024 jeweils neu festgesetzt haben, sowie in Bezug auf den Hilfsantrag der Bescheid vom 19. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2020.

Sämtliche Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 SGG. Die Klägerin unterliegt seit dem Erbfall am 26. Februar 2019 der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung der Landwirte nach dem KVLG 1989 (i. d. F. des Gesetzes vom 16. Februar 2001, BGBl. I 266). Das Sozialgericht hat die kombinierte Anfechtungs- und negative Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) in Bezug auf den Hauptantrag und die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) in Bezug auf den Hilfsantrag mit Urteil vom 10. Juni 2022 zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat sich mit dem Hauptantrag erstinstanzlich nicht auf die Anfechtung der die Versicherungs- und Beitragspflicht feststellenden Bescheide beschränkt, sondern zulässigerweise im Wege der negativen Feststellungsklage § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGGbeantragt,das Nichtbestehen der Versicherungspflicht ausdrücklich feststellen zu lassen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 23. April 2015 – B 5 RE 23/14 R – juris Rn. 12). Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden zutreffend festgestellt, dass die Klägerin der Versicherungspflicht als landwirtschaftliche Unternehmerin mit der Bewirtschaftung der erforderlichen Mindestgrößen in der Kranken- und Pflegeversicherung der Landwirte nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 und als solche einer entsprechenden Beitragspflicht in Höhe der nach § 39 Abs. 1 KVLG 1989 i. V. m. § 40 Abs. 1 KVLG 1989 i. V. m. der Satzung der SVLFG in der jeweils geltenden Fassung  in Höhe der festgesetzten Beiträge unterliegt, so dass kein Anspruch auf Aufhebung der Bescheide und eine negative Feststellung der nicht bestehenden Versicherungspflicht besteht (unter 1.). Zudem hat die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 19. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17. März 2020 den klägerischen Hilfsantrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht zutreffend als verspätet abgelehnt. Die Klägerin hat keinen Anspruch nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KVLG 1989 von der Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 befreit zu werden (unter 2.).

1. Die Klägerin war mit dem Erbfall am 26. Februar 2019, mit dem sie als Miterbin zusammen mit ihrer Schwester ihre landwirtschaftliche Tätigkeit aufgenommen hat, versicherungspflichtig in der KVdL, denn sie erfüllte ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 . Danach sind in der KVdL versicherungspflichtig Unternehmer der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Wein- und Gartenbaus sowie der Teichwirtschaft und Fischzucht (landwirtschaftliche Unternehmer), deren Unternehmen, unabhängig vom jeweiligen Unternehmer, auf Bodenbewirtschaftung beruht und die Mindestgröße erreicht, § 1 Abs. 5 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte gilt insoweit. Unternehmer i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 ist, wer seine berufliche Tätigkeit selbständig ausübt, § 2 Abs. 3 Satz 1 KVLG 1989. Die Klägerin übt ihre Tätigkeit als Landwirtin als Selbständige aus, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist. Sie ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 KVLG 1989 als landwirtschaftliche Unternehmerin eines Betriebes im Umfang der nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 erforderlichen Mindestgröße mit dem Erbfall in der KVdL versicherungspflichtig. Die Versicherungspflicht in der KVdL tritt mit dem Vorliegen der Voraussetzungen kraft Gesetzes ein, ohne dass es hierzu eines feststellenden Verwaltungsaktes oder einer Kenntniserlangung der Versicherten hiervon bedarf. Dies verdeutlicht § 22 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989, der für den Beginn der Mitgliedschaft allein an den Tag der Aufnahme der Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer anknüpft, während die Mitgliedschaft der nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 und 5 KVLG 1989 Versicherungspflichtigen erst mit deren Aufnahme in das Mitgliederverzeichnis beginnt, § 22 Abs. 1 Nr. 2 KVLG 1989 (BSG, Urteil vom 9. November 2011 – B 12 KR 21/09 R – juris Rn. 17, Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Juni 2023 – L 1 KR 435/19 – juris Rn. 46; Hecheltjen, in jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl. 2023, § 2 Rn. 184).

Ein Unternehmen der Landwirtschaft erreicht die Mindestgröße gemäß § 1 Abs. 5 Satz 1 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG - in der Fassung vom 29. Juli 1994, BGBl. I 1890), wenn sein Wirtschaftswert einen von der landwirtschaftlichen Alterskasse im Einvernehmen mit dem Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten festgesetzten Grenzwert erreicht; der Ertragswert für Nebenbetriebe bleibt hierbei unberücksichtigt. Hierbei handelt es sich um die Legaldefinition für den in § 1 Abs. 2 Satz 1 ALG eingeführten Begriff der Mindestgröße. Die Mindestgröße im Sinne einer Untergrenze der Versicherungspflicht stellt eine abstrakte Größe dar, die sich nicht an der aktuellen bäuerlichen Existenzgrundlage orientiert (BSG, Urteil vom 27. Mai 2004 – B 10 LW 16/02 R – juris Rn. 17, 27; Mushoff, in: jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Auflage 2023, § 1 ALG Rn. 151). Seit dem 1. Januar 2014 gelten nach dem Beschluss der Vertreterversammlung der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau vom 20. November 2013 nach Produktionsverfahren (Unternehmensteile) differenzierte, bundeseinheitliche Mindestgrößen (s. Mindestgrößenbeschluss der landwirtschaftlichen Alterskasse vom 20. November 2013).

Nach dem Mindestgrößenbeschluss ist bei Unternehmen, die sich wie vorliegend aus verschiedenen Unternehmensteilen zusammensetzen (Gemischtunternehmen), die Mindestgröße erreicht, wenn sie bereits von einem Unternehmensteil erreicht wird. Erreicht ein Unternehmensteil die für seine Bewirtschaftungsart festgesetzte Mindestgröße nicht, so ist die Mindestgröße gegeben, wenn der fehlende prozentuale Anteil durch einen entsprechenden Anteil eines oder mehrerer Unternehmensteile ergänzt wird. Die Mindestgröße bei dem Produktionsverfahren Landwirtschaft einschließlich Grünland ist nach dem Mindestgrößenbeschluss bereits bei 8 ha erreicht.

Nach diesen Bestimmungen ist die Klägerin als selbständige Unternehmerin in der KVdL versicherungspflichtig (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 1 KVLG 1989). Die Klägerin betrieb mit dem Erbfall am 26. Februar 2019 bis 30. Juni 2020 zunächst in Erbengemeinschaft mit ihrer Schwester als Unternehmerin einen landwirtschaftlichen Betrieb als Gemischtunternehmen im Bereich des Zuckerrüben-, Gemüse-, Mähdruschfrüchte- und Futtermittelanbaus sowie Gartenanbaus. Allein im Bereich des Zuckerrüben-, Gemüse- und Mähdruschfrüchteanbaus wurde die jeweilige Mindestgröße von 8 ha während der Dauer der Miterbengemeinschaft jeweils deutlich überschritten. Sind an einem Unternehmen mehrere Personen - wie hier zeitweise die gemeinschaftlichen Erben - beteiligt, so kommt es für die Versicherungspflicht nur darauf an, dass das ungeteilte Unternehmen die Mindestgröße erreicht (BSG, Urteil vom 9. Februar 1971 – 11 RLw 6/69 – juris; Hessisches LSG, Urteil vom 22. Februar 2013 – L 5 R 311/11 – juris Rn. 26). Die Klägerin ist auch im Übrigen während der Erbengemeinschaft als landwirtschaftliche Unternehmerin im Sinne der KVdL anzusehen und zwar unabhängig vom hier nicht bekannten Versicherungsstatus ihrer miterbenden Schwester. Mitglieder einer Erbengemeinschaft gelten zwar grundsätzlich als Mitunternehmer (vgl. Bundesfinanzhof, Urteil vom 5. Juli 1990 – GrS 2/89 – juris). Für die Mitgliedschaft in der KVdL gibt es jedoch Ausnahmen. So hat das Bundessozialgericht entschieden, dass bei einer Erbengemeinschaft nicht unbedingt alle Miterben gleichzeitig auch landwirtschaftliche Unternehmer sein müssen, wenn dies auch in der Regel der Fall sein werde. Es könne auch Fälle geben, in welchen nur ein Miterbe oder nur einige Miterben das landwirtschaftliche Unternehmen betrieben und nur sie, nicht aber die übrigen Miterben landwirtschaftliche Unternehmer seien (BSG, Urteil vom 26. Februar 1969 - 7 RLw 26/66 - juris Rn. 19; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. März 2016 - L 10 LW 1722/15 - juris).

Der Beginn der Unternehmereigenschaft der Klägerin fiel auch mit dem Erbfall nach § 1922 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und dem Anfall der Erbschaft nach § 1942 Abs. 1 BGB zusammen. Die Klägerin ist im Wege der gesetzlichen Erbfolge nach § 1925 Abs. 1 BGB Miterbin ihres Bruders geworden. Die Erbschaft fällt dem Erben - auch dem Miterben nach § 1922 Abs. 2 BGB - mit dem Tod des Erblassers an. Mit dem Erbschaftsanfall geht der Nachlass des Erblassers im Ganzen mit allen Aktiva und Passiva auf den Erben über. Anfall bedeutet den vorläufigen Erwerb der Erbschaft, der aber durch Ausschlagung noch rückgängig gemacht werden kann, § 1942 Abs. 1 BGB (Heinemann, in: beck-online.Grosskommentar § 1942 BGB, Stand: 1. September 2024, Rn. 10, 12, 24). Der Erbfall nach § 1922 Abs. 1 BGB und der Erbschaftsanfall nach § 1942 Abs. 1 BGB fallen regelmäßig zusammen. § 1942 Abs. 1 BGB ist zwingendes Recht, der Erblasser kann den Anfall nicht aufschieben. Die Klausel, jemand werde Erbe, „falls er nicht ausschlägt“, ändert nichts am sofortigen Anfall (Stürner, in: Jauernig, BGB, 19. Auflage 2023 § 1942 Rn. 2).

Nach § 22 Abs. 1 KVLG 1989 ist für den Beginn der Mitgliedschaft in der KVdL allein der Tag der Aufnahme der Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer maßgeblich. Für den Zeitpunkt des Beginns der Tätigkeit der Klägerin als landwirtschaftliche Unternehmerin ist vorliegend zur Überzeugung des Senats weder auf den Ablauf der Frist zur Ausschlagung des Erbes nach § 1944 Abs. 1 BGB noch auf die Erteilung des Erbscheins nach § 2353 BGB abzustellen, sondern vielmehr allein auf den Erbfall am 26. Februar 2019.

Die Ausschlagungsfrist nach § 1944 Abs. 1 BGB beträgt sechs Wochen und beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grund der Berufung Kenntnis erlangt, § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB. Die Frist läuft für jeden Miterben gesondert. Die Ausschlagungsberechtigung endet, sobald der Erbe seinen Entschluss, die Erbschaft zu behalten, nach außen erkennbar werden lässt, spätestens aber mit Ablauf der gesetzlichen Ausschlagungsfrist. Die Annahme des Erbes durch schlüssiges Verhalten setzt eine nach außen erkennbare Handlung des Erben voraus, aus der unter Berücksichtigung der Umstände der Schluss zu ziehen ist, der Erbe habe sich zur endgültigen Übernahme des Nachlasses entschlossen (Leipold, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 1943 Rn. 1, 4). Mit dem Tod eines Landwirts geht dessen Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf den oder die Erben über, § 1922 BGB. Hiervon zu trennen ist die unternehmerische Tätigkeit des Erben. Wer die Rechte an einem Unternehmen erbt, ist nicht automatisch selbst Unternehmer. So beginnt im Steuerrecht nach Nr. 19 der Umsatzsteuer-Richtlinien die Unternehmereigenschaft (im Sinne von § 2 Umsatzsteuergesetz) (erst) mit dem ersten nach außen erkennbaren, auf eine Unternehmertätigkeit gerichteten Tätigwerden, wenn die spätere Ausführung entgeltlicher Leistungen beabsichtigt ist (Verwendungsabsicht) und die Ernsthaftigkeit dieser Absicht durch objektive Merkmale nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wird (Nr. 19 Abs. 1 Satz 1 Umsatzsteuer-Richtlinien). In der KVdL ist das Ende der Mitgliedschaft nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 KVLG 1989 an die Aufgabe der Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer, also an einen Realakt, gekoppelt. Realakte sind auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtete Willensbetätigungen, die kraft Gesetzes eine Rechtsfolge hervorbringen, ohne Rücksicht darauf, ob sie von dem Handelnden gewollt ist oder nicht (BSG, Urteil vom 27. August 1998 – B 10 KR 5/97 R – juris Rn. 26, 28). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Unternehmertätigkeit grundsätzlich erst mit dem Verstreichenlassen der sechswöchigen Frist zur Erbausschlagung nach § 1944 Abs. 1 BGB beginnt (vgl. in diesem Sinne im Fall einer Testamentseröffnung LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Juni 2023 – L 1 KR 435/19 – juris Rn. 45, anhängig BSG - B 12 KR 7/23 R -). Denn eine Verschiebung des Beginns der landwirtschaftlichen Tätigkeit auf den Ablauf der Ausschlagungsfrist nach § 1944 Abs. 1 BGB oder - wie die Klägerin meint - auf die Erteilung des Erbescheins findet keine Stütze im KVLG 1989. Für die Unternehmereigenschaft nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 kommt es allein auf die Aufnahme der Unternehmertätigkeit an, die vorliegend am 26. Februar 2019 eingetreten ist. Es liegen hier weder Anhaltspunkte dafür vor, noch hat die Klägerin ebensolche vorgetragen, dass sie die Tätigkeit als landwirtschaftliche Unternehmerin faktisch erst irgendwann später nach dem Erbschaftsanfall bzw. nach Ablauf der Ausschlagungsfrist aufgenommen hat. Vielmehr ist der Senat auch nach dem Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, wonach sie den jahrhundertealten landwirtschaftlichen Familienbetrieb nach dem Tod ihres Bruders unmittelbar fortsetzen wollte, davon überzeugt, dass die Klägerin sogleich mit dem Erbfall als landwirtschaftliche Unternehmerin nach außen aufgetreten ist. Dass der Beginn der Tätigkeit als landwirtschaftliche Unternehmerin erst mit dem Zeitpunkt der Erteilung des Erbscheins eintreten soll, überzeugt ebenfalls nicht. Denn der Erbschein dient als Zeugnis über das Erbrecht des Erben und bescheinigt lediglich klarstellend die Erbfolge. Er hat eine rein feststellende Funktion, ohne das Erbe inhaltlich zu gestalten (vgl. Sieghörtner, in: beck-online.Grosskommentar, Stand: 1. Oktober 2024, § 2353 BGB, Rn. 89, 93).

Auch nach der Erbauseinandersetzung zum 1. Juli 2020 ist die Mindestgröße des landwirtschaftlichen Unternehmens der Klägerin nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 noch erreicht, denn allein die Fläche der Mähdruschfrüchte im Umfang von 64,38 ha und der Zuckerrüben im Umfang von 14,25 ha überschreitet die Mindestgröße nach dem Mindestgrößenbeschluss von jeweils 8 ha für das hier allein in Betracht kommende Produktionsverfahren Landwirtschaft einschließlich Grünland deutlich.

Die Voraussetzungen, unter denen eine Versicherungspflicht in der KVdL ausnahmsweise nicht besteht oder gegenüber einer Versicherungspflicht nach anderen Vorschriften nachrangig ist, sind seit Beginn der unternehmerischen Tätigkeit nicht erfüllt. Weder ist die Klägerin als Altersrentnerin außerhalb der Land- und Forstwirtschaft hauptberuflich selbständig erwerbstätig nach § 2 Abs. 4a Satz 1 KVLG 1989, noch ist sie als abhängig Beschäftigte nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V vorrangig versicherungspflichtig, § 3 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 1a KVLG 1989, § 5 Abs. 1 Nr. 3 SGB V. Ihre Versicherungspflicht als landwirtschaftliche Unternehmerin geht auch, worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat, einer Versicherungspflicht in der KVdR vor. Denn nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 KVLG 1989 besteht Vorrang der Versicherungspflicht nach dem KVLG 1989 für die in § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V genannten Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und eine solche beantragt haben sowie eine bestimmte Vorversicherungszeit (sog. 9/10 Belegung) vorweisen können, wenn sie wie hier nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 versicherungspflichtig sind (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Juli 2021 – L 11 KR 2320/19 – juris Rn. 38).

Entgegen der Ansicht der Klägerin schließt auch die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 5 KVLG 1989 eine Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 nicht aus. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 KVLG 1989 sind Personen in der Krankenversicherung der Landwirte versicherungspflichtig, die die Regelaltersgrenze nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte erreicht haben und während der letzten fünfzehn Jahre vor Erreichen der Regelaltersgrenze mindestens sechzig Kalendermonate als landwirtschaftliche Unternehmer nach Nummer 1 oder 2 oder als mitarbeitende Familienangehörige nach Nummer 3 versichert waren, sowie die überlebenden Ehegatten und eingetragenen Lebenspartner (Lebenspartner) dieser Personen. Der Tatbestand § 2 Abs. 1 Nr. 5 KVLG 1989 erfasst eine spezielle Personengruppe, ohne damit Altersrentner von einer Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 generell auszuschließen. Es handelt sich bei der Personengruppe nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 KVLG 1989 um Personen, die bei Eintritt der Versicherungspflicht gerade keine landwirtschaftlichen Unternehmer (mehr) sind, während ihres aktiven Berufslebens jedoch eine nicht unbeträchtliche Zeit ihren Lebensunterhalt aus einer Tätigkeit in der Landwirtschaft bestritten haben, die aber keine Rentenleistungen nach dem früheren, bis 1994 geltenden Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) – heute: ALG - erhalten. Diese ehemaligen landwirtschaftlichen Unternehmer und mitarbeitenden Familienangehörigen hätten Rentenansprüche erworben, wenn sie entsprechend versichert gewesen wären. Ihnen muss nach dem Willen des Gesetzgebers der Krankenversicherungsschutz im Alter genauso zustehen wie während ihres aktiven Berufslebens. Wie bei den Leistungsempfängern von Alterssicherung ist auch bei den nach Nummer 5 Versicherten davon auszugehen, dass Flächen, deren Weiterbewirtschaftung dem Leistungsbezug aus der Alterssicherung nicht entgegenstehen würden, nur zur Deckung des Eigenbedarfs dienen (s. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG), BT-Drs. VI/3012, S. 27). Im Übrigen wird auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Fehler in den Berechnungen der Beklagten zur Beitragspflicht sind von der Klägerin nicht vorgebracht worden und auch sonst nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin meint, dass die gesetzliche Altersrente der Beitragsberechnung nicht zusätzlich zugrunde gelegt werde dürfe, ist auf § 39 Abs. 1 Nr. 1, 2 KVLG 1989 zu verweisen, wonach bei versicherungspflichtigen landwirtschaftlichen Unternehmern nicht nur das Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft, sondern auch der Zahlbetrag der Renten nach § 228 SGB V der Beitragsbemessung zugrunde zu legen ist.

 

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KVLG 1989 von der Pflichtversicherung aufgrund § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 befreit zu werden.

Auf Antrag wird nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KVLG 1989 von der Versicherungspflicht nach § 2 befreit, wer durch seine Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer versicherungspflichtig wird, wenn der Wirtschaftswert (§ 40 Abs. 1 und 3) seines landwirtschaftlichen Unternehmens 60.000 Deutsche Mark übersteigt. Der Antrag ist nach § 4 Abs. 2 Satz 1 KVLG 1989 innerhalb von drei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht zu stellen. Maßgebend für den Fristbeginn ist der Eintritt der Versicherungspflicht, an den die Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 1 KVLG 1989 anknüpft. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 KVLG 1989 setzt das Recht auf Befreiung nicht voraus, dass der Antragsteller erstmals versicherungspflichtig wird. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass ein Recht auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Landwirte auch dann besteht, wenn unmittelbar vor Eintritt eines Befreiungstatbestandes bereits eine Versicherungspflicht aus einem anderen Grund bestanden hat (BSG, Beschluss vom 2. Oktober 2024 - B 12 KR 23/23 B – juris Rn. 11).

Der Senat geht unter Zugrundelegung der von der Beklagten ermittelten korrigierten und den angefochtenen Bescheiden zugrundeliegenden Flächenwerten davon aus, dass der Flächenwert von 60.000 DM von dem landwirtschaftlichen Unternehmen der Klägerin seit dem Beginn der Tätigkeit jeweils überschritten wurde.

Die Klägerin war aufgrund ihres Antrags vom 18. Februar 2020 nicht von der Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung zu befreien. Denn der Antrag war verspätet, ohne dass der Klägerin wegen der nach § 4 Abs. 2 Satz 1 KVLG 1989 versäumten Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre oder sie nach den Grundsätzen über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch so zu stellen wäre, als hätte sie den Antrag rechtzeitig gestellt.

Die Antragsfrist nach § 4 Abs. 2 Satz 1 KVLG 1989 begann am Tag nach Eintritt der Versicherungspflicht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989, also hier am 27. Februar 2019. An den Eintritt der Versicherungspflicht knüpft § 4 Abs. 2 Satz 1 KVLG 1989 nach seinem eindeutigen Wortlaut für den Beginn der Antragsfrist an. Die Frist endete drei Monate später am 27. Mai 2019 (§ 26 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Gleichzeitig schließt der Wortlaut des § 4 Abs. 2 Satz 1 KVLG 1989 eine Antragstellung nach Ablauf der ersten drei Monate nach Eintritt der Versicherungspflicht aus (Hecheltjen, in: jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Auflage 2023, § 4 Rn. 50, 51). Anders als die Klägerin meint, verlängert sich die gesetzliche Antragsfrist auch nicht für die Dauer eines Rechtsstreits um die Versicherungspflicht in der KVdL.

Die Einräumung einer Möglichkeit zur Antragstellung aus Anlass einer erst nach Ablauf der Drei-Monats-Frist des § 4 Abs. 2 Satz 1 KVLG 1989 erfolgten Feststellung der Versicherungspflicht ist auch nicht von Verfassungs wegen geboten. Zwar hat die Gruppe derjenigen, deren Versicherungspflicht noch während der ersten drei Monate nach ihrem Eintritt durch die landwirtschaftliche Krankenkasse festgestellt wird, gegenüber der Gruppe derjenigen, deren Versicherungspflicht erst zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt wird, den Vorteil, ggf. auch ohne eine regelmäßig vorangegangene Anzeige der Aufnahme einer landwirtschaftlichen Unternehmertätigkeit so zeitig auf die Versicherungspflicht hingewiesen worden zu sein, dass ein fristgerechter Befreiungsantrag noch möglich ist. Der mit dem Fehlen eines solchen Hinweises verbundene Nachteil derjenigen, deren Versicherungspflicht erst zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt wird, rechtfertigt sich jedoch aus der Konzeption des KVLG 1989, das eine Versicherungspflicht von Unternehmern begründet. In deren Rahmen obliegt es dem Unternehmer, von sich aus den an die Aufnahme seiner Tätigkeit anknüpfenden Verpflichtungen nachzukommen und im Zweifelsfall eine Klärung über Bestehen und Umfang dieser Pflichten herbeizuführen. Neben Melde- und Anzeigepflichten des Unternehmens-, Gewerbe- und Steuerrechts sowie den sozialrechtlichen Meldepflichten nach § 28a SGB IV gehört hierzu auch die Verpflichtung nach § 27 Abs. 1 KVLG 1989, die Aufnahme der Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer sowie alle sonstigen die Versicherungspflicht und Beitragshöhe sowie die Mitgliedschaft berührenden Tatbestände innerhalb von zwei Wochen der landwirtschaftlichen Krankenkasse zu melden. Kommt der Unternehmer dieser Verpflichtung nicht nach, kann er sich nicht auf eine erst nach Ablauf der Antragsfrist des § 4 Abs. 2 Satz 1 KVLG 1989 rückwirkend erfolgte Feststellung der Versicherungspflicht berufen. Dem vergleichbar hat es das Bundesverfassungsgericht als mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar angesehen, wenn einem selbstständigen Lehrer die Befreiungsmöglichkeit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 231 Abs. 6 SGB VI nur deshalb verschlossen ist, weil diese Versicherungspflicht in seinem Fall im Unterschied zu anderen selbstständigen Lehrern bereits vor dem Stichtag 31. Dezember 1998 durch den Rentenversicherungsträger festgestellt worden war (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. Juni 2007 – 1 BvR 2204/00, 1 BvR 1355/03 – juris Rn. 34 ff., 41 ff.). Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht auch in der Beitragsnacherhebung bei verspäteter und unvollständiger Erfassung des versicherten Personenkreises keinen Verfassungsverstoß gesehen, sofern der Gesetzgeber u. a. durch eine Meldepflicht - wie hier nach § 27 KVLG 1989 - Maßnahmen zur Erfassung des betroffenen Personenkreises trifft (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. Juni 2007 – 1 BvR 2204/00, 1 BvR 1355/03 – juris Rn. 34 ff.; BSG, Urteil vom 9. November 2011 - B 12 KR 21/09 R – juris Rn. 20).

Der Klägerin war wegen der versäumten Frist zur Beantragung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu gewähren (vgl. BSG, Urteil vom 9. November 2011 - B 12 KR 21/09 R – juris Rn. 25). Die Klägerin war, worauf das Sozialgericht bereits zutreffend hingewiesen hat, anders als in § 27 Abs. 1 SGB X gefordert, nicht ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten. Nach § 27 Abs. 1 SGB X darf die Fristversäumnis nicht auf fahrlässiger Unkenntnis der maßgeblichen Umstände beruhen. Nach dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen gelten diese mit ihrer Verkündung allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese individuell und tatsächlich Kenntnis erlangt haben (BSG, Urteil vom 24. November  2005 – B 12 RA 9/03 R – juris Rn. 19). Eine Unkenntnis solcher Rechte, deren befristete Ausübung das Gesetz selbst ausdrücklich regelt, kann daher eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht rechtfertigen, weil damit vielfach Sinn und Zweck der Befristung leerlaufen würden (BSG, Urteil vom 9. Februar 1993 - 12 RK 28/92 -; BSG, Urteil vom 14.  November  2002 - B 13 RJ 39/01 R –; BSG, Urteil vom 6.  Mai 2010 - B 13 R 44/09 R – BSG, Urteil vom 21.  Dezember  2011 - B 12 KR 21/10 R - juris; Schütze, in: Schütze SGB X, 9. Auflage 2020, § 27 Rn. 17).

Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch der Klägerin, mit dem die Klägerin so zu stellen wäre, als hätte sie den Befreiungsantrag rechtzeitig gestellt, scheidet aus, da die Beklagte ihre Aufklärungs- und Beratungspflichten nicht verletzt hat. Auch insoweit wird auf die zutreffenden Gründe der sozialgerichtlichen Entscheidung Bezug genommen, § 153 Abs. 2 SGG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, da ein Grund hierfür (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) nicht vorliegt.

Rechtskraft
Aus
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