L 6 AS 25/25 RG

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 25/25 RG
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze


Wird im Berufungsverfahren der Rechtstreit durch den Kläger einseitig für erledigt, ist diese prozessbeendende Erklärung als Berufungsrücknahme und nicht als Klagerücknahme zu werten. Eine später nachgeschobene anwaltliche Mitteilung, dass die Erledigungserklärung als Klagerücknahme zu werten sei, ist insoweit nicht beachtlich, da bei der Auslegung allein auf die zur Prozessbeendung führende Erklärung abzustellen ist.


Die vom Kläger erhobenen Rechtsbehelfe gegen den Beschluss des Senats vom 20. Dezember 2024 im Verfahren L 6 AS 153/24 werden als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.


G r ü n d e

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Kostengrundentscheidung der Berichterstatterin vom 20. Dezember 2024.

Im zugrundeliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger die Überprüfung des Eingliederungsverwaltungsakts des Beklagten vom 5. Mai 2021 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 2. August 2021. Der Kläger hat gegen diesen Bescheid Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben. Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 2. April 2024 als unzulässig abgewiesen. Der Kläger habe zunächst eine Anfechtungsklage erhoben. Diese habe er auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt, nachdem sich der Eingliederungsverwaltungsakt durch Zeitablauf erledigt habe. Die Klage sei unzulässig, da der Kläger kein berechtigtes Fortsetzungsfeststellungsinteresse mehr habe. Seit dem Inkrafttreten der neuen Regelungen zum Bürgergeld sei eine Wiederholungsgefahr nicht mehr gegeben, da der neue § 15 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II), der den Kooperationsplan als Ablösung der früheren Eingliederungsvereinbarung regele, keine Ersatzbefugnis vorsähe. Ein Kooperationsplan könne nicht wie nach alter Rechtslage durch einen Verwaltungsakt ersetzt werden. Die Wiederholungsgefahr sei damit nicht mehr gegeben.

Der anwaltlich vertretene Kläger hat am 10. April 2024 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht ohne Begründung eingelegt. Am 16. April 2024 hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten die Berufung für erledigt erklärt und den in diesem Schriftsatz gestellten Kostenantrag ausführlich begründet.

In einem weiteren Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 18. Juli 2024 heißt es: „wird klarstellend mitgeteilt: Die Erledigungserklärung vom 16.04.2024 soll als Klagerücknahme verstanden werden.“

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 20. Dezember 2024 erging die Kostengrundentscheidung, dass die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten haben. 

Der Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 7. Januar 2025 zugestellt worden.

Vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten hat der Kläger mit Schreiben vom 13. Januar 2025 Anhörungsrüge und hilfsweise Gegenvorstellung mit der Begründung eingelegt, der Prozessbevollmächtigte habe den Rechtsstreit für erledigt erklärt.
Hierbei handele es sich um eine auslegungsbedürftige Willenserklärung. Da der Kläger eine Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen begehrt habe und nicht lediglich über jene des Berufungsverfahrens, sei der Schriftsatz als Klagerücknahme und nicht lediglich als Rücknahme der Berufung zu werten gewesen. Um Missverständnissen zu begegnen, habe der Bevollmächtigte zudem mit Schriftsatz vom 18. Juli 2024 klarstellend mitgeteilt, dass mit Schriftsatz vom 16. April 2024 die Klage zurückgenommen worden sei. Dieses Vorbringen habe das Gericht offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen. Weiter hat er ausgeführt, da mit der Klagerücknahme der Gerichtsbescheid mit der darin enthaltenen Kostenentscheidung gemäß § 202 SGG i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) wirkungslos geworden sei (Meyer-Ladewig et al./B. Schmidt, 12. Aufl. 2017, SGG § 102, Rn. 9, 9a), habe das Gericht nach Beendigung des Verfahrens nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung über die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen entscheiden müssen (BSG, Beschluss vom 16. Mai 2007 – B 7b AS 40/06 R; BSG, Urteil vom 20. Oktober 2010 – B 13 R 15/10 R).
Tatsächlich habe das Gericht mit Beschluss vom 20. Dezember 2024 aber nur – letztlich willkürlich – eine Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens getroffen, obwohl sich die erstinstanzliche Kostenentscheidung aufgrund der Klagerücknahme erledigt habe.

Der Beklagte hat von einer inhaltlichen Stellungnahme abgesehen.


II.

1. Die Anhörungsrüge ist unzulässig, denn es fehlt an der durch § 178a Abs. 2 Satz 5 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG geforderten Darlegung einer entscheidungserheblichen Verletzung des rechtlichen Gehörs. 

Entgegen der Ansicht des Klägers hat dieser mit der prozessbeendenden Erklärung nicht die Klage zurückgenommen, sondern den Rechtstreit für erledigt erklärt. Zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung war jedoch nur die Berufung anhängig, so dass diese einseitig für erledigt erklärt wurde und damit als Berufungsrücknahme zu werten war. Die deutlich später nachgeschobene anwaltliche Mitteilung, dass die Erledigungserklärung als Klagerücknahme zu werten sei, ist insoweit nicht beachtlich, da bei der Auslegung allein auf die zur Prozessbeendung führende Erklärung abzustellen ist (vgl. BSG, Beschluss vom 20. Januar 2022 – B 11 AL 20/21 BH –, Rn. 6, juris). Bei der vom Prozessbevollmächtigten gewählten Formulierung „der Rechtsstreit wird für erledigt erklärt“, drängt es sich gerade nicht auf, dass nicht die Berufung, sondern die Klage zurückgenommen wurde.

Die Beschwerde schildert darüber hinaus keine Umstände, die eine fehlerhafte Auslegung substantiiert begründen würden. Zudem können für die Beurteilung von Prozesserklärungen nicht unterschiedliche Maßstäbe in Abhängigkeit davon angewandt werden, ob hierdurch Kostentatbestände verwirklicht oder vermieden werden können. Eine andere Sichtweise würde auch dem Kosteninteresse des Rechtsanwaltes Vorrang vor dem Sachinteresse des jeweiligen Klägers einräumen: Der Kläger hat ein Interesse allein an der Verwirklichung seines materiellen Begehrens, nicht aber an der Verwirklichung von Kostentatbeständen (BSG, Urteil vom 17. September 2020 – B 4 AS 13/20 R –, Rn. 25, juris).

Im Übrigen wird durch das Vorbringen des Klägers beziehungsweise seines Bevollmächtigten zu der nach seiner Auffassung gebotenen Auslegung seiner Erklärung eine Gehörsverletzung nicht erkennbar. Namentlich wird nicht deutlich, dass das Gericht wesentliches Vorbringen übergangen hätte. Vielmehr stellt der Kläger nur seine Rechtsauffassung der des Gerichts gegenüber. Das vermag eine Anhörungsrüge nicht zu begründen. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs ist daher nicht ersichtlich. 
2. Auch die hilfsweise erhobene Gegenvorstellung ist unzulässig.

Eine unanfechtbare Entscheidung kann auf den außerordentlichen Rechtsbehelf der Gegenvorstellung allenfalls dann geändert werden, wenn die getroffene Entscheidung im offensichtlichen Widerspruch zum Gesetz steht oder auf einem groben prozessualen Unrecht beruht (BSG, Beschluss vom 28. Januar 2025 – B 2 U 49/24 AR –, Rn. 6, juris mit weiteren Nachweisen; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. September 2023 – L 4 SF 249/23 G –, Rn. 8 ff, juris). 

Der Kläger behauptet zwar, das Gericht habe im Rahmen der unanfechtbaren Kostenentscheidung willkürlich gehandelt, ohne sich jedoch mit dem Aussagegehalt der eigenen prozessbeendenden Erklärung vertieft auseinanderzusetzen. Aus dem Vortrag des Klägers geht auch nicht hervor, dass ihm durch die angegriffene Kostenentscheidung grobes prozessuales Unrecht zugefügt worden ist. Letztendlich setzt der Kläger seine Rechtsauffassung der Entscheidung des Senats entgegen, was für eine Darlegung einer willkürlichen oder ihn in seinen prozessualen Rechten grob verletzenden Entscheidung nicht ausreichend ist. 

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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