L 6 AS 725/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 2 AS 173/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 725/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 11.02.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) – für die Zeit vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000.

Mit Bescheid vom 22.09.2020 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 i. H. v. monatlich 741,94 €, wovon auf die Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs 432 € zuzüglich Mehrbedarf für Warmwasserbereitung i. H. v. 9,94 € sowie auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung 300 € entfielen. Hiergegen erhob der Kläger am 24.10.2020 Widerspruch. Die Berechnung des Regelbedarfs entspreche nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Laut der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) aus dem Jahr 2008 habe das durchschnittliche Einkommen der Referenzhaushalte 716 € betragen bei durchschnittlichen Ausgaben von 834,27 €, was auf das Vorhandensein einer nicht unerheblichen Anzahl von sog. „verdeckt Armen“ hindeute. Auch seien die Regelbedarfsanteile für größere Haushaltsgeräte sowie für Brillen unzureichend. Bei der Neuberechnung der Regelbedarfe auf Basis der EVS 2018 seien diese Missstände nicht abgestellt worden. Zudem fehle trotz der seit Monaten geltenden Maskenpflicht ein entsprechender Mehrbedarf, der – ggf. auch als Sachleistung – unter Beachtung von § 37 SGB II bereits von Amts wegen hätte bewilligt werden müssen. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.02.2021 wies der Kreis I. den Widerspruch zurück. Die Höhe des Regelbedarfs sei nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschrift eindeutig festgelegt. Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung sei nicht möglich. Die Entscheidungskompetenz hinsichtlich einer Feststellung der Verfassungswidrigkeit komme alleine dem BVerfG zu. Darüber hinaus sei die Beschaffung von Masken aus dem Regelbedarf zu bestreiten. Ein Anspruch auf einen Mehrbedarf bestehe nicht.

Mit Blick auf die zum 01.01.2021 eingetretene Erhöhung der Regelbedarfssätze auf 446 € zahlte die Beklagte an den Kläger ab Januar 2021 entsprechend höhere Leistungen an den Kläger aus. Außerdem gewährte sie ihm durch Bescheid vom 23.04.2021 eine „Corona-Einmalzahlung“ i. H. v. 150 €.

Bereits am 15.03.2021 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Münster erhoben.

Da die Maskenpflicht staatlich angeordnet worden sei, sei sie grundsicherungsrechtlich einer Kostensteigerung gleichzusetzen und entweder vom Gesetzgeber durch einen höheren Regelbedarf oder von den Jobcentern durch Gewährung eines Mehrbedarfs zu berücksichtigen. Auf die Einmalzahlung von 150 € könne er nicht verwiesen werden, da er diese noch nicht erhalten habe. Der Verweis auf preisgünstigere OP-Masken beinhalte eine Wertungsentscheidung, die einer besonderen Begründung bedürfe.

Unter der Position Haushaltsstrom habe ein auffällig hoher Anteil der Referenzhaushalte über drei Monate keine Ausgaben gehabt. Angesichts dessen müsse davon ausgegangen werden, dass auch andere Bedarfe untererfasst seien. Dann könne auch die nachfolgende Regelbedarfsberechnung nicht korrekt sein. Die Regelbedarfe seien um mindestens 150 € zu niedrig.

Es sei davon auszugehen, dass in der Referenzgruppe eine nicht unerhebliche Zahl von Personen, welche einen bestehenden Anspruch auf Sozialleistungen nicht geltend machten, enthalten sei. Der Nichtausschluss solcher verdeckt armer Haushalte sei mit dem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht vereinbar. Auch das BVerfG habe die Einbeziehung der verdeckt Armen in die Referenzgruppe bereits 2010 beanstandet und Abhilfe gefordert. Bei Erhebung der EVS 2013 sei der Gesetzgeber insoweit nicht tätig geworden. In dem Bericht über die Weiterentwicklung der für die Ermittlung von Regelbedarfen anzuwendenden Methodik habe die Bundesregierung bereits im Juni 2013 selbst eingeräumt, dass die Berechnung der Regelbedarfe nicht rechtskonform erfolgt sei. Bei dem Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII) – ab dem Jahr 2021 (RBEG) sei es vermutlich ähnlich, wobei die entsprechenden Daten im Wesentlichen nicht veröffentlich seien. Zudem sei die Referenzgruppe für die Berechnung der Regelbedarfe mit lediglich 2023 Haushalten (EVS 2013) so klein, dass ihr jegliche statistische Aussagekraft fehle. Bei höheren Ausgaben als Einnahmen innerhalb der Referenzgruppe sei unklar, wie die Bundesregierung zu der Ansicht komme, die erfassten Ausgaben seien bedarfsdeckend. Es stelle sich vielmehr die Frage, ob möglicherweise existenznotwendige Zahlungen aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht getätigt worden seien. Der im Regelbedarf enthaltene Stromkostenanteil bleibe deutlich hinter den massiv angestiegenen Strompreisen zurück, was zu einer permanenten Bedarfsunterdeckung führe. Angesichts der beständig steigenden Strompreise sei auch der Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II zu niedrig bemessen. Es liege zudem eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vor, wenn ein Teil der Leistungsberechtigten ihre Unterkunftskosten inklusive Einbauküchen und Waschmaschinen/Trockner vollständig bezahlt bekämen, der andere Teil diese Gegenstände jedoch aus dem Regelbedarf finanzieren müsse. Das BVerfG habe die Gefahr einer Bedarfsunterdeckung bei langlebigen Gebrauchsgütern gesehen. Der Gesetzgeber sei auch hier bislang nicht tätig geworden. Eine Gegenprüfung der als existenznotwendig anerkannten Bedarfe anhand der tatsächlichen Preise finde nicht statt. Ohnehin würden die Regelleistungen selbst nach den offiziellen Berechnungen dem Bedarf stets zwei bis drei Jahre hinterherhinken. So habe der Regelbedarf für 2018 bei 416 € gelegen, der Entwurf für das neue RBEG (BT-Drs. 17/14282 Seite 5) weise regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgaben der Einpersonenhaushalte i. H. v. 434,90 € aus. Die Fortschreibung der Regelbedarfe beziehe auch die Lohnentwicklung mit ein, was das BVerfG für untauglich halte. Ein großer Teil der Referenzhaushalte habe ein Einkommen, welches unter den Leistungen nach dem SGB II / SGB XII liege.

 

Der Kläger hat in der sinngemäßen Fassung seines Begehrens durch das SG beantragt,

 

die Beklagte zur Zahlung eines Mehrbedarfes aufgrund der coronabedingten Maskenpflicht zu verurteilen,

die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 22.09.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2021 abzuändern und den Regelbedarf entsprechend den Vorgaben des BVerfG neu zu berechnen, entsprechend neu zu bescheiden und ihm die bisher einbehaltenen Leistungen zuzüglich gesetzlicher Zinsen auszuzahlen.

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs gemäß § 21 Abs. 6 SGB II zur Anschaffung von medizinischen Masken seien nicht erfüllt. Dies habe u. a. das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in mehreren Beschlüssen entscheiden (Verweis auf die Beschlüsse des LSG Nordrhein-Westfalen vom 03.03.2021, L 9 SO 18/21 B ER; vom 29.03.2021, L 12 AS 377/21 B ER; vom 13.04.2021, L 7 AS 498/21 B ER und vom 19.04.2021, L 19 AS 391/21 B ER). Bereits das Vorliegen eines Einzelfalles i. S. d. § 21 Abs. 6 SGB II sei zu verneinen. Mit der Bezugnahme auf einen Bedarf im Einzelfall werde ein atypischer Bedarf erfasst, der nur bei einer mehr oder weniger kleinen Gruppe von Leistungsberechtigten auftrete. Der vorliegend geltend gemachte Bedarf betreffe jedoch die gesamte Bevölkerung und damit auch sämtliche Leistungsberechtigte nach dem SGB II.

Die Regelungen zur Bemessung der Regelbedarfe seien nicht verfassungswidrig.

 

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 11.02.2022 – dem Kläger zugestellt am 15.02.2022 – die Klage abgewiesen.

Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfes zur Beschaffung von Corona-Masken. Solange zur Erfüllung der Maskenpflicht noch Alltagsmasken ausgereicht hätten, wären hierunter ausdrücklich auch Schals, Tücher usw. gefallen, bei denen es sich um Bekleidung i. S. v. § 20 Abs. 1 S. 1 SGB II handele. Die entsprechenden Ausgaben seien daher aus dem Regelbedarf zu bestreiten gewesen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.04.2020, L 7 AS 625/20 B ER, juris Rn. 6). Soweit darüber hinaus eine Plicht zum Tragen einer medizinischen Maske bestanden habe, fehle es jedenfalls an einem Einzelfall i. S. d. § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines höheren Regelbedarfes. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ermittlung der Regelbedarfe bzw. deren Fortschreibung in den Jahren, in denen keine Neuermittlung stattfinde, bestünden nicht. Die vom Kläger geltend gemachten Einwendungen gegen die Methodik zur Ermittlung und Fortschreibung seien der Sache nach bereits Gegenstand verfassungsgerichtlicher Prüfung gewesen, ohne dass sich durchgreifende Beanstandungen ergeben hätten. Eine Aussetzung des Verfahrens zur Vorlage an das BVerfG komme daher nicht in Betracht. Inwieweit der Gesetzgeber angesichts der Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe von Verfassungs wegen gehalten gewesen sei, die Einmalzahlung aus Anlass der Covid-19-Pandemie (nach § 70 SGB II) auf Grundlage derjenigen Mehraufwendungen zu bemessen, zu deren Ausgleich er sie gewähre, könne dahinstehen. Denn selbst wenn man von einer entsprechenden verfassungsrechtlichen Verpflichtung ausgehe, bestünden gegen die Einmalzahlung keine durchgreifenden Bedenken. Zum einen ist der Gesetzgeber durch das Grundgesetz nicht gehindert, auf die finanziellen Mehrbelastungen durch die Covid-19-Pandemie nicht mit einer Sonderanpassung der Regelbedarfe, sondern mit einer zusätzlichen Leistung zu reagieren. Als zusätzliche, temporäre Leistung unterliege die Einmalzahlung zudem nicht denselben verfassungsrechtlichen Vorgaben wie die Bemessung der Regelbedarfe. Diese Vorgaben könnten schon aufgrund der Plötzlichkeit der Pandemie nicht ohne systematische Brüche herangezogen werden.

 

Dagegen hat der Kläger am 12.03.2022 Berufung eingelegt. Ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen führt er aus, es komme allein auf die im Regelbedarf enthaltenen Bedarfe an und nicht auf den betroffenen Personenkreis. Weder § 70 SGB II noch die zugehörige Gesetzesbegründung legten offen, wie der Betrag von 150 € zustande gekommen sei.

 

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung am 24.05.2024 den angefochtenen Bescheid abgeändert und zugunsten des Klägers für die Monate 00.00.0000 bis 00.00.0000 die gesetzlich vorgesehenen Regelbedarfe (446 € für Alleinstehende) zuerkannt.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 11.02.2022 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22.09.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2021 in der Gestalt der Erklärung vom 24.05.2024 zu verurteilen, ihm für die Zeit von November 0000 bis Oktober 0000 höhere Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs sowie Zahlungen eines Mehrbedarfs aufgrund der coronabedingten Maskenpflicht zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verweist darauf, dass die Sozialgerichtsbarkeit in ständiger Rechtsprechung die Bemessung der Regelbedarfe als verfassungsgemäß erachte. Auch hinsichtlich eines Mehrbedarfs für die Anschaffung von Masken sei die Berufung unbegründet.

 

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der elektronischen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

A) Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

 

I. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind neben dem Gerichtsbescheid vom 11.02.2022 der Bescheid vom 22.09.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2021 und der mündliche Bescheid vom 24.05.2024. Der Kläger begehrt für die Zeit vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 neben höheren Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs auch die Zahlung eines Mehrbedarfes aufgrund der coronabedingten Maskenpflicht. (Höhere) Leistungen zur Deckung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind nicht im Streit.

 

II. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

 

1. Das Begehren des Klägers auf Zuerkennung höherer Regelbedarfsleistungen sowie auf Gewährung eines Mehrbedarfs ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft.

 

2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegenüber der Beklagten auf höheren Regelbedarf oder auf Zuerkennung eines Mehrbedarfs für den streitigen Zeitraum. Er ist deshalb durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

 

a) Zwar sind die grundsätzlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II erfüllt. Denn bei dem Kläger handelt es sich um einen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten i. S. d. § 7 Abs. 1 SGB II sowohl in der ab dem 01.01.2020 als auch in der ab dem 01.01.2021 geltenden Fassung, da er das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht hatte, erwerbsfähig (vgl. § 8 SGB II) und hilfebedürftig (vgl. § 9 SGB II) war sowie seinen gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil) in der Bundesrepublik Deutschland hatte.

 

b) Jedoch hat der Kläger keinen Anspruch auf höhere Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs (dazu nachfolgend aa)) sowie auf Zahlung eines Mehrbedarfs aufgrund der coronabedingten Maskenpflicht (dazu nachfolgend bb)). Der angefochtene Bescheid ist insoweit rechtmäßig.

 

aa) Die Bewilligung eines Regelbedarfs i. H. v. 432 € (ohne Mehrbedarf) bzw. ab dem 01.01.2021 i. H. v. 446 € entspricht den gesetzlichen Bestimmungen.

 

(1) Gemäß § 20 Abs. 1a Satz 1 SGB II wird der Regelbedarf in Höhe der jeweiligen Regelbedarfsstufe entsprechend § 28 SGB XII i. V. m. dem RBEG und den §§ 28a und 40 SGB XII i. V. m. der für das jeweilige Jahr geltenden Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung (RBSV) anerkannt. Als Regelbedarf wird bei Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partnerin oder Partner minderjährig ist, monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 anerkannt (§ 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Für die Zeit ab dem 01.01.2020 sieht § 2 RBSV 2020 für die Regelbedarfsstufe 1 einen monatlichen Regelbedarf von 432 € vor. Durch das Regelbedarfsermittlungsgesetz vom 09.12.2020 wurde für die Zeit ab dem 01.01.2021 für die Regelbedarfsstufe 1 ein monatlicher Regelbedarf von 446 € bestimmt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RBEG 2021).

 

(2) Diese Bemessung der Regelbedarfe für die Jahre 0000 und 0000 ist nicht zu beanstanden, da sie verfassungsrechtlichen Vorgaben folgte (ebenso bereits LSG Nordrhein-Westfalen Urteile vom 25.05.2023, L 6 AS 1306/22, juris Rn. 61 ff.; vom 10.02.2022, L 19 AS 1236/21, juris Rn. 40 f.; vom 05.05.2022, L 19 AS 1806/21 sowie LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.03.2022, L 2 AS 330/22 B ER, juris Rn. 3).

 

(a) Soweit der Kläger für die Monate November und Dezember 0000 höhere Regelbedarfe sowie Zahlung eines Mehrbedarfs aufgrund der pandemiebedingten Maskenpflicht begehrt, schließt sich der Senat den Ausführungen des Bundessozialgerichts (BSG) an, wonach die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Bemessung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und insbesondere des Regelbedarfs in der Rechtsprechung des BVerfG geklärt sind (BSG, Beschluss vom 26.10.2023, B 7 AS 177/23 BH, juris Rn. 2 f. u. a. mit Verweis auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09 u. a. sowie BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12 u. a.) und für den genannten Zeitraum kein (neuer) Klärungsbedarf besteht.

 

(b) Nichts Anderes gilt mit Blick auf das Begehren des Klägers für den das Jahr 2021 betreffenden Streitzeitraum.

 

Das BVerfG hat, wie bereits ausgeführt, festgestellt, dass die Vorschriften über die Festsetzung der Höhe des Regelbedarfs sowie deren Fortschreibung (in § 20 SGB II i. V. m. § 28 f. SGB XII) im Grundsatz verfassungsgemäß sind. Die Ermittlung der Regelbedarfe für das Jahr 2021 beruht auf dem Ergebnis der EVS aus dem Jahr 2018. In der Folgezeit ist es aufgrund der COVID-19-Pandemie zwar zu nicht unerheblichen Verwerfungen der Verbraucherausgaben gekommen. Die Nichtberücksichtigung pauschalierter pandemiebedingter Bedarfe bei der Regelsatzbemessung bedeutet jedoch keinen Verstoß gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. hierzu etwa Groth in jurisPK-SGB II, Stand: 30.05.2022, § 70 Rn. 16; Blüggel in Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl. 2024, § 70 Rn. 5, 24 f.). Zwar sind in der COVID-19-Pandemie neue bisher unbekannte Bedarfe aufgetreten, die nicht prognostizierbar waren und folglich nicht in die Regelbedarfsbemessung auf Grundlage der EVS aus dem Jahr 2018 eingeflossen sind. Der Gesetzgeber war aber verfassungsrechtlich nicht gezwungen, auf diese pandemiebedingten finanziellen Mehrbelastungen mit einer kurzfristigen Sonderanpassung der Regelbedarfe zu reagieren. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (Urteil vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12 u. a.) hatte er bei einer solchen „strukturell unzutreffenden" Erfassung des Regelbedarfs die Möglichkeit, den existenzsichernden Regelbedarf durch zusätzliche Leistungsansprüche zu sichern. Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber auch Gebrauch gemacht, indem er den Leistungsberechtigten zum Ausgleich der pandemiebedingten Sonder- und Mehrbedarfe für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021 einen zusätzlich pauschalierten einmaligen Leistungsanspruch i. H. v. 150 € zugedacht hat (§ 70 SGB II). Gegen die Höhe dieses Mehrbedarfes, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. Blüggel, a. a. O., § 70 Rn. 5), zumal weitere individuelle Bedarfe durch ergänzende Leistungen nach § 21 Abs. 6 SGB II gedeckt werden konnten (Blüggel, a. a. O., Rn. 5, 24; Hänlein, a. a. O., Rn. 7; Groth, a. a. O., Rn. 15).

 

Allgemein inflationsbedingte Effekte sind für den hier streitigen Leistungszeitraum (bis Oktober 2021) mit Blick auf die Verfassungsmäßigkeit der Festsetzung der Regelbedarfsleistungen noch nicht zu berücksichtigen, da sich eine nennenswerte Erhöhung der Inflationsrate in der Bunderepublik erst im zweiten Halbjahr 2021 (bzw. verstärkt erst im Laufe des Jahres 2022) eingestellt hat (vgl. zu Einzelheiten: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Verbraucherpreisindex/_inhalt.html#238920).

 

Hinsichtlich der gegen die EVS 2013 und EVS 2018 erhobenen Einwände, insbesondere soweit er die Auswahl und die Größe der Referenzgruppe und die fehlende Berücksichtigung der „massiv angestiegenen“ Strompreise sowie von Pkw-Kosten rügt, schließt sich der Senat nach eigener Prüfung den Ausführungen des LSG Nordrhein-Westfalen im Urteil vom 20.11.2020, L 21 AS 56/20, juris Rn. 36 ff., in dem der hiesige Kläger sich auf die Verfassungswidrigkeit der Höhe der Regelbedarfe für die Jahre 2016 und 2017 mit nahezu identischer Begründung berufen hat, an und macht sich die dortige Argumentation auch für die Entscheidung des vorliegenden Falles zu eigen. Mit Blick auf die von dem Kläger wiederholt angesprochene Problematik der „verdeckt Armen“ verweist der Senat zudem auf die Ausführungen des BVerfG in dem Urteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09 u. a., juris Rn. 169 und in dem Beschluss vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12, juris Rn. 105, auf deren Grundlage er die Bedenken des Klägers nicht für durchgreifend hält.

 

Anlass, das Berufungsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfsbemessung für das Jahr 2021 einzuholen sieht der Senat daher nicht.

 

bb) Auch die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II sind nicht erfüllt.

 

Gemäß § 21 Abs. 6 SGB II in der ab dem 01.01.2020 geltenden Fassung wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Gemäß § 21 Abs. 6 SGB II in der ab dem 01.01.2021 geltenden Fassung wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. 

 

Der Anspruch auf einen Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II soll u. a. Sondersituationen Rechnung tragen, in denen ein seiner Art oder der Höhe nach auftretender Bedarf von dem der Regelbedarfsermittlung zugrunde liegenden Verfahren nicht erfasst wird und sich der Regelbedarf daher als unzureichend erweist (BSG, Urteil vom 26.11.2020, B 14 AS 23/21 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.06.2023, L 9 AS 3069/21). Mit der Bezugnahme auf einen besonderen Bedarf will der Gesetzgeber einen in Sondersituationen auftretenden Bedarf nicht erfasster Art oder atypischen Ursprungs oder einen höheren, überdurchschnittlichen Bedarf einbeziehen, der nicht oder nicht aussagekräftig von der statistischen Durchschnittsbetrachtung in der EVS erfasst wird (LSG Baden-Württemberg a. a. O.). Die Regelung dient nicht dazu, einen für unzureichend erachteten Regelbedarf aufzustocken (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.02.2022, L 19 AS 1236/21, juris Rn. 44 m. w. N.).

 

Der Kläger macht keinen im Einzelfall unabweisbaren Bedarf in diesem Sinne geltend.

 

Es liegt bereits kein Einzelfall vor, denn die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in Form einer medizinischen Maske galt grundsätzlich für alle natürlichen Personen im Geltungsbereich der jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften und damit sämtliche Leistungsberechtigte nach dem SGB II (vgl. für Nordrhein-Westfalen: § 3 Abs. 2 der Coronaschutzverordnung; LSG Nordrhein-Westfalen a. a. O., juris Rn. 50 m. w. N.). Darüber hinaus fehlt es auch an einer Unabweisbarkeit des Bedarfs. Maßgebend ist der konkrete Einzelfall, weshalb der Kläger den konkreten Bedarf darzustellen und glaubhaft zu machen hat (LSG Baden-Württemberg a. a. O.). Dass der Kläger sich auf einen im Einzelfall unabweisbaren Bedarf beruft, ist seinem Vortrag nicht zu entnehmen.

 

B) Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

C) Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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