L 9 SO 145/24 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 62 SO 539/23
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 145/24 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 10.05.2024 geändert. Dem Kläger wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe mit einer monatlichen Eigenbeteiligung iHv 54 €, zahlbar ab 01.03.2025, bewilligt und Rechtsanwalt C., G., beigeordnet.

 

Gründe

  1.  

Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage, die auf die ungekürzte Bewilligung von Leistungen für die Erstausstattung einer Wohnung gerichtet ist.

 

Der Kläger, der eine Rente wegen voller Erwerbsminderung sowie Wohngeld bezieht und nicht im laufenden Leistungsbezug bei der Beklagten steht, beantragte am 27.04.2023 Leistungen für eine Erstausstattung seiner Wohnung. Seine frühere Wohnung sei im Jahr 0000 zwangsgeräumt worden, anschließend habe er im Hotel und bei seiner Lebensgefährtin gewohnt. Seit dem 00.00.0000 lebe er allein, er verfüge weder über Möbel noch über Haushaltsgegenstände. Mit Bescheid vom 10.05.2023 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Kläger habe bereits über eine eigene Wohnung verfügt, so dass es sich bei der begehrten Ausstattung nicht um eine Erstausstattung iSd § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII handele. Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger – anwaltlich vertreten – vor, er habe bis zum Jahr  im Haushalt seiner Mutter gewohnt. Die jetzt bewohnte Wohnung sei seine erste eigene Wohnung. Nach Ermittlungen zum Einkommen und zum Mietverhältnis sowie Durchführung einer Wohnungsbesichtigung nahm die Beklagte mit Bescheid vom 25.08.2023 den Ablehnungsbescheid vom 10.05.203 zurück und bewilligte Leistungen für die Erstausstattung iHv 115,76 €. Sie legte einen Bedarf iHv 920 € zugrunde. Hierauf sei gem. § 31 Abs. 2 Satz 2 SGB XII das den Eigenbedarf des Klägers übersteigende Monatseinkommen der nächsten sechs Monate anzurechnen (134,04 € monatlich). Die Beklagte zog vom Bedarf daher zu erwartendes Einkommen iHv insgesamt 804,24 € ab. Der Kläger legte auch hiergegen Widerspruch ein. Es fehle eine Kostenentscheidung. Zudem sei die erfolgte „Aufrechnung“ dem Grunde und der Höhe nach nicht nachvollziehbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2023 wies der Kreis G. den Widerspruch zurück. Das in den nächsten sechs Monaten zu erwartende Einkommen sei zwingend zu berücksichtigen, bei der in § 31 Abs. 2 Satz 2 SGB XII enthaltenen „kann“-Ermächtigung handele es sich um ein „Kompetenz-Kann“, nicht um eine Vorschrift, die Ermessen einräumt. Denn es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könne, ausnahmsweise von der grundsätzlich gebotenen Berücksichtigung von Einkommen abzusehen. Über die Kosten des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 10.05.2023 entscheide nicht der Kreis, sondern die Beklagte.

 

Der Kläger hat am 16.12.2023 gegen die Bescheide vom 10.05.2023 und 25.08.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2023 Klage erhoben und Prozesskostenhilfe beantragt. Er hat sich auf seine Widerspruchsbegründung bezogen.

 

Mit Beschluss vom 10.05.2024 hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Es hat sich auf den Widerspruchsbescheid bezogen und ergänzend ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, welche Bedarfe ungedeckt geblieben seien. Die Einkommensanrechnung entspreche § 31 Abs. 2 Satz 2 SGB XII.

 

Hiergegen richtet sich die am 04.06.2024 erhobene Beschwerde des Klägers. Er bemängelt das Fehlen einer Kostenentscheidung im angefochtenen Bescheid und hält die „Verrechnung“ für nicht nachvollziehbar.

 

 

II.

 

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht gem. § 172 Abs. 3 Nr. 2 b) SGG ausgeschlossen. Danach ist eine Beschwerde ausgeschlossen in Verfahren, in denen in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Dies ist (u. a) der Fall, wenn bei einer auf eine Geldleistung gerichteten Klage der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 € nicht übersteigt (§ 145 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Dem Vorbringen des Klägers ist noch mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass er sich – neben dem Fehlen einer Kostenentscheidung – gegen die Einkommensanrechnung wendet, die er (unzutreffend) als „Aufrechnung“ oder „Verrechnung“ bezeichnet. Der Sache nach wendet er sich gegen die Anrechnung von 804,24 € auf den festgestellten Bedarf, weshalb der Berufungsstreitwert erreicht wäre.

 

Die Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat die Bewilligung von Prozesskotenhilfe zu Unrecht abgelehnt. Dem Kläger steht für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu.

 

Gem. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der - wie der Kläger ausweislich seiner Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten nicht überspannt werden. Hinreichende Erfolgsaussichten sind grundsätzlich zu bejahen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bisher ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder wenn von Amts wegen weitere Ermittlungen durchzuführen sind, bevor die streiterheblichen Fragen abschließend beantwortet werden können, und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Ermittlungen mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würden (BVerfG Beschlüsse vom 16.04.2019 – 1 BvR 2111/17 und vom 20.02.2001 – 1 BvR 1450/00; Beschlüsse des Senats vom 22.04.2021 – L 9 SO 418/20 B und vom 28.05.2013 – L 9 AS 541/13 B).

 

Das vorliegende Verfahren wirft schwierige ungeklärte Rechtsfragen auf, aus denen sich die Erfolgsaussichten ergeben.

 

Rechtsgrundlage für die vom Kläger u.a. angegriffene Einkommensanrechnung auf den dem Grunde nach bestehenden Anspruch (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII) ist § 31 Abs. 2 Satz 2 SGB XII. Hiernach kann in Fällen, in denen die nachfragende Person nicht im laufenden Leistungsbezug steht, bei der Entscheidung über einmalige Bedarfe das Einkommen berücksichtigt werden, das die nachfragende Person innerhalb eines Zeitraums von bis zu sechs Monaten nach Ablauf des Monats erwirbt, in dem über die Leistung entschieden worden ist.

 

Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten handelt es sich bei dieser Vorschrift um eine Ermessennorm, das Wort „kann“ ist nicht lediglich als „Kompetenz-Kann“, sondern als eine Bestimmung zu verstehen, die dem Leistungsträger Ermessen einräumt, das dieser pflichtgemäß auszuüben hat (allgemeine Meinung, vergl. nur Stölting in jurisPK-SGB XII § 31 Rn. 51 mwN).

 

Für die Frage, welche Ermessenerwägungen anzustellen sind, ist zu berücksichtigen, dass die Anrechnung zukünftigen Einkommens auf einen aktuellen Bedarf sozialhilferechtlich problematisch ist und damit im Gegensatz zu den Darlegungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid gerade eine Ausnahme und nicht den Regelfall darstellt. Bei einer Berücksichtigung zukünftigen Einkommens bleibt der aktuelle Bedarf zunächst ungedeckt, was dem in der Sozialhilfe geltenden Gegenwärtigkeitsprinzip widerspricht (dazu BSG Urteil vom 25.04.2018 – B 8 SO 25/16 R). § 31 Abs. 2 Satz 2 SGB XII ist nur verständlich, wenn man davon ausgeht, dass von Personen, deren künftiges Einkommen voraussichtlich über einer Bedarfsdeckung im Sinne des § 27a SGB XII liegen wird, erwartet werden kann, dass sie auch vorher schon in größerem Umfang Umschichtungen bei den notwendigen Bedarfen vornehmen können als Personen, die dieses Einkommen künftig nicht zur Verfügung haben. Wird Einkommen bezogen, welches über die Deckung des laufenden Bedarfs hinausgeht, ist dieser Anteil des Einkommens konkret zu ermitteln. Auf dieser Basis hat der Träger der Sozialhilfe im Wege einer pflichtgemäßen Ermessensausübung darüber zu entscheiden, ob bzw. wie weit dieser über der laufenden Bedarfsdeckung liegende Anteil des Einkommens für die Deckung der einmaligen Bedarfe einzusetzen ist. Der Ermessensspielraum bezieht sich sowohl auf die Zahl der zu berücksichtigenden Monate als auch darauf, in welchem Umfang dieser Einkommensanteil zur Anrechnung kommt (Falterbaum in Hauck/Noftz, SGB XII, § 31 Rn. 49).

 

Problematisch und in der Rechtsprechung ungeklärt ist darüber hinaus, in welcher Weise zukünftiges Einkommen zu berücksichtigen ist. In Betracht kommt, dass die einmalige Leistung zunächst voll durch den Sozialhilfeträger zu erbringen ist und der Leistungsempfänger entsprechend dem späteren Einkommenszufluss die Leistung gegenüber dem Träger der Sozialhilfe später zu erstatten hat. Soweit - wie im Fall des Klägers - in absehbarer Zeit Einkommen verlässlich zu erwarten ist, kommt auch eine sofortige Einkommensanrechnung in Betracht, wenn dem Betroffenen eine eigenverantwortliche Bedarfsdeckung etwa durch Umschichtungen oder auch private Kreditaufnahme zuzumuten ist (Falterbaum in Hauck/Noftz, SGB XII, § 31 Rn. 50 f). Die Voraussetzungen dafür wären dann zu ermitteln und in eine Ermessenentscheidung einzustellen.

 

Schließlich steht eine abschließende Kostenentscheidung (§ 63 SGB X) hinsichtlich der Kosten des Widerspruchs gegen den Ablehnungsbescheid vom 10.05.2023 noch aus. Diese ist abweichend zu den Ausführungen im Widerspruchsbescheid von der Widerspruchsbehörde zu treffen (Roos/Blüggel in Schütze, SGB X, 9. Aufl. § 63 Rn. 12).

 

Die Höhe der vom Kläger aufzubringenden Raten folgt aus seinem anzurechnenden Einkommen. Insoweit wird auf den Berechnungsvermerk der Urkundsbeamtin vom 14.11.2024 verwiesen, der dem Kläger zu Stellungnahme übersandt worden ist und gegen den er auch nach Erinnerung keine Einwendungen erhoben hat.

 

Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 127 Abs. 4 ZPO).

 

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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