Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 9.6.2023 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die nicht zu erstatten sind.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird endgültig auf 127.833,77 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung für die Jahre 2017 bis 2020.
Die Klägerin ist eine mit Wirkung zum 1.1.1992 gegründete GmbH. Gegenstand des Unternehmens ist ausweislich des Gesellschaftsvertrages der Groß- und Einzelhandel mit Textilien, Geschenkartikeln und Kunsthandwerksartikeln aller Art. Gesellschafter der Klägerin waren von Beginn an je zu 50 % der am 26.6.2020 verstorbene M. N. (nach dessen Tod seine beiden Kinder als Erben) sowie der Beigeladene zu 4. Beide waren zu Geschäftsführern bestellt worden. Im Gesellschaftsvertrag (GV) vom 22.10.2012 heißt es dazu:
„…Sind mehrere Geschäftsführer bestellt wurden, dann ist jeder von ihnen, sofern ihm nicht ausdrücklich Einzelvertretungsbefugnis erteilt worden ist, nur gemeinschaftlich mit einem weiteren Geschäftsführer oder einem Prokuristen zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt. Die Geschäftsführer sind von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer erfolgt durch die Gesellschafterversammlung…“ [§ 5]
„…Die Beschlüsse der Gesellschafter werden mit einfacher Stimmenmehrheit der anwesenden oder vertretenen Gesellschafter gefasst, sofern nicht im Gesetz oder im Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmt ist… Im Falle der Stimmengleichheit und einer nicht möglichen Einigung gilt, dass die Gesellschafter einen neutralen Dritten beauftragen, der zunächst eine gütliche Einigung herbeizuführen und bei Unmöglichkeit der Sachlage nach bestem Wissen und Gewissen unter Berücksichtigung aller fachlichen Gesichtspunkte zu entscheiden hat. Sollten sich die Gesellschafter nicht auf einen neutralen Dritten einigen können, haben die Gesellschafter sich auf ihre Kosten von der für die Gesellschaft zuständigen Handelskammer einen Schiedsgutachter benennen zu lassen. Kann weder ein neutraler Dritter gefunden noch von der Handelskammer ein Schiedsgutachter benannt werden, benennen die Parteien je zwei Personen. Von den drei durch Los ermittelten Personen ist einer als Vorsitzender mit einfacher Stimmenmehrheit zu wählen. Sollte kein Vorsitzender gewählt werden können, entscheidet das Los. Lehnt einer der Personen das ihr übertragene Amt ab, wird diese durch die nicht durch Losentscheid genannte Person ersetzt. Die durch Losentscheid bestimmte Kommission trifft dann die Entscheidung.“ [§ 8 Abs. 5]
Ausweislich der Anstellungsverträge vom 26.6.2012 standen dem Beigeladenen zu 4 und Herrn N. ein Jahresgehalt i.H.v. 72.000,00 € brutto, zahlbar in gleichen monatlichen Teilbeträgen am Ende eines jeden Monats sowie eine gewinnabhängige Vergütung i.H.v. 20 % des taniemepflichtigen Gewinns der Gesellschaft zu. Beiden stand ein PKW zur dienstlichen und privaten Nutzung sowie ein Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen zu. Im Falle einer Erkrankung oder sonstigen unverschuldeten Verhinderung würden die Bezüge auf die Dauer von einem Jahr zur Hälfte fortgezahlt. Beide waren berechtigt, die Gesellschaft einzeln zu vertreten und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Eine Kündigung des Vertrages war der Klägerin nur aus wichtigem Grund möglich.
Mit Bescheid vom 26.4.2022 stellte die Beklagte nach vorheriger Anhörung gegenüber der Klägerin fest, dass der Beigeladene zu 4 in der Zeit vom 1.1.2017 bis 31.12.2020 und Herr N. vom 1.1.2017 bis zu seinem Tod ihre Tätigkeiten als Geschäftsführer im Rahmen abhängiger Beschäftigungsverhältnisse ausgeübt hätten. Dementsprechend bestünde Versicherungs- und Beitragspflicht zur Renten- und Arbeitslosenversicherung, Beitragspflicht zur Insolvenzgeldumlage und ab dem 1.1.2018 zur Umlage U2 nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG). Zur Begründung verwies sie auf die Maßstäbe des Bundessozialgerichts (BSG) für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern. Aus dem GV ergebe sich, dass bei beiden Gesellschaftern lediglich eine begrenzte, einfache Sperrminorität vorliege. Beide hätten keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft. Die Beklagte erhob hinsichtlich der beiden genannten Personen unter Zugrundelegung von diesen (unstreitig) bezogener monatlicher Arbeitsentgelte in wechselnder Höhe (jährlich ca. 100.000,00 - 150.000,00 €) Nachforderungen in Höhe von insgesamt 127.833,77 €.
Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch. Zur Begründung trug sie vor, Herr N. und der Beigeladene zu 4 seien als Gesellschafter-Geschäftsführer zu keiner Zeit abhängig beschäftigt gewesen. Ihre jeweilige Kapitalbeteiligung von je 50 % reiche aus, um von einer versicherungsfreien selbständigen Tätigkeit auszugehen. Der in § 8 Abs. 5 GV geregelte Stichentscheid sei unwirksam. Die Regelung berücksichtige nicht, dass Aufgaben, die der Gesellschafterversammlung zwingend zugewiesen seien (z.B. Satzungsänderungen), von der Zuweisung an einen neutralen Dritten ausgenommen seien (Verweis auf Bundesgerichtshof –BGH-, Urteil vom 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261). Nicht einmal durch Auslegung sei hinreichend zu ermitteln, wie das als letzte Möglichkeit genannte Losentscheidungsverfahren vonstattengehen solle. Selbst bei unterstellter Wirksamkeit führten die Regelungen zum Stichentscheid dazu, dass nicht von einem maßgeblichen Einfluss der beiden Gesellschafter-Geschäftsführer ausgegangen werden könne. Ein Letztentscheidungsrecht eines der beiden Gesellschafter mit entsprechender Konsequenz für den anderen Gesellschafter, sei nicht geregelt worden. Nach der Rechtsprechung des BSG bestehe bei einer Kapitalbeteiligung in Höhe von jeweils 50 % die Rechtsmacht, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Da vorliegend die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung grundsätzlich mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst würden, sei im Grundsatz davon auszugehen, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der mindestens 50 % der Anteile hält, ihm in seiner Rolle als Geschäftsführer nicht genehme Weisungen verhindern könne. Insoweit gehe das BSG selbst dann von einer versicherungsfreien selbständigen Tätigkeit der Gesellschafter-Geschäftsführer aus, wenn diese durch Beschluss einen Beirat errichtet hätten, ihm hinsichtlich aller über den gewöhnlichen Geschäftsverkehr hinausgehenden Geschäfte ein Weisungsrecht zugebilligt hätten und dieses Weisungsrecht Inhalt der Anstellungsverträge geworden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.8.2022 (Eingang beim Prozessbevollmächtigten am 18.8.2022) wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass beide Gesellschafter-Geschäftsführer vorliegend über keine echte Sperrminorität verfügt hätten. Soweit die Klägerin darauf verweise, dass kein Letztentscheidungsrecht eines der Gesellschafter gestaltet worden sei, so spreche dies gerade dafür, dass keiner der Gesellschafter den entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft nehmen könne. Auch bei Annahme der Unwirksamkeit der Regelungen zum Stichentscheid im GV gestalte sich die Rechtslage aufgrund der bestehenden „Pattsituation“ nicht anders. Es sei dann einem Gesellschafter mit 50 % Beteiligung zwar möglich, eine Entscheidung zu verhindern, nicht jedoch eine Entscheidung herbeizuführen.
Die Klägerin hat hierauf am 15.9.2022 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Aurich erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen das Vorbringen aus der Widerspruchsbegründung wiederholt.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Mit Urteil vom 9.6.2023 hat das SG der Klage stattgegeben und die streitgegenständlichen Bescheide aufgehoben, soweit sie Herrn N. und den Beigeladenen zu 4 betreffen. Beide seien in ihrer Rolle als Geschäftsführer für die Klägerin in dem streitgegenständlichen Zeitraum selbständig tätig und daher nicht aufgrund einer abhängigen Beschäftigung sozialversicherungspflichtig gewesen. Laut der jüngsten Rechtsprechung des BSG (Verweis auf Urteil vom 1.2.2022 – B 12 KR 37/19 R, juris Rn. 13) sei ein Gesellschafter-Geschäftsführer nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbständig tätig. Um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, müsse er über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht sei bei einem Gesellschafter gegeben, der zumindest 50 % der Anteile am Stammkapital halte. Daraus folge, dass in der paritätischen Zwei-Personen-GmbH, bei der beide Gesellschafter zu Geschäftsführern bestellt seien, grundsätzlich die Rechtsmacht für beide gegeben sei, was eine abhängige Beschäftigung ausschließe. Auf das (zusätzliche) Erfordernis einer echten, umfassenden Sperrminorität, komme es dann nicht mehr an. Dieses beziehe sich nur auf Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer. Vorliegend werde durch § 8 Abs. 5 GV die Rechtsmacht beider Gesellschafter nicht derart eingeschränkt, dass dadurch eine Abhängigkeit im Sinne eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses bestanden habe. Unabhängig von ihrer Wirksamkeit führe die Regelung nicht dazu, dass die eine abhängige Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht nicht mehr gegeben wäre (Verweis auf BSG, Urteil vom 24.6.1982 – 12 RK 43/81, juris Rn 16).
Die Beklagte hat gegen das ihr am 16.6.2023 zugestellte Urteil am 6.7.2023 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, vorliegend sei trotz der paritätischen Beteiligung der beiden Gesellschafter die für eine selbständige Tätigkeit erforderliche Rechtsmacht, über die Gesellschafterstellung hinaus die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können, nicht gegeben. Durch die getroffenen Regelungen zur Beschlussfassung im Falle einer Patt-Situation könnten sich beide Gesellschafter der durch den zur Entscheidungsfindung eingeschalteten Dritten getroffenen Entscheidung nicht entziehen (Verweis auf BSG, Urteil vom 7.7.2020 – B 12 R 17/18, juris Rn. 16; Landessozialgericht – LSG - Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.2.2021 – L 6 BA 15/20, juris Rn. 26). Sie könnten weder eine Entscheidung herbeiführen noch eine solche gegen ihren Willen verhindern. Zudem beziehe sich die Regelung in § 8 Abs. 5 GV auf alle Entscheidungen der Gesellschafterversammlung und nicht, wie in der vom SG zitierten Rechtsprechung des BSG, auf bestimmte bzw. außergewöhnliche Geschäfte. Vorliegend liege keine paritätische Zwei-Personen-Gesellschaft vor. Die getroffenen vertraglichen Regelungen sollten, wohl im Sinne einer kontinuierlichen Handlungsfähigkeit der Gesellschaft, eine solche Parität verhindern.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 9.6.23 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die erstinstanzliche Entscheidung. Ergänzend trägt sie vor, die streitgegenständliche Satzungsklausel und der damit normierte Streitbeilegungsmechanismus zwischen den Gesellschafter-Geschäftsführern der Klägerin seien zu keiner Zeit zur Anwendung gelangt, weil sie sich stets auf ein gemeinsames Vorgehen hätten einigen können und infolgedessen keine Pattsituation entstanden sei.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt. Der Beigeladene zu 4 hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, die nach dem Tod des Herrn N. auf dessen Kinder übergegangenen Gesellschaftsanteile erst im Jahr 2021 übernommen zu haben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand von Beratung und Entscheidung geworden sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Das angefochtene Urteil des SG Aurich vom 9.6.2023 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 26.4.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.8.2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beigeladene zu 4 war in der Zeit vom 1.1.2017 bis 31.12.2020, der verstorbene M. N. in der Zeit vom 1.1.2017 bis zu seinem Tod am 26.6.2020 bei der Klägerin als Geschäftsführer abhängig beschäftigt. Beide bezogen hierfür – unstreitig – ein Entgelt. Sie unterlagen insofern (jedenfalls) der Versicherungs- und Beitragspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung und für sie waren die Insolvenzgeldumlage gem. § 358 SGB III in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung des Gesetzes vom 30.10.2008 (BGBl. I 2130) sowie ab dem 1.1.2018 die Umlage U2 nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) zu entrichten.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- und Beitragspflicht (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und § 25 Abs. 1 SGB III in den jeweiligen, bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassungen). Nach § 7 Abs. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 4.6.2019 – B 12 R 10/18 R – m.w.N.).
Auf dieser Grundlage ist auch zu beurteilen, ob ein für eine GmbH als Geschäftsführer tätiger (unmittelbarer oder mittelbarer) Gesellschafter zu dieser Gesellschaft in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Die Rechtsprechung des BSG stellt dabei vorrangig darauf ab, ob der Gesellschafter-Geschäftsführer die Rechtsmacht hat, selbst und unmittelbar eine „ausschlaggebende Einflussnahmemöglichkeit“ auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen der von ihm geführten Gesellschaft auszuüben und zumindest ihm nicht genehme Weisungen zu verhindern (BSG, Urteil vom 8.7.2020 – B 12 R 26/18 R, juris Rn. 16; vgl. auch BSG, Urteile vom 14.3.2018 – B 12 KR 13/17 R, juris Rn.21, und vom 19.9.2019 – B 12 R 25/18 R, juris Rn. 15). Ein Geschäftsführer ohne Kapitalbeteiligung (sog. Fremdgeschäftsführer) ist ausnahmslos abhängig beschäftigt. Ein geschäftsführender Gesellschafter ist in seiner Tätigkeit für die Gesellschaft dann nicht abhängig beschäftigt, sondern selbständig tätig, wenn er mehr als 50 % der Anteile am Stammkapital hält. Anderenfalls ist er grundsätzlich abhängig beschäftigt. Ausnahmsweise ist er auch dann als Selbständiger anzusehen, wenn er genau 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder ihm nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende („echte“ oder „qualifizierte“), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist (BSG, Urteile vom 19.9.2019, a.a.O., juris Rn. 15, und vom 14.3.2018 – B 12 KR 13/17 R, juris Rn. 21). Gerade die gewöhnliche Geschäftsführung als das wesentliche Betätigungsfeld des Geschäftsführers muss von der Sperrminorität umfasst sein, um dessen abhängige Beschäftigung auszuschließen (BSG Urteil vom 1.2.2022 - B 12 KR 37/19 R). Fehlt es dagegen an einer solchen Mehrheitsbeteiligung oder Sperrminorität, ist ein Beschäftigungsverhältnis in aller Regel zu bejahen.
Die für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit notwendige Rechtsmacht, die den Gesellschafter-Geschäftsführer in die Lage versetzt, die Geschicke der Gesellschaft bestimmen oder zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern zu können, muss gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein. Außerhalb des Gesellschaftsvertrags (Satzung) bestehende wirtschaftliche Verflechtungen, Stimmbindungsabreden oder Veto-Rechte zwischen einem Gesellschafter-Geschäftsführer sowie anderen Gesellschaftern und/oder der GmbH sind nicht zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteile vom 14.3.2018 – B 12 KR 13/17 R und B 12 R 3/17 R, juris Rn. 22). Sie vermögen die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse nicht mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben. Unabhängig von ihrer Kündbarkeit genügen das Stimmverhalten regelnden Vereinbarungen außerhalb des Gesellschaftsrechts nicht dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände. Im Interesse sowohl der Versicherten als auch der Versicherungsträger ist die Frage der (fehlenden) Versicherungspflicht wegen Selbständigkeit oder abhängiger Beschäftigung schon zu Beginn der Tätigkeit zu klären, weil es darauf nicht nur für die Entrichtung der Beiträge, sondern auch für die Leistungspflichten der Sozialversicherungsträger und die Leistungsansprüche des Betroffenen ankommt.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze waren der Beigeladenen zu 4 und Herr O. als Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin für den gesamten vorliegend streitigen Zeitraum als deren abhängige Beschäftigte anzusehen. Sie waren weder Gesellschafter mit einem Anteil von mehr als 50 % noch Inhaber einer so genannten „echten“ Sperrminorität, so dass ihnen -trotz ihres jeweils hälftigen Gesellschaftsanteils - die Rechtsmacht fehlte, in möglichen Konfliktfällen Entscheidungen des anderen Gesellschafters oder Beschlüsse der Gesellschafterversammlung, mit denen sie nicht einverstanden waren, zu verhindern. Zugleich waren sie daran gehindert, eigene Entscheidungswünsche gegen den Willen des anderen Gesellschafters durchzusetzen und die Geschicke der Klägerin maßgeblich zu gestalten.
Die Tätigkeit eines Geschäftsführers ist nur dann unternehmerisch, wenn er auf alle wesentlichen Grundlagenentscheidungen Einfluss nehmen kann (BSG, Urteil vom 1.2.2022 – B 12 R 19/19 R, juris Rn. 16). Gesellschafter-Geschäftsführer müssen daher Gewinnchancen und Unternehmensrisiken mitbestimmen und damit auf die gesamte Unternehmenstätigkeit einwirken können. Dazu gehört insbesondere die dem Unternehmenszweck Rechnung tragende Bilanz-, Finanz-, Wirtschafts- sowie Personalpolitik (BSG, Urteil vom 1.2.2022 – B 12 KR 37/19 R, juris Rn. 14). Der Beigeladene zu 4 und Herr O. konnten in ihrer Funktion als Geschäftsführer der Klägerin nicht in diesem Sinne jederzeit und umfassend auf allen Geschäftsfeldern des Unternehmens der Klägerin bestimmend und weisungsunabhängig tätig werden. Trotz ihrer paritätischen Beteiligung zu je 50 % an der Klägerin waren sie angesichts der Stichentscheidsregelung in § 8 Abs. 5 GV nicht stets und in allen Konfliktfällen in der Lage, „einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können“ (BSG Urteile vom 13.3.2023 – B 12 R 4/21 R, juris Rn. 14, und B 12 R 6/21, juris Rn. 20 jeweils m.w.N.; vgl. auch SG Landshut, Urteil vom 11.1.2024 – S 1 BA 23/23, juris Rn. 32). Wie Gesellschafter ohne umfassende Sperrminorität konnten sie Entscheidungen des anderen Gesellschafter-Geschäftsführers und ihnen nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung nicht in allen das Unternehmen der Klägerin betreffenden Streitfragen verhindern. Ohne ein solches umfassendes (Letzt-)Entscheidungsrecht waren sie nicht im "eigenen" Unternehmen tätig, sondern – im Fall einer fehlenden Einigung nach Stichentscheid eines von ihnen beauftragten neutralen Dritten oder eines von der Handelskammer benannten Schiedsgutachters - in weisungsgebundener (vgl. § 37 GmbHG), funktionsgerecht dienender Weise in das Unternehmen der Klägerin als Arbeitgeberin eingegliedert.
Selbst eine etwaige rechtliche Unwirksamkeit der Stichentscheidsregelung des § 8 Abs. 5 GV führte entgegen der Rechtsansicht der Klägerin nicht zu einer Rechtsmacht beider Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin im Sinne der o.g. BSG-Rechtsprechung. Abgesehen davon, dass die h. M. im Gesellschaftsrecht Stichentscheide durch Nichtgesellschafter einer GmbH für rechtswirksam erachtet (Drescher in: Münchener Kommentar, § 47 GmbHG, Rn. 55 m.w.N [u.a. auf Reichsgericht (RG), Urteil vom 28.10.1901 – I 208/01, RGZ 49, 141 (147)]; a. A.: Römermann in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 4. Auflage 2023, § 47 Rn. 575), dürfte die Abstimmung durch einen solchen Dritten auf Grund einer entsprechenden Ermächtigung durch beide Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag – selbst im Falle einer rechtsunwirksamen Stichentscheidsregelung - zumindest zunächst wirksam sein (vgl. Römermann, a.a.O, Rn. 53 unter Hinweis auf die Fiktion des § 16 Abs. 1 GmbHG). Unerheblich ist insofern der Vortrag der Klägerin, dass jedenfalls der Gesellschaftsversammlung zwingend zugewiesene Entscheidungen, wie z.B. satzungsändernde Beschlüsse, für den Fall der Nichteinigung der beiden Gesellschafter nicht auf einen neutralen Dritten übertragen werden dürften. Auch hiernach wäre einer der Gesellschafter-Geschäftsführer in allen anderen geschäftlichen Geschäftshandlungen im laufenden Geschäftsbetreib für die GmbH, in denen eine Einigung im Streitfalle nicht herbeigeführt werden konnte, an einer Entscheidung gegen den Willen des anderen Gesellschafter-Geschäftsführers gehindert und im Nichteinigungsfalle der Entscheidung des neutralen Dritten unterworfen.
Nicht auf eine Weisungsfreiheit schließen lässt ein etwaiger faktischer Verzicht der Klägerin auf die Wahrnehmung des Weisungsrechts und die laut dem klägerischen Vortrag stets gegebene einvernehmliche Unternehmensführung beider Gesellschafter. Denn im Falle eines Zerwürfnisses zwischen den Gesellschaftern käme unabhängig von den wirtschaftlichen Folgen die Rechtsmacht zum Tragen (BSG, Urteile vom 29.7.2015 – B 12 R 1/15 R, juris Rn. 21, 25, und vom 29.7.2015 – B 12 KR 23/13 R, juris Rn. 25, 30). Seit seinem Urteil vom 29.7.2015 (a.a.O.), d.h. bereits vor dem streitgegenständlichen Zeitraum, hält das BSG an seiner „Kopf und Seele“-Rechtsprechung nicht mehr fest, da eine Abhängigkeit der Statuszuordnung vom rein faktischen, nicht rechtlich gebundenen und daher jederzeit änderbaren Verhalten der Beteiligten mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht in Einklang zu bringen ist. Eine „Schönwetter-Selbständigkeit“, die sich ausschließlich daraus ableitet, dass dem Betroffenen in harmonischen Zeiten freie Hand gelassen wird, während im Fall eines Zerwürfnisses dessen Weisungsunterworfenheit zum Tragen kommt, ist mithin nicht mehr anzuerkennen. Das Anknüpfen an die dem Beteiligten zukommende Rechtsmacht verringert Manipulationsmöglichkeiten. Andernfalls stünde es vielfach im freien Belieben der Beteiligten, durch zweckgerichtete Angaben zur tatsächlichen Stellung des Betroffenen im Unternehmen Sozialversicherungspflicht zu begründen oder auszuschließen. Die frühere „Kopf und Seele“-Rechtsprechung des BSG begründet auch keinen Vertrauensschutz, da sie stets eine Erscheinungsform der einzelfallbezogenen Auslegung des Begriffs der Beschäftigung war und keine langjährige, gefestigte Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 19.9.2019, a.a.O.; Rn. 23 ff.). Auch der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung zwischenzeitlich wiederholt angeschlossen (vgl. u.a. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2018 – L 12 BA 23/18 B ER, juris Rn. 32 ff.).
An der hiernach vorliegenden abhängigen Beschäftigung des Beigeladenen zu 4 und des Herrn N. für die Klägerin ändert auch nichts das vom SG zur Begründung seiner Auffassung herangezogene Urteil des BSG vom 24.6.1982 - 12 RK 43/81. Jenem Fall lag die durch Gesellschaftsvertrag erfolgte Einsetzung eines Beirates in einer GmbH zugrunde, in der – wie vorliegend – zwei je mit 50 % am Stammkapital beteiligte Gesellschafter-Geschäftsführer tätig waren. Der dreiköpfige Beirat, mit dem alle über den gewöhnlichen Geschäftsverkehr hinausgehenden außerordentlichen Geschäfte abzustimmen waren, stimmte mit 3/4-Mehrheit ab; seine Weisungen hatten die Geschäftsführer zu befolgen. Auch für alle Beschlüsse der Gesellschaft war eine 3/4-Mehrheit erforderlich. Die hierdurch hervorgerufene gegenseitige Abhängigkeit der Gesellschafter-Geschäftsführer bewirkte nach den Feststellungen des BSG (a.a.O, juris Rn. 16), dass beide zwar im Einzelfall die Durchführung von Beschlüssen des Beirats nicht verhindern konnten, aufs Ganze gesehen aber jeder von ihnen über einen so entscheidenden Einfluss auf die Geschäftsführung verfüge, dass er in seiner Stellung als Geschäftsführer nicht in der gleichen Weise weisungsunterworfen sei, wie ein Arbeitnehmer. Abgesehen davon, dass es fraglich erscheint, ob diese Entscheidung noch mit der neueren BSG-Rechtsprechung zur Rechtsmacht in Übereinstimmung zu bringen ist, vermag der Senat im vorliegenden Fall einen möglichen entscheidenden Einfluss des Beigeladenen zu 4 oder des Herrn N. im Konfliktfall, in dem der von ihnen beauftragte neutrale Dritte eine streitige Frage zu entscheiden hätte, nicht zu erkennen. Allein eine gegenseitige Anhängigkeit zweier paritätischer Gesellschafter-Geschäftsführer begründet noch keine Weisungsfreiheit im Sinne der BSG-Rechtsprechung. Zudem bezieht sich die Regelung in § 8 Abs. 5 GV, anders als in dem BSG-Verfahren, auf alle Entscheidungen der Gesellschafterversammlung. Die Möglichkeit notwendig werdender Stichentscheide, bei denen einer der beiden Gesellschafter-Geschäftsführer überstimmt werden konnten, bezog sich somit auf die gesamte Unternehmenstätigkeit.
Im Übrigen enthalten die Geschäftsführerverträge des Beigeladenen zu 4 und des Herrn O. weitere arbeitnehmertypischer Regelungen, wie etwa die Kündigungsmöglichkeit seitens der Klägerin nur aus wichtigem Grund, regelmäßige monatliche Gehaltszahlungen mit zusätzlicher gewinnabhängiger Vergütung, Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall und den Anspruch auf bezahlten Urlaub.
Keine maßgeblich für eine Selbstständigkeit sprechenden Indizien stellt auch die Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB dar (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 23.2.2021 - B 12 R 18/18 R, juris Rn. 24 m.w.N., und vom 19.9.2019 - B 12 R 25/18 R, juris Rn. 17).
In der gebotenen Gesamtabwägung der für und gegen die Annahme einer abhängigen Beschäftigung sprechenden Merkmale und ihres Gewichts überwiegen zur Überzeugung des Senats im Gesamtbild danach die für die Annahme einer Beschäftigung sprechenden Indizien.
Das Vorliegen von Versicherungsfreiheitstatbeständen für die Rentenversicherung oder nach dem Recht der Arbeitsförderung ist von der Klägerin nicht geltend gemacht worden und auch nicht ersichtlich.
Unrichtigkeiten hinsichtlich der Höhe der Beitragsnachforderung hat die Klägerin nicht benannt und sind auch nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Ein Grund für die Erstattung außergerichtlicher Kosten einer der Beigeladenen besteht nicht; diese habe insbesondere keine eigenen Anträge gestellt.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz.
____________________