Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers gegen den Richter am Landessozialgericht G. wird zurückgewiesen.
Gründe:
Das Ablehnungsgesuch hat keinen Erfolg. Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Das ist der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob aus der Sicht des ablehnenden Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.: Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss vom 25.07.2012 – 2 BvR 615/11 – NJW 2012, 3228; Bundesgerichtshof <BGH>, Beschluss vom 2.11.2016 – AnwZ (Brfg) 61/15 – NJW-RR 2017, 187; Bundessozialgericht <BSG>, Beschluss vom 19.01.2010 – B 11 AL 13/09 C – SozR 4-1500 § 60 Nr. 7; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen <LSG NRW>, Beschluss vom 10.07.2013 – L 11 R 399/13 B – juris; jeweils m.w.N.).
Dass ein Richter bei der Würdigung des maßgeblichen Sachverhaltes oder dessen rechtlicher Beurteilung eine andere Rechtsauffassung vertritt als ein Beteiligter, ist regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis seiner Befangenheit zu begründen. Entsprechendes gilt für die von ihm gewählte Gestaltung des Verfahrens (Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Beschluss vom 19.04.2018 – 1 C 1/17 – Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 84; LSG NRW, Beschluss vom 01.12.2011 – L 11 SF 386 11 AB – juris; jeweils m.w.N.). Das Institut der Richterablehnung dient nicht zur Kontrolle der richterlichen Rechtsauffassungen oder Verfahrensführung. Hierzu ist vielmehr allein das jeweilige Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsverfahren vorgesehen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Auslegung des Gesetzes oder die Handhabung des Verfahrens im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist (BGH, Beschluss vom 20.11.2017 – IX ZR 80/15 – ZinsO 2018, 547; LSG NRW, Beschluss vom 24.10.2011 – L 11 SF 329/11 AB – juris).
Nach diesen Maßstäben rechtfertigt die von dem Antragsteller vorgebrachte Begründung nicht die Ablehnung des Richters am Landessozialgericht (RiLSG) G. wegen der Besorgnis der Befangenheit. Er beanstandet im Wesentlichen den Inhalt des Richterbriefes vom 27.09.2023, der aus seiner Sicht die Grenze zur widerrechtlichen Drohung zur Erzwingung einer Prozesshandlung überschritten habe.
a) Eine in dem Richterbrief enthaltene widerrechtliche Drohung hat der Kläger zunächst nicht substantiiert vorgetragen.
Unter einer Drohung wird gemeinhin, das Inaussichtstellen eines zukünftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt, verstanden (vgl. Arnold in: Erman BGB, Kommentar, 17. Auflage 2023, § 123 BGB, Rn. 41). Vorliegend wird in dem gerügten Brief von der „Vermeidung von Weiterungen“ gesprochen. Darunter kann bei vernünftiger Würdigung der Umstände zunächst die Fortführung des Verfahrens verstanden werden, zu der der Berichterstatter nach Übertragung gemäß § 155 Abs. 1, 2, 4 SGG verpflichtet ist, soweit dieses keine anderweitige Erledigung findet.
b) Soweit der Kläger das Schreiben als Ankündigung der Einleitung eines Strafverfahrens versteht, kann diese Interpretation der gewählten Formulierung so nicht entnommen werden.
aa) Zwar werden Zweifel an dem wahrheitsgemäßen Vortrag des Klägers geäußert und auch die Frage nach einem versuchten Prozessbetrug („versuchter Betrug?“) in den Raum gestellt, die Ankündigung ein Strafverfahren einzuleiten, wird dort hingegen (noch) nicht geäußert. Der abgelehnte Richter verdeutlicht vielmehr in dem Richterbrief zunächst, dass es sich um eine vorläufige Einschätzung des damaligen Sach- und Streitstandes handelt. Dies lässt sich Formulierungen wie „jetzigem“ oder „sich die Frage stellt“ entnehmen. Die Bezugnahme auf den Wahrheitsgehalt des Beteiligtenvortrags im Rahmen einer Frage, rückt die Äußerung zudem in den Kontext eines mahnenden Hinweises auf die prozessuale Wahrheitspflicht (§§ 202 SGG, 138 ZPO; vgl. dazu Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage, § 108 Rn. 4; § 112 Rn. 7b).
Ausgangspunkt des Richterbriefes war dabei ein Schriftsatz des Klägers vom 22.05.2023, in welchem u.a. dezidierte Inhalte telefonischer Kontakte des Klägers mit Mitarbeitern des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (T.) aus den Jahren 2010 bis 2012 geschildert wurden. Die Beklagte meldete Zweifel an den sehr ausführlichen Erinnerungen des Klägers an Telefonate, die weit zurücklägen, an (Schriftsatz vom 16.06.2023). Trotz Aufforderung unter dem 22.06.2023 nahm der Kläger dazu keine Stellung. Der daraufhin mit Beschluss vom 18.07.2023 beigeladene T. konnte die Angaben des Klägers nicht bestätigen (Schriftsatz vom 25.07.2023). Teilweise seien die angegebenen Mitarbeiter nicht mehr dort beschäftigt, teilweise nicht identifizierbar. Es sei aber zu erwarten gewesen, dass sich entsprechende Telefonvermerke finden ließen, was allerdings in keinem der vorgetragenen Fälle so gewesen sei. Auch dazu hat sich der Kläger bislang inhaltlich nicht verhalten.
bb) Zudem ergeben sich aus den dienstlichen Äußerungen des abgelehnten Richters vom 25.10.2023 und 04.01.2024 keine anderweitigen Gesichtspunkte. Entsprechendes wird auch durch den Kläger nicht vorgetragen. Die Äußerung vom 04.01.2024 zielt auf den bereits beschriebenen Verfahrensstand zum vorgetragenen Inhalt der Telefonate aus den Jahren 2010 bis 2012 im Einzelfall ab. Der Wortwahl ist (noch) zu entnehmen, dass es sich nicht um eine abschließende, sondern um eine vorläufige, dem derzeitigen Stand entsprechende Meinung des Richters („zumindest derzeit“, „ggf.“) handelt.
cc) Diesbezüglich ist insgesamt darauf zu verweisen, dass die Erstattung einer Strafanzeige gegen eine Partei oder deren Ankündigung durch einen Richter nicht ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, weil das Gesetz selbst die Erstattung einer Anzeige durch das Gericht ermöglicht (§ 149 ZPO, § 114 Abs. 3 SGG) und in einigen Fällen auch verlangt (§ 183 Gerichtsverfassungsgesetz <GVG>, § 138 Strafgesetzbuch <StGB>, § 116 Abgabenordnung <AO>). So sie nicht verpflichtend ist, steht sie im pflichtgemäßen Ermessen des Richters (Vossler in: BeckOK-ZPO, 53. Ed. Juli 2024, § 42 Rn. 25a). Anerkannt ist aber auch, dass sich aus den konkreten Umständen der Anzeigeerstattung oder deren Ankündigung die Besorgnis der Befangenheit ergeben kann (Strackmann in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 42 Rn. 64; Nierwetberg NJW 1996, 432, 434f; Vossler in: BeckOK-ZPO, 53. Ed. Juli 2024, § 42 Rn. 25a). Nach herrschender Auffassung stellt das Erstatten einer Strafanzeige allerdings jedenfalls dann keinen Befangenheitsgrund dar, wenn der Richter zuvor im Einzelfall – wie oben beschrieben – die vorhandenen Verdachts- und Entlastungsumstände sorgfältig abgewogen und der Partei Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 21.09.2011 - L 11 SF 294/11 AB - juris, Kammergericht <KG> Berlin, Beschluss vom 01.08.2000 – 10 U 2817/99, beck-online; KG Berlin, Beschluss vom 04.01.2018 – 18 WF 204/17 –, Rn. 17, juris; BVerfG, Beschluss vom 25.07.2012 – 2 BvR 615/11 – BVerfGK 20, 27-32, Rn. 17). Mithin hat der Richter im Vorfeld dem Betroffenen rechtliches Gehör zu gewähren (LSG NRW, Beschluss vom 21.09.2011 – L 11 SF 294/11 AB –, Rn. 4, juris). Dabei hat z.B. das KG Berlin darauf verwiesen, dass der offene Vorhalt, es bestehe der Verdacht einer Straftat, der bei unveränderter Sachlage zu einer Strafanzeige führen müsse, zu der Gewährung rechtlichen Gehörs vor der zu treffenden Entscheidung führe und insofern eher geeignet sei, einer begründeten Besorgnis der Befangenheit entgegenzuwirken (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 01.08.2000 – a.a.O.; Nierwetberg, NJW 1996, 432, 435). Auch wurde dort die Ankündigung der Vorlage der Akten an die Staatsanwaltschaft nicht als ungebührlicher Druck angesehen (KG Berlin, Beschluss vom 01.08.2000 – a.a.O.; Vossler in: BeckOK-ZPO, 53. Ed. Juli 2024, ZPO § 42 Rn. 25b). Vorliegend ist diesbezüglich insbesondere zu beachten, dass sich das Verfahren noch im Stadium der Anhörung befand, der Kläger sich zu möglichen Entlastungsmomenten bisher nicht geäußert hat und sich die Anregung einer Klagerücknahme auf die Einschätzung des damaligen Sach- und Streitstandes bezog.
c) Soweit der Antragsteller die Verwendung des Begriffes „Beweisergebnis“ rügt, ohne dass bisher eine förmliche Beweisaufnahme stattgefunden habe, vermag dies nicht zu verfangen. Denn zum einen sind im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren Urkunden angefordert worden (vgl. z.B. Unterlagen des Integrationscenters für Arbeit Gelsenkirchen vom 14.10.2019 sowie Anforderung des Berichterstatters vom 22.11.2022). Zum anderen ist auch nicht ersichtlich, dass eine ungenaue oder falsche Formulierung an dieser Stelle eine willkürliche Bearbeitung oder Benachteiligung oder Bevorzugung einer – zudem anwaltlich vertretenen – Partei darstellen könnte (vgl. zu einer nicht konkret bezeichneten Anhörung nach § 153 Abs. 4 SGG: Senat, Beschluss vom 28.12.2023 – L 13 SF 160/23 AB).
d) Auch aus dem Umstand, dass der abgelehnte Richter in diesem Schreiben lediglich auf die Rechtsansicht der Beklagten verwiesen hat, ohne sich dezidiert mit der Argumentation des Klägers auseinanderzusetzen, lässt sich ein Befangenheitsgrund nicht ableiten. Nach den Angaben der Beklagten wurde die fehlende Erfolgsaussicht der Berufung bereits im Rahmen des Erörterungstermins am 10.03.2023 erörtert (Schriftsatz vom 27.10.2023), so dass der richterliche Hinweis nicht unerwartet erfolgt ist. Eine vorläufige Meinungsäußerung, durch die sich ein Richter noch nicht abschließend festgelegt hat, ist im Übrigen auch dann, wenn sie für den Rechtsstandpunkt einer Partei nachteilig sein mag, unbedenklich (Stackmann in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 42 Rn. 36; Vossler in: BeckOK ZPO, 53. Ed. Juli 2024, ZPO § 42 Rn. 23). Selbst die mutmaßlich oder tatsächlich fehlerhafte Rechtsauffassung eines Richters stellt grundsätzlich keinen Befangenheitsgrund dar, sondern ist ggf. mit den hierfür vorgesehenen Rechtsmitteln zu überprüfen. Von einer endgültigen Festlegung ist nur dann auszugehen, wenn das Gericht durch sein Verhalten den Eindruck erweckt, neuen Argumenten nicht mehr zugänglich zu sein (Vossler in: BeckOK ZPO, 53. Ed. Juli 2024, ZPO § 42 Rn. 23). Mit dem ausdrücklichen Bezug auf das „jetzige Beweisergebnis“ hat der abgelehnte Richter aber zum Ausdruck gebracht, dass seine Meinung noch nicht abschließend ist, sondern dem aktuellen Verfahrensstand entspricht.
e) Aus welchem Grund sich aus der unaufgeforderten Übersendung der Akten an den Prozessbevollmächtigten im Februar 2023 ein Befangenheitsgrund ableiten lassen soll, ist nicht ersichtlich. Die Akten sind kurz zuvor von der Beklagten übersandt worden (Schriftsatz vom 09.02.2023). Offenbar konnte ein Telefonat die Sache klären (Telefonvermerk vom 22.02.2023).
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG)
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