Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. März 2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung höherer Leistungen der sozialen Pflegeversicherung streitig.
Bei der 1953 geborenen Klägerin ist seit Januar 2017 ein Pflegegrad 1 festgestellt. Im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung beantragte der Sozialdienst S1 unter Vorlage eines Pflegeüberleitungsbogens für die Klägerin am 30. März 2022 die Eileinstufung in einen höheren Pflegegrad. Pflegfachkraft U1, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MD), vertrat in ihrem Kurzgutachten vom 1. April 2022 die Auffassung, dass bei der Klägerin Einschränkungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten bestünden, die mindestens Pflegegrad 2 entsprächen. Mit Schreiben vom 4. April 2022 teilte die Beklagte der Klägerin die Einschätzung des MD mit. Frühestens mit dem Tag der Krankenhausentlassung oder eventuell erst nach dem Ende der Rehabilitation erhalte sie dementsprechend Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegegrad 2. Nach vier bis sechs Wochen werde durch eine erneute Begutachtung der individuelle Pflegegrad, der genau ihrer Selbständigkeit oder ihren entsprechenden Fähigkeiten entspreche, festgestellt. Dann erhalte sie den endgültigen Bescheid zu ihrem Antrag.
Pflegefachkraft R1, MD, gelangte in ihrem Gutachten vom 23. August 2022 nach Begutachtung im häuslichen Umfeld zu der Einschätzung, dass bei der Klägerin unter Berücksichtigung der pflegebegründenden Diagnosen sonstige und nicht näher bezeichnete Zirrhose der Leber, Krankheit der Wirbelsäule und des Rückens, nicht näher bezeichnet, nach wie vor der Pflegegrad 1 festzustellen sei. In den Modulen 1 (Mobilität), 2 (kognitive und kommunikative Fähigkeiten), 3 (Verhaltensweisen, psychische Problemlagen), 5 (Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen) seien 0,00 gewichtete Punkte, im Modul 4 (Selbstversorgung) 10,00 gewichtete Punkte und im Modul 6 (Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte) 3,75 gewichtete Punkte, insgesamt somit 13,75 gewichtete Punkte zu vergeben. Mit Bescheid vom 24. August 2022 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der MD habe die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit nun persönlich begutachtet und festgestellt, dass bei der Klägerin eine geringe, aber noch keine erhebliche Beeinträchtigung der Selbständigkeit vorliege. Ab 1. September 2022 ende ihr Anspruch auf Pflegeleistungen im Pflegegrad 2. Es bestehe Anspruch auf Leistungen nach Pflegegrad 1.
Ihren hiergegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin im Wesentlichen damit, dass sie unter Depressionen leide. Pflegefachkraft W1, MD, bestätigte in ihrem Gutachten nach Aktenlage vom 17. Oktober 2022 das Ergebnis des Vorgutachtens vollumfänglich. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2023 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Die Pflegefachkräfte des MD hätten in ihren Gutachten vom 23. August 2022 und 17. Januar 2022 festgestellt, dass die Klägerin geringere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten in den pflegefachlich begründeten Kriterien aufweise. Innerhalb des Begutachtungsinstruments erreiche sie 13,75 gewichtete Gesamtpunkte, womit die Voraussetzungen des Pflegegrades 2 nicht vorlägen.
Hiergegen erhob die Klägerin am 19. April 2023 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Zu deren Begründung trug sie vor, sie könne sich nur schwer selbst waschen und sei sehr vergesslich. Sie verstehe nicht, dass ihr der Pflegegrad 2 wieder aberkannt worden sei.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Mit Urteil vom 8. März 2024 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe lediglich Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach Pflegegrad 1. Sie erreiche nach den im Verwaltungsverfahren eingeholten überzeugenden Gutachten nicht die für den Pflegegrad 2 erforderlichen 27 gewichteten Punkte. Selbst wenn man den Vortrag der Klägerin, dass sie sich nur schwer selbst waschen könne und sehr vergesslich sei, als Hilfebedarf in Modul 4 stärker als in den eingeholten Gutachten berücksichtige, käme sie nicht auf die von ihr begehrten 27 Gesamtpunkte.
Gegen das ihr am 18. April 2024 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14. Mai 2024 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ein Anspruch auf Leistungen nach Pflegegrad 2 sei zu Unrecht abgelehnt worden. Sie sei sehr oft bettlägerig, vergesse auch mal die Einnahme der Medikamente und könne sich am Rücken nicht waschen und eincremen. Sie sei einsam und es wäre gut, wenn auch wegen ihrer Depression jemand Kompetentes käme. Mit ihrem Haushalt werde sie nicht mehr fertig. Sie befinde sich regelmäßig in stationärer Behandlung, brauche viele Infusionen zum Entwässern. Ihre Beine müsse sie nun auf Dauer wickeln und für immer zusätzlich Proteine einnehmen. Die Leberzirrhose bilde einen Hirnnebel, ihr sei schwindelig, sie spreche und denke langsam. Sie bräuchte u.a. Hilfe für Haushalt, Pflege, Besorgungen, Besuch von Ärzten, Fußnagelpflege, Waschen des Rückens, Abholen von Medikamenten von der Apotheke, Kochen des Mittagessens, Richten der Medikamente und Behördengänge.
Die Klägerin beantragt sachdienlich ausgelegt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. März 2024 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24. August 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. März 2023 zu verurteilen, ihr über den 31. August 2022 hinaus Leistungen nach Pflegegrad 2 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die angefochtene Entscheidung sei nicht zu beanstanden. Die vorliegenden Gutachten beschrieben die Pflegesituation der Klägerin schlüssig und nachvollziehbar.
Der Senat hat den Pflegesachverständigen B1 mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Nach Begutachtung im häuslichen Umfeld am 8. Oktober 2024 gelangte er in seinem Gutachten vom 12. Oktober 2024 zu der Einschätzung, dass unter Berücksichtigung der pflegerelevanten Diagnosen Leberzirrhose am ehesten bei nichtalkoholischer Steatohepatitis, 02/2022, Zustand nach mehrfacher hydropischer Dekompensation mit Pleurapunktion sowie rezidivierendem Aszites, Fibromyalgie, Krankheit der Wirbelsäule und des Rückens und Depression ein Pflegebedarf von 13,75 gewichteten Punkten (3,75 gewichtete Punkte in Modul 2 und 10,00 gewichtete Punkte in Modul 4) festzustellen sei. Die gesundheitliche Situation habe sich insbesondere durch die fortschreitende Lebererkrankung verschlechtert, so dass die Abstände, in denen sie sich in stationäre Behandlung begeben müsse, um überschüssige Flüssigkeit aus dem Bauchraum oder teilweise des Pleuraspalts punktieren zu lassen, weiter verkürzten. Dies habe jedoch bisher keine pflegegradüberschreitenden Auswirkungen, da sich in den Monaten dazwischen kein höherer Pflegegrad ableiten lasse. Bei den im Modul 4 berücksichtigten Unterstützungen handle es sich ausschließlich um Soll-Hilfebedarfe, nicht um vorgehaltene Maßnahmen einer Pflegeperson. Die im Pflegeüberleitungsbogen S1 (vgl. BI. 49 d. VA) aufgeführten Einschränkungen hätten sich vor Ort sowie auch im Gesamtkontext nicht regelmäßig objektivieren lassen. Möglicherweise habe sich die Klägerin in einem in stationärer Umgebung besonders beeinträchtigten Zustand befunden, welcher jedoch nicht dem regelmäßigen Status innerhalb von mindestens sechs Monaten entspreche.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 2 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Denn die Klägerin begehrt Pflegegeld mindestens nach Pflegegrad 2 seit dem 1. September 2022 und damit für mehr als ein Jahr.
2. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 24. August 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. März 2023 (§ 95 SGG), mit dem es die Beklagte ablehnte, der Klägerin auf ihren Antrag vom 30. März 2022 anstelle von Leistungen nach Pflegegrad 1 Sach- und Geldleistungen nach Pflegegrad 2 zu gewähren. Hiergegen wendet sich die Klägerin in zulässiger Weise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 SGG), mit der sie die Gewährung von Leistungen nach Pflegegrad 2 über den 31. August 2022 hinaus begehrt. Es kann dahinstehen, ob die mit Bescheid vom 4. April 2022 erfolgte Bewilligung von Leistungen nach Pflegegrad 2 ab dem Zeitpunkt der Entlassung aus der stationären Behandlung oder dem Ende einer eventuellen Rehabilitationsmaßnahme bis zu einer Entscheidung nach Begutachtung im häuslichen Umfeld als befristete Bewilligung im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI; hier in der ab dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 13a Drittes Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften [Drittes Pflegestärkungsgesetz – PSG III] vom 23. Dezember 2016, BGBl. I, S. 3191; zur befristeten Bewilligung vgl. auch Roller, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, Stand: September 2024, § 18a Rn. 40 unter Hinweis auf BT-Drucks. 20/6544 Seite 58 zu Abs. 7), als Bewilligung mit einer auflösenden Bewilligung oder als vorläufige Bewilligung auszulegen ist, da sie in keinem Fall eine Bindungswirkung für die endgültige Entscheidung nach der Begutachtung im häuslichen Umfeld entfaltet.
3. Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 24. August 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. März 2023 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegegrad 2 ab dem 1. September 2022.
a) Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin auf Leistungen nach einem höheren Pflegegrad ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung – wie die Bewilligung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach einem bestimmten Pflegegrad (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2005 – B 3 P 8/04 R – juris, Rn. 16 zur früheren Pflegestufe) – mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ist dabei wesentlich, wenn sie zu einer anderen rechtlichen Bewertung führt, sich also auf den Leistungsanspruch des Versicherten auswirkt (Schütze, in: ders., SGB X, 9. Aufl. 2020, § 48 Rn. 15). Damit richtet sich die Feststellung einer wesentlichen Änderung nach dem für die Leistung maßgeblichen materiellen Recht (zum Ganzen: Senatsurteil vom 25. Februar 2022 – L 4 P 3969/19 – juris, Rn. 39 m.w.N.).
b) Eine wesentliche Änderung in diesem Sinne liegt seit der letzten Feststellung des Pflegegrades im Jahr 2017 nicht vor. Die Voraussetzungen des Pflegegrades 2 sind nicht erfüllt, sondern lediglich die des Pflegegrades 1.
aa) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1SGB XI können Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Der Anspruch setzt voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderlichen körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung in geeigneter Weise selbst sicherstellt (§ 37 Abs. 1 Satz 2 SGB XI). An diesen Voraussetzungen hat sich auch durch die Neufassungen der Norm nichts geändert.
Nach § 14 Abs. 1 SGB XI sind Personen dann pflegebedürftig, wenn sie gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind nach § 14 Abs. 2 SGB XI die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien:
1. Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;
2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch;
3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;
4. Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen;
5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen in Bezug auf: Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel, Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung, zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;
6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.
Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten in den Bereichen der Haushaltsführung und der außerhäuslichen Aktivitäten werden nicht zusätzlich berücksichtigt, sondern fließen in die Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit ein, soweit sie in den oben genannten Bereichen abgebildet sind. Darüber hinausgehende Beeinträchtigungen in diesen beiden Bereichen wirken sich mithin nicht auf die Bestimmung des Pflegegrades aus (vgl. § 14 Abs. 3 SGB XI; zum Ganzen: Meßling/Weiß, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, Stand: September 2024, § 14 Rn. 276 ff. m.w.N.). Sowohl die Auflistung der sechs Pflegebereiche als auch die zu deren Konkretisierung aufgeführten Pflegekriterien bilden einen abschließenden Katalog, der nicht um - vermeintlich fehlende - zusätzliche Kriterien oder gar Bereiche ergänzt werden kann (Meßling/Weiß, a.a.O., § 14 Rn. 130). Inhaltlich erfahren die Pflegekriterien eine nähere Bestimmung durch die auf Grundlage des § 17 Abs. 1 SGB XI mit Wirkung vom 1. Januar 2017 vom Spitzenverband Bund der Pflegekassen erlassenen Richtlinien zum Verfahren der Feststellung von Pflegebedürftigkeit sowie zur pflegefachlichen Konkretisierung der Inhalte des Begutachtungsinstruments nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (Begutachtungs-Richtlinien – BRi) vom 15. April 2016 (insbesondere Ziffern 4.8.3 und 4.9), zuletzt geändert durch Beschluss vom 21. Dezember 2023 (seit dem 26. September 2024 gelten die „Richtlinien zum Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit sowie zur pflegefachlichen Konkretisierung der Inhalte des Begutachtungsinstruments nach § 17 Absatz 1 SGB XI“ vom 21. August 2024). Soweit sich diese untergesetzlichen Regelungen innerhalb des durch Gesetz und Verfassung vorgegebenen Rahmens halten, sind sie als Konkretisierung des Gesetzes zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen zu beachten (BSG, Urteil vom 22. Februar 2024 – B 3 P 1/22 R – juris, Rn. 18 ff.; Meßling/Weiß, a.a.O., § 14 Rn. 97 m.w.N.).
Nach § 15 Abs. 1 SGB XI erhalten Pflegebedürftige nach der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten einen Grad der Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad). Der Pflegegrad wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments ermittelt, wobei dieses in sechs Module, entsprechend den oben genannten Bereichen, gegliedert ist. Die Kriterien der einzelnen Module sind in Kategorien unterteilt, denen Einzelpunkte entsprechend der Anlage 1 zu § 15 SGB XI zugeordnet werden. Die Kategorien stellen die in ihnen zum Ausdruck kommenden verschiedenen Schweregrade der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit
oder der Fähigkeiten dar (§ 15 Abs. 2 Satz 3 SGB XI). Die Einzelpunkte in den jeweiligen Modulen werden sodann addiert und entsprechend der Anlage 2 zu § 15 SGB XI einem jeweiligen Punktbereich zugeordnet, aus dem sich die gewichteten Punkte ergeben. Insgesamt wird für die Beurteilung des Pflegegrades die Mobilität mit 10 Prozent, die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen zusammen mit 15 Prozent, die Selbstversorgung mit 40 Prozent, die Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen mit 20 Prozent und die Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte mit 15 Prozent gewichtet (§ 15 Abs. 2 Satz 8 SGB XI).
Auf der Basis der erreichten Gesamtpunkte sind pflegebedürftige Personen in einen der nachfolgenden Pflegegrade einzuordnen: ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, ab 90 bis 100 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung (§ 15 Abs. 3 Satz 4 SGB XI).
bb) Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen des Pflegegrades 2 seit September 2022 nicht vorliegen, sie also nicht mindestens 27 gewichtete Gesamtpunkte erreicht.
(1) Bei der Klägerin bestehen die pflegerelevanten Diagnosen Leberzirrhose am ehesten bei nichtalkoholischer Steatohepatitis, ED 02/2022, Zustand nach mehrfacher hydropischer Dekompensation mit Pleurapunktion sowie rezidivierendem Aszites, Fibromyalgie, Krankheit der Wirbelsäule und des Rückens sowie Depression. Dies entnimmt der Senat den Gutachten des Pflegesachverständigen B1 vom 12. Oktober 2024 sowie der Pflegefachkräfte R1 vom 23. August 2022 und Wahl vom 17. Oktober 2022, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwerten konnte (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51).
(2) (a) Aus diesen Gesundheitsstörungen und den daraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen ergibt sich ein Hilfebedarf in Modul 1 (Mobilität) von 1 Einzelpunkt und 0 gewichteten Punkten. Die Klägerin benötigt Unterstützung beim Treppensteigen, was ihr nur noch überwiegend selbständig möglich ist. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen B1. Die von ihm als erforderlich angesehene Sicherheitsbegleitung beim Treppensteigen zwischen zwei Etagen ist anhand der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen ohne weiteres nachvollziehbar. Der Sachverständige beschreibt eine allgemeine Schwäche der unteren Extremitäten, chronische Hüftschmerzen sowie wechselnde Beschwerden im Rahmen der Fibromyalgie. Aufgrund der deutlich eingeschränkten körperlichen Belastbarkeit ist eine Sicherheitsbegleitung beim Treppensteigen indiziert. Dem Gutachten des Sachverständigen B1 ist darüber hinaus zu entnehmen, dass die freie Geh- und Stehfunktion bei der Klägerin erhalten ist und sie kurze Strecken im Wohnraum sicher gehen kann. Darüber hinaus ist die Rumpfstabilität erhalten und die Klägerin in der Lage, die Sitz- und Liegeposition autark zu korrigieren. Sie demonstrierte bei der Begutachtung durch den Sachverständigen B1 auch flüssig das Aufrichten aus der liegenden Position sowie das Setzen an die Bettkante. Der Sachverständige hat dementsprechend keinen weiteren Hilfebedarf im Bereich der Mobilität berücksichtigt. Der Klägerin ist der Positionswechsel im Bett, das Halten einer stabilen Sitzposition, das Umsetzen sowie die Fortbewegung innerhalb des Wohnbereichs selbständig möglich.
(b) In Modul 2 (Kognitive und kommunikative Fähigkeiten) ist kein Hilfebedarf festzustellen. Der Sachverständige B1 beschreibt die Klägerin als wach, bewusstseinsklar und vollumfänglich orientiert. Gespräche sind der Klägerin nach Einschätzung des Sachverständigen uneingeschränkt möglich; insgesamt konnte er keine Einschränkungen hinsichtlich Kognition oder Kommunikation gemäß Modul 2 beobachten. Den durch die Klägerin beschriebenen „Hirnnebel“ konnte der Sachverständige ebenso wenig wie eine Verlangsamung im Sprechen und Denken bestätigen.
(c) In Modul 3 (Verhaltensweisen und psychische Problemlagen) ist ein Hilfebedarf von 1 Einzelpunkt und damit von 3,75 gewichteten Punkten festzustellen. Der Senat folgt auch insoweit der Einschätzung des Sachverständigen B1, der einen Unterstützungsbedarf bei ein- bis dreimal innerhalb von zwei Wochen auftretender Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage berücksichtigte. Der Sachverständige beschrieb Antrieb, emotionale Schwingungsfähigkeit und Stimmung als initial situativ angemessen und ohne Auffälligkeiten. Das aufgrund diagnostizierter depressiver Erkrankung verordnete Antidepressivum sei schon vor längerer Zeit eigeninitiativ abgesetzt worden. Regelmäßige psychotherapeutische Konsultationen erfolgen nicht. Im Gesamtkontext konnte der Sachverständige nicht sicher ausschließen, dass die Klägerin zumindest selten unter einer hilfebedürften Antriebsstörung leidet und nicht ausschließlich aufgrund von Müdigkeit und körperlicher Schwäche auch tagsüber sehr viel im Bett liegt. Der von ihm angenommene Hilfebedarf in Modul 3 ist daher für den Senat überzeugend und nachvollziehbar begründet. Darüber hinausgehende Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, die einen Hilfebedarf begründen würden, sind nach den vorliegenden Gutachten für den Senat hingegen nicht ersichtlich.
(d) In Modul 4 (Selbstversorgung) sind 3 Einzelpunkte (Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare und Abtrocknen, An- und Auskleiden des Ober-/Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken überwiegend selbständig) und damit 10 gewichtete Punkte zu berücksichtigen. Dies entnimmt der Senat ebenfalls dem Gutachten des Sachverständigen B1. Er legt schlüssig und nachvollziehbar dar, dass aufgrund der körperlichen Schwäche sowie chronischer Schmerzen im Rahmen der Fibromyalgie beim Duschen inklusive Transfer und Haarewaschen ein regelmäßiger Soll-Hilfebedarf besteht. Soweit die Klägerin vorträgt, Hilfe beim Waschen und Eincremen des Rückens zu benötigen, wird dies durch den Sachverständigen hinreichend berücksichtigt. Aufgrund der schmerzhaften Wirbelsäulenbeschwerden mit beeinträchtigter Bückfunktion sind außerdem beispielsweise Hosen zum leichten Einstieg hinzuhalten. Die herabgesetzte Kraftfunktion der Hände führt dazu, dass volle Flaschen regelmäßig aufzudrehen sind.
(e) In Modul 5 (Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen) besteht kein relevanter Hilfebedarf. Dies entnimmt der Senat ebenfalls den Ausführungen des Sachverständigen B1. Die Klägerin benötigt zwar einmal wöchentlich Hilfe beim Richten der Medikamente in Tagesdosetten, da sie teilweise nicht sicher ist, ob sie diese eingenommen hat, und einmal monatlich bei Arztbesuchen. Dies begründet keine Einzel- oder gewichteten Punkte in Modul 5. Den Vortrag der Klägerin, die Einnahme der Medikamente „auch mal“ zu vergessen, wurde durch den Sachverständigen insoweit berücksichtigt, als er das Richten der Medikamente in Tagesdosetten als ausreichend angesehen und bei der Ermittlung des Hilfebedarfs eingestellt hat. Soweit die Klägerin zuletzt geltend macht, ihre Beine nun auf Dauer wickeln und zusätzlich Proteine einnehmen zu müssen, ist ein zusätzlicher Hilfebedarf nicht zu berücksichtigen. Die Klägerin trug gerade nicht vor, hierfür Hilfe zu benötigen.
(f) In Modul 6 (Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte) besteht nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen B1 ebenfalls kein relevanter Hilfebedarf. Es kann dahinstehen, ob der Klägerin, wie Pflegefachkraft R1 in ihrem Gutachten vom 23. August 2022 annimmt, das Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen nur überwiegend selbständig möglich sind. Auch unter Berücksichtigung eines weiteren Einzel- und 3,75 weiterer gewichteter Punkte wären insgesamt die für Pflegegrad 2 erforderlichen 27 gewichteten Punkte nicht erreicht.
(3) Insgesamt sind bei der Klägerin derzeit 13,75 gewichtete Punkte (3,75 in Modul 3 und 10 in Modul 4) festzustellen, so dass weiterhin lediglich die Voraussetzungen für Pflegegrad 1 vorliegen. Ein darüber hinausgehender - über mindestens sechs Monate bestehender - Hilfebedarf ergibt sich weder aus den Angaben des S1 bei Antragstellung noch aus dem Vortrag der Klägerin. Die im Pflegeüberleitungsbogen des S1 vom 30. März 2022 aufgeführten Einschränkungen hinsichtlich der kommunikativen Fähigkeiten, des Positionswechsels im Bett oder des Waschens des vorderen Oberkörpers konnte der Sachverständige B1 im Rahmen der Begutachtung im häuslichen Umfeld ebenso wenig bestätigen wie die Pflegefachkraft R1 in ihrem Gutachten vom 23. August 2022. Soweit die Klägerin vorträgt, mit ihrem Haushalt nicht mehr fertig zu werden, begründet dies keinen im Rahmen der Bestimmung des Pflegegrades zu berücksichtigenden Hilfebedarf. Wie bereits dargelegt, sind Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten im Bereich der Haushaltsführung nicht zusätzlich zu berücksichtigen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
5. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 10 P 1531/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 1470/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
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Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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