L 7 SO 804/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SO 2840/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 804/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 6. April 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege für den früheren Kläger, den verstorbenen S1 S2 (S.), mit Wirkung vom 1. Dezember 2020.

S. bezog von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg eine Regelaltersrente mit einem monatlichen Zahlbetrag von 598,50 Euro ab dem 1. Januar 2019 bzw. von 617,90 Euro ab dem 1. März 2020.

In der Vermögenserklärung vom 15. Juli 2019 gab S. an, über ein Girokonto bei der K1kasse F1 mit einem Guthaben am 15. Juli 2019 in Höhe von 4.641,67 Euro sowie über ein Sparbuch mit einem Guthaben am 15. Juli 2019 in Höhe von 205,09 Euro zu verfügen. Außerdem bestehe eine Sterbegeld-Versicherung mit einer garantierten Gesamtleistung im Todesfall von 4.209,62 Euro bzw. einer Leistung bei Kündigung von 433,91 Euro. Weitere Vermögenswerte lägen nicht vor.

S. litt unter einer schnell fortschreitenden Form der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) und war zuletzt in Pflegegrad 4 eingestuft. Am 5. November 2014 zog er aus dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten zunächst in eine ambulant betreute Wohnform (ABW) für beatmete, tracheotomierte bzw. intensivpflegebedürftige Menschen im Landkreis F1, der zunächst die Sozialhilfeaufwendungen für S. trug. Im Schiedsspruch der Spruchstelle Baden-Württemberg vom 14. August 2018 (Az.: 07/17) wurde der Beklagte zur Erstattung der bis zum 31. März 2017 erbrachten Sozialhilfeaufwendungen an den Landkreis F1 verpflichtet. Der Beklagte sei nach § 98 Abs. 5 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) der örtlich zuständige Sozialhilfeträger.

Am 11. November 2019 schlossen S. und die D1 Immobilienverwaltungsgesellschaft mbH, 11, 81 M1, einen Mietvertrag über das 51 zzgl. 12 der Gemeinschaftsflächen im Gebäude 13, L1, wonach das auf unbestimmte Zeit laufende Mietverhältnis am 1. November 2019 beginnen sollte und S. eine Bruttomiete von monatlich insgesamt 650 Euro zu entrichten hatte. In § 1 Nr. 4 des Mietvertrages wird ausgeführt, Zweck der Wohnraumüberlassung sei eine ambulant betreute Wohngemeinschaft, in welcher Menschen familienähnlich zusammenlebten. § 1 Nr. 5 des Mietvertrags enthält die Regelung, es werde seitens des Vermieters darauf hingewiesen, dass die Wahl des Pflegedienstes dem Mieter völlig freigestellt sei. Die schriftliche Erklärung zur Wahl des Pflegedienstes war dem Mietvertrag als Anlage beigefügt. Im November 2019 zog S. in die Wohnung 13, L1. Hierbei handelt es sich um eine ambulant betreute anbietergestützte Wohngemeinschaft für intensivpflegebedürftige Patienten im Sinne von § 4 i.V.m. § 5 Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz (WTPG).

Am 24. Oktober 2019 bzw. 11. November 2019 schlossen die jetzige Klägerin und S. einen Vertrag über ambulante Pflege und Betreuung, in welchem sich die Klägerin verpflichtete, an S. („Kunde“) ab dem 1. November 2019 nach dessen Umzug in die WG L2 Leistungen der Pflegeversicherung nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) (im Einzelnen aufgelistet unter Ziffer 1 des Vertrags), Leistungen der häuslichen Krankenpflege (Ziffer 2 des Vertrags) sowie andere Leistungen (Ziffer 3 des Vertrags) zu erbringen. Die Leistungen würden, soweit nichts anderes vereinbart sei, in der Häuslichkeit des Kunden erbracht (Leistungsort). Eine ambulante Wohngemeinschaft entspreche der Häuslichkeit des Kunden.

Für S. war eine 24-stündige Behandlungspflege nach § 37 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) verordnet. Er wurde von den Mitarbeitern der Klägerin betreut, die sowohl die Behandlungs- als auch die Grundpflege erbrachten. Die Behandlungspflege umfasste v.a. die Krankenbeobachtung, das endotracheale Absaugen und einen Assistenzbedarf beim Abhusten; die Grundpflege umfasste im Wesentlichen die Körperpflege, die Sondenernährung und das Lagern.

Mit Schreiben an die Klägerin vom 16. Januar 2018, 13. Februar 2019, 17. Januar 2020 und 8. Februar 2021 ordnete die Krankenkasse des S. dessen 24-stündige Betreuung mit einem Anteil von 21,92 Stunden der Behandlungspflege und mit einem Anteil von 2,08 Stunden (125 Minuten) der Grundpflege zu. Die Krankenkasse zahlte für die Behandlungspflege einen vereinbarten Stundensatz von 22,13 Euro.

Die Klägerin rechnete die von ihr erbrachte Grundpflege entsprechend den mit S. geschlossenen Verträgen nach Leistungsmodulen ab und legte hierbei für die einzelnen Module die von ihr mit den Pflegekassen nach § 89 SGB XI geschlossene Vergütungsvereinbarung für die häusliche Pflegehilfe zugrunde. Die Pflegekasse übernahm die maximale Pauschale für den Pflegegrad 4 bei häuslicher Pflege in Höhe von monatlich 1.612,00 Euro. Zudem erhielt S. von seiner Pflegekasse einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI in Höhe von 214,00 Euro und einen Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI in Höhe von monatlich 125,00 Euro.

Mit Bescheid vom 14. Januar 2020 bewilligte der Beklagte dem S. die Übernahme der Kosten für das ambulant betreute Wohnen als Leistung der Sozialen Teilhabe nach § 102 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. § 113 SGB IX durch den Leistungserbringer Soziale Betreuungsgemeinschaft M2 & Partner GmbH & Co. KG, 14, 71 A1, für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2021.

Mit Bescheid vom 5. Juli 2019 bewilligte der Beklagte dem S. Leistungen der Hilfe zur Pflege ab dem 1. Januar 2019 in Form der Übernahme der Kosten für die ambulante Pflege einschließlich der genehmigten Investitionskosten durch die Klägerin entsprechend dem Kostenvoranschlag vom 1. Dezember 2018 abzüglich der Pflegesachleistung der Pflegekasse in Höhe von monatlich 1.612,00 Euro (entsprechend Pflegegrad 4).

Mit Schreiben vom 3. Juli 2020 und 4. August 2020 hörte der Beklagte den S. hinsichtlich einer Rücknahme der Bewilligung der Hilfe zur Pflege an und hob mit Bescheid vom 17. November 2020 den Bescheid vom 5. Juli 2019 über die Gewährung der Leistungen nach dem 7. Kapitel des SGB XII gem. § 45 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Wirkung zum 1. Dezember 2020 auf. Die von der Klägerin nach Leistungsmodulen abgerechnete Grundpflege werde nicht mehr anerkannt. Aufgrund des Behandlungsvertrages hinsichtlich der ambulanten Krankenversorgung im Umfang von 24 Stunden habe die Klägerin die Leistungen zu erbringen, so dass nur ein rechnerischer Anteil im Rahmen der Hilfe zur Pflege bestehe und dieser rechnerische Anteil vollumfänglich mit den von der Pflegekasse zu erbringenden Pflegesachleistungen abgedeckt werden könne. Der Bescheid vom 5. Juli 2019 sei deshalb rechtswidrig. Das Vertrauen in den Bescheid sei unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse nicht schutzwürdig. Es sei im Interesse der Öffentlichkeit, dass steuerfinanzierte Leistungen nicht zu Unrecht ausgegeben würden. Der Klägerin sei es zumutbar und möglich, die 24-Stunden-Intensivpflege entsprechend der Verordnung und dem Stundensatz des SGB V abzurechnen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 2020 wies der Beklagte den hiergegen erhobenen Widerspruch des S. zurück. Zur Begründung führte er aus, dem S. sei mit Bescheid der Krankenkasse vom 13. Februar 2019 häusliche Krankenpflege von täglich 24 Stunden nach § 37 SGB V verordnet worden. Diese umfasse auch alle verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen, auch wenn diese bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit zu berücksichtigen seien. Der krankenversicherungsrechtliche Anspruch werde durch einen Sachleistungsanspruch nach § 36 SGB XI gegenüber der Pflegekasse ergänzt, der aber nur die sogenannte reine Grundpflege, also die Grundpflegemaßnahmen des § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI mit Ausnahme der schon von § 37 SGB V erfassten verrichtungsbezogenen Behandlungspflegemaßnahmen, sowie die hauswirtschaftliche Versorgung beinhalte. Insoweit sei die gesetzliche Krankenversicherung nicht leistungsverpflichtet. Diese reine Grundpflege sei sodann auf den Höchstbetrag für Sachleistungen beschränkt, die Ansprüche gegenüber der Krankenkasse und gegenüber der Pflegekasse stünden danach gleichberechtigt nebeneinander. Hieraus folge, dass der ungedeckte Bedarf der Grundpflege durch die ärztliche Verordnung über 24 Stunden pro Tag häusliche Krankenpflege entsprechend diesen Stundensätzen zu tragen sei, da insoweit eine Gleichrangigkeit bestehe. Ausgehend von einem Stundensatz von 22,13 Euro – in gleicher Höhe wie bei der medizinischen Behandlungspflege – ergebe dies bei 2,08 Stunden einen Tagessatz von 46,03 Euro, bei 30 Tagen somit 1.380,90 Euro und bei 31 Tagen 1.426,94 Euro. Somit reichten die Leistungen der Pflegeversicherung von monatlich 1.612,00 Euro aus, um den Bedarf des S. im Rahmen der Grundpflege vollumfänglich zu decken. Der Bescheid vom 5. Juli 2019 sei deshalb von Anfang an rechtswidrig gewesen. Das Vertrauen des S. in den Bescheid sei unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse nicht schutzwürdig. Der Klägerin sei es möglich und zumutbar, die Grundpflege entsprechend der Verordnung und dem Stundensatz des SGB V abzurechnen. Sie könne nicht darauf vertrauen, dass auf Dauer unangemessene höhere Pflegeleistungen zusätzlich ausgezahlt würden. Bei der Ermessensentscheidung nach § 45 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 39 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) seien das persönliche Interesse des S., seinem Bedarf entsprechend versorgt zu werden, sowie die Gesamtumstände des Hilfefalles berücksichtigt und mit dem öffentlichen Interesse an der Aufhebung des Bescheides abgewogen worden. Dem S. sei es zuzumuten, die vorrangigen Leistungen der Kranken- und Pflegekasse auszuschöpfen und die Klägerin auf diese vorrangigen Leistungen zu verweisen.

Hiergegen hat S. am 22. Dezember 2020 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Das SG hat mit Beschluss vom 10. September 2021 die jetzige Klägerin zum Verfahren beigeladen und mit Urteil vom 6. April 2022 die Klage des S. abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Bescheid vom 5. Juli 2019 sei von Anfang an rechtswidrig begünstigend gewesen, da schon zum Zeitpunkt seines Erlasses dem S. kein Anspruch auf Hilfe zur Pflege zugestanden habe. Auch die zwischen dem S. und der Klägerin abgeschlossene Vereinbarung über die Abrechnung nach Leistungsmodulen rechtfertige nicht die Annahme einer rechtmäßigen Bewilligung von Hilfe zur Pflege dem Grunde nach. Denn Aufwendungen, die auf einer unwirksamen Grundlage beruhten, könnten und dürften nicht dauerhaft aus öffentlichen Mitteln bestritten werden. Die Unwirksamkeit der Vereinbarung über eine Vergütung nach Leistungsmodulen ergebe sich aus dem Umstand, dass die Berufungsklägerin die Leistungen in einer anbietergestützten Wohngemeinschaft mit sechs intensiv pflegebedürftigen Bewohnern durch Pflegekräfte erbringe, die sowohl die Grundpflege als auch die verordnete 24-stündige Behandlungspflege durchführten. Bei einer solchen Konstellation komme nur eine Abrechnung der Grundpflege nach Zeitaufwand unter Heranziehung der für die Behandlungspflege vereinbarten Stundensätze in Betracht. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 3 KR 7/09 R). Soweit die Klägerin und S. eingewandt hätten, einer Abrechnung nach dem Stundensatz der Behandlungspflege stünde entgegen, dass dieser nach einem 1:3-Schlüssel kalkuliert sei, die Grundpflege aber nur 1:1 erbracht werden könne, treffe dies nur teilweise zu. Tatsächlich könne die Grundpflege – wie im Übrigen auch bestimmte Verrichtungen der Behandlungspflege wie z.B. das Absaugen – generell nicht gleichzeitig bei mehreren Personen durchgeführt werden. Jedoch sei es nicht ausgeschlossen, neben der Grundpflege weiter die Krankenbeobachtung durchzuführen, und zwar nicht nur bei der gerade grundgepflegten Person, sondern auch bei den beiden anderen von der Pflegeperson nach dem 1:3-Schlüssel zu beobachtenden Wohngruppenbewohnern. Insoweit könne der für die Behandlungspflege vereinbarte Stundensatz bei jedem betreuten Patienten abgerechnet werden, sodass auf eine Pflegeperson jeweils der dreifache Stundensatz entfalle.

Gegen das ihm am 9. Mai 2022 zugestellte Urteil hat S. am 3. Juni 2022 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Am 24. Juni 2022 ist S. verstorben. Mit Beschluss vom 7. Dezember 2022 ist das Verfahren auf Antrag des Bevollmächtigten des S. gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 246 Zivilprozessordnung (ZPO) ausgesetzt worden.

Am 8. März 2024 hat die vormalige Beigeladene und nunmehrige Klägerin das Verfahren wieder aufgenommen. Eine Fortsetzung des Verfahrens durch die Erben des S. sei bisher nicht erfolgt. Deshalb werde der Anspruch nunmehr durch die Klägerin im Wege der Sonderrechtsnachfolge nach § 19 Abs. 6 SGB XII geltend gemacht. Die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 13/09 R) und des LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 22. Januar 2015 – L 15 SO 111/12), wonach § 19 Abs. 6 SGB XII auf ambulante Pflegedienste keine Anwendung finde, könne auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden. Dem gesetzgeberischen Willen zur Vorgängerregelung in § 28 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) sei klar zu entnehmen, dass die ambulante Leistungserbringung des gleichen Schutzes bedürfe wie die Leistungserbringung im Rahmen der stationären Pflege oder durch Pflegepersonen. Eine historische Auslegung ergebe, dass der Einrichtungsbegriff des § 13 Abs. 2 SGB XII ein offeneres Begriffsverständnis an den Tag lege als die Vorgängerregelung in § 97 Abs. 4 BSHG. Auch eine systematische Auslegung spreche für eine Einbeziehung ambulanter Leistungen in § 19 Abs. 6 SGB XII. Zudem sei dessen Wortlaut nicht eindeutig, da der Einrichtungsbegriff vorausgesetzt werde und nicht legal definiert sei. Auch eine teleologische Auslegung spreche für eine Einbeziehung ambulanter Pflegeeinrichtungen. Sinn von § 19 Abs. 6 SGB XII sei es, demjenigen, der Leistungen erbracht habe, einen Anspruch auf Kostenerstattung zu geben. Die Vergütung dürfe nicht davon abhängen, ob der Klient oder die Klientin vor oder nach der Entscheidung über den Anspruch auf Sozialhilfeleistungen versterbe. Dabei dürfe es keine Rolle spielen, ob es sich bei dem Leistungserbringer um eine ambulante oder stationäre Pflegeeinrichtung handle. Die Schutzbedürftigkeit bestehe für beide Versorgungsformen. Für den vor der Aufhebung der Leistungsbewilligung liegenden Zeitraum März 2020 bis November 2020 sei noch ein Betrag von 10.375,10 Euro offen, für die Zeit von Dezember 2020 bis zum Tod des S. sei noch ein Betrag von 34.823,08 Euro offen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 6. April 2022 sowie den Bescheid des Beklagten vom 17. November 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2020 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, die Voraussetzungen für eine Sonderrechtsnachfolge nach § 19 Abs. 6 SGB XII lägen bei der Klägerin nicht vor.

Die vormalige Betreuerin des S. hat unter dem 7. Oktober 2024 mitgeteilt, dieser habe keine Verfügung von Todes wegen erstellt. Sein Sohn dürfte Alleinerbe geworden sein. Das Amtsgericht F1/Nachlassgericht hat mitgeteilt (Schreiben vom 15. November 2024), es seien bisher weder letztwillige Verfügungen des S. zur Eröffnung noch Ausschlagungserklärungen vorgelegt worden, Erben seien nicht bekannt. Der Sohn des S. hat mit Schreiben vom 24. Dezember 2024 mitgeteilt, er sei Alleinerbe des S. geworden, besitze aber keinen Erbschein. Er wolle das Verfahren nicht wieder aufnehmen und nicht fortführen. Mit Schreiben vom 31. Januar 2025 hat der Bevollmächtigte des S. sein Mandat niedergelegt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten des SG und der Senatsakten der Verfahren L 7 SO 1644/22 und L 7 SO 804/24 ergänzend Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Verfahrensbeteiligte sind nach dem Versterben des S. während des anhängigen Berufungsverfahrens und nach der Berufungsrücknahme durch seinen Sohn, der Alleinerbe geworden ist, nur noch der Beklagte und die durch ihren Prozessbevollmächtigten bereits im Klageverfahren vertretene frühere Beigeladene, jetzt als Klägerin (BSG, Urteil vom 8. März 2017 – B 8 SO 20/15 R – juris Rdnr. 11). Zwar ist streitig, ob die frühere Beigeladene mit dem Tod des S. dessen Sonderrechtsnachfolgerin nach § 19 Abs. 6 SGB XII geworden und deshalb unmittelbar kraft Gesetzes in das Verfahren eingetreten ist. Im Streit hierüber kommt ihr jedoch diese prozessuale Stellung zu.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. S. hatte gegen das ihm am 9. Mai 2022 zugestellte Urteil form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) Berufung eingelegt. Die Berufung war auch statthaft, da eine Geldleistung von mehr als 750 Euro streitig war (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG).

Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 17. November 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Dezember 2020 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte die Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege an S. im Bescheid vom 5. Juli 2019 mit Wirkung zum 1. Dezember 2020 aufgehoben hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin zutreffend mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG), da bei erfolgreicher Klage der ursprüngliche (Bewilligungs-)Bescheid wieder auflebt.

Der Beklagte ist richtiger Klagegegner, da er sowohl den Bewilligungsbescheid als auch den angefochtenen Aufhebungsbescheid erlassen hat. Er ist auch der für den Anspruch auf Hilfe zur Pflege in einer ambulant betreuten Wohnmöglichkeit sachlich und örtlich zuständige Träger (§ 97 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 2, § 98 Abs. 5 SGB XII i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 SGB XII und § 1 Abs. 1, § 2 des Gesetzes zur Ausführung des SGB XII in der Fassung des Art. 122 des Verwaltungsstruktur-Reformgesetzes vom 1. Juli 2004 [GBl. S. 469, 534]). Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich dabei daraus, dass S. vor seinem Zuzug in eine ambulant betreute Wohnform (ABW) für beatmete, tracheotomierte bzw. intensivpflegebedürftige Menschen im Landkreis F1 am 5. November 2014 und dem anschließenden Wechsel in die 15 in L2 seinen tatsächlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten hatte.


Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet.

Nach dem Tod des S. ist der Anspruch auf Anfechtung des Aufhebungsbescheides nicht im Wege der Sonderrechtsnachfolge gem. § 19 Abs. 6 SGB XII auf die Klägerin übergegangen; diese kann deshalb nicht als Sonderrechtsnachfolgerin die Anfechtungsklage fortführen. Bei einem Anspruch auf Übernahme von ungedeckten Heimkosten handelt es sich um eine Sachleistung, die Bewilligung erfolgt in Form des Schuldbeitritts zu der zivilrechtlichen Verpflichtung des Heimbewohners. Im Falle des Beteiligtenwechsels nach § 19 Abs. 6 SGB XII wandelt sich der Sachleistungsanspruch in einen Geldleistungsanspruch um, denn die Einrichtung ist dann selbst Inhaberin des Anspruchs (BSG, Urteil vom 8. März 2017 – B 8 SO 20/15 R; Filges in jurisPK-SGB XII, Stand 22. Juli 2024, § 19 Rdnr. 66; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. September 2023 – L 9 SO 170/21 – juris Rdnr. 30).

Nach § 19 Abs. 6 SGB XII steht der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat. § 19 Abs. 6 SGB XII stellt eine die §§ 56 ff. SGB I verdrängende lex specialis in Form eines gesetzlichen Forderungsübergangs (cessio legis) dar, wonach die dort genannten Personen bei Vorliegen der in der Vorschrift geregelten Voraussetzungen in die Rechtsstellung des verstorbenen Hilfeempfängers eintreten (BSG, Urteil vom 21. September 2017 – B 8 SO 4/16 R – juris Rdnr. 18; Hohm in Schellhorn u.a. SGB XII, 21. Aufl. 2023, § 19 Rdnr. 47; Filges in jurisPK-SGB XII, Stand 22. Juli 2024, § 19 Rdnr. 90). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) waren Sozialhilfeansprüche nach Maßgabe der §§ 58, 59 SGB I nur vererblich, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mithilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat. Da ein Anspruch auf Übernahme der Vergütung in Einrichtungen (§ 75 Abs. 1 SGB XII) oder auf Pflegegeld (§ 64a SGB XII) nach § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auch nicht abgetreten (übertragen) werden kann, wird der erforderliche Schutz durch den Forderungsübergang bei Tod des Hilfeempfängers sichergestellt. Einrichtungen und Pflegepersonen, die mit tatsächlichen Unterstützungsleistungen die Folgen einer nicht rechtzeitigen Erbringung von Sozialhilfeleistungen getragen haben, werden durch erbrechtliche Konsequenzen nicht mehr benachteiligt (Filges in jurisPK-SGB XII, Stand 22. Juli 2024, § 19 Rdnr. 91). Hiervon umfasst ist zum einen die Leistungserbringung bei noch streitiger Sozialhilfebewilligung als auch die vorliegende Konstellation, dass zunächst die Leistung bewilligt und sodann wieder aufgehoben worden und die Aufhebung angefochten ist. Der durch die Sonderrechtsnachfolge kraft Gesetzes herbeigeführte Beteiligtenwechsel ist keine Klageänderung im Sinne der §§ 99, 168 Satz 1 SGG, sondern führt lediglich vom Amts wegen zu einer Berichtigung des Rubrums (BSG, Urteil vom 8. März 2017 – B 8 SO 20/15 R – juris Rdnr. 11).

Der Begriff „Einrichtung“ war bereits nach dem Rechtsverständnis des BSHG der Oberbegriff für Anstalten, Heime und gleichartige Einrichtungen (BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 13/09 R). Wesentliches Merkmal einer Einrichtung im Sinne des Sozialhilferechts ist deshalb die räumliche Bindung an ein Gebäude. Der Begriff der Einrichtung im Sinne dieser Vorschrift verlangt deshalb, dass es sich um einen in einer besonderen Organisationsform zusammengefassten Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft handelt, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen größeren wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist und Leistungen der Sozialhilfe erbringt (BSG, Urteil vom 23. Juli 2015 – B 8 SO 7/14 R; BSG, Urteil vom 1. März 2018 – B 8 SO 22/16 R – juris Rdnr. 23; BSG, Urteil vom 5. August 2021 – B 4 AS 58/20 R – juris Rdnr. 25; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Februar 2022 – L 7 SO 1541/19 – juris Rdnr. 32; Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, 4. Erg-Lief. 2024; § 13 Rdnr. 55). Der Gesetzgeber unterscheidet schon bei der Begriffsbestimmung im Zweiten Kapitel Erster Abschnitt („Grundsätze der Leistungen“) in § 13 SGB XII zwischen „Leistungen außerhalb von Einrichtungen“ (ambulante Leistungen) und Leistungen in teilstationären oder stationären Einrichtungen. Beide Begriffe werden in § 13 Abs. 1 SGB XII legaldefiniert (vgl. auch §§ 75 Abs. 1 S. 1, 27b Abs. 1 SGB XII). Ambulante Leistungen werden hiernach „außerhalb von Einrichtungen“ erbracht; ambulante Dienste sind mithin gerade nicht Einrichtungen i.S. dieser Definition (BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 13/09 R – juris Rdnr. 12; so bspw. auch LSG Hamburg, Urteil vom 9. März 2011 – L 5 SO 65/10 WA – juris; Filges in jurisPK-SGB XII, Stand 22. Juli 2024, § 19 Rdnr. 104; Krauß in Knickrehm/Roßbach/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 8. Auflage 2023, § 19 Rdnr. 14; Hohm in Schellhorn/Hohm/Scheider/Busse, SGB XII, 21. Auflage 2023, § 19 Rdnr. 49; Deckers in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 8. Aufl. 2024, § 19 Rdnr. 27; Ehmann in Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber, Gesamtkommentar Sozialrechtsberatung, 3. Auflage 2023, § 19 SGB XII Rdnr. 26; Groth in BeckOK Sozialrecht, Stand 1. März 2024, § 19 Rdnr. 27; kritisch bspw. Hammel, SGb 2013, 2013; Krohn in Hauck/Noftz, SGB XII, 2024, § 19 Rdnr. 31). Der Einrichtungsbegriff richtet sich nach § 13 Abs. 2 SGB XII, der einen weiteren Einrichtungsbegriff als § 71 SGB XI vorgibt (Meßling/Coseriu in jurisPK-SGB XII, Stand 1. Mai 2024, § 64g Rdnr. 19). Einrichtungen im Sinne des § 13 Abs. 1 SGB XII sind danach alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach diesem Buch zu deckenden Bedarfen oder der Erziehung dienen. § 13 Abs. 2 SGB XII entspricht inhaltlich dem früheren § 97 Abs. 4 BSHG, der allein für die Bestimmung des örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers (§ 97 Abs. 2 BSHG, jetzt § 98 Abs. 2 SGB XII) den Begriff der Einrichtung definierte. Mit der Aufnahme der Regelung in den ersten Abschnitt des zweiten Kapitels des SGB XII hat der Gesetzgeber diese nach seiner Auffassung bestehende Legaldefinition des Einrichtungsbegriffs (vgl. BT-Drs. 15/1514, S. 57) in den Abschnitt über die Leistungsgrundsätze „vor die Klammer“ gezogen, um damit deren Geltung für alle Sozialhilfeleistungen deutlich zu machen. Eine inhaltliche Änderung sollte damit nicht erfolgen (BSG, Urteil vom 23. August 2013 – B 8 SO 14/12 R – juris Rdnr. 19; BT-DRs. 15/1514, S. 56; Waldhorst-Kahnau in jurisPK-SGB XII, Stand 1. Mai 2024, § 13 Rdnr. 67).

Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin hat der Gesetzgeber auch nicht sowohl die Leistungserbringer der stationären als auch der ambulanten Pflege als „Einrichtungen“ bezeichnet, sondern schon immer den Einrichtungsbegriff in der vorliegend dargestellten Definition zugrunde gelegt. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass in der Kommentarliteratur ein prinzipiell weites Verständnis des Einrichtungsbegriffs gefordert wird. Denn damit gemeint ist lediglich, dass die frühere sprachlich differenziertere Fassung mit der Unterscheidung in Anstalten, Heime und „gleichartige“ Einrichtungen aufgegeben worden ist, um der weiteren Flexibilisierung und Diversifizierung des Angebots Rechnung zu tragen. Erforderlich für den Einrichtungscharakter bleibt aber weiterhin die Verfügbarkeit über ausreichende personelle und sächliche Mittel, der Zuschnitt auf einen wechselnden Personenkreis und die Bindung an ein Gebäude oder einen Gebäudekomplex (Groth in BeckOK SGB XII, Stand 1. März 2024, § 13 Rdnr. 13); eine Einrichtung liegt deshalb nicht vor, wenn der Leistungsbezieher allein und dauerhaft in einer abgegrenzten eigenen Wohnung lebt, insbesondere wenn Vermieter und Leistungserbringer nicht identisch sind (BSG, Urteil vom 17. Februar 2022 – B 3 KR 17/20 R – juris Rdnr. 13; Luthe in Hauck/Noftz, 4. Ergänzungs-Lieferung April 2024, SGB XII, § 13 Rdnr. 56). Etwas anderes folgt vorliegend auch nicht aus einer funktionsdifferenten Auslegung der Legaldefinition des § 13 Abs. 2 SGB XII, wonach es für den Begriff der Einrichtung im Sinne des § 19 Abs. 6 SGB XII nicht darauf ankommt, ob ein Einrichtungsträger die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung der Bewohner übernimmt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. September 2024 – L 9 SO 16/22 – juris Rdnr. 62), sondern maßgeblich ist, ob eine räumliche Bindung an ein Gebäude besteht, wenn also die Unterkunft der Rechts- und Organisationssphäre eines Einrichtungsträgers so zugeordnet ist, dass sie als Teil des Einrichtungsganzen anzusehen ist (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 8 SO 111/12 R – juris Rdnr. 19). Vorliegend kann dahinstehen, ob dies dann der Fall ist, wenn der Miet- und der Betreuungsvertrag so miteinander verknüpft sind, dass sie nur gemeinsam wirksam werden können, wenn der Bewohner nicht wählen kann, durch welchen Dienst er betreut werden will, sondern wenn dies durch die Verknüpfung von Miet- und Betreuungs- bzw. Pflegevertrag vorgegeben wird (LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., juris Rdnr. 64). Denn vorliegend war es den Bewohnern der Pflege-WG gem. § 1 Nr. 5 des Mietvertrages gerade völlig freigestellt, durch welchen Pflegedienst die Pflege erfolgen sollte, eine Verknüpfung von Miet- und Pflegevertrag lag in keiner Weise vor.

Auch eine teleologische Auslegung des § 19 Abs. 6 SGB XII führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwar mag es wünschenswert sein, auch den Erbringern ambulanter Pflegeleistungen beim Tod der zu pflegenden Person denselben Anspruch auf Kostenerstattung wie stationären Pflegeeinrichtungen zukommen zu lassen. Dem steht jedoch der eindeutige Gesetzeswortlaut entgegen, wonach ein Anspruchsübergang nur bei einer Leistungserbringung in Einrichtungen stattfinden soll.

Ambulante Leistungserbringer sind danach keine Einrichtungen im Sinne von § 19 Abs. 6 SGB XII und bezogen auf den Anspruchsübergang diesen auch nicht gleichzustellen. § 19 Abs. 6 SGB XII kommt auch nicht bei ambulanten Pflegediensten in Betracht, die im Wesentlichen Leistungsempfänger nach dem SGB XII rund um die Uhr in Wohngemeinschaften betreuen (Filges in jurisPK-SGB XII, Stand 22. Juli 2024, § 19 Rdnr. 82). Die Leistungen, welche der von der Berufungsklägerin betriebene ambulante Dienst gegenüber S. im streitgegenständlichen Zeitraum erbracht hat, sind keine „Leistungen für Einrichtungen“ i.S. des § 19 Abs. 6 SGB XII. Die Versorgung des S. ist nicht in einer Einrichtung im Sinne von § 19 Abs. 6 SGB XII erfolgt. Denn die an ihn erbrachten Leistungen der Wohnraumgewährung und der Pflege wurden nicht unter einer einheitlichen Leitung erbracht. Während die Klägerin nur die Pflegeleistungen erbracht hat, erfolgte die Wohnraumgewährung durch die D1 Immobilienverwaltungsgesellschaft mbH, 11, 81 M1. In dem Mietvertrag zwischen ihr und S. war zudem ausdrücklich vereinbart, dass die Wahl des Pflegedienstes dem Mieter völlig freigestellt sei. Dementsprechend hat S. mit der Klägerin auch lediglich einen Vertrag über ambulante Pflegeleistungen und gerade keinen Heimvertrag geschlossen. Vermieter und Leistungserbringer waren damit nicht identisch (BSG, Urteil vom 17. Februar 2022 – B 3 KR 17/20 R – juris Rdnr. 13).

§ 19 Abs. 6 SGB XII kann auch nicht analog auf Anbieter von Pflegeleistungen, die wie die Klägerin keine Einrichtung sind, Anwendung finden. Die Vorschrift zieht mit der Beschränkung auf Leistungen in Einrichtungen (bzw. Pflegegeld) eindeutige tatbestandliche Grenzen; was diese Grenzen überschreitet, soll gerade nicht von der cessio legis umfasst sein und bildet mithin nicht etwa eine – für eine analoge Anwendung unerlässliche – Regelungslücke. Als eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unvererblichkeit von (höchstpersönlichen) Sozialhilfeansprüchen (vgl. dazu Deckers in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 8. Auflage 2024, § 19 Rn. 22 m.w.N.) ist die Norm vielmehr einer analogen Anwendung zugunsten der Klägerin nicht zugänglich (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. Oktober 2024 – L 20 SO 362/22 – juris Rdnr. 66).

Die unterschiedliche Behandlung von Einrichtungen, die Pflegeleistungen anbieten, im Vergleich zur Klägerin verstößt schließlich auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Der Gleichheitssatz verbietet es, eine Gruppe von Normadressaten im Verhältnis zu anderen Normadressaten anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede solcher Art und solchen Gewichts bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigten könnten; er gebietet somit, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dabei obliegt es grundsätzlich dem Gesetzgeber, die Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft und die er somit im Rechtssinne als gleich ansehen will, soweit die Auswahl sachgerecht ist (was anhand der Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts zu beurteilen ist). Die Anforderungen an den Differenzierungsgrund werden durch den Regelungsgegenstand und das Differenzierungskriterium bestimmt und reichen vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 13/09 R – juris Rdnr. 14 m.N. der Rspr. des BVerfG).

Ein solches sachliches Differenzierungskriterium stellt typischerweise das mit der Erbringung von stationären Leistungen verbundene höhere Kostenrisiko dar. Durch den Anspruchsübergang sollen die Träger einer Einrichtung, die Hilfe zur Pflege erbracht haben (und Pflegepersonen im Sinne von nahen Angehörigen des Pflegebedürftigen, die Pflege geleistet haben), in ihrem Vertrauen auf die Gewährung von Leistungen geschützt werden. Das Vertrauen von Einrichtungen, die (teil-)stationäre Leistungen erbringen, ist besonders schutzwürdig. (Teil-)Stationäre Pflege wird im Regelfall gewährt, wenn ambulante Hilfen nicht ausreichend sind, was insbesondere dann der Fall ist, wenn der Hilfebedürftige in einem zunehmenden Maße pflegebedürftig wird. Dem in § 13 Abs. 1 Satz 3 bis 5 SGB XII normierten Regel-Ausnahme-Verhältnis („ambulant vor stationär“) kann entnommen werden, dass der Gesetzgeber grundsätzlich von höheren Kosten für die (teil-)stationäre Pflege im Vergleich zur ambulanten Pflege ausgeht. Das Kostenrisiko ist für den Erbringer (teil-)stationärer Leistungen typischerweise größer als für einen ambulanten Leistungserbringer (BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 13/09 R – juris Rdnr. 15). Dies trifft auch auf die Klägerin zu. Denn sie ist – anders als eine Einrichtung – gerade nicht an ein Gebäude gebunden, dessen Leerstands- oder Instandhaltungsrisiko sie zu tragen bzw. für dessen Renovierung sie selbst zu sorgen hätte. Nennenswerte gebäudebezogene Risiken trägt die Klägerin nicht. Übliche Mieterpflichten und die Pflicht zu Bereitstellung bzw. hinreichender Ausstattung einer geeigneten Pflegeräumlichkeit treffen vielmehr die Pflegebedürftigen selbst. Sie könnte dementsprechend bei einer Verringerung der Zahl nachfragender Pflegebedürftiger jederzeit die Zahl der von ihr pflegerisch betreuten Wohngemeinschaften verringern, ohne längerfristigen wirtschaftliche Risiken hinsichtlich des dann nicht mit Pflegebedürftigen besetzten Wohnraums ausgesetzt zu sein (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. Oktober 2024 – L 20 SO 362/22 – juris Rdnr. 68 f.). Dass im Einzelfall die Kosten für eine ambulant geleistete Pflege diejenigen der Kosten einer (teil‑)stationären Pflege erreichen oder übersteigen können, steht der typisierenden Annahme eines höheren Kostenrisikos von Einrichtungen nicht entgegen. Denn bei der Regelung von Massenerscheinungen kann der Gesetzgeber typisierende und generalisierende Regelungen treffen; die dabei entstehenden Härten und Ungerechtigkeiten müssen hingenommen werden, wenn die Benachteiligung nur eine kleine Zahl von Personen betrifft und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 13/09 R – juris Rdnr. 17). Das BSG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des früheren § 28 Abs. 2 BSHG als Vorgängerregelung des § 19 Abs. 6 SGB XII nicht den Fall vor Augen hatte, dass es um höhere Leistungen nach Leistungsbewilligung geht, sondern der Leistungserbringer sollte nicht leer ausgehen, wenn der Hilfebedürftige vor der Bewilligung der Sozialhilfeleistung verstirbt. Dass im Einzelfall die Kosten für die geleistete ambulante Pflege den Umfang der Kosten einer (teil-)stationären Pflege erreichen oder auch übersteigen, hat das BSG nicht für maßgeblich erachtet (BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 13/09 R – juris Rdnr. 14; Senatsurteil vom 28. Februar 2013 – L 7 SO 5130/09 – juris Rdnr. 40).

Nach dem Tod des S. ist deshalb nicht die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin nach § 19 Abs. 6 SGB XII, sondern der Sohn des S. als Erbe gem. § 58 SGB I als Gesamtrechtsnachfolger in das Verfahren eingetreten.
Dieser hat mit Schreiben vom 24. Dezember 2024 erklärt, er wolle das Verfahren nicht wieder aufnehmen und auch nicht fortführen. Diese Erklärung ist als Berufungsrücknahme zu qualifizieren. Damit ist der Aufhebungsbescheid bestandskräftig geworden.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch im Übrigen die Entscheidung des SG nicht zu beanstanden sein dürfte, da der Bewilligungsbescheid von Anfang an rechtswidrig gewesen sein dürfte. Denn in den Fällen einer Intensivpflege rund um die Uhr ist zur Abgrenzung zwischen den Leistungen der Behandlungspflege und der Grundpflege weiterhin grundlegend von der Kostenverteilungsregelung auszugehen, wie sie vom BSG im Urteil vom 17. Juni 2010 (B 3 KR 7/09 R) entwickelt worden ist. Danach ist zunächst von dem im MDK-Gutachten festgestellten Gesamtumfang aller Hilfeleistungen bei der Grundpflege die von der Pflegekasse geschuldete „reine“ Grundpflege zu trennen und zeitlich zu erfassen. Der so ermittelte Zeitwert ist aber nicht vollständig, sondern nur zur Hälfte vom Anspruch auf die ärztlich verordnete, rund um die Uhr erforderliche Behandlungspflege (einschließlich der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen) abzuziehen, weil während der Durchführung der Grundpflege weiterhin Behandlungspflege – auch als Krankenbeobachtung – stattfindet und beide Leistungsbereiche gleichrangig nebeneinander stehen. Aus der Differenz zwischen dem verordneten zeitlichen Umfang der häuslichen Krankenpflege und der Hälfte des zeitlichen Umfangs der „reinen“ Grundpflege ergibt sich der zeitliche Umfang der häuslichen Krankenpflege, für den die Krankenkasse einzutreten hat. Die Pflegekasse hat die Kosten der Hälfte des Zeitaufwands der „reinen“ Grundpflege zu tragen, jedoch begrenzt auf den Höchstbetrag für die Sachleistungen der dem Versicherten zuerkannten Pflegestufe. Reicht der Höchstbetrag zur Abdeckung dieser Kosten nicht aus, hat der Versicherte den verbleibenden Rest aus eigenen Mitteln aufzubringen; notfalls ist die Sozialhilfe eintrittspflichtig (BSG, a.a.O. juris Rdnr. 28).

Eine Modifizierung ist nur insoweit vorzunehmen, als durch die Änderung des SGB XI in den medizinischen Gutachten keine auf die Grundpflege entfallenden Zeiten mehr festgestellt werden und eine Aufteilung zwischen Kranken- und Pflegekasse durch die auf der Grundlage von § 17 Abs. 1b SGB XI ergangene Kostenabgrenzungs-Richtlinie zu erfolgen hat.

Danach sind bei Vorliegen von Pflegegrad 4 täglich 104 Minuten und von Pflegegrad 5 täglich 141 Minuten der Grundpflege zuzuordnen und von der Pflegekasse zu vergüten. Unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 22,13 Euro – entsprechend der Vergütung der medizinischen Behandlungspflege – und einem täglichen Zeitaufwand von 1,73 Stunden ergibt dies einen Tagessatz von 38,28 Euro bzw. einen Monatssatz von 1.151,40 Euro (bei 30 Tagen) bzw. 1.186,68 Euro (bei 31 Tagen), der vollständig durch die Leistungen der Pflegekasse gedeckt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Da die jetzige Klägerin einen Anspruch als Sonderrechtsnachfolgerin i.S.v. § 19 Abs. 6 SGB XII geltend macht, unterfällt sie – ebenso wie zuvor S. – der Kostenfreiheit nach § 183 Satz 1 und 3 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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