S 7 SO 411/25 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SO 411/25 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
  1. Wird nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts behördlich angeordnet, der Verwaltungsakt aber später durch einen anderen Verwaltungsakt ersetzt, wirkt die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nicht auf den ersetzenden Verwaltungsakt fort, wenn die Behörde nicht erneut ausdrücklich sofortige Vollziehbarkeit auch des ersetzenden Verwaltungsakts anordnet.
  2. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage gegen einen mit einer Anordnung sofortiger Vollziehbarkeit verbundenen Leistungsbescheids ist, soweit der ursprüngliche Leistungsbescheid durch Änderungsbescheide nach § 86 SGG bzw. § 96 SGG ersetzt wurde, die ihrerseits keine ausdrückliche Sofortvollzugsanordnung enthalten, als Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Klage in entsprechender Anwendung des § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG auszulegen.
  3. Unterliegt ein Bezieher von Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII der Obliegenheit nach § 35 Abs. 2 SGB XII, seine unangemessenen Wohnkosten zu senken, ist er bei seiner Wohnungssuche – entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Parallelvorschrift § 22 SGB II – grundsätzlich auf den gesamten örtlichen Zuständigkeitsbereich des Leistungsträgers verweisbar.
  4. Will der Leistungsbezieher seine Wohnungssuche auf einen bestimmten politische Gemeinde oder auf ein anderes Teilgebiet des örtlichen Zuständigkeitsbereich des Leistungsträgers begrenzen und macht er hierfür eine besondere soziale Verwurzelung am bisherigen Wohnort geltend, ist im Einzelfall darzulegen, woraus sich diese Verwurzelung ergibt (z. B. Verwandtschaft oder Freunde im örtlichen Nahbereich, gegenseitige Unterstützungsleistungen in der Nachbarschaft, ehrenamtliches Engagement im örtlichen Nahbereich). Der bloße Verweis auf eine langjährige Wohndauer am bisherigen Wohnort (hier: 30 Jahre) reicht dafür nicht aus.
  5. Verfügt ein über 65jähriger Leistungsbezieher nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII über keine Kenntnisse der Internetnutzung und auch kein Gerät mit Internetzugang oder eine sonstige Nutzungsmöglichkeit des Internets, sind seine Kostensenkungsbemühungen nach § 35 Abs. 2 SGB XII nicht deswegen unzureichend, weil er seine Wohnungssuche nicht auf Wohnungsangebote im Internet erstreckt hat. Denn die Online-Wohnungssuche entspricht (noch) nicht den ganz überwiegenden Lebensgewohnheiten seiner Altersgruppe und der Wohnungsmarkt ist auch Personen ohne Internetanschluss und Interneterfahrung nicht generell verschlossen.
  6. Der Ablauf eines Karenzzeitraums nach § 35 Abs. 3 Satz 1 SGB XII stellt eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X dar, die den Leistungsträger auch während eines laufenden Bewilligungsabschnitts von Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB X zur Änderung der Berechnung der Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zukunft berechtigt, wenn die Senkung der Wohnkosten bis zum Ablauf des Karenzzeitraums weder unmöglich noch unzumutbar war. Denn nach dem Ablauf des Karenzzeitraums nach § 35 Abs. 3 Satz 1 SGB XII werden Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung nach einem anderen rechtlichen Prüfungsmaßstab gewährt als während des Karenzzeitraums.

 

Gründe

 

I.

 

Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 13.1.2025 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 20.12.2024 sowie sinngemäß auch die Feststellung der aufschiebenden Wirkung des gleichen Widerspruchs gegen die während des Widerspruchsverfahrens erlassenen Änderungsbescheide vom 3.2.2025 und 18.2.2025, durch die der Antragsgegner die der Antragstellerin ursprünglich bewilligten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) mit Wirkung ab dem 1.1.2025 der Höhe nach herabgesetzt und in Bezug auf den Bescheid vom 20.12.2024 die sofortige Vollziehung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angeordnet hat.

 

Die am … geborene, alleinstehende Antragstellerin ist als Schwerbehinderte mit einem GdB von 70 anerkannt. Nach den Feststellungen des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers besteht eine volle Erwerbsminderung auf Dauer. Die Antragstellerin bezieht daher eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Antragstellerin bewohnt seit Jahren eine Mietwohnung in der …str.  in E.. Es handelt sich um eine 71 qm große Dreizimmerwohnung, für die derzeit eine monatliche Kaltmiete von 508,00 € sowie eine monatliche Nebenkostenvorauszahlung von 136,08 € (27,14 € für Heizkosten/Gas, 105,06 € weitere Nebenkosten) zu entrichten sind. Hinzu kommt ein Betrag von monatlich 25,00 € für einen Garagenstellplatz.

 

Die Antragstellerin bezieht ebenfalls seit Jahren ergänzend zu ihrer Rente laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII vom Antragsgegner. Bis zum Jahr 2024 erkannte der Antragsgegner in diesem Rahmen die volle tatsächliche Kaltmiete für die Wohnung (abzüglich Garagenkosten) als Bedarf an. Bereits im Jahr 2020 war die Antragstellerin vom Antragsgegner aber darauf hingewiesen worden, dass die von ihr bewohnte Wohnung für einen Einpersonenhaushalt unangemessen groß und teuer sei und die Antragstellerin sich daher um eine günstigere Wohnung bemühen möge. Im Zeitraum vom 1.3.2020 – 31.12.2022 führte der Antragsgegner allerdings aufgrund der wegen der Coronavirus-Pandemie eingeführten Sonderregel des § 141 Abs. 3 SGB XII, nach der die tatsächlichen Wohnkosten vorübergehend als angemessen galten, kein Kostensenkungsverfahren durch.

 

Mit Schreiben vom 28.12.2023 wies der Antragsgegner die Antragstellerin erneut darauf hin, dass ihre Wohnkosten unangemessen hoch seien. Sie möge die Wohnkosten durch einen Wohnungswechsel senken oder aber nachweisen, dass es trotz ernsthafter Bemühungen nicht möglich gewesen sei, eine günstigere Wohnung zu finden. Anderenfalls werde der Antragsgegner ab dem 1.1.2025 nur noch den für angemessen erachteten Teil der Miete als Bedarf anerkennen. Entsprechende Bemühungen hätten sich auf Wohnungsannoncen in der örtlichen Presse und im Internet sowie auf Aushänge in örtlichen Geschäften und Anfragen bei örtlichen Wohnungsbaugesellschaften zu erstrecken und seien für den Antragsgegner zu dokumentieren. Das Schreiben enthielt ferner den Hinweis, dass die Wohnungssuche sich auf den gesamten Landkreis E. zu erstrecken habe, sowie Informationen zu den Mietobergrenzen in den jeweiligen Gemeinden des Landkreises E.. Angegeben war jeweils die anerkennungsfähige Bruttokaltmiete.

 

Die Antragstellerin legte gegen das Schreiben vom 28.12.2023 Widerspruch ein, den der Antragsgegner allerdings mit Widerspruchsbescheid vom 10.1.2024 als unzulässig verwarf, da es sich bei dem Schreiben vom 28.12.2023 nicht um einen der Anfechtung durch Widerspruch und Klage zugänglichen Verwaltungsakt handele. Diese Entscheidung wurde bestandskräftig.

 

Am 1.2.2024 legte die Antragstellerin dem Antragsgegner ein Attest ihrer Hausärztin Dr. …, T., vom 8.1.2024 vor, laut dem sie aufgrund orthopädischer Erkrankungen nicht in der Lage sei, eine Wohnungssuche zu bewältigen. In der Folgezeit legte die Antragstellerin dem Antragsgegner allerdings auch regelmäßig aus der örtlichen Presse, insbesondere aus den Anzeigenblättern „Z.“ und „S.“ entnommene, datierte Anzeigen über Mietangebote in der Region vor, sowie Listen entsprechend einer Vorlage des Antragsgegners, in denen sie zumeist vermerkte, dass keines der Wohnungsangebote den Kriterien des Antragsgegners entsprochen habe. 

 

Mit Bescheid vom 25.6.2024 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin die laufenden Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum vom 1.7.2024 – 30.6.2025 weiter und berücksichtigte auch darin weiterhin die volle tatsächliche Miete (abzüglich Garagenkosten) als Bedarf.

 

Durch Schreiben vom 25.6.2024 ergänzte der Antragsgegner die Kostensenkungsaufforderung vom 28.12.2023, indem er klarstellte, dass ausschlaggebend für die Angemessenheit oder Unangemessenheit einer Wohnung nicht die Größe, sondern der Mietpreis sei.

 

Durch Änderungsbescheide vom 18.7.2024 (1.8.2024 – 30.6.2025), 1.8.2024 (1.8.2024 – 30.6.2025), 12.8.2024 (1.8.2024 – 28.2.2025) und 29.10.2024 (1.10.2024 – 1.2.2025) bewilligte der Antragsgegner die Leistungen jeweils im Hinblick auf Änderungen bei sonstigen Berechnungselementen teilweise neu. Der anerkannte Bedarf bei den Kosten der Unterkunft und Heizung blieb allerdings stets unverändert.

 

Durch Änderungsbescheid vom 20.12.2024 reduzierte der Antragsgegner allerdings – zunächst ohne Anhörung der Antragstellerin - für den Zeitraum vom 1.1. – 30.6.2025 wie im Schreiben vom 28.12.2023 angekündigt den anerkannten Bedarf an Kosten der Unterkunft und Heizung auf monatlich 562,10 € für Kaltmiete und „kalte“ Nebenkosten zzgl. 27,14 € monatliche Heizkosten und ordnete die sofortige Vollziehung der Entscheidung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG an. Die von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen reichten nicht aus, um ernsthafte und nachhaltige Bemühungen um eine günstigere Wohnung zu belegen. Es habe allein im November 2024 mindestens ein Wohnungsangebot im Landkreis E. gegeben, welches den Vorgaben des Antragsgegners entsprach, auf das sich die Antragstellerin allerdings nicht beworben habe. Es sei daher nicht belegt, dass es der Antragstellerin innerhalb des ihr eingeräumten Karenzzeitraums von 12 Monaten nicht möglich gewesen sei, die Wohnkosten zu senken. Ab dem 1.1.2025 übernehme der Antragsgegner daher nur noch den für angemessen erachteten Teil der Miete. Dieser ergebe sich aus dem Wohngeldgesetz zzgl. eines Zuschlags von 10 %, was für die Stadt E. eine angemessene Bruttokaltmiete von monatlich 562,10 € für einen Einpersonenhaushalt ergebe.

 

Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten am 13.1.2025 Widerspruch ein.

 

Durch Änderungsbescheide vom 3.2.2025 (1.2. – 30.6.2025) und vom 18.2.2025 (1.3. – 30.6.2025) bewilligte der Antragsgegner die Leistungen nochmals aufgrund Änderungen bei anderen Berechnungselementen neu. Die Kosten der Unterkunft und Heizung blieben gegenüber dem Bescheid vom 20.12.2024 unverändert.

 

Am 17.2.2025 hat die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten beim Sozialgericht Freiburg den vorliegenden Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gestellt mit dem Ziel, vorläufig weiterhin Leistungen in der mit Bescheiden vom 25.6.2024, 18.7.2024, 1.8.2024, 12.8.2024 und 29.10.2024 bewilligten Höhe, nämlich unter Berücksichtigung der gesamten Kosten der Unterkunft und Heizung (abzüglich Garagenkosten) als Bedarf, zu erhalten.

 

Für die Antragstellerin wird vorgetragen, sie sei aus diversen Gründen nicht in der Lage gewesen, in eine günstigere Wohnung umzuziehen. Die Antragstellerin lebe seit 30 Jahren in der aktuellen Wohnung und sei auf das vertraute Umfeld und insbesondere auf die örtliche Nähe zu den die sie aufgrund diverser chronischer Erkrankungen seit Jahren behandelnden Ärzte angewiesen. Sie sei daher nicht auf Wohnungen außerhalb der Stadt E. zu verweisen. Aufgrund ihrer chronischen Erkrankungen (2007 Operation wegen Hirntumors; 2008 Schlaganfall; zwei künstliche Hüftgelenke und anstehende Knieoperation; Polyarthrose; chronisches Asthma mit eingeschränkter Lungenfunktion) sei sie seit April 2024 auf der Warteliste einer Anlage für betreutes Wohnen des X-Trägers in E. und seit Januar 2025 auch auf der Warteliste einer Anlage für betreutes Wohnen des Y-Trägers in E.. Es seien aber noch keine Wohnungen dort frei geworden. Aufgrund der Erkrankungen kämen nur Wohnungen im Erdgeschoss oder mit Aufzug in Betracht, da die Antragstellerin keine Treppen bewältigen könne. Die Antragstellerin kontaktiere auch monatlich ein Maklerbüro in E., ob dort neue Wohnungsangebote vorlägen. Die Wohnungssuche sei darüber hinaus auch dadurch erschwert, dass die Antragstellerin das Internet nicht nutze und über keine entsprechenden Geräte verfüge, so dass sie nur auf Wohnungsinserate in Printmedien reagieren könne, die eine Kontaktmöglichkeit per Telefon oder Chiffre-Zuschrift anböten. Im Übrigen sei häufig aus den Wohnungsinseraten die Bruttokaltmiete nicht ersichtlich, da es üblich sei, nur die Nettokaltmiete anzugeben. Die Antragstellerin könne also regelmäßig gar nicht einschätzen, ob ein Inserat den Angemessenheitsgrenzen des Antragsgegners entspreche oder nicht. Überdies sei die Antragstellerin vor Erlass des Bescheids vom 20.12.2024 nicht angehört worden. Nunmehr sei sie sogar einem Mieterhöhungsverlangen ihres Vermieters ausgesetzt, der ab dem 1.4.2025 die Kaltmiete auf 584,00 € und die Garagenmiete auf 28,00 € erhöhen wolle. Die seit dem 1.1.2025 durch die Kürzung der Leistungen verursachte Notlage der Klägerin werde sich daher in absehbarer Zeit noch weiter verschärfen.

 

Zum Beleg ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen wurden für die Antragstellerin Atteste der behandelnden Ärzte vorgelegt, so ein Attest der Orthopädin Dr. …, E., vom 10.3.2025, laut dem eine neue Wohnung im Erdgeschoss oder mit Aufzug „vorteilhaft“ wäre; ein Attest der Hausärztin Dr. …, T., vom 10.3.2025, laut dem es aufgrund der Multimorbidität der Antragstellerin wünschenswert wäre, wenn kein durch einen Umzug verursachter Arztwechsel stattfinden müsse; sowie ein Attest der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. …, E., vom 11.3.2025, nach dem eine „abrupte Räumung“ der vorhandenen Wohnung zu einer unzumutbaren und sogar „akut lebensbedrohlichen“ Verschlimmerung ihrer gesundheitlichen Beschwerden führen könnte.

 

Die Antragstellerin beantragt,

 

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 13.1.2025 gegen den Aufhebungs- und Änderungsbescheid des Antragsgegners vom 20.12.2024 anzuordnen, sowie sinngemäß, auch die aufschiebende Wirkung dieses Widerspruchs gegen die Änderungsbescheide vom 3.2.2025 und 18.2.2025 festzustellen.

 

Der Antragsgegner beantragt,

 

den Antrag abzulehnen.

 

Sowohl die Entscheidung in der Sache vom 20.12.2024 als auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung seien rechtmäßig gewesen. Der Antragstellerin sei seit mindestens 2020 bekannt gewesen, dass ihre Wohnung nach den Maßstäben der Grundsicherung nach dem SGB XII zu teuer sei und diese Kosten auf Dauer nicht vom Antragsgegner als Bedarf anerkannt werden könnten. Ein gesundheitlich bedingter höherer Platzbedarf der Antragstellerin, der dazu führen könnte, dass die derzeitige Wohnung trotz ihrer Größe als angemessen anzusehen sei, sei nicht nachgewiesen. Die von ihr vorgetragenen übrigen Argumente rechtfertigten ebenfalls nicht die Annahme, dass ein Umzug in eine günstigere Wohnung bisher unmöglich oder unzumutbar gewesen sei, so dass die Anerkennung der tatsächlichen Wohnkosten über das Ende des Karenzzeitraums hinaus nicht möglich sei. Insbesondere sei es unzutreffend, dass in den von der Antragstellerin vorgelegten Wohnungsannoncen keine Angebote enthalten gewesen seien, die den Angemessenheitskriterien des Antragsgegners entsprochen hätten. Die Antragstellerin sei auch auf andere Gemeinden des Landkreises E. oder auf die nahegelegene Stadt F. zu verweisen. Es bestehe kein Anspruch darauf, weiterhin ausschließlich in der Stadt E. zu wohnen. Tatsächlich sei kein einziger Versuch der Antragstellerin dokumentiert, auf irgendeines der vorgelegten Inserate zu reagieren. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin aus gesundheitlichen Gründen gehindert sei, eine neue Wohnung zu suchen und einen Umzug zu bewältigen. Auch sei nicht überzeugend, dass die Antragstellerin keine Wohnungssuche im Internet betreiben bzw. nicht Kontakt per E-Mail mit potentiellen Vermietern aufnehmen könne. Sie könne sich, soweit sie selbst nicht mit dem Medium Internet vertraut sei, dabei der Hilfe anderer Personen, z. B. ihrer erwachsenen Tochter, bedienen. Der Ablauf des durch Schreiben vom 28.12.2023 gewährten Karenzzeitraums von 12 Monaten am 1.1.2025 stelle eine Veränderung der Sach- und Rechtslage im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) dar, die zur Aufhebung bzw. Absenkung der bisher bewilligten Leistungen für die Zukunft berechtige.

 

Durch Schreiben vom 19.2.2025 hat der Antragsgegner die bisher unterbliebene Anhörung der Antragstellerin im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt. Über den Widerspruch selbst hat der Antragsgegner bisher noch nicht entschieden.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vortrag der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren sowie auf die die Antragstellerin betreffende Verwaltungsakte des Antragsgegners (Stand 11.3.2025), die das Gericht zum Verfahren beigezogen hat, Bezug genommen.

 

II.

 

Der Antrag ist zulässig und überwiegend begründet.

 

Der Antragsgegner hat mit Bescheid vom 20.12.2024 die bisherige Leistungsbewilligung von Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des SGB XII aus den Bescheiden vom 25.6.2024, 18.7.2024, 1.8.2024, 12.8.2024 und 29.10.2024 ab dem 1.1.2025 teilweise aufgehoben, nämlich insoweit, als ab dem 1.1.2025 bis zum 30.6.2025 nur noch eine Bruttokaltmiete in Höhe von monatlich 562,10 € als Bedarf anerkannt wurde, im Gegensatz zu zuvor monatlich 613,06 €. Er stützte diese Entscheidung auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Der Widerspruch gegen diese Entscheidung hat von Gesetzes wegen (§ 86a Abs. 1 Satz 1 SGG) grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Allerdings hat der Antragsgegner im Bescheid vom 20.12.2024 nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die sofortige Vollziehbarkeit seiner Entscheidung angeordnet, so dass der Widerspruch zunächst keine aufschiebende Wirkung entfaltete. Statthafter Eilrechtsschutz dagegen ist der hier gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG.

 

Allerdings hat der Antragsgegner seit der Einlegung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20.12.2024 zwei weitere Änderungsbescheide erlassen, die zumindest teilweise den gleichen Leistungszeitraum betreffen, nämlich den Bescheid vom 3.2.2025 (1.2. – 30.6.2025, Bl. 707ff. der Verwaltungsakte) und den Bescheid vom 18.2.2025 (1.3. – 30.6.2025, Bl. 716ff. der Verwaltungsakte). Diese Bescheide wurden daher – entgegen der in ihnen enthaltenen Rechtsbehelfsbelehrungen – nach § 86 SGG Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens. Diese Änderungsbescheide änderten die Leistungsbewilligung für ihre jeweiligen Geltungszeiträume auch nicht nur in Details ab oder ergänzten diese, sondern stellen beide ausdrücklich vollständige Neubewilligungen für ihren jeweiligen Geltungszeitraum dar, denn sie enthalten jeweils den Passus „Es werden sämtliche vorausgegangenen Bescheide, die den o. g. Zeitraum betreffen, nach § 48 SGB X aufgehoben“. Damit wurde der Bescheid vom 20.12.2024 (1.1. – 30.6.2025) für den Teilzeitraum 1.2. – 30.6.2025 zunächst durch den Änderungsbescheid vom 3.2.2025 vollständig ersetzt. Dieser wiederum wurde für den Teilzeitraum vom 1.3. – 30.6.2025 vollständig durch den weiteren Änderungsbescheid vom 18.2.2025 ersetzt. Der Bescheid vom 20.12.2024 ist also nur noch insoweit rechtlich existent, als er den Teilzeitraum 1.1. – 31.1.2025 regelt. Der Änderungsbescheid vom 3.2.2025 entfaltet ebenfalls nur noch insoweit Rechtswirkungen, als er den Teilzeitraum 1.2. – 28.2.2025 regelt. Den Teilzeitraum 1.3. – 30.6.2025 regelt nunmehr ausschließlich der Änderungsbescheid vom 18.2.2025.

 

Es enthalten aber weder der Änderungsbescheid vom 3.2.2025 noch der Änderungsbescheid vom 18.2.2025 – anders als noch der Bescheid vom 20.12.2024 – eine ausdrückliche Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG. Eine dahingehende Regelung ist auch weder bei Bescheiderlass noch seither in einer separaten Entscheidung des Antragsgegners ergangen. Für die Leistungsbewilligung ab dem 1.2.2025 bleibt es also beim gesetzlichen Regelfall, dass der eingelegte Widerspruch aufschiebende Wirkung hat. Insbesondere wirkt die Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bescheid vom 20.12.2024 nicht über den 31.1.2025 hinaus weiter. Eine derartige Anordnung ist kein eigenständiger Verwaltungsakt, sondern ein unselbständiger Annex eines Verwaltungsakts (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 86a Rn.17a m. w. N.). Fällt der zugrundeliegende Verwaltungsakt (hier der Bescheid vom 20.12.2024) ganz oder teilweise weg (hier letzteres, nämlich soweit er Leistungen ab dem 1.2.2025 regelte), z. B. wenn er durch spätere Bescheide (hier durch die Änderungsbescheide vom 3.2.2025 und 18.2.2025) ersetzt wird, dann entfällt auch automatisch die zugehörige Anordnung einer sofortigen Vollziehung, wenn sie nicht ausdrücklich in den ersetzenden Bescheiden erneut vorgenommen wird, auch bei unveränderter Sach- und Interessenslage. Denn die Anordnung der sofortigen Vollziehung hat immer ausdrücklich zu erfolgen (Binder in: Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, 6. Auflage 2021, § 86a Rn. 20; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 86a Rn. 21a), nicht nur konkludent. Sie kann mit der zu vollziehenden Entscheidung verbunden werden oder ein einem separaten Dokument erfolgen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 86a Rn. 21a). Sie muss aber zeitlich mit oder nach der zu vollziehenden Entscheidung erfolgen und kann insbesondere nicht im Voraus ergehen (Binder in: Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, 6. Auflage 2021, § 86a Rn. 20; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 86a Rn. 17). Daher ist eine Fortwirkung der Vollziehungsanordnung aus dem Bescheid vom 20.12.2024 auf die Änderungsbescheide vom 3.2.2025 und 18.2.2025 ausgeschlossen.

 

Der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 20.12.2024 (sowie nach § 86 SGG auch gegen die Änderungsbescheide vom 3.2.2025 und 18.2.2025) hat also für den Leistungszeitraum 1.2. – 30.6.2025 ohnehin aufschiebende Wirkung. Da dem Antragsgegner dieser Umstand nicht bewusst sein dürfte, sich der Eilantrag der Antragstellerin aber ersichtlich darauf richtet, für den gesamten streitbefangenen Zeitraum vorläufig wieder höhere Leistungen zu erhalten, war der Antrag der Antragstellerin sinngemäß dahingehend auszulegen, dass die Antragstellerin auch die Feststellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs begehrt, soweit er sich nach § 86 SGG auch gegen die Änderungsbescheide vom 3.2.2025 und 18.2.2025 richtet. Diesem Antrag war aus den oben genannten Gründen stattzugeben und daher in entsprechender Anwendung des § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 15) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs für den Leistungszeitraum ab dem 1.2.2025 festzustellen.

 

Eine Wirkung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG entfaltet die Vollziehungsanordnung aus dem Bescheid vom 20.12.2024 also nur noch für den Zeitraum vom 1.1. – 31.1.2025. Insoweit war der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 13.1.2025 aber abzulehnen. 

 

Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sind das öffentliche Interesse an der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts und die privaten Belange des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegeneinander abzuwägen. Dabei ist vor allem auf die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache abzustellen. Der Antrag ist abzulehnen, wenn die angefochtene Entscheidung offensichtlich rechtmäßig ist. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens hat das Gericht das vom Gesetzgeber angenommene Interesse am sofortigen Vollzug und das individuelle Suspensivinteresse gegeneinander abzuwägen. Überwiegt dieses Suspensivinteresse, was in entsprechender Anwendung von § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG dann der Fall ist, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder der Sofortvollzug für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.

 

Im vorliegenden Fall geht das Gericht davon aus, dass der Bescheid vom 20.12.2024 für den Zeitraum vom 1.1. – 31.1.2025 rechtmäßig ist und der Widerspruch der Antragstellerin daher keinen Erfolg haben wird. 

 

Im Hinblick auf seine formelle Rechtmäßigkeit mangelte es dem Bescheid vom 20.12.2024 ursprünglich an einer vorherigen Anhörung der Antragstellerin, die nach § 24 Abs. 1 SGB X erforderlich war, weil es sich um einen Änderungsbescheid zum Nachteil der Antragstellerin handelte, und gleichzeitig nicht nach § 24 Abs. 2 SGB X entbehrlich war. Der Antragsgegner hat allerdings nunmehr durch Schreiben vom 19.2.2025 (Bl. 762 der Verwaltungsakte) die Anhörung nachgeholt, so dass dieser Verfahrensmangel nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt ist.

 

Im Hinblick auf die materielle Rechtmäßigkeit ist der Bescheid vom 20.12.2024 ebenfalls nicht zu beanstanden. Insbesondere hat der Antragsgegner zu Recht ab dem 1.1.2025 nur noch den für angemessen erachteten Teil der Miete und „kalten“ Nebenkosten als Bedarf im Rahmen der Grundsicherungsleistungen anerkannt.

 

Nach § 42 Nr. 4, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII werden im Rahmen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Übersteigen die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, teilt der Träger der Sozialhilfe dies den Leistungsberechtigten mit und unterrichtet sie über die Dauer der ihnen zustehenden Karenzzeit (i. d. R. 12 Monate), während derer sie die Gelegenheit erhalten, die Wohnkosten zu senken (§ 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII). Während der Karenzzeit sind die Kosten in tatsächlicher Höhe als Bedarf anzuerkennen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 SGB XII). Über den Ablauf der Karenzzeit hinaus ist dies nur der Fall, wenn es den Betroffenen nicht möglich oder zuzumuten war, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel für sechs weitere Monate (§ 35 Abs. 3 Satz 2 SGB XII).

 

Ob die tatsächlichen Aufwendungen angemessen sind, ist in zwei Schritten zu ermitteln. Zum ersten ist zu fragen, ob die Wohnkosten nach allgemeinen, abstrakten Kriterien, die für alle Leistungsbezieher gleichermaßen gelten, angemessen sind. Sind sie es nicht, ist im zweiten Schritt zu fragen, ob besondere Umstände des Einzelfalls, in der individuellen Situation des Betroffenen, an sich unangemessene Wohnkosten gleichwohl als ausnahmsweise angemessen erscheinen lassen.

 

Die tatsächlichen Aufwendungen der Antragstellerin für ihre Kosten der Unterkunft sind jedoch weder abstrakt noch individuell angemessen im Sinne des § 35 Abs. 1, Abs. 2 SGB XII.

 

Das Gericht zweifelt nicht daran, dass der vom Antragsgegner für eine Einzelperson in der Stadt E. für abstrakt angemessen erachtete Betrag von 562,10 €/Monat Bruttokaltmiete korrekt ist. Er ergibt sich – da im Landkreis E. andere Erkenntnismöglichkeiten zum örtlichen Mietniveau wie etwa qualifizierte Mietspiegel oder Mietdatenbanken nicht zur Verfügung stehen – aus einem Rückgriff auf die Tabellenhöchstwerte (rechte Spalte) nach § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zuzüglich eines „Sicherheitszuschlags“ von 10 % (vgl. zur Parallelvorschrift zu § 35 SGB XII im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende, § 22 des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II) BSG, Urteil vom 20.8.2009, Az. B 14 AS 65/08 R; BSG, Urteil vom 22.3.2012, Az. B 4 AS 16/11 R; BSG, Urteil vom 11.12.2012, Az. B 4 AS 44/12 R – alle in juris). Dieser Wert wird von den tatsächlichen Wohnkosten (Bruttokaltmiete) der Antragstellerin im streitbefangenen Zeitraum um 50,96 €/Monat, also deutlich, überschritten. Die tatsächlichen Kosten sind daher nicht abstrakt angemessen.

 

Für die Antragstellerin ist auch nicht vorgetragen, dass ihr – etwa aus gesundheitlichen Gründen - mehr Wohnraum und daher auch eine höhere individuell angemessene Miete zuzubilligen ist als einem durchschnittlichen Einpersonenhaushalt. Ihr Bevollmächtigter hat dies sogar ausdrücklich verneint. Für die Bestimmung der Angemessenheit der Unterkunftskosten ist daher auch unter der Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen der Antragstellerin von der üblicherweise für eine Einzelperson angemessenen Wohnungsgröße und dem entsprechenden Preis auszugehen.

 

Der Antragstellerin war also vom 1.1. – 31.12.2024 die Karenzzeit bei unangemessenen Wohnkosten nach § 35 Abs. 3 Satz 1 SGB XII zuzuerkennen.

 

Übersteigen die tatsächlichen Wohnkosten danach weiterhin das angemessene Maß, sind sie gleichwohl so lange als Bedarf anzuerkennen, wie es dem Leistungsbezieher nicht möglich oder zumutbar ist, die Kosten zu senken; dies allerdings in der Regel längstens für sechs Monate, § 35 Abs. 3 Satz 2 SGB XII. Hier kommt die fortgesetzte Berücksichtigung der unangemessen hohen tatsächlichen Kosten aber nicht in Betracht. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass es der Antragstellerin während des Jahres 2024 nicht möglich und zumutbar gewesen wäre, eine angemessene und ihren gesundheitlichen Einschränkungen Rechnung tragende neue Wohnung zu finden und zu beziehen.

 

Insbesondere ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen keine Unzumutbarkeit der Wohnungssuche bzw. der Bewältigung eines Umzugs aus gesundheitlichen Gründen. Die Antragstellerin hatte zwar dem Antragsgegner ein Attest ihrer Hausärztin Dr. … vom 1.2.2024 vorgelegt (Bl. 509 der Verwaltungsakte), laut dem sie zum damaligen Zeitpunkt aufgrund orthopädischer Erkrankungen und deswegen eingeschränkter Mobilität nicht in der Lage gewesen wäre, Wohnungssuche und Umzug zu bewältigen. In dem späteren Attest der Hausärztin vom 10.3.2025 ist davon jedoch nicht mehr die Rede, sondern lediglich vom wünschenswerten Erhalt des bisherigen sozialen Umfelds. Auch die weiteren behandelnden Ärzte, die Orthopädin Dr. … am 10.3.2025 und die Neurologin und Psychiaterin Dr. … am 11.3.2025, äußern sich nur zur wünschenswerten Barrierefreiheit einer neuen Wohnung bzw. verweisen auf die Gefährdung der psychischen Gesundheit der Antragstellerin bei einer „abrupten Räumung“ ihrer Wohnung, was nach dem Verständnis des Gerichts bei einer fristlosen Kündigung oder einer Räumungsklage der Fall wäre, aber nicht bei einem regulär geplanten und durchgeführten Umzug. Zumindest war die Antragstellerin ausweislich der in der Verwaltungsakte des Antragsgegners gesammelten Nachweise über ihr regelmäßiges Studium der Wohnungsannoncen faktisch das ganze Jahr 2024 über in der Lage, sich mit dem Thema Wohnungssuche zu befassen. Darüber hinaus ist die Antragstellerin bei zwei Trägern von Einrichtungen für betreutes Seniorenwohnen als Interessentin angemeldet und würde nach eigenem Bekunden umgehend in eine entsprechende Wohnung wechseln, sobald sie ihr angeboten würde. Sie selbst hält also einen Umzug durchaus für zu bewältigen.

 

Auch war und ist das Ende der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin nicht abzusehen, so dass ein Auszug aus der Wohnung aufgrund einer zu erwartenden Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse in naher Zukunft nicht unverhältnismäßig erscheint. Die Antragstellerin - geboren … - befindet sich im fortgeschrittenem Lebensalter. Sie bezieht Rente wegen voller Erwerbsminderung, an deren Stelle in Zukunft voraussichtlich eine Altersrente treten wird. Allerdings steht nicht fest, dass diese so hoch sein wird, dass die Antragstellerin künftig die derzeit von ihr bewohnte Wohnung wieder selbst finanzieren kann.

 

Die von der Antragstellerin dem Antragsgegner regelmäßig vorgelegten Zeitungsannoncen und handschriftlichen Übersichten über ihre Wohnungssuchbemühungen sowie ihr Vortrag im vorliegenden Eilverfahren berechtigen auch nicht zu der Annahme, dass es im Jahr 2024 unmöglich gewesen wäre, eine den Angemessenheitskriterien des Antragsgegners entsprechende neue Wohnung zu finden und anzumieten.

 

Zunächst ist nach Überzeugung des Gerichts der Antragstellerin nicht anzulasten, dass sie nicht das Internet zur Wohnungssuche nutzt, da sie nach eigenen Angaben mit der Nutzung des Internets nicht vertraut ist und auch über kein Gerät mit Internetanschluss verfügt.

 

Diese Angaben sind glaubhaft, da die Antragstellerin ausweislich der Verwaltungsakte auch mit dem Antragsgegner stets nur postalisch, telefonisch oder durch persönliche Vorsprache kommuniziert. Auch enthält die Verwaltungsakte des Antragsgegners keine weiteren Anhaltspunkte, dass die Antragstellerin jemals das Internet nutzt. Internetnutzung ist zwar mittlerweile innerhalb der Bevölkerung und auch in der Altersgruppe der Antragstellerin weitgehend üblich, aber keinesfalls universell. Nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamts nutzten 2024 in der Altersgruppe der 65-74jährigen, zu der die Antragstellerin gehört, 61 % das Internet für die „Suche nach Informationen über Waren und Dienstleistungen“, wozu auch die Wohnungssuche gehört (https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/IT-Nutzung/Tabellen/nutzung-internet-privatezwecke-alter-mz-ikt.html). Dementsprechend nutzten 39 % dieser Altersgruppe das Internet gar nicht oder zumindest nicht für diesen Zweck. Es besteht daher im Rahmen eines Kostensenkungsverfahrens nach § 35 Abs. 3 SGB XII (derzeit noch) keine Obliegenheit jedenfalls eines Leistungsbeziehers über 65 Jahre, der bisher das Internet gar nicht nutzt, für den Zweck der Wohnungssuche den Umgang mit dem Internet zu erlernen, sich entsprechende Geräte sowie Anschlüsse anzuschaffen oder sonstige Möglichkeiten des Internetzugangs zu erschließen, denn dies entspricht (noch) nicht den ganz überwiegenden Lebensgewohnheiten seiner Altersgruppe. Ob dies für jüngere Altersgruppen anders zu bewerten wäre, die laut dem Statistischen Bundesamt (s. o.) im Jahr 2024 bereits zu einem Anteil von 78 – 85 % für diesen Zweck das Internet nutzten, kann hier offenbleiben. Auch auf die Hilfe anderer Personen bei der Internetnutzung kann die Antragstellerin nicht verwiesen werden. Denn die vom Antragsgegner erwähnte erwachsene Tochter der Antragstellerin, die hierbei angeblich behilflich sein könnte, ist nicht aktenkundig und – soweit ersichtlich - insbesondere auch bisher nicht in anderen Themenbereichen unterstützend für die Antragstellerin tätig geworden.

 

Darüber hinaus kann auch nicht angenommen werden, dass der Wohnungsmarkt Personen ohne Internetanschluss und Interneterfahrung generell verschlossen ist. Ohne Frage ist eine Wohnungssuche einfacher und bequemer zu führen und ggf. schneller erfolgreich, wenn man auch auf Internetressourcen wie Immobilienportale oder Online-Maklerangebote zurückgreifen kann. Es besteht aber weiterhin auch ein erheblicher Wohnungsmarkt in traditionellen Printmedien, wie in den auch von der Antragstellerin regelmäßig genutzten Anzeigenblättern „Z.“ und „S.“.

 

Gleichwohl sind die von der Antragstellerin dokumentierten Suchbemühungen nicht geeignet, die Unmöglichkeit einer erfolgreichen Wohnungssuche nachzuweisen.

 

Die dokumentierten Suchbemühungen der Antragstellerin sind schon deswegen nicht ausreichend, weil sie sich nur auf Wohnungen in der Stadt E. bezogen haben und nicht auch auf die Umlandgemeinden. Der Antragsgegner hat die Antragstellerin bereits im Schreiben vom 28.12.2023 darauf hingewiesen, dass ein Umzug innerhalb des gesamten Landkreises E. zumutbar sei. Das Gericht teilt diese Auffassung. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 1.6.2010 (Az. B 4 AS 60/09 Rjuris) zur Parallelvorschrift § 22 SGB II entschieden, dass sich Wohnungssuchbemühungen auf den gesamten Vergleichsraum beziehen müssen, für den der Leistungsträger angemessene Wohnkosten definiert hat, also in der Regel auf dessen gesamten örtlichen Zuständigkeitsbereich, hier also den gesamten Landkreis E.. Ausnahmen, in denen der Suchbereich enger gezogen wird, sind im Einzelfall möglich, aber begründungsbedürftig (BSG, Urteil vom 11.12.2012, Az. B 4 AS 44/12 Rjuris). Hier ist für die Antragstellerin vorgetragen worden, sie sei aufgrund ihrer jahrzehntelangen Verwurzelung in E. (30 Jahre in der aktuellen Wohnung) sowie aufgrund ihrer diversen chronischen Erkrankungen, die regelmäßige Arzttermine erforderten, in besonderem Maße auf den Erhalt ihres bisherigen sozialen Umfelds angewiesen. Dieser Vortrag entbehrt jedoch der erforderlichen Substanz. Die reine Zeitdauer des Wohnens am bisherigen Wohnort allein dürfte noch keine besondere Erhaltungswürdigkeit des bisherigen Umfelds begründen, insbesondere wenn – wie hier - nicht ersichtlich ist, dass der Betroffene (etwa aufgrund eines psychiatrischen Krankheitsbildes) nur über eine eingeschränkte Fähigkeit zur Umgewöhnung und Anpassung an ein neues Umfeld verfügt, und wenn – wie ebenfalls hier – nichts dazu vorgetragen ist, wie sich die soziale Verwurzelung konkret im Alltag äußert, z. B. etwa in Form von Verwandtschaft oder Freunden in unmittelbarer örtlicher Nähe, in Form von gegenseitigen Unterstützungsleistungen in der Nachbarschaft oder in Form von ehrenamtlichem Engagement im örtlichen Nahbereich. Desgleichen hat die Antragstellerin nicht glaubhaft vorgetragen, dass ein Umzug in eine Umlandgemeinde zwingend mit einem Arztwechsel verbunden wäre. Das Gericht weist hierzu darauf hin, dass die aktuelle Hausärztin der Antragstellerin ihre Praxis in T. hat, also jenseits der Stadtgrenze von E.. Im Übrigen sind alle weiteren Gemeinden des Landkreises E. in der Form durch ÖPNV erschlossen, dass die Stadt E. werktags in unter 45 Minuten (häufig sogar in unter 30 Minuten) erreicht werden kann, mit der einzigen Ausnahme der Gemeinden an der östlichen Peripherie des Landkreises (E., B., W. und S.), von denen aus eine Fahrt nach E. 60 Minuten oder länger dauern kann. Dies entspricht üblichen und zumutbaren Fahrtzeiten für Bewohner des ländlichen Raums. Ein zwingender Arztwechsel würde daher voraussichtlich durch einen Umzug in die meisten Umlandgemeinden nicht notwendig.

 

Die bisher erfolgten Wohnungssuchbemühungen der Antragstellerin sind daher nicht zum Nachweis geeignet, dass den Kriterien des Antragsgegners entsprechende Wohnungen im ausschlaggebenden Zeitraum für die Antragstellerin nicht erhältlich waren. Im Gegenteil ergibt eine Durchsicht allein der in der Verwaltungsakte gesammelten Wohnungsannoncen im Jahr 2024 mindestens fünfzehn Angebote, davon fünf in der Stadt E. und zehn in den Umlandgemeinden (ausgenommen E., B., W. und S.), die erkennbar den Angemessenheitskriterien des Antragsgegners entsprochen hätten, und die als Kontaktmöglichkeit (auch) eine Telefonnummer bzw. eine Chiffre nannten und nicht nur eine E-Mail-Adresse. Davon waren mindestens vier Wohnungen erkennbar mehrfach hintereinander inseriert, also nicht sofort vergeben. Hieraus ergibt sich, dass im Jahr 2024 durchschnittlich jeden Monat allein in den Anzeigenblättern „S.“ und „Z.“ mindestens ein Wohnungsangebot vorhanden war, das die Antragstellerin hätte anfragen und ggf. weiterverfolgen können. Ob die Wohnungen im Erdgeschoss bzw. mit Aufzug erreichbar gewesen wären - was die behandelnde Orthopädin ausweislich des Attests vom 10.3.2025 zwar nicht für zwingend, aber für „wünschenswert“ hält - ergibt sich aus den Anzeigen in der Regel nicht; diese Umstände wären aber zu erfragen gewesen. Die Antragstellerin durfte jedenfalls nicht davon ausgehen, dass dies sowieso nicht der Fall sein würde. Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass die Antragstellerin die Wohnungssuche bisher nicht mit dem erforderlichen Nachdruck und der erforderlichen Ernsthaftigkeit betrieben hat. Es ist daher aus Sicht des Gerichts nicht verwunderlich, dass die Suche bisher nicht erfolgreich war. In dieses Bild passt auch, dass die Antragstellerin sich erst im April 2024 bei einem Anbieter für betreutes Seniorenwohnen in E. angemeldet hat (trotz Kostensenkungsaufforderung bereits Ende Dezember 2023) und erst im Januar 2025, also erst nach bereits erfolgter Kostensenkung, bei einem zweiten Anbieter. Von einer Anfrage bei der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft E. ist ebenfalls nichts bekannt. Auch dürfte eine monatliche Anfrage bei einem Maklerbüro keine ausreichende Suchbemühung auf diesem Weg darstellen. Das Branchenverzeichnis „Gelbe Seiten“ führt allein in der Stadt E. mindestens 15 Immobilienmakler auf. Weitere Immobilienmakler sind in den Umlandgemeinden ansässig.

 

Im Ergebnis kommt daher die fortgesetzte Berücksichtigung der tatsächlichen Wohnkosten als Bedarf nach § 35 Abs. 3 Satz 2 SGB XII über den Karenzzeitraum von 12 Monaten hinaus wegen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Kostensenkung nicht in Betracht.

 

Der Beklagte war auch berechtigt, die bereits durch Bescheide vom 25.6.2024, 18.7.2024, 1.8.2024, 12.8.2024 und 29.10.2024 erfolgte Leistungsbewilligung unter Zugrundelegung der vollen tatsächlichen Wohnkosten bis zum 30.6.2025 durch Bescheid vom 20.12.2024 mit Wirkung ab dem 1.1.2025, also für die Zukunft, abzuändern. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X erlaubt dies bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung, zu denen laufende Bewilligungen von Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII gehören, auch zu Lasten des Betroffenen bei einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die beim ursprünglichen Bescheiderlass vorgelegen hatten, ohne weitere Voraussetzungen oder Vertrauensschutzregelungen. Zu solchen wesentlichen Änderungen der rechtlichen Verhältnisse gehört nach Überzeugung des Gerichts auch der Ablauf eines Karenzzeitraums nach § 35 Abs. 3 Satz 1 SGB XII bzw. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Denn ab diesem Zeitpunkt richtet sich die Anerkennung der Unterkunftskosten nicht mehr nach § 35 Abs. 3 Satz 1 SGB XII bzw. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, sondern nach § 35 Abs. 3 Satz 2 SGB XII bzw. § 22 Abs. 1 Satz 7 SGB II, die andere und strengere Voraussetzungen an die fortgesetzte Anerkennung der tatsächlichen Wohnkosten stellen und eine Absenkung auf das angemessene Maß erlauben. Es handelt sich also um einen veränderten rechtlichen Prüfungsmaßstab, den der Leistungsträger ab diesem Zeitpunkt anlegen muss. Diesen Prüfungsmaßstab kann er aber häufig noch nicht anlegen, wenn ein Bewilligungsabschnitt nach § 44 Abs. 3 SGB XII bzw. § 41 Abs. 3 SGB II noch während des laufenden Karenzzeitraums beginnt, denn ob eine Kostensenkung während des Karenzzeitraums möglich und/oder zumutbar war oder nicht, kann regelmäßig erst gegen Ende des Karenzzeitraums abschließend beurteilt werden. Daher muss § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf diese Sachverhalte anwendbar sein. Ansonsten würde in allen Fällen, in denen das Ende des Karenzzeitraums nicht mit dem Ende eines Bewilligungsabschnitts zusammenfällt, sondern mitten in einem Bewilligungsabschnitt liegt, der Karenzzeitraum faktisch bis zum Ende des Bewilligungsabschnitts verlängert werden müssen, weil eine Korrektur der Unterkunftskosten im laufenden Bewilligungszeitraum nicht möglich wäre. Eine derartige Erweiterung lässt sich aber dem Gesetzestext des § 35 SGB XII bzw. § 22 SGB II und auch dem System der Karenzregelungen nicht entnehmen.

 

Dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 13.1.2025 war daher wegen offensichtlicher Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids vom 20.12.2024 im Hinblick auf den Zeitraum vom 1.1. – 31.1.2025 nicht zu entsprechen.


Dem sinngemäß ebenfalls gestellten Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin im Hinblick auf den überwiegenden Zeitraum vom 1.2. – 30.6.2025 (Änderungsbescheide vom 3.2.2025 und 18.2.2025) war dagegen wegen § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG und aufgrund des Fehlens einer Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu entsprechen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Das anteilig geringe Unterliegen der Antragstellerin fällt gegenüber ihrem ganz überwiegenden Obsiegen kostenrechtlich nicht ins Gewicht.

 

Dieser Beschluss ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG unanfechtbar, da die Berufung in der Hauptsache nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG wegen Unterschreitens der Mindestberufungssumme von 750,00 € nicht zulässig wäre. Die Beschwer der Antragstellerin beträgt nur 50,96 € für einen Monat; die Beschwer des Antragsgegners beträgt 50,96 € pro Monat für 5 Monate, also in Summe nur 254,80 €.

Rechtskraft
Aus
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