S 26 KR 957/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 26 KR 957/22
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 677/23
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Berücksichtigung von außerland- und außerforstwirtschaftlichem Arbeitseinkommen bei der Berechnung der Beitragspflicht des Klägers.

 

Der Kläger ist seit Jahren bei der Beklagten krankenversichert. Seit 2013 bezieht er eine Rente der Landwirtschaftlichen Altersklasse. Seinen Anteil am landwirtschaftlichen Betrieb gab der Kläger zum 01.07.2019 an seinen Enkel ab. Daneben führte der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau einen Kälbermastbetrieb, der steuerrechtlich durch das Finanzamt als gewerblich und nicht landwirtschaftlich eingestuft wurde. Dieses betriebliche Gewerbe beendeten der Kläger und seine Ehefrau zum 31.12.2021. Demzufolge war der Kläger bei der Beklagten bis zum 30.06.2019 als landwirtschaftlicher Unternehmer und ab dem 01.07.2019 als Bezieher einer Rente der landwirtschaftlichen Altersklasse versicherungspflichtig.

 

Mit Ausfüllen des Fragebogens zum Arbeitseinkommen mit Datum vom 27.07.2021 gab der Kläger erstmals an, dass er Einkünfte aus einem Gewerbebetrieb erziele und reichte entsprechende Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2017, 2018 und 2019 ein.

 

Die Beklagte setzte auf Grundlage der Einkommenssteuerbescheide mit Bescheid vom 03.11.2021 die Beiträge ab dem 01.01.2017 unter Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus der außerlandwirtschaftlichen selbständigen Tätigkeit bis zum 31.12.2019 endgültig und ab dem 01.01.2020 vorläufig fest. Nach der neuen Berechnung ergab sich eine offene Forderung in Höhe von 35,595,16 €.

 

Gegen diesen Bescheid der Beklagten legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass die rückständigen Beiträge vom 01.01.2017 bis zur Abgabe seines Anteils am landwirtschaftlichen Betrieb von der landwirtschaftlichen GbR zu tragen seien. Darüber hinaus habe die Beklagte zwar die Regelung des § 39 Abs. 1 Ziffer 4 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) korrekt angewandt, diese gesetzliche Regelung verstoße jedoch gegen höherrangiges Recht und verletze ihn daher in seinen subjektiven rechten. So führe die Anwendung der gesetzlichen Regelung zu einer Ungleichbehandlung zwischen landwirtschaftlichen Unternehmern, die eine Altersrente beziehen, gegenüber denjenigen landwirtschaftlichen Unternehmern, die keine Rente beziehen. Ferner liege in der Regelung eine nicht zu rechtfertigende Altersdiskriminierung.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.2022 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Durch die gesetzliche Regelung des § 39 Abs. 1 Ziffer 4 KVLG würden diejenigen landwirtschaftlichen Unternehmer, welche eine Rente beziehen, mit Rentnern, die kein landwirtschaftliches Unternehmen mehr bewirtschaften, gelichgestellt. Es komme somit für die beabsichtigte Gleichbehandlung auf den Bezug von Rente an. Es liege daher weder ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) noch gegen das Verbot der Altersdiskriminierung vor.

 

Mit der streitgegenständlichen Klage vom 28.04.2022 wendet sich der Kläger gegen die Zurückweisung seines Widerspruchs und begehrt weiterhin die Aufhebung der Beitragsfestsetzung. Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren. Zwar habe die Beklagte die gesetzliche Regelung des § 39 Abs. Ziffer 4 KVLG korrekt angewandt. Diese gesetzliche Vorschrift verstoße jedoch gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Verbot der Altersdiskriminierung. Die vorliegend maßgebliche Vergleichsgruppe beschränke sich auf landwirtschaftliche Unternehmer, die eine Rente beziehen, und denjenigen landwirtschaftlichen Unternehmern, die keine Rente beziehen.

 

 

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 03.11.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 07.04.2022 aufzuheben, soweit für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 30.06.2019 Beiträge aus einer außerland- und außerforstwirtschaftlichen selbständigen Tätigkeit festgesetzt werden.

 

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Sie ist der Klage unter Verweis auf ihre ablehnende Begründung im Vorverfahren entgegengetreten. Ergänzend weist die Beklagte auf eine ihrer Ansicht nach einschlägige Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Gelsenkirchen vom 31.03.2022 (Az.: S 11 KR 625/29) hin.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der gerichtlichen Beratung gewesen sind.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die zulässige Klage ist unbegründet.

 

Das Sozialgericht Münster ist für die Entscheidung des Rechtsstreits sachlich und örtlich zuständig (§§ 51, 57 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGG)).

 

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 03.11.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.04.2022 ist rechtmäßig. Der Kläger ist somit nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG.

 

Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Beitragsfestsetzung wird gem. § 136 Abs. 3 SGG auf die Begründung des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 07.04.2022 verwiesen, welcher die Kammer vollumfänglich folgt. Wie auch der Kläger selbst anerkennt, hat die Beklagte bei der Beitragsfestsetzung die Regelung des § 39 Abs. 1 Ziffer 4 KVLG korrekt angewandt. Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt diese gesetzliche Vorschrift jedoch nicht gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Grundgesetz (GG) und stellt auch keine Altersdiskriminierung dar.

 

Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des SG Gelsenkirchen vom 31.03.2022 – Az.: S 11 KR 625/20 verwiesen. Der Gleichheitssatz in Art. 3 GG verbietet es grundsätzlich, wesentlich Gleiches ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muss (vgl. Kingreen in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 3, Rn. 240). Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 27.02.2007 – Az.: 1 BvL 10/00). Im vorliegenden Fall besteht in dem Umstand des Rentenbezuges ein Unterschied von solcher Art und solchem Gewicht, der die Berücksichtigung der Einkünfte aus außerland- und außerforstwirtschaftlicher selbständiger Tätigkeit bei denjenigen landwirtschaftlichen Unternehmern, die eine Rente beziehen, gegenüber den landwirtschaftlichen Unternehmern ohne Rentenbezug rechtfertigt. Die Regelung des § 39 Abs.1 Ziffer 4 KVLG entspricht der Regelung des § 226 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) und wurde vom Gesetzgeber parallel ausgestaltet (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 29.02.2012 – Az.: B 12 KR 7/10 R). Da jedoch die Verfassungsmäßigkeit der Regelung in § 226 Abs. 1 Nr. 4 SGB V in der Rechtsprechung zu keiner Zeit beanstandet bzw. angezweifelt worden ist (vgl. Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.02.2019 – Az.: L 4 KR 279/16) , sieht die Kammer auch vorliegend keine Anhaltspunkte dafür, die partielle Gleichbehandlung landwirtschaftlicher Unternehmer mit Rentenbezug mit den in der Krankenversicherung für Landwirte versicherten Rentnern und damit die unterschiedliche Behandlung gegenüber landwirtschaftlichen Unternehmern ohne Rentenbezug verfassungsrechtlich in Frage zu stellen.

 

Anknüpfungspunkt für die Regelung des § 39 Abs. 1 Ziffer 4 KVLG ist der Umstand des Rentenbezuges und nicht eine konkrete Altersgrenze. Fraglich ist somit, ob vorliegend überhaupt von einer Altersdiskriminierung auszugehen ist. Vor dem Hintergrund, dass der sachliche Grund für die Regelung des § 39 Abs. 1 Ziffer 4 KVLG in Anlehnung an die parallele Vorschrift in § 226 Abs. 1 Nr. 4 SGB V in der Entwicklung der Beitragspflicht für Rentner und der vom Gesetzgeber nichtgewollten Ungleichbehandlung von versicherungspflichtigen Rentenbeziehern zu sehen ist (vgl. zu § 226 SGB V: Beck, in: Kasseler Kommentar, 118. EL März 2022, SGB V § 226 Rn. 18), ist nach Auffassung der Kammer selbst im Fall der Annahme einer Altersdiskriminierung auch diesbezüglich ein Verstoß sachlich hinreichend gerechtfertigt. 

 

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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