S 5 SO 2799/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 2799/23
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Sozialleistung, die der nachrangig verpflichtete Träger tatsächlich erbracht hat, muss zu der Sozialleistung, die der Berechtigte vom vorrangig verpflichteten Träger hätte beanspruchen können, kongruent sein – persönlich, zeitlich und sachlich. Andernfalls besteht kein Erstattungsanspruch des leistenden Trägers nach § 104 SGB X.

 

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

 

 

Tatbestand

 

 

Streitig ist, ob der Beklagte Aufwendungen erstatten muss, die der Kläger für Leistungen der Jugendhilfe in der Zeit vom 1.3.2019 – 31.10.2022 hatte.

 

Am 5.2.2019 beantragte T.N. beim Kläger Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII für ihren Sohn M.A. (geb. am x.x.2011). Frau N. stand das alleinige Sorgerecht zu. Zur Begründung ihres Antrags gab sie an, angesichts eigener psychischer und sozialer Probleme sei sie mit der Erziehung überfordert. Von der Vollzeitpflege erhoffe sie sich zum einen Entlastung für sich selbst, zum anderen die Förderung ihres Sohnes in einem stabilen und verlässlichen Rahmen.

 

Eine Woche später, am 12.2.2019, schloss der Kläger mit den Eheleuten K. einen Pflege- und Erziehungsvertrag. Darin verpflichteten sich die Eheleute, ab dem 1.3.2019 M. als Pflegekind im Rahmen der Vollzeitpflege zu erziehen, zu beaufsichtigen und zu versorgen. Hierfür sollten sie Pflegegeld erhalten.

 

Am 28.2.2019 erstellte der Kläger unter Beteiligung von Frau N. und Frau K. einen Hilfeplan. Die Beteiligten hielten fest, M. solle einen klar strukturierten Alltag bekommen, in seinem Leistungsvermögen gefördert werden und regelmäßig die Schule besuchen. Frau N. solle den Umgang mit M. aufrechterhalten, eine Therapie besuchen und sich ihren „eigenen Themen“ stellen. Für diese Zwecke sei Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 / 33 SGB VIII in Form von Dauerpflege notwendig und geeignet.

 

Mit Bescheid vom 12.3.2019 bewilligte der Kläger sodann Frau N. ab dem 1.3.2019 Hilfe zur Erziehung von M.. Die Hilfe erfolge in Form von Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII und werde in der Familie K. erbracht, so der Kläger.

 

In der Folgezeit wurde der Hilfeplan mehrfach fortgeschrieben (am 2.7.2019, 26.2.2020, 27.7.2020, 23.2.2021, 31.8.2021 und 8.4.2022).

 

Aufgrund dessen erbrachte der Kläger ab dem 1.3.2019 Hilfe zur Erziehung. Bis zum 31.10.2022 summierten sich seine Kosten hierfür auf 48.763,24 €.

 

Mit Schreiben vom 6.10.2022 und 25.4.2023 forderte der Kläger vom Beklagten unter Hinweis auf § 104 SGB X die Erstattung seiner Aufwendungen. Er machte geltend, bei M. habe eine wesentliche geistige und seelische Behinderung vorgelegen. Angesichts dessen hätten ihm Leistungen der Eingliederungshilfe zugestanden. Diese Leistungen seien inhaltlich deckungsgleich mit der erbrachten Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege. Der Beklagte wäre gemäß § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII vorrangig zur Leistung verpflichtet gewesen. Dessen örtliche Zuständigkeit folge aus § 98 Abs. 5 SGB IX.

 

Mit Schreiben vom 30.11.2022 und 7.6.2023 lehnte der Beklagte die beantragte Erstattung ab. Zur Begründung gab er an, der Kläger habe Hilfe zur Erziehung erbracht. Diese Hilfe sei nicht dasselbe wie Eingliederungshilfe. Mangels Deckungsgleichheit sei er, der Beklagte, nicht zur Erstattung verpflichtet.

 

Mit der am 23.11.2023 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt ergänzend vor, Frau N. habe seinerzeit keine Leistungen zur Teilhabe beantragt, sondern Hilfe zur Erziehung. Angesichts dessen finde § 14 SGB IX keine Anwendung. Im Februar 2019, bei der Entscheidung über die beantragte Hilfe, habe es noch keine Hinweise auf eine geistige Behinderung von M. gegeben. Angesichts dessen sei für ihn, den Kläger, nicht ersichtlich gewesen, dass er nur nachrangig zuständig sei. Er habe daher – irrtümlich – die beantragte Hilfe zur Erziehung bewilligt. Später, insbesondere durch ein amtsärztliches Gutachten vom 7.6.2022, habe sich dann herausgestellt, dass bei M. von Anfang an eine wesentliche geistige und seelische Behinderung vorgelegen habe, nämlich eine Intelligenzminderung. Aufgrund dessen sei M. zu keiner selbstständigen Lebensführung imstande gewesen. Ihm hätten daher Leistungen der Eingliederungshilfe zugestanden. Die Eingliederungshilfe sei vorrangig gegenüber der Hilfe zur Erziehung, und zwar unabhängig davon, in welchem Bereich der Schwerpunkt der Hilfe liege und ob die Behinderung ursächlich für die Hilfe sei. Für die Zuständigkeit des Trägers der Eingliederungshilfe genüge jegliche Überschneidung der Leistungsbereiche. So verhalte es sich hier: Die Betreuung in einer Pflegefamilie sei sowohl eine Leistung der Jugendhilfe als auch der Eingliederungshilfe. Angesichts dessen bestehe hier die erforderliche sachliche Kongruenz. Es sei unerheblich, dass die anspruchsberechtigten Personen (nämlich Frau N. für die Jugendhilfe und M. für die Eingliederungshilfe) nicht deckungsgleich seien.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Beklagten zu verurteilen, ihm die Aufwendungen für die vom 1.3.2019 – 31.10.2022 erbrachten Jugendhilfeleistungen für M. in Höhe von 48.763,24 € zu erstatten.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Er trägt ergänzend vor, es sei fraglich, ob bei M. eine Behinderung bestanden habe: Eine Behinderung aufgrund einer Intelligenzminderung liege erst bei einem IQ unter 70 vor. Bei einem Test am 27.3.2019 habe M. indes einen Wert von 76 erzielt. Im Übrigen habe er, der Beklagte, Zweifel auch an seiner örtlichen Zuständigkeit.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakten der Beteiligten Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

1) Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen

 

Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§ 104 Abs. 1 S. 1 SGB X).

 

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt: Fraglich erscheint bereits, ob M. überhaupt einen Anspruch auf Eingliederungshilfe hatte (dazu a). Das kann indes letztlich dahingestellt bleiben. Denn ein etwaiger Anspruch auf Eingliederungshilfe wäre jedenfalls nicht deckungsgleich mit der erbrachten Hilfe zur Erziehung – wie dies § 104 SGB X erfordert (dazu b).

 

a) Ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X kommt nur in Betracht, wenn der Leistungsberechtigte zwei Ansprüche auf Sozialleistungen hatte – zum einen gegenüber dem vorrangig verpflichteten Träger, zum anderen gegenüber dem nachrangig verpflichteten Träger (Böttiger in: LPK-SGB X, 6. Aufl., § 104 Rdnr. 7).

 

Die Kammer hat Zweifel daran, dass M. in der Zeit vom 1.3.2019 – 31.10.2022 einen Anspruch auf Betreuung in einer Pflegefamilie als Leistung der Eingliederungshilfe hatte (wie der Kläger meint).

 

Die Betreuung in einer Pflegefamilie gehört zum Leistungskatalog der Eingliederungshilfe (bis zum 31.12.2019: § 54 Abs. 3 SGB XII; seit dem 1.1.2020: § 113 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 i.V.m. § 80 SGB IX). Einen Anspruch hierauf können nur Personen haben, bei denen eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB IX besteht oder droht (bis zum 31.12.2019: § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII; seit dem 1.1.2020: § 99 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB IX). Betroffen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (§ 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX).

 

Im vorliegenden Fall erscheint fraglich, ob bei M. eine (seelische oder geistige) Behinderung bestand: Ein Intelligenztest am 19.9.2018 ergab einen Intelligenzquotienten von nur 53. Dieser geringe Wert beruhte aber wohl auf unzureichender Mitwirkung des Probanden; denn bei einem zweiten Test am 27.3.2019 erzielte M. einen Wert von 76. Ein Intelligenzquotient von über 70 spricht tendenziell gegen eine geistige Behinderung (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.1.2018, L 8 SO 249/17 B ER, Rdnr. 23 – nach Juris). Eineinhalb Jahre später, bei einer Untersuchung M.s im Klinikum B. am 21.10.2020, stellte der dortige Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie Prof. Dr. R. eine ausgeprägte Aufmerksamkeitsstörung fest; dessen sonstige intellektuelle Fähigkeiten seien aber deutlich besser ausgeprägt, so dass bei M. zwar eine Lernbehinderung bestehe, aber keine geistige Behinderung (Arztbrief vom 21.12.2020). Weitere knapp eineinhalb Jahre später, am 7.6.2022, gelangte der Amtsarzt S. vom Gesundheitsamt L. zu einem abweichenden Ergebnis: Seiner Einschätzung nach lagen bei M. eine Intelligenzminderung sowie eine kombinierte Entwicklungsstörung vor und damit im Ergebnis eine wesentliche geistige und seelische Behinderung. Angesichts dieser widerstreitenden Beurteilungen ist aus Sicht der Kammer keinesfalls klar, dass es sich bei M. um einen behinderten Menschen nach § 2 Abs. 1 SGB IX handelte – Grundvoraussetzung für einen Anspruch auf Eingliederungshilfe.

 

Im Übrigen setzt ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 3 S. 1 SGB XII a.F. zusätzlich voraus, dass durch die Betreuung in einer Pflegefamilie der Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden oder beendet werden kann. Im vorliegenden Fall ist nichts dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass eine vollstationäre Unterbringung von M. in einer Behinderteneinrichtung anstand.

 

b) Sofern M. einen Anspruch auf Betreuung in einer Pflegefamilie als Leistung der Eingliederungshilfe gehabt haben sollte, wäre dieser Anspruch nicht deckungsgleich mit dem Anspruch auf die tatsächlich erbrachte Hilfe zur Erziehung.

 

Die Sozialleistung, die der nachrangig verpflichtete Träger tatsächlich erbracht hat, muss zu der Sozialleistung, die der Berechtigte vom vorrangig verpflichteten Träger hätte beanspruchen können, kongruent sein – persönlich, zeitlich und sachlich. Andernfalls besteht kein Erstattungsanspruch des leistenden Trägers nach § 104 SGB X (BSG, Urteil vom 11.9.2018, B 1 KR 6/18 R, Rdnr. 28 – nach Juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7.11.2019, L 7 SO 1832/18, Rdnr. 59 – nach Juris; Böttiger in: LPK-SGB X, 6. Aufl., § 104 Rdnr. 15; Pattar in: jurisPK-SGB X, § 104 Rdnr. 30).

 

Im vorliegenden Fall fehlt es sowohl an der persönlichen (dazu aa) als auch der sachlichen (dazu bb) Kongruenz.

 

aa) Grundsätzlich muss sowohl die vorrangige als auch die nachrangige Sozialleistung derselben Person zustehen (Böttiger in: LPK-SGB X, 6. Aufl., § 104 Rdnr. 19). Nur ausnahmsweise gilt das Erfordernis der personellen Identität nicht – zum einen unter den Voraussetzungen des § 104 Abs. 2 SGB X, zum anderen in sonstigen, ausdrücklich geregelten Fällen (Kater in: KassKomm, § 104 SGB X Rdnr. 42; auch BT-Drucksache 16/1410 Seite 27 – zu Nr. 30).

 

(1) Der Kläger hat Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII erbracht. Ein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung steht nicht dem Kind zu, sondern gemäß § 27 Abs. 1 SGB VIII dem Personensorgeberechtigten (Nellisen in: jurisPK-SGB VIII, § 27 Rdnr. 27). Hier hatte Frau N. das alleinige Sorgerecht für M. – und damit auch den Anspruch auf Hilfe zur Erziehung. Dementsprechend hat sie (und nicht M.) den Antrag auf die Leistung gestellt; ihr (und nicht M.) hat der Kläger die Leistung mit Bescheid vom 12.3.2019 bewilligt.

 

Demgegenüber steht Eingliederungshilfe (in Form von Betreuung in einer Pflegefamilie) dem behinderten Menschen selbst zu. Inhaber eines etwaigen Anspruchs wäre hier also M..

 

Vor diesem Hintergrund sind die potentiellen Anspruchsberechtigten nicht identisch.

 

(2) Eine Ausnahme im Sinne des § 104 Abs. 2 SGB X liegt hier nicht vor.

 

Nach dieser Vorschrift gilt § 104 Abs. 1 SGB X auch dann, wenn von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger für einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht worden sind und ein anderer mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen, auch auf besonders bezeichnete Leistungsteile, gegenüber einem vorrangig verpflichteten Leistungsträger hat oder hatte.

 

Nähme man zugunsten des Klägers an, M. habe Eingliederungshilfe zugestanden, so bestände dieser Anspruch jedenfalls unabhängig von seiner Mutter T.N. – also gerade nicht „mit Rücksicht auf diesen Angehörigen“, wie es § 104 Abs. 2 SGB X voraussetzt.

 

(3) Für die Kammer ist keine sonstige gesetzliche Regelung ersichtlich, die ein Abweichen vom Erfordernis der personellen Identität rechtfertigen würde.

 

Die Regelung des § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII genügt insoweit nicht (a.A. wohl BVerwG, Urteil vom 19.10.2011, 5 C 6/11, Rdnr. 17 – nach Juris). Nach dieser Vorschrift gehen Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach dem SGB VIII vor. Hierbei handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die das Verhältnis der Jugendhilfe zur Eingliederungshilfe regeln soll (Nellisen in: jurisPK-SGB VIII, § 10 Rdnr. 12). Eine Kollisionsnorm ist indes etwas ganz anderes als eine Regelung zur Erweiterung eines Erstattungsanspruchs nach § 104 SGB X. Wie eine solche Regelung aussehen kann, zeigt z.B. § 34c SGB II. Im Recht der Jugendhilfe gibt es nichts dergleichen. Das lässt sich nicht mit Zweckmäßigkeitserwägungen überspielen.

 

bb) Darüber hinaus ist die vom Kläger erbrachte Hilfe zur Erziehung auch inhaltlich nicht gleichartig mit Eingliederungshilfe.

 

Inhaltliche Kongruenz liegt nur vor, wenn die beiden Sozialleistungen demselben Zweck dienen (BSG, Urteil vom 12.10.2017, B 11 AL 20/16 R, Rdnr. 19 – nach Juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7.11.2019, L 7 SO 1832/18, Rdnr. 46 – nach Juris; Pattar in: jurisPK-SGB X, § 104 Rdnr. 31; Roos in: Schütze, SGB X, 9. Aufl., § 104 Rdnr. 12; Kater in: KassKomm, § 104 SGB X Rdnr. 37). Haben die beiden Sozialleistungen jeweils mehrere Zwecke, genügt die Überschneidungen in einem Teilbereich (BSG, Urteil vom 25.9.2014, B 8 SO 7/13 R, Rdnr. 26 – nach Juris). Hingegen reicht es nicht aus, wenn sich die beiden Sozialleistungen nur äußerlich ähneln – wie dies z.B. bei Geldleistungen der Fall ist.

 

Hilfe zur Erziehung setzt voraus, dass eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung durch den Personensorgeberechtigten nicht gewährleistet ist (§ 27 Abs. 1 SGB VIII); diese erzieherische Mangellage soll durch die Hilfe behoben werden (Nellisen in: jurisPK-SGB VIII, § 27 Rdnr. 38 und 41). Demgegenüber zielt die Eingliederungshilfe darauf, dem behinderten Menschen die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern (bis zum 31.12.2019: § 53 Abs. 3 S. 2 SGB XII; seit dem 1.1.2020: § 90 Abs. 5 SGB IX). Die Leistungen knüpfen also an unterschiedlichen Bedarfslagen an und dienen grundsätzlich unterschiedlichen Zwecken. Sie schließen sich daher nicht gegenseitig aus (vgl. § 35a Abs. 4 SGB VIII). Vor diesem Hintergrund kommt eine – teilweise – Überschneidung der Zwecke allenfalls in Betracht, wenn die konkrete Hilfe zum einen dem Ausgleich eines erzieherischen Defizits dienen soll, zum anderen der über die Erziehung hinausgehenden qualitativen Betreuung bzw. Förderung, die gerade wegen einer Behinderung des Kindes erforderlich ist (BSG, Urteil vom 25.9.2014, B 8 SO 7/13 R, Rdnr. 29 und 31 – nach Juris). Maßgeblich ist, welche Zwecke der Träger mit der Sozialleistung intendiert (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7.11.2019, L 7 SO 1832/18, Rdnr. 63 – nach Juris).

 

Im vorliegenden Fall war Grund für die Bewilligung von Hilfe zur Erziehung der Umstand, dass die sorgeberechtigte T.N. eine dem Wohl ihres Kindes M. entsprechende Erziehung nicht mehr gewährleisten konnte: Im Antrag vom 5.2.2019 hatte Frau N. angegeben, wegen eigener psychischer und sozialer Probleme sei sie mit der Erziehung überfordert. Wie sich aus dem Hilfeplan vom 28.2.2019 ergibt, entsprach dies auch der Einschätzung des Klägers. Der Kläger hielt daher Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 / 33 SGB VIII in Form von Dauerpflege für geeignet und notwendig, um den „erzieherischen“ Bedarf von M. zu decken (Ziff. 2.1 des Hilfeplans).

 

Hingegen ist die Kammer nicht davon überzeugt, der Kläger habe mit der Betreuung M. über die Erziehung hinaus wegen einer Behinderung fördern wollen:

 

Gegen eine derartige Intention spricht bereits, dass der Kläger ersichtlich lange Zeit selbst davon ausging, M. sei gar nicht behindert im Sinne des § 2 SGB IX: Basis für diese Annahme waren wohl vor allem der Intelligenztest vom 27.3.2019 sowie die Einschätzung des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie Prof. Dr. R. im Arztbrief vom 21.12.2020. So hatte der Kläger in einer E-Mail vom 27.3.2019 frühzeitig festgehalten: „Nach einer erneuten IQ Testung von M. A. hat sich ergeben, dass der IQ von 53 auf 76 gestiegen ist. Somit bleiben wir als Jugendhilfe zuständig. ... Wichtig ist, dass wir damit keine Ansprüche gegenüber der Eingliederungshilfe / Sozialamt geltend machen können“. Die Einschätzung des Klägers änderte sich wohl erst kurz vor Ende des streitigen Zeitraums durch die Feststellungen des Amtsarztes S. vom 7.6.2022 – ohne dass dies noch Auswirkungen auf die Art der bewilligten Leistung hatte.

 

Übereinstimmend mit der (anfänglichen) Annahme, M. sei nicht behindert, bewilligte der Kläger keine Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII, sondern Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII. Weder dem Bescheid vom 12.3.2019 noch dem zugrunde liegenden Hilfeplan vom 28.2.2019 ist zu entnehmen, M. solle in der Pflegefamilie über die Erziehung hinaus wegen einer Behinderung gefördert werden. Vielmehr hatten die Beteiligten im Hilfeplan festgehalten, M. solle einen klar strukturierten Alltag bekommen, in seinem Leistungsvermögen gefördert werden und regelmäßig die Schule besuchen. Mit einer etwaigen Behinderung hat all dies nichts zu tun, sondern nur mit einem „erzieherischen Bedarf“ (so Ziff. 2.1 des Hilfeplans). Dementsprechend hatten sich die Eheleute K. gegenüber dem Kläger im Pflege- und Erziehungsvertrag vom 12.2.2019 lediglich verpflichtet, M. zu erziehen, zu beaufsichtigen und zu versorgen – nicht aber dazu, ihn darüber hinaus wegen einer Behinderung qualifiziert zu betreuen.

 

2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Rechtskraft
Aus
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