L 3 U 2675/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 2552/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 2675/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Bei Berufskrankheiten ohne Einwirkungsdosis – wie bei der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV – ist mit dem Vorhandensein der in der Berufskrankheit genannten Listenstoffe am Arbeitsplatz vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen auszugehen, wenn andere in Betracht kommende Ursachen für die Erkrankung des Versicherten positiv ausgeschlossen sind (Anschluss an BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R, juris Rn. 17).
2. Der Annahme eines Ursachenzusammenhangs im Sinne der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie steht entgegen, wenn im Rahmen der Prüfung der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen feststeht, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist (Anschluss an BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R, juris Rn. 17).
3. Für die Feststellung fehlender Ursächlichkeit ist entscheidend, dass wegen der Art oder der Lokalisation der Erkrankung, wegen des zeitlichen Ablaufs der Erkrankung (Expositionszeit, Latenzzeit und Interimszeit) oder aufgrund sonstiger Umstände im konkreten Einzelfall ein ursächlicher Zusammenhang trotz der beruflichen Einwirkung nicht wahrscheinlich ist (Anschluss an BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R, juris Rn. 42).
4. Bei der Prüfung, ob ein "versicherungsfremdes Schadensbild" vorliegt, ist auch der zeitliche Abstand zwischen Expositionsende und Erstdiagnose zu berücksichtigen.
5. Bei einer Latenzzeit von knapp 28 Jahren zwischen Expositionsende und Erstdiagnose einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung lässt sich eine Kausalität zwischen Exposition und Erkrankung im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV nicht wahrscheinlich machen.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.08.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV (Durch chemisch-irritativ wirkende Stoffe verursache Atemwegserkrankungen) streitig.

Die 1952 geborene Klägerin arbeitete vom 01.01.1965 bis zum 31.12.1967 in einer Schuhfabrik in Z1, vom 10.03.1969 bis zum 21.09.1972 sowie vom 01.02.1973 bis zum 30.09.1974 beim U1 in A1 an einem Schweißautomaten, besuchte von 1974 bis 1977 eine Oberschule, arbeitete vom 07.08.1978 bis zum 31.12.1979 beim L1 in T1 in der Montage, absolvierte von Anfang 1980 bis April 1981 im F2 in T1 eine Ausbildung zur Gasschweißerin, befand sich danach zunächst in Mutterschutz und arbeitete vom 01.10.1981 bis zum 31.12.1992 im F2 in T1 beziehungsweise bei der T2 GmbH vollschichtig als Gasschweißerin, wobei sie mit dem Schweißen von Hydraulikbremsenleitungen und mit weiteren Lötaufgaben betraut war. Die Klägerin arbeitete danach vom 03.04.1995 bis zum 31.03.1996 sowie vom 01.11.1999 bis zum 31.03.2000 bei der T2 GmbH beim maschinellen Biegen von Hydraulikbremsleitungen, vom 01.05.2000 bis zum 04.06.2002 bei der G2 Tankstelle, vom 04.06.2002 bis zum 31.07.2002 erneut bei der T2 GmbH, vom 15.08.2002 bis zum 30.06.2003 bei der Hotel Z2 GmbH, vom 01.07.2003 bis zum 30.06.2004 bei der H1 GmbH als Verpackungsherstellerin, vom 01.07.2004 bis zum 31.12.2004 bei der Z3 GmbH, vom 01.01.2005 bis zum 31.08.2010 beim Autohaus Z4, daneben vom 08.04.2008 bis zum 17.04.2008 bei der Bäckerei K1, vom 02.03.2009 bis zum 30.06.2011 sowie vom 01.03.2012 bis zum 31.08.2012 bei Taxi S1 und vom 10.09.2012 bis zum 30.11.2012 beim Taxiunternehmen E1. Die Klägerin bezieht seit 2013
Altersrente.

E2 führte in seinem Befundbericht vom 07.11.2019 über die am selben Tag durchgeführte Röntgendiagnostik des Thorax aus, der Befund sei mit der Berufserkrankung einer Schweißerlunge mit entsprechenden interstitiellen Lungenveränderungen sowie teilweise verkalkten Schwielen an der Zwerchfellkuppe rechts vereinbar, aktuell bestünden keine akuten kardialen Dekompensationszeichen oder pneumonische Infiltrate. Mit Schreiben vom 12.11.2019 teilte der die Klägerin behandelnde D1 unter Beifügung einer Ärztlichen Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit der Beklagten mit, die Klägerin sei bei ihrer Beschäftigung als Schweißerin einer außergewöhnlichen Atembelastung durch Schweißdämpfe ausgesetzt gewesen, im Verlauf bis heute habe sich zunehmend eine Atemstörung entwickelt, die Thoraxaufnahme zeige eindeutig das Bild einer Schweißerlunge, es werde um Prüfung gebeten, ob eine Berufskrankheit vorliege.

Die Klägerin gab in dem von ihr unter dem 01.01.2020 ausgefüllten Fragebogen an, ihre Hauptbeschwerden bestünden in dauerhaftem Husten mit Schleim, schon bei Ausübung ihrer Beschäftigung als Schweißerin ab 1982 seien Beschwerden aufgetreten, seither habe keine Beschwerdefreiheit mehr bestanden, außerdem liege ein Zwölffingerdarmgeschwür vor, in Behandlung sei sie bei M1 in T1 gewesen, nun sei sie in Behandlung bei D1. Sie fügte ihren am 08.05.1981 ausgestellten Schweißerpass bei.

Die Praxis des M1 teilte am 27.01.2020 mit, die Praxis sei seit 2004 geschlossen, alle Praxisunterlagen seien rechtmäßig entsorgt worden. D1 teilte am 27.01.2020 mit, mit Ausnahme der Röntgenaufnahme vom 07.11.2019, die aufgrund eines prolongierten Infekts angefertigt worden sei, lägen ihm in diesem Zusammenhang keine Vorunterlagen vor.

Auf Frage der Beklagten, bei welchen Ärzten sie sich wegen Lungenbeschwerden in Behandlung befunden habe, teilte die Klägerin am 18.02.2020 erneut den M1 und D1 mit. Am 21.02.2020 gab die Klägerin an, sie sehe einen Zusammenhang zwischen ihrer Beschäftigung und ihren Magenbeschwerden, insbesondere den Zwölffingerdarmbeschwerden, diese seien nach der Beschäftigungsaufgabe weniger geworden, Probleme bestünden aber weiterhin. Der M1, der zugleich Betriebsarzt gewesen sei, habe zu DDR-Zeiten die Anweisung gehabt, nicht darüber aufzuklären.

Die Beklagte holte bei der Deutschen Rentenversicherung Bund die unter dem 26.02.2020 erstellte Übersicht über die Beschäftigungen der Klägerin ein.

Die Klägerin gab am 09.03.2020 an, die Atembeschwerden träten vorwiegend beim Treppensteigen sowie bei sehr starken Erkältungen auf, seit ihren Brustkrebserkrankungen habe sie ein geschwächtes Immunsystem und eine sehr starke Bronchitis, der M1 sei damals dazu verpflichtet gewesen, über diese Erkrankung auf Grund ihrer Tätigkeit als Schweißerin Stillschweigen zu bewahren. Sie legte das Schreiben ihres ehemaligen Ehegatten, D2, vom 01.03.2020, wonach sie durch die Beschäftigung als Schweißerin an einem Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür erkrankt sei, und das Schreiben ihres ehemaligen Abteilungsleiters, S2, vom 07.03.2020, wonach die Beschäftigung als Schweißerin gesundheitsschädigend gewesen sei, vor.

Die Beklagte holte bei der Deutschen Rentenversicherung Bund die unter dem 12.03.2020 erstellte weitere Übersicht über die Beschäftigungen der Klägerin ein.

Der Präventionsdienst der Beklagten führte in seiner Stellungnahme vom 20.03.2020 aus, die Klägerin habe angegeben, zu Beginn ihrer Tätigkeit beim Landmaschinenbau T1 Anfang 1980 eine einjährige Ausbildung zur Gasschweißerin absolviert zu haben, die im April 1981 geendet habe. Nach der Ausbildung habe sie sich zunächst in Mutterschutz befunden. Von Oktober 1981 bis Ende 1992 sei sie als Gasschweißerin vollschichtig für das Schweißen von Hydraulikbremsenleitungen eingesetzt worden. Die vier weiteren Kollegen hätten ihre Beschäftigung unmittelbar benachbart zu ihr ausgeführt. Eine Absaugung habe es nicht gegeben. In 20 Metern Entfernung seien zwei Lichtbogen-CO2-Schweißer als Vollzeitschweißer ohne Absaugung der Schweißrauche beschäftigt gewesen. Darüber hinaus sei sie für zwei weitere Lötaufgaben eingesetzt worden. Unter Auswertung der mitgeteilten Arbeitsumstände kam der Präventionsdienst der Beklagten in Bezug auf die Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV zu dem Ergebnis, die Klägerin sei während ihrer Beschäftigung als Gasschweißerin und Löterin Nitrose Gasen (Stickstoffdioxid), Fluoriden, Borsäure, Manganoxid und Schweißrauch oberhalb 1,25mg/m³ ausgesetzt und damit gefährdend im Sinne dieser Berufskrankkeit beschäftigt gewesen. Der Präventionsdienst der Beklagten kam in Bezug auf die Berufskrankheit nach Nr. 4115 der Anlage 1 zur BKV (Lungenfibrose durch extreme und langjährige Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen – Siderofibrose) zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin während ihrer Beschäftigung als Gasschweißerin und Löterin eine Schweißrauch-Expositionsdauer von 19.526 Stunden und eine Schweißrauchdosis von 152,6 mg/m³ Jahre und in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24.03.2020 unter Berücksichtigung der Fehlzeiten eine Schweißrauch-Expositionsdauer von 16.416 Stunden und eine Schweißrauch-Dosis von 128,25 mg/m³ Jahre vorgelegen habe und daher von einer gefährdenden Tätigkeit im Sinne dieser Berufskrankheit ausgegangen werden könne.

Die Beklagte holte bei der Deutschen Rentenversicherung Bund die unter dem 30.03.2020 erstellte weitere Übersicht über die Beschäftigungen der Klägerin ein.

Der Präventionsdienst der Berufsgenossenschaft E3 führte in seiner Stellungnahme vom 17.08.2020 aus, für die Tätigkeit bei der H1 GmbH vom 01.07.2003 bis zum 30.06.2004 sei nicht von einer Einwirkung chemisch-irritativer oder toxisch wirkender Arbeitsstoffe auszugehen.

Sodann ließ die Beklagte die Klägerin untersuchen und begutachten. L2 führte in seinem Gutachten vom 21.10.2020 aus, die Klägerin habe angegeben, dass Atembeschwerden und Husten schon während der Tätigkeiten von 1981 bis 1993 aufgetreten seien, seit etwa 2005 habe sie Atembeschwerden bei Belastung. Sie habe von 1986 bis 2018 zwischen 8 und 10 Zigaretten am Tag geraucht, jedoch nie auf Lunge, sondern immer nur gepafft. Die am 13.10.2020 in der Radiologiepraxis T3 durchgeführte computertomografische Untersuchung des Thorax habe keine interstitiellen Veränderungen, die mit der Diagnose einer Schweißerlunge in Verbindung gebracht werden könnten, gezeigt, es fänden sich nur links ventral lokalisiert im Bereich des Oberlappens diskrete narbige Veränderungen sowie beidseits basal kleine Dystelektasen, auffällig sei aber eine deutliche Verdickung der Bronchialwände, Pleura und Inhalt des Mediastinums stellten sich altersentsprechend unauffällig dar. Die Spirometrie und Bodyplethysmographie in Ruhe nach Bronchospasmolyse habe eine signifikante Verbesserung der Obstruktion im Sinne einer partiellen Reversibilität, eine bestehenbleibende mäßige Obstruktion und eine sich nur tendenziell, nicht signifikant bessernde Lungenüberblähung ergeben. Der Sachverständige kam zu der Einschätzung, es liege eindeutig eine obstruktive Atemwegserkrankung vor. Hierauf weise eindeutig die mäßige bis mittelschwere, im Bronchoplasmolysetest partiell reversible Obstruktion mit leichter Lungenüberblähung hin. Im gleichen Sinne sei die Beobachtung zu interpretieren, dass in der computertomografischen Untersuchung des Thorax eine erhebliche Verdickung der Segement- und subsegmentalen Bronchien habe beobachtet werden können. Eine interstitielle Lungenerkrankung im Sinne einer Siderofibrose durch Schweißrauch liege hingegen nicht vor. Das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4115 der Anlage 1 zur BKV sei daher zu verneinen. Anders lägen die Verhältnisse bei der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV. Schweißgase enthielten insbesondere Ozon und Nitrose Gase, aber auch andere Stoffe. Eine entsprechende, relevante Exposition habe nach der Stellungnahme des Präventionsdienstes eindeutig bestanden. Die Exposition sei geeignet gewesen, zu einer obstruktiven Atemwegserkrankung im Sinne einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV zu führen. Eine obstruktive Atemwegserkrankung sei eindeutig nachgewiesen. Die Obstruktion sei nur teilreversibel, wobei eine inhalative antiobstruktive Therapie bislang nicht eingeleitet worden sei. Als möglicher konkurrierender Faktor zu den beruflichen Einwirkungen könne ein früherer Tabakkonsum angeführt werden. Da die Klägerin aber weniger als 16 pack-years geraucht und offensichtlich auch nur gepafft und nicht inhaliert habe, scheide eine solche Exposition als wesentlich konkurrierender Faktor mit hoher Wahrscheinlichkeit aus. Auch inhalative Allergien, die zu einem Asthma führen könnten, lägen nicht vor. Eine familiäre Belastung mit Atemwegserkrankungen bestehe ebenfalls nicht. In früheren oder späteren Tätigkeiten vor 1980 oder nach 1993 habe keine relevante Exposition gegen allergisierenden oder die Atemwege reizenden oder toxischen Stoffen bestanden. Die teilreversible Obstruktion sei ebenso wie die computertomografisch erkennbare Verdickung der Bronchialwände als Ausdruck der chronischen bronchialen Entzündung auf die Einwirkung der Schweißgase zurückzuführen. Die computertomografisch erkennbaren narbigen Lungenveränderungen sowie der erhöhte Laktatwert und Glukosespiegel seien nicht auf die Einwirkung dieser Stoffe zurückzuführen. Die Wirkung der ursächlichen Stoffe sei chemisch-irritativ und toxisch. Beigefügt war der Befundbericht der Radiologiepraxis T3 vom 13.10.2020 über die am selben Tag durchgeführte computertomografische Untersuchung des Thorax.

D3 führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 29.11.2020 aus, dem Gutachten des L2 könne insofern, als dieser das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV bejaht und das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4115 der Anlage 1 zur BKV verneint habe, gefolgt werden.

Mit Schreiben vom 17.12.2020 bat die Beklagte D3 erneut um beratungsärztliche Stellungnahme. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Exposition und Krankheitsbeginn sei bedeutsam. Eine chronische Exposition, der die Klägerin von 1980 bis 1992 ausgesetzt gewesen sei, setze ein schleichend beginnendes Krankheitsbild voraus, das entweder nach Expositionsende reversibel oder irreversibel sei. Unterlagen des Betriebsarztes, die gegebenenfalls belegen könnten, dass eine obstruktive Lungenerkrankung zum Zeitpunkt des Expositionsendes vorgelegen habe, seien wegen Schließung der Praxis nicht verfügbar. Die Klägerin sei nach der Wende wegen Atemproblemen weder bei einem Lungenfacharzt, noch bei einem Hausarzt noch bei einem anderen Arzt in Behandlung gewesen. Somit sei die obstruktive Atemwegserkrankung erst ab dem Zeitpunkt der Begutachtung am 21.10.2020 im erforderlichen Vollbeweis gesichert. Zwischen Expositionsende und Erkrankungsbeginn lägen 27 Jahre, ohne dass ein schleichend beginnendes Erkrankungsbild vorliege beziehungsweise habe gesichert werden können. Es bestehe daher kein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen Expositionsende und Erkrankungsbeginn.

Hierauf führte D3 in seiner ergänzenden beratungsärztlichen Stellungnahme vom 07.01.2021 aus, das bei der Klägerin vorliegende Krankheitsbild sei als chronisch obstruktive Erkrankung zu bezeichnen, die – zumindest formal betrachtet – Anteile einer COPD (chronic obstructive pulmonary disease) und Anteile eines Asthmas enthalte. Klinisch und funktionell überwiege sicher das Krankheitsbild einer COPD. Grundsätzlich könne nach beruflicher Schweißrauchexposition sowohl ein Asthma als auch ein COPD auftreten. Allerdings seien hier die Unterschiede insbesondere hinsichtlich der zeitlichen Latenz zwischen Exposition und Entstehung zu berücksichtigen. Zutreffend sei, dass für die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV in aller Regel erwartet werde, dass Atembeschwerden beziehungsweise die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen noch während der Ausführung der schädigenden Tätigkeit einträten. Dies treffe sicherlich vorranging auf das Asthma zu, lasse sich jedoch nicht ohne weiteres auf die COPD übertragen. Die COPD sei ein Krankheitsbild, das einen langen Vorlauf habe. Sie entwickele sich über Jahre und Jahrzehnte hinweg langsam und progedient, ohne von Anfang an klinische Beschwerden zu verursachen. Die Beschwerden würden langsam und allmählich zunehmen und würden in der Frühphase der Erkrankung nicht wahrgenommen, fehlgedeutet oder bagatellisiert. Eine Latenz von 10 bis 30 Jahre könne hier durchaus als realistisch unterstellt werden. Hinzu komme, dass vorliegend nur zwei Ursachen für die Entstehung der COPD gefunden werden könnten, der Tabakkonsum und die Schweißrauchexposition. Dem Tabakkonsum komme jedoch eine untergeordnete Bedeutung zu.

Auf entsprechende Aufforderung durch die Beklagte gab auch L2 in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 03.02.2021 an, die Angaben der Klägerin zum Zeitpunkt des Beschwerdebeginns machten seiner Ansicht nach die Diskussion der vorgebrachten zeitlichen Latenz überflüssig. Die Latenz beziehe sich auf den Zeitraum zwischen Beendigung der schädigenden Tätigkeit und der Diagnosestellung der Erkrankung. Es sei aber nicht so ungewöhnlich, dass gerade bei schleichend zunehmenden Beschwerden erst nach langer Zeit ein Arzt aufgesucht werde. Dies bedeute jedoch keineswegs, dass die Erkrankung erst zum Zeitpunkt der Diagnose aufgetreten sei.

D3 legte in seiner weiteren ergänzenden beratungsärztlichen Stellungnahme vom 25.03.2021 dar, im Zuge der Überarbeitung der Reichenhaller Empfehlungen sei der Fall der Klägerin zum Anlass genommen worden, die Bedeutung der zeitlichen Latenz zwischen letztmaliger Exposition und vollbeweislicher Sicherung der Erkrankung vertieft zu diskutieren. Die COPD sei eine Erkrankung, die einen längeren Vorlauf besitze, was bedeute, dass bei der erstmaligen Diagnosestellung davon ausgegangen werden könne, dass die Erkrankung nicht erst seit dem Datum der Diagnosestellung bestehe, sondern ihren Beginn zeitlich bereits deutlich vor der ersten Diagnosestellung genommen habe. Unklar sei im Einzelfall, wie weit dieser Zeitraum zurückreichen könne. Bisher sei übereinstimmend davon ausgegangen worden, dass ein expositionskongruenter Verlauf vorliege, wenn die Krankheit während des Zeitraums der Exposition zu Irritanzien auftrete. Hierbei handele es sich jedoch mehr um eine Konvention als um gesichertes Wissen. In der Überarbeitung der Reichenhaller Empfehlung sei nun die Diskussion geführt worden, inwieweit es bei erstmaliger Feststellung einer COPD möglich sei, den Zeitpunkt des tatsächlichen Beginns der Erkrankung medizinisch verlässlich festzulegen, was jedoch schwierig sei und nur für vergleichsweise kurze Zeiträume (wenige Jahre) gelinge. Je kürzer die zeitliche Latenz zwischen letztmaliger Exposition und Erstdiagnose sei, desto wahrscheinlicher könne davon ausgegangen werden, dass der Beginn der COPD tatsächlich noch während der Zeit der Exposition liege. Die Untersicherheit der Bewertung steige mit zunehmendem Abstand zur letztmaligen Exposition. Dies bedeute, dass eine extrem lange zeitliche Latenz, wie sie im Falle der Klägerin gegeben sei, nicht ausreichen könne, um eine Kausalität zwischen Exposition und Erkrankung wahrscheinlich zu machen. Bei Latenzzeiten von mehr als „nur wenigen Jahren“ bestünden zu große Unsicherheiten, um eine kausale Beziehung tatsächlich wahrscheinlich machen zu können. Vielmehr spreche die erhebliche zeitliche Latenz gegen eine kausale Beziehung. Vorliegend könne der Beklagten daher nicht empfohlen werden, eine Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.

Mit Bescheid vom 03.06.2021 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV und einer Berufskrankheit nach Nr. 4115 der Anlage 1 zur BKV ab. Bei der Klägerin sei eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung (COPD) diagnostiziert worden. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen sei die festgestellte Erkrankung nicht ursächlich auf die berufliche Tätigkeit der Klägerin zurückzuführen. Zwar sei die Klägerin während ihres Berufslebens als Gasschweißerin und Löterin bis Ende 1992 einer Exposition durch chemisch-irritative Stoffe im Sinne einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV ausgesetzt gewesen. Das Erkrankungsbild einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung sei jedoch erstmals am 13.10.2020, dem Tag der Begutachtung, diagnostiziert worden. Die Zeit ab der letztmaligen Exposition Ende 1992 bis zur erstmaligen Diagnose der Erkrankung am 13.10.2020 betrage gut 28 Jahre. Betriebsmedizinische Unterlagen, die gegebenenfalls einen früheren Erkrankungsbeginn dokumentierten, lägen nicht vor. Eine lungenfachärztliche Vorstellung und Untersuchung sei vor 2020 ebenfalls nicht erfolgt. Dem Ergebnis des L2, dass eine Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV vorliege, habe sie sich nicht anschließen können, da ein enger zeitlicher Zusammenhang nicht gegeben sei. Die Verursachung der Lungenerkrankung durch die festgestellte Exposition sei somit nicht hinreichend wahrscheinlich. Eine Berufskrankheit nach Nr. 4115 der Anlage 1 zur BKV könne ebenfalls nicht anerkannt werden, da eine Siderofibrose nach dem Gutachten des L2 nicht vorliege.

Hiergegen legte die Klägerin am 18.06.2021 Widerspruch ein. Sie führte zur Begründung aus, dass sie ihre Erkrankung nicht so beachtet habe, da sie zu diesem Zeitpunkt Alleinverdienerin gewesen sei. Wenn man krank geworden sei, sei gleich mit Kündigung gedroht worden, also habe sie sich mit Medikamenten aus der Apotheke selbst geholfen, bis diese nicht mehr gewirkt hätten und sie zum Arzt in Behandlung gegangen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2021 wies die Beklagte den Widerspruch zurück
Sie führte in Bezug auf die Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV aus, aufgrund der erheblichen zeitlichen Latenz zwischen dem Ende der beruflichen Exposition und dem gesicherten Erkrankungsbeginn sowie der außerberuflichen Risikofaktoren für die bestehende Erkrankung, könne ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zur Berufstätigkeit nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden. Die Atembeschwerden seien vielmehr auf schicksalhaft entstandene beziehungsweise anlagebedingte Erkrankungen sowie den Tabakkonsum zurückzuführen, ohne dass die versicherte Tätigkeit rechtlich wesentlich zu deren Entstehen beigetragen habe. Das medizinische Tatbestandsmerkmal der Berufskrankheit nach Nr. 4115 der Anlage 1 zur BKV im Sinne einer im Vollbeweis gesicherten Diagnose einer interstitiellen Lungenerkrankung im Sinne einer Siderofibrose sei nicht gegeben.

Hiergegen hat die Klägerin am 17.11.2021 Klage zum Sozialgericht (SG) Reutlingen erhoben. Sie leide bereits seit 2001 an pneumologischen Fehlfunktionen wie Hustenreiz und chronisch auftretenden, häufig länger andauernden Bronchitiden. Auch sei ihre Erkrankung nicht auf Nikotinkonsum zurückzuführen. Sie konsumiere schon seit Jahren kein Nikotin mehr und habe während ihrer damaligen Tätigkeit nur einen sehr geringen Konsum – im täglichen Rahmen 3 bis 5 Zigaretten – gehabt. Das Rauchen sei auch nicht auf Lunge erfolgt. Zudem sei sie nach ihrer Tätigkeit 1992 keiner Beschäftigung nachgegangen, die eine Beeinträchtigung der Lungenfunktion hätte verursachen können.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat zur Begründung ihre Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid und Widerspruchsbescheid wiederholt.

L2 hat in seiner weiteren ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 12.01.2022 ausgeführt, er halte an seiner bisherigen Beurteilung fest. Wie bereits in seinem Gutachten ausgeführt, habe die Klägerin spätestens im Jahr 2005 regelmäßig Atembeschwerden gehabt. Auf explizite Nachfrage habe sie zudem mitgeteilt, dass die Symptome auch bereits während ihrer Zeit als Schweißerin aufgetreten seien. Insofern bestehe durchaus ein expositionskongruenter Verlauf, nämlich von der klinischen Symptomatik her. Aus langjähriger Praxis sei es ihm keineswegs ungewöhnlich, dass eine COPD erst sehr spät entdeckt werde, nämlich dann, wenn die erste lungenfachärztliche Untersuchung erfolge.

Hierzu hat die Beklagte ausgeführt, wenn auch Anamnesen mitunter nicht (genau) dokumentiert würden, befreie dies die Klägerin jedoch nicht von der Beweislast.

Die Klägerin hat weitere ärztliche Unterlagen vorgelegt. Nach dem vorgelegten Arztbrief des S4 vom 14.07.2021 hat
das Röntgen-Thorax keinen pathologischen pulmo-kardialen Befund sowie keine interstitiellen Lungenveränderungen und die Bodyplethysmographie keine Restriktion und keine Obstruktion ergeben, ist der unspezifische bronchiale Provokationstest mit Metacholin eindeutig positiv bei mittelschwerer Obstruktion ausgefallen und hat die Oxymetrie keine Hypoxämie ergeben und ist darin in der Epikrise ausgeführt worden, klinisch, radiologisch und funktionell bestünden keine Hinweise für eine Schweißer-Lunge, und eine bronchiale Hyperreagibilität diagnostiziert worden. Nach dem vorgelegten Arztbrief des E2 vom 12.08.2021 hat die am selben Tag durchgeführte Computertomographie des Thorax allenfalls leicht ausgeprägte Bronchiektasien dorsobasal, passend zu einer leichten chronischen Bronchitis, und etwas streifige narbige Veränderungen, möglicherweise nach Radiotherapie im Rahmen eines Mammakarzinoms und ansonsten keine auffälligen über das Altersmaß hinausgehenden fibrotischen oder disseminiert narbigen oder granulomatösen Veränderungen ergeben. D1 hat in der ebenfalls vorgelegten Stellungnahme vom 27.11.2021 ausgeführt, die seit 20 Jahren in seiner Behandlung befindliche Klägerin habe bei vielen Vorstellungen über vor allem nächtlichen Reizhusten, teilweise außergewöhnliche Belastungsdyspnoe, bei auch kleiner Belastung geklagt. Im Vordergrund hätten bei den vielen Vorstellungen jedoch eher orthopädische Probleme sowie Probleme in Bezug auf eine Brustkrebserkrankung gestanden. Aufgrund einer Befundverschlechterung Anfang November 2019 sei eine Thoraxaufnahme veranlasst worden. Die am 12.08.2021 erfolgte Kontrolle des Befundes S4 habe die Feststellung des Radiologen, dass es Hinweise einer Schweißerlunge darzustellen gebe, nicht bestätigt.

In der mündlichen Verhandlung am 26.08.2022 hat die Klägerin nur noch beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 03.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2021 zu verpflichten, bei ihr eine Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.

Das SG Reutlingen hat mit Urteil vom 26.08.2022 die Klage abgewiesen.

Die Beklagte habe zu Recht bei der Klägerin die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV abgelehnt.

Zwar erfülle die Klägerin – wie sich für die Kammer aus den Feststellungen des L2 in seinem Gutachten vom 21.10.2020 ergebe – die medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV. Die Klägerin leide an einer obstruktiven Atemwegserkrankung im Sinne einer COPD. Des Weiteren seien auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV, wie der Präventionsdienst der Beklagten in seiner Stellungnahme ausgeführt habe, erfüllt. Die obstruktive Atemwegserkrankung sei jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit als Schweißerin verursacht worden. Die obstruktive Atemwegserkrankung sei erstmals durch L2 anlässlich der gutachterlichen Untersuchung im Oktober 2020 diagnostiziert worden. Der Vollbeweis des Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV sei damit erstmals für Oktober 2020 erbracht. Ärztliche Unterlagen, anhand derer eine Rückdatierung der Erstdiagnose möglich wäre, lägen indes nicht vor. Die Klägerin habe sich wegen Lungenproblemen nach eigenen Angaben lediglich bei M1 und danach bei D1 in Behandlung befunden. Auf Nachfrage der Beklagten habe die Praxis des M1 mitgeteilt, über keine Unterlagen betreffend die Klägerin mehr zu verfügen. Auch D1 habe auf entsprechende Nachfrage mitgeteilt, in Bezug auf das Lungenleiden der Klägerin lediglich über die Aufnahme von November 2019 zu verfügen; weitere Befundunterlagen lägen ihm nicht vor. Eine zeitliche Vordatierung der Erstdiagnose sei damit nicht möglich. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Schilderung der Klägerin, wonach sie bereits seit 1982 an Lungenproblemen gelitten haben wolle; gleiches gelte für die Stellungnahme des D1 vom 27.12.2021, wonach die Klägerin bei vielen Vorstellungen über Probleme mit der Lunge geklagt haben solle. Mangels spezifischer Angaben beziehungsweise ärztlicher Befunde könne nicht beurteilt werden, ob es sich bei den mitgeteilten „Lungenbeschwerden“ um Ausdruck der 2020 erstmals diagnostizierten obstruktiven Lungenerkrankung gehandelt habe oder ob die geschilderten „Lungenbeschwerden“ andere Ursachen gehabt hätten, beispielsweise die von der Klägerin erwähnten und durchlittenen, häufig länger andauernden Bronchitiden.

Damit lägen zwischen der erstmaligen Feststellung der obstruktiven Atemwegserkrankung im Jahr 2020 und der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit Ende 1992 nahezu 28 Jahre. Dieser enorme zeitliche Abstand spreche gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankung und beruflicher Tätigkeit. Insoweit habe D3 in seiner letzten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 25.03.2021 schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass es sich bei der COPD – wie sie bei der Klägerin vorliege – um eine Erkrankung handele, die einen längeren Vorlauf besitze, was wiederum bedeute, dass bei der erstmaligen Diagnosestellung davon ausgegangen werden könne, dass die Erkrankung nicht erst seit dem Datum der Diagnosestellung bestehe, sondern ihren Beginn zeitlich bereits deutlich vor der ersten Diagnosestellung genommen habe. Im Zuge der Überarbeitung der Reichenhaller Empfehlung sei nach den Angaben des D3 nun die Diskussion geführt worden, inwieweit es bei erstmaliger Feststellung einer COPD möglich sei, den Zeitpunkt des tatsächlichen Beginns der Erkrankung medizinisch verlässlich festzulegen, was jedoch schwierig sei und nur für vergleichsweise kurze Zeiträume (wenige Jahre) gelinge. Je kürzer die zeitliche Latenz zwischen letztmaliger Exposition und Erstdiagnose sei, desto wahrscheinlicher könne davon ausgegangen werden, dass der Beginn der COPD tatsächlich noch während der Zeit der Exposition liege. Die Unsicherheit der Bewertung steige mit zunehmendem Abstand zur letztmaligen Exposition. Dies bedeute, dass eine extrem lange zeitliche Latenz nicht ausreichen könne, um eine Kausalität zwischen Exposition und Erkrankung wahrscheinlich zu machen. Bei Latenzzeiten von mehr als „nur wenigen Jahren“ bestünden zu große Unsicherheiten, um eine kausale Beziehung tatsächlich wahrscheinlich machen zu können. Vielmehr spreche eine erhebliche zeitliche Latenz gegen eine kausale Beziehung. Bezogen auf den Fall der Klägerin sei demzufolge bei einer zeitlichen Latenz von rund 28 Jahren nicht mehr von einem hinreichend wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang auszugehen.

Der Vollständigkeit halber werde darauf hingewiesen, dass ein engerer zeitlicher Zusammenhang zwischen der erstmaligen Feststellung der Atemwegserkrankung und der Berufstätigkeit der Klägerin auch nicht unter Berücksichtigung der von ihr in der Zeit von Juli 2003 bis Juni 2004 bei der H1 GmbH ausgeübten Tätigkeit hinreichend wahrscheinlich gemacht werden könne. Nach der Stellungnahme des Präventionsdienstes der Berufsgenossenschaft E3 vom 17.06.2020 lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin während dieser Tätigkeit Einwirkungen chemisch-irritativer oder toxischer Arbeitsstoffe ausgesetzt gewesen sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 12.09.2022 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Das SG Reutlingen habe die rechtliche Würdigung von § 9 Abs. 3 SGB VII nicht berücksichtigt. Hierbei handele es sich um eine gesetzliche Vermutung zugunsten eines Versicherten dahingehend, dass eine Katalogberufserkrankung auf einer versicherten Tätigkeit beruhe, sobald ein Versicherter im Zusammenhang mit der gesetzlichen versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der BKV genannten Berufserkrankungen ausgesetzt gewesen sei. Dies sei hier der Fall. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass auch andere Ursachen außerhalb der versicherten Tätigkeit für die Erkrankung von Bedeutung sein könnten, bestünden nicht.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.08.2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 03.06.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Der Berichterstatter hat am 19.04.2023 die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert.

Sodann hat D3 in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30.04.2023 (Blatt 110) ausgeführt, die Aberkennung der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV könne weiterhin nicht empfohlen werden.

Das Gericht hat zunächst die Zeugenauskünfte der F1 vom 05.06.2023 (Blatt 132), die ausgeführt hat, die Klägerin seit 1992 zu kennen und seither von den Beschwerden der Klägerin in Form von Erkältungen mit Husten, Schnupfen und Heiserkeit wisse, und des D2 vom 13.06.2023 (Blatt 138), der ausgeführt hat, die Klägerin habe nicht an Atembeschwerden gelitten, diese habe inhalativ geraucht, eingeholt.

Daraufhin hat das Gericht das Gutachten des N1 vom 27.10.2023 (Blatt 154) eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, die von der Klägerin vorgebrachten Beschwerden, insbesondere die chronische Bronchitis und die sehr früh aufgetretene Reizhustensymptomatik und Belastungsatemnot mit Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit kurz nach Beginn der beruflichen Tätigkeit als Gasschweißerin, seien nicht eindeutig auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen.
Er sei der Überzeugung, dass bei derzeitiger Datenlage die Gesundheitsstörung nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden sei. Auch der Tatbestand einer eventuell vorbestehenden obstruktiven Atemwegserkrankung und einer Verschlimmerung durch die berufliche Tätigkeit sei durch mangelnde Lungenfunktionsprüfungen im zeitlichen Verlauf nicht zu belegen. Er hat aber ergänzende Ermittlungen vorgeschlagen. Es könne möglicherweise eine obstruktive Atemwegserkrankung bereits zu einem früheren Zeitpunkt diagnostiziert worden sein; hierzu seien Nachermittlungen notwendig.

Sodann hat das Gericht die Arbeitgeberauskunft der H1 GmbH vom 23.11.2023 (Blatt 208) sowie die Arztauskunft des D1 vom 05.12.2023 (Blatt 212) und über ihn und S5 (Blatt 266) diverse Arztbriefe beigezogen. D1 hat ausgeführt, die Klägerin habe 25 Jahre lang bis 2011 täglich 10 Zigaretten geraucht, in der im Mai 2012 durchlaufenen Rehabilitationsmaßnahme sei ein unauffälliger Herz- und Lungenbefund erhoben worden, im August 2012 habe der K2 die als Beschwerdebild angegebene Belastungsdyspnoe mit einer erheblichen Gewichtszunahme interpretiert, im Oktober 2012 habe die Klägerin in der Radioonkologie Wohlbefinden und eine gute Belastbarkeit angegeben.

Die Beklagte hat in ihrer Stellungnahme vom 18.12.2023 ausgeführt, die Art der Beschäftigungen der Klägerin in der ehemaligen DDR sei nicht nachgewiesen, da bislang die Sozialversicherungsausweise nicht vorlägen und bei der Rentenversicherung lediglich Entgeltdaten gespeichert seien, und die Stellungnahme der AOK N2 vom Januar 2024 vorgelegt, wonach keine Mitgliedschaft der Klägerin habe festgestellt werden können.

Ferner hat die Beklagte die Stellungnahmen des Präventionsdienstes zur Arbeitsplatzexposition vom 22.12.2023 in Bezug auf die Tätigkeit bei der U1 in A1 sowie bei der L1  in T1 und vom 29.01.2024 in Bezug auf die Tätigkeit bei der Schuhfabrik in Z1 vorgelegt. Danach sei die Klägerin während ihrer Tätigkeit als Schweißautomatenbedienerin im U1 in A1 gegenüber Nitrose Gasen, insbesondere Stickstoffdioxid, exponiert gewesen. Aufgrund der Bedingungen sei von Grenzwertüberschreitungen auszugehen. Bei der Montagetätigkeit im T4 seien relevante Atemwegsexpositionen nicht wahrscheinlich. Eine Einwirkung im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV während der Tätigkeit in der Schuhfabrik in Z1 könne nicht bestätigt werden.

Außerdem hat die Beklagte hinsichtlich etwaiger arbeitsmedizinischer Einstellungs- oder Reihenuntersuchungen die Arbeitgeberauskünfte der Hotel Z2 GmbH vom 23.11.2023, der Bäckerei K1 vom 02.01.2024, der E1 Taxiunternehmen vom 08.01.2024, der Firma S6 vom 08.01.2024 und des Autohauses Z4 vom November/Dezember 2023 vorgelegt.

Die Beklagte hat den Arztbericht des V1 vom 13.04.2024 über die am 14.03.2024 durchgeführte Spirometrie vorgelegt. Soweit beurteilbar, liege eine mittelgradige Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit mit auffallender Hyperventilation unter Belastung vor, deren Genese nicht klar sei. Auffallend sei ein nur sehr träge ansteigender O2-Puls, so dass wie auch bereits vorgesehen auch eine ergänzende kardiologische Diagnostik erfolgen sollte. Formal bestehe kein Anhalt für eine pulmonale Limitation der Belastung, wobei die Atemreserve grenzwertig sei.

N1 hat in seiner abschließenden gutachtlichen Bewertung vom 10.08.2024 ausgeführt, die hohen Schweißrauchdosen, die vielen Schweißerstunden, die arbeitshygienisch ungünstigen Arbeitsbedingungen und die Exposition gegenüber Lötrauchen seien geeignet für die Entwicklung einer COPD durch Exposition gegenüber Nitrose Gasen, Manganoxid, Schweißrauche, Fluoriden und Borsäure. Wäre zum Beispiel eine eingeschränkte Lungenfunktion beziehungsweise ein ausgeprägtes bronchitisches Beschwerdebild in den Jahren während beziehungsweise kurz nach der Aufgabe der Tätigkeit zu verifizieren, gäbe es keinerlei Zweifel am Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV, auch wenn gleichzeitig ein Zigarettenrauchen vorgelegen hätte. Es hätten nun aber keinerlei Befunde beigebracht werden können, die das Vorliegen einer Atemwegserkrankung hätten bestätigen können. Diskutiert worden sei ursächlich für die COPD auch der langjährige Nikotinkonsum. Es sei aufgrund des variablen Beschwerdebildes eine begleitende Asthma-Komponente angenommen worden. Durch die Beibringung der aktuellen Befunde lasse sich dies nicht eindeutig bestätigen. Als Ursache für die Variabilität des Krankheitsbildes seien weiterhin die bronchopulmonalen Infekte zu nennen. Dokumentiert worden sei bei einer weiteren pneumologischen Vorstellung auch eine bronchiale Überempfindlichkeit. Dies wäre durch bronchopulmonale Infekte, aber auch durch eine Asthma-Komponente zu erklären. Aus den hausärztlichen Berichterstattungen gehe ein wiederkehrendes bronchitisches Beschwerdebild hervor. Die Beurteilung habe aber erst ab 2006 erfolgen können. Aussagekräftige Lungenfunktionsdaten zum Zeitpunkt der Behandlungsdaten lägen nicht vor. In dem kardiologischen Befundbericht von 2012 finde sich eine Belastungsgrenze von 125 Watt und ergäben sich keine Hinweise auf eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung. Durch eine computertomografische Untersuchung des Schädels habe eine chronische Sinusitis nicht bestätigt werden können. Auch die vorliegenden hals-nasen-ohrenärztlichen Befunde zeigten keinen pathologischen Befund und kein sinubronchiales Syndrom. Eine Lungenfunktionsprüfung im Rahmen der strahlentherapeutischen oder onkologischen Nachkontrolle sei nicht durchgeführt worden. Auch seien keine Beschwerden in den Arztberichten im Sinne einer COPD erwähnt worden. Im Reha-Bericht nach der Behandlung des Mammakarzinoms seien keine Beschwerden im Sinne einer chronischen Bronchitis erwähnt worden. Auch seien zum damaligen Zeitpunkt keine Lungenfunktionsdaten erhoben worden. Die damals erwähnten Alltagsaktivitäten ließen nicht auf eine Einschränkung durch eine Atemwegserkrankung schließen.
Der erste Nachweis einer leichtgradigen obstruktiven Ventilationsstörung mit signifikanter Besserung nach Broncholyse sei am 13.10.2020 geführt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei eine COPD mit Asthma-Komponente angenommen worden. Im Rahmen der gutachtlichen Untersuchung durch L2 habe eine mäßiggradige obstruktive Ventilationsstörung mit leichter Lungenüberblähung vorgelegen, es sei teilweise nach Broncholyse eine Reversibilität mit Verbesserung des FEV1-Wertes erwähnt worden, nach Broncholyse hätten sich das Residualvolmen und der spezifische Atemwegswiderstand verbessert. Zum Vergleich hätten bei der Vorstellung am 14.07.2021 bei S4 in der Bodyplethysmographie keine Restriktion und keine Obstruktion vorgelegen. In der unspezifischen bronchialen Überempfindlichkeitsprüfung mit Methacholin sei eine mittelschwere bronchiale Überempfindlichkeit festgestellt worden. Im Befundbericht des L2 vom 03.03.2023 habe sich in der Bodyplethysmographie eine mäßige Obstruktion und deutliche Lungenüberblähung und keine Restriktion gefunden. Die Spiroergometrie bei V1 vom 14.03.2024 habe eine mittelgradig reduzierte maximale Sauerstoffaufnahme, eine stark erhöhte Atemäquivalente für O2 und CO2, keine Gasaustauschstörung unter Belastung, keinen Anhalt für eine pulmonale Limitation der Belastung und keine Hinweise auf eine Belastungsobstruktion ergeben. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, es liege weiterhin eine Latenzzeit von 28 Jahren zwischen letzter Exposition und Erstdiagnose einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung vor. Eine Kausalität zwischen Exposition und Erkrankung könne nicht wahrscheinlich gemacht werden. Die deutliche zeitliche Latenz spreche weiterhin gegen eine kausale Beziehung. In der Reichenhaller Empfehlung werde darauf hingewiesen, je kürzer die zeitliche Latenz zwischen letzter Exposition und Erstdiagnose der COPD sei, desto wahrscheinlicher könne davon ausgegangen werden, dass der Beginn der Erkrankung tatsächlich noch in der Zeit der Exposition gelegen habe. Die Wahrscheinlichkeit einer Kausalität nehme mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Ende der letztmaligen Exposition ab. Vorliegend hätten unter Verwertung der übersandten Ergebnisse der Nachermittlungen nun die Lücken in der Beweisführung nicht geschlossen werden können. Die Abgrenzbarkeit von berufsunabhängigen Gesundheitsstörungen sei aufgrund von fehlenden Longitudinaldaten weiterhin nicht möglich. Er sei der Überzeugung, dass bei derzeitiger Datenlage die Gesundheitsstörung nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden sei. Auch eine eventuell vorbestehende obstruktive Atemwegserkrankung und eine Verschlimmerung durch die berufliche Tätigkeit seien durch mangelnde Lungenfunktionsprüfungen im zeitlichen Verlauf nicht zu belegen. Eine Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV liege nicht vor. Auch ergäben sich keine Möglichkeiten zur Entschädigung des Krankheitsbildes wie eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII.

Der Berichterstatter hat am 03.02.2025 die Sach- und Rechtslage erneut mit den Beteiligten erörtert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats ohne ehrenamtliche Richter gemäß § 155 Abs. 3 und 4 SGG sowie ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

1. Der Berichterstatter ist aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten befugt, anstelle des Senats ohne ehrenamtliche Richter gemäß § 155 Abs. 3 und 4 SGG (Knittel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage, § 155 SGG [Stand: 19.10.2022] Rn. 89) sowie durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 124 Abs. 2 SGG zu entscheiden. Er nimmt in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens von dieser Befugnis Gebrauch, da keine Umstände ersichtlich sind, den Rechtsstreit einer Entscheidung durch den gesamten Senat vorzubehalten, zumal die sich stellenden Rechts- und Tatfragen in der Rechtsprechung bereits umfassend geklärt sind und es deshalb einer besonderen Verfahrensbehandlung durch einen größeren Spruchkörper nicht bedarf (vergleiche LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04.03.2010 – L 18 (2) KN 268/09, juris Rn. 14-15)

2. Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

3. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.08.2022 sowie nach sinngemäßer Auslegung die Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 03.06.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2021 und die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV. Diese prozessualen Ziele verfolgt die Klägerin gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, Abs. 4 SGG mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.

4. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV.

5. Rechtsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 9 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV (Durch chemisch-irritativ wirkende Stoffe verursache Atemwegserkrankungen). Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten nur diejenigen Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet hat und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind.

6. Für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit (Versicherungsfall) ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit (Gesundheitsschaden) verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkungen und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit. Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R, juris Rn. 11).

7. Diese Voraussetzungen für die Anerkennung
der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV sind bei der Klägerin nicht erfüllt. Die Klägerin war bei ihren Verrichtungen im Rahmen ihrer versicherten Tätigkeit als beschäftigte Gasschweißerin und Löterin zwar chemisch-irritativ wirkenden Stoffen ausgesetzt (hierzu 7.1). Sie leidet auch an einer Atemwegserkrankung im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV (hierzu 7.2). Diese Einwirkungen haben aber die Krankheit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich verursacht (hierzu 7.3).

7.1 Die Klägerin hat eine grundsätzlich versicherte Tätigkeit verrichtet (sachlicher Zusammenhang), die zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität).

Die Klägerin war nach ihren – insbesondere gegenüber dem Präventionsdienst der Beklagten gemachten – Angaben und den Übersichten der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 26.02.2020, 12.03.2020 sowie 30.03.2020 unter anderem vom 10.03.1969 bis zum 21.09.1972 sowie vom 01.02.1973 bis zum 30.09.1974 beim U1 in A1 an einem Schweißautomaten beschäftigt, absolvierte von Anfang 1980 bis April 1981 im F2 in T1 eine Ausbildung zur Gasschweißerin und arbeitete vom 01.10.1981 bis zum 31.12.1992 im F2 in T1 beziehungsweise bei der T2 GmbH vollschichtig als Gasschweißerin
, wobei sie mit dem Schweißen von Hydraulikbremsenleitungen und mit weiteren Lötaufgaben betraut war. Sie war während diesen versicherten Beschäftigungen als Gasschweißerin und Löterin im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII in Verbindung mit § 7 Abs. 1 SGB IV (sachlicher Zusammenhang) nach den Stellungnahmen des Präventionsdienstes der Beklagten vom 20.03.2020 und 22.12.2023, die der Senat als Urkundenbeweis im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 415 ff. ZPO verwertet hat, nitrosen Gasen (Stickstoffdioxid), Fluoriden, Borsäure, Manganoxid und Schweißrauch oberhalb 1,25mg/m³ ausgesetzt und damit gefährdend im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV beschäftigt (Einwirkungskausalität). Denn nach dem Merkblatt zur Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit vom 10.07.1979 im Bundesarbeitsblatt 7/8/1979, Seite 74) handelt es sich bei nitrosen Gasen um obstruktive Atemwegserkrankungen verursachende Arbeitsstoffe, über die insoweit zum Teil empirisch-kasuistische Erfahrungen, zum Teil auch epidemiologisch gesicherte Erkenntnisse, vorliegen (siehe auch Schönberger/Mehrtens/Valentin in Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage, Nr. 17.13.2, Seite 1198).

7.2 Bei der Klägerin ist erstmals im Rahmen der gutachtlichen Untersuchung des L2 am 13.10.2020 eine obstruktive Atemwegserkrankung diagnostiziert worden (Gesundheitsschaden).

L2 hat in seinem Gutachten vom 21.10.2020, das der Senat gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 415 ff. ZPO im Wege des Urkundenbeweises verwertet hat, dargelegt, dass die am 13.10.2020 in der Radiologiepraxis T3 durchgeführte computertomografische Untersuchung des Thorax zwar keine interstitiellen Veränderungen, die mit der Diagnose einer Schweißerlunge in Verbindung gebracht werden können, gezeigt hat, sich nur links ventral lokalisiert im Bereich des Oberlappens diskrete narbige Veränderungen sowie beidseits basal kleine Dystelektasen gezeigt haben und sich Pleura und Inhalt des Mediastinums altersentsprechend unauffällig dargestellt haben, aber auffällig sei, dass diese Untersuchung eine deutliche Verdickung der Bronchialwände ergeben hat. Der Gutachter hat ferner dargelegt, dass die Spirometrie und Bodyplethysmographie in Ruhe nach Bronchospasmolyse eine signifikante Verbesserung der Obstruktion im Sinne einer partiellen Reversibilität, eine bestehenbleibende mäßige Obstruktion und eine sich nur tendenziell, nicht signifikant bessernde Lungenüberblähung ergeben hat. Folgerichtig ist L2 zu der Einschätzung gelangt, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung vorliegt, da in der computertomografischen Untersuchung des Thorax eine erhebliche Verdickung der Segment- und subsegmentalen Bronchien beobachtet worden ist und er eine mäßige bis mittelschwere, im Bronchoplasmolysetest partiell reversible Obstruktion mit leichter Lungenüberblähung erhoben hat. Die Einschätzung des L2 hat D3 in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 29.11.2020 bestätigt, indem er von einer COPD mit einer leichtgradigen obstruktiven Ventilationsstörung ausgegangen ist, und in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 07.01.2021 erneut bestätigt, indem er das Krankheitsbild als chronisch obstruktive Erkrankung im Sinne einer COPD mit zusätzlicher möglicher asthmatischer Komponente bezeichnet hat. Auch in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 25.03.2021 ist er von einer im Jahr 2020 vollbeweislich gesicherten obstruktiven Atemwegserkrankung im Sinne einer COPD ausgegangen. In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30.04.2023 hat D3 ebenfalls ausgeführt, dass am 13.10.2020 eine COPD mit asthmatischer Komponente vorgelegen hat. Im Übrigen hat auch N1 in seinem Gutachten vom 27.10.2023, das der Senat gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 402 ff. ZPO im Wege des Sachverständigenbeweises verwertet hat, ausgeführt, dass durch den Befundbericht der Lungenpraxis in C1 (also des Arztbriefs des S4 vom 14.07.2021) eine bronchiale Überempfindlichkeit, und durch das Gutachten des L3 eine leichtgradige obstruktive Ventilationsstörung im Sinne einer COPD nachgewiesen worden sind. Der Senat schließt sich dieser Beurteilung an.

Diese obstruktive Atemwegserkrankung ist von der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV umfasst. Denn nach der „Empfehlung für die Begutachtung der Berufskrankheiten der Nummern 1315 (ohne Alveolitis), 4301 und 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – Reichenhaller Empfehlung – der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung“ fallen unter den Begriff „obstruktive Atemwegserkrankungen“ die Krankheitsbilder allergische Rhinopathie, Asthma bronchiale und chronische obstruktive Bronchitis (COPD). Der Begriff COPD (chronic obstructive pulmonary disease) steht für eine chronisch obstruktive Bronchitis mit oder ohne relevantes Emphysem (siehe auch Schönberger/Mehrtens/Valentin in Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage, Nr. 17.13.2, Seite 1201).

7.3 Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass die berufsbedingten Einwirkungen für die Erkrankung der Klägerin kausal waren (haftungsbegründende Kausalität).


7.3.1 Für die Anerkennung einer Berufskrankheit ist neben der Einwirkungskausalität ein Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Bei der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV bedeutet dies vorliegend, dass die am 13.10.2020 festgestellte obstruktive Atemwegserkrankung der Klägerin durch die bis zum 31.12.1992 erfolgte Exposition gegenüber nitrosen Gasen (Stickstoffdioxid), Fluoriden, Borsäure, Manganoxid und Schweißrauch oberhalb 1,25mg/m³ verursacht worden sein muss. Insoweit gilt im Recht der Berufskrankheiten – wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung – die Theorie der wesentlichen Bedingung, die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht. Steht hiernach die versicherte Tätigkeit als eine der Ursachen der Erkrankung fest, muss sich auf der zweiten Stufe der Prüfung die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellen. Die Wesentlichkeit der Ursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung rechtlich zu beurteilen (BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R, juris Rn. 16).

Erforderlich für die Feststellung eines haftungsbegründenden Zusammenhangs zwischen den beruflichen Einwirkungen und dem Gesundheitsschaden und damit einer Berufskrankheit ist das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen (hierzu 7.3.2) und der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen (hierzu 7.3.3).


7.3.2 Vorliegend sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt.

Bei Berufskrankheiten ohne Einwirkungsdosis – wie vorliegend bei der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV – ist mit dem Vorhandensein der in der Berufskrankheit genannten Listenstoffe am Arbeitsplatz vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen auszugehen, wenn andere in Betracht kommende Ursachen für die Erkrankung des Versicherten positiv ausgeschlossen sind
(BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R, juris Rn. 17). Beim Fehlen konkurrierender Ursachen ist nicht automatisch ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung anzunehmen. Insbesondere genügt bei komplexen Krankheitsgeschehen, die mehrere Ursachen haben können, die fehlende Feststellbarkeit von konkurrierenden Ursachen nicht für die Annahme der haftungsbegründenden Kausalität. Indes genügt ein klar erkennbarer Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung zur Bejahung der Kausalität, wenn keine Anhaltspunkte für eine alternative (innere oder äußere) Krankheitsursache bestehen. Wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer allein wesentlichen außerberuflichen wie zum Beispiel einer inneren Verursachung zu verneinen ist, kommt danach durchaus der Schluss in Betracht, dass eine vorhandene geeignete berufliche Einwirkung auch ein geeignetes Krankheitsbild verursacht hat. Eine wesentliche Verursachung durch die berufliche Exposition ist anzunehmen, wenn andere Ursachen für die Erkrankung des Versicherten positiv ausgeschlossen sind (BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R, juris Rn. 33).

Vorliegend war die Klägerin – wie oben bereits dargelegt – nach den Stellungnahmen des Präventionsdienstes der Beklagten vom 20.03.2020
und 22.12.2023 nitrosen Gasen (Stickstoffdioxid), Fluoriden, Borsäure, Manganoxid und Schweißrauch oberhalb 1,25mg/m³ ausgesetzt und damit gefährdend im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV beschäftigt. Dies hat L2 in seinem Gutachten vom 21.10.2020 bestätigt, indem er dargelegt hat, dass Schweißgase insbesondere Ozon und nitrose Gase, aber auch andere Stoffe enthielten und die vom Präventionsdienst ermittelte Exposition geeignet gewesen ist, zu einer obstruktiven Atemwegserkrankung im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV zu führen. Dies hat auch D3 so gesehen, indem er in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 29.11.2020 dargelegt hat, dass nach medizinischem Verständnis extrem hohe Schweißrauchbelastungen in der Lage sind, eine COPD auch ohne zusätzliche Einflussfaktoren zu verursachen, in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 07.01.2021 dargelegt hat, dass eine Schweißrauchexposition ein wesentlicher kausaler Faktor für die Entstehung einer COPD ist, in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 25.03.2021 die Schweißertätigkeit als schädigende Tätigkeit bezeichnet hat und in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30.04.2023 ausgeführt hat, dass der zwar relativ kurz dauernden, aber sehr hohen beruflichen Schweißrauchexposition eine wesentliche Bedeutung für die Entstehung einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung zukommt. Auch hat N1 in seinem Gutachten vom 27.10.2023 und in seiner abschließenden gutachtlichen Beurteilung vom 10.08.2024 überzeugend dargelegt, dass die hohen Schweißrauchdosen, die vielen Schweißerstunden, die arbeitshygienisch ungünstigen Arbeitsbedingungen und die Exposition gegenüber Lötrauchen für die Entwicklung einer COPD durch Exposition gegenüber nitrosen Gasen, Manganoxid, Schweißrauche, Fluoriden und Borsäure geeignet gewesen sind.

Vorliegend sind andere in Betracht kommende Ursachen für die Erkrankung der Klägerin positiv ausgeschlossen. Zwar kommen nach der abschließenden gutachtlichen Bewertung des N1 vom 10.08.2024 neben der Exposition gegenüber nitrosen Gasen, Manganoxid, Schweißrauchen, Fluoriden und Borsäure der langjährige Nikotinkonsum und die bronchopulmonalen Infekte als Ursachen für die Atemwegserkrankung der Klägerin in Betracht. In Bezug auf den langjährigen Nikotinkonsum kann dahin stehen, ob es sich dabei, wie von der Klägerin zuletzt angegeben, um täglich 1 bis 2 Zigaretten von 1986 bis 2011 (woraus sich ein Nikotinkonsum von lediglich 2 bis 3 pack years ergeben würde), oder, wie von der Klägerin am 13.10.2020 gegenüber L2 angegeben und unter Auswertung der vom Senat beigezogenen ärztlichen Unterlagen, um 8 bis 10 Zigaretten täglich von 1986 und 2018 (woraus sich ein Nikotinkonsum von immerhin 12 bis 16 pack years ergeben würde) gehandelt hat. Denn jedenfalls trat der Nikotinkonsum nach dem Gutachten des N1 vom 27.10.2023 angesichts der Höhe der Schweißrauch-Exposition in den Hintergrund. Damit bestätigte er die Ausführungen des L2 in seinem Gutachten vom 21.10.2020, dass der frühere Tabakkonsum als wesentlich konkurrierender Faktor zu den beruflichen Einwirkungen mit hoher Wahrscheinlichkeit ausscheidet. Auch D3 hat in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30.04.2023 dargelegt, dass dem Tabakkonsum im Vergleich zur Schweißrauchexposition eine eindeutig geringere Wertigkeit zukommt. Ferner hat L2 in seinem Gutachten vom 21.10.2020 überzeugend dargelegt, dass auch inhalative Allergien, die zu einem Asthma führen könnten, nicht vorliegen und eine familiäre Belastung mit Atemwegserkrankungen ebenfalls nicht besteht.


7.3.3 Vorliegend sind allerdings die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt.

a. Der Annahme eines Ursachenzusammenhangs im Sinne der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie steht entgegen, wenn im Rahmen der Prüfung der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen feststeht, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist
. Andernfalls ist die Berufskrankheit anzuerkennen, wenn die Einwirkung auch rechtlich wesentlich war (BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R, juris Rn. 17).

Lässt bei einer Berufskrankheit ohne normativ vorgegebene oder nach dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand bestimmbare Mindestdosis die Einwirkungsintensität keine negativen Rückschlüsse auf den Ursachenzusammenhang im Sinne der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie zu, so steht der Annahme eines solchen Ursachenzusammenhangs gleichwohl die positive Feststellung entgegen, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist
(BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R, juris Rn. 40). Um bei Berufskrankheiten, für die keine Einwirkungsdosis vorgegeben ist, einen Ursachenzusammenhang auszuschließen, muss also positiv festgestellt werden, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist (BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R, juris Rn. 41).

Für die positive Feststellung, dass eine Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist, genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit. Sie erfordert eine Prüfung des Ursachenzusammenhangs im Sinne der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen. Für die Feststellung fehlender Ursächlichkeit ist entscheidend, dass wegen der Art oder der Lokalisation der Erkrankung, wegen des zeitlichen Ablaufs der Erkrankung (Expositionszeit, Latenzzeit und Interimszeit) oder aufgrund sonstiger Umstände im konkreten Einzelfall ein ursächlicher Zusammenhang trotz der beruflichen Einwirkung nicht wahrscheinlich ist (BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R, juris Rn. 42). Ist ein solches „versicherungsfremdes“ Schadensbild nicht feststellbar, ist davon auszugehen, dass die Krankheit auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist (BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R, juris Rn. 42).

b. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze lässt sich positiv feststellen, dass die Atemwegserkrankung der Klägerin nicht auf die beruflich bedingten Einwirkungen zurückzuführen ist. Denn wegen des zeitlichen Ablaufs der Erkrankung, wozu nach der Überzeugung des Senats nicht nur die Expositionszeit, die Latenzzeit und die Interimszeit, sondern auch der zeitliche Abstand zwischen Expositionsende und Erstdiagnose zu rechnen ist, lässt sich im konkreten Einzelfall der Klägerin ein ursächlicher Zusammenhang trotz der beruflichen Einwirkung nicht wahrscheinlich machen.

Der Senat stützt sich dabei auf die überzeugenden Ausführungen des N1 in seinem Gutachten vom 27.10.2023 und seiner abschließenden gutachtlichen Bewertung vom 10.08.2024. Der Sachverständige hat aufschlussreich dargelegt, dass wegen der langen Latenzzeit von knapp 28 Jahren zwischen Expositionsende und Erstdiagnose der chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung eine Kausalität zwischen Exposition und Erkrankung nicht wahrscheinlich gemacht werden kann.

Die Ermittlungen des Senats haben ergeben, dass die Exposition gegenüber nitrosen Gasen (Stickstoffdioxid), Fluoriden, Borsäure, Manganoxid und Schweißrauch oberhalb 1,25mg/m³ am 31.12.1992 beendet gewesen ist und die Atemwegserkrankung erstmals im Rahmen der gutachtlichen Untersuchung durch L2 am 13.10.2020 festgestellt worden ist. Dies steht nach den Stellungnahmen des Präventionsdienstes der Beklagten vom 20.03.2020 und 22.12.2023 und dem Gutachten des L2 vom 21.10.2020, das insoweit von D3 in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 29.11.2020, 07.01.2021, 25.03.2021 sowie 30.04.2023 und von N1 in seinem Gutachten vom 27.10.2023 bestätigt worden ist, fest.

Unterlagen über ärztliche Behandlungen in der Zeit vom 01.01.1993 bis 2004 haben vom Senat nicht beigezogen werden können, da nach der Auskunft der Praxis des die Klägerin damals behandelnden M1 vom 27.01.2020, die Praxis seit 2004 geschlossen ist und alle Praxisunterlagen entsorgt worden sind. Aus den von D1, der die Klägerin seit 2006 hausärztlich betreut, und den von S4 übermittelten Unterlagen gehen keine Hinweise hervor, dass sich die Klägerin vor der Untersuchung, die zu der computertomografischen Untersuchung durch E2 am 07.11.2019 geführt hat, wegen einer berufsbedingten Atemwegserkrankung einer ärztlichen Behandlung unterzogen hat.

So ergeben die vom Senat beigezogenen ärztlichen Unterlagen folgendes Bild: In dem histologischen Befundbericht der K3 vom 14.06.2011 ist eine mikrofokale Erosion der Antrumschleimhaut neben regenerativen Schleimhautveränderungen und mäßiggradigen chemisch-reaktiven Läsionen mit fokaler intestinaler Metaplasie sowie eine Korpusmukosa mit Belegzellhypertrophie ohne Anhalt für eine Malignität diagnostiziert worden. In dem Arztbrief des M2 vom 21.06.2011 ist lediglich eine minimale Refluxösophagitis bei kleiner axialer Hiatushernie und mikrofokal erosiver Antrumgastritis festgestellt worden. Der Entlassungsbericht der G1 Vorsorge- und Rehabilitationskliniken H2 vom 05.06.2012 über die vom 15.05.2012 bis zum 05.06.2012 durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme, in dem ein Mammakarzinom links, eine Gonarthrose beidseits mit mäßiger Funktionseinschränkung sowie eine rezidivierende Lumbago bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und Bandscheibenprotrusion mit geringer Funktionseinschränkung diagnostiziert worden sind, enthält in der Anamnese keine Angaben zu einer Atemwegserkrankung, in der Allgemeinen Sozialanamnese, dass sich die Klägerin in der Freizeit durch Wandern und Schwimmen beschäftigt hat, sowie im Aufnahmebefund einen unauffälligen Herz-, Lungen- und abdominellen Befund. Nach den Arztbriefen des K2 vom 21.08.2012 und 22.08.2012 hat sich die zum Abbruch der fahrradergometrischen Belastung bei 125 Watt führende Belastungsdyspnoe offensichtlich primär in der erheblichen Gewichtszunahme gegründet und haben die radiologischen Vorbefunde und aktuellen kardialen Befunde für diese Symptomatik keine Erklärung und für eine relevante koronare Herzkrankheit trotz des langjährigen Nikotinabusus keinen Hinweis ergeben, so dass der rezidivierende Drehschwindel und der unsystematisch, vermehrt in Ruhe auftretende thorakale Druck am ehesten als vertebragen eingeordnet worden sind. Aus dem Arztbrief der Klinik für Radioonkologie des Universitätsklinikums T3 vom 08.10.2012, aus dem sich kein Hinweis für ein Wiederauftreten der Tumorerkrankung ergeben hat, geht hervor, dass die Klägerin Wohlbefinden und gute Belastbarkeit berichtet hat. Der Arztbrief des E2 vom 15.11.2012 beschreibt das Ergebnis einer Magnetresonanztomografie der Lendenwirbelsäule. Im Arztbrief des H3 vom 03.12.2012 sind eine Gangunsicherheit, eine Wurzelreizung links und eine Osteochondrose L4/5 diagnostiziert worden. Nach dem Arztbrief des R1 vom 29.01.2013 ist lediglich eine neurologische Abklärung der Beschwerdesymptomatik im linken Bein erfolgt. In dem Arztbrief des R2 vom 20.04.2015 sind eine Varikose der unteren Extremität beidseits und eine chronisch-venöse Insuffizienz beidseits diagnostiziert worden. Der Arztbrief des E2 vom 12.10.2016 beschreibt das Ergebnis einer Mammographie beidseits. In dem Arztbrief des P1 vom 18.01.2017 ist nur ein Schwindel unklarer Genese beschrieben. In dem Arztbrief des H4 vom 12.06.2017 ist über eine Varusgonarthrose beidseits berichtet worden. In dem Arztbrief des Departments für Frauengesundheit des Universitätsklinikums T3 vom 21.11.2018 ist über die modifiziert radikale Mastektomie links berichtet worden. In dem Arztbrief des S7 vom 21.01.2019 sind eine kleine laterale Rezidivleistenhernie rechts und Femoralhernie rechts nach laparoskopischer Hernioplastik beschrieben worden. Ferner ergeben sich aus der Arztauskunft des D1 vom 05.12.2023 keine Hinweise, dass die Klägerin ihm gegenüber über mit einer obstruktiven Atemwegserkrankung vereinbare Beschwerden berichtet hat.

Zwar hat D1 noch in der von der Klägerin vorgelegten Stellungnahme vom 27.11.2021 ausgeführt, die „seit 20 Jahren“ in seiner Behandlung befindliche Klägerin habe bei vielen Vorstellungen über vor allem nächtlichen Reizhusten, teilweise außergewöhnliche Belastungsdyspnoe, bei auch kleiner Belastung geklagt, und in seiner Übersicht vom 14.02.2023 Behandlungsdaten mit Bronchitis für den 10.05.2006, 15.01.2008, 09.03.2012, 08.11.2012 (jeweils „akute Bronchitis“), 31.05.2015 („akute Bronchitis mit Husten“), 03.03.2016 („Bronchitis“), 17.10.2017  („akute Bronchitis“), 08.12.2017 („Husten, COPD“), 30.10.2019 („chronisch asthmatische Bronchitis“), 08.11.2019 („chronisch obstruktive Lungenerkrankung“) und 21.12.2019 („chronisch asthmatische Bronchitis“) mitgeteilt.

N1 ist aber in seiner abschließenden gutachtlichen Beurteilung vom 10.08.2024 zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass keinerlei Befunde beigebracht worden sind, die das Vorliegen einer Atemwegserkrankung hätten bestätigen können. So haben nach seinen schlüssigen Ausführungen aussagekräftige Lungenfunktionsdaten zum Zeitpunkt der von D1 angegebenen Behandlungsdaten nicht vorgelegen, ist
im Rahmen der strahlentherapeutischen oder onkologischen Nachkontrolle eine Lungenfunktionsprüfung nicht durchgeführt worden und sind in den Arztberichten keine Beschwerden im Sinne einer COPD erwähnt worden. Der Sachverständige hat ferner aufschlussreich darauf hingewiesen, dass im Entlassungsbericht der G1 Vorsorge- und Rehabilitationskliniken H2 keine Beschwerden im Sinne einer chronischen Bronchitis erwähnt, keine Lungenfunktionsdaten beschrieben und Alltagsaktivitäten erwähnt worden sind, die nicht auf eine Einschränkung durch eine Atemwegserkrankung schließen lassen. N1 her ferner dargelegt, dass nach dem kardiologischen Befundbericht von K2 eine Belastungsgrenze von 125 Watt vorgelegen und sich zum damaligen Zeitpunkt keine Hinweise auf eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung ergeben hat. Er hat im Übrigen darauf hingewiesen, dass durch eine computertomografische Untersuchung des Schädels eine chronische Sinusitis nicht hat bestätigt werden können und auch die vorliegenden hals-nasen-ohren-ärztlichen Befunde keinen pathologischen Befund und kein sinubronchiales Syndrom ergeben haben.

Es fehlt aber nicht nur an einem Nachweis über ärztliche Behandlungen zwischen Expositionsende und Erstdiagnose, sondern es fehlt auch an einem Nachweis dafür, dass die Klägerin während der Exposition oder in einem zeitlichen Zusammenhang hiermit an Atembeschwerden gelitten hat, die mit dem berufsbedingten Entstehen einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung in Zusammenhang gebracht werden könnten. Zwar hat die Klägerin in dem von ihr unter dem 01.01.2020 ausgefüllten Fragebogen angegeben, schon bei Ausübung ihrer Beschäftigung als Schweißerin ab 1982 seien Beschwerden aufgetreten und seither habe keine Beschwerdefreiheit mehr bestanden, hat die Klägerin am 09.03.2020 angegeben, seit ihren Brustkrebserkrankungen habe sie ein geschwächtes Immunsystem und eine sehr starke Bronchitis, hat die Klägerin in der gutachtlichen Untersuchung durch L2 am 13.10.2020 angegeben, Atembeschwerden und Husten seien schon während den Tätigkeiten von 1981 bis 1993 aufgetreten und seit etwa 2005 habe sie Atembeschwerden bei Belastung, und hat die Klägerin im Klageverfahren angegeben, sie leide bereits seit 2001 an pneumologischen Fehlfunktionen wie Hustenreiz und chronisch auftretenden, häufig länger andauernden Bronchitiden. Auch hat die Klägerin im Erörterungstermin vom 19.04.2023 ausgeführt, 2 bis 3 Jahre nach Beginn ihrer Tätigkeit als Schweißerin, ungefähr 1984/85, hätten die Symptome sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause in Form von Husten, Atemnot, Kurzatmigkeit und Erforderlichkeit des tiefen Luftholens begonnen, insbesondere beim schnellen Laufen und beim Treppensteigen habe die Atemnot zugenommen, die Beschwerden seien insgesamt drei- bis viermal im Jahr bis Ende 1992 aufgetreten. Ihr damaliger M1, bei dem sie bis zum Jahr 2002 in Behandlung gewesen sei, habe mit Ausnahme von Krankschreibungen und Verordnung von Medikamenten nichts veranlasst. Sie sei die ganze Zeit wegen ihrer Atemprobleme nicht zum Arzt gegangen, weil sie sich nicht getraut habe, wegen einer Erkrankung von der Arbeit fern zu bleiben.

Hierzu hat allerdings D3 in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30.04.2023 völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die Ursache der von der Klägerin geschilderten variablen klinischen Symptomatik nicht weiter klären lässt. Er hat zutreffend ausgeführt, dass es möglich ist, dass wiederholte respiratorische Infekte zur Entstehung dieser Problematik geführt haben. Bei vielen Menschen mit schicksalhaft entstandenem Asthma bestehen, so der Beratungsarzt aufschlussreich weiter, infektbedingt oder auch durch anderweitige Einflüsse mehrfach jährlich akut auftretende Krankheitszustände mit der Notwendigkeit einer medikamentösen Behandlung, was in aller Regel zu einer Linderung der Symptomatik führt, so dass sich insofern die variable klinische Symptomatik zunächst durchaus als schicksalhaftes Phänomen auffassen lässt. Der Senat folgt dem Beratungsarzt auch dahingehend, dass zwar die Angaben der Klägerin, dass bei Abwesenheit vom Arbeitsplatz nach 1 bis 2 Wochen eine Linderung der Symptomatik eingetreten ist und sich nach Beendigung der belastenden Tätigkeit ein stabiler Verlauf eingestellt hat, für eine Arbeitsplatzbezogenheit der Symptomatik sprechen, es sich dabei aber aufgrund des Fehlens objektiver Befunde um wenig belastbare Hinweise darauf, dass die beruflichen Einwirkungen einen Einfluss auf die Symptomatik genommen haben, handelt. Insbesondere ist D3 darin zu folgen, dass die Darstellung medizinisch mehr oder weniger plausibler Atembeschwerden mit oder ohne Bezug zu beruflichen Expositionen nicht per se mit dem Nachweis der obstruktiven Atemwegserkrankung gleichzusetzen ist, zumal es zahlreiche Personen mit dem Ablauf von jährlich 3 bis 4 respiratorischen Infekten mit entsprechenden klinischen Beschwerden in Form von Husten, Auswurf und Luftnot gibt, ohne dass diese Personen jemals ein Asthma entwickeln. Ferner hat D3 zu Recht darauf hingewiesen, dass es keinen objektiven Befund in Form von ärztlichen Aufzeichnungen gibt, mit dem die – gegenüber L2 und im Erörterungstermin zwar plausiblen – Angaben der Klägerin nachvollzogen werden können. Doch selbst unter Zugrundelegung der Angaben der Klägerin kann nach den zutreffenden beratungsärztlichen Ausführungen ein Nachweis des zu Grunde liegenden Krankheitsbildes nicht als erbracht erachtet werden, da es medizinisch völlig offen ist, ob die zu einem Asthma passenden Beschwerden lediglich als infektbedingte Beschwerden ohne gleichzeitiges Vorliegen eines Asthmas zu werten sind oder ob es sich doch um ein Asthma gehandelt hat. Symptome sind, worauf er überzeugend hingewiesen hat, eben keine Diagnose. Eine vollbeweisliche Sicherung einer obstruktiven Atemwegserkrankung ist mithin erstmals am 13.10.2020 erfolgt. Die Ausführungen des D3 lassen sich auch auf die vom Senat eingeholten Zeugenauskünfte der F1 und des D2 übertragen. Während F1 unter dem 05.06.2023 lediglich Erkältungsbeschwerden mit Husten, Schnupfen und Heiserkeit beschrieben hat, hat D2 die Frage, ob die Klägerin an Atemwegsbeschwerden gelitten hat, verneint.

Ferner hat N1 in seinem Gutachten vom 27.10.2023 bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass es überrascht, dass trotz der von der Klägerin angegebenen Beschwerdesymptomatik von hausärztlicher Seite keine symptombezogene Diagnostik, weder auf pneumologischem noch auf kardiologischem Fachgebiet, eingeleitet worden ist, weshalb durchaus Zweifel an der Schwere der Symptomatik bestehen. Auch hat der Sachverständige zutreffend darauf hingewiesen, dass der M1 kurz nach der Wende weiterhin als Hausarzt der Klägerin fungiert hat und zum damaligen Zeitpunkt keinem politischen Zwang mehr unterunterlegen gewesen ist, aber eine weiterführende Diagnostik beziehungsweise Abklärung hinsichtlich einer beruflichen Verursachung der Atembeschwerden nicht angestrebt hat.

Nach alledem haben sich durch die überzeugenden Darlegungen des N1 die Ausführungen des D3 in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 25.03.2021 bestätigt, wonach die Wahrscheinlichkeit einer Kausalität mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Ende der letztmaligen Exposition abnimmt.

Aufgrund des sich nach alledem ergebenden einerseits nicht gesicherten Beschwerdebilds der Klägerin während der Exposition und andererseits des zeitlichen Abstands zwischen Expositionsende am 31.12.1992 und Erstdiagnose am 13.10.2020, ohne dass in diesem knapp 28 Jahre langen Zeitraum ärztliche Behandlungen dokumentiert sind, die wegen auf eine obstruktive Atemwegserkrankung zurückführbare Beschwerden in Anspruch genommen worden sind, lässt es sich positiv feststellen, dass die Atemwegserkrankung der Klägerin nicht auf die beruflich bedingten Einwirkungen zurückzuführen ist.

N1 hat überzeugend dargelegt, warum die deutliche zeitliche Latenz von knapp 28 Jahren gegen eine solche kausale Beziehung spricht. Er hat sich zutreffend auf die Reichenhaller Empfehlung gestützt. Dort wird unter Nr. 3.2.1 (Seite 33) ausgeführt, dass insbesondere detailliert dokumentiert werden soll, ob und wie weit eine Expositionskongruenz der Beschwerden besteht. Expositionskongruenz bedeutet, dass ein direkter Bezug der Beschwerden zum Arbeitsplatz beziehungsweise zur Einwirkung besteht (Karenz- und Re-Expositionsbeziehung der Beschwerden) und/oder die Erkrankung nicht erst nach längerer expositionsfreier Zeit auftritt. Die gutachterliche Arbeitsanamnese soll sich auf die tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten des Versicherten beziehen und unter besonderer Berücksichtigung des Zeitpunkts des erstmaligen Auftretens von Beschwerden und des zeitlichen Zusammenhangs zwischen Expositionen und dem Auftreten von Beschwerden erhoben werden. Ferner wird unter Nr. 4. (Seite 64) ausgeführt, dass zunächst alle Ermittlungsmöglichkeiten bezüglich eines möglichen Allergens am Arbeitsplatz auszuschöpfen sind, wenn sich aus der Begleitsymptomatik, dem Zeit-Wirkungs-Verlauf oder dem Dosis-Wirkungsverlauf Hinweise auf eine allergische Reaktion ergeben (siehe auch Schönberger/Mehrtens/Valentin in Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage, Nr. 17.13.8, Seite 1207, wonach das Vorliegen einer zeitlichen Kongruenz des Auftretens einer zur Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV passenden Beschwerdesymptomatik zu entsprechenden Atemwegsbelastungen am Arbeitsplatz und gegebenenfalls ein Wegfall oder eine Verminderung  der Symptomatik in arbeitsfreien/belastungsfreien Zeiträumen ein wesentliches Kriterium, auf das die Bejahung eines Kausalzusammenhangs gestützt werden kann, ist).

Zutreffend hat N1 daher ausgeführt, dass je kürzer die zeitliche Latenz zwischen letzter Exposition und Erstdiagnose der COPD ist, desto wahrscheinlicher davon ausgegangen werden kann, dass der Beginn der Erkrankung tatsächlich noch in der Zeit der Exposition gelegen hat. Die Wahrscheinlichkeit einer Kausalität nimmt nach seinen überzeugenden Darlegungen mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Ende der letztmaligen Exposition ab (vergleiche zum Ganzen: LSG Hamburg, Urteil vom 30.09.2020 – L 2 U 13/20, juris Rn. 34, 38, wonach ein plausibler zeitlicher Zusammenhang zwischen der Exposition und dem Beginn sowie dem Verlauf der Erkrankung erforderlich ist; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.12.2019 – L 3 U 54/16, juris Rn. 42, wonach ein erheblicher zeitlicher Abstand von mindestens 11 Jahren zwischen dem Ende der Exposition und dem erstmaligen Nachweis einer Atemwegsobstruktion gegen eine berufsbedingte Atemwegserkrankung spricht; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.03.2017 – L 10 U 185/15, juris Rn. 28, wonach bei fehlendem Nachweis einer validen obstruktiven Atemwegserkrankung während des Beschäftigungsverhältnisses und einer langen Latenzzeit von 8 Jahren zwischen der Beendigung der beruflichen Expositionen und den erstmaligen Hinweisen einer geringen peripheren obstruktiven Ventilationsstörung ein ausreichender Zusammenhang zwischen den angeschuldigten Expositionen und der nunmehr bestehenden Atemwegserkrankung nicht wahrscheinlich ist; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 05.08.2010 – L 6 U 50/06, juris Rn. 36, wonach gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, wenn die Beschwerden erst 12 Jahre nach Abschluss der Einwirkungen begonnen haben; Bayerisches LSG, Urteil vom 17.04.2007 – L 3 U 237/04, juris Rn. 36, wonach ein fehlendes zeitliches Zusammentreffen der Tätigkeit mit der Erkrankung gegen einen Kausalzusammenhang spricht; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.11.2002 – L 16/12 U 17/94, juris Rn. 34, wonach der Nachweis eines zeitlichen Zusammenhangs Voraussetzung für die Anerkennung als Berufskrankheit ist und dies nicht gegeben ist,
wenn eine obstruktive Atemwegserkrankung erst lange nach der Exposition objektiviert worden ist).

Nach alledem folgt der Senat den Ausführungen des N1, dass die Abgrenzbarkeit von berufsunabhängigen Gesundheitsstörungen aufgrund von fehlenden Longitudinaldaten im Falle der Klägerin nicht möglich ist. Ebenso wie er ist der Senat der Überzeugung, dass bei dieser Datenlage die Gesundheitsstörung der Klägerin nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit durch ihre berufliche Tätigkeit verursacht worden ist und sich auch eine eventuell vorbestehende obstruktive Atemwegserkrankung und eine Verschlimmerung durch die berufliche Tätigkeit durch mangelnde Lungenfunktionsprüfungen im zeitlichen Verlauf nicht zu belegen ist.

8. Die Feststellung einer
Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV scheidet – entgegen der Auffassung der Klägerin – auch nach § 9 Abs. 3 SGB VII aus.

Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der BKV genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird nach § 9 Abs. 3 SGB VII vermutet, dass diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

Es handelt sich hierbei um eine Beweisregelungsvorschrift, die in Anlehnung an die Grundsätze über den Anscheinsbeweis einer Beweiserleichterung bei der Feststellung des Ursachenzusammenhangs im Einzelfall dienen soll. Die Vorschrift verpflichtet die Unfallversicherungsträger zu prüfen, inwieweit aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse bei definierten Einwirkungen einerseits und bestimmten Krankheitsbildern andererseits typischerweise von der Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen Einwirkung und Erkrankung auszugehen ist. Dieser Anscheinsbeweis beziehungsweise diese Beweiserleichterung greift dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit festzustellen sind, das heißt ernsthaft möglich sind. Insoweit ist eine Wahrscheinlichkeit nicht erforderlich. Bloße Hinweise oder entfernte Vermutungen reichen dagegen nicht aus. Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit können die Umstände des Einzelfalls sein, zum Beispiel ein untypischer Erkrankungsverlauf, insbesondere eine ungewöhnlich lange oder kurze Latenzzeit zwischen dem Einwirkungsbeginn und dem Auftreten der Erkrankung oder ein ungewöhnlich langes zeitliches Intervall zwischen der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit und dem Auftreten der Erkrankung, Vorerkrankungen oder Krankheitsanlagen, aus welchen sich konkrete Anhaltspunkte für ein schicksalhaftes Erkrankungsgeschehen ergeben, oder außerberufliche Einwirkungen, welche ebenfalls als Ursache der Krankheit in Frage kommen (BSG, Urteil vom 30.01.2007 – B 2 U 15/05 R, juris Rn. 26; Bayerisches LSG, Urteil vom 17.03.2011 – L 17 U 109/07, juris Rn. 41; Hessisches LSG, Urteil vom 31.08.2010 – L 3 U 162/05, juris Rn. 63; Brandenburg in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Auflage, § 9 [Stand: 19.01.2022] Rn. 166; Brandenburg in Becker/Franke/Molkentin/Hedermann, SGB VII, 6. Auflage 2024, § 9 Rn. 39; Ricke in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 118. Ergänzungslieferung März 2022, § 9 Rn. 29; Römer in Hauck/​Noftz SGB VII, 1. Ergänzungslieferung 2025, § 9 Rn. 166; Schmitt in Schmitt, SGB VII, 4. Auflage 2009, § 9 Rn. 31; Wietfeld in BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, 75. Edition, Stand: 01.12.2024, § 9 Rn. 74).

Der Anscheinsbeweis beziehungsweise die Beweiserleichterung des § 9 Abs. 3 SGB VII kommt vorliegend nicht zum Tragen, denn es sind hier Anhaltspunkte für eine Verursachung der Atemwegserkrankung der Klägerin außerhalb der versicherten Tätigkeit festzustellen. Zum einen ist der Erkrankungsverlauf der Klägerin untypisch, weil – wie oben dargelegt – das nicht gesicherte Beschwerdebild der Klägerin während der Exposition und das Fehlen dokumentierter, wegen auf eine obstruktive Atemwegserkrankung zurückführbare Beschwerden erforderlicher ärztlicher Behandlungen in dem knapp 28 Jahre langen Zeitraum zwischen Expositionsende und Erstdiagnose gegen eine hinreichend wahrscheinliche berufliche Verursachung sprechen. Zum anderen stellt die Rauchgewohnheit der Klägerin jedenfalls eine mögliche – wenn auch, wie oben dargelegt, nicht hinreichend wahrscheinliche – Ursache ihrer Atemwegserkrankung dar, denn insoweit hat D3 in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30.04.2024 dargelegt, dass der Tabakkonsum nicht vollständig aus dem Krankheitsbild der Klägerin hinweggedacht werden kann, ohne dass eine Änderung im Krankheitsbild entstanden wäre. Aufgrund einer Gesamtwürdigung der bereits dargelegten Tatsachen erscheint es dem Senat somit ernsthaft möglich, dass es sich hier um eine idiopathische oder durch die nicht-beruflichen Lebensumstände der Klägerin verursachte chronisch-rezidivierende Atemwegserkrankung handelt, so dass § 9 Abs. 3 SGB VII nicht greift.

Das mit der Berufung angegriffene Urteil des SG Reutlingen ist mithin rechtmäßig.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

9. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

10. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.



 

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