L 17 U 219/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 U 153/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 219/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 05. August 1998 geändert und die Klage abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Entschädigung der Folgen einer Tuberkulose (Tbc) als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 3101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Die 1949 geborene Klägerin arbeitete nach der Schulentlassung zunächst ein Jahr in der elterlichen Landwirtschaft, erlernte alsdann von 1967 bis 1970 den Beruf der Krankenschwester und arbeitete anschließend bis 1991 in diesem Beruf in der Chirurgischen, Inneren und Urologischen Abteilung des ...-Krankenhauses R ... Von 1991 bis September 1994 war sie als Koordinationsschwester tätig, wobei sie den Patientenbegleitdienst aufbaute, dem die Aufgabe oblag, Patienten von den unterschiedlichen Stationen zu den jewei ligen Funktionsbereichen zu bringen. Als Leiterin musste die Klägerin in erster Linie die Abläufe koordinieren und die Diensteinteilung der übrigen sechs Mitarbeiter vornehmen. Von Oktober 1994 bis 1998 war sie auf der Inneren Intensivabteilung beschäftigt und seitdem arbeitet sie auf der Gynäkologischen Station.

Im Oktober 1995 erstattete die Stationsärztin S ... der Pulmologischen Fachabteilung der Städt ... H ...-Klinik in M ... wegen einer offenen Lungen-Tbc eine ärztliche Anzeige über eine BK nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV. Die Beklagte holte Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. M ... und Dr. H ... sowie der Betriebsärztin Dr. S ... ein und zog den Arztbrief vom 26.01.1996 über die stationäre Behandlung vom 13.09.1995 bis zum 19.01.1996 bei. Aus diesen Unterlagen ergibt sich, dass die Kläge rin im Mai 1995 wegen eines fieberhaften Infektes der oberen Luftwege behandelt wurde, sich wegen fortbestehender Beschwerden im August 1995 erneut in ärztliche Behandlung begab und schließlich wegen persistierendem Husten und Phonationsstörungen im September 1995 die Überweisung zum Pulmologen erfolgte, der eine offene Lungenoberlappen-Tbc diagnostizierte. Die Betriebsärztin Dr. S ... teilte der Beklagten mit, der Tubergen-Test sei bei der Klägerin bereits am 04.05.1982 als positiv festgestellt worden. Während ihrer Tätigkeit auf der Intensivstation habe die Klägerin gesicherten Kontakt zu zwei Patienten mit offener Lungen-Tbc gehabt, die sich vom 11.04. bis 03.05.1995 bzw. vom 24.04. bis 16.05.1995 in stationärer Behandlung befunden hätten. Während der Zeit der Tätigkeit im Patientenbegleitdienst, in der die Klägerin mit allen Patienten des Hauses Kontakt gehabt haben könne, seien in vier Fällen Umgebungsuntersuchungen auf den Stationen wegen Lungen-Tbc durchgeführt worden.

Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. W ...-F ..., Ärztin für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde in L ... ein, die unter dem 17.04.1996 ausführte, aufgrund des Alters der Klägerin sei erfahrungsgemäß davon auszugehen, dass eine Primär-Tbc bereits in der Jugend abgelaufen sei. Diese Vermutung werde durch die positive Tuberkulintestung im Jahre 1982 bestätigt. Bei der 1995 festgestellten aktiven Tbc müsse es sich also um eine Exacerbation oder Superinfektion handeln. Die für eine Superinfektion erforderliche massive und anhaltende Infektionsgefährdung sei hier jedoch nicht gegeben, so dass insbesondere auch unter Berücksichtigung des röntgenologischen Befundes die Exacerbations-Tbc die größere Wahrscheinlichkeit für sich habe. Die Anerkennung der Tbc als BK könne daher nicht empfohlen werden. Nach Beiziehung des Heilverfahrensentlassungsberichtes vom 02.11.1994 bezüglich eines zu Lasten des Rentenversicherungsträgers durchgeführten Heilverfahrens holte die Beklagte ein lungenärztliches Aktengutachten von Prof. Dr. J ... in B ... ein, der unter dem 05.11.1996 darlegte, bereits die Röntgenaufnahmen aus den Jahren 1985 und 1986 zeigten Herdbildungen, die sich auf den späteren Aufnahmen weiterverfolgen ließen. Somit entfalle die Möglichkeit, die Entstehung der Erkrankung auf eine spätere Exposition zurückzuführen. Die Tbc sei mithin nicht auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen, sondern es liege mit großer Wahrscheinlichkeit eine Exacerbation vor.

Mit Bescheid vom 17.12.1996 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus Anlass der Tbc-Erkrankung ab. In dem anschließenden Widerspruchsverfahren vertrat die Klägerin unter Vorlage von Bescheinigungen von dem behandelnden Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde L ... und Dr. S ... die Auffassung, bei Tuberkulinstempeltestungen träten häufig Fehlbeurteilungen auf und es müsse außerdem von einer größeren Dunkelziffer erkrankter Patienten auf der Intensivabteilung ausgegangen werden. Nach Einholung einer erneuten Stellungnahme von Dr. W ...-F ..., die weiterhin die Auffassung vertrat, die Röntgenverlaufsserie und der bronchoskopische Befund sprächen insgesamt eher für eine Exacerbations-Tbc, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.09.1997 als unbegründet zurück.

Am 09.10.1997 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht (SG) Aachen erhoben und ihr Begehren weiterverfolgt.

Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. S ..., ... in M ..., der in seinem Gutachten vom 18.12.1997 nebst ergänzender Stellungnahme vom 25.03.1998 ausgeführt hat, die 1995 nachgewiesene Lungenobergeschoss-Tbc sei auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen. Bei dieser Erkrankung handele es sich um eine Erstinfektion, da nicht nachgewiesen sei, dass bei der Klägerin bereits vorher eine tuberkulöse Erstinfektion abgelaufen sei. Die Röntgenaufnahmen der Lungen aus den Jahren 1983 bis 1993 ließen keine Veränderungen erkennen, die als Nachweis tuberkulöser Veränderungen zu bewerten seien. Das positive Ergebnis des Tubergen-Testes aus dem Jahre 1982 stehe im Zusammenhang mit früher durchgeführten Tuberkulin-Impfungen. Es sei auch nicht generell zu postulieren, dass bei Menschen in einem Lebensalter zwischen 40 und 50 Jahren grundsätzlich eine tuberkulöse Erstinfektion im frühen Lebensalter abgelaufen sei. Da die Klägerin nach den Angaben der Betriebsärztin Kontakt mit Patienten gehabt habe, die an einer offenen Lungen-Tbc litten, stehe die Erkrankung mit ihrer Tätigkeit als Krankenschwester in ursächlichem Zusammenhang. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage für die Zeit bis zum 19.01.1996 100 v.H., bis Juli 1996 70 v.H. und sodann bis Januar 1997 30 v.H ... Über diesen Zeitraum hinaus sei keine MdE in messbarem Ausmaß verblieben. Die Beklagte ist dieser Beurteilung unter Vorlage von Stellungnahmen von Dr. W ...-F ... vom 09.02. und 19.05.1998 entgegengetreten.

Durch Urteil vom 05.08.1998, auf dessen Entscheidungsgründe verwiesen wird, hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin wegen einer als BK nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV anzuerkennenden Lungen-Tbc Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Gegen das ihr am 20.08.1998 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 31.08.1998 Berufung eingelegt.

Sie trägt vor, das SG habe zwar zutreffend erkannt, dass die beiden infizierten Patienten, mit denen die Klägerin auf der Intensivstation Kontakt gehabt habe, unter Berücksichtigung der Inkubationszeit nicht als Infektionsquelle in Betracht kämen. Das SG habe jedoch verkannt, dass die vom Bundessozialgericht (BSG) für die Infektionskrankheit der Hepatitis aufgestellte Beweisregel, wonach eine besondere Gefährdung vorliege, sofern ein bestimmter Prozentsatz der Patienten unerkannt erkrankt sei, für die Tbc nicht gelte. Überdies gebe es insoweit auch keine beachtliche Dunkelziffer. Außerdem seien die 1995 festgestellten röntgenologischen Veränderungen nicht typisch für eine Primärinfektion.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 05.08.1998 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, während ihrer Tätigkeit als Koordinationsschwester habe sie Kontakt zu allen Patienten gehabt. Der Patientenbegleitdienst sei bei den Umgebungsuntersuchungen schlicht vergessen worden. Im Jahre 1992 habe auch Kontakt zu der infizierten Patientin M. K. bestanden.

Der Senat hat Beweis erhoben zum Kontakt der Klägerin zu der Patientin M. K. und zur Infektiösität dieser Patientin durch Einholung von Auskünften von den Oberärzten der Medizinischen Klinik des E ...-K ... R ... Dr. D ... und L ..., Prof. Dr. E ..., Chefartz der Medzinischen Klinik des.E ...-K ... R ... und Dr. B ..., Chefarzt der Kardiologie des E ...K ... R ... Wegen des Ergebnisses wird auf die schriftlich erteilten Auskünfte Bezug genommen. Der Senat hat weiteren Beweis erhoben durch die Einholung eines Befundberichtes des behandelnden Arztes Dr. M ... und eines Gutachtens von Dr. S ..., D ... d ... P ... der Städt ... H ... M ... Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 09.10.2000 nebst ergänzender Stellungnahme vom 01.10.2001 dargelegt, bei der 1995 diagnostizierten Lungen-Tbc handele es sich um die Folgen einer späten Primärinfektion (Erstinfektion), die Anfang des Jahres 1993 abgelaufen sei. Diese Erkrankung sie jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit als Krankenschwester zurückzuführen. Wegen des weiteren Ergebnisses der Beweisaufnahme im einzelnen wird auf das schriftlich erstattete Gutachten erwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, der Klägerin Verletztenrente zu zahlen. Denn die von der Klägerin erlittene tuberkulöse Erkrankung stellt keine BK nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV dar.

Der Anspruch der Klägerin richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da sie Entschädigungsleistungen auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) zum 01.01.1997 begehrt (Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz [UVEG], § 212 SGB VII).

Nach § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt eines Arbeitsunfalles nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Entschädigungsleistungen, insbesondere Verletztenrete nach §§ 580, 581 RVO. Als Arbeitsunfall gilt gem. § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO auch eine BK. BK en sind nach § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Die hier allein streitige BK-Nr. 3101 der Anlage zur BKV erfasst Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war. Die Feststellung einer BK setzt grundsätzlich voraus (vgl. zum Folgenden: Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung - Handkommentar - Stand 06/96 § 551 RVO Rdnr. 3; Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung - Kommentar - E § 9 SGB VII Rdnr. 14), dass zum einen in der Person des Versicherten die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, d. h., dass er im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechende Gesundheitsschaden zu bewirken (haftungsbegründende Kausalität). Zum anderen muss ein Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung bestehen. Es muss danach ein dieser BK entsprechendes Krankheitsbild vorliegen und dieses muss im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre (vgl. BSGE 1, 72, 76; 61, 127 129; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, a.a.O. Rdnr. 3) wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückgeführt werden, wobei hinsichtlich des Zusammenhanges eine hinreichende Wahrscheinlich keit ausreicht, aber auch erforderlich ist (haftungsausfüllende Kausalität).

Die bei der Klägerin 1995 manifest gewordenen Tbc-Erkrankung ist ein Krankheitsbild, wie es die BK nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV grundsätzlich erfordert und die Klägerin gehört wegen ihrer Tätigkeit als Krankenschwester im Gesundheitsdienst auch zu dem grundsätzlich von der streitigen BK erfassten Personenkreis. Nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren fehlt es jedoch an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen dieser versicherten Tätigkeit und ihrer Tbc-Erkrankung.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist die erforderliche Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und einer Infektionskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV grundsätzlich dann gegeben, wenn nachgewiesen ist, dass der Versicherte bei der Berufstätigkeit, sei es durch einen Patienten, einen Mitarbeiter oder auf sonstige Weise, einer über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen ist (vgl. BSGE 6, 186, 188; Urteil vom 30.05.1988 - 2 RU 33/87 m.w.N. -). Bei diesem Nachweis kann dann in der Regel auch davon ausgegangen werden, dass sich der Versicherte die bei ihm aufgetretene Infektionskrankheit durch eine besondere berufliche Exposition zugezogen hat (BSGE a.a.O.). Dabei kann die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob die vom BSG für den Fall der Hepatitis aufgestellte Beweisregel (vgl. BSG vom 30.05.1988 a.a.O.), wonach von einer besonderen Gefährdung auch dann ausgegangen werden kann, wenn jedenfalls regelmäßig ein gewisser Prozentsatz der betreuten Patienten unerkannt erkrankt ist, (insoweit für die Tbc verneinend LSG Baden-Württemberg; Urteil vom 03.04.1997 - L 7 U 193/93 -) hier dahin stehen, da sich nicht feststellen lässt, dass die Klägerin während ihrer beruflichen Tätigkeit einer vermehrten Tbc-Ansteckungsgefahr (auch ohne unmittelbaren Kontakt mit ansteckungsfähigen Personen) ausgesetzt war. Dr. S ... hat in seinem Gutachten in Übereinstimmung mit den von der Beklagten vorgelegten Ausführungen des Arbeitsmediziners Dr. R ..., die als Parteivorbringen zu berücksichtigen sind, zutreffend dargelegt, dass von keiner größeren Dunkelziffer unerkannter Tuberkulosefälle in Krankenhäusern auszugehen sei. Aus den Zahlendaten der Beklagten für allgemeine Krankenhäuser mit Operationen, zu denen auch das E ...-K ... R ... gehört, ergibt sich vielmehr, dass die Tubekuloseincedenz identisch mit der der allgemeinen Bevölkerung ist. Dr. S ... hat außerdem darauf hingewiesen, dass bei Personen, die in Krankenhäusern über Beschwerden auf pneumologischem Gebiet klagen, sich auf Intensivstationen befinden oder bei denen Operationen geplant sind, regelmäßig Röntgenthoraxübersichtsaufnahmen durchgeführt werden, so dass Veränderungen, die auf eine Lungen-Tbc hinweisen können, regelmäßig rechtzeitig erkannt werden. Eine größere Dunkelziffer nicht erkannter Tuberkulosefälle kann deshalb, wie der Sachverständige ausführt, eher außerhalb des Krankenhausbereiches angenommen werden. Dies entspricht - worauf die Beklagte und Dr. S ... zutreffend hinweisen - auch der herrschenden ärztlichen Lehrmeinung, wonach eine besondere generelle Ansteckungsgefahr nur in Praxen und Infektionsabteilungen mit gehäufter Behandlung Tuberkulosekranker oder in bakteriologischen Laboratorien, die sich speziell mit Züchtung und Typisierung von Tuberkelbakterien beschäftigen, anzunehmen ist, für allgemeine Krankenzimmer, Röntgen- und andere Bereiche des Gesundheitswesens jedoch ausscheidet (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl., S. 748).

Die Feststellung der bei der Klägerin im Jahre 1995 manifest gewordenen Tbc-Erkrankung als BK setzt somit voraus, dass sie bei ihrer Tätigkeit als Krankenschwester zuvor beruflichen Kontakt mit an offener Tbc erkrankten Personen hatte. Dieser Nachweis ist jedoch nicht erbracht. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens lässt sich nicht feststellen, dass die Klägerin als Krankenschwester während der Inkubationszeit Kontakt mit ansteckungsfähigen Tbc-Erkrankten hatte. Es ist somit nicht wahrscheinlich gemacht, dass die Erkrankung der Klägerin auf eine Infektion während ihrer Tätigkeit als Krankenschwester zurückzuführen ist. Der Senat stützt sich vor allem auf die Darlegungen des Dr. S ..., der überzeugend dargelegt hat, dass die Tbc der Klägerin nicht mit Wahrscheinlichkeit auf eine besondere Ansteckungsgefahr durch ihre Tätigkeit als Krankenschwester zurückzuführen ist. Für die Kausalitätsbeurteilung ist zunächst von Bedeutung, ob bei der Klägerin eine Superinfektion (erneute Tuberkuloseerkrankung bei bereits durchgemachter Tuberkulose), eine Erstinfektion oder eine Exacerbation einer schicksalhaft erworbenen Lungentuberkulose (endogene Reaktivierung) erfolgte. Sämtliche gehörten Sachverständigen und Gutachter haben übereinstimmend ausgeführt, dass eine Superinfektion, die ein massives Keimangebot voraussetzt, nicht vorgelegen hat. Ob bei der Klägerin eine Erstinfektion, wovon die Sachverständigen Prof. Dr. S ... und Dr. S ... ausgehen oder eine Exacerbation einer schicksalhaft erworbenen Lungentuberkulose, wie die Beklagte meint, vorlag, kann letztlich dahinstehen, da die Erkrankung der Klägerin in keinem Fall auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist. Dr. S ... hat dargelegt, dass unter Berücksichtigung der Röntgenthoraxübersichtsaufnahmen von 1968 bis 2000 und des Verlaufs der Erkrankung, die von der Klägerin 1995 durchgemachte Lungen-Tbc Folge einer späten Primärinfektion gewesen ist, die Anfang 1993 ablief. Erstmalig auf der Röntgenthoraxübersichtsaufnahme vom 25.02.1993 wird im Vergleich zu den Voraufnahmen ein flaues Infiltrat in Projektion auf die erste Vorderrippe mit kleineren flauen weichen Strukturen im darunter befindlichen mittleren ersten ICR sichtbar. Die Struktur des Infiltrates spricht für eine späte Erstinfektion. Im Falle einer endogenen Reaktivierung einer frühen Primärinfektion erwartet man nämlich gegensätzlich zum röntgenologischen Erscheinungsbild der Verschattung auf der Röntgenthoraxübersichtsaufnahme vom 25.02.1993 einschmelzende, klarer begrenzte und deutlicher nachweisbare tuberkulöse Strukturen. Für eine Primärinfekton spricht außerdem der weitere Verlauf mit ausgeprägter Beteiligung der hilären Lymphknoten rechts, die auf der Röntgenthoraxübersichtsaufnahme vom 13.09.1995 zur Darstellung kommt. Er handelt sich hier um das typische Erscheinungsbild eines fortgeschrittenen Primärkomplexes, d. h. Vorliegen eines pulmonalen Primärherdes mit Beteiligung der zugehörigen hilären Lymphknoten, wobei dieser nicht ausgeheilt, sondern unmittelbar in die Postprimärperiode übergegangen ist. Stimmig ist auch die Latenz von der Infektion, die bei positivem Röntgenbefund im Februar 1993 drei bis sechs Wochen vorher abgelaufen sein muss, bis zur Lymphknotenperforation als Folge einer langsam progressiven Entwicklung eines Primärkomplexes, die in der Regel zwei Jahre dauert (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 751). Dr. S ... hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass der Stempeltest gegenüber dem Mendel-Mantoux-Intrakutantest ein unsicherer Test ist, so dass der positive Tuberkulintest von 1982 nicht eindeutig für eine bereits durchgemachte Tbc-Erkrankung spricht und außerdem ein positiver Tuberkulintest auch im Hinblick auf eine mögliche BCG-Impfung möglich ist. Schließlich schließt auch das Alter der Klägerin, wie Dr. S ... und Prof. Dr. S ... übereinstimmend ausführen, eine späte Erstinfektion nicht aus.

Dr. S ... hat jedoch zutreffend dargelegt, dass die späte Primärinfektion nicht auf einen möglichen Kontakt mit im E ...-K ... behandelten an Tbc erkrankten Patienten zurückzuführen ist. Die beiden Patienten, mit denen die Klägerin auf der Intensivstation Kontakt hatte, scheiden schon aus zeitlichen Gründen aus, denn dieser Kontakt bestand erst 1995, während das spezifische Infiltrat im Bereich des rechten Spitzenoberfeldes bereits auf der Röntgenthoraxübersichtsaufnahme vom 25.02.1993 nachweisbar war. Die Patientin M. K., die 1992 mehrfach im E ... behandelt wurde und die nach Ansicht der Klägerin ihre Infektion verursacht hat, litt jedoch, wie Dr. S ... unter Berücksichtigung der eingeholten Auskünfte von Prof. Dr. E ..., Dr. B ... und Dr. D ... sowie unter Auswertung der Krankenakte der Patientin M. K. überzeugend darlegt, nicht an einer ansteckungsfähigen Tbc. Zwar war unter Berücksichtigung der Röntgenthoraxübersichtsaufnahme und des histologischen Befundes einer Probeexzision die Diagnose einer Lungen-Tbc berechtigt, sämtliche Untersuchungen des Sputums, des Bronchialsekretes und des Magensaftes waren jedoch sowohl mikroskopisch als auch kulturell auf Mycobacterium tuberculosis negativ, so dass keine Infektiösität der Patientin M. K. bestanden hat. Soweit während der Tätigkeit der Klägerin als Koordniationsschwester im Jahre 1991 drei weitere Tbc-Patienten im E ...-K ... behandelt wurden, ist zum einen schon zweifelhaft, ob die Klägerin aufgrund der von ihr überwiegend verrichteten organisatorischen Arbeiten, überhaupt Kontakt zu diesen Patienten hatte, letztlich kann dies jedoch dahinstehen, da ein Kontakt im Jahre 1991 nicht Ursache des 1993 vorliegenden positiven Röntgenbefundes sein kann. Denn Dr. S ... hat in seinem Gutachten dargelegt, dass die Infektion drei bis sechs Wochen vorher abgelaufen sein muss.

Soweit Prof. Dr. S ... in seinem Gutachten ausführt, die bei der Klägerin im September 1995 diagnostzierte Tbc sei auf die Kontakte mit zwei an Tbc erkrankten Patienten in der Zeit vom 11.04. bis 16.05.1995 zurückzuführen, kann dieser Auffassung, wovon auch das SG ausgeht, nicht gefolgt werden. Zweifelhaft ist schon, worauf Dr. S ... zutreffend hinweist, ob diese Patienten überhaupt an ansteckungsfähiger Tbc gelitten haben, denn bei dem Patienten E. O. wurde lediglich ein kulturelles Ergebnis nachgewiesen und bei dem Patienten El. M. A. ist nicht ersichtlich, dass mittels Gensondevermehrungsfähige Tuberkelbakterien nachgewiesen wurden. Gegen den Zusammenhang spricht überdies, worauf bereits die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren unter Vorlage einer Stellungnahme von Dr. W ...-F ... zutreffend hingewiesen hat, der zeitliche Zusammenhang, denn bei der Klägerin traten, ausweislich der Befundberichte des behandelnden Arztes Dr. M ..., spätestens in der ersten Maihälfte 1995 Beschwerden auf. Nach tuberkulöser Infektion dauert es im Allgemeinen jedoch vier bis sechs Wochen, bis röntgenologisch überhaupt ein Befund erkennbar wird und bis zum Auftreten von Beschwerden vergeht meist noch längere Zeit. Außerdem fand sich bei der Bronchoskopie am 13.09.1995 eine ausgedehnte grobe tuberkulöse Schleimhautveränderung vom Oberlappenabgang bis in die Luftröhre hinein. Ein derartiger ausgedehnter Befund findet sich, wovon die Beklagte und Dr. S ... übereinstimmend zutreffend ausgehen, erfahrungsgemäß nicht nach einer erst vor fünf Monaten erworbenen Infektion.

Nach alledem ist die Tbc-Erkrankung der Klägerin nicht auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, da die Voraussetzungen gem. § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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