L 17 U 38/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 18 U 149/93
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 38/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 12. September 1997 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehegatten U. J ... (J.) die Entschädigung eines bei diesem festgestellten Bandscheibenprolapses als Folge eines Arbeitsunfalls durch Gewährung von Verletztenrente.

Der 1936 geborene und am 05.02.1999 verstorbene J., der gelernter Maschinenschlosser war, wurde zum 01.04.1965 als technischer Angestellter beim militärgeographischen Amt B ... B ...- G ... eingestellt. Durch deren Dienststellenleiter sowie den Beauftragten für den Betriebsschutz und den Vorsitzenden des Personalrats wurde unter dem 30.12.1965 eine Unfallanzeige bei der Beklagten über einen Vorfall vom 26.05.1965 erstattet, über den J. angegeben hatte, beim Herausziehen einer 2 m langen Erd-Bohrstange habe es einen Knacks gegeben und er habe heftige Schmerzen verspürt, die sich zur Unerträglichkeit gesteigert hätten. Eine Dienstunfähigkeit war nicht bescheinigt worden. J. hatte zum 31.05.1965 seine Tätigkeit fortgesetzt und war am 23.12.1965 stationär im V ... Hospital in B ... aufgenommen worden. In der Orthopädischen Universitätsklinik B ... wurde anläßlich einer stationären Aufnahme vom 18.08. bis 08.09.1969 die Diagnose eines Bandscheibenprolapses bei L5/S1 links gestellt und am 21.08.1969 die Bandscheibe in diesem Bereich entfernt.

Mit Schreiben vom 22.09.1977 teilte die Beklagte J. mit, daß ihr keine weiteren Unterlagen außer der Unfallanzeige bezüglich des Ereignisses vom 26.05.1975 (gemeint war 1965) vorlägen und daher davon auszugehen sei, daß es sich bei diesem lediglich um eine Gelegenheitsursache für das Bemerkbarwerden einer bereits vorliegenden Erkrankung gehandelt habe.

Am 15.07.1981 erfolgte bei J. in der Neurochirurgischen Universitätsklinik B ... nach Feststellung eines frei perforierten Bandscheibenvorfalls in Höhe L4/L5 eine Revision bei L5/S1 links, Neurolyse der Nervenwurzel S1 links und Hemilaminektomie L5 links.

Im Juni 1990 beantragte J. u.a. die Entschädigung des Ereignisses vom 26.05.1965, auf welche er den später diagnostizierten Bandscheibenvorfall zurückführte. Die Beklagte zog Unterlagen des Versorgungsamts K ..., Berichte der Neurochirurgischen Universitätsklinik B ..., des Radiologen Dr. J ... sowie die Vorerkrankungsverzeichnisse bei und veranlaßte eine Begutachtung durch PD Dr. H ..., Oberarzt der Chirurgischen Universitätsklinik und Poliklinik B ... Dieser verneinte unter dem 06.02.1991 einen Zusammenhang zwischen der Bandscheibenschädigung und dem Ereignis vom 26.05.1965, weil letzterem allen falls die Bedeutung einer Gelegenheitsursache zukomme. PD Dr. H ... hielt allerdings eine Zusatzbegutachtung durch den Neurologen Prof. Dr. S ... von der Neurochirurgischen Universitätsklinik B ... für angezeigt.

Mit Bescheid vom 24.06.1991 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlaß des Ereignisses vom 26.05.1965 ab, weil dieses nicht die rechtlich wesentliche Ursache für das später diagnostizierte Bandscheibenleiden gewesen sei.

J. legte am 06.08.1991 Widerspruch ein und machte geltend, er sei am 29.01.1957 auf der Zeche S ... auf seine Untertagetauglichkeit untersucht und diese sei ohne Einschränkung bestätigt worden. Ein Bandscheibenvorschaden habe damals nicht über sehen werden können. Allein das angeschuldigte Ereignis komme daher als Ursache in Betracht.

Unter dem 04.11.1991 erstattete Prof. Dr. S ... von der Neurochirurgischen Universitätsklinik B ... ein weiteres Gutachten und kam zu dem Ergebnis, es fehle ein geeignetes Unfallereignis, auch sei das sofortige Auftreten einer Ischialgie für die Anerkennung eines Bandscheibenvorfalls als Traumafolge nicht gegeben.

Dem trat J. mit der Behauptung entgegen, er habe unverzüglich nach dem Vorfall vom 26.05.1965 erhebliche Beschwerden gehabt und habe deswegen laufend in Behandlung gestanden. Er legte ferner eine Bescheinigung der TKK B ... vor, wonach in der Zeit vom 01.01.1961 bis 25.05.1965 keine Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund einer Lendenwirbelerkrankung (Bandscheibe) vorgelegen hätten.

Die Beklagte zog daraufhin das Vorerkrankungsverzeichnis der TKK bei, in welchem eine Arbeitsunfähigkeitszeit wegen Cervikal-Syndroms aus den 60-er Jahren (unleserlich) verzeichnet ist. Auf Anfrage der Beklagten verneinten die Ärztin für Allgemeinmedizin G ..., die Orthopäden Dr. M ... und Dr. S ..., daß ihnen noch Unterlagen über frühere Behandlungen des J. vorlägen. Der Orthopäde Dr. M ... teilte mit, daß er erst von September 1971 an als Orthopäde in B ... B ...-G ... niedergelassen gewesen sei und J. daher nicht bei ihm in den 60-er Jahren in Behandlung gestanden haben könne; in seinen Unterlagen sei J. auch nicht verzeichnet. Die Ärztekammer Nordrhein berichtete der Beklagten unter dem 25.08.1992, daß das V ... Krankenhaus in B ... B ...-G ... seit längerer Zeit geschlossen und die Gebäude abgerissen seien. Über den Verbleib der Unterlagen sei nichts bekannt.

Die Beklagte veranlaßte sodann eine weitere Begutachtung durch Prof. Dr. R ..., Direktor der Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Universitätsklinik K ... Dieser kam unter dem 01.02.1993 zu dem Ergebnis, daß nach wissenschaftlichen Untersuchungen über die mechanische Belastbarkeit der Wirbelkörper und Bandscheiben letztere wesentlich höhere mechanische Belastungen als die jeweils angrenzenden Wirbel tolerierten, für die Schädigung letzterer aber kein Anhalt bestehe. Ferner müsse für einen ursächlichen Zusammenhang ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Schmerzsymptomatik und dem Unfallereignis vorliegen. J. habe aber anläßlich der Anamneseerhebung im August 1969 in der Orthopädischen Klinik der Universität B ... angegeben, erstmals vor etwa einem Jahr eine Schmerzausstrahlung in das linke Bein verspürt zu haben und daher erst 1968 entsprechende Beschwerdeangaben vorgebracht. Unter diesen Umständen lasse sich ein Unfallzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, die radiologisch dokumentierten degenerativen Veränderungen im Bereich L5/S1 stellten vielmehr eine chronische Erkrankung dar. In seinem röntgenologischen Gutachten vom 07.04.1993 befand Prof. Dr. L ..., Direktor des Instituts und Poliklinik für Radiologische Diagnostik der Universität zu K ... keine knöcherne Verletzungsfolgen im Bereich L5/1 bei Vorliegen einer Spondylosis deformans der oberen und mittleren Brustwirbelsäule und einer Osteochondrose im Segment L5/S1. Prof. Dr. H ..., Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie und Psychiatrie der Universität zu K ..., kam in seinem Gutachten vom 20.04.1993 zu dem Ergebnis, daß neurologischerseits nicht entschieden werden könne, ob zwischen dem Ereignis vom 26.05.1965 und dem Bandscheibenvorfall ein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Überzeugende Hinweise für eine Wurzelschädigung ergäben sich aus den vorliegenden Unterlagen erst für das Jahr 1968. Daraufhin verblieb Prof. Dr. R ... in seiner abschließenden Stellungnahme vom 11.05.1993 bei seiner Beurteilung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.1993 wies die Beklagte den Widerspruch, gestützt auf letztere Gutachten, als unbegründet zurück.

J. hat am 14.07.1993 Klage vor dem Sozialgericht - SG - Köln erhoben. Er hat geltend gemacht, die Gutachten beinhalteten den Fehler, daß sie sich zu sehr auf nicht vorliegende medizinische Unterlagen aus der Zeit unmittelbar nach dem Unfall stützten. Beachtet werden müsse der Unfallhergang, bei dem er während einer Zuganstrengung unvorhergesehen mit dem linken Fuß in das Erdreich eingebrochen sei, welches oberflächlich einen festen Eindruck gemacht habe, unter der Oberfläche aber morastig und auch ausgehöhlt gewesen sei. Hierbei handele es sich um ein von außen einwirkendes Ereignis, das geeignet gewesen sei, den Bandscheibenschaden herbeizuführen. Im übrigen habe, soweit die Gutachter eine Wirbelkörperfraktur forderten, Prof. Dr. H ... einen vom übrigen Wirbelkörper abgesetzten Knochenschatten festgestellt, der am ehesten als alte Abrißfraktur zu qualifizieren sei.

Auf Antrag des J. hat das SG nach § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ein Gutachten von dem Arzt für Orthopädie, Sportmedizin/Chirotherapie Dr. H ..., Oberarzt am Bundeswehrkrankenhaus K ..., eingeholt. Dr. H ... hat unter dem 25.04.1994 dargelegt, die Zusammenhangsbeurteilung hänge davon ab, ob man den jetzigen Angaben des J. über den Hergang des Unfallereignisses sowie die im Anschluß bestehende Beschwerdesymptomatik Glauben schenke oder ob man den in der Unfallanzeige beschriebenen Unfallhergang sowie die aktenkundigen Befunde zugrundelege. Letztere ließen die Annahme eines geeigneten Unfallhergangs für die Schädigung der Bandscheibe nicht zu, auch spreche ein dann dreijähriges symptomfreies Intervall gegen einen Unfallzusammenhang. Gehe man jedoch von der Unfallschilderung des J. aus, wonach er den 10 bis 20 cm über dem Boden befindlichen Ausziehgriff des Bohrgestänges erfaßt habe und beim Versuch, den Bohrer aus dem Erdboden zu ziehen, mit dem linken Fuß plötzlich weggerutscht und in das Erdreich eingebrochen sei, so sei es zu einer Rotationsbelastung bei gleichzeitiger maximaler Muskelanspannung gekommen, welche geeignet sei, eine Bandscheibenschädigung herbeizuführen. Unterstelle man die von J. geschilderte sofortige ischialgieforme Symptomatik, die in den Folgejahren zu einer dauerhaften Behandlung geführt habe, so lägen auch hinreichende Brückensymptome für die 1969 erforderlich gewordene Bandscheibenoperation als Folgeursache des Ereignisses vom 26.05.1965 vor. Nicht auf den Unfall zurückzuführen sei jedoch der 1981 erfolgte weitere Eingriff. Die Beschwerden im Bereich der unteren Extremität im Bereich L3 bis L5 seien insoweit nicht unfallursächlich. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - sei ab dem 01.06.1990 mit 10 v.H. einzuschätzen.

Auf die Einwendungen der Beklagten gegen dieses Gutachten, wo nach sich Dr. H ... nicht hinreichend mit der Belastungsfähigkeit der Bandscheibe, dem tatsächlichen Unfallhergang und den röntgenologischen Befunden auseinandergesetzt habe, ist dieser Sachverständige in einer ergänzenden Stellungnahme vom 24.06.1994 bei seiner Auffassung verblieben und hat ausgeführt, die wesentlichen Kriterien, die Lob für eine traumatische Schädigung der Bandscheibe verlange, seien erfüllt, weil eine Vorschädigung der Bandscheibe bei J. nicht belegt sei, ein geeigneter Unfallhergang gegeben und im unmittelbaren Anschluß an das Ereignis ischialgieforme Beschwerden aufgetreten seien.

Das SG hat sodann ein weiteres Gutachten von dem Leitenden Arzt der Orthopädisch-Chirurgischen Abteilung des St. Josef-Kranken hauses B ..., Prof. Dr. G ..., eingeholt. Dieser ist unter dem 27.07.1995 in Übereinstimmung mit Dr. H ... zu dem Ergebnis gelangt, daß bei Zugrundelegung der Unfallschilderung des J. das Ereignis geeignet gewesen sei, auch eine nicht wesentlich vorgeschädigte Bandscheibe zu verletzen, da nach neusten Untersuchungen die Bandscheibe weniger belastungsfähig sei als die Wirbel. Eine relevante Vorschädigung der Bandscheibe sei nicht feststellbar und nach Aktenlage sowie den Angaben des J. scheine eine Brückensymptomatik hinreichend belegt. Die MdE hat Prof. Dr. G ... mit 20 v.H. eingeschätzt, weil als Folgen des unfallbedingten Bandscheibenvorfalls L5/S1 chronisch rezidivierende lumboischialgieforme Reizbeschwerden am linken Bein mit Sensibilitätsstörungen und einer funktionell sich kaum auswirkenden Fußsenkerschwäche bestünden.

Das SG hat schließlich ein drittes Gutachten von Prof. Dr. P ..., Chefarzt des Knappschafts-Krankenhauses B ... B ... eingeholt, das dieser in Zusammenarbeit mit seinem Oberarzt Dr. P ... unter dem 25.10.1996 erstattet hat. Darin ist ausgeführt, der Unfallmechanismus sei für eine Bandscheibenschädigung adäquat, weil ein tief im Boden verankertes Probenbohrrohr zu extrahieren gewesen sei, was mit großem Kraftaufwand geschehen sei und wobei J. in den Untergrund eingebrochen sei, wodurch es zu einer unvorhersehbaren und von außen unbeeinflußbaren Richtungsänderung des vorgesehenen Kraftflusses mit Umlenkung der ursprünglich vorgesehenen Extraktionskraft in eine Distorsionskraft auf die Lendenwirbelsäule mit seitlicher Verbiegung und rotatorischer Komponente gekommen sei. Darüber hinaus müsse berücksichtigt werden, daß diese Kraftumlenkung unter Maximalanspannung der Muskulatur im Rahmen des Extraktionsvorganges stattgefunden habe. Im Anschluß daran hätten sofort akute Lumbalbeschwerden mit völliger Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule und sich allmählich innerhalb von Stunden entwickelndem lumboradikulärem Syndrom vorgelegen. Das Ergebnis der Operation vom 21.08.1969 zeige eindeutige Hinweise auf eine traumatische Zerreißung der Bandscheibe, weil die Nervenwurzel S1 laut Operationsbericht narbig fixiert gewesen sei, was als Hinweis darauf zu sehen sei, daß nach Jahre zurückliegendem Unfallereignis narbige Umbauprozesse abgelaufen seien. Ein wesentlicher degenerativer Vorschaden habe nicht vorgelegen. Selbst Röntgenbilder aus dem Jahre 1985 hätten nur relativ geringfügige degenerative Veränderungen gezeigt. Nicht auf das Unfallereignis seien die späteren 1981 erhobenen Befunde zu beziehen, da insoweit ein längeres beschwerdefreies Intervall seit der Operation von 1969 bestanden habe. Der Gesamtschaden der Lendenwirbelsäule sei mit einer MdE um 40 v.H. zu bewerten, der unfallbedingte Anteil mit 20 v.H ...

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 11.04.1997 sind Prof. Dr. P ... und Dr. P ... bei ihrer Beurteilung geblieben und haben u.a. ausgeführt, es könne einem Versicherten nicht zum Nachteil gereichen, wenn er am fünften Tage nach dem Unfallereignis seiner Tätigkeit wieder nachgehe und die Arbeitsunfähigkeitszeit möglichst kurz halte. Dabei müsse berücksichtigt werden, daß sich J. noch in der Probearbeitszeit befunden habe.

Mit Urteil vom 12.09.1997 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 13.01.1998 zugestellte Urteil hat J. am 10.02.1998 Berufung eingelegt. Er hat geltend gemacht, das SG habe einseitig zu seinen Lasten das lückenhafte Material gewürdigt. Insoweit sei der Beklagten anzulasten, daß sie relevante Unterlagen vernichtet habe. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß er unter dem 16.08.1977 einen ersten Antrag auf Verletztenrente gestellt habe, werde die Verletzung der Aufbewahrungspflicht deutlich, weil sich lediglich ein Ablehnungsschreiben vom 22.09.1977, nicht jedoch sein entsprechender Antrag bei den Akten befinde. Völlig unberechtigt sei der Vorwurf des SG, daß er seine Angaben im Laufe des Verfahrens zu seinen Gunsten präzisiert habe. Er selbst habe als Laie keine hinreichenden Kenntnisse bezüglich der Frage traumatischer Bandscheibenschäden und erst die immer differenzierteren Fragestellungen der Gutachter hätten zur detailgenaueren Schilderung des Unfallhergangs geführt. Schließlich seien auch alle gehörten Sachverständigen zu einer für ihn positiven Zusammenhangsbeurteilung gelangt.

Die Klägerin, die als Rechtsnachfolgerin des J. das Verfahren aufgenommen hat, beantragt,

das Urteil des SG Köln vom 12.09.1997 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.06.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.1993 zu verurteilen, ihr als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten U ... J ... wegen der Folgen des vom Versicherten am 26.05.1965 erlittenen Arbeitsunfalls Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. ab dem 01.01.1986 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, ein geeignetes Unfallereignis sei nicht nachgewiesen. Auch die gehörten Sachverständigen seien nur unter Zugrundelegung der letzten Angaben des J. zu einer positiven Zusammenhangsbeurteilung gelangt. Die Darstellung des J. könne jedoch nicht als bewiesen angesehen werden. Daß der Bandscheibenvorfall anlagebedingt entstanden sein könne, werde auch dadurch belegt, daß es 1981 zu einem weiteren Bandscheibenvorfall ohne Trauma gekommen sei. Sie habe auch entgegen der Behauptung des J. ihrer zehnjährigen Aktenaufbewahrungspflicht Genüge getan. Es habe kein Anlaß bestanden, die Akten aus dem Antragsverfahren vor 1977 länger als bis zum Jahre 1987 aufzubewahren.

Der Senat hat die Klägerin vor Aufnahme des Verfahrens als Zeugin gehört und die Personalakte des J. von der Wehrbereichsverwaltung III beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der über J. bei der Wehrbereichsverwaltung III geführten Personalakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil sich die Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch auf Verletztenrente nicht feststellen lassen.

Der von J. erhobene und von der Klägerin weiterhin geltend gemachte Anspruch richtet sich noch nach den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung - RVO -, weil das Ereignis, dessen Entschädigung begehrt wird, vor Inkrafttreten des die RVO ablösenden Siebten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB VII - eingetreten ist (Art. 36 des Unfallversicherungs- Einordnungsgesetzes - UVEG - i. V. m. § 212 SGB VII).

Nach § 580 Abs. 1, 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO erhält der Verletzte eine Rente, wenn die zu entschädigende MdE über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert und seine Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls um wenigstens 1/5 gemindert ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, da sich nicht feststellen läßt, daß das Ereignis vom 26.05.1965 seit dem 01.01.1986 relevante Gesundheitsschäden bedingt hat.

Zutreffend hat das SG erkannt, daß das Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 22.09.1977 der Geltendmachung des Anspruchs nicht entgegensteht. Selbst wenn es sich hierbei um einen bindend (§ 77 SGG) gewordenen Verwaltungsakt über die Ablehnung der Anerkennung und Entschädigung des streitigen Ereignisses handeln sollte, war die Beklagte nicht gehindert und nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - sogar verpflichtet, in eine erneute Prüfung einzutreten, da J. unter Hinweis auf fortschreitende Gesundheitsstörungen die erneute Prüfung des Sachverhaltes beantragt hatte. Ob die Entscheidung der Beklagten insoweit als Überprüfungsbescheid im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB X oder als eine hiervon unabhängige Neubescheidung unter Verzicht auf die Berufung auf die Bindungswirkung anzusehen ist, kann dahinstehen.

Ob J. am 26.05.1965 überhaupt einen Arbeitsunfall erlitten hat, der einen von außen auf den Körper einwirkenden Vorgang voraussetzt (vgl. Ricke, Kasseler Kommentar, § 548 RVO Rdnr. 9 m.w.N.) oder ob sich nicht lediglich eine körpereigene innere Ursache manifestiert hat, kann ebenfalls dahinstehen, denn auch wenn man unterstellt, daß die Kraftentfaltung zwecks Herausziehen des Bohrers eine entsprechende Gewalteinwirkung bedeutet, läßt sich doch nicht wahrscheinlich machen, daß hierdurch der später diagnostizierte Bandscheibenschaden bei L 5/S 1 verursacht worden ist.

Wie letztlich alle gehörten Sachverständigen, insbesondere aber der als Gutachter des Vertrauens des J. gehörte Dr. H ..., dargelegt haben, wäre letzteres nur der Fall, wenn sich feststellen ließe, daß der Unfallhergang derart war, daß J. den knapp - 10 bis 20 cm - über dem Boden befindlichen Ausziehgriff des Vorgestänges erfaßte und beim Versuch, den Bohrer aus dem Erdboden zu ziehen, plötzlich mit dem linken Fuß wegrutschte und in das Erdreich einbrach, wobei es dann zu einer Rotationsbelastung der Wirbelsäule bei gleichzeitiger maximaler Muskelanspannung gekommen wäre. Ferner wäre der Nachweis erforderlich, daß bis zur Diagnose des Bandscheibenprolapses 1969 Brückensymptome im Sinne einer unmittelbar nach dem Unfall auf tretenden ischialgieformen Symptomatik mit dauerhafter Behandlungsbedürftigkeit vorgelegen haben. Dabei ist zu beachten, daß nur bezüglich des Nachweises des Kausalzusammenhangs zwischen einem Arbeitsunfall und dem Eintritt eines Gesundheitsschadens die hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend ist, die übrigen anspruchsbegründenden Tatsachen - hier also Hergang des Unfalls sowie Vorliegen von Gesundheitsschäden im Sinne der erforderlichen Brückensymptomatik - aber im Sinne des Vollbeweises mit einem der Gewißheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit feststehen müssen (BSG SozR 3 - 2200 § 548 Nr. 19; SozR 2200 § 548 Nrn. 38, 80, 84; 555 a Nr. 1; Krasney/ Udsching Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl., Rdnr. 156). Eine Tatsache ist aber erst dann bewiesen, wenn sie in einem so hohen Grade wahrscheinlich ist, daß alle Umstände nach entsprechender Abwägung und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 8, 59, 61; 48, 285; 58, 80, 83). Diese Überzeugung vermochte sich der Senat bezüglich des von J. und der Klägerin behaupteten Unfallhergangs sowie des Vorliegens dauerhafter Beschwerden zwischen 1965 und 1969 nicht zu verschaffen.

Dem stehen, wie schon das SG zu Recht ausgeführt hat, die Erstangaben über den Unfall entgegen. Auch wenn der entsprechende Bericht nicht von J. selbst, sondern von dem Beauftragten für den Betriebsschutz, dem Amtschef und dem Vorsitzenden des Personalrats unterzeichnet worden ist und die Klägerin in ihrer Aussage bekundet hat, ihr gegenüber sei ein ganz anderer Unfallhergang geschildert worden, so bleibt es für den Senat unerfindlich, warum entsprechend anderslautende Angaben erst in den 90er Jahren gemacht worden sind. Da der Unfall ohnehin nicht unverzüglich, sondern erst mehr als ein halbes Jahr später gemeldet worden ist, bestand für J. auch kein Anlaß mehr, das Ereignis zu bagatellisieren, zumal er zu diesem Zeitpunkt ohnehin in Krankenhausbehandlung stand und Gründe für die von der Klägerin vermutete Eilbedürftigkeit und daraus resultierende mangelnde Sorgfalt bezüglich der Unfallmeldung nicht ersichtlich sind. Hinzu kommt, daß im Anschluß an das Ereignis keine Arbeitsunfähigkeitszeit dokumentiert und auch keinerlei Hinweis auf die von der Klägerin behaupteten erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung des J. in der Folgezeit vorhanden ist.

Selbst wenn man zu ihren Gunsten unterstellt, daß, weil sich der Unfall an einem Mittwoch vor einem Feiertag ereignet hat, von einer formalen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Freitag durch den Dienstherrn Abstand genommen worden ist und J. wegen des bestehenden Probearbeitsverhältnisses am darauf folgenden Montag die Arbeit wieder aufgenommen hat, so spricht gerade der Umstand, daß ihm diese Arbeitsaufnahme möglich war, gegen den Eintritt einer erheblichen Beschwerdesymptomatik. Dem steht auch entgegen, daß für die Folgezeit bis 1969 mit Ausnahme der Krankenhausbehandlung Ende 1965 keine relevanten Fehlzeiten, insbesondere aber auch keine medizinischen Befunde im Sinne einer behandlungsbedürftigen Lendenwirbelsäulen- Erkrankung vorliegen und sich auch ansonsten keine Hinweise in der Personalakte des J. auf ein eingeschränktes Leistungsvermögen finden lassen. Dies steht auch wiederum im Einklang mit der in der Orthopädischen Universitätsklinik B ... 1969 erstellten Anamnese, in der keine Angaben über ein entsprechend schweres Trauma aus dem Jahre 1965 mit nachfolgenden dauerhaften Beschwerden und Behandlungsbedürftigkeit verzeichnet sind. Viel mehr wurde danach von J. Beschwerden seit ca. einem Jahr - also erst ab 1968 - angegeben. Warum J. diese Angaben in unzutreffender Weise gemacht haben oder warum er auch hier wieder falsch verstanden worden sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Zum Zeitpunkt der Operation im Jahre 1969 gab es auch weder dienstliche noch persönliche Gründe für J., das hier streitige Ereignis zu bagatellisieren oder seine Beschwerden herunterzuspielen. Unter diesen Umständen vermögen die gegenteiligen Bekundungen der Klägerin den Senat nicht zu überzeugen, da es durchaus naheliegend ist, daß sich bei ihr angesichts der zeitlichen Differenz zu dem Vorfall nach mehr als 30 Jahren die Vorstellungen über einen bestimmten Geschehensablauf entwickelt haben. Unter diesen Umstände kann auch der von J. unverschuldete Beweisnotstand infolge der zwischenzeitlich vernichteten Unterlagen nicht zu einer Beweiserleichterung (vgl. Krasney/ Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl., III Rdnr. 159) dergestalt führen, daß allein gestützt auf die Bekundungen der Klägerin und Angaben des J. die hier entscheidungserheblichen Tatsachen als bewiesen angesehen werden könnten. Denn angesichts der aufgezeigten Widersprüche und Zweifelsfragen käme dies einer in der Regel unzulässigen Beweislastumkehr gleich (vgl. dazu Keller, SGb 1995, 474 ff.). Die objektive Beweislast der anspruchsbegründeten Tatsachen obliegt aber der Klägerin (BSG SozR 2200 § 548 Nrn. 4, 11, 14).

Schließlich muß auch beachtet werden, daß J. offensichtlich für die Entstehung entsprechender Bandscheibenvorfälle prädisponiert war. Nach übereinstimmender Ansicht aller gehörten Ärzte ist der 1981 diagnostizierte Bandscheibenvorfall bei L 4/5 nicht traumatischer Natur, sondern schicksalhaft entstanden. Unter diesen Umständen sind auch die Hinweise des Sachverständigen Prof. Dr. P ... auf die seiner Ansicht nach 1985 noch nicht wesentlich vorgeschädigte Wirbelsäule und der daraus gezogene Schluß auf einen traumatischen Ursachenzusammenhang bezüglich des ersten Bandscheibenvorfalls unergiebig, weil sich insoweit nicht erklären läßt, warum es 1981 trotz mangelnder Vorschädigung zu einem weiteren Bandscheibenvorfall ohne äußeres Ereignis gekommen ist. Dasselbe gilt für die Darlegungen des Sachverständigen bezüglich der beschriebenen narbigen Umbauprozesse, da sich insoweit keine konkreten Beziehungen zu dem 4 Jahre zuvor stattgefundenen Ereignis herstellen lassen.

Der Senat sieht keine Möglichkeit zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung, so daß die Folgen der objektiven Beweislosigkeit von der Klägerin zu tragen sind und Klage sowie Berufung erfolglos bleiben mußten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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