L 17 U 162/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 6 U 167/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 162/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08. April 1998 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) zustehen.

Der im Juni 1937 geborene Kläger verrichtete von 1952 bis 1988 die Tätigkeit eines Scherenschleifers. Von März 1988 bis zum Ende des Jahres 1994 war er bei der Firma K ..., S ... (K ...) GmbH & Cie. in W ... als Messer-Richter beschäftigt. Nach den Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten war er dort Lärmeinwirkungen mit einem Beurteilungspegel von 96 dB(A) ausgesetzt. Seit dem 01.01.1995 bezieht er von der LVA Rheinprovinz Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Im August 1990 erstattete das genannte Unternehmen, im März 1991 der Hals-, Nasen- und Ohren(HNO)-Arzt Dr. B ... in S ... Anzeige wegen des Verdachts auf das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit.

Im anschließenden Feststellungsverfahren erstattete der HNO-Arzt Dr. R ... in W ... am 05.07.1991 ein Gutachten, in dem er das Bestehen einer Lärmschwerhörigkeit bejahte und die dadurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 15 vom Hundert (v.H.) einschätzte. Von einem Arbeitsplatzwechsel riet der Gutachter aus sozialen und persönlichen Gründen ab.

Nachdem der Staatliche Gewerbearzt dem Gutachten des Dr. R ... zu gestimmt hatte, erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 01.10.1991 das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV an, lehnte jedoch die Gewährung einer Rente ab, weil die beruflich verursachte Hörstörung keine rentenberechtigende MdE bedinge. Gleichzeitig wies sie den Kläger mit Schreiben vom 01.10.1991 darauf hin, daß sich ein weiteres Absinken seines Hörvermögens durch betrieblichen Lärm durch das bestimmungsgemäße Tragen von persönlichem Gehörschutz verhüten lasse und daß er verpflichtet sei, den Gehörschutz zu benutzen. Den Arbeitgeber-Betrieb forderte sie auf, darüber zu wachen, daß der Kläger nicht ohne den Gehörschutz im Lärm arbeitet.

Auf den vom Kläger im Dezember 1993 gestellten Antrag, mit dem er ein wesentlich verschlechtertes Hörvermögen geltend machte, leitete die Beklagte ein Neufeststellungsverfahren ein und ließ den Kläger durch Prof. Dr. L ..., Direktor der HNO-Klinik des Klinikums B ... in W ..., begutachten. In dem zusammen mit Dr. S ... am 03.08.1994 erstatteten Gutachten wurde die Schwerhörigkeit des Klägers mit einer MdE von insgesamt 70 v.H. und der lärmbedingte Anteil der MdE mit 35 v.H. eingeschätzt. Außerdem hielten die Gutachter einen Arbeitsplatzwechsel an einen schallarmen Arbeitsplatz für dringend erforderlich.

In seiner dazu von der Beklagten eingeholten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 24.02.1995 hielt Prof. Dr. P ..., Arzt für Arbeits- und Sozialmedizin und Leitender Gewerbemedizinaldirektor in B ..., die von Prof. Dr. L ... und Dr. S ... vorgenommene Beurteilung für nicht nachvollziehbar.

Nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. L ... vom 05.05.1995 veranlaßte die Beklagte eine weitere Begutachtung des Klägers durch Prof. Dr. B ..., Chefarzt der HNO-Klinik des Krankenhauses H ... in K ... Dieser beschrieb in seinem Gutachten vom 08.09.1995 eine knapp mittelgradige Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr des Klägers und eine gering- bis mittelgradige Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohr, die bereits im Jahre 1991 vorhanden gewesen sei. Die beidseits ebenfalls im Tief- und Mitteltonbereich bestehende Schwerhörigkeit sah Prof. Dr. B ... als Folge individuell degenerativer Prozesse an und führte weiter aus, das beidseitige Ohrgeräusch könne aufgrund dieser Situation einer eindeutigen Ursache nicht zugeordnet werden. Eine wesentliche Verschlimmerung durch beruflich bedingte Lärmexposition könne im Vergleich zum Vorgutachten des Dr. R ... aus dem Jahre 1991 nicht festgestellt werden. Die lärmbedingte MdE schätzte der Gutachter daher weiterhin auf 15 v.H. ein.

Mit Bescheid vom 04.07.1996, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 07.10.1996, lehnte die Beklagte daraufhin erneut die Gewährung einer Rente ab.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf - S 6 U 229/96 - kam Prof. Dr. P ..., Chefarzt der HNO-Klinik am P ...-Hospital in R ..., in seinem vom SG veranlaßten Gutachten vom 13.02.1997 zu dem Ergebnis, die beim Kläger feststellbare geringgradige Schwerhörigkeit beiderseits mit Ohrgeräuschen sei mit einer MdE von 20 v.H. einzuschätzen.

Im Hinblick auf einen vom Kläger am 02.05.1961 erlittenen Arbeitsunfall mit daraus resultierender MdE von 10 v.H. unterbreitete die Beklagte - gestützt auf eine von ihr eingeholte beratungsärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. G ..., Direktor der HNO-Klinik der H ...-H ...-Universität D ..., vom 17.04.1997 - dem Kläger ein Vergleichsangebot, wonach sie sich verpflichtete, wegen der bereits anerkannten Lärmschwerhörigkeit Rente nach einer MdE von 15 v.H. ab dem 01.01.1989 zu gewähren und als Folgen der BK eine geringgradige Innenohrschwerhörigkeit beiderseits anzuerkennen. Nicht als Folgen der BK wurden anerkannt eine Schwerhörigkeitskomponente beiderseits betreffend die mittleren und insbesondere die tiefen Frequenzen sowie die Ohrgeräusche/das Ohrensausen beiderseits, weil sich deren Verursachung durch die beruflichen Lärmeinwirkungen nicht wahrscheinlich machen lasse. Der Kläger stimmte diesem Vergleichsvorschlag am 30.05.1997 zu.

Zu dem vom Kläger im November 1996 gestellten Antrag auf Bewilligung von Leistungen gemäß § 3 Abs. 2 BKV holte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. P ... ein, der unter dem 03.02.1997 ausführte, Maßnahmen gemäß § 3 BKV seien nicht erforderlich, da der Kläger ohnehin aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei und nach der Art der Lärmbelastung am früheren Arbeitsplatz persönliche Gehörschutzmaßnahmen bei Weiterarbeit voll ausgereicht hätten.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 20.03.1997 die Gewährung von Maßnahmen gemäß § 3 BKV ab, weil der vorliegenden Lärmgefährdung durch geeignete persönliche Schutzmaßnahmen (Tragen von Gehörschutz) ausreichend hätte begegnet werden können, so daß insofern zu keinem Zeitpunkt ein objektiver Zwang zur Aufgabe der beruflichen Tätigkeit vorgelegen habe. Den dagegen am 16.04.1997 eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, seine Hörstörung sei so erheblich, daß ein Verbleiben im Lärmbereich nicht mehr vertretbar gewesen sei, zumal offenbar Impulslärmspitzen extremer Art angefallen seien.

Durch Widerspruchsbescheid vom 11.07.1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, gegen die konkrete Gefahr des Eintritts einer Verschlimmerung spreche der Umstand, daß eine Zunahme der Lärmschwerhörigkeit seit 1989 nicht festzustellen gewesen sei. Dem Anspruch auf Gewährung von Übergangsleistungen stehe aber auch der Umstand entgegen, daß der Kläger seit Januar 1995 Erwerbsunfähigkeitsrente beziehe und somit nicht mehr dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe. Es liege kein erkennbarer Wille mehr vor, eine neue berufliche Tätigkeit wieder auszuüben.

Dagegen hat der Kläger am 22.07.1997 Klage beim SG Düsseldorf er hoben, sein bisheriges Vorbringen wiederholt und ferner geltend gemacht, die Gefahr der Verschlimmerung der BK habe in ganz erheblichem Maße bestanden, zumal zusätzlich noch eine berufsunabhängige Schwerhörigkeitskomponente vorhanden gewesen sei. Insofern sei die Tätigkeitsaufgabe objektiv geboten gewesen, zumal der Gehörschutz nicht 100 %-ig wirke. Auch die Tatsache, daß er vorzeitig aus gesundheitlichen Gründen in Rente gegangen sei, schließe Leistungen nach § 3 BKV nicht aus.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.03.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.1997 zu verurteilen, ihm Übergangsleistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat auf den Inhalt ihrer Verwaltungsentscheidungen verwiesen.

Mit Urteil vom 08.04.1998 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 02.06.1998 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30.06.1998 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er im wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.04.1998 abzuändern und nach seinem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen, hilfsweise arbeitstechnischen und medizinischen Sachvertändigenbeweis zu erheben, daß die Gefahr einer weiteren Verschlimmerung der Schwerhörigkeit und der Ohrgeräusche bestanden hätte bei weiterer Arbeit im Lärmbereich von 96 dB.

Die Beklagte, die das angefochtene Urteil für zutreffend hält, beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die den Kläger betreffende Rentenakte von der LVA Rheinprovinz, auf deren Inhalt verwiesen wird, beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und beschwert den Kläger daher nicht i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Dieser hat keinen Anspruch auf die von ihm begehrten Übergangsleistungen gemäß § 3 Abs. 2 BKV, denn die hierfür erforderlichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Nach dieser Vorschrift haben Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr (i.S.d. Abs. 1, nämlich die Gefahr, daß eine BK entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert) fortbesteht, zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderungen des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf Übergangsleistungen.

Ein Anspruch auf solche Leistungen setzt voraus, daß die Gefahr einer BK trotz präventiver Maßnahmen nach Abs. 1 fortbesteht und die Notwendigkeit der Aufgabe der Tätigkeit durch den Versicherten bei objektiver Betrachtung hierauf zurückzuführen ist (vgl. Mehrtens/Perlebach, Kommentar zur Berufskrankheiten-Verordnung, G § 3 Rdn. 5). Da beim Kläger bereits mit Bescheid vom 01.10.1991 eine BK nach Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) der Anlage zur BKV an erkannt worden war, konnte und kann es im vorliegenden Fall mithin nur darum gehen, ob bei Fortsetzung der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit die Gefahr der Verschlimmerung dieser BK bestand.

Dies war hier nicht der Fall.

Eine Gefahr der Verschlimmerung kommt in Frage bei bereits eingetretenen BK en, sofern bei Fortsetzung der gefährdenden beruflichen Einwirkungen weitere Gesundheitsschäden drohen, wie z.B. bei der Lärmschwerhörigkeit. Einzubeziehen ist auch die Gefahr, daß zu der bereits eingetretenen Erkrankung aufgrund der fortgesetzten Einwirkung weitere Begleiterscheinungen hinzutreten (Mehrtens/ Perlebach a.a.O., Rdn. 2.4). Bei der Gefahr i.S.d. § 3 BKV muß es sich um eine konkrete, besondere individuelle Gefahr für den Versicherten handeln, die der Schlüssel zur Anwendung des § 3 ist, der die individuelle BK-Prävention zum Ziel hat (Mehrtens/ Perlebach a.a.O., Rdn. 2.5 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 16.03.1995, HV-Info 18/1995, 1505). Die für eine BK relevanten, besonderen, schädigenden Einwirkungen müssen den Versicherten am konkreten Arbeitsplatz treffen und in seiner Person die individuelle Gefahr begründen, daß sie i.S.d. Kausalitätsanforderungen in der gesetzlichen Unfallversicherung eine BK entstehen, wieder aufleben oder - was für den vorliegenden Fall einschlägig ist - verschlimmern lassen (Mehrtens/Perlebach a.a.O. mit Hinweis auf BSGE 40, 146, 148). Eine Gefahr i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 BKV liegt vor, wenn das Risiko einer Schädigung für den Versicherten über den Grad hinausgeht, der bei anderen Versicherten bei einer vergleichbaren Beschäftigung besteht (vgl. z.B. Urteile des BSG vom 22.03.1983 - 2 RU 22/81 - und vom 25.10.1989 - 2 RU 57/88 -; Mehrtens/Perlebach a.a.O. m.w.N.).

Der Gefahr i.S.d. § 3 Abs. 1 BKV haben die Unfallversicherungsträger mit allen geeigneten Mitteln entgegenzuwirken. Solche Mittel können auch persönliche Schutzmaßnahmen sein. Als solche Schutzmaßnahmen kommen am Körper zu tragende Hilfsmittel in Betracht, die aufgrund technischer Beurteilung geeignet sind, die Gefährdung durch den schädigenden Stoff bzw. die schädigende Einwirkung zu beseitigen oder im notwendigen Umfang zu mindern, wie z.B. Gehörschutz (Mehrtens/Perlebach a.a.O., Rdn. 3.4). Zu berücksichtigen ist, ob das Tragen persönlicher Schutzausrüstung auch aus medizinischer Sicht zu dem erwarteten Erfolg führt und dem Versicherten zumutbar ist.

Insoweit hatte bereits Dr. R ... in seinem Gutachten vom 05.07.1991, das dem Bescheid der Beklagten vom 01.10.1991 zugrundelag, ausgeführt, daß bei Lärmexposition die Benutzung von ausreichendem persönlichem Gehörschutz erforderlich sei. Die Be klagte hatte den Kläger unter dem 01.10.1991 darauf hingewiesen, daß sich ein weiteres Absinken seines Hörvermögens durch betrieblichen Lärm durch bestimmungsgemäßes Tragen von persönlichem Gehörschutz, und zwar in seinem Falle durch die Benutzung von Gehörschutz für die Geräuschklasse I, verhüten lasse. Sie hatte gleichzeitig den Arbeitgeber des Klägers angewiesen, darüber zu wachen, daß der Kläger ohne den erforderlichen Gehörschutz nicht im Lärm arbeitet. Aufgrund dieser Maßnahmen ist davon auszugehen, daß der Kläger bei Fortsetzung seiner beruflichen Tätigkeit den Gehörschutz auch getragen hat.

Daß diese Maßnahmen ausreichend und wirksam waren, wird durch den Umstand belegt, daß sich nach den in den Akten befindlichen Gutachten eine Verschlimmerung der BK "Lärmschwerhörigkeit" durch die Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit des Klägers nicht feststellen läßt. Dem steht das am 03.08.1994 erstattete Gutachten von Prof. Dr. L ..., in dem eine solche Verschlimmerung angenommen worden ist, nicht entgegen, denn der Beurteilung dieses Gutachters kann nicht gefolgt werden. Darauf haben nicht nur Prof. Dr. P ... in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 24.02.1995, sondern auch Prof. Dr. B ... und der im Vorprozeß - S 6 U 229/96 SG Düsseldorf - als Sachverständiger gehörte Prof. Dr. P ... hingewiesen.

Prof. Dr. B ... hat in seinem Gutachten vom 08.09.1995, das auf einer im Juli 1995 erfolgten Untersuchung des bereits Ende 1994 aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Klägers beruht, ausgeführt, eine wie im Gutachten von Prof. Dr. L ... beschriebene Verschlimmerung durch weitere beruflich bedingte Lärmexposition liege bei vergleichbaren Ergebnissen zum Gutachten des Dr. R ... aus dem Jahre 1991 nicht vor. Auch Prof. Dr. P ... hat in seinem Gutachten vom 13.02.1997 dargelegt, daß die Schwerhörigkeit des Klägers seit der Untersuchung durch Dr. R ... im Jahre 1991 keine wesentliche Verschlimmerung erfahren habe, wie dies auch von Prof. Dr. B ... festgestellt worden sei. Soweit Prof. Dr. P ... allerdings auch die beiderseitigen Ohrgeräusche ursächlich auf die berufliche Lärmeinwirkung zurückgeführt und diese als BK-Folgen angesehen hat, kann auch ihm nicht gefolgt werden, weil es insoweit an einer ausreichenden Begründung fehlt. Insoweit hatte Prof. Dr. B ... die beidseits ebenfalls im Tief- und Mitteltonbereich bestehende Schwerhörigkeit als Folge individuell degenerativer Prozesse, mithin als bk-unabhängig angesehen und ausgeführt, aufgrund dieser Situation könne das beidseits bestehende Ohrgeräusch einer eindeutigen Ursache nicht zugeordnet werden. Schließlich hat auch die Beklagte in ihrem im Vorprozeß unter dem 05.05.1997 unterbreiteten und vom Kläger angenommenen Vergleichsvorschlag, der auf eine Stellungnahme des Prof. Dr. G ... vom 17.04.1997 gestützt war, die Ohrgeräusche/das Ohrensausen beiderseits ausdrücklich nicht als Folgen der BK anerkannt. Dem entspricht auch der unter dem 21.10.1997 erteilte Ausführungsbescheid.

Was nun das für einen Anspruch nach § 3 Abs. 2 BKV erforderliche Unterlassen der gefährdenden Tätigkeit anbelangt, so ist es zwar nicht erforderlich, daß der Unfallversicherungsträger den Versicherten dazu angehalten hat. Auch der Versicherte selbst kann auf grund eigenen Entschlusses die gefährliche Beschäftigung ohne Zutun des Unfallversicherungsträgers aufgeben. In der Person des Versicherten müssen jedoch alle Voraussetzungen erfüllt sein, unter denen der Unfallversicherungsträger selbst das Unterlassen der Tätigkeit gefordert hätte. Der Betroffene muß seine Tätigkeit - wesentlich bedingt durch die Gefahr i.S.d. § 3 BKV, die anders für ihn nicht zu beseitigen ist - tatsächlich nicht mehr ausüben. Dies ist im Wege einer nachträglichen objektiven Betrachtungsweise festzustellen.

Eine derartige Feststellung kann hier in einem für den Kläger positiven Sinne nicht getroffen werden. Wenn nämlich aufgrund der Gutachten von Prof. Dr. B ... und Prof. Dr. P ... eine Verschlimmerung der BK und ihrer anerkannten Folgen durch Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit mit Lärmexposition nicht als wahrscheinlich gemacht angesehen werden kann, dann läßt dies bei rückschauender Betrachtungsweise auch den Schluß zu, daß die konkrete, individuelle Gefahr der Verschlimmerung der BK beim Kläger nicht bestand, eben weil das Tragen persönlichen Gehörschutzes aus reichend gewesen ist, um einer solchen Gefahr wirksam zu begegnen.

So hat auch der von der Beklagten gehörte Beratungsarzt Prof. Dr. P ... in seiner Stellungnahme vom 03.02.1997 u.a. ausgeführt, daß nach Art der Lärmbelastung am früheren Arbeitsplatz persönliche Gehörschutzmaßnahmen bei Weiterarbeit voll ausgereicht hätten und insofern Maßnahmen nach § 3 nicht erforderlich gewesen seien, erst recht kein Arbeitsplatzwechsel. Zwar hatte Prof. Dr. L ... einen solchen Wechsel an einen schallarmen Arbeitsplatz für dringend erforderlich gehalten. Diesem Gutachten kann jedoch insgesamt - wie bereits oben dargelegt - aus den von Prof. Dr. B ... und Prof. Dr. P ... angeführten Gründen, wonach die von Prof. Dr. L ... gewonnenen Untersuchungsergebnisse nicht hinreichend verwertbar waren und eine objektive Beurteilung nicht zuließen, nicht gefolgt werden. In keinem der anderen Gutachten findet sich ein Hinweis darauf, daß dem Kläger die Fortsetzung seiner beruflichen Tätigkeit bei Tragen persönlichen Gehörschutzes nicht möglich und zumutbar war.

Ein objektiver Zwang zum Unterlassen der Tätigkeit wegen konkreter, individueller Gefahr der Verschlimmerung der BK läßt sich mithin bei retrospektiver Betrachtungsweise nicht feststellen.

Soweit der Kläger vorbringt, die Einstellung der beruflichen Tätigkeit auch aus Sicht der Lärmschwerhörigkeit sei dringend geboten gewesen, weil hier offenbar exorbitante Lärmspitzen aufgetreten sein müßten, gibt diese nunmehr aufgestellte, durch nichts belegte Behauptung bzw. Vermutung keinen Anlaß zu einer anderen Beurteilung. Abgesehen davon, daß sich diesbezüglich in den Angaben des Klägers anläßlich der verschiedenen Begutachtungen keinerlei Hinweise finden, steht seinem Vorbringen jedenfalls entgegen, daß eine tatsächlich eingetretene Verschlimmerung seiner BK gerade nicht nachgewiesen werden konnte und von daher der Rückschluß gerechtfertigt ist, daß auch die Gefahr einer Verschlimmerung und mithin auch der objektive Zwang zum Unterlassen der Tätigkeit nicht bestand. Schon aus diesem Grunde ist der vom Kläger geltend gemachte Anspruch zu verneinen, ohne daß es dazu noch der hilfsweise beantragten Erhebung arbeitstechnischen und medizinischen Sachverständigenbeweises bedurfte.

Darüber hinaus fehlt es vorliegend aber auch an der von § 3 Abs. 2 BKV verlangten zweiten Kausalkette, nämlich an der ursächlichen Verknüpfung zwischen der Tätigkeitsaufgabe und dem eingetretenen Minderverdienst des Klägers.

Dieser ist nach vorangegangener Arbeitsunfähigkeit Ende 1994 aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und bezieht seit dem 01.01.1995 Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Zwar schließt der Eintritt von Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich den Anspruch auf Übergangsleistungen nicht aus. Voraussetzung dieses Anspruchs ist aber, daß durch das Unterlassen der gefährdenden Tätigkeit wegen fortbestehender Gefahr i.S.d. § 3 Abs. 1 BKV Minderungen des Verdienstes oder sonstige wirtschaftliche Nachteile verursacht worden sind. Ein ursächlicher Zusammenhang muß also so wohl zwischen der drohenden BK - bzw. hier der drohenden Verschlimmerung einer BK - und der Einstellung der Tätigkeit als auch zwischen diesem Einstellen und dem Minderverdienst oder sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen bestehen (Mehrtens/Perlebach a.a.O., Rdn. 5.10 m.w.N.). Gibt daher der Versicherte seinen bisherigen Arbeitsplatz auf, obwohl eine Weiterbeschäftigung bei Meidung des schädigenden Stoffes bzw. der schädigenden Einwirkungen - hier Lärm - durch geeignete Schutzmaßnahmen - hier Tragen persönlichen Gehörschutzes - möglich gewesen wäre, so fehlt es am ursächlichen Zusammenhang zwischen der Gefährdung und der Einstellung der Tätigkeit sowie dem vorübergehend eingetretenen Minderverdienst.

Tritt die Erwerbsunfähigkeit unabhängig von den Folgen einer anerkannten BK bzw. von dem Gesundheitszustand, der die konkrete Ge fahr i.S.d. § 3 Abs. 1 BKV begründet, ein, so liegt ab diesem Zeitpunkt ein ursächlich auf die etwaige festgestellte konkrete Gefahr zurückzuführender Minderverdienst nicht mehr vor. Nur dann, wenn die Feststellung der Erwerbsunfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger allein oder zumindest wesentlich auf der Gesundheitsstörung beruht, welche die konkrete Gefahr i.S.v. § 3 Abs. 1 BKV begründet, ist ein Entfallen der Übergangsleistung nicht zu rechtfertigen (Mehrtens/Perlebach a.a.O., Rdn. 5.11).

So liegen die Dinge hier aber nicht.

Wie sich aus der vom Senat beigezogenen, den Kläger betreffenden Rentenakte der LVA Rheinprovinz ergibt, ist die Erwerbsunfähigkeit vielmehr völlig unabhängig von den Folgen der anerkannten BK "Lärmschwerhörigkeit" bzw. von dem eine etwaige Gefahr der Verschlimmerung i.S.d. § 3 Abs. 1 BKV begründenden Gesundheitszustand eingetreten. Für diese Wertung sind folgende Gründe anzuführen:

Zu dem im Juli 1994 gestellten Rentenantrag wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit hat der Kläger ein Attest des praktischen Arztes J ... vom 01.07.1994 vorgelegt, in dem es heißt, der Kläger sei den Belastungen seines Berufes (schwere körperliche Arbeit als Richter in der Stahlindustrie) nicht mehr gewachsen. Es bestünden schwere Schäden am Skelett- und Gelenkapparat (im Bereich der Schulter, der Wirbelsäule [WS] und des linken Ellenbogens, nämlich Spondylarthrosen, Osteochondrosen, Bandscheibenleiden, Epicondylitis radialis, schwere Myoarthralgien), weshalb eine vorzeitige Berentung geprüft werden sollte.

Dem entsprechen die persönlichen Angaben des Klägers vor dem Senat, wonach er zuletzt im Oktober 1994 seine berufliche Tätigkeit ausgeübt hat, dann wegen Rückenbeschwerden krankgeschrieben worden ist, bis zur Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente (ab 01.01.1995 gemäß Bescheid vom 11.01.1995) nicht mehr gearbeitet hat und auch der Rentenantrag wegen der Rückenbeschwerden gestellt worden ist.

Bei der Begutachtung des Klägers durch den Ärztlichen Dienst der LVA Rheinprovinz - Obermedizinalrätin Dr. B ... - (Untersuchung am 15.09.1994, Gutachten vom 19.09.1994) haben zahlreiche medizinische Unterlagen aus den Jahren ab 1990, vornehmlich den Skelett- und Bewegungsapparat betreffende Röntgenbefunde, aber auch die arbeitsmedizinische Beurteilung des im Werkarzt-Zentrum W ...- C ... e.V. tätigen Werkarztes K ... vom 12.09.1994 vorgelegen. Dieser hat darin die anerkannte Lärmschwerhörigkeit lediglich als bekannte Vorerkrankung erwähnt und angemerkt, der Kläger trage beidseitig Hörgeräte. Im übrigen hat der Werkarzt über ständige haus- und fachärztliche Behandlungen wegen eines rezidi vierenden Halswirbelsäulen(HWS)- und Schulter-Arm-Syndroms und über wiederholte Behandlungen wegen Epicondylitiden sowie über eine im November/Dezember 1993 durchgeführte Varizen-Operation berichtet und mitgeteilt, bei der Untersuchung der WS hätten sich eine deutliche linkskonvexe Skoliose und ein Druck- und Klopfschmerz im oberen Lendenwirbelsäulen(LWS)-Bereich gefunden. Die körperliche Belastung bei der Tätigkeit des Klägers in der Richterei einer Maschinenmesserfabrik hat der Werkarzt als schwer bezeichnet und weiter ausgeführt, er habe - da eine Umbesetzung innerhalb der Firma auf einen leichteren Arbeitsplatz nicht möglich sei - für den jetzigen Arbeitsplatz des Klägers eine Einschränkung dergestalt vornehmen müssen, daß bei Heben und Tragen von Lasten über 20 kg auf kollegiale Hilfe zurückgegriffen werden solle. Obwohl der Kläger dies - wie es weiter heißt - weitgehend befolgt habe, hätten sich seine Beschwerden durch diese Maßnahme nicht gebessert. Aufgrund der fortbestehenden Beschwerden leite der Kläger jetzt ein Rentenverfahren ein. Diese arbeitsmedizinische Beurteilung des Werkarztes macht bereits deutlich, daß für die Einleitung des Rentenverfahrens wegen Erwerbsunfähigkeit und für die zum Ende des Jahres 1994 - nach vorangegangener Arbeitsunfähigkeit wegen Rückenbeschwerden - tatsächlich erfolgte Tätigkeitsaufgabe die anerkannte Lärmschwerhörigkeit und eine etwaige darauf bezogene Verschlimmerungsgefahr überhaupt keine Rolle gespielt haben.

Daß für den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit des Klägers dessen Gesundheitsstörungen im Bereich des Skelett- und Bewegungsapparates eindeutig im Vordergrund gestanden haben, wird schließlich auch durch das Rentengutachten der Obermedizinalrätin Dr. B ... vom 19.09.1994 bestätigt. Darin wird die Lärmschwerhörigkeit beiderseits und das Tragen von Hörgeräten beiderseits bei den Angaben zur Vorgeschichte erwähnt und auch in der langen Reihe der Diagnosen aufgeführt. Für die von der Gutachterin getroffene Feststellung, daß der Kläger zukünftig nicht mehr in der Lage sei, eine regelmäßige Erwerbstätigkeit auszuüben, hat die Lärmschwerhörigkeit aber keine, allenfalls eine völlig untergeordnete Bedeutung gehabt. Dies ergibt sich aus der Epikrise des Gutachtens, in der von der Lärmschwerhörigkeit keine Rede mehr ist. Vielmehr ist darin auf die schwere körperliche Arbeit des Klägers und dessen vorgetragene Beschwerden in sämtlichen Fingergelenken, im linken Ellenbogengelenk und linken Schultergelenk sowie im Bereich der LWS mit Ausstrahlung in beide Hüftgelenke und auf die Veränderungen im Bereich der gesamten WS sowie auf weitere röntgenologisch verifizierte Diagnosen im Hand-, Arm- und Schulterbereich sowie im Hüftbereich eingegangen worden. Ferner ist aufgrund einer deutlichen Linksverbreiterung des Herzens im Röntgenbild die Verdachtsdiagnose einer coronaren Herzerkrankung gestellt worden. Wenn es im Anschluß daran zusammenfassend heißt, unter Berücksichtigung des Gesamtbefundes bei fortgeschrittenem Alter, insbesondere im Hinblick auf die zahlreichen Veränderungen und Beschwerden im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates, sei der Versicherte zu künftig nicht mehr in der Lage, eine regelmäßige Erwerbstätigkeit auszuüben, so kann es nach Auffassung des Senats keinem berechtigten Zweifel unterliegen, daß die Erwerbsunfähigkeit des Klägers auf den eindeutig im Vordergrund stehenden, den Skelett- und Bewegungsapparat betreffenden Leiden beruht und die Lärmschwerhörigkeit - wenn überhaupt - lediglich eine völlig untergeordnete Bedeutung für die Beurteilung gehabt hat.

Entgegen der vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers nach erfolgter Einsichtnahme in die Rentenakte der LVA Rheinprovinz geäußerten Ansicht kann der Formulierung "unter Berücksichtigung des Gesamtbefundes" nach dem er kennbaren Gesamtzusammenhang der gutachterlichen Beurteilung mit den eindeutig in den Vordergrund gerückten zahlreichen Veränderungen und Beschwerden im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates nicht die Bedeutung beigemessen werden, für die Feststellung der Erwerbsunfähigkeit habe die Lärmschwerhörigkeit mehr als nur eine allenfalls untergeordnete Rolle gespielt.

Ist aber hiernach davon auszugehen, daß die Erwerbsunfähigkeit des Klägers mit der Folge der Tätigkeitsaufgabe durch die mit deutlich überragendem Gewicht im Vordergrund stehenden bk-unabhängigen Leiden und nicht rechtlich wesentlich durch die Lärmschwerhörigkeit herbeigeführt worden ist, so läßt sich der erforderliche ursächliche Zusammenhang weder zwischen einer etwa drohenden Verschlimmerung der BK und der Einstellung der Tätigkeit noch zwischen diesem Einstellen und dem Minderverdienst oder sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen begründen.

Damit scheitert der geltend gemachte Anspruch auf Übergangsleistungen auch aus diesem Grunde.

Bei dieser Sach- und Rechtslage war dem hilfsweise gestellten Beweisantrag wegen Beweisunerheblichkeit nicht zu entsprechen.

Weil sich nach allem die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen der Beklagten als rechtmäßig erweisen, konnten Klage und Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Es bestand kein Anlaß, die Revision zuzulassen, denn die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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