L 17 U 289/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 113/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 289/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 11.10.1999 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 05.11.1998 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 21.04.1999 verurteilt, der Klägerin wegen der Folgen der Berufskrankheiten nach den Nummern 5101 und 4301 der Anlage zur BKV Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. ab dem 10.06.1990 zu gewähren. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Verletztenrente wegen der Folgen einer berufsbedingten Haut- und obstruktiven Atemwegserkrankung im Sinne (i.S.) der Nrn. 5101 und 4301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Die ... geborene Klägerin war von 1977 bis 1987 als Krankenschwester in verschiedenen Kliniken tätig. Bereits während des Krankenpflegedienstpraktikums kam es erstmals zu einem Asthmaanfall; diese Anfälle häuften sich in der Folgezeit. Es kam zu Juckreiz, Hautrötungen sowie zunehmender Luftnot. Prof. Dr ..., Dermatologische Klinik des Zentralkrankenhauses ..., diagnostizierte am 03.05.1978 zunächst eine Neurodermitis und Asthmabronchiale. Während ihrer Tätigkeit als Krankenschwester war die Klägerin einer inhalativen und kutanen Latexbelastung ausgesetzt. In einer psychiatrischen Tagesklinik arbeitete die Klägerin in der Zeit von Januar 1988 bis zur Aufgabe dieser Tätigkeit Anfang Juni 1990 ohne Latexkontakt. Wegen einer Tubargravidität der linken Tube erfolgte 1988 eine Laparotomie, bei der es während der Operation zu einer anaphylaktischen Reaktion mit hauptsächlich pulmonaler Ausprägung kam, die eine intensiv-medizinische Therapie des anaphylaktischen Geschehens erforderlich machte. Nach Beendigung ihres Erziehungsurlaubes war sie von Anfang 1996 bis zum 01.05.1998 als freie Mitarbeiterin beim medizinischen Dienst einer Krankenkasse und danach als Krankenschwester im Sozialpsychiatrischen Zentrum in ... - ebenfalls ohne Latexexposition - tätig. Seit dem 01.05.2000 arbeitet sie als Sozialarbeiterin im Bereich "Betreutes Wohnen".

Am 24.08.1995 erstattete Dr ..., Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie der Universität ..., eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit (BK) - Latexallergie -. Die Beklagte zog umfangreiche ärztliche Unterlagen bei, aus denen sich u.a. ergab, dass die Klägerin seit dem 2. Lebensjahr an einer Neurodermitis litt und mehrfach schwere Ekzemschübe aufgetreten waren. Seit 1975 bestand zudem ein Asthma bronchiale, das zu einer stationären Aufnahme wegen eines Status asthmaticus 1977 im Zentralkrankenhaus in Bremen geführt hatte. Dort wurde eine Sensibilisierung gegenüber ubiquitären, saisonalen Allergenen beschrieben. Im April/Mai 1978 führte die Klägerin ein Heilverfahren im ...heilbad ... durch.

Nachdem der beratende Arzt der Beklagten, der Hautarzt und Allergologe ... in ..., eine Typ-I-Sensibilisierung gegenüber Latex diagnostiziert und die Einholung eines fachdermatologischen Gutachtens empfohlen hatte, erstattete auf Veranlassung der Beklagten der Hautarzt Dr ... in L. am 17.11.1997 ein arbeitsmedizinisch-dermatologisches Gutachten, in dem er eine berufsbedingte Sensibilisierung der Klägerin gegen Naturlatex bestätigte und die dadurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 15 vom Hundert (v.H.) ab Aufgabe der schädigenden Tätigkeit bewertete. Dr ... vertrat in seiner weiteren gutachterlichen Stellungnahme vom 12.02.1998 die Auffassung, dass die Auswirkung der Latex-Typ-I-Sensibilisierung unter Würdigung der klinischen Symptome und der Verbreitung des Allergens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als mittelgradig anzusehen sei. Berufsbedingte Hautveränderungen seien jedoch nicht mehr zu verzeichnen. Die nunmehr bestehenden Hautveränderungen seien sämtlich der atopischen Dermatitis zuzuordnen. Daher schätze er die MdE auf 10 v.H. ein.

Hinsichtlich der angezeigten Atemwegserkrankung kam der Internist und Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde/Allergologie, Dr ..., am 08.07.1997 in seiner gutachterlichen Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein Atopiesyndrom vorliege mit einer eindeutigen Latexallergie mit obstruktiver und anaphylaktischer Symptomatik. Der weiterhin beauftragte Arzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde/Allergologie, Dr ..., führte in seinem Gutachten vom 17.12.1997 aus, dass aufgrund der geschilderten Beschwerden bei gesicherter Latexallergie retrospektiv von einer BK nach Nr. 4301 der Anlage zur BKV mit Obstruktion der tiefen Atemwege sowie allergischer Rhinitis ausgegangen werden müsse. Eine manifeste Ventilationsstörung sei nicht festzustellen; es zeige sich jedoch ein hyperreaktives Bronchialsystem. Dieses sei mit Wahrscheinlichkeit nicht auf die Latexsensibilisierung zurückzuführen, da bei der Klägerin eine polyvalente Typ-I-Sensibilisierung gegenüber ubiquitären, ganzjährigen und saisonalen Allergenen bestehe. Auf pneumologischem Fachgebiet sei die MdE mit 10 v.H. zu bewerten.

Nach Einholung entsprechender Stellungnahmen des Staatlichen Gewerbearztes erkannte die Beklagte mit Bescheiden vom 05.11.1998 sowohl die Atemwegserkrankung als auch die Hauterkrankung der Klägerin bei einem am 09.06.1990 eingetretenen Versicherungsfall als BK en nach Nrn. 4301 und 5101 der Anlage zur BKV an, lehnte aber die Gewährung einer Verletztenrente ab, da die BK en keine Folgen hinterlassen hätten, die eine MdE in rentenberechtigendem Grade bedingten.

In den nachfolgenden Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine Stellungnahme nach Aktenlage von Prof. Dr ..., Direktor des Berufsgenossenschaftlichen Forschungsinstitutes für Arbeitsmedizin an der ...Universität in ..., ein. In seiner unter Mitwirkung des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr ... am 27.01.1999 abgegebenen Stellungnahme kam er zu dem Ergebnis, dass aufgrund der aktenkundigen Befunde an einer Verschlimmerung der anlagebedingten Hauterkrankung aufgrund der Latexallergie kein Zweifel bestehe und dass die Hauterkrankung auch nicht abgeheilt sei. Sie sei ständig behandlungsbedürftig gewesen und habe letztlich zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit geführt. Aufgrund der Vorerkrankung der Klägerin sei in jedem Fall von einem Vorschaden des Hautorgans vor Aufnahme der gefährdenden Tätigkeit auszugehen, so dass er den berufsbedingten Anteil der MdE aufgrund der Latexallergie auf 10 v.H. einschätze. Darüber hinaus bestehe bei der Klägerin ein leichtgradiges, überempfindliches Bronchialsystem, das mit Wahrscheinlichkeit nicht der berufsbedingten Latexallergie zuzuordnen sein. Eine getrennt von der Hauterkrankung zu veranschlagende MdE aufgrund der Atemwegserkrankung sei daher nicht gerechtfertigt.

Gestützt auf diese Feststellung wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 21.04.1999 die Widersprüche der Klägerin als unbegründet zurück.

Mit ihren am 10.05. und 11.05.1999 vor dem Sozialgericht (SG) Köln erhobenen Klagen, die durch Beschluss des SG vom 24.08.1999 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden sind, hat die Klägerin weiterhin die Gewährung von Verletztenrente wegen der anerkannten BK en nach einer MdE von mindestens 20 v.H. begehrt.

Mit Gerichtsbescheid vom 11.10.1999, auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat das SG die Klage abgewiesen.

Gegen den ihr am 21.10.1999 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 11.11.1999 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie macht geltend, bei der MdE-Einschätzung sei zu beachten, dass die berufsbedingte Latexallergie i.S. der Nr. 5101 BKV auf einen Vorschaden des Hautorganes getroffen sei. Von daher müßten die Schädigungen höher bewertet werden, als wenn die beruflichen Einflüsse der BK Nr. 5101 ein unbeeinflusstes Hautorgan betroffen hätten. Zum anderen sei zu beachten, dass es wegen der Latexallergie regelmäßig zu Kontakturticaria sowie Schleimhautschwellungen mit Atembeschwerden gekommen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 11.10.1999 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 05.11.1998 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 21.04.1999 zu verurteilen, der Klägerin Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit nach den Nrn. 4301 und 5101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte, die dem Gerichtsbescheid beipflichtet, beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat ein internistisch-allergologisches Gutachten von Prof. Dr ..., Direktor des ... in ..., und ein dermatologisch-allergologisches Gutachten von Prof. Dr. Dr ..., Fachbereich Psychologie und Gesundheitswissenschaften der Universität ..., eingeholt. In ihren Gutachten vom 17.07.2000 und 30.08.2000 sowie ergänzenden Stellungnahmen vom 21.12.2000 und 15.01.2001 haben die Sachverständigen (SV en) die durch die bereits anerkannten BK en Nr. 5101 und 4301 der Anlage zur BKV bedingte MdE auf 20 v.H. eingeschätzt. Der SV Prof. Dr ... hat die MdE aufgrund der BK 4301 mit 10 v.H. bewertet und darauf hingewiesen, dass als BK-Folge "in erster Linie" eine ausgeprägte unspezifische bronchiale Reizbarkeitssteigerung vorliege. Prof. Dr. Dr ... hat dargelegt, dass bezüglich des Hautorgans bei der Klägerin unter Berücksichtigung der erneut bestätigten Soforttypsensibilisierung gegenüber Latex, der glaubhaft vorgetragenen anamnestischen Angaben sowie der in der Akte niedergelegten Befunde ein Latex-Kontakturtikaria-Syndrom zu diagnostizieren sei. Da mindestens einmalig eine anaphylaktische Reaktion vorgelegen habe, sei ein Latex-Kontakturtikaria-Syndrom Stadium IV nach van Krogh und Mai bach zu befunden. Dieses gehe mit einer hiermit verbundenen assoziierten Nahrungsmittelallergie gegenüber Bananen einher. Hinsichtlich der MdE-Bewertung sei das Ausmaß der irritativen Schädigung und die Verbreitung der Allergene maßgeblich. Eine Aufsplittung der MdE für die beiden jeweiligen BK-Nrn. sei nicht sinnvoll und werde dem medizinischen Sachverhalt nicht gerecht, da eine klinisch schwerwiegende Sensibilisierung sowohl der Haut als auch der Atemwegsschleimhäute gegenüber der Berufssubstanz Latex und eine bronchiale Hyperreagibilität vorlägen. Maßgeblich sei daher die berufsbedingte klinisch schwere Latexallergie mit der damit verbundenen konkreten Gefahr einer potentiellen lebensbedrohlichen anaphylaktischen Reaktion. Hieraus begründe sich die integrierend zusammenfassende versicherungsrechtliche Wertung für die BK-Nrn. 4301 und 5101 BKV bei klinisch schwerer berufsbedingter Typ-1-Allergie mit Multiorganmanifestationen, so dass insgesamt eine MdE von 20 v.H. gerechtfertigt sei.

Hierzu hat die Beklagte eine gutachterliche Stellungnahme des beratenden Arztes, des Hautarztes Dr ... aus ... vom 15.11.2000 vorgelegt. Darin hat der Gutachter ausgeführt, die Folgen der BK (Gesamtbetrachtung der Atemwegs- und der Hauterkrankung) seien nur mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten. Es bestehe nicht die konkrete Gefahr einer lebensbedrohlichen anaphylaktischen Reaktion durch versehentliche Latexkontakte. Die Klägerin habe in der Vergangenheit zahlreiche Latexkontakte gehabt und dabei keine klinisch schweren Veränderungen entwickelt. Darüber hinaus sei die unspezifische bronchiale Hyperreagibilität nicht Folge der anerkannten BK und könne daher nicht in die Einschätzung der MdE mit einbezogen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten, die sämtlich vorlagen, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Der Gerichtsbescheid des SG vom 11.10.1999 wie auch die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 05.11.1998 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 21.04.1999 waren abzuändern, denn die Klägerin hat gemäß §§ 551 Abs. 1 und 3, 580 Abs. 1 und 2, 581 Abs. 2 Ziffer 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) wegen der bei ihr bestehenden Berufskrankheiten Nrn. 5101 und 4301 der Anlage zur BKV gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. der Vollrente.

Der Anspruch der Klägerin richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da sie Rente auch für Zeiten vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) zum 01.01.1997 begehrt (Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes [UVEG], § 212 SGB VII). Nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall, der nach § 547 RVO u.a. durch die Zahlung von Verletztenrente zu entschädigen ist, auch eine BK. BK en sind nach § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet.

Bei der von der Nr. 5101 BKV erfaßten Hauterkrankung und der von der Nr. 4301 BKV erfaßten Atemwegserkrankung handelt es sich um vom Verordnungsgeber in die Anlage zur BKV aufgenommene BK en. Gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO wird - solange infolge des Arbeitsunfalles bzw. hier der BK en - die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein Fünftel gemindert ist, der Teil der Vollrente, der dem Grad der MdE entspricht, als Verletztenrente gewährt.

Die Kontakturtikaria bei Typ I - Sensiblisierung gegenüber Latex und subtoxisch-degenerative Veränderungen an den Händen sowie die geringgradige bronchiale Hyperreagibilität bei Typ I - Sensibilisierung der Klägerin sind als BK en nach den Nrn. 5101 und 4301 der Anlage zur BKV von der Beklagten durch die Bescheide vom 05.11.1998 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 21.04.1999 anerkannt. Entgegen der Beklagten und dem SG bedingen diese BK en bei der Klägerin aber auch eine MdE in rentenberechtigendem Grade.

Bei berufsbedingten Hauterkrankungen wird der Grad der MdE nicht nur von verbliebenen Hauterscheinungen, sondern auch durch Art und Ausmaß etwaiger beruflich verursachter oder beruflich wenig verschlimmerter Sensibilisierungen bestimmt. Eine MdE in rentenberechtigendem Grade (20 v.H.) kann sich allein aus dem Fortbestehen einer beruflich verursachten Allergie nach Abheilung der Hauterscheinungen ergeben, sofern Umfang und Intensität der Allergie entsprechend ausgeprägt sind. Maßgeblich sind daher unter Berücksichtigung der zugrundezulegenden aktuell gültigen MdE-Tabelle der Arbeitsgemeinschaft für Berufs- und Umweltdermatologie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft das Ausmaß der Hauterscheinung, auch nach irritativer Schädigung, sowie die Auswirkungen der beruflich bedingten Allergie. Diese werden unterschieden zwischen geringgradig, mittelgradig und schwerwiegend, wobei unter schwerwiegend auch eine klinisch besonders intensive Sensibilisierung einzuordnen ist (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage, S. 866 ff.).

Bei der Einschätzung der MdE auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bezüglich der BK Nr. 4301 wurde bislang die jeweilige berufsbedingte Sensibilisierung bzw. die Verbreitung des Allergens gegenüber dem klinischen Schweregrad der obstruktiven Atemwegserkrankung deutlich geringgradiger gewichtet. In den letzten Jahren hat jedoch die Bedeutung der Sensibilisierung für die Einschätzung der MdE in den pulmologischen Fachgremien stärker an Gewicht gewonnen. Die vom Bundessozialgericht (BSG) für Hauterkrankungen erhobene Forderung nach Berücksichtigung der Auswirkungen der Allergie muß daher auch bei allergischen obstruktiven Atemwegserkrankungen gelten. Allergische Erkrankungen, bei denen im Einzelfall sowohl Haut- als auch Atemwegssymptome auftreten (wie bei einer Latexallergie) zeigen, dass eine unterschiedliche Behandlung nicht gerechtfertigt ist (BSG, SozR 2200 § 622 RVO; Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O. S. 1039). Eine sachgerechte Auswirkung der Allergie erfordert bei allergischen Atemwegserkrankungen wie auch bei Hauterkrankungen daher eine differenzierte Bewertung nach Maßgabe der Verbreitung des Allergens in krankheitsauslösender Form sowie unter Beachtung der im Einzelfall nachgewiesenen Intensität der Sensibilisierungen. Da es sich um ein einheitliches, allergisches Krankheitsgeschehen mit Symptomen an verschiedenen Organen handelt, sind derartige allergische Erkrankungen unter Rückgriff auf den Aspekt der Systemerkrankungen (vgl. BSG SozR 5677 Anl. 1 Nr. 42 Nr. 1) als ein Versicherungsfall - gestützt auf die BK en Nrn. 4301 und 5101 zu behandeln: Eine Gesamt-MdE mit Einschluß der Auswirkungen der Allergie ist zu bilden (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O. S. 1040).

Gemessen an diesen Kriterien steht zur Überzeugung des Senates fest, dass die berufsbedingte Latexallergie der Klägerin mit Manifestationen an der Haut und den Atemwegsschleimhäuten sowie die bronchiale Hyperreagibilität als zusätzliche Berufskrankheitenfolge eine MdE in allgemeinen Erwerbsleben von 20 v.H. bedingen.

Dabei folgt der Senat in der medizinischen Beurteilung den überzeugenden und in sich schlüssigen Gutachten der SV en Prof. Dr. Dr ... und Prof. Dr ... Danach sind folgende Erwägungen maßgebend:

Die Auswirkungen des bei der Klägerin vorliegenden Latex-Kontakturtikaria-Syndroms sind von geringgradig bis schwerwiegend einzuschätzen, wobei das klinisch am häufigsten angetroffene Stadium I die Bewertung "geringgradig", das Stadium II nach Schwere "mittelgradig" bis "schwerwiegend" sowie die Stadien III bis IV die Bewertung "schwerwiegend" begründen. Ab dem Stadium III erfolgt unabhängig von der BK 5101 eine versicherungsrechtliche Wertung und MdE-Einschätzung im Hinblick auf eine gegebenenfalls gleichzeitig aufgrund beruflich bedingter Latexallergie anerkannte BK 4301. Bei der Klägerin ist von einer schweren berufsbedingten Typ-I-Allergie mit Multiorganmanifestation auszugehen. Zwar findet das Allergen Latex im medizinischen Bereich keine weite Verbreitung mehr, jedoch findet es sich außer in Handschuhen in vielen anderen Gegenständen wie Masken, Tuben, Kathetern, diversen Beuteln etc ... Häufig kommt es, wie auch bei der Klägerin, zu Kreuzallergien mit Nahrungsmitteln wie z. B. Banane und Kiwi. Außerhalb des medizinischen Sektors kann Latex prinzipiell in allen Bereichen des Arbeitsmarktes angetroffen werden, in denen naturgummitextilhaltige Berufsstoffe vorkommen. Da die allergische Reaktion bei Latex nicht nur über direkten Hautkontakt, sondern auch aerogen bereits bei Betreten von Räumlichkeiten, in denen latexhaltige Materialien vorkommen, auftritt, sind letztendlich alle Arbeitsbereiche zu vermeiden, in denen latexhaltige Produkte benutzt werden bzw. Latex verarbeitet wird. Da bei der Klägerin bereits einmal eine anaphylaktische Reaktion bei berufsbedingter Latexsensibilisierung aufgetreten ist, besteht bei ihr jederzeit die konkrete Gefahr eines Rezidivs im Falle einer erneuten Exposition. Dies kann bereits bei flüchtigen Kontakten mit Latex der Fall sein, so dass die Erkrankung der Klägerin nach der Bewertungstabelle der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft wegen der besonders intensiven Sensiblisierung als schwerwiegend - Stadium IV - einzustufen ist. Da zudem bezogen auf die Atemwege eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität von Prof. Dr ... dignostiziert wurde, ist nach der vorgenannten Bewertungstabelle eine Gesamt-MdE von 20 v.H. anzusetzen.

Soweit die Vorgutachter Dr ..., Dr ..., Dr ..., Dr ..., und Prof. Dr ... zu einer anderen Beurteilung gelangt sind, ist dieser nicht beizupflichten.

Dr ... hat die MdE mit 15 v.H. bemessen, wobei er die Auswirkungen der Allergie als "mittelgradig" eingeschätzt hat, ohne jedoch eine integrierende Bewertung der Haut- und Atemwegserkrankung vorzunehmen und die anaphylaktische Reaktion der Klägerin zu berücksichtigen.

Dr ... bewertet zwar die Berufskrankheitsfolgen zusammenfassend bezogen sowohl auf die Atemwege als auch auf das Hautorgan mit einer MdE von 10 v.H., misst jedoch wie Dr ... der anaphylaktischen Reaktion nicht die entscheidende Bedeutung zu. Dies gilt ebenso für die Beurteilung durch Dr ... und Dr ... Prof. Dr ... letztlich geht von zwei berufsbedingten Krankheitsbildern mit unterschiedlichen Pathomechanismen aus und tritt damit nicht in eine Gesamtbewertung des Krankheitsbildes ein.

Soweit schließlich der beratende Arzt der Beklagten Dr ... in seiner gutachterlichen Stellungnahme die Ansicht vertritt, dass eine extrem hohe Latexsensibilisierung mit der konkreten Gefahr von anaphylaktischen Reaktionen bei der Klägerin nicht diagnostiziert werden könne, weil es sich bei der Operation 1988 um eine besondere Ausnahmesituation gehandelt und die Klägerin in der Zeit danach keine weiteren schwerwiegenden Reaktionen bei versehentlichen Latexkontakten entwickelt habe, vermag auch dies an der Entscheidung nichts zu ändern. Prof. Dr. Dr ..., der durchaus ebenfalls gesehen hat, dass es seit der Operation nicht wieder zu anaphylaktischen Reaktionen bei der Klägerin gekommen ist, hat ebenso einleuchtend wie überzeugend entgegnet, dass bei der Klägerin im Falle einer erneuten Exposition gleichwohl die konkrete Gefahr des Rezidivs besteht, weil die Klägerin mit dem Kontakt-urticaria-Syndrom Grad IV zu dem relativ geringen Anteil der Betroffenen zählt, der - dies zeigt die epidmiologische Untersuchung von Hunt, L.W. et al. (1995) - das lebensbedrohliche Ereignis nicht nur generell einmalig erleidet und dabei wegen der konkreten Möglichkeit der erneuten anaphylaktischen Reaktion auch bereits bei flüchtigen aerogenen Kontakten mit Latex wissenschaftlich begründet aber keine Vorhersage eines etwaigen "Schwellenwertes" bzw. der erforderlichen Intensität der Exposition getroffen werden kann.

Ebensowenig vermochte der Senat der Ansicht Dr ... zu folgen, die unspezifische bronchiale Hyperregibilität könne in die MdE-Einschätzung nicht einbezogen werden, weil sie nicht Folge der anerkannten BK sei. Denn Prof. Dr ... hat die ausgeprägte unspezifische bronchiale Reizbarkeitssteigerung eindeutig als BK-Folge angesehen und seine damit im Zusammenhang gemachten Ausführungen sind entgegen Dr ... auch nicht widersprüchlich. Zum einen hat Prof. Dr ... nicht davon gesprochen, dass die bei der Klägerin vorliegende polyvalente Sensibilisierung gegenüber einer Vielzahl ubiquitär vorkommender Inhalationsallergene die Ursache der unspezifischen Hyperreagibilität darstellt, sondern er hat lediglich ausgeführt, dass über die polyvalente Sensibilisierung hinaus eine ausgeprägte unspezifische bronchiale Hypervegibilität besteht, die dazu führt, dass die Klägerin bei Einwirkung verschiedener geruchsintensiver oder auch physikatisch irritativ wirkender Emissionen mit einer bronchialen Verkrampfung reagiert. Damit wird aber keinesfalls zum Ausdruck gebracht, dass die polyvalente Sensibilisierung gegenüber ubiquitären Inhalationsallergenen ursächlich für die unspezifische bronchiale Hyperreagibilität ist. Und wenn Prof. Dr ... ausführt, dass bei der Klägerin eine ausgeprägte bronchiale Hyperreagibilität vorliegt, wie sie für ein Asthma gleich welcher Genese typisch ist, so wird auch damit nur eine Beschreibung der Art der bronchialen Reizbarkeit gegeben, eine Aussage über ihre Ursächlichkeit, dass sie etwa eine berufsunabhängige Genese habe, ist darin nicht enthalten.

Nach alledem war der Gerichtsbescheid des SG Köln vom 11.10.1999 abzuändern und die Beklagte zur Rentengewährung zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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