L 17 U 102/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 5 U 144/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 102/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 09. März 1999 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kosten einer vom Kläger selbst beschafften und finanzierten Umschulungsmaßnahme zu übernehmen und für deren Dauer Übergangsgeld zu gewähren hat.

Der 1969 geborene Kläger war nach seiner Ausbildung zum Schreiner im erlernten Beruf, zuletzt seit April 1989 als Möbelschreiner bei der Firma G ... in V ... tätig.

Am 18.08.1997 begann er eine von ihm selbstbeschaffte Umschulung zum Holztechniker in der Technischen Schule in A ..., die er Ende Mai 1999 erfolgreich abschloss. Nach anschließender Arbeitslosigkeit ist er seit dem 01.08.1999 im Küchen- und Einrichtungsstudio M ... in S ... beschäftigt. Sein dortiger Aufgabenbereich liegt in der EDV-unterstützten Planung von Kücheneinrichtungen, der dazugehörigen Beratung und Kalkulation sowie in der Auftragsabwicklung.

Bereits im September 1995 hatte der Internist L ... der Beklagten mitgeteilt, bei einer Überprüfung am Arbeitsplatz des Klägers sei eine doch schon erhebliche Lärmschädigung festgestellt worden. Beim Kläger sei bereits seit dem 6./7. Lebensjahr eine massive Hörschädigung links bekannt. Jetzt sei auch das rechte Ohr deutlich schlechter geworden. Zur Verhinderung einer weiteren Verschlimmerung dieser Leiden wäre eine Umschulung empfehlenswert.

Nach Beiziehung des den Kläger betreffenden Erkrankungsverzeichnisses von der IKK A ... und der Untersuchungsbogen "Lärm" I und II aus März 1995 vom Berufsgenossenschaftlichen Arbeitsmedizinischen Dienst (BAD) in M ... sowie Einholung einer Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 31.10.1995, wonach der Kläger ab seinem 3. Lehrjahr Lärm mit einem Beurteilungspegel zwischen 85 und 98 dB(A) ausgesetzt war, hatte die Beklagte den Hals-, Nasen- und Ohren (HNO)-Arzt Dr. B ... in M ... mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hatte unter dem 22.03.1996 eine aus funktioneller Sicht bedeutungslose Innenohrhochtonschädigung rechts, die das typische Bild einer Lärmschädigung in ihrem Beginn zeige, sowie einen nachweisbaren Vorschaden des linken Ohrs bei gradmäßig praktischer Normalhörigkeit sowohl links als auch rechts beschrieben, die durch berufliche Lärmschwerhörigkeit bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 0 % eingestuft und weiter ausgeführt, es falle auf, dass der Kläger bereits nach wenigen Berufsjahren eine ganz sicher beruflich bedingte Lärmschädigung im Hochtonbereich davongetragen habe, was auf eine besonders ausgeprägte Vulnerabilität hindeute. Er halte deshalb den Kläger für gefährdeter als altersgleiche Menschen, die in seinem Beruf tätig seien. Deshalb seien lückenlose jährliche Kontrolluntersuchungen geboten. Sollte im Laufe der Zeit eine deutliche Hörverschlechterung eintreten, müsste zur Frage, ob Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) erforderlich seien, eine erneute Begutachtung erfolgen.

Das damalige Feststellungsverfahren war nicht durch Erteilung eines förmlichen Bescheides, sondern mit einem Hinweisschreiben vom 16.04.1996 abgeschlossen worden, in dem der Kläger zugleich aufgefordert worden war, einen geeigneten Hörschutz zu tragen, falls er weiterhin in gehörschädigendem Lärm arbeite. Ein entsprechender Hinweis war auch an den damaligen Arbeitgeber des Klägers ergangen.

Mit Schreiben vom 27.03.1997 teilte der HNO-Arzt Dr. G ... der Beklagten unter Beifügung von Audiogramm-Abschriften mit, im Rahmen einer Kontrolluntersuchung sei jetzt eine zunehmende Progredienz der Innenohrschwerhörigkeit beiderseits - insbesondere im Hochtonbereich - festgestellt worden. Zusätzlich sei vor kurzem ein Tinnitus aufgetreten. Dr. G ... bat um Prüfung, ob für den Kläger ggfls. eine Umschulung in Frage komme.

Nach Einholung einer ergänzenden Auskunft des Dr. G ... vom 21.04.1997, in der die Auffassung vertreten wurde, im Vergleich zu dem im Gutachten des Dr. B ... erhobenen Tonschwellenaudiogramm habe eine deutliche Verschlechterung des Hörvermögens insbesondere im Hochtonbereich beiderseits festgestellt werden können, veranlasste die Beklagte im daraufhin eingeleiteten Feststellungsverfahren eine erneute Begutachtung des Klägers durch den HNO-Arzt Dr. W ... in B ... Dieser führte im Gutachten vom 26.06.1997 aus, der bereits bei der Vorsorgeuntersuchung im März 1995 erhobene Befund habe sich seither nicht wesentlich verändert. Die von Dr. G ... am 25.03.1997 gemessene Abflachung der Hochtonschenkel beider C5-Senken habe jetzt nicht reproduziert werden können. Der vom Vorgutachter (Dr. B ...) festgestellte Lärmschaden rechts habe seither nicht zugenommen. Die Lärmschwerhörigkeit des rechten Ohres müsse unverändert als beginnend eingestuft werden. Sie verursache unter Berücksichtigung des linksseitigen Vorschadens eine MdE von unter 10 v.H. Der Gutachter wies ferner darauf hin, dass der Kläger sorgfältig persönlich angepassten Lärmschutz benutzt habe und damit eine wesentliche Zunahme der Schwerhörigkeit seit der Vorbegutachtung im März 1996 habe vermeiden können. Wegen des deutlichen Vorschadens und der nach sieben Lärmjahren bereits sehr deutlich als verhältnismäßig tiefe C5-senke aufgetretenen Lärmschwerhörigkeit rechts sei der Kläger jedoch für weitere Lärmarbeiten nicht geeignet, zumal der Lärmschaden an dem vorgeschädigten linken Ohr eine deutliche Tendenz zur Verschlimmerung habe.

Die Beklagte erkannte daraufhin mit Bescheid vom 24.07.1997 die beim Kläger bestehende Hörstörung als teilweise berufsbedingt und insoweit eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV sowie als deren Folge eine minimale Hochton-Innenohrschwerhörigkeit rechts an. Nicht als BK-Folge anerkannt wurde eine knapp geringgradige Hochton-Innenohrschwerhörigkeit links. Ansprüche auf Rente und auf Leistungen nach § 3 BKV (Umschulung) lehnte die Beklagte ab. Zur Begründung führte sie u.a. aus, die erneute Begutachtung durch Dr. W ... am 24.06.1997 (Untersuchungstag) habe den gleichen Befund wie die Untersuchung am 18.03.1996 erbracht. Die von Dr. G ... am 25.03.1997 angenommene Verschlimmerung habe nicht bestätigt werden können. Bei diesem Sachverhalt sei nicht davon auszugehen, dass die konkrete Gefahr der Verschlimmerung der Innenohrschwerhörigkeit durch Lärm bestehe. Die Verlaufsbeobachtung habe deutlich gemacht, dass bei sorgfältig angepasstem Lärmschutz ein Zunahme der lärmbedingten Hörstörung habe verhindert werden können. Deshalb bestehe kein Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKV.

Mit seinem am 26.08.1997 eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, bei der Firma G ... sei er während der Arbeitszeit gezwungen, ständig mit sehr lauten Maschinen umzugehen. Die zur Verfügung stehenden Schutzmaßnahmen reichten nicht aus, um eine Verschlimmerung des Krankheitsbildes zu verhindern. Wie durch die Ärzte L ... und Dr. G ... bestätigt werde, habe vielmehr der Verlauf der Erkrankung innerhalb der letzten Jahre gezeigt, dass bei fortschreitenden Hörverlusten im Hochtonbereich ein sich verstärkender Schaden in Richtung einer Lärmschwerhörigkeit bestehe. Eine hiernach erforderliche Umschulung zum Holztechniker sei sinnvoll, weil er weiter in dem ihm bekannten Bereich arbeiten könne, ohne dass in diesem vorbereitenden Tätigkeitsbereich, in dem vor allen Dingen Angebote erstellt würden, eine Belästigung durch laute Maschinen auftrete.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.1997 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Sie legte u.a. dar, bei der Begutachtung durch Dr. W ... habe sich keine Verschlimmerung des Krankheitsbildes nachweisen lassen. Deshalb könnten auch die Aussagen der behandelnden Ärzte die Behauptung des Klägers nicht stützen. Darüber hinaus habe die Erfahrung gezeigt, dass sorgfältig ausgesuchter und angepasster Gehörschutz, der konsequent getragen werde, einen sicheren Schutz vor schädigender Lärmeinwirkung biete, so dass sich auch von daher ein Umschulungszwang nicht begründen lasse.

Am 01.12.1997 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Münster Klage erhoben, mit der er im Hinblick auf die von ihm am 18.08.1997 begonnene Umschulung zum Holztechniker Leistungen gemäß § 3 BKV begehrt hat. Er hat sein bisheriges Vorbringen wiederholt, sich auf die Äußerungen seiner behandelnden Ärzte berufen und im übrigen geltend gemacht, die Umschulung zum Holztechniker sei ein geeignetes Mittel, der Gefahr der Verschlimmerung der BK entgegenzuwirken. Beim Beruf des Holztechnikers handele es sich zum überwiegenden Teil um eine reine Bürotätigkeit. Sofern er - der Kläger - bei einer anderen Firma angestellt werden sollte, müsse er sich nicht mehr wie bisher fast während der gesamten Arbeitszeit, sondern nur noch für Minuten im Gefahrenbereich aufhalten. Dadurch werde die Gefahr einer weiteren Verschlechterung seines Gehörs ganz erheblich gemindert.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass erforderlichen beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen grundsätzlich nur dann zugestimmt werde, wenn gewährleistet sei, dass der Versicherte nach Abschluss der Maßnahme nicht mehr mit den für die Erkrankung angeschuldigten Arbeitsstoffen bzw. Tätigkeiten in Berührung komme. Unter Vorlage eines Auszuges aus dem von der Bundesanstalt für Arbiet heruasgegebenen Grundwerk ausbildungs- und berufskundlicher Informationen ("gabi") zum Beruf des Holztechnikers hat sie vorgebracht, dass der Kläger auch in diesem Beruf - wenn auch in geringem Umfang - weiterhin lärmexponiert tätig sein werde.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.03.1999, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, hat das SG die Klage abgewiesen.

Gegen den ihm am 17.03.1999 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19.04.1999 (einem Montag) Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, das SG habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen, weil es kein Sachverständigengutachten eingeholt habe. In den von der Beklagten vorgelegten berufskundlichen Unterlagen werde nämlich unter dem Punkt "voraussichtliche Nichteignung" eine Schwäche des Gehörs gerade nicht erwähnt. Da bei der Tätigkeit eines Holztechnikers eine weitere Schädigung des Gehörs ausgeschlossen sei, wäre er in diesem Beruf auch wettbewerbsfähig. Dies werde durch die Tatsache bestätigt, dass er inzwischen eine Stelle bei einem Küchenstudio gefunden habe, in dem es keine Produktion gebe. Er verweist insoweit auf eine von ihm vorgelegte Stellenbeschreibung des Studios M ... in S ... Im übrigen ist er weiterhin der Ansicht, dass es bei einer Weiterbeschäftigung in der Firma G ... zu einer Verschlimmerung der Schwerhörigkeit gekommen wäre, weil geeignete Hörschutzmaßnahmen nicht ausgereicht hätten, um die Gefahr der Verschlimmerung in Zukunft zu beseitigen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 09.03.1999 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 24.07.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.10.1997 zu verurteilen, die Kosten der vom 18.08.1997 bis Ende Mai 1999 durchgeführten Umschulung zum Holztechniker zu übernehmen und Übergangsgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an der von ihr vertretenen Auffassung fest und den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinerlei Anspruch auf Übernahme bzw. auf Erstattung der Kosten für die selbstbeschaffte Umschulung zum Holztechniker und auch keinen Anspruch auf Gewährung von Übergangsgeld.

Da die vom Kläger auf eigene Initative am 18.08.1997 begonnene Umschulung zum Holztechniker inzwischen abgeschlossen ist, kann es hinsichtlich der hierfür von ihm aufgewendeten Kosten nur noch um einen Erstattungsanspruch gehen. Ein solcher Anspruch steht ihm nicht zu.

In der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) gilt wie in anderen Sozialversicherungsbereichen - jedenfalls auf dem Gebiet der Rehabilitation - das Sachleistungsprinzip, d.h. der UV-Träger hat die zur Heilbehandlung bzw. beruflichen Wiedereingliederung erforderlichen Maßnahmen grundsätzlich als Sach- bzw. Naturalleistung zu gewähren; ein unmittelbarer Kostenerstattungsanspruch gegen den UV-Träger für eine selbstbeschaffte Rehabilitationleistung ist in der Regel nicht gegeben (vgl. Bundessozialgericht [BSG] Urt. vom 24.02.2000 - B 2 U 12/99 R m.w.N., u.a. mit Hinweis auf BSGE 48, 172, 173 = SozR 2200 § 567 Nr. 2 und BSG SozR 3-2200 § 557 Nr. 1). Das Sachleistungsprinzip für die Leistungen der gesetzlichen UV zur Heilbehandlung und Rehabilitation wird nunmehr durch § 26 Abs. 4 Satz 2 des am 01.01.1997 in Kraft getretenen Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) eigens normiert; Ausnahmen sollen nur dann gelten, wenn dies im SGB VII ausdrücklich vorgesehen ist.

Eine Kostenerstattung für selbstbeschaffte Leistungen zur Heilbehandlung und Rehabilitation findet allein unter den Voraussetzungen des entsprechend anwendbaren § 13 Abs. 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) statt. Weitere Ausnahmen vom Sachleistungsprinzip, welche die Rechtsprechung des BSG zum vor Inkrafttreten des SGB V geltenden Recht zuließ (s. BSG SozR 3-2200 § 557 Nr. 1), kommen nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht mehr in Betracht (BSG, Urteil vom 24.02.2000 a.a.O. mit Hinweis auf BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 15). Bereits vor Inkrafttreten dieser unmittelbar nur für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden Vorschrift wurde in diesem vom Sachleistungsprinzip geprägten Sozialversicherungszweig ausnahmsweise ein Anspruch auf Erstattung der Kosten selbstbeschaffter Leistungen zuerkannt, wenn der Sozialversicherungsträger die Leistungen zu Unrecht verweigert hatte oder aus anderen Gründen eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte. Dies galt entsprechend für alle Versicherungszweige, soweit in ihnen - wie auch in der gesetzlichen UV - Sozialleistungen als Sachleistungen zu erbringen waren. Demgemäß hat der 2. Senat des BSG den § 13 Abs. 2 bzw. (nach der Neufassung durch Art. 1 des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992) Abs. 3 SGB V analog für den Bereich der gesetzlichen UV angewandt, da hier eine Regelungslücke hinsichtlich der Kostenerstattung besteht, die diese Vorschrift sachgerecht ausfüllt (BSG, Urt. vom 24.02.2000 a.a.O. m.w.N.). Für eine weitere Ausdehnung des Kostenerstattungsanspruchs ist kein Raum.

Die Voraussetzungen des hiernach entsprechend anwendbaren § 13 Abs. 3 SGB V sind nicht gegeben. Danach kommt eine Kostenerstattung in der gesetzlichen UV hinsichtlich einer selbstbeschafften Leistung nur dann in Betracht, wenn der UV-Träger (1.) eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder wenn er (2.) eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Zusätzlich muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem die Haftung begründenen Umstand (bei der Alternative 1.: Unvermögen zur rechtzeitigen Leistung; bei der Alternative 2.: rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) bestehen (vgl. BSG SozR 3-2200 § 13 Nr. 11 und 15; Urt. vom 24.02.2000 a.a.O.). Im vorliegenden Fall kommt als Anspruchsgrundlage des Klägers allein die 2. Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht, denn bei der hier in Rede stehenden Umschulungsmaßnahme handelte es sich nicht um eine unaufschiebbare Sach- bzw. Dienstleistung im Sinne der 1. Alternative. Die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach der 2. Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V sind nicht gegeben. Denn der angefochtene Bescheid, mit dem die Beklagte das Vorliegen einer BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV anerkannt, u.a. aber einen Anspruch des Klägers auf Umschulung als Leistung gem. § 3 BKV abgelehnt hat, ist auch insoweit nicht rechtswidrig.

Nach § 3 Abs. 1 BKV haben die UV-Träger dann, wenn für Versicherte die Gefahr besteht, dass eine BK entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert, dieser Gefahr mit allen geeigneten Mitteln entgegenzuwirken. Ist die Gefahr gleichwohl nicht zu beseitigen, haben die UV-Träger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BKV). Nach § 3 Abs. 2 BKV haben Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr fortbesteht, zum Ausgleich einer hierdurch verursachten Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gegen den UV-Träger Anspruch auf Übergangsleistungen.

Da die Beklagte das Vorliegen einer BK nach Nr. 2301 - Lärmschwerhörigkeit - anerkannt hat, kann es bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 3 BKV nur um die Frage gehen, ob bei Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Schreiner bei der Firma G ... die Gefahr der Verschlimmerung dieser BK bestand. Dies ist von der Beklagten zutreffend verneint worden. Für diese Bewertung sind folgende Erwägungen maßgebend:

Der Verdacht auf das Vorliegen einer BK nach Nr. 2301 ist erstmals im September 1995 durch den behandelnden Internisten L ... angezeigt worden, der bei seit der Kindheit des Klägers bekannter Hörschädigung des linken Ohres davon gesprochen hat, daß auch das rechte Ohr deutlich schlechter geworden sei. Bei der erstmalig im März 1995 vorgenommenen Vorsorgeuntersuchung (G 20-Untersuchung) waren keine gesundheitlichen Bedenken gegen die Fortsetzung der Tätigkeit geäußert worden, wenn der Kläger eine Kombination von Gehörschutzkapseln und Gehörschutzstöpseln trage, wobei allerdings - worauf der TAD der Beklagten hingewiesen hat - die gleichzeitige Anwendung von zwei Gehörschutzsystemen zwecks Vermeidung einer Überprotektion mit all ihren Nachteilen nicht zu empfehlen war. Bei der im ersten Feststellungsverfahren durchgeführten Begutachtung des Klägers durch den HNO-Arzt Dr. B ... im März 1996 fand sich eine aus funktioneller Sicht bedeutungslose Innenohrhochtonschädigung rechts, die das typische Bild einer Lärmschädigung in ihrem Beginn zeigte. Für das linke Ohr wurde ein Vorschaden nachgewiesen. Gradmäßig bestand sowohl links als auch rechts eine praktische Normalhörigkeit, so daß eine meßbare MdE auch unter Berücksichtigung der Vorerkrankung des linken Ohres nicht gegeben war. Wegen besonderer Umstände hielt der Gutachter es jedoch für geboten, eine lückenlose Kontrolle zu gewährleisten in Form jährlicher Untersuchungen im Rahmen der Unfallverhütungsvorschriften (UVV) "Lärm" nach Lärm II. Für den Fall, daß sich im Laufe der Zeit eine deutliche Hörverschlechterung ergeben sollte, sei - so Dr. B ... - zur Frage, ob Maßnahmen nach § 3 BKV erforderlich seien, eine erneute Begutachtung angezeigt.

Der Kläger wurde daraufhin von der Beklagten aufgefordert, einen geeigneten Gehörschutz zu tragen, falls er weiterhin in gehörschädigendem Lärm arbeite. Auch der Arbeitgeber wurde darauf hingewiesen, daß der Kläger im Lärm nur mit Gehörschutz arbeiten dürfe und gebeten, einen geeigneten persönlichen Gehörschutz zur Verfügung zu stellen, falls dies noch nicht geschehen sein sollte. Nachdem der behandelnde HNO-Arzt Dr. G ... im März 1997 und ergänzend unter dem 21.04.1997 über eine deutliche Verschlechterung des Hörvermögens insbesondere im Hochtonbereich beiderseits berichtet hatte, wurde der Kläger im daraufhin eingeleiteten Feststellungsverfahren durch den HNO-Arzt Dr. W ... erneut begutachtet. Dieser legte in seinem Gutachten vom 26.06.1997 dar, der im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung im März 1995 erhobene Befund habe sich seither nicht wesentlich verändert. Die von Dr. G ... am 25.03.1997 gemessene Abflachung der Hochtonschenkel beider C5-Senken habe jetzt nicht reproduziert werden können. Der vom Vorgutachter (Dr. B ...) festgestellte Lärmschaden habe - wie Dr. W ... weiter festgestellt hat - seither nicht zugenommen. Der Gutachter hat ferner darauf hingewiesen, daß der Kläger sorgfältig persönlich angepaßten Lärmschutz benutzt hat und damit eine wesentliche Zunahme der Schwerhörigkeit seit der Vorbegutachtung im März 1996 vermeiden konnte.

Soweit der Gutachter ferner ausgeführt hat, daß der Kläger für weitere Lärmarbeit nicht geeignet sei, zumal der Lärmschaden am vorgeschädigten linken Ohr eine deutliche Tendenz zur Verschlechterung habe, vermag dies an der hier vorzunehmenden Beurteilung nichts zu ändern. Entscheidend ist nämlich, dass Dr. W ... eine Zunahme des Lärmschadens seit der Begutachtung durch Dr. B ... im März 1996 nicht festgestellt hat und insbesondere die von Dr. G ... angenommene Verschlechterung nicht bestätigen konnte sowie darauf hingewiesen hat, daß der Kläger durch Benutzung sorgfältig persönlich angepaßten Lärmschutzes eine wesentliche Zunahme der Schwerhörigkeit seit März 1996 vermeiden konnte. In Anbetracht dieser gutachterlichen Feststellungen, die auch der erkennende Senat im Wege des Urkundenbeweises verwerten konnte, hat die Beklagte zutreffend dargelegt, die Verlaufsbeobachtung habe deutlich gemacht, daß bei sorgfältig angepaßtem Lärmschutz eine Zunahme der lärmbedingten Hörstörung habe verhindert werden können. Zum damaligen Zeitpunkt bestand für den Kläger mithin auch keine Notwendigkeit, den bisherigen Beruf aufzugeben, weil persönlicher Lärmschutz, bei dem es sich grundsätzlich um ein geeignetes Mittel i.S.d. § 3 BKV handelt, als ausreichend erachtet wurde, der Gefahr einer Verschlimmerung des Lärmschadens entgegenzuwirken.

Soweit der Kläger zur Begründung seines Anspruchs behauptet hat, trotz konsequenten Tragens persönlichen Gehörschutzes sei eine Verschlimmerung seines Hörschadens eingetreten und soweit er sich hierzu auf die Äußerungen des Internisten L ... und des HNO-Arztes Dr. G ... berufen hat, konnte eine solche Verschlimmerung durch den Gutachter Dr. W ... - wie oben dargelegt - gerade nicht bestätigt werden.

Eine weitere Verlaufsbeobachtung war nicht möglich, weil der Kläger kurze Zeit nach der Begutachtung durch Dr. W ... im Juni 1997 ab dem 18.08.1997 die selbstbeschaffte Umschulung zum Holztechniker - in Kenntnis der eine Umschulung ablehnenden Entscheidung der Beklagten - begonnen und damit von sich aus die bisherige berufliche Tätigkeit aufgegeben hat.

Zwar ist es für Ansprüche nach § 3 BKV nicht erforderlich, daß der UV-Träger den Versicherten zur Aufgabe der beruflichen Tätigkeit auffordert. Gibt der Versicherte von sich aus die Tätigkeit auf, müssen in seiner Person jedoch alle Voraussetzungen erfüllt sein, unter denen der UV-Träger selbst das Unterlassen der Tätigkeit gefordert hätte. Der Betroffene muß seine Tätigkeit - wesentlich bedingt durch die Gefahr i.S.d. § 3, die anders für ihn nicht zu beseitigen ist - tatsächlich nicht mehr ausüben. Dies ist im Wege einer nachträglichen objektiven Betrachtungsweise festzustellen (vgl. Mehrtens/Perlebach, Kommentar zur BKV, Rdn. 5.1 zu § 3 BKV). Und diese Betrachtungsweise führt hier im Hinblick auf die gutachterlich getroffenen Feststellungen nicht zu dem Ergebnis, daß die Gefahr für den Kläger anders als durch Aufgabe der beruflichen Tätigkeit nicht zu beseitigen war.

Da der Kläger alsbald nach der letzten Begutachtung durch Dr. W ... die Tätigkeit aufgegeben hat, war auch die Einholung eines weiteren medizinischen Sachverständigengutachtens nicht erforderlich. Ein solches Gutachten hätte zu keinen weiteren Erkenntnissen führen können. Dabei hätte nämlich nur der gegenwärtige gesundheitliche Zustand festgestellt, nicht aber im nachhinein geklärt werden können, ob eine Weiterbeschäftigung des Klägers bei der Firma G ... möglicherweise doch - trotz Tragens persönlichen Gehörschutzes - eine Verschlimmerung des Lärmschadens bewirken konnte, denn dazu fehlt es an einer weiteren Verlaufsbeobachtung und an entsprechenden Befunden.

Desweiteren ist hier folgendes zu beachten:

Soweit der UV-Träger einer konkreten Gefahr i.S.d. § 3 Abs. 1 BKV mit allen geeigneten Mitteln entgegenzuwirken hat, steht ihm ein Auswahlermessen zu. Nach dem Aufbau des § 3 hat der UV-Träger zunächst zu versuchen, die Gefahr für den Versicherten zu beseitigen. Dafür können technische und organisatorische Maßnahmen, persönliche Schutzmaßnahmen, Aufklärung und Verhaltensprävention oder vorbeugende medizinische Maßnahmen, aber z.B. auch die Möglichkeit einer Umsetzung auf einen nicht gefährdenden Arbeitsplatz im Arbeitgeber-Betrieb in Betracht kommen. Weitergehende Maßnahmen wie z.B. Berufshilfe kommen nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 BKV erst dann in Frage, wenn "die Gefahr nicht zu beseitigen ist" (vgl. Mehrtens/Perlebach a.a.O., Rdn. 3.2. zu § 3 BKV m.w.N.).

Die Berufshilfe bzw. hier die Umschulung ist also sozusagen die "ultima ratio" für den Fall, dass die Gefahr anders nicht beseitigt werden kann.

Weil der Kläger hier kurze Zeit nach der Begutachtung durch Dr. W ... und nach Erlass des angefochtenen Bescheides vom 24.07.1997 seine bisherige Tätigkeit aufgegeben und die Umschulung zum Holztechniker am 18.08.1997 begonnen hat, ohne dies der Beklagten konkret mitzuteilen - dies ist erst mit der Klageschrift geschehen -, hatte die Beklagte aber gar keine Möglichkeit zu prüfen, ob für den Fall, dass sich das Tragen persönlichen Gehörschutzes künftig doch nicht als ausreichend erweisen sollte, andere geeignete Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahr in Betracht kamen und ob auch hierdurch die Gefahr nicht zu beseitigen war. Daraus folgt zugleich, dass ihr auch eine rechtzeitige Prüfung der Geeignetheit der selbstgewählten Maßnahme vor deren Antritt in keiner Weise möglich war.

In diesem Zusammenhang ist des weiteren von Bedeutung, dass - worauf das SG seine Entscheidung maßgeblich abgestellt hat - die vom Kläger selbstgewählte Umschulung zum Holztechniker nicht als geeignete Maßnahme zur Gefahrenbeseitigung und zur dauerhaften wettbewerbsfähigen Eingliederung in das Erwerbsleben angesehen werden kann. Denn auch in diesem Beruf ist nach der von der Beklagten vorgelegten berufskundliche Unterlage aus "gabi" mit einer Lärmexposition - wenn auch in wesentlich geringerem Umfang - zu rechnen. Als zum Berufsbild des Holztechnikers gehörend wird in der genannten Unterlage "häufig Lärmarbeit durch entsprechende Holzbearbeitungsmaschinen" aufgeführt, als wesentliche körperliche Eignungsvoraussetzung u.a. ein normales Hörvermögen verlangt und zu den Umgebungseinflüssen im Arbeitsbereich "Produktion, Fertigung" gehört u.a. Maschinenlärm. Im Hinblick auf diese Punkte ist das Vorbringen des Klägers, dass im Abschnitt "voraussichtliche Nichteignung" Hörprobleme nicht erwähnt sind, unerheblich, zumal ein normales Hörvermögen bereits zu den körperlichen Eignungsvoraussetzungen zählt. Im übrigen hat der Kläger selbst eingeräumt, dass auch im Beruf des Holztechnikers eine - wenn auch wesentlich geringere - Lärmexposition gegeben ist, wenn er vorgetragen hat, in diesem Beruf müsse er sich nur noch für Minuten im Gefahrenbereich aufhalten, er werde nur noch in ganz geringem Umfang lärmexponiert tätig sein.

Schon aus diesem Grunde war auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob die Tätigkeit als bzw. die Umschulung zum Holztechniker ein geeignetes Mittel ist, der Gefahr der Verschlimmerung der BK entgegenzuwirken, nicht erforderlich. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, die Gefahr einer weiteren Verschlechterung seines Gehörs werde durch die Umschulung ganz erheblich gemindert, ist darauf hinzuweisen, dass die Verminderung der Gefahr nicht ausreicht, vielmehr wird in § 3 BKV deren Beseitigung verlangt.

Deshalb sind grundsätzlich nur solche Umschulungsmaßnahmen geeignet, durch die der Versicherte in die Lage versetzt wird, die bei der Umschulung erlernten Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem ganzen dadurch eröffneten Berufsfeld uneingeschränkt zu verwerten. Eine Beschränkung dieses umfassenden Rehabilitationsziels auf einen Teilbereich beruflicher Beschäftigungsmöglichkeiten kommt nur in Frage, wenn eine entsprechende Einschränkung sich auch bei den übrigen in Betracht kommenden Umschulungsberufen ergeben würde, was hier im Hinblick z.B. auf den weiten Bereich der Büroberufe nicht ersichtlich ist (vgl. hierzu z.B. BSG SozR 3-2200 § 556 Nr. 2; BSG, Urt. vom 28.09.1999 - B 2 U 36/98 R -). Bei Umschulungsmaßnahmen im Rahmen des § 3 BKV ist gleichermaßen auf eine möglichst uneingeschränkte Einsetzbarkeit des Versicherten in dem neu eröffenten Berufsfeld zu achten (Mehrtens/Perlebach a.a.O. Rdn. 4.2 zu § 3 BKV m.w.N.). Nach der vorstehend zitierten Rechtsprechung des BSG ist Sinn jeder beruflichen Rehabilitation die möglichst uneingeschränkte berufliche Eingliederung. Nur eine Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die zu einer völligen Vermeidung der schädigenden Einwirkungen im beruflichen Bereich befähigt, ist nachhaltig in der Lage, das Rehabilitationsziel auf Dauer zu erreichen. Dies kann hier bei dem Beruf des Holztechnikers aus den oben dargelegten Gründen nicht angenommen werden. Rechtlich unerheblich ist, dass der Kläger nach Abschluss der Umschulung tatsächlich einen Arbeitsplatz gefunden hat, auf dem er mit Lärmeinwirkungen nicht mehr in Berührung kommt. Denn es geht hier um die Feststellung der generellen Geeignetheit des Berufs eines Holzschutztechnikers und der uneingeschränkten Wettbewerbsfähigkeit des Klägers im gesamten Berufsfeld, die hier nicht bejaht werden können.

Nach allem hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die von ihm selbstbeschaffte Umschulungsmaßnahme.

Aus den vorstehend angeführten Gründen folgt zugleich, dass auch ein Anspruch auf Gewährung von Übergangsgeld nicht besteht.

Die Berufung des Klägers konnte mithin insgesamt keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Es bestand kein Anlass, die Revision zuzulassen, denn die Voraussetzungen des § 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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