Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 11 U 120/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 286/01
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt unter Hinweis auf ein bei ihm vorliegendes Multiple-Chemical-Sensitivity (MCS) - Syndrom Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Vorliegens einer Berufskrankheit.
Der geborene Kläger, der über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, begann 1966 nach einer kurzzeitigen Tätigkeit im Bergbau eine Tätigkeit als Chemiearbeiter in der Farbenproduktion der Ruhr-Lackierwerke A ..., die 1979 von den B ...-Werken übernommen wurden. Bis zur Beendigung seiner dortigen Tätigkeit 1990 wurde der Kläger als Springer eingesetzt, wobei er täglichen Umgang mit verschiedenen Lösungsmitteln hatte.
1990 wechselte der Kläger zu den A ... Stadtwerken, wo er Lösungsmitteln seitdem nicht mehr ausgesetzt ist.
Unter dem 06.03.1998 wandte sich der behandelnde praktische Arzt des Klägers Dr ... an die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie und teilte mit, bei dem Kläger könne eine Berufskrankheit vorliegen. Dieser sei mehr als 20 Jahre in der chemischen Industrie tätig gewesen und 1985 an unklaren Erschöpfungszuständen erkrankt. Er sei bei seiner beruflichen Tätigkeit einer Vielzahl von Lösungsmitteln ausgesetzt gewesen und habe den Arbeitsplatz wechseln müssen.
In einer weiteren Auskunft aus Januar 1999 ergänzte Dr ... seine Ausführungen und teilte auf Anfrage der o. g. Berufsgenossenschaft mit, im Vordergrund stünden bei dem Kläger erhebliche psychovegetative Erschöpfungszustände mit Magenbeschwerden, Schweißausbrüchen, Schlafstörungen und polyneuropathischen Störungen in den Beinen. Eine Polyneuropathie der unteren Extremitäten könne zur Zeit jedoch nicht bestätigt werden.
Da der Kläger 20 Jahre lang mit vielen Lösungsmitteln in Berührung gekommen sei, sei hierdurch eine Mitverursachung der Beschwerden theoretisch möglich.
Im April 1999 diagnostizierte der behandelnde Internist Dr ... bei dem Kläger einen palindromen Rheumatismus ohne sichere nosologische Zuordnung. Anlaß der Vorstellung seien Taubheitsgefühle in den Fingergelenken und flüchtige Schwellungen mehrerer Gelenke wechselhafter Lokalisation gewesen. Es ergebe sich derzeit kein Hinweis auf eine chronische Polyarthritis, da die humoralen Entzünduhgsparameter im Normbereich lägen und auch kein negativer Rheumafaktor festgestellt worden sei.
In einem von der Beklagten eingeholten Bericht ihres Technischen Aufsichtsdienstes vom 14.09.1999 heißt es, an der bisherigen Arbeitsstätte des Klägers sei nur noch ein reines Warenlager vorhanden. Aus den Beobachtungen in einem noch vorhandenen Produktionsbetrieb der B ...-Werke und den Angaben des Klägers gehe jedoch hervor, dass der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit einer Vielzahl von Lösungsmitteln ausgesetzt gewesen sei. Hierzu gehörten Styroi-Alkydharzfarben, aromatische Lösungsmittel, halogenierte Kohlenwasserstoffe sowie weitere Chemikalien.
Nach Beiziehung weiterer ärztlicher Berichte beauftragte die Beklagte den Nervenarzt Dr ... mit der Erstellung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. In seinem unter dem 28.09.1999 erstellten Gutachten teilte Dr ... nach persönlicher Untersuchung des Klägers mit, es seien keine Hinweise für geistige Fehlleistungen im Sinne eines Hirnabbauprozesses vorhanden. Aufgrund der erhobenen Befunde sei eine manifeste oder funktioneil relevante Polyneuropathie mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Eine funktioneil relevante Störung des Nervensystemes sei ebenfalls nicht festzustellen. Eine Erkrankung, die mit der Einwirkung der angeschuldigten Arbeitsstoffe in Verbindung gebracht werden könne, sei ebenfalls nicht feststellbar.
Ein hierzu eingeholtes testpsychologisches Zusatzgutachten eines Diplom-Psychologen vom 29.10.1999 ergab eine knapp durchschnittliche Gedächtnisleistung mit unterdurchschnittlichen Werten in der mittelfristigen Gedächtnisleistung und insgesamt eine Leistungsfähigkeit im Normbereich.
In einem auf Veranlassung der Beklagten erstellten arbeitsmedizinischen Gutachten führte Dr ... unter dem 07.11.1999 aus, der Kläger habe über Schwindelzustände bei der Arbeit mit Lacken seit Mitte der 80er Jahre berichtet. Im ganzen Betrieb sei eine Dunstglocke vorhanden gewesen. Auch heute sei dem Kläger noch schwindelig, wobei durch die Einnahme von Traubenzucker häufig eine Besserung zu erzielen sei. Zusammenfassend gelangte Dr ... zu der Einschätzung/ eine Exposition gegenüber Lösungsmitteln könne bei dem Kläger angenommen werden. Es lasse sich jedoch nicht mehr feststellen, ob auch Halogenkohlenwasserstoffe dabei gewesen seien. Die von dem Kläger beschriebenen wiederkehrenden pränarkotischen Zustände bei der Arbeit deuteten auf eine hohe Konzentration der Lösungsmittel hin, so dass die haftungsbegründende Kausalität vorgelegen haben dürfte.
Jedoch sei weder eine Polyneuroparthie noch eine Enzephalopathie feststellbar. Das ausgeprägte Leidensbild auf orthopädischen Fachgebiet sowie der erhöhte Blutdruck, die Blutzuckerstoffwechselstörung und die wiederkehrende Bronchitis seien keine Erkrankungen, die mit der Einwirkung von Lösungsmitteln vereinbar seien. Jedoch liege ein erhebliches Übergewicht vor, das Ursache der internistischen Erkrankungen sein könne.
Unter dem 27.03.2000 lehnte die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid Entschädigungsleistungen aus Anlass des Vorliegens einer Berufskrankheit nach den Nrn. 1302, 1303 und 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) ab. Zur Begründung verwies sie auf die Ergebnisse der eingeholten Gutachten.
Hiergegen legte der Kläger unter Vorlage ärztlicher Atteste von Dr ... und seinem behandelnden Neurologen und Psychiater Dr ... Widerspruch ein.
In dem Attest von Dr ... führte dieser aus, bei dem Kläger bestehe ein Verdacht auf eine Polyneuropathie durch sonstige toxische Stoffe. Seine Leistungsfähigkeit sei eingeschränkt und aufgrund von Beschwerden im Bereich der Kniescheiben sei er seit acht Monaten arbeitsunfähig. Im Vordergrund des Beschwerdebildes stünden Rückenschmerzen.
Dr ... führte aus, das Gutachten von Dr ... sei zwar sorgfältig erstellt worden. Es fehle jedoch der Hinweis auf die MCS. Es sei die Einholung eines Gutachtens durch einen MCS-erfahrenen Gutachter empfehlenswert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, eine Verletztenrente aus Anlass des Vorliegens einer Berufskrankheit zu erlangen. Zur Begründung der Klage führt der Kläger aus, er leide an multiplen neurologischen Symptomen, die mit gewöhnlichen neurologischen Untersuchungen nicht zu erfassen seien. Er verweist auf einen Aufsatz von Prof. Dr ... , den dieser auf einer Tagung der SPD-Bundestagsfraktion zu dem Thema Umweltbelastung und Gesundheit gehalten habe. Die von Prof. Dr ... beschriebenen Krankheitsbilder seien auch bei ihm - dem Kläger - gegeben.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.03.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2000 zu verurteilen, ihm aus Anlass des Vorliegens einer Berufskrankheit "MCS" eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die Verwaltungsakten der Beklagten und die darin enthaltenen Auszüge aus beigezogenen Akten lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Der Entschädigungsanspruch des Klägers richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der Versicherungsfall, unterstellt er läge vor, bereits vor der Zeit des Inkrafttretens des 7. Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) zum 01.01.1997 eingetreten wäre (Art. 36 Unfallversicherung - Einordnungsgesetz [UVEG] § 212 SGB VII).
Gemäß § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt eines Arbeitsunfalles Entschädigungsleistungen, unter anderem Verletztenrente (§§ 580, 581 RVO). Als Arbeitsunfall gilt nach § 551 Abs. l Satz 2 RVO auch eine Berufskrankheit (BK). BK en sind gemäß § 551 Abs. l Satz 2 RVO Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540, 543 - 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet.
Die Feststellung einer BK setzt grundsätzlich voraus (vgl hierzu Bereiter-Hahn/Schicke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung - Handkommentar - Stand 6/96 §§ 515 RVO Rdnr. 3), dass zum einen in der Person des Versicherten die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind, d. h. dass er im Rahmen seiner versicherten Tätigkeiten schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK ausgesetzt gewesen ist, die prinzipiell geeignet sind, einen entsprechenden gesundheitlichen Schaden zu bewirken (haftungsbegründende Kausalität). Zum anderen muss ein Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung bestehen (haftungsausfüllende Kausalität). Während die arbeitstechnischen Voraussetzungen und der Gesundheitsschaden voll bewiesen sein müssen, reicht zur Bejahung des Kausalzusammenhanges zwischen der schädigenden Einwirkung und dem Gesundheitsschaden die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38 m. w. N.). Diese ist dann gegeben, wenn nach geltender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG a. a. 0. m. w. N.).
Von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgehend, kann nicht festgestellt werden, dass bei dem Kläger eine BK nach der Anlage zur BKV vorliegt.
Hinsichtlich der BK en 1302 und 1303 mangelt es bereits an der haftungsbegründenden Kausalität. Es ist nicht nachgewiesen, dass der Kläger Halogenkohlenwasserstoffen oder Benzol, seinen Homologen oder Styrol während seiner beruflichen Tätigkeit in einem für die o.g. BKen ausreichenden Umfang ausgesetzt war. Messungen konnten an dem früheren Arbeitsplatz des Klägers nicht mehr vorgenommen werden, weil der Produktionsbetrieb nicht mehr in der ursprünglichen Form existiert. Es ist daher im Nachhinein nicht mehr feststellbar, ob und ggf. in welchem Umfang der Kläger den o.g. Stoffen ausgesetzt war.
Die Kammer stützt sich hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität auf die Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten sowie die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten, insbesondere des Arbeitsmediziners Dr ...
Die vorgenannten Gutachten, die auch im Gerichtsverfahren im Wege des ürkundsbeweises zu verwerten sind, entsprechen in Form und Inhalt den Anforderungen, die an wissenschaftlich begründete Sachverständigengutachten zu stellen sind. Dass sie von der Beklagten aufgrund ihrer Amtsermittlungspflicht im Feststellungsverfahren eingeholt worden sind, macht sie nicht zu Privat- bzw. Parteigutachten. Solche Gutachten können im Wege des Ürkundsbeweises verwertet werden und - wenn sie überzeugend begründet sind wie hier - nach der Rechtssprechung des BSG, der die Kammer folgt, auch alleinige Grundlage der gerichtlichen Entscheidung sein (BSG SozR § 128 SGG Nr. 66).
Diesen Anforderungen genügt auch das nervenärztliche Gutachten von Dr ...vom 28.09.1999. Dr ... konnte bei dem Kläger keine funktionelle relevante Störung des Nervensystemes feststellen, die mit der Einwirkung der angeschuldigten Arbeitsstoffe in Verbindung gebracht werden könnte. Insbesondere konnte eine Schädigung des zentralen Nervensystemes nicht festgestellt werden.
Es liegen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die haftungsausfüllende Kausalität hinsichtlich der o.g. BK en gegeben ist.
Auch die Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV sind nicht gegeben. Nach dieser Berufskrankheit können Entschädigungsleistungen erbracht werden beim Vorliegen einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie hervorgerufen durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische.
Zwar ist die haftungsbegründende Kausalität insoweit erfüllt, weil der Kläger von 1966 bis 1990 täglich einer erheblichen Einwirkung von Lösungsmitteln und Gemischen von Lösungsmitteln im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit ausgesetzt war. Bei dieser Feststellung stützt sich die Kammer ebenfalls auf die Ausführungen des TAD und die Ausführungen in dem arbeitsmedizinischen Gutachten von Dr ...
Es liegt jedoch keine Enzephalopathie oder Polyneuropathie vor, die im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit mit der Einwirkung der Lösungsmittel in Verbindung gebracht werden könnte. Zunächst ist bereits zweifelhaft und nicht erwiesen, ob bei dem Kläger überhaupt eine Polyneuropathie vorliegt, denn noch am 28.09.1999 hat der Nervenarzt Dr ... im Rahmen seiner persönlichen Untersuchung des Klägers keine Befunde erhoben, die eine manifeste oder funktioneil relevante Polyneuropathie belegen könnten. Insbesondere war keine Verlangsamung der Nervenleitungsgeschwindigkeiten im Bereich der unteren Extremitäten feststellbar. Auch der Bericht der neurologischen Abteilung des ... über eine stationäre Aufnahme im ... enthält die Feststellung/ dass ein Zusammenhang. der Beschwerden des Klägers mit einer neurologischen Erkrankung nicht erkennbar sei. Es wurde ein Hals- und Lendenwirbelsäulen-schmerzsyndrom mit somatoformer Fixierung diagnostiziert und ausgeführt, bei ausreichender Motivation sei eine psychotherapeutisch stützende Intervention sinnvoll. Hinweise auf eine Polyneuropathie ergeben sich aus diesem Bericht vom 21.02.2001 nicht, obwohl der Kläger zuvor über Wochen hinweg stationär behandelt worden war.
Es ist daher nicht nachvollziehbar, wenn der behandelnde Neurologe und Psychiater des Klägers Dr ... unter dem 09.06.2000, also nach der Untersuchung durch Dr ... und vor der stationären Aufnahme in der Neurologie des ... im ..., als Diagnose eine nicht näher bezeichnete Polyneuropathie aufführt, ohne hierfür eindeutige Untersuchungsergebnisse anführen zu können.
Eine Entschädigungspflicht der Beklagten ergäbe sich jedoch auch dann nicht, wenn zugunsten des Klägers unterstellt würde, dass zum Zeitpunkt der Erstellung des Attestes von Dr ... im eine Polyneuropathie vorgelegen hätte. Angesichts der Untersuchungsergebnisse von Dr ... war zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung im September 1999 noch keine Polyneuropathie nachweisbar, so dass diese allenfalls nachfolgend entstanden sein könnte. Entsteht eine Polyneuropathie aber erst neun Jahre nach Beendigung der Exposition mit Lösungsmitteln, kann ein kausaler Zusammenhang nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden.
So führen etwa Mehrtens-Perlebach in ihrem Kommentar zur Berufskrankheitenverordnung (Stand: 37. Ergänzungslieferung vom 05.06.2000) unter M 1317 auf Seite 2 a aus, neurotoxische Polyneuropathien entwickelten sich im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Lösungsmittelexposition, d.h. in der Regel mit einer Latenz von wenigen Tagen, Latenzzeiten von mehr als zwei Monaten sprächen gegen einen ursächlichen Zusammenhang.
Lösungsmittelbedingte Polyneuropathien heilten in leichten Fällen innerhalb von zehn Monaten vollständig aus; aber auch schwere Verläufe bildeten sich spätestens nach drei Jahren vollständig oder weitgehend zurück. Ein Fortstreiten der Erkrankung nach mehrmonatiger Expositionskarenz schließe eine Verursachung durch Lösungsmittel aus (so auch LSG Saarland, Urteil vom 20.02.2001, Az.: L 2 U 69/99 = Rundschreiben des HVBG vom 13.08.2001 VB 095/2001).
Unstreitig ist der Kläger seit Beendigung seiner Tätigkeit bei den B ...-Werken im Jahre 1990 Lösungsmitteln in seinem beruflichen Umfeld nicht mehr ausgesetzt. Spätestens in den nachfolgenden Monaten hätten sich dann aber eindeutige Hinweise auf eine Polyneuropathie ergeben müssen, damit ein Zusammenhang zwischen dieser Erkrankung und der Einwirkung von Lösungsmitteln angenommen werden könnte. Dies ist nach den aktenkundigen medizinischen Unterlagen nicht der Fall.
Überdies wäre ein Entschädigungsanspruch des Klägers dann nach § 6 Abs. l BKV ausgeschlossen. Hiernach ist eine Erkrankung nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV nur dann auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist. Wäre also eine Polyneuropathie und damit der Versicherungsfall zeitnah zur letzten Lösungsmitteleinwirkung eingetreten, Würde eine Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Entschädigungsleistungen schon an § 6 Abs. l BKV scheitern, denn der Versicherungsfall wäre dann nicht nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten. Ein Entschädigungsanspruch des Klägers unter dem Gesichtspunkt der BK 1317 ist daher in jedem Falle ausgeschlossen.
Auch der Hinweis auf das Vorliegen einer Berufskrankheit MCS kann dem Klagebegehren nicht zum Erfolg verhelfen. Zunächst ist insoweit festzustellen, dass der Regelungssystematik des Berufskrankheitenrechts das Listenprinzip zugrunde liegt, so dass eine Erkrankung, die nicht in der Anlage zur BKV aufgeführt wird, außerhalb der Grenze des § 551 Abs. 2 RVO nicht als Berufskrankheit entschädigt werden kann. Eine Berufskrankheit "MCS" wird in der o.g. Liste nicht aufgeführt. Dies ist auch nicht zu erwarten, wie sich aus der den Beteiligten bekannten Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung aus Februar 1999 ergibt. Darin wird ausgeführt, dass Zusammenhänge nicht beweisbar, Stoffkombinationen nicht definierbar und Expositionen nicht zu beziffern seien. Eine Abgrenzung gegenüber privaten Risiken sei nicht zu leisten.
Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer auch in Ansehung des in schriftlicher Form vorliegenden Vertrages von Prof. Dr ... an. Auch Prof. Dr ... gelingt es nicht. Stoffkombinationen zu definieren oder Expositionen genauer zu beziffern. Selbst eine genaue Beschreibung des Krankheitsbildes bei dem IMCS-Syndrom leistet der Vortrag nicht und setzt eine entsprechende Definition (welche ?) vielmehr voraus. Eine Sichtung der hierzu in jüngerer Zeit ergangenen Literatur ergibt, dass unter einem MCS-Syndrom eine "erworbene Störung verstanden wird, die charakterisiert wird durch wiederkehrende Symptome, vorzugsweise an mehreren Organsystemen, die als Antwort auf nachweisbare Expositionen gegenüber vielen chemisch miteinander nicht verwandten Stoffen in Dosen auftreten, die weit unter denen liegen, die in der allgemeinen Bevölkerung für schädlich gehalten werden" (vgl. Hausotter "Der medizinische Sachverständige", 3/2000, Seite 70 f [72] mwN).
Schon diese Definition zeigt, dass die Abgrenzung eines solchen Krankheitsbildes von privaten Risiken auf absehbare Zeit nicht zu leisten sein wird. So führt auch Hausotter aus, es handele sich bei dem MCS-Phänomen um eine Arbeitshypothese, die mit den klassischen Gesetzen der Toxikologie nicht zu vereinbaren ist und bei der es keine rechtliche oder medizinische Kausalität hinsichtlich der Entstehungsmechanismen gibt (vgl. Hausotter a.a.O.,Seite 70 f, LSG NW Urteil vom 30.08.2000, Az.: L 17 U 26/99 n. v.).
Eine Entschädigung als Berufskrankheit kommt daher nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt unter Hinweis auf ein bei ihm vorliegendes Multiple-Chemical-Sensitivity (MCS) - Syndrom Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Vorliegens einer Berufskrankheit.
Der geborene Kläger, der über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, begann 1966 nach einer kurzzeitigen Tätigkeit im Bergbau eine Tätigkeit als Chemiearbeiter in der Farbenproduktion der Ruhr-Lackierwerke A ..., die 1979 von den B ...-Werken übernommen wurden. Bis zur Beendigung seiner dortigen Tätigkeit 1990 wurde der Kläger als Springer eingesetzt, wobei er täglichen Umgang mit verschiedenen Lösungsmitteln hatte.
1990 wechselte der Kläger zu den A ... Stadtwerken, wo er Lösungsmitteln seitdem nicht mehr ausgesetzt ist.
Unter dem 06.03.1998 wandte sich der behandelnde praktische Arzt des Klägers Dr ... an die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie und teilte mit, bei dem Kläger könne eine Berufskrankheit vorliegen. Dieser sei mehr als 20 Jahre in der chemischen Industrie tätig gewesen und 1985 an unklaren Erschöpfungszuständen erkrankt. Er sei bei seiner beruflichen Tätigkeit einer Vielzahl von Lösungsmitteln ausgesetzt gewesen und habe den Arbeitsplatz wechseln müssen.
In einer weiteren Auskunft aus Januar 1999 ergänzte Dr ... seine Ausführungen und teilte auf Anfrage der o. g. Berufsgenossenschaft mit, im Vordergrund stünden bei dem Kläger erhebliche psychovegetative Erschöpfungszustände mit Magenbeschwerden, Schweißausbrüchen, Schlafstörungen und polyneuropathischen Störungen in den Beinen. Eine Polyneuropathie der unteren Extremitäten könne zur Zeit jedoch nicht bestätigt werden.
Da der Kläger 20 Jahre lang mit vielen Lösungsmitteln in Berührung gekommen sei, sei hierdurch eine Mitverursachung der Beschwerden theoretisch möglich.
Im April 1999 diagnostizierte der behandelnde Internist Dr ... bei dem Kläger einen palindromen Rheumatismus ohne sichere nosologische Zuordnung. Anlaß der Vorstellung seien Taubheitsgefühle in den Fingergelenken und flüchtige Schwellungen mehrerer Gelenke wechselhafter Lokalisation gewesen. Es ergebe sich derzeit kein Hinweis auf eine chronische Polyarthritis, da die humoralen Entzünduhgsparameter im Normbereich lägen und auch kein negativer Rheumafaktor festgestellt worden sei.
In einem von der Beklagten eingeholten Bericht ihres Technischen Aufsichtsdienstes vom 14.09.1999 heißt es, an der bisherigen Arbeitsstätte des Klägers sei nur noch ein reines Warenlager vorhanden. Aus den Beobachtungen in einem noch vorhandenen Produktionsbetrieb der B ...-Werke und den Angaben des Klägers gehe jedoch hervor, dass der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit einer Vielzahl von Lösungsmitteln ausgesetzt gewesen sei. Hierzu gehörten Styroi-Alkydharzfarben, aromatische Lösungsmittel, halogenierte Kohlenwasserstoffe sowie weitere Chemikalien.
Nach Beiziehung weiterer ärztlicher Berichte beauftragte die Beklagte den Nervenarzt Dr ... mit der Erstellung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. In seinem unter dem 28.09.1999 erstellten Gutachten teilte Dr ... nach persönlicher Untersuchung des Klägers mit, es seien keine Hinweise für geistige Fehlleistungen im Sinne eines Hirnabbauprozesses vorhanden. Aufgrund der erhobenen Befunde sei eine manifeste oder funktioneil relevante Polyneuropathie mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Eine funktioneil relevante Störung des Nervensystemes sei ebenfalls nicht festzustellen. Eine Erkrankung, die mit der Einwirkung der angeschuldigten Arbeitsstoffe in Verbindung gebracht werden könne, sei ebenfalls nicht feststellbar.
Ein hierzu eingeholtes testpsychologisches Zusatzgutachten eines Diplom-Psychologen vom 29.10.1999 ergab eine knapp durchschnittliche Gedächtnisleistung mit unterdurchschnittlichen Werten in der mittelfristigen Gedächtnisleistung und insgesamt eine Leistungsfähigkeit im Normbereich.
In einem auf Veranlassung der Beklagten erstellten arbeitsmedizinischen Gutachten führte Dr ... unter dem 07.11.1999 aus, der Kläger habe über Schwindelzustände bei der Arbeit mit Lacken seit Mitte der 80er Jahre berichtet. Im ganzen Betrieb sei eine Dunstglocke vorhanden gewesen. Auch heute sei dem Kläger noch schwindelig, wobei durch die Einnahme von Traubenzucker häufig eine Besserung zu erzielen sei. Zusammenfassend gelangte Dr ... zu der Einschätzung/ eine Exposition gegenüber Lösungsmitteln könne bei dem Kläger angenommen werden. Es lasse sich jedoch nicht mehr feststellen, ob auch Halogenkohlenwasserstoffe dabei gewesen seien. Die von dem Kläger beschriebenen wiederkehrenden pränarkotischen Zustände bei der Arbeit deuteten auf eine hohe Konzentration der Lösungsmittel hin, so dass die haftungsbegründende Kausalität vorgelegen haben dürfte.
Jedoch sei weder eine Polyneuroparthie noch eine Enzephalopathie feststellbar. Das ausgeprägte Leidensbild auf orthopädischen Fachgebiet sowie der erhöhte Blutdruck, die Blutzuckerstoffwechselstörung und die wiederkehrende Bronchitis seien keine Erkrankungen, die mit der Einwirkung von Lösungsmitteln vereinbar seien. Jedoch liege ein erhebliches Übergewicht vor, das Ursache der internistischen Erkrankungen sein könne.
Unter dem 27.03.2000 lehnte die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid Entschädigungsleistungen aus Anlass des Vorliegens einer Berufskrankheit nach den Nrn. 1302, 1303 und 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) ab. Zur Begründung verwies sie auf die Ergebnisse der eingeholten Gutachten.
Hiergegen legte der Kläger unter Vorlage ärztlicher Atteste von Dr ... und seinem behandelnden Neurologen und Psychiater Dr ... Widerspruch ein.
In dem Attest von Dr ... führte dieser aus, bei dem Kläger bestehe ein Verdacht auf eine Polyneuropathie durch sonstige toxische Stoffe. Seine Leistungsfähigkeit sei eingeschränkt und aufgrund von Beschwerden im Bereich der Kniescheiben sei er seit acht Monaten arbeitsunfähig. Im Vordergrund des Beschwerdebildes stünden Rückenschmerzen.
Dr ... führte aus, das Gutachten von Dr ... sei zwar sorgfältig erstellt worden. Es fehle jedoch der Hinweis auf die MCS. Es sei die Einholung eines Gutachtens durch einen MCS-erfahrenen Gutachter empfehlenswert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, eine Verletztenrente aus Anlass des Vorliegens einer Berufskrankheit zu erlangen. Zur Begründung der Klage führt der Kläger aus, er leide an multiplen neurologischen Symptomen, die mit gewöhnlichen neurologischen Untersuchungen nicht zu erfassen seien. Er verweist auf einen Aufsatz von Prof. Dr ... , den dieser auf einer Tagung der SPD-Bundestagsfraktion zu dem Thema Umweltbelastung und Gesundheit gehalten habe. Die von Prof. Dr ... beschriebenen Krankheitsbilder seien auch bei ihm - dem Kläger - gegeben.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.03.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2000 zu verurteilen, ihm aus Anlass des Vorliegens einer Berufskrankheit "MCS" eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die Verwaltungsakten der Beklagten und die darin enthaltenen Auszüge aus beigezogenen Akten lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Der Entschädigungsanspruch des Klägers richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der Versicherungsfall, unterstellt er läge vor, bereits vor der Zeit des Inkrafttretens des 7. Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) zum 01.01.1997 eingetreten wäre (Art. 36 Unfallversicherung - Einordnungsgesetz [UVEG] § 212 SGB VII).
Gemäß § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt eines Arbeitsunfalles Entschädigungsleistungen, unter anderem Verletztenrente (§§ 580, 581 RVO). Als Arbeitsunfall gilt nach § 551 Abs. l Satz 2 RVO auch eine Berufskrankheit (BK). BK en sind gemäß § 551 Abs. l Satz 2 RVO Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540, 543 - 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet.
Die Feststellung einer BK setzt grundsätzlich voraus (vgl hierzu Bereiter-Hahn/Schicke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung - Handkommentar - Stand 6/96 §§ 515 RVO Rdnr. 3), dass zum einen in der Person des Versicherten die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind, d. h. dass er im Rahmen seiner versicherten Tätigkeiten schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK ausgesetzt gewesen ist, die prinzipiell geeignet sind, einen entsprechenden gesundheitlichen Schaden zu bewirken (haftungsbegründende Kausalität). Zum anderen muss ein Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung bestehen (haftungsausfüllende Kausalität). Während die arbeitstechnischen Voraussetzungen und der Gesundheitsschaden voll bewiesen sein müssen, reicht zur Bejahung des Kausalzusammenhanges zwischen der schädigenden Einwirkung und dem Gesundheitsschaden die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38 m. w. N.). Diese ist dann gegeben, wenn nach geltender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG a. a. 0. m. w. N.).
Von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgehend, kann nicht festgestellt werden, dass bei dem Kläger eine BK nach der Anlage zur BKV vorliegt.
Hinsichtlich der BK en 1302 und 1303 mangelt es bereits an der haftungsbegründenden Kausalität. Es ist nicht nachgewiesen, dass der Kläger Halogenkohlenwasserstoffen oder Benzol, seinen Homologen oder Styrol während seiner beruflichen Tätigkeit in einem für die o.g. BKen ausreichenden Umfang ausgesetzt war. Messungen konnten an dem früheren Arbeitsplatz des Klägers nicht mehr vorgenommen werden, weil der Produktionsbetrieb nicht mehr in der ursprünglichen Form existiert. Es ist daher im Nachhinein nicht mehr feststellbar, ob und ggf. in welchem Umfang der Kläger den o.g. Stoffen ausgesetzt war.
Die Kammer stützt sich hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität auf die Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten sowie die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten, insbesondere des Arbeitsmediziners Dr ...
Die vorgenannten Gutachten, die auch im Gerichtsverfahren im Wege des ürkundsbeweises zu verwerten sind, entsprechen in Form und Inhalt den Anforderungen, die an wissenschaftlich begründete Sachverständigengutachten zu stellen sind. Dass sie von der Beklagten aufgrund ihrer Amtsermittlungspflicht im Feststellungsverfahren eingeholt worden sind, macht sie nicht zu Privat- bzw. Parteigutachten. Solche Gutachten können im Wege des Ürkundsbeweises verwertet werden und - wenn sie überzeugend begründet sind wie hier - nach der Rechtssprechung des BSG, der die Kammer folgt, auch alleinige Grundlage der gerichtlichen Entscheidung sein (BSG SozR § 128 SGG Nr. 66).
Diesen Anforderungen genügt auch das nervenärztliche Gutachten von Dr ...vom 28.09.1999. Dr ... konnte bei dem Kläger keine funktionelle relevante Störung des Nervensystemes feststellen, die mit der Einwirkung der angeschuldigten Arbeitsstoffe in Verbindung gebracht werden könnte. Insbesondere konnte eine Schädigung des zentralen Nervensystemes nicht festgestellt werden.
Es liegen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die haftungsausfüllende Kausalität hinsichtlich der o.g. BK en gegeben ist.
Auch die Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV sind nicht gegeben. Nach dieser Berufskrankheit können Entschädigungsleistungen erbracht werden beim Vorliegen einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie hervorgerufen durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische.
Zwar ist die haftungsbegründende Kausalität insoweit erfüllt, weil der Kläger von 1966 bis 1990 täglich einer erheblichen Einwirkung von Lösungsmitteln und Gemischen von Lösungsmitteln im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit ausgesetzt war. Bei dieser Feststellung stützt sich die Kammer ebenfalls auf die Ausführungen des TAD und die Ausführungen in dem arbeitsmedizinischen Gutachten von Dr ...
Es liegt jedoch keine Enzephalopathie oder Polyneuropathie vor, die im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit mit der Einwirkung der Lösungsmittel in Verbindung gebracht werden könnte. Zunächst ist bereits zweifelhaft und nicht erwiesen, ob bei dem Kläger überhaupt eine Polyneuropathie vorliegt, denn noch am 28.09.1999 hat der Nervenarzt Dr ... im Rahmen seiner persönlichen Untersuchung des Klägers keine Befunde erhoben, die eine manifeste oder funktioneil relevante Polyneuropathie belegen könnten. Insbesondere war keine Verlangsamung der Nervenleitungsgeschwindigkeiten im Bereich der unteren Extremitäten feststellbar. Auch der Bericht der neurologischen Abteilung des ... über eine stationäre Aufnahme im ... enthält die Feststellung/ dass ein Zusammenhang. der Beschwerden des Klägers mit einer neurologischen Erkrankung nicht erkennbar sei. Es wurde ein Hals- und Lendenwirbelsäulen-schmerzsyndrom mit somatoformer Fixierung diagnostiziert und ausgeführt, bei ausreichender Motivation sei eine psychotherapeutisch stützende Intervention sinnvoll. Hinweise auf eine Polyneuropathie ergeben sich aus diesem Bericht vom 21.02.2001 nicht, obwohl der Kläger zuvor über Wochen hinweg stationär behandelt worden war.
Es ist daher nicht nachvollziehbar, wenn der behandelnde Neurologe und Psychiater des Klägers Dr ... unter dem 09.06.2000, also nach der Untersuchung durch Dr ... und vor der stationären Aufnahme in der Neurologie des ... im ..., als Diagnose eine nicht näher bezeichnete Polyneuropathie aufführt, ohne hierfür eindeutige Untersuchungsergebnisse anführen zu können.
Eine Entschädigungspflicht der Beklagten ergäbe sich jedoch auch dann nicht, wenn zugunsten des Klägers unterstellt würde, dass zum Zeitpunkt der Erstellung des Attestes von Dr ... im eine Polyneuropathie vorgelegen hätte. Angesichts der Untersuchungsergebnisse von Dr ... war zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung im September 1999 noch keine Polyneuropathie nachweisbar, so dass diese allenfalls nachfolgend entstanden sein könnte. Entsteht eine Polyneuropathie aber erst neun Jahre nach Beendigung der Exposition mit Lösungsmitteln, kann ein kausaler Zusammenhang nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden.
So führen etwa Mehrtens-Perlebach in ihrem Kommentar zur Berufskrankheitenverordnung (Stand: 37. Ergänzungslieferung vom 05.06.2000) unter M 1317 auf Seite 2 a aus, neurotoxische Polyneuropathien entwickelten sich im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Lösungsmittelexposition, d.h. in der Regel mit einer Latenz von wenigen Tagen, Latenzzeiten von mehr als zwei Monaten sprächen gegen einen ursächlichen Zusammenhang.
Lösungsmittelbedingte Polyneuropathien heilten in leichten Fällen innerhalb von zehn Monaten vollständig aus; aber auch schwere Verläufe bildeten sich spätestens nach drei Jahren vollständig oder weitgehend zurück. Ein Fortstreiten der Erkrankung nach mehrmonatiger Expositionskarenz schließe eine Verursachung durch Lösungsmittel aus (so auch LSG Saarland, Urteil vom 20.02.2001, Az.: L 2 U 69/99 = Rundschreiben des HVBG vom 13.08.2001 VB 095/2001).
Unstreitig ist der Kläger seit Beendigung seiner Tätigkeit bei den B ...-Werken im Jahre 1990 Lösungsmitteln in seinem beruflichen Umfeld nicht mehr ausgesetzt. Spätestens in den nachfolgenden Monaten hätten sich dann aber eindeutige Hinweise auf eine Polyneuropathie ergeben müssen, damit ein Zusammenhang zwischen dieser Erkrankung und der Einwirkung von Lösungsmitteln angenommen werden könnte. Dies ist nach den aktenkundigen medizinischen Unterlagen nicht der Fall.
Überdies wäre ein Entschädigungsanspruch des Klägers dann nach § 6 Abs. l BKV ausgeschlossen. Hiernach ist eine Erkrankung nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV nur dann auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist. Wäre also eine Polyneuropathie und damit der Versicherungsfall zeitnah zur letzten Lösungsmitteleinwirkung eingetreten, Würde eine Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Entschädigungsleistungen schon an § 6 Abs. l BKV scheitern, denn der Versicherungsfall wäre dann nicht nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten. Ein Entschädigungsanspruch des Klägers unter dem Gesichtspunkt der BK 1317 ist daher in jedem Falle ausgeschlossen.
Auch der Hinweis auf das Vorliegen einer Berufskrankheit MCS kann dem Klagebegehren nicht zum Erfolg verhelfen. Zunächst ist insoweit festzustellen, dass der Regelungssystematik des Berufskrankheitenrechts das Listenprinzip zugrunde liegt, so dass eine Erkrankung, die nicht in der Anlage zur BKV aufgeführt wird, außerhalb der Grenze des § 551 Abs. 2 RVO nicht als Berufskrankheit entschädigt werden kann. Eine Berufskrankheit "MCS" wird in der o.g. Liste nicht aufgeführt. Dies ist auch nicht zu erwarten, wie sich aus der den Beteiligten bekannten Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung aus Februar 1999 ergibt. Darin wird ausgeführt, dass Zusammenhänge nicht beweisbar, Stoffkombinationen nicht definierbar und Expositionen nicht zu beziffern seien. Eine Abgrenzung gegenüber privaten Risiken sei nicht zu leisten.
Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer auch in Ansehung des in schriftlicher Form vorliegenden Vertrages von Prof. Dr ... an. Auch Prof. Dr ... gelingt es nicht. Stoffkombinationen zu definieren oder Expositionen genauer zu beziffern. Selbst eine genaue Beschreibung des Krankheitsbildes bei dem IMCS-Syndrom leistet der Vortrag nicht und setzt eine entsprechende Definition (welche ?) vielmehr voraus. Eine Sichtung der hierzu in jüngerer Zeit ergangenen Literatur ergibt, dass unter einem MCS-Syndrom eine "erworbene Störung verstanden wird, die charakterisiert wird durch wiederkehrende Symptome, vorzugsweise an mehreren Organsystemen, die als Antwort auf nachweisbare Expositionen gegenüber vielen chemisch miteinander nicht verwandten Stoffen in Dosen auftreten, die weit unter denen liegen, die in der allgemeinen Bevölkerung für schädlich gehalten werden" (vgl. Hausotter "Der medizinische Sachverständige", 3/2000, Seite 70 f [72] mwN).
Schon diese Definition zeigt, dass die Abgrenzung eines solchen Krankheitsbildes von privaten Risiken auf absehbare Zeit nicht zu leisten sein wird. So führt auch Hausotter aus, es handele sich bei dem MCS-Phänomen um eine Arbeitshypothese, die mit den klassischen Gesetzen der Toxikologie nicht zu vereinbaren ist und bei der es keine rechtliche oder medizinische Kausalität hinsichtlich der Entstehungsmechanismen gibt (vgl. Hausotter a.a.O.,Seite 70 f, LSG NW Urteil vom 30.08.2000, Az.: L 17 U 26/99 n. v.).
Eine Entschädigung als Berufskrankheit kommt daher nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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