L 10 AL 161/00 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 53 AL 668/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AL 161/00 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. September 2000 und der Bescheid der Beklagten vom 24. September 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 1999 werden aufgehoben. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld, weil die Klägerin ihre Arbeitsbereitschaft verneint habe.

Die im Jahre 1950 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige. Seit 1985 stand sie in einem Arbeitsverhältnis als Reinigerin zum Land Berlin mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden. Seit dem 12. November 1996 bis zur Aussteuerung am 14. Mai 1997 bezog sie Krankengeld. Das Arbeitsverhältnis bestand ungekündigt fort.

Am 24. April 1997 hatte die Klägerin bei der Landesversicherungsanstalt Berlin einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung gestellt, dem mit Bescheid vom 14. Juli 1997 der Erfolg versagt blieb. Zur Begründung führte die Landesversicherungsanstalt Berlin aus, dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin u.a. durch ein depressives Syndrom eingeschränkt sei. Trotz der vorhandenen Leiden könnten Arbeiten noch vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichtet werden. Die auf eine Rentengewährung gerichtete Klage (S 21 RJ 229/98) hat die Klägerin nach medizinischen Ermittlungen zum Leistungsvermögen am 11. Juni 1999 zurückgenommen.

Am 16. Mai 1997 meldete die Klägerin sich arbeitslos, beantragte Arbeitslosengeld und gab an, Rentenantrag gestellt zu haben. Die Beklagte bewilligte daraufhin Arbeitslosengeld für 468 Tage ab dem 16. Mai 1997 (Bescheid vom 31. Juli 1997).

Am 20. März 1998 wurde der Klägerin das arbeitsamtsärztliche Gutachten nach Aktenlage, erstellt zur Beurteilung der Verfügbarkeit vor dem Hintergrund der Depressionen, eröffnet. Nach dem Gutachten bestand keine ausreichende Belastbarkeit für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Raumpflegerin mehr.

Allerdings sei sie noch in der Lage, körperlich leichte, stressarme Arbeiten in wechselnder Arbeitshaltung zu verrichten. Danach erklärte die Klägerin sich bereit, jede zumutbare Vollzeitbeschäftigung anzunehmen, an zumutbaren Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung teilzunehmen und für das Arbeitsamt täglich erreichbar zu sein.

Ab dem 27. März 1998 bejahte die Beklagte die Verfügbarkeit der Klägerin während eines auswärtigen Aufenthalts und gewährte Leistungsfortzahlung bis zum 16. April 1998. Die Wiederbewilligung des Arbeitslosengeldes erfolgte nach der Rückkehr aus dem Urlaub ab dem 20. April 1998 (Bescheid vom 24. April 1998).

Am 30. Juni 1998 erstattete die Klägerin eine Veränderungsmitteilung und sprach bei der zuständigen Arbeitsvermittlerin, der Zeugin vDM vor. Sie legte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Arztes für Nerven- und Gemütskrankheiten Svor, aus denen sich ergab, dass sie seit dem 30. April 1998 bis voraussichtlich 14. August 1998 wegen eines depressiven Syndroms arbeitsunfähig erkrankt sei. Aus dem von der Zeugin gefertigten Beratungsvermerk vom 30. Juni 1998 ergibt sich, dass die Klägerin auch nach mehrmaligem Nachfragen erklärt habe, sie könne nicht arbeiten.

Mit Bescheid vom 02. Juli 1998 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 30. März 1998 (gemeint war der Tag der Eröffnung des Gutachtens vom 26. Februar 1998 am 20. März 1998) auf und forderte mit Bescheid vom 14. Juli 1998 das überzahlte Arbeitslosengeld einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 4.203,28 DM zurück. Auf den Widerspruch der Klägerin prüfte die Beklagte zunächst die Abhilfe und kam im Vermerk vom 08. September 1998 zu der Auffassung, dass die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben könne, da die Klägerin sich im Rahmen des ärztlichen Gutachtens zur Verfügung gestellt habe.

Lediglich eine neue Erkrankung könne bei mehr als sechswöchiger Arbeitsunfähigkeit zur Aufhebung der Bewilligung führen. Im Bescheid vom 24. September 1998 änderte die Beklagte die angefochtene Entscheidung aber dahingehend ab, dass nur noch die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 01. Juli 1998 aufgehoben werde. Aufgrund des eingeholten Gutachtens vom 26. Februar 1998 stehe fest, dass die Klägerin vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könne. Trotzdem habe sie bei der Vorsprache in der Arbeitsvermittlung am 30. Juni 1998 erklärt, sie könne nicht arbeiten. Da sie der Arbeitsvermittlung damit nicht zur Verfügung stehe, sei sie nicht arbeitslos und habe keinen Leistungsanspruch. Dem im Übrigen mit der Begründung aufrecht erhaltenen Widerspruch, die Klägerin habe nur eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt, aber nie erklärt, es bestehe keine Arbeitsbereitschaft, blieb mit zurückweisendem Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 1999 der Erfolg versagt. Das Sozialgericht Berlin hat die hiergegen erhobene Klage nach Einvernahme der Zeugin v D-M mit Urteil vom 19. September 2000 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne dahinstehen, ob für den Restanspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 01. Juli 1998 für 154 Tage ein Fall des § 125 Abs. 1 Sozialgesetzbuch / Drittes Buch (SGB III) gegeben sei oder nicht. Auf die unterschiedlichen Auffassungen des 7. und 11. Senats des Bundessozialgerichts hinsichtlich der Beurteilung der objektiven Verfügbarkeit (BSG SozR 3-4100 § 105 a Nr. 5 und Nr. 7) im Rahmen des § 125 SGB III komme es nicht an. Denn die Klägerin habe sich ab dem 01. Juli 1998 der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung gestellt. Die Kammer sei nach Vernehmung der Zeugin im Termin zu der Überzeugung gelangt, dass die Einlassung der Klägerin, nicht arbeiten zu können, nicht anders verstanden werden könne, als dass sie auch nicht mehr habe arbeiten wollen. Zwar habe sich die Zeugin nicht mehr an den Inhalt des Beratungsgespräches erinnern können, sie habe jedoch das Zustandekommen des Beratungsvermerks in plausibler Art und Weise dargelegt, so dass die Kammer keine Zweifel daran habe, dass die Klägerin tatsächlich erklärt habe, nicht arbeiten zu können.

Ein sprachliches Missverständnis könne ausgeschlossen werden, da die Zeugin glaubhaft dargelegt habe, dass sie im Falle von Verständigungsschwierigkeiten die Klägerin sicher gebeten hätte, erneut vorzusprechen. Die Aussage, nicht arbeiten zu können, sei unmissverständlich und der Interpretation nicht zugänglich. Da auch das sozialgerichtliche Rentenverfahren letztlich ergeben habe, dass bei der Klägerin noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Arbeiten vorliege, könne auch nicht eingewandt werden, dass arbeitsamtsärztliche Gutachten habe der Klägerin ein Restleistungsvermögen unterstellt, das den wahren Gegebenheiten nicht entsprochen habe.

Gegen das ihr am 20. Oktober 2000 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung vom 17. November 2000. Sie trägt vor, dass sie nur über sehr schlechte Deutschkenntnisse verfüge, auch wenn die Zeugin den Eindruck gehabt habe, eine Verständigung sei möglich gewesen. Wie die Beklagte habe auch das Sozialgericht verkannt, dass ihre Aussage, sie könne nicht arbeiten, sich nur auf die attestierte Arbeitsunfähigkeit als objektive Fähigkeit zur Erbringung einer Arbeitsleistung beziehen konnte.

Ihr als Laie sei der Begriff der subjektiven Verfügbarkeit weder geläufig noch verständlich. Eine Eindeutigkeit ihrer Erklärung vom 30. Juni 1998 ergebe sich höchstens für einen sozialrechtlich vorgebildeten Zuhörer, der das, was sie wirklich habe ausdrücken wollen, dann aber missverstanden habe. In keinem Fall habe sie ihre am 20. März 1998 erklärte Bereitschaft, zumutbare Tätigkeiten noch ausüben zu wollen, widerrufen. Dazu habe sie auch gar keine Veranlassung gehabt, da sich in ihrem Gesundheitszustand vom März, also dem Zeitpunkt der Eröffnung des Gutachtens, bis Juni nichts Entscheidendes verändert habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. September 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 24. September 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf das ihrer Meinung nach zutreffende Urteil und den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Wegen der weiteren Sachdarstellung und der Rechtsausführungen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, die Verwaltungsakten der Beklagten (Stamm-Nr.: 776060) und auf die Rentenakten des Verfahrens S 21 RJ 229/98 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und mit der Beklagten die Auffassung vertreten, die Klägerin habe am 30. Juni 1998 mitgeteilt, nicht mehr arbeitsbereit zu sein.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides vom 24. September 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 1999 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch (SGB X), soweit die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zukunft, d.h. ab Zustellung des Aufhebungsbescheides, angeordnet wurde und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X, soweit die Aufhebung ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Änderung der Verhältnisse (01. Juli 1998) erfolgt ist, jeweils i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III.

Zutreffend hat das Sozialgericht herausgearbeitet, dass Voraussetzung einer rechtmäßigen Aufhebung des Bewilligungsbescheides eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen ist, die bei der (Wieder-) Bewilligung von Arbeitslosengeld vorgelegen haben, und als eine solche Änderung im vorliegenden Fall allein die die Arbeitsbereitschaft i.S.d. § 119 Abs. 2 SGB III betreffende Erklärung der Klägerin vom 30. Juni 1998 in Betracht kommt.

Der Senat vermag der Beweiswürdigung des Sozialgerichts, die Klägerin habe durch ihre unter Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ihres behandelnden Nervenarztes gemachte Aussage, sie könne nicht mehr arbeiten, eindeutig und unmissverständlich klargemacht, dass ihre zunächst am 20. März 1998 erklärte Arbeitsbereitschaft, nämlich im Rahmen des im ärztlichen Gutachten vom 26. Februar 1998 festgestellten Restleistungsvermögens noch tätig werden zu wollen, nicht mehr bestehe, nicht zu folgen.

Soweit das Sozialgericht gemeint hat, ein grammatikalisches oder inhaltliches Missverständnis sei schon deshalb ausgeschlossen, weil die Zeugin, die gar keine konkrete Erinnerung an das Beratungsgespräch mehr hatte, angegeben habe, bei Verständigungsschwierigkeiten hätte sie einen Dolmetscher beigezogen, begegnet dies schon deshalb ernsthaften Bedenken, weil das Sozialgericht die Aussage der Klägerin bei seiner Beweiswürdigung dann gar nicht wörtlich genommen, sondern selbst interpretiert hat. Denn die Zeugin hat sowohl im zeitnah gefertigten Beratungsvermerk als auch bei ihrer Aussage vor dem Sozialgericht deutlich gemacht, die Klägerin habe unter Hinweis auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gemeint, nicht arbeiten zu können. Nach ihrer Arbeitsbereitschaft, ihrem Willen im Rahmen des Restleistungsvermögens zu arbeiten, auf den es in der vorliegenden Fallgestaltung bei der Prüfung der subjektiven Verfügbarkeit allein ankommt, weil entweder die objektive Verfügbarkeit nach § 125 Abs. 1 SGB III fingiert wird (so wohl auch für den Fall eines vom Rentenversicherungsträger festgestellten Restleistungsvermögens BSG SozR 3-4100 § 105 a Nr. 7) oder im Rahmen des bereits ermittelten Restleistungsvermögens vorliegt (§ 119 Abs. 2 SGB III) , ist die Klägerin nach dem Beweisergebnis nicht gefragt worden. Das Sozialgericht war offenbar der Auffassung, dass derjenige, der behaupte, aus medizinischen Gründen nicht arbeiten zu können, auch nicht arbeiten wolle, selbst wenn ihm der genaue Umfang der aus medizinischen Gründen nicht ausführbaren Arbeiten nicht bekannt sei. Diese Auffassung entspricht in dieser Allgemeinheit weder der allgemeinen Lebenserfahrung noch den Erfahrungen des Senats. Vielmehr geschieht es in der gerichtlichen Praxis oft, dass Versicherte geltend gemachte Ansprüche damit begründen, zwar arbeiten zu wollen, dies aber aus gesundheitlichen Gründen nicht zu können. Da auch der Arbeitslose, dessen objektive Verfügbarkeit nach § 125 SGB III fingiert wird, sich nur in dem Umfang arbeitsbereit erklären muss, in dem noch ein Restleistungsvermögen besteht, kann aus der Erklärung, eine bestimmte Arbeit nicht verrichten zu können, nicht geschlossen werden, die Arbeitsbereitschaft fehle generell auch für alle darüber hinaus in Betracht kommenden zumutbaren Arbeiten. Zu Recht hat das Bundessozialgerichtgericht in seiner Entscheidung vom 09. September 1999 (SozR 3-4100 § 105 a Nr. 7) ausgeführt, dass die Beklagte trotz der Fiktion des § 125 SGB III / § 105 a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zunächst das tatsächlich bestehende Leistungsvermögen zu ermitteln habe, um die subjektive Verfügbarkeit beurteilen zu können. Dies hatte die Beklagte zunächst auch getan, dann aber verkannt, dass diese Verpflichtung weiter besteht, wenn im Verlaufe des Arbeitslosengeldbezugs Zweifel an der subjektiven Verfügbarkeit / Arbeitsbereitschaft auftreten. Denn es ist kein Grund ersichtlich, bei der Antragstellung geltend gemachte Leistungseinschränkungen anders zu behandeln als solche, die der Versicherte (zusätzlich) erst während des Leistungsbezugs geltend macht. Solche Ermittlungen erübrigten sich allenfalls dann, wenn der Arbeitslose unzweifelhaft im Voraus, auch für den Fall, dass sich doch noch ein Restleistungsvermögen ergebe, ernsthaft jede Arbeitsbereitschaft ablehnte. Selbst dann wäre die Erklärung aber unschädlich, wenn tatsächlich kein Restleistungsvermögen bestünde. Eine solche Fallgestaltung ist vorliegend jedoch nicht gegeben, denn die Klägerin ist am 30. Juni 1998 nicht erneut dazu befragt worden, ob sie sich nicht wenigstens weiter im Rahmen des am 26. Februar 1998 ermittelten Restleistungsvermögens zur Verfügung stellen wolle. Dies hätte aber nahegelegen, da nicht nur ein relativ zeitnah ermitteltes Restleistungsvermögen bekannt war, sondern auch feststand, dass die Klägerin ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Reinigungskraft, nach der sich die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit zumindest bis zum Bezug von Arbeitslosengeld gerichtet hatte, nicht mehr ausüben konnte.Wenn die Beklagte schon der Auffassung war, die vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen belegten im Zusammenhang mit der Erklärung der Klägerin die fehlende Arbeitsbereitschaft / subjektive Verfügbarkeit, hätte sie zumindest Ermittlungen dahingehend anstellen müssen, ob nicht auch das am 26. Februar 1998 festgestellte Leistungsvermögen weiter herabgesunken war. Es geht nicht an, dass die Beklagte solche ihr nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts obliegenden Ermittlungen zulasten der Klägerin unterlässt, gleichzeitig aber ihren alles andere als eindeutigen Erklärungen einen Bedeutungsgehalt beimisst, der die Entziehung der Leistung wegen mangelnder Arbeitsbereitschaft rechtfertigt.

Selbst wenn der Senat - trotz der oben dargelegten Zweifel - unterstellt, dass der Hinweis auf eine aus objektiven medizinischen Gründen bestehende Arbeitsunfähigkeit auch immer den Inhalt hat, nicht bereit zu sein, derartige Arbeiten zu verrichten, durften die Beklagte und das Sozialgericht die Aussage der Klägerin am 30. Juni 1998 nicht dahin verstehen, wegen der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht bereit zu sein, irgendeine, einem noch zu ermittelnden Restleistungsvermögen entsprechende Arbeit auszuüben. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Umständen des vorliegenden Falles. Zutreffend hat das Sozialgericht schon im Richterbrief vom 02. März 2000 darauf hingewiesen, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sich auf die der Klägerin noch zumutbaren Arbeiten i.S.d. SGB III beziehen müsste, gleichwohl aber - aus der Sicht des Senats zu Recht - Bedenken angemeldet, ob dies bei der Ausstellung der Bescheinigung durch den behandelnden Nervenarzt bedacht worden ist.

Genausogut könnte es sein, dass sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab dem 30. April 1998 noch auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Reinigungskraft bezogen haben. Bestehen aber schon in tatsächlicher Hinsicht erhebliche Schwierigkeiten, den objektiven Erklärungsinhalt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu ermitteln, kann der nicht vorgebildeten Klägerin nicht unterstellt werden, sie habe den Inhalt, den die Bescheinigung bei zutreffender rechtlicher Würdigung des Anknüpfungspunktes für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit gehabt haben müsste, in rechtlich zutreffender Weise erfasst und daraus den Schluss gezogen, ihr verbliebenes Restleistungsvermögen habe sich seit dem 26. Februar 1998 weiter verschlechtert, so dass sie auch nicht mehr bereit sei, im Rahmen des damals festgestellten Restleistungsvermögens zu arbeiten. Vielmehr bestehen für den Senat keine Bedenken daran, dass die rechtserheblichen Tatsachen mit der Klägerin nicht in einer Weise erörtert wurden, die dem festgehaltenen Ergebnis des Gesprächs überzeugenden Beweiswert vermitteln. Dazu wäre es zumindest erforderlich gewesen, mit der Klägerin, ggf. unter Zuhilfenahme des im Gutachten festgestellten Leistungsvermögens, zu erörtern, welche Arbeiten sie vor dem Hintergrund der nun vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen glaube, noch verrichten zu können. Weiter wäre es auch unerlässlich gewesen, den tatsächlichen Erklärungsinhalt der Bescheinigung beim behandelnden Nervenarzt abzuklären; mit der Klägerin, die weder juristische noch medizinische Vorkenntnisse hat, war der tatsächliche Inhalt der Bescheinigung jedenfalls nicht aufzuklären. Erst danach hätten Erklärungen der Klägerin mit Beweiswert im Hinblick auf den inneren Umstand der Arbeitsbereitschaft vorgelegen. Soweit mit der Klägerin am 30. Juni 1998 ein Beratungsgespräch unter Benutzung von Rechtsbegriffen wie Arbeitsunfähigkeit, Arbeitsbereitschaft und zumutbarer Tätigkeit geführt wurde, ist das Ergebnis des Gesprächs nahezu ohne Beweiswert, da ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass die türkische Klägerin von einfachem Bildungsstand und mit schlechten Deutschkenntnissen die an sie gerichteten Fragen in ihrem rechtstatsächlichen Bedeutungsgehalt nicht verstanden und daher auch keine verwertbaren Antworten gegeben hat.

Auch aus der Sicht der Klägerin hat keine Veranlassung bestanden, die am 20. März 1998 erklärte Arbeitsbereitschaft in Frage zu stellen, so dass auch aus diesem Blickwinkel kein Anlass besteht, den Aussagen der Klägerin am 30. Juni 1998 einen entsprechenden Bedeutungsgehalt beizumessen. Denn in ihrem Gesundheitszustand ist im fraglichen Zeitraum keine wesentliche Änderung eingetreten. Vielmehr war auch im Gutachten vom 26. Februar 1998 festgestellt worden, dass eine Tätigkeit als Reinigungskraft nicht mehr ausgeübt werden konnte, insoweit also Arbeitsunfähigkeit bestand. Es verwundert daher nicht und spricht auch nicht für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes, wenn die Klägerin zeitnah nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub (20. April 1998), den sie kurz nach Erörterung des Gutachtens am 20. März, nämlich am 27. März 1998, angetreten hatte, eine erneute Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhalten hat, die sie pflichtgemäß, wenn auch verspätet, bei der Beklagten abgegeben hat. Einen darüber hinausgehenden Erklärungswert hat ihr Verhalten am 30. Juni 1998 zur Überzeugung des Senats nicht. Denn steht wie im vorliegenden Fall fest, dass am 30. Juni 1998 nicht sicher bekannt war, welchen Inhalt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung haben sollte bzw. auf welche Tätigkeiten sie sich bezog, kann der Erklärung der Klägerin vor dem Hintergrund dieser Bescheinigung nicht die Bedeutung zugemessen werden, dass sie keinerlei Tätigkeiten mehr verrichten wolle und daher nicht verfügbar sei.

Auch die im Rentenverfahren vor dem Sozialgericht eingeholten Gutachten der Ärzte für Neurologie und Psychiatrie Dr. B und R belegen, dass im Gesundheitszustand der Klägerin in der Zeit von Rentenantragstellung bis zur Gutachtenerstattung im Sozialgerichtsverfahren keine wesentlichen Änderungen eingetreten sind. Damit bestehen für den Senat keine Anhaltspunkte, dass die Klägerin am 30. Juni 1998 eine weitreichende Änderungsmitteilung im Hinblick auf den inneren Umstand der Arbeitsbereitschaft gemacht hat bzw. machen wollte, wie die Beklagte und das Sozialgericht angenommen haben.

Im Ergebnis steht daher fest, dass eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vom 24. April 1998 vorgelegen haben, durch die Erklärungen der Klägerin vom 30. Juni 1998 nicht eingetreten ist. Vielmehr bestand die am 20. März 1998 erklärte Arbeitsbereitschaft im Rahmen des festgestellten Restleistungsvermögens fort.

Der Senat hatte auch nicht etwa aufzuklären, welchen Inhalt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 30. April 1998 und fortfolgend haben sollten. Es macht insoweit keinen Unterschied mehr, ob der behandelnde Nervenarzt erfasst hat, dass sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nunmehr auf die nach dem SGB III noch zumutbaren Tätigkeiten beziehen musste und nicht mehr auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Reinigungskraft im Rahmen des noch bestehenden Arbeitsvertrages, weil der Senat sicher davon ausgehen kann, dass der Klägerin selbst am 30. Juni 1998 nicht bekannt war, auf welche Tätigkeiten sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beziehen sollte. Ist dem aber so, so kann ihrer auf diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gestützten Erklärung, nicht mehr arbeiten zu können, weder in der einen noch in der anderen Sachverhaltsalternative die Bedeutung beigemessen werden, sie habe gar keine Tätigkeiten mehr ausüben wollen. Denn vorliegend fehlt es an Erkenntnissen darüber, wovon die Klägerin im Hinblick auf ihr Leistungsvermögen und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen am 30. Juni 1998 ausgegangen ist. Dies hätte zuverlässig auch nur damals im Beratungsgespräch unter Zuhilfenahme des im Gutachten dargelegten Leistungsvermögens ermittelt werden können.

Nunmehr trägt die Klägerin vor, keineswegs eine Erklärung abgegeben zu haben, die ihre Arbeitsbereitschaft verneinte. Aus den oben dargestellten Gründen sieht der Senat auch keinen Anlass, daran zu zweifeln. Ob sich im Rahmen einer umfassenden Aufklärung am 30. Juni 1998 etwas anderes ergeben hätte, liegt im Bereich der Spekulation und kann nicht entscheidungserheblich sein. Im Sozialgerichtsverfahren hat sich eine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 SGB X nicht nachweisen lassen. Die Beklagte trägt insoweit die Feststellungslast.

Der angefochtene Bescheid vom 24. September 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 1999 erweist sich daher als rechtswidrig; er war ebenso wie das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision ist nicht zugelassen worden, da Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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