S 77 AL 2861/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
77
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 77 AL 2861/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bei der Entscheidung über die Höhe des Überbrückungsgeldes nach § 57 Abs. 4 SGB III gilt ein Vorrang des tatsächlichen Leistungsvorbezuges vor dem fiktiven nur für die Fälle, in denen eine (bestandskräftige) Leistungsbewilligung für den Zeitraum unmittelbar vor dem Leistungsbeginn des Überbrückungsgeldes vorliegt und nicht statt richtig Arbeitslosengeld nur Arbeitslosenhilfe bewilligt war.
2. Nach Erschöpfung des Anspruches auf Arbeitslosengeld kann nur die Arbeitslosenhilfe für die Leistungshöhe des Überbrückungsgeldes nach § 57 Abs. 4 SGB III maßgeblich sein, wenn der Leistungsbeginn nicht nahtlos an den Arbeitslosengeldbezug anschließt oder bis dahin trotz Erschöpfung des Anspruches Arbeitslosengeld (rechtswidrig bestandskräftig) bewilligt war.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Überbrückungsgeldes.

Der Kläger bezog bis 25. Dezember 2000 Arbeitslosengeld in Höhe von 480,83 DM wöchentlich, sodann Arbeitslosenhilfe in einer Höhe von 397,60 DM wöchentlich, wobei die Arbeitslosenhilfe nach Antragstellung am 4. April 2001 erst im April 2001 bewilligt wurde.

Der Kläger wurde am 16. November 2000 als Freischaffender in die Liste B eingetragen. Er beantragte am 20. Dezember 2000 Überbrückungsgeld für eine selbständige Tätigkeit im Büro T, einer zum 1. Januar 2001 vom Kläger und seinem Kollegen A gegründeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Gesellschaftsvertrag vom 22.Dezember 2000).

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 9. Mai 2001 dem Kläger Überbrückungsgeld für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2001 in Höhe von insgesamt 15.417,78 DM (2569,63 DM monatlich).

Den Widerspruch vom 11. Mai 2001 begründete der Kläger damit, dass der bewilligte Betrag nicht den ihm bekannten Berechnungsmodellen entspreche; die Beklagte möge die Berechnung des pauschalierten Sozialversicherungsbeitrages offen legen.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2001 zurück, weil der Kläger bis 31. Dezember 2000 Arbeitslosenhilfe bezogen habe, wonach sich die Höhe des Überbrückungsgeldes nach § 57 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) richte.

Mit seiner am 20. August 2001 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Ansicht, dass es für die Höhe des Überbrückungsgeldes auf die Höhe des bezogenen Arbeitslosengeldes ankomme, da zwischen dem Bezug des Arbeitslosengeldes und dem Beginn des Überbrückungsgeldes ein enger zeitlicher Zusammenhang im Sinne von § 57 Abs. 2 SGB III bestehe, der Antrag für das Überbrückungsgeld noch während des Bezuges des Arbeitslosengeldes gestellt worden und die Beantragung der Arbeitslosenhilfe auf Grund fehlerhafter Beratung durch die Beklagte erfolgt sei.

Der Kläger beantragt,

1. den Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2001 abzuändern,

2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger weiteres Überbrückungsgeld in Höhe von 5.490,08 DM (= 2807,03 EURO) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Kammer haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, den Akteninhalt und das Protokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat keinen Anspruch auf höheres Überbrückungsgeld, weil die Beklagte zu Recht der Leistungshöhe die bezogene Arbeitslosenhilfe zu Grunde gelegt hat. Der angefochtene Bescheid ist insofern nicht rechtswidrig.

Gemäß § 57 Ab. 1 und 2 SGB III hat die Beklagte das Ermessen, Überbrückungsgeld denjenigen Arbeitnehmern zu gewähren, die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden. Im Falle des Kläger hat die Beklagte ihr Ermessen zu Gunsten des Klägers ausgeübt und im angefochtenen Bescheid – insofern nicht angefochten – Verwaltungsakte erlassen, mit denen Überbrückungsgeld bewilligt und der Beginn und das Ende der Leistung verfügt wurde. Die vom Kläger angegriffene Entscheidung über die Leistungshöhe hatte ausschließlich nach § 57 Abs. 4 SGB III zu ergehen und musste nach der Entscheidung über das Ob der Leistung in gebundener Verwaltung, d.h. ohne Ausübung von Ermessen, ergehen. Nach dieser Vorschrift setzt sich das Überbrückungsgeld aus einem Betrag, den der Arbeitnehmer als Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe zuletzt bezogen hat oder bei Arbeitslosigkeit hätte beziehen können, sowie aus den darauf entfallenden pauschalierten Sozialversicherungs-beiträgen zusammen. Der in § 57 Abs. 2 Nr. 1 SGB III geforderte enge zeitliche Zusammenhang spielt nach Wortlaut und Systematik für die Leistungshöhe keine Rolle, weil er ausschließlich Tatbestandsmerkmal bei der Entscheidung über das Ob der Leistung ist (vgl. Stark in Wissing: SGB III, § 57 13. Erg.-Lfg. Juni 2001 S. 7 oberer Absatz).

Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich weiter, dass sich die Höhe der Leistung nach einem tatsächlichen oder fiktiven Leistungsvorbezug richtet. Dieser Leistungsvorbezug muss ”zuletzt” erfolgt sein. Der Bezugszeitpunkt dafür ist nicht geregelt. Nach Auffassung der Kammer bezieht sich dieses Tatbestandsmerkmal auf den Zeitpunkt unmittelbar vor dem Leistungsbeginn des Überbrückungsgeldes aus der Sicht zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde über das Überbrückungsgeld (vgl. Estelmann in Henke SGB III, § 57 Rn. 80).

Dabei gilt nach Ansicht der Kammer ein Vorrang des tatsächlichen Leistungsvorbezuges vor dem fiktiven nur für die Fälle, in denen eine (bestandskräftige) Leistungsbewilligung für den Zeitraum unmittelbar vor dem Leistungsbeginn des Überbrückungsgeld vorliegt. Denn es kommt nach der zutreffenden herrschenden Meinung auf den tatsächlichen Bezug von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe auch dann an, wenn die Leistung bestandskräftig zu Unrecht bewilligt war, jedoch noch nicht wirksam aufgehoben wurde (vgl. Estelmann a.a.O. Rn. 77; Stark a.a.O. S. 7 mittlerer Abs.; Winkler in Gagel: SGB III, § 57 Rn. 15 m.w.N.). Dagegen hat sich die Leistungshöhe nach dem fiktiven Leistungsvorbezug etwa in den Fällen zu richten, wenn statt richtig Arbeitslosengeld nur Arbeitslosenhilfe (bestandskräftig) bewilligt war (insofern bedarf es des Verfahrens nach § 44 SGB X nicht) oder wenn der Arbeitslosengeldbezug wegen Erschöpfung des Anspruches beendet war, sodann für einen größeren Zeitraum bis zum Bezug des Überbrückungsgeldes Arbeitslosenhilfe jedoch wegen erforderlicher Anrechnung des Einkommens des Ehegatten nicht gewährt wurde (h.M. vgl. Winkler a.a.O. Rn. 16, Stark a.a.O. S. 10 vorletzter Absatz m.w.N.).

Weder nach dem Wortlaut noch nach den Regelungszwecken der Vorschrift ist es jedoch nach Auffassung der Kammer zwingend, dass bei einem tatsächlichen, aber nicht unmittelbaren Vorbezug von Arbeitslosengeld dessen Höhe die Leistungshöhe des Überbrückungsgeld bestimmt, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld erschöpft ist. Der Wortlaut gibt dies ausdrücklich nicht vor, weil er eine Alternative eröffnet. Regelungszweck ist insbesondere, den betroffenen Arbeitslosen durch die Förderung der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit vom weiteren Leistungsbezug unabhängig zu machen. Nach Erschöpfung des Arbeitslosengeldanspruches kann insofern jedoch nur noch der Anspruch auf Anschlussarbeitslosenhilfe betroffen sein, weil der vom Gesetzgeber bezweckte Entlastungseffekt für die Versichertengemeinschaft nicht mehr eintreten kann. Daraus ist zu schließen, dass nach Erschöpfung des Anspruches auf Arbeitslosengeld nur die Arbeitslosenhilfe für die Leistungshöhe des Überbrückungsgeldes maßgeblich sein kann, wenn der Leistungsbeginn nicht nahtlos an den Arbeitslosengeldbezug anschließt oder bis dahin trotz Erschöpfung des Anspruches Arbeitslosengeld (rechtswidrig bestandskräftig) bewilligt war.

Für diese Auslegung sprechen auch die Gedanken des Gleichbehandlungsgebotes. Es käme zu nicht zu begründenden Ungleichbehandlungen in den Fallgestaltungen, in denen bei gleichem (engen aber nicht unmittelbaren) Abstand der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit diejenigen Antragsteller, die auf eine Beantragung/ Arbeitslosmeldung für die Arbeitslosenhilfe verzichteten, Leistung nach der Arbeitslosengeldhöhe beziehen könnten, während diejenigen, welche Arbeitslosenhilfe für den kurzen Zwischenzeitraum beziehen (müssen), auf die Leistungshöhe nach der geringeren Leistung verwiesen werden müssten.

Nach der hier dargelegten Auffassung der Kammer kommt es im Falle des Klägers nicht darauf an, dass er nach dem zutreffend unstreitigen Erschöpfen des Arbeitslosengeldanspruches zunächst nicht Arbeitslosenhilfe beantragt hatte und dies erst deutlich später auf Empfehlung der Beklagten getan hat und daraufhin die Bewilligung auch von Arbeitslosenhilfe erfolgte. Insofern wäre eine fehlerhafte Beratung unerheblich; eine solche lässt sich insofern auch nicht erkennen.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch, über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch so behandelt zu werden, als hätte er die selbständige Tätigkeit nach zutreffender Beratung früher, nämlich spätestens zum 26. Dezember 2000 aufgenommen. Nach ständiger und nach Auffassung der Kammer zutreffender Rechtsprechung können über den richterrechtlich begründeten, inzwischen gewohnheitsrechtlichen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch keine tatsächlichen Lebenssachverhalte sondern nur im Sozialversicherungsverhältnis vorzunehmende Gestaltungsrechte (etwa durch die Fiktion von sinnvoll gestellten Leistungsanträgen) korrigiert werden. Die tatsächliche Aufnahme der selbständigen Tätigkeit im Rahmen der erst zum 1. Januar 2001 gegründeten GbR kann deshalb nicht fiktiv auf einen früheren Zeitpunkt verlegt werden.

Inwieweit durch fehlerhafte Beratung Schadensersatzansprüche des Klägers begründet sein können, darf die Kammer mangels Rechtswegzuständigkeit nicht beurteilen.

Die selbständige Tätigkeit als Freischaffender seit 16. November 2000 durch den Kläger war vom Antrag nicht erfasst, der insofern auch verspätet gestellt worden wäre. Überdies war diese Tätigkeit ausweislich des Leistungsbezuges bis zum 31. Dezember 2000 nicht geeignet, die Arbeitslosigkeit des Klägers zu beenden, so dass schon fraglich ist, inwieweit die Aufnahme dieser Tätigkeit nach § 57 Abs. 1 und 2 SGB III förderungsfähig gewesen wäre. Ein evtl. auf sie bezogener Antrag kann mangels Entscheidung der Beklagten darüber auch nicht Gegenstand des vorliegenden, allein auf die Höhe des Überbrückungsgeldes gerichteten Rechtsstreites sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz. Sie berücksichtigt die Erfolglosigkeit der Rechtsverfolgung.
Rechtskraft
Aus
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