Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 12 P 97/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 12/98 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Kläger, ein an Mucoviscidose erkranktes Kind, hat keinen Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung. Vorbereitung und Desinfektion des Inhaliergerätes und des Bades, Hilfe beim Inhalieren, Wecken, Hilfe bei der Gymnastik, beim Besuch der Ambulanz sowie die Überwachung der Medikamenteneinnahme sind nicht berücksichtigungsfähig. Die Mindestzeit von 45 Minuten im Bereich der Grundpflege erreicht der Kläger deshalb nicht.
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung hat.
Der 1982 geborene Kläger leidet an Mucoviscidose. Im Mai 1996 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung von Pflegegeld.
Die Beklagte lehnte dies nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) mit Bescheid vom 25.10.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.1997 ab. Der Kläger benötige nach den Feststellungen des MDK im Antrags- bzw. Widerspruchsverfahren im Vergleich zu gesunden Kindern einen grundpflegerischen Mehraufwand beim Waschen und für notwendige Arzt- und Therapie- besuche, und zwar von ca. 20 bzw. 15 Minuten im Tagesdurchschnitt. Dies reiche für eine mindestens erhebliche Pflegebedürftigkeit i.S.d. Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) nicht aus.
Hiergegen hat der Kläger am 26.09.1997 Klage erhoben. Seine Eltern gaben an, er könne die Körperpflege an sich selbständig durchführen und sich auch selbst an- und ausziehen. Allabendlich müsse er allerdings krankheitsbedingt eine spezielle Gymnastik einhalten, durch die er sehr geschwächt werde. Deshalb müsse ihn die Mutter anschließend mit einem Aufwand von 5 bis 10 Minuten waschen und ihm weitere 5 bis 10 Minuten beim Umziehen helfen. Für Fahrten zur wöchentlichen Krankengymnastik benötige man eine Stunde Fahrtzeit; die Gymnastik selbst dauere eine weitere Stunde. Einmal vierteljährlich müsse er zur Ambulanz in die Medizinische Hochschule in X; dies dauere mit Fahrtzeit vier bis fünf Stunden. Keine Hilfe benötige er beim Toilettengang, beim Essen, beim Aufstehen und Zubettgehen, Gehen, Stehen und Treppensteigen. Darüber hinaus bestehe jedoch weiterer Hilfebedarf. Morgens müsse er geweckt werden, weil er - möglicherweise schwächebedingt - den Wecker nicht höre. Einmal täglich werde in 3 bis 4 Minuten ein Medikament (Grüncef Tabs) aufgelöst und die Einnahme überwacht; die Einnahme von täglich 15 bis 20 Tabletten eines weiteren Medikaments Kreon 25000) werde ebenfalls überwacht. Dreimal täglich werde mit einem Aufwand von jeweils 10 Minuten ein Inhaliergerät vorbereitet und desinfiziert. Für Vorbereitung und Desinfektion des Badezimmers fielen täglich insgesamt 15 Minuten an. Für Anleitung, Hilfestellung und Überwachung seiner Gymnastik und der Inhalationen benötige man täglich 20 Minuten. Die hauswirtschaftliche Versorgung erledige die Mutter. Da er die türkische Küche seiner Familie nicht vertrage, müsse für ihn eine eigene Diät zubereitet werden; für das Zubereiten von Frühstück, Schulfrühstück, Mittagessen, Zwischenmahlzeit und Abendessen seien täglich insgesamt 100 Minuten erforderlich. Für die Bearbeitung vermehrter Wäsche wegen starken Schwitzens fielen wöchentlich ca. 35 Minuten an.
Der Kläger ist der Ansicht, diese zusätzlichen Hilfen im Zusammenhang mit seiner Mucoviscidoseerkrankung seien im Anschluß an das noch zum Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ergangene Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.04.1996 - 3 RK 28/95 - auch im Rahmen des SGB XI der Grundpflege zuzurechnen. Denn das Urteil enthalte zahlreiche Hinweise auch für das SGB XI.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Beide Beteiligten beantragen ferner (hilfsweise),
die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte hält an ihrer Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Widerspruchsbescheid fest. Im Bereich der Grundpflege möge für den Kläger für die Hilfe beim Waschen und Umziehen nach seiner täglichen Gymnastik tatsächlich ein Hilfebedarf von 10 bis 20 Minuten täglich anfallen; daneben bestehe unter dem Gesichtspunkt des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung Bedarf bei den Fahrten zur wöchentlichen Krankengymnastik und vierteljährlichen Ambulanz in der Medizinischen Hochschule in X. Insgesamt erreiche der Hilfebedarf jedoch nicht den gesetzlichen geforderten Mindestumfang.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen; der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Bescheid vom 25.10.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.1997 verletzt den Kläger nicht i.S.d. § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen Rechten. Die Beklagte hat zu Recht die Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung abgelehnt.
Einen Anspruch auf Pflegegeld haben nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI Pflegebedürftige. Der Kläger ist jedoch im Sinne der gesetzlichen Regelungen nicht pflegebedürftig.
Nach § 14 Abs. 1 SGB XI sind pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen. Nach Abs. 3 der Vorschrift besteht die Hilfe im Sinne des Abs. 1 in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen. Nach Abs. 4 der Vorschrift sind gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des Abs. 1
1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung,
2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung,
3. im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung,
4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.
Nach § 15 Abs. 1 SGB XI sind für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XI pflegebedürftige Personen im Sinne des § 14 einer von drei gesetzlich näher umschriebenen Pflegestufen zuzuordnen. Voraussetzung für die Zuordnung zur niedrigsten Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) ist, daß die Person bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI). Nach § 15 Abs. 2 SGB XI ist bei Kindern für die Zuordnung der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend. Nach Abs. 3 Nr. 1 der Vorschrift (bzw. vor einer am 15.06.1996 in Kraft getretenen Änderung des SGB XI nach § 15 Abs. 3 a.F. SGB XI i.V.m. insoweit inhaltsgleichen, maßgebenden Richtlinien der Pflegekassen im Sinne des § 17 SGB XI) muß der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege (= Körperpflege, Ernährung und Mobilität) und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen.
Den für eine Anspruchsbegründung vorgeschriebenen zeitlichen Mindesthilfeaufwand von tagesdurchschnittlich mehr als 45 Minuten im Bereich der Grundpflege erreicht der Kläger bereits nach seinen eigenen Angaben ebensowenig wie nach den Feststellungen des MDK.
Denn er benötigt nach eigenen Angaben im Bereich der Körperpflege im Anschluß an seine abendliche Gymnastik Hilfe beim Waschen von 5 bis 10 Minuten täglich. Im Bereich der Mobilität benötigt er für das folgende Umziehen ebenfalls Hilfe von 5 bis 10 Minuten, ferner für die Fahrt zur Krankengymnastik umgerechnet auf den Tagesdurchschnitt ca. 8,5 Minuten (wöchentlich 60 Minuten) und für die Fahrt zur Medizinischen Hochschule ca. 3,5 Minuten (vierteljährlich maximal 300 Minuten). Insgesamt ergibt das im Bereich der Grundpflege einen Gesamthilfeaufwand von etwa 22 bis 32 Minuten. Der MDK ging insoweit von einem 15- bis 20minütigen Hilfebedarf aus. Die Kammer geht deshalb davon aus, daß der Aufwand für die genannten Hilfeleistungen jedenfalls nicht über 32 Minuten im Tagesdurchschnitt liegt.
Die übrigen Hilfeleistungen fallen zu einem Teil in den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung, zu einem anderen Teil sind sie ein für die Ermittlung des Pflegebedarfs im Sinne des SGB XI nicht berücksichtigungsfähiger Hilfeaufwand.
Zur hauswirtschaftlichen Versorgung gehört auch die Zubereitung sämtlicher Mahlzeiten. Der Umstand, daß diese Mahlzeiten getrennt von den Speisen der Familie des Klägers als besondere Diät zubereitet werden, ändert daran nichts (vgl. BSG vom 19.02.1998 - B 3 P 3/97 R sowie 11/97 R, bislang nur als Pressemitteilung vorliegend; LSG Niedersachsen vom 22.04.1997 - L 4/3 P 23/96 = Breith. 1998, 241; SG Detmold vom 28.05.1997 - S 12 (13) P 9/96 = Breith. 1998, 1). Auch die Bearbeitung vermehrter Wäsche wegen starken Schwitzens fällt unter die hauswirtschaftliche Versorgung. Nach der gesetzlichen Konzeption (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 a.E. SGB XI) erlangt die Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung jedoch nur dann für einen Anspruch auf Pflegegeld Bedeutung, wenn im Grundpflegebereich mehr als 45 Minuten Hilfeaufwand täglich anfallen. Im Falle des Klägers bleibt sie deshalb von vornherein außer Betracht.
Alle übrigen Hilfeleistungen für den Kläger (Vorbereitung und Desinfektion des Inhaliergerätes und des Bades, Hilfe beim Inhalieren, das Wecken, Hilfe bei der Gymnastik, beim Besuch der Ambulanz, Überwachung der Medikamenteneinnahme) sind nach dem SGB XI nicht berücksichtigungsfähig.
Sie sind zum einen keiner der im "Katalog" des § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen unmittelbar zuzuordnen.
Dies ist für die Vorbereitung und Desinfektion des Inhaliergerätes sowie für eine Hilfe beim Inhalieren selbst offenkundig; letztlich handelt es sich um Hilfe bei der Atmung, die im Gesetz nicht als Verrichtung genannt ist. Gleiches gilt für Vorbereitung und Desinfektion des Bades, sofern man diese Tätigkeit nicht noch zur hauswirtschaftlichen Versorgung rechnen kann; die Kammer läßt dies dahinstehen, weil in jedem Falle berücksichtigungsfähige Hilfezeiten im Grundpflegebereich nicht anfallen. Das morgendliche Wecken liegt noch vor der in § 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI genannten Verrichtung des Aufstehens.
Die Hilfe bei der allabendlichen Gymnastik und der wöchentlichen Krankengymnastik ist nicht etwa im Bereich der Mobilität (Gehen, Stehen, etc.) berücksichtigungsfähig; eine zur Aufrechterhaltung der Atemfunktion notwendige Gymnastik hat mit den im Gesetz geschilderten Verrichtungen nichts gemein. Denn § 14 Abs. 1 SGB XI knüpft an "gewöhnliche" Verrichtungen im Ablauf des "täglichen Lebens" an, welche wegen Krankheit oder Behinderung nicht ohne Hilfe bewältigt werden können. Der in Abs. 4 der Vorschrift folgende Verrichtungskatalog nennt allein gewöhnliche Handlungen im Alltagsleben eines jeden. Eine solche gewöhnliche Verrichtung des täglichen Lebens ist danach niemals eine solche, die ein gesunder Mensch von vornherein nie ausführen würde. Im Rahmen der Pflegeversicherung sind vielmehr nur diejenigen Verrichtungen zu berücksichtigen, welche der Pflegebedürftige als Gesunder selbst ausführen würde, und die er nur deshalb nicht (mehr) ausführen kann, weil er krank oder behindert ist (z.B. das Waschen oder Umziehen im Anschluß an eine Gymnastik). Maßnahmen, die dagegen überhaupt nur wegen des Vorliegens einer Krankheit oder Behinderung notwendig sind (z.B. eine spezielle Gymnastik zur Aufrechterhaltung der Atemfunktion), sind mangels der vom Gesetz gemeinten Alltäglichkeit der Verrichtung für die Bedürfnisse eines jeden (und nicht nur des Kranken oder Behinderten) nicht berücksichtigungsfähig (SG Detmold, a.a.O.; LSG Niedersachsen a.a.O. unter Hinweis auf die zum SGB V ergangene Entscheidung des BSG vom 30.09.1993 - 4 RK 1/92 = Breith. 1994, 923 = SozR 3-2500 § 53 Nr. 4).
Aus diesem Grund ist auch eine Hilfe beim Besuch der Ambulanz in der Medizinischen Hochschule von vornherein ebenso unbeachtlich wie die Überwachung der täglichen Medikamenteneinnahme. Letztere unterfällt auch nicht etwa der Ernährung; denn damit ist wiederum nur die Zuführung von Nahrung gemeint, wie sie bei Gesunden wie Kranken gleichermaßen notwendig ist. Die nur im Krankheitsfall nötige Einnahme von Medikamenten ist dagegen keine vom Gesetz gemeinte Alltagsverrichtung eines jeden.
Sind die genannten Verrichtungen im Gesetz zum einen nicht unmittelbar aufgeführt, so lassen sie sich zum anderen nach Ansicht der Kammer auch nicht etwa mittelbar den genannten Grundpflegeverrichtungen zurechnen, weil sie als krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen keine spezielle Fachkunde voraussetzen und im Falle ihres Ausbleibens eine krankheitsbedingte Unfähigkeit zur eigenständigen Durchführung der im Gesetz genannten Verrichtungen eintreten würde.
Die gegenteilige Ansicht des Klägers bezieht sich auf das noch zum SGB V ergangene Urteil des BSG vom 17.04.1996 - 3 RK 28/95 (= Breith. 1997, 581 = SozR 3-2500 § 53 Nr. 10). Die Kammer läßt dahinstehen, ob dieser Entscheidung hinsichtlich der Auslegung des SGB V zuzustimmen ist. Für das SGB XI jedenfalls hieße die Einbeziehung der genannten Hilfeleistungen (die letztlich sämtlich die Aufrechterhaltung der Vitalfunktion des Atmens bezwecken) in die berücksichtigungsfähigen Grundpflegeverrichtungen, den Leistungsanspruch contra legem auszuweiten. Dies mag im Ergebnis als rechtspolitisch wünschenswert angesehen werden; es ist den Gerichten angesichts des nach Ansicht der Kammer eindeutig zum Ausdruck gekommenen gegenteiligen Willens des Gesetzgebers gleichwohl verwehrt.
Das BSG (a.a.O.) hat zum SGB V ausgeführt, die Grundpflege erfasse auch solche im zeitlichen Zusammenhang mit den Katalogtätigkeiten erforderlichen Hilfeleistungen, die diese Verrichtung ermöglichten und nicht die Fachkunde eines Gesundheitsberufes erforderten, also regelmäßig von Familienmitgliedern erbracht würden. Eine krankheitsbedingte Unfähigkeit zur eigenständigen Durchführung von Verrichtungen liege dabei auch dann vor, wenn die Grunderkrankung Störungen von Vitalfunktionen (z. B. des selbst nicht im Verrichtungskatalog genannten Atmens) verursache und die Hilfeleistung primär der Aufrechterhaltung der Vitalfunktion diene. Denn bei Ausfall oder erheblicher Störung dieser Grundfunktion werde ein breitgefächerter Hilfebedarf ausgelöst und könne der Pflegebedürftige auch Katalogverrichtungen nicht mehr selbst ausführen.
Schon das Kriterium des Nichterforderlichseins besonderer Fachkunde begegnet jedoch Zweifeln, da es ihm an Trennschärfe mangelt. Denn sämtliche pflegenden Tätigkeiten sind von verständigen Angehörigen ebenso erlernbar wie von Angehörigen eines Gesundheitsberufes; letztlich bleibt es gleich, ob die Pflegeerfahrung nach Anleitung im Rahmen der Ausbildung in einem Gesundheitsberuf oder im Rahmen der stetigen Pflege eines Familienmitgliedes erworben wird. Das vom BSG entwickelte Kriterium stellt sich daher bei näherer Betrachtung als Scheinkriterium dar, das für die Differenzierung zwischen berücksichtigungsfähiger Leistung der Grundpflege und nicht berücksichtigungsfähiger Leistung der sog. Behandlungspflege untauglich ist.
Darüber hinaus ist das Aufrechterhalten von Vitalfunktionen jedenfalls kein Kriterium, um krankheitstypische Verrichtungen in den Kreis der Alltagsverrichtungen i.S.d. § 14 Abs. 4 SGB XI einzubeziehen. Wie dargelegt soll nur Hilfe zu solchen Verrichtungen berücksichtigt werden, die der Pflegebedürftige als Gesunder selbst ausführen würde. Tätigkeiten, die etwa der Aufrechterhaltung der Atmung dienen, fallen bei einem Gesunden von vornherein nicht an. Der Gesetzgeber wollte mit dem SGB XI allein das krankheits- bzw. behinderungsbedingte Ausbleiben oder Verlieren von Alltagstüchtigkeit - nämlich von Selbständigkeit in den Katalogverrichtungen des § 14 Abs. 4 SGB XI - als den Fall der massenhaft auftretenden Form von Pflegeschicksal erfassen; nicht erfaßt sein soll hingegen jeglicher, auch darüber hinausgehender Pflegeaufwand (vgl. LSG Niedersachsen a.a.O.; SG Detmold a.a.O.). Auch wenn ohne besondere Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Vitalfunktionen zwangsläufig eine Verschlimmerung der Erkrankung bis letztlich zum Verlust der Fähigkeit zu selbständiger Ausführung der Katalogverrichtungen einträte, so sind diese Maßnahmen selbst keine gewöhnlichen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens eines jeden. Konsequenterweise müßte anderenfalls jede auf lange Sicht lebenserhaltende Pflegeleistung außerhalb der Verrichtungen berücksichtigt werden. Dies gilt beispielsweise auch für Insulingaben an Diabetiker, ohne die der Stoffwechsel und damit eine weitere Vitalfunktion zwangsläufig zusammenbrechen würde. Gleichwohl hat das BSG in einer neueren Entscheidung zum SGB XI Insulingaben an diabeteserkrankte Kinder für nicht berücksichtigungsfähig gehalten, da sie nicht Bestandteil einer im Gesetz aufgeführten Grundpflegeverrichtung sei (BSG vom 19.02.1998 - B 3 P 3/97 R und 11/97 R). Ein Grund dafür, bei der Frage der Berücksichtungsfähigkeit von Hilfeleistungen hinsichtlich der Vitalfunktion des Atmens eine andere Beurteilung vorzunehmen als bei der Vitalfunktion des Nahrungsstoffwechsels, ist der Kammer nicht ersichtlich; im Gesetz findet eine solche Differenzierung jedenfalls keinerlei Rechtfertigung.
Unterfallen danach die übrigen Hilfeleistungen für den Kläger zum einen nicht den gesetzlich genannten Verrichtungen, so ist der Verrichtungskatalog in § 14 Abs. 4 SGB XI zum anderen abschließend (vgl. BSG, a.a.O.; LSG Niedersachsen, a.a.O.; SG Detmold a.a.O.; a.A. Udsching, SGB XI. Soziale Pflegeversicherung, Komm., München 1995, § 14 Rz. 3, 10 f.). Denn das Gesetz legt die Voraussetzungen für die Annahme von Pflegebedürftigkeit im Gegensatz zu - und aufgrund der Erfahrungen mit - den Vorschriften über die Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit in den §§ 53 bis 57 SGB V weitgehend selbst fest (insoweit ebenso Udsching, a.a.O. Rz. 2). Dazu nennt es in § 14 Abs. 1 SGB XI ausdrücklich allein einen krankheits- oder behinderungsbedingten Hilfebedarf bei gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens; was zu diesen Verrichtungen zu zählen ist, hat der Gesetzgeber nicht einer Konkretisierung durch Verwaltung und Rechtsprechung überlassen, sondern in § 14 Abs. 4 SGB XI abschließend aufgelistet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Kammer hat die Sprungrevision nach § 161 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung hat.
Der 1982 geborene Kläger leidet an Mucoviscidose. Im Mai 1996 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung von Pflegegeld.
Die Beklagte lehnte dies nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) mit Bescheid vom 25.10.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.1997 ab. Der Kläger benötige nach den Feststellungen des MDK im Antrags- bzw. Widerspruchsverfahren im Vergleich zu gesunden Kindern einen grundpflegerischen Mehraufwand beim Waschen und für notwendige Arzt- und Therapie- besuche, und zwar von ca. 20 bzw. 15 Minuten im Tagesdurchschnitt. Dies reiche für eine mindestens erhebliche Pflegebedürftigkeit i.S.d. Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) nicht aus.
Hiergegen hat der Kläger am 26.09.1997 Klage erhoben. Seine Eltern gaben an, er könne die Körperpflege an sich selbständig durchführen und sich auch selbst an- und ausziehen. Allabendlich müsse er allerdings krankheitsbedingt eine spezielle Gymnastik einhalten, durch die er sehr geschwächt werde. Deshalb müsse ihn die Mutter anschließend mit einem Aufwand von 5 bis 10 Minuten waschen und ihm weitere 5 bis 10 Minuten beim Umziehen helfen. Für Fahrten zur wöchentlichen Krankengymnastik benötige man eine Stunde Fahrtzeit; die Gymnastik selbst dauere eine weitere Stunde. Einmal vierteljährlich müsse er zur Ambulanz in die Medizinische Hochschule in X; dies dauere mit Fahrtzeit vier bis fünf Stunden. Keine Hilfe benötige er beim Toilettengang, beim Essen, beim Aufstehen und Zubettgehen, Gehen, Stehen und Treppensteigen. Darüber hinaus bestehe jedoch weiterer Hilfebedarf. Morgens müsse er geweckt werden, weil er - möglicherweise schwächebedingt - den Wecker nicht höre. Einmal täglich werde in 3 bis 4 Minuten ein Medikament (Grüncef Tabs) aufgelöst und die Einnahme überwacht; die Einnahme von täglich 15 bis 20 Tabletten eines weiteren Medikaments Kreon 25000) werde ebenfalls überwacht. Dreimal täglich werde mit einem Aufwand von jeweils 10 Minuten ein Inhaliergerät vorbereitet und desinfiziert. Für Vorbereitung und Desinfektion des Badezimmers fielen täglich insgesamt 15 Minuten an. Für Anleitung, Hilfestellung und Überwachung seiner Gymnastik und der Inhalationen benötige man täglich 20 Minuten. Die hauswirtschaftliche Versorgung erledige die Mutter. Da er die türkische Küche seiner Familie nicht vertrage, müsse für ihn eine eigene Diät zubereitet werden; für das Zubereiten von Frühstück, Schulfrühstück, Mittagessen, Zwischenmahlzeit und Abendessen seien täglich insgesamt 100 Minuten erforderlich. Für die Bearbeitung vermehrter Wäsche wegen starken Schwitzens fielen wöchentlich ca. 35 Minuten an.
Der Kläger ist der Ansicht, diese zusätzlichen Hilfen im Zusammenhang mit seiner Mucoviscidoseerkrankung seien im Anschluß an das noch zum Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ergangene Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.04.1996 - 3 RK 28/95 - auch im Rahmen des SGB XI der Grundpflege zuzurechnen. Denn das Urteil enthalte zahlreiche Hinweise auch für das SGB XI.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Beide Beteiligten beantragen ferner (hilfsweise),
die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte hält an ihrer Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Widerspruchsbescheid fest. Im Bereich der Grundpflege möge für den Kläger für die Hilfe beim Waschen und Umziehen nach seiner täglichen Gymnastik tatsächlich ein Hilfebedarf von 10 bis 20 Minuten täglich anfallen; daneben bestehe unter dem Gesichtspunkt des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung Bedarf bei den Fahrten zur wöchentlichen Krankengymnastik und vierteljährlichen Ambulanz in der Medizinischen Hochschule in X. Insgesamt erreiche der Hilfebedarf jedoch nicht den gesetzlichen geforderten Mindestumfang.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen; der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Bescheid vom 25.10.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.1997 verletzt den Kläger nicht i.S.d. § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen Rechten. Die Beklagte hat zu Recht die Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung abgelehnt.
Einen Anspruch auf Pflegegeld haben nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI Pflegebedürftige. Der Kläger ist jedoch im Sinne der gesetzlichen Regelungen nicht pflegebedürftig.
Nach § 14 Abs. 1 SGB XI sind pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen. Nach Abs. 3 der Vorschrift besteht die Hilfe im Sinne des Abs. 1 in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen. Nach Abs. 4 der Vorschrift sind gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des Abs. 1
1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung,
2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung,
3. im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung,
4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.
Nach § 15 Abs. 1 SGB XI sind für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XI pflegebedürftige Personen im Sinne des § 14 einer von drei gesetzlich näher umschriebenen Pflegestufen zuzuordnen. Voraussetzung für die Zuordnung zur niedrigsten Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) ist, daß die Person bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI). Nach § 15 Abs. 2 SGB XI ist bei Kindern für die Zuordnung der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend. Nach Abs. 3 Nr. 1 der Vorschrift (bzw. vor einer am 15.06.1996 in Kraft getretenen Änderung des SGB XI nach § 15 Abs. 3 a.F. SGB XI i.V.m. insoweit inhaltsgleichen, maßgebenden Richtlinien der Pflegekassen im Sinne des § 17 SGB XI) muß der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege (= Körperpflege, Ernährung und Mobilität) und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen.
Den für eine Anspruchsbegründung vorgeschriebenen zeitlichen Mindesthilfeaufwand von tagesdurchschnittlich mehr als 45 Minuten im Bereich der Grundpflege erreicht der Kläger bereits nach seinen eigenen Angaben ebensowenig wie nach den Feststellungen des MDK.
Denn er benötigt nach eigenen Angaben im Bereich der Körperpflege im Anschluß an seine abendliche Gymnastik Hilfe beim Waschen von 5 bis 10 Minuten täglich. Im Bereich der Mobilität benötigt er für das folgende Umziehen ebenfalls Hilfe von 5 bis 10 Minuten, ferner für die Fahrt zur Krankengymnastik umgerechnet auf den Tagesdurchschnitt ca. 8,5 Minuten (wöchentlich 60 Minuten) und für die Fahrt zur Medizinischen Hochschule ca. 3,5 Minuten (vierteljährlich maximal 300 Minuten). Insgesamt ergibt das im Bereich der Grundpflege einen Gesamthilfeaufwand von etwa 22 bis 32 Minuten. Der MDK ging insoweit von einem 15- bis 20minütigen Hilfebedarf aus. Die Kammer geht deshalb davon aus, daß der Aufwand für die genannten Hilfeleistungen jedenfalls nicht über 32 Minuten im Tagesdurchschnitt liegt.
Die übrigen Hilfeleistungen fallen zu einem Teil in den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung, zu einem anderen Teil sind sie ein für die Ermittlung des Pflegebedarfs im Sinne des SGB XI nicht berücksichtigungsfähiger Hilfeaufwand.
Zur hauswirtschaftlichen Versorgung gehört auch die Zubereitung sämtlicher Mahlzeiten. Der Umstand, daß diese Mahlzeiten getrennt von den Speisen der Familie des Klägers als besondere Diät zubereitet werden, ändert daran nichts (vgl. BSG vom 19.02.1998 - B 3 P 3/97 R sowie 11/97 R, bislang nur als Pressemitteilung vorliegend; LSG Niedersachsen vom 22.04.1997 - L 4/3 P 23/96 = Breith. 1998, 241; SG Detmold vom 28.05.1997 - S 12 (13) P 9/96 = Breith. 1998, 1). Auch die Bearbeitung vermehrter Wäsche wegen starken Schwitzens fällt unter die hauswirtschaftliche Versorgung. Nach der gesetzlichen Konzeption (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 a.E. SGB XI) erlangt die Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung jedoch nur dann für einen Anspruch auf Pflegegeld Bedeutung, wenn im Grundpflegebereich mehr als 45 Minuten Hilfeaufwand täglich anfallen. Im Falle des Klägers bleibt sie deshalb von vornherein außer Betracht.
Alle übrigen Hilfeleistungen für den Kläger (Vorbereitung und Desinfektion des Inhaliergerätes und des Bades, Hilfe beim Inhalieren, das Wecken, Hilfe bei der Gymnastik, beim Besuch der Ambulanz, Überwachung der Medikamenteneinnahme) sind nach dem SGB XI nicht berücksichtigungsfähig.
Sie sind zum einen keiner der im "Katalog" des § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen unmittelbar zuzuordnen.
Dies ist für die Vorbereitung und Desinfektion des Inhaliergerätes sowie für eine Hilfe beim Inhalieren selbst offenkundig; letztlich handelt es sich um Hilfe bei der Atmung, die im Gesetz nicht als Verrichtung genannt ist. Gleiches gilt für Vorbereitung und Desinfektion des Bades, sofern man diese Tätigkeit nicht noch zur hauswirtschaftlichen Versorgung rechnen kann; die Kammer läßt dies dahinstehen, weil in jedem Falle berücksichtigungsfähige Hilfezeiten im Grundpflegebereich nicht anfallen. Das morgendliche Wecken liegt noch vor der in § 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI genannten Verrichtung des Aufstehens.
Die Hilfe bei der allabendlichen Gymnastik und der wöchentlichen Krankengymnastik ist nicht etwa im Bereich der Mobilität (Gehen, Stehen, etc.) berücksichtigungsfähig; eine zur Aufrechterhaltung der Atemfunktion notwendige Gymnastik hat mit den im Gesetz geschilderten Verrichtungen nichts gemein. Denn § 14 Abs. 1 SGB XI knüpft an "gewöhnliche" Verrichtungen im Ablauf des "täglichen Lebens" an, welche wegen Krankheit oder Behinderung nicht ohne Hilfe bewältigt werden können. Der in Abs. 4 der Vorschrift folgende Verrichtungskatalog nennt allein gewöhnliche Handlungen im Alltagsleben eines jeden. Eine solche gewöhnliche Verrichtung des täglichen Lebens ist danach niemals eine solche, die ein gesunder Mensch von vornherein nie ausführen würde. Im Rahmen der Pflegeversicherung sind vielmehr nur diejenigen Verrichtungen zu berücksichtigen, welche der Pflegebedürftige als Gesunder selbst ausführen würde, und die er nur deshalb nicht (mehr) ausführen kann, weil er krank oder behindert ist (z.B. das Waschen oder Umziehen im Anschluß an eine Gymnastik). Maßnahmen, die dagegen überhaupt nur wegen des Vorliegens einer Krankheit oder Behinderung notwendig sind (z.B. eine spezielle Gymnastik zur Aufrechterhaltung der Atemfunktion), sind mangels der vom Gesetz gemeinten Alltäglichkeit der Verrichtung für die Bedürfnisse eines jeden (und nicht nur des Kranken oder Behinderten) nicht berücksichtigungsfähig (SG Detmold, a.a.O.; LSG Niedersachsen a.a.O. unter Hinweis auf die zum SGB V ergangene Entscheidung des BSG vom 30.09.1993 - 4 RK 1/92 = Breith. 1994, 923 = SozR 3-2500 § 53 Nr. 4).
Aus diesem Grund ist auch eine Hilfe beim Besuch der Ambulanz in der Medizinischen Hochschule von vornherein ebenso unbeachtlich wie die Überwachung der täglichen Medikamenteneinnahme. Letztere unterfällt auch nicht etwa der Ernährung; denn damit ist wiederum nur die Zuführung von Nahrung gemeint, wie sie bei Gesunden wie Kranken gleichermaßen notwendig ist. Die nur im Krankheitsfall nötige Einnahme von Medikamenten ist dagegen keine vom Gesetz gemeinte Alltagsverrichtung eines jeden.
Sind die genannten Verrichtungen im Gesetz zum einen nicht unmittelbar aufgeführt, so lassen sie sich zum anderen nach Ansicht der Kammer auch nicht etwa mittelbar den genannten Grundpflegeverrichtungen zurechnen, weil sie als krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen keine spezielle Fachkunde voraussetzen und im Falle ihres Ausbleibens eine krankheitsbedingte Unfähigkeit zur eigenständigen Durchführung der im Gesetz genannten Verrichtungen eintreten würde.
Die gegenteilige Ansicht des Klägers bezieht sich auf das noch zum SGB V ergangene Urteil des BSG vom 17.04.1996 - 3 RK 28/95 (= Breith. 1997, 581 = SozR 3-2500 § 53 Nr. 10). Die Kammer läßt dahinstehen, ob dieser Entscheidung hinsichtlich der Auslegung des SGB V zuzustimmen ist. Für das SGB XI jedenfalls hieße die Einbeziehung der genannten Hilfeleistungen (die letztlich sämtlich die Aufrechterhaltung der Vitalfunktion des Atmens bezwecken) in die berücksichtigungsfähigen Grundpflegeverrichtungen, den Leistungsanspruch contra legem auszuweiten. Dies mag im Ergebnis als rechtspolitisch wünschenswert angesehen werden; es ist den Gerichten angesichts des nach Ansicht der Kammer eindeutig zum Ausdruck gekommenen gegenteiligen Willens des Gesetzgebers gleichwohl verwehrt.
Das BSG (a.a.O.) hat zum SGB V ausgeführt, die Grundpflege erfasse auch solche im zeitlichen Zusammenhang mit den Katalogtätigkeiten erforderlichen Hilfeleistungen, die diese Verrichtung ermöglichten und nicht die Fachkunde eines Gesundheitsberufes erforderten, also regelmäßig von Familienmitgliedern erbracht würden. Eine krankheitsbedingte Unfähigkeit zur eigenständigen Durchführung von Verrichtungen liege dabei auch dann vor, wenn die Grunderkrankung Störungen von Vitalfunktionen (z. B. des selbst nicht im Verrichtungskatalog genannten Atmens) verursache und die Hilfeleistung primär der Aufrechterhaltung der Vitalfunktion diene. Denn bei Ausfall oder erheblicher Störung dieser Grundfunktion werde ein breitgefächerter Hilfebedarf ausgelöst und könne der Pflegebedürftige auch Katalogverrichtungen nicht mehr selbst ausführen.
Schon das Kriterium des Nichterforderlichseins besonderer Fachkunde begegnet jedoch Zweifeln, da es ihm an Trennschärfe mangelt. Denn sämtliche pflegenden Tätigkeiten sind von verständigen Angehörigen ebenso erlernbar wie von Angehörigen eines Gesundheitsberufes; letztlich bleibt es gleich, ob die Pflegeerfahrung nach Anleitung im Rahmen der Ausbildung in einem Gesundheitsberuf oder im Rahmen der stetigen Pflege eines Familienmitgliedes erworben wird. Das vom BSG entwickelte Kriterium stellt sich daher bei näherer Betrachtung als Scheinkriterium dar, das für die Differenzierung zwischen berücksichtigungsfähiger Leistung der Grundpflege und nicht berücksichtigungsfähiger Leistung der sog. Behandlungspflege untauglich ist.
Darüber hinaus ist das Aufrechterhalten von Vitalfunktionen jedenfalls kein Kriterium, um krankheitstypische Verrichtungen in den Kreis der Alltagsverrichtungen i.S.d. § 14 Abs. 4 SGB XI einzubeziehen. Wie dargelegt soll nur Hilfe zu solchen Verrichtungen berücksichtigt werden, die der Pflegebedürftige als Gesunder selbst ausführen würde. Tätigkeiten, die etwa der Aufrechterhaltung der Atmung dienen, fallen bei einem Gesunden von vornherein nicht an. Der Gesetzgeber wollte mit dem SGB XI allein das krankheits- bzw. behinderungsbedingte Ausbleiben oder Verlieren von Alltagstüchtigkeit - nämlich von Selbständigkeit in den Katalogverrichtungen des § 14 Abs. 4 SGB XI - als den Fall der massenhaft auftretenden Form von Pflegeschicksal erfassen; nicht erfaßt sein soll hingegen jeglicher, auch darüber hinausgehender Pflegeaufwand (vgl. LSG Niedersachsen a.a.O.; SG Detmold a.a.O.). Auch wenn ohne besondere Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Vitalfunktionen zwangsläufig eine Verschlimmerung der Erkrankung bis letztlich zum Verlust der Fähigkeit zu selbständiger Ausführung der Katalogverrichtungen einträte, so sind diese Maßnahmen selbst keine gewöhnlichen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens eines jeden. Konsequenterweise müßte anderenfalls jede auf lange Sicht lebenserhaltende Pflegeleistung außerhalb der Verrichtungen berücksichtigt werden. Dies gilt beispielsweise auch für Insulingaben an Diabetiker, ohne die der Stoffwechsel und damit eine weitere Vitalfunktion zwangsläufig zusammenbrechen würde. Gleichwohl hat das BSG in einer neueren Entscheidung zum SGB XI Insulingaben an diabeteserkrankte Kinder für nicht berücksichtigungsfähig gehalten, da sie nicht Bestandteil einer im Gesetz aufgeführten Grundpflegeverrichtung sei (BSG vom 19.02.1998 - B 3 P 3/97 R und 11/97 R). Ein Grund dafür, bei der Frage der Berücksichtungsfähigkeit von Hilfeleistungen hinsichtlich der Vitalfunktion des Atmens eine andere Beurteilung vorzunehmen als bei der Vitalfunktion des Nahrungsstoffwechsels, ist der Kammer nicht ersichtlich; im Gesetz findet eine solche Differenzierung jedenfalls keinerlei Rechtfertigung.
Unterfallen danach die übrigen Hilfeleistungen für den Kläger zum einen nicht den gesetzlich genannten Verrichtungen, so ist der Verrichtungskatalog in § 14 Abs. 4 SGB XI zum anderen abschließend (vgl. BSG, a.a.O.; LSG Niedersachsen, a.a.O.; SG Detmold a.a.O.; a.A. Udsching, SGB XI. Soziale Pflegeversicherung, Komm., München 1995, § 14 Rz. 3, 10 f.). Denn das Gesetz legt die Voraussetzungen für die Annahme von Pflegebedürftigkeit im Gegensatz zu - und aufgrund der Erfahrungen mit - den Vorschriften über die Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit in den §§ 53 bis 57 SGB V weitgehend selbst fest (insoweit ebenso Udsching, a.a.O. Rz. 2). Dazu nennt es in § 14 Abs. 1 SGB XI ausdrücklich allein einen krankheits- oder behinderungsbedingten Hilfebedarf bei gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens; was zu diesen Verrichtungen zu zählen ist, hat der Gesetzgeber nicht einer Konkretisierung durch Verwaltung und Rechtsprechung überlassen, sondern in § 14 Abs. 4 SGB XI abschließend aufgelistet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Kammer hat die Sprungrevision nach § 161 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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