Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 VG 65/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 VG 37/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2006 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG).
Die 1966 geborene Klägerin wandte sich am 27. Dezember 2004 an den Beklagten mit einem Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ca. ab 1971 über Jahre von ihrem 1949 geborenen Onkel, dem Zeugen G L, sexuell misshandelt worden zu sein. Infolge dieser Misshandlungen leide sie an Angstzuständen, so dass sie nicht allein bleiben könne, sowie an psychischen Störungen. Der Beklagte zog Unterlagen der Staatsanwaltschaft Berlin (Aktenzeichen 11 Ju Js 2933/04) bei; das Verfahren war aufgrund einer entsprechenden Strafanzeige der Klägerin gegen ihren Onkel vom 03. November 2004 zustande gekommen und am 09. Dezember 2004 wegen Verfolgungsverjährung eingestellt worden. Der Beklagte holte eine schriftliche Äußerung der Mutter der Klägerin, Frau R K, ein, die am 31. März 2005 angab, in den Jahren 1971 bis 1974 nichts von den durch die Klägerin angegebenen Übergriffen gewusst zu haben. Der Onkel der Klägerin, ihr Bruder, sei geistig behindert. Durch Bescheid vom 07. April 2005 in der Fassung eines Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2005 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung ab, da Zeugen für die beschriebenen sexuellen Übergriffe nicht benannt worden seien und der Beschuldigte aufgrund seiner hochgradigen Behinderung nicht in der Lage sei, sich verantwortlich zu äußern. Der erforderliche Nachweis der geltend gemachten Übergriffe hätte daher nicht geführt werden können.
Im hiergegen angestrengten Klageverfahren hat das Sozialgericht Berlin Befundberichte der behandelnden Ärztin für Neurologie und Psychiatrie B vom 20. August 2005 und der Diplom-Psychologin L vom 05. September 2005 eingeholt. Die Mutter der Klägerin hat dem Gericht ein Betreuungsgutachten des Facharztes für Psychiatrie K über ihren Bruder, den Zeugen L vom 14. März 2002 übermittelt, in dem ausgeführt ist, dass weiterhin von einer geistigen Behinderung vom Grad der Imbezillität infolge einer frühkindlichen Hirnschädigung bei Alkoholkrankheit der Mutter ausgegangen werden müsse. Er sei völlig rat- und hilflos und könne aufgrund der erheblichen intellektuellen Defizite komplexere Situationen und Zusammenhänge in keiner Weise erfassen. Seine freie Willensbildung sei dauerhaft aufgehoben. Durch Beschluss des Amtsgerichts Neukölln vom 08. Juli 2002 wurde die Betreuung des Zeugen L mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden aufgrund dessen verlängert und um "Wohnungsangelegenheiten" erweitert. Das Gericht hat im Erörterungstermin vom 20. Januar 2006 ferner die Klägerin zur Sache gehört und die Mutter der Klägerin als Zeugin vernommen, insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Die Klägerin hatte angegeben, von ihrem Onkel mit Schokolade gelockt worden zu sein. Sie hätte tanzen müssen, wobei sie oben rum nichts angehabt habe. Ihr Onkel habe sie berührt und dabei eine Erektion bekommen. Der Missbrauch habe stattgefunden, als sie 5 Jahre alt gewesen sei bis zum Alter von 8 oder 9 Jahren. Die Mutter der Klägerin sagte aus, seinerzeit kein Wissen über einen sexuellen Missbrauch gehabt zu haben, ihrer Tochter jedoch zu glauben, weil diese sie noch nie angelogen gehabt hätte. Das Gericht hat ferner ein Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L vom 16. Mai 2005, erstattet in einem Rentenverfahren, zu den Akten genommen und sodann ein Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D, Krankenhaus H, vom 24. März 2006, eingeholt. Diese führte aus, dass bei der Klägerin eine Agoraphobie mit Panikstörung, nicht jedoch eine posttraumatische Belastungsstörung vorliege. Es sei sehr wahrscheinlich, dass die Angsterkrankung der Klägerin in ursächlichem Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch im Kindesalter durch ihren Onkel stehe. Das bekannteste und favorisierte Modell zur Ätiologie und Pathogenese von Angsterkrankungen sei das psychodynamische Konfliktmodell. Dieses gehe von einem Trauma, einem Konflikt in der Kindheit aus, das zunächst lange durch verschiedenste Abwehrmechanismen verdeckt bleibe und sich im Erwachsenenalter durch einen aktuellen Konflikt oder eine Reaktivierung als Bild einer Angststörung offenbare. Aus unterschiedlichen Studien sei bekannt, dass vor allem kindlicher sexueller Missbrauch und kindliche Gewalterfahrung sehr häufig zu Angststörungen führen könnten. Aus diesen Überlegungen halte sie es für sehr wahrscheinlich, dass die Angsterkrankung der Klägerin in ursächlichem Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch im Kindesalter stehe. Sie halte die Angaben der Klägerin bezüglich des sexuellen Missbrauchs in den Jahren 1971 bis 1974 für glaubhaft. Zu diesem Ergebnis komme sie nach einer Beurteilung von inhaltlichen und aussageübergreifenden Qualitätsmerkmalen entsprechend der Kategorisierung von Realkennzeichen nach Steller und Köhnken 1989 sowie Arntzen 1993 und 1970. Entsprechend der Merkmalsliste von Steller und Köhnken sprächen eine ungeordnete sprunghafte Darstellung der Geschehnisse durch die Klägerin, die Wiedergabe von kurzen Gesprächen, die Schilderung nebensächlicher Einzelheiten wie z. B. des schlechten Zahnstatus des Onkels, das Eingeständnis von Erinnerungslücken sowie die Entlastung des Angeschuldigten als Glaubwürdigkeitsmerkmale für die Richtigkeit der Angaben der Klägerin. Entsprechend der von Arntzen beschriebenen Konstanzanalyse aufgrund eines Vergleiches von Aussagen über denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Zeitpunkten lägen auch konstante und zu erwartende inkonstante Angaben vor. Von einer Pseudoerinnerung sei nicht auszugehen, weil nach Exploration der Klägerin und Aktenlage keine suggestiven Techniken zur Anwendung gekommen seien. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bewerte sie mit 40 v. H., da die Klägerin aufgrund ihrer Angststörung ohne ihren Mann ihr Haus nicht mehr verlassen könne, ihr Mann hätte aus diesem Grund seinen Beruf aufgegeben.
Mit Urteil vom 15. Dezember 2006 hat das Sozialgericht Berlin unter Abänderung der angefochtenen Bescheide festgestellt, dass der von der Klägerin in den Jahren 1971 bis 1974 erlittene sexuelle Missbrauch ein vorsätzlicher rechtswidriger Angriff im Sinne des OEG gewesen sei und die hierdurch verursachte gesundheitliche Schädigung "Agoraphobie mit Panikstörung" eine MdE von 40 v. H. bedinge und die Klage im Übrigen abgewiesen. Unter Beachtung der besonderen Beweiserleichterung des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfg) seien vorliegend die Angaben der Klägerin, die sich ohne ihr Verschulden in Beweisnot befinde, der Entscheidung zugrunde zu legen. Diese seien unter Berücksichtigung der Ausführungen der Dr. D in deren Gutachten als glaubhaft anzusehen, so dass der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sei. Ein Anspruch auf Versorgung gemäß § 10 a OEG bestehe jedoch nicht. Denn da die Klägerin vor Mai 1976 Opfer einer Gewalttat im Sinne des OEG geworden sei, käme die Gewährung einer Versorgung unter Beachtung dieser Vorschrift nur dann in Betracht, wenn und so lange die Klägerin infolge der erlittenen Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sei; eine Schwerbeschädigung nach § 31 Abs. 3 Satz 1 BVG setze jedoch eine MdE in Höhe von 50 v. H. voraus, die vorliegend nicht gegeben sei.
Gegen dieses ihm am 20. Februar 2007 zugegangene Urteil richtet sich die am 01. März 2007 eingelegte Berufung des Beklagten. Die Klägerin hat gegen das ihr am 21. Februar 2007 zugestellte Urteil mit Schreiben vom 19. März 2007 Berufung eingelegt.
Die Klägerin trägt weiterhin vor, dass es sich bei dem durch ihren Onkel erlittenen Missbrauch keineswegs um eine Scheinerinnerung gehandelt habe. Vielmehr sei dies Realität gewesen. Ferner begehrt sie die Gewährung von Entschädigungsleistungen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2006 und den Bescheid des Beklagten vom 07. April 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2005 aufzuheben, den Beklagten zu verurteilen, ihr aufgrund der in der Zeit von 1971 bis 1974 erlittenen Missbrauchshandlungen Leistungen nach dem OEG i. V. m. dem BVG nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 80 v. H. zu gewähren und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2006 aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Der Beklagte hat eine aussagepsychologische Stellungnahme des Prof. Dr. S, Institut für Forensische Psychiatrie der C, Universitätsmedizin B, C F, vom 24. April 2007 beigebracht. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die Angaben der Klägerin über sexuelle Missbrauchshandlungen durch ihren Onkel mit aussagepsychologischer Methodik nicht positiv substantiiert werden könnten. Vielmehr stehe der Erlebnishypothese mindestens gleichberechtigt die Annahme gegenüber, dass die entsprechenden Angaben der Klägerin auf Scheinerinnerungen beruhten. Aufgrund der besonderen Umstände in der Genese der Missbrauchsvorstellungen der Klägerin ("Wiedererlangung" einer Erinnerung nach langjähriger Amnesie) und aufgrund ihrer spezifischen persönlichen Voraussetzungen könne die Scheinerinnerungshypothese grundsätzlich nicht durch eine hohe (gute) Aussagequalität zurückgewiesen werden, da durch Suggestion entstandene Aussagen eine vergleichbar hohe Qualität haben könnten wie erlebnisbasierte Aussagen. Eine zukünftige Exploration zur Sache könne daher keine positive psychologische Beweisführung mehr ermöglichen. Denkbar sei vielmehr lediglich, dass durch eine zukünftige Begutachtung der Klägerin das derzeitige aussagepsychologische Non Liquet in Richtung einer stärkeren Gewichtung der Scheinerinnerungshypothese verändert werden könne.
Der Bundesgerichtshof (BGH) habe in Strafsachen Mindestanforderungen an eine aussagepsychologische Bewertung formuliert, die mit der wissenschaftlichen Aussage der psychologischen Literatur übereinstimmten. Danach seien Erkenntnisse über die Persönlichkeit des Aussagenden mit der Qualität der verfahrensrelevanten Bekundungen in Beziehung zu setzen unter Berücksichtigung denkbarer Falschaussagemotivationen und denkbarer Fehlerquellen, die sich aus der Aussageentstehung und Aussageentwicklung ergäben. Dieses Vorgehen habe sich an vorfindbaren Anknüpfungstatsachen und an expliziten Gegenhypothesen zur Wahrheitsannahme auszurichten.
Vorliegend sei zwar keine Motivation für eine bewusste Falschaussage im Sinne einer Schädigungsmotivation gegenüber dem Angeschuldigten erkennbar; sehr wohl bestehe aber die grundsätzliche Denkmöglichkeit, dass eine Falschaussage zur Vorteilserlangung durch Entschädigungszahlungen vorliegen könne. Auch die Lügenhypothese ließe sich jedoch nicht substantiell zurückweisen. Die Diskussion der Lügenhypothese durch Dr. D könne nicht überzeugen, da deren knappe Angaben über das, was die Klägerin in der ärztlichen Exploration zur Sache ausgesagt habe, die Menge der dann aufgezählten vermeintlichen inhaltlichen Qualitäten als Realkennzeichen nicht nachvollziehbar erscheinen ließe. Es sei aber nicht nur das Transparenzgebot verletzt, sondern die Gutachterin habe auch keine Kompetenzanalyse in Form der Herstellung eines Bezuges der inhaltlichen Qualitätsmerkmale zur potentiellen Erfindungskompetenz der Klägerin hergestellt. Erst durch einen derartigen Qualitäts-Kompetenz-Vergleich gewinne eine Realkennzeichenanalyse jedoch Aussagekraft als potenzieller Indikator für einen Erlebnisbezug des Ausgesagten. Vorliegend gelte, dass Alter, allgemeine Kompetenz (Hauptschulabschluss) und Sexualerfahrung (Geburt eines Kindes) der Klägerin prinzipiell ausreichten, um die hiesige Aussage erfinden zu können. Auch anhand anderer Beispiele sei ein falscher Umgang mit der inhaltlichen Qualitätsanalyse im Gutachten der Dr. D festzustellen.
Ein weiterer wesentlicher Mangel in deren Gutachten bestehe darin, dass dort lediglich eine Hypothese über heterosuggestive Prozesse durch Psychotherapieerfahrungen diskutiert werde, während autosuggestive Prozesse gar nicht in Erwägung gezogen würden; letztere erschienen im vorliegenden Fall jedoch von potenzieller Bedeutung. Zeitgeistige Einflüsse könnten bei der Entstehung solcher Vorstellungen eine Rolle spielen. Außerdem sei zu beachten, dass für die Klägerin Probleme im Erleben von Sexualität berichtet würden, eine "Suchrichtung" zur Auffindung einer Ursachenerklärung für solche Probleme sei damit logisch vorgegeben. Abgesehen davon hätte angesichts der psychischen Probleme der Klägerin mit bereits seit Jahren andauernden Angstzuständen zum Zeitpunkt des Wiedererinnerns geprüft werden müssen, ob diese psychische Ausgangslage autosuggestive Prozesse begünstigt haben könne. Auch führe eine derartige assoziative Verknüpfung der Beobachtung des Gesichts des Onkels oder der Beobachtung einer Erektion des Onkels keineswegs zwingend oder auch nur mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass es sich bei diesen plötzlich auftretenden Assoziationen um tatsächlich Wiedererinnertes handele. Mindestens gleichberechtigt könne es sich um fiktive Vorstellungen handeln.
Auch schildere die Klägerin zwei unterschiedliche Versionen über den Prozess ihrer Wiedererinnerung. Bei Frau Dr. L habe sie im Rahmen einer Begutachtung für ein Rentenverfahren ausgesagt, der Missbrauch durch ihren Onkel sei ihr eingefallen, als sie "nachts im Bett liegend" an ihren Onkel gedacht habe, was ca. Mitte 2003 der Fall gewesen sei. Beim Sozialgericht Berlin habe sie im Termin vom 20. Januar 2006 jedoch ausgesagt, dass bei ihr alles wieder hochgekommen sei, als sie eines Tages mit ihrem Ehemann und ihrem Onkel in ein Tierheim gegangen sei, um ihrem Onkel einen Hund zu besorgen. Als der Onkel sich den Hund selbst auf den Schoß gesetzt habe, habe sich sein Gesicht verändert, er habe eine Erektion bekommen, hierbei sei bei ihr alles wieder hochgekommen. Im Gutachten der Dr. D werde nicht klar, ob beide Versionen des Wiedererinnerns weiterhin Gültigkeit haben sollten, offensichtlich sei die Klägerin nicht zur Klärung aufgefordert worden. Auffällig sei, dass Dr. D zwar darstelle, dass es diverse Verursachungstheorien für Angststörungen gebe, dann aber ein "psychodynamisches Konfliktmodell" favorisiere. Die von ihr angegebenen Prozentzahlen ließen jedoch nicht den Schluss zu, dass eine Angststörung in jedem Fall "beweisend" für zuvor erfahrenen sexuellen Missbrauch sein könne. Verkannt werde auch, dass in "psychodynamischen Konfliktmodellen" nicht enthalten sei, dass ehemals "Verdrängtes" völlig unverändert, also ohne Umformung per Metaphernbildung oder ähnliches, nach Jahrzehnten wieder ins Bewusstsein trete und als unveränderte Erinnerung an etwas zur Verfügung stehe, das - wie im vorliegenden Fall - mindestens 30 Jahre zurückgelegen haben soll und in der Zwischenzeit nicht aus dem Gedächtnis abrufbar gewesen sein soll. Eine solche Betrachtungsweise sei aus psychologischer Sicht als "naiv" zu bezeichnen.
Offen bleiben könne letztlich, ob in den Psychotherapien der Klägerin potenziell suggestive Techniken angewandt worden seien oder nicht, da selbst bei Fehlen dieser Techniken das aussagepsychologische Non Liquet bestehen bliebe, da die Lügenhypothese und die Autosuggestionshypothese nicht substanziell zurückgewiesen werden könnten.
Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass fraglich sei, ob sich die Klägerin angesichts ihres zum Zeitpunkt des behaupteten Missbrauchs erlangten Alters von 5 oder 6 Jahren tatsächlich noch an Differenzierungen für das Ausmaß des Offenstehens von Wohnungstüren erinnern könne oder ob diese Genauigkeit bei gegebener Erlebnisgrundlage gedächtnispsychologisch eher unwahrscheinlich erscheine. Auch müsse man sich aus entwicklungspsychologischer Sicht die Frage stellen, wie wahrscheinlich es sei, dass sich das damals 5- bis 6jährige Kind angesichts auffälliger Verhaltensweisen des Onkels nicht unmittelbar an Mutter oder Großmutter gewandt hätte, zumal der geistig behinderte Onkel in seinem sozialen Umfeld eine "auffällige" Person gewesen sein müsse, was die Offenlegung ungewöhnlicher Handlungen von seiner Seite durch das Kind nahe gelegt hätten. Schweigegebot und Angst reichten zur Erklärung hierfür nicht aus. Bei Einbeziehung dieser zuletzt angestellten Überlegungen spreche sogar eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Scheinerinnerungshypothese.
Der Beklagte hat ferner - bei Aussetzung des vorliegenden Verfahrens - ein Gutachten zur Höhe der - ggf. schädigungsbedingten - MdE bzw. nunmehr des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) eingeholt. Hier hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. T mit Gutachten vom 30. Juli 2008 ausgeführt, dass die Agoraphobie mit Panikstörung mit einem Einzel-GdB von 80 zu bewerten sei. Der Beklagte hat daraufhin durch Bescheid vom 19. August 2008 u. a. einen Gesamtgrad der Behinderung von 80 anerkannt.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts nochmals Stellungnahmen der behandelnden Ärztin B vom 05. August 2007 und der Diplom-Psychologin L vom 05. August 2007 eingeholt und die Klägerin in zwei Erörterungsterminen vom 07. März 2008 und 08. Januar 2009 zur Sache gehört. Das Gericht hat ferner den Onkel der Klägerin, Herrn L, und die Mutter der Klägerin, Frau K, im Termin vom 30. April 2009 als Zeugen vernommen; hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift zum Termin Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte des Beklagten zu diesem Verfahren sowie zum Verfahren auf Feststellung der Schwerbehinderung.
Die Beteiligten haben sich im Termin vom 30. April 2009 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung am selben Tage gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die Berufungen der Klägerin und des Beklagten sind zulässig. Begründet ist indes nur die Berufung des Beklagten, während die Berufung der Klägerin unbegründet und daher zurückzuweisen war; die Klage war im Ergebnis abzuweisen, da die angefochtenen Bescheide des Beklagten rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG hat Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Der vorsätzliche rechtswidrige tätliche Angriff als eine der anspruchsbegründenden Tatsachen im Sinne des § 1 OEG muss grundsätzlich, wie es für soziale Leistungsansprüche allgemein gilt, zur Überzeugung des Gerichts erwiesen sein, d. h., es muss zur Überzeugung des Gerichts von einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit oder von einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden können, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt. Fehlt es daran, geht das zu Lasten des Klägers (objektive Beweis- oder Feststellungslast; vgl. BSGE 63, 270, 271 und BSG, SozR 3 3800 § 1 Nr. 12). Da die geltend gemachte Schädigung nach den Angaben der Klägerin in der Zeit vor In-Kraft-Treten des Opferentschädigungsgesetzes am 16. Mai 1976 (BGBl. I S. 1181) stattgefunden haben soll, bestünde Anspruch auf Versorgung vorliegend allerdings nur unter Berücksichtigung der Härteregelung des § 10 a OEG, wonach ein derartiger Anspruch voraussetzt, dass der Geschädigte allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt ist, er bedürftig ist und im Geltungsbereich dieses Gesetzes seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Ein Nachweis der von der Klägerin geltend gemachten Schädigung konnte vorliegend nicht geführt werden. Der von der Klägerin als Zeuge benannte Herr L hat im Termin vom 30. April 2009 keinerlei verwertbare Angaben zu irgendeinem Geschehen gemacht, welches sich im von der Klägerin angegebenen Zeitraum ereignet haben könnte. Aufgrund der ärztlichen Einschätzungen des Gutachters K im den Zeugen betreffenden Betreuungsverfahren ist davon auszugehen, dass dies mit den erheblichen intellektuellen Einschränkungen des Zeugen vom Grad der Imbezillität aufgrund frühkindlicher Hirnschädigung zu erklären ist. Auch die vom Gericht vernommene Mutter der Klägerin, die Zeugin K, gab an, zu keinem Zeitpunkt Zeugin sexueller Übergriffe geworden zu sein; auch irgendwelche Merkwürdigkeiten, die hierauf Hinweise hätten geben können, seien ihr damals nicht aufgefallen. Dies entsprach ihren zuvor bereits schriftlich am 31. März 2005 gegenüber dem Beklagten als auch in der Sitzung des Sozialgerichts Berlin vom 20. Januar 2006 abgegebenen Erklärungen, seinerzeit kein Wissen über den sexuellen Missbrauch ihrer Tochter gehabt zu haben. Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Zeugin bestanden nicht. Der nunmehr geäußerte bloße Eindruck der Zeugin, dass die Klägerin "manchmal ein bisschen ruhig" gewesen sei, ist diesbezüglich in keiner Weise ausreichend.
Sonstige Zeugen für das von der Klägerin geltend gemachte Geschehen wurden weder benannt noch konnten solche gefunden werden. Der volle Nachweis eines vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffs im Sinne des § 1 OEG ist damit nicht erbracht.
Der geltend gemachte vorsätzliche rechtswidrige tätliche Angriff ist auch nicht glaubhaft gemacht. Den im Recht der sozialen Entschädigung vorkommenden Beweisschwierigkeiten hat der Gesetzgeber zugunsten der Geschädigten insoweit entsprochen, als nach § 6 Abs. 3 OEG § 15 Satz 1 KOVVfg Anwendung findet. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, soweit nach den Umständen des Falles die Angaben glaubhaft erscheinen. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, das heißt es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht jedoch nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen (BSG, Beschluss vom 08. August 2001, Aktenzeichen B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 und BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006, Aktenzeichen B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr. 3).
Auch unter Heranziehung dieser besonderen Beweiserleichterung ist ein Anspruch der Klägerin nach dem OEG nicht zu begründen. Denn die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie als Kind Opfer der von ihr behaupteten Missbrauchshandlungen wurde. Dies ergibt sich für den Senat aus den Einvernahmen der Klägerin in den Terminen vom 7. März 2008, 8. Januar 2009 und 30. April 2009 und den überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. S in dessen Stellungnahme vom 24. April 2007 zum Gutachten der Dr. D vom 24. März 2006. Auch vor dem Hintergrund der aussagepsychologischen Stellungnahmen der Dr. D und des Prof. Dr. S verkennt der Senat nicht, dass es ausschließlich Sache des Tatrichters ist, sich die notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit bzw. der Glaubhaftigkeit eines Parteivortrages zu verschaffen. Dabei begegnet es zur Überzeugung des Senats keinen Bedenken, wenn sich das Gericht Sachkenntnis von neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Aussagepsychologie verschafft und bei Anwendung dieser Erkenntnisse sachverständige Hilfe in Anspruch nimmt (vgl. zum Ganzen Keller in Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl. 2008, Rdnr. 6a; Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22. Februar 2005, Aktenzeichen 1 B 10/05, Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 36).
Nach den Ausführungen des Prof. Dr. S bestehen nicht lediglich gewisse, sondern durchaus erhebliche Zweifel, dass sich der von der Klägerin behauptete Missbrauch, so wie von ihr dargestellt, tatsächlich zugetragen hat; die verbleibende bloße Möglichkeit, dass die Klägerin tatsächlich Geschehenes berichtet, reicht aus den aufgezeigten Gründen nicht aus. Der von der Klägerin vorgetragene Geschehensablauf ist auch nicht relativ gesehen am wahrscheinlichsten, sondern lediglich denkbar und möglich. Das Gericht hatte hier und im Folgenden keine Bedenken, sich den fundierten Ausführungen des Prof. Dr. S anzuschließen, der als Leiter des Instituts für Forensische Psychiatrie der C, Universitätsmedizin B, C F, ein ausgewiesener und allgemein anerkannter Spezialist für die aussagepsychologische Begutachtung ist. Das von ihm und Köhnken entwickelte System der Realkennzeichen (Steller, M., Köhnken, G.: Criteria-based Statement analysis, Credibility Assessment of Children´s Statements in Sexual Abuse Cases, in: Raskin D.C. (ed): Psychological Methods für Investigation and Evidence, Springer, New York 1989, 217 – 245) wurde im Übrigen auch von der Gutachterin Dr. D herangezogen.
Die von Dr. D dargestellten Realkennzeichen, die nach ihrer Einschätzung für die Richtigkeit der Angaben der Klägerin sprechen sollen, reichen für den von ihr gezogenen Schluss, dass die Angaben der Klägerin glaubhaft seien, keineswegs aus. Prof. Dr. S hat ausgeführt, dass mehrere gewichtige Aspekte erhebliche Zweifel begründen, dass sich das von der Klägerin berichtete Geschehen tatsächlich zugetragen hat. Die von Dr. D vorgenommene Realkennzeichenanalyse sei aufgrund der knappen Angaben der Klägerin in ihrer Auswertung nicht nachvollziehbar. Auch fehle es diesbezüglich am unbedingt erforderlichen Qualitäts-Kompetenz-Vergleich, erst durch diesen gewinne die Realkennzeichenanalyse jedoch Aussagekraft. Hier hätte gewürdigt werden müssen, dass der Erlebnisbezug der Klägerin aufgrund ihrer allgemeinen Kompetenz und Sexualerfahrung prinzipiell ausreiche, um die Aussage erfinden zu können. Verschiedene Umstände sprächen für die Wahrscheinlichkeit von autosuggestiven Prozessen, wie beispielsweise die bei der Klägerin bereits seit Jahren andauernden Angstzustände. In dem im Rentenverfahren eingeholten Gutachten der Dr. L vom 10. Juni 2005 hatte die Klägerin angegeben, dass ihre Angstzustände bereits kurz nach der Geburt ihres Sohnes 1985 begonnen hätten. Eine Erklärungssuche nach den Gründen für die subjektiv erlebten Beeinträchtigungen könne zur Entstehung autosuggestiver Prozesse ausreichen. Auch zeitgeistige Einflüsse spielen nach Prof. Dr. S hier eine Rolle. Beispielhaft hat er ausgeführt, dass sexueller Missbrauch als Verursachung für psychische Leiden in den letzten Jahren vielfach öffentlich in verschiedenen Medien thematisiert worden sei, so dass es nahe liegend sei, dass psychisch belastete Personen zu Reflexionen angeregt werden können, ob ein solcher Missbrauch auch für ihre bis dato unerklärlichen Probleme eine Erklärung darstellen könne. Angesichts der von der Klägerin berichteten Probleme im Erleben von Sexualität sei auch eine "Suchrichtung" zur Auffindung einer Ursachenerklärung für ihre Probleme logisch vorgegeben gewesen. Bereits aufgrund dieser Aspekte kam Prof. Dr. S zu dem Schluss, dass hier ein Non Liquet gegeben sei, also keinesfalls mehr für die Richtigkeit der Angaben der Klägerin spreche. Ferner gab er zu bedenken, dass unter gedächtnispsychologischen Aspekten die von der Klägerin behaupteten Erinnerungen angesichts des Umstandes, dass sie im Zeitpunkt der Missbrauchshandlungen erst 5 bis 6 Jahre alt gewesen wäre, eher unwahrscheinlich seien und dass angesichts ihres geringen Alters und der Behinderung ihres Onkels es weiterhin auch unwahrscheinlich sei, dass sie den behaupteten Missbrauch seinerzeit nicht in irgendeiner Weise thematisiert oder angesprochen habe.
Den entgegenstehenden Schlussfolgerungen der Dr. D in deren Gutachten vom 24. März 2006 konnte hingegen nicht gefolgt werden. Diese begründet die Einordnung der Angaben der Klägerin als glaubhaft zum einen damit, dass unter Zugrundelegung von erwartet konstanten und erwartet inkonstanten Inhalten nach Arntzen der Wahrheitsgehalt der Aussage wahrscheinlich sei. Die im Gutachten hierzu gegebene Begründung, die sich im Übrigen auf einen Absatz beschränkt, überzeugte jedoch nicht. Als konstante Beschreibungen wertete die Gutachterin ein Kerngeschehen mit konstanten unmittelbaren Handlungspartnern und handlungsrelevanten Gegenständen und dem Ort des Geschehens. Ebenfalls fänden sich zu erwartende Inkonstanten wie Reihenfolge, Datierung, Motive früherer Handlungen und Unterlassungen, Zahlen und eigene frühere Aussagen. Gänzlich unerwähnt bleibt jedoch, worauf auch Prof. Dr. S hingewiesen hat, die ins Auge fallende Diskrepanz bei der Schilderung der Klägerin, bei welcher Gelegenheit ihr nach jahrzehntelanger Amnesie der behauptete Missbrauch wieder eingefallen sei. Während sie im Gutachten gegenüber Dr. L angab, dass dies plötzlich nachts im Bett liegend geschehen sei, berichtete die Klägerin im Termin vor dem Sozialgericht von einem Geschehen aus Anlass eines Tierheimbesuchs, infolge dessen der Onkel sich einen Hund auf den Schoß gesetzt habe. Angesichts der insgesamt ausgesprochen spärlichen Angaben der Klägerin zum gesamten Geschehen durfte eine derartige Diskrepanz nicht ungewürdigt bleiben, damit das gefundene Ergebnis noch tragbar erscheint.
Neben dieser Bewertung von Konstanz und Inkonstanz der Darstellung stützte Dr. D das von ihr gefundene Ergebnis auf die Kategorisierung von Realkennzeichen von S und K. Es versteht sich hier bereits aufgrund der Konstellation, dass der Auswertung dieser Kataloge durch dessen Verfasser, nämlich den vom Beklagten befragten Prof. Dr. S der Vorrang zu geben ist. Dieser hat die Ausführungen der Dr. D jedoch als "naiv" bezeichnet; es handele sich um einen sehr an der "Oberfläche" verhafteten Umgang mit "tiefen"psychologischen Modellen. Abgesehen davon hat Dr. D ihre Schlussfolgerung aus dem psychodynamischen Konfliktmodell im Wesentlichen mit Prozentzahlen begründet, in denen einer späteren Angststörung ein vorheriger Missbrauch zugrunde lag. Dies sagt jedoch schlechthin nichts über die Bewertung von Vorgängen im Einzelfall. Aus den von Prof. Dr. S insgesamt gegen die Begründung der Dr. D vorgebrachten Gründen, denen sich das Gericht auch insoweit anschließt, konnte den Ausführungen der Gutachterin Dr. D daher nicht gefolgt werden.
Weitere Ermittlungen sind nicht angezeigt. Der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. S zufolge, der das Gericht folgt, sind erneute Versuche einer aussagepsychologischen Exploration der Klägerin zu den berichteten sexuellen Übergriffen nicht mit Erfolg möglich. Eine zukünftige Exploration zur Sache könne keine positive psychologische Beweisführung mehr ermöglichen. Denkbar sei insoweit nur, dass durch eine zukünftige Begutachtung der Klägerin das derzeitige aussagepsychologische Non Liquet in Richtung einer stärkeren Gewichtung der Scheinerinnerungshypothese verändert werden kann. Aus diesem Grund war von der Einholung weiterer Sachverständigengutachten abzusehen. Abgesehen davon ist es in der Regel ohnehin Sache des Tatrichters, sich selbst die nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit eines Parteivortrages zu verschaffen (BVerwG, a. a. O.).
Die Nichtfeststellbarkeit der gegen die Klägerin gerichteten Misshandlungen geht nach den Grundsätzen der objektiven Beweis- oder Feststellungslast zu Lasten der Klägerin (vgl. auch BSG, Urteile vom 22. Juni 1988, Aktenzeichen 9/9 a RVG 3/87, BSGE 63, 270 und vom 3. Februar 1999, Az. B 9 V 33/97 R, SozR 3-3900 § 15 Nr. 2), was zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und sowohl zur Zurückweisung der Berufung der Klägerin als auch zur Abweisung ihrer Klage führte.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG).
Die 1966 geborene Klägerin wandte sich am 27. Dezember 2004 an den Beklagten mit einem Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ca. ab 1971 über Jahre von ihrem 1949 geborenen Onkel, dem Zeugen G L, sexuell misshandelt worden zu sein. Infolge dieser Misshandlungen leide sie an Angstzuständen, so dass sie nicht allein bleiben könne, sowie an psychischen Störungen. Der Beklagte zog Unterlagen der Staatsanwaltschaft Berlin (Aktenzeichen 11 Ju Js 2933/04) bei; das Verfahren war aufgrund einer entsprechenden Strafanzeige der Klägerin gegen ihren Onkel vom 03. November 2004 zustande gekommen und am 09. Dezember 2004 wegen Verfolgungsverjährung eingestellt worden. Der Beklagte holte eine schriftliche Äußerung der Mutter der Klägerin, Frau R K, ein, die am 31. März 2005 angab, in den Jahren 1971 bis 1974 nichts von den durch die Klägerin angegebenen Übergriffen gewusst zu haben. Der Onkel der Klägerin, ihr Bruder, sei geistig behindert. Durch Bescheid vom 07. April 2005 in der Fassung eines Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2005 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung ab, da Zeugen für die beschriebenen sexuellen Übergriffe nicht benannt worden seien und der Beschuldigte aufgrund seiner hochgradigen Behinderung nicht in der Lage sei, sich verantwortlich zu äußern. Der erforderliche Nachweis der geltend gemachten Übergriffe hätte daher nicht geführt werden können.
Im hiergegen angestrengten Klageverfahren hat das Sozialgericht Berlin Befundberichte der behandelnden Ärztin für Neurologie und Psychiatrie B vom 20. August 2005 und der Diplom-Psychologin L vom 05. September 2005 eingeholt. Die Mutter der Klägerin hat dem Gericht ein Betreuungsgutachten des Facharztes für Psychiatrie K über ihren Bruder, den Zeugen L vom 14. März 2002 übermittelt, in dem ausgeführt ist, dass weiterhin von einer geistigen Behinderung vom Grad der Imbezillität infolge einer frühkindlichen Hirnschädigung bei Alkoholkrankheit der Mutter ausgegangen werden müsse. Er sei völlig rat- und hilflos und könne aufgrund der erheblichen intellektuellen Defizite komplexere Situationen und Zusammenhänge in keiner Weise erfassen. Seine freie Willensbildung sei dauerhaft aufgehoben. Durch Beschluss des Amtsgerichts Neukölln vom 08. Juli 2002 wurde die Betreuung des Zeugen L mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden aufgrund dessen verlängert und um "Wohnungsangelegenheiten" erweitert. Das Gericht hat im Erörterungstermin vom 20. Januar 2006 ferner die Klägerin zur Sache gehört und die Mutter der Klägerin als Zeugin vernommen, insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Die Klägerin hatte angegeben, von ihrem Onkel mit Schokolade gelockt worden zu sein. Sie hätte tanzen müssen, wobei sie oben rum nichts angehabt habe. Ihr Onkel habe sie berührt und dabei eine Erektion bekommen. Der Missbrauch habe stattgefunden, als sie 5 Jahre alt gewesen sei bis zum Alter von 8 oder 9 Jahren. Die Mutter der Klägerin sagte aus, seinerzeit kein Wissen über einen sexuellen Missbrauch gehabt zu haben, ihrer Tochter jedoch zu glauben, weil diese sie noch nie angelogen gehabt hätte. Das Gericht hat ferner ein Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L vom 16. Mai 2005, erstattet in einem Rentenverfahren, zu den Akten genommen und sodann ein Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D, Krankenhaus H, vom 24. März 2006, eingeholt. Diese führte aus, dass bei der Klägerin eine Agoraphobie mit Panikstörung, nicht jedoch eine posttraumatische Belastungsstörung vorliege. Es sei sehr wahrscheinlich, dass die Angsterkrankung der Klägerin in ursächlichem Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch im Kindesalter durch ihren Onkel stehe. Das bekannteste und favorisierte Modell zur Ätiologie und Pathogenese von Angsterkrankungen sei das psychodynamische Konfliktmodell. Dieses gehe von einem Trauma, einem Konflikt in der Kindheit aus, das zunächst lange durch verschiedenste Abwehrmechanismen verdeckt bleibe und sich im Erwachsenenalter durch einen aktuellen Konflikt oder eine Reaktivierung als Bild einer Angststörung offenbare. Aus unterschiedlichen Studien sei bekannt, dass vor allem kindlicher sexueller Missbrauch und kindliche Gewalterfahrung sehr häufig zu Angststörungen führen könnten. Aus diesen Überlegungen halte sie es für sehr wahrscheinlich, dass die Angsterkrankung der Klägerin in ursächlichem Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch im Kindesalter stehe. Sie halte die Angaben der Klägerin bezüglich des sexuellen Missbrauchs in den Jahren 1971 bis 1974 für glaubhaft. Zu diesem Ergebnis komme sie nach einer Beurteilung von inhaltlichen und aussageübergreifenden Qualitätsmerkmalen entsprechend der Kategorisierung von Realkennzeichen nach Steller und Köhnken 1989 sowie Arntzen 1993 und 1970. Entsprechend der Merkmalsliste von Steller und Köhnken sprächen eine ungeordnete sprunghafte Darstellung der Geschehnisse durch die Klägerin, die Wiedergabe von kurzen Gesprächen, die Schilderung nebensächlicher Einzelheiten wie z. B. des schlechten Zahnstatus des Onkels, das Eingeständnis von Erinnerungslücken sowie die Entlastung des Angeschuldigten als Glaubwürdigkeitsmerkmale für die Richtigkeit der Angaben der Klägerin. Entsprechend der von Arntzen beschriebenen Konstanzanalyse aufgrund eines Vergleiches von Aussagen über denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Zeitpunkten lägen auch konstante und zu erwartende inkonstante Angaben vor. Von einer Pseudoerinnerung sei nicht auszugehen, weil nach Exploration der Klägerin und Aktenlage keine suggestiven Techniken zur Anwendung gekommen seien. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bewerte sie mit 40 v. H., da die Klägerin aufgrund ihrer Angststörung ohne ihren Mann ihr Haus nicht mehr verlassen könne, ihr Mann hätte aus diesem Grund seinen Beruf aufgegeben.
Mit Urteil vom 15. Dezember 2006 hat das Sozialgericht Berlin unter Abänderung der angefochtenen Bescheide festgestellt, dass der von der Klägerin in den Jahren 1971 bis 1974 erlittene sexuelle Missbrauch ein vorsätzlicher rechtswidriger Angriff im Sinne des OEG gewesen sei und die hierdurch verursachte gesundheitliche Schädigung "Agoraphobie mit Panikstörung" eine MdE von 40 v. H. bedinge und die Klage im Übrigen abgewiesen. Unter Beachtung der besonderen Beweiserleichterung des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfg) seien vorliegend die Angaben der Klägerin, die sich ohne ihr Verschulden in Beweisnot befinde, der Entscheidung zugrunde zu legen. Diese seien unter Berücksichtigung der Ausführungen der Dr. D in deren Gutachten als glaubhaft anzusehen, so dass der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sei. Ein Anspruch auf Versorgung gemäß § 10 a OEG bestehe jedoch nicht. Denn da die Klägerin vor Mai 1976 Opfer einer Gewalttat im Sinne des OEG geworden sei, käme die Gewährung einer Versorgung unter Beachtung dieser Vorschrift nur dann in Betracht, wenn und so lange die Klägerin infolge der erlittenen Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sei; eine Schwerbeschädigung nach § 31 Abs. 3 Satz 1 BVG setze jedoch eine MdE in Höhe von 50 v. H. voraus, die vorliegend nicht gegeben sei.
Gegen dieses ihm am 20. Februar 2007 zugegangene Urteil richtet sich die am 01. März 2007 eingelegte Berufung des Beklagten. Die Klägerin hat gegen das ihr am 21. Februar 2007 zugestellte Urteil mit Schreiben vom 19. März 2007 Berufung eingelegt.
Die Klägerin trägt weiterhin vor, dass es sich bei dem durch ihren Onkel erlittenen Missbrauch keineswegs um eine Scheinerinnerung gehandelt habe. Vielmehr sei dies Realität gewesen. Ferner begehrt sie die Gewährung von Entschädigungsleistungen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2006 und den Bescheid des Beklagten vom 07. April 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2005 aufzuheben, den Beklagten zu verurteilen, ihr aufgrund der in der Zeit von 1971 bis 1974 erlittenen Missbrauchshandlungen Leistungen nach dem OEG i. V. m. dem BVG nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 80 v. H. zu gewähren und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2006 aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Der Beklagte hat eine aussagepsychologische Stellungnahme des Prof. Dr. S, Institut für Forensische Psychiatrie der C, Universitätsmedizin B, C F, vom 24. April 2007 beigebracht. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die Angaben der Klägerin über sexuelle Missbrauchshandlungen durch ihren Onkel mit aussagepsychologischer Methodik nicht positiv substantiiert werden könnten. Vielmehr stehe der Erlebnishypothese mindestens gleichberechtigt die Annahme gegenüber, dass die entsprechenden Angaben der Klägerin auf Scheinerinnerungen beruhten. Aufgrund der besonderen Umstände in der Genese der Missbrauchsvorstellungen der Klägerin ("Wiedererlangung" einer Erinnerung nach langjähriger Amnesie) und aufgrund ihrer spezifischen persönlichen Voraussetzungen könne die Scheinerinnerungshypothese grundsätzlich nicht durch eine hohe (gute) Aussagequalität zurückgewiesen werden, da durch Suggestion entstandene Aussagen eine vergleichbar hohe Qualität haben könnten wie erlebnisbasierte Aussagen. Eine zukünftige Exploration zur Sache könne daher keine positive psychologische Beweisführung mehr ermöglichen. Denkbar sei vielmehr lediglich, dass durch eine zukünftige Begutachtung der Klägerin das derzeitige aussagepsychologische Non Liquet in Richtung einer stärkeren Gewichtung der Scheinerinnerungshypothese verändert werden könne.
Der Bundesgerichtshof (BGH) habe in Strafsachen Mindestanforderungen an eine aussagepsychologische Bewertung formuliert, die mit der wissenschaftlichen Aussage der psychologischen Literatur übereinstimmten. Danach seien Erkenntnisse über die Persönlichkeit des Aussagenden mit der Qualität der verfahrensrelevanten Bekundungen in Beziehung zu setzen unter Berücksichtigung denkbarer Falschaussagemotivationen und denkbarer Fehlerquellen, die sich aus der Aussageentstehung und Aussageentwicklung ergäben. Dieses Vorgehen habe sich an vorfindbaren Anknüpfungstatsachen und an expliziten Gegenhypothesen zur Wahrheitsannahme auszurichten.
Vorliegend sei zwar keine Motivation für eine bewusste Falschaussage im Sinne einer Schädigungsmotivation gegenüber dem Angeschuldigten erkennbar; sehr wohl bestehe aber die grundsätzliche Denkmöglichkeit, dass eine Falschaussage zur Vorteilserlangung durch Entschädigungszahlungen vorliegen könne. Auch die Lügenhypothese ließe sich jedoch nicht substantiell zurückweisen. Die Diskussion der Lügenhypothese durch Dr. D könne nicht überzeugen, da deren knappe Angaben über das, was die Klägerin in der ärztlichen Exploration zur Sache ausgesagt habe, die Menge der dann aufgezählten vermeintlichen inhaltlichen Qualitäten als Realkennzeichen nicht nachvollziehbar erscheinen ließe. Es sei aber nicht nur das Transparenzgebot verletzt, sondern die Gutachterin habe auch keine Kompetenzanalyse in Form der Herstellung eines Bezuges der inhaltlichen Qualitätsmerkmale zur potentiellen Erfindungskompetenz der Klägerin hergestellt. Erst durch einen derartigen Qualitäts-Kompetenz-Vergleich gewinne eine Realkennzeichenanalyse jedoch Aussagekraft als potenzieller Indikator für einen Erlebnisbezug des Ausgesagten. Vorliegend gelte, dass Alter, allgemeine Kompetenz (Hauptschulabschluss) und Sexualerfahrung (Geburt eines Kindes) der Klägerin prinzipiell ausreichten, um die hiesige Aussage erfinden zu können. Auch anhand anderer Beispiele sei ein falscher Umgang mit der inhaltlichen Qualitätsanalyse im Gutachten der Dr. D festzustellen.
Ein weiterer wesentlicher Mangel in deren Gutachten bestehe darin, dass dort lediglich eine Hypothese über heterosuggestive Prozesse durch Psychotherapieerfahrungen diskutiert werde, während autosuggestive Prozesse gar nicht in Erwägung gezogen würden; letztere erschienen im vorliegenden Fall jedoch von potenzieller Bedeutung. Zeitgeistige Einflüsse könnten bei der Entstehung solcher Vorstellungen eine Rolle spielen. Außerdem sei zu beachten, dass für die Klägerin Probleme im Erleben von Sexualität berichtet würden, eine "Suchrichtung" zur Auffindung einer Ursachenerklärung für solche Probleme sei damit logisch vorgegeben. Abgesehen davon hätte angesichts der psychischen Probleme der Klägerin mit bereits seit Jahren andauernden Angstzuständen zum Zeitpunkt des Wiedererinnerns geprüft werden müssen, ob diese psychische Ausgangslage autosuggestive Prozesse begünstigt haben könne. Auch führe eine derartige assoziative Verknüpfung der Beobachtung des Gesichts des Onkels oder der Beobachtung einer Erektion des Onkels keineswegs zwingend oder auch nur mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass es sich bei diesen plötzlich auftretenden Assoziationen um tatsächlich Wiedererinnertes handele. Mindestens gleichberechtigt könne es sich um fiktive Vorstellungen handeln.
Auch schildere die Klägerin zwei unterschiedliche Versionen über den Prozess ihrer Wiedererinnerung. Bei Frau Dr. L habe sie im Rahmen einer Begutachtung für ein Rentenverfahren ausgesagt, der Missbrauch durch ihren Onkel sei ihr eingefallen, als sie "nachts im Bett liegend" an ihren Onkel gedacht habe, was ca. Mitte 2003 der Fall gewesen sei. Beim Sozialgericht Berlin habe sie im Termin vom 20. Januar 2006 jedoch ausgesagt, dass bei ihr alles wieder hochgekommen sei, als sie eines Tages mit ihrem Ehemann und ihrem Onkel in ein Tierheim gegangen sei, um ihrem Onkel einen Hund zu besorgen. Als der Onkel sich den Hund selbst auf den Schoß gesetzt habe, habe sich sein Gesicht verändert, er habe eine Erektion bekommen, hierbei sei bei ihr alles wieder hochgekommen. Im Gutachten der Dr. D werde nicht klar, ob beide Versionen des Wiedererinnerns weiterhin Gültigkeit haben sollten, offensichtlich sei die Klägerin nicht zur Klärung aufgefordert worden. Auffällig sei, dass Dr. D zwar darstelle, dass es diverse Verursachungstheorien für Angststörungen gebe, dann aber ein "psychodynamisches Konfliktmodell" favorisiere. Die von ihr angegebenen Prozentzahlen ließen jedoch nicht den Schluss zu, dass eine Angststörung in jedem Fall "beweisend" für zuvor erfahrenen sexuellen Missbrauch sein könne. Verkannt werde auch, dass in "psychodynamischen Konfliktmodellen" nicht enthalten sei, dass ehemals "Verdrängtes" völlig unverändert, also ohne Umformung per Metaphernbildung oder ähnliches, nach Jahrzehnten wieder ins Bewusstsein trete und als unveränderte Erinnerung an etwas zur Verfügung stehe, das - wie im vorliegenden Fall - mindestens 30 Jahre zurückgelegen haben soll und in der Zwischenzeit nicht aus dem Gedächtnis abrufbar gewesen sein soll. Eine solche Betrachtungsweise sei aus psychologischer Sicht als "naiv" zu bezeichnen.
Offen bleiben könne letztlich, ob in den Psychotherapien der Klägerin potenziell suggestive Techniken angewandt worden seien oder nicht, da selbst bei Fehlen dieser Techniken das aussagepsychologische Non Liquet bestehen bliebe, da die Lügenhypothese und die Autosuggestionshypothese nicht substanziell zurückgewiesen werden könnten.
Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass fraglich sei, ob sich die Klägerin angesichts ihres zum Zeitpunkt des behaupteten Missbrauchs erlangten Alters von 5 oder 6 Jahren tatsächlich noch an Differenzierungen für das Ausmaß des Offenstehens von Wohnungstüren erinnern könne oder ob diese Genauigkeit bei gegebener Erlebnisgrundlage gedächtnispsychologisch eher unwahrscheinlich erscheine. Auch müsse man sich aus entwicklungspsychologischer Sicht die Frage stellen, wie wahrscheinlich es sei, dass sich das damals 5- bis 6jährige Kind angesichts auffälliger Verhaltensweisen des Onkels nicht unmittelbar an Mutter oder Großmutter gewandt hätte, zumal der geistig behinderte Onkel in seinem sozialen Umfeld eine "auffällige" Person gewesen sein müsse, was die Offenlegung ungewöhnlicher Handlungen von seiner Seite durch das Kind nahe gelegt hätten. Schweigegebot und Angst reichten zur Erklärung hierfür nicht aus. Bei Einbeziehung dieser zuletzt angestellten Überlegungen spreche sogar eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Scheinerinnerungshypothese.
Der Beklagte hat ferner - bei Aussetzung des vorliegenden Verfahrens - ein Gutachten zur Höhe der - ggf. schädigungsbedingten - MdE bzw. nunmehr des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) eingeholt. Hier hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. T mit Gutachten vom 30. Juli 2008 ausgeführt, dass die Agoraphobie mit Panikstörung mit einem Einzel-GdB von 80 zu bewerten sei. Der Beklagte hat daraufhin durch Bescheid vom 19. August 2008 u. a. einen Gesamtgrad der Behinderung von 80 anerkannt.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts nochmals Stellungnahmen der behandelnden Ärztin B vom 05. August 2007 und der Diplom-Psychologin L vom 05. August 2007 eingeholt und die Klägerin in zwei Erörterungsterminen vom 07. März 2008 und 08. Januar 2009 zur Sache gehört. Das Gericht hat ferner den Onkel der Klägerin, Herrn L, und die Mutter der Klägerin, Frau K, im Termin vom 30. April 2009 als Zeugen vernommen; hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift zum Termin Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte des Beklagten zu diesem Verfahren sowie zum Verfahren auf Feststellung der Schwerbehinderung.
Die Beteiligten haben sich im Termin vom 30. April 2009 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung am selben Tage gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die Berufungen der Klägerin und des Beklagten sind zulässig. Begründet ist indes nur die Berufung des Beklagten, während die Berufung der Klägerin unbegründet und daher zurückzuweisen war; die Klage war im Ergebnis abzuweisen, da die angefochtenen Bescheide des Beklagten rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG hat Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Der vorsätzliche rechtswidrige tätliche Angriff als eine der anspruchsbegründenden Tatsachen im Sinne des § 1 OEG muss grundsätzlich, wie es für soziale Leistungsansprüche allgemein gilt, zur Überzeugung des Gerichts erwiesen sein, d. h., es muss zur Überzeugung des Gerichts von einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit oder von einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden können, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt. Fehlt es daran, geht das zu Lasten des Klägers (objektive Beweis- oder Feststellungslast; vgl. BSGE 63, 270, 271 und BSG, SozR 3 3800 § 1 Nr. 12). Da die geltend gemachte Schädigung nach den Angaben der Klägerin in der Zeit vor In-Kraft-Treten des Opferentschädigungsgesetzes am 16. Mai 1976 (BGBl. I S. 1181) stattgefunden haben soll, bestünde Anspruch auf Versorgung vorliegend allerdings nur unter Berücksichtigung der Härteregelung des § 10 a OEG, wonach ein derartiger Anspruch voraussetzt, dass der Geschädigte allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt ist, er bedürftig ist und im Geltungsbereich dieses Gesetzes seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Ein Nachweis der von der Klägerin geltend gemachten Schädigung konnte vorliegend nicht geführt werden. Der von der Klägerin als Zeuge benannte Herr L hat im Termin vom 30. April 2009 keinerlei verwertbare Angaben zu irgendeinem Geschehen gemacht, welches sich im von der Klägerin angegebenen Zeitraum ereignet haben könnte. Aufgrund der ärztlichen Einschätzungen des Gutachters K im den Zeugen betreffenden Betreuungsverfahren ist davon auszugehen, dass dies mit den erheblichen intellektuellen Einschränkungen des Zeugen vom Grad der Imbezillität aufgrund frühkindlicher Hirnschädigung zu erklären ist. Auch die vom Gericht vernommene Mutter der Klägerin, die Zeugin K, gab an, zu keinem Zeitpunkt Zeugin sexueller Übergriffe geworden zu sein; auch irgendwelche Merkwürdigkeiten, die hierauf Hinweise hätten geben können, seien ihr damals nicht aufgefallen. Dies entsprach ihren zuvor bereits schriftlich am 31. März 2005 gegenüber dem Beklagten als auch in der Sitzung des Sozialgerichts Berlin vom 20. Januar 2006 abgegebenen Erklärungen, seinerzeit kein Wissen über den sexuellen Missbrauch ihrer Tochter gehabt zu haben. Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Zeugin bestanden nicht. Der nunmehr geäußerte bloße Eindruck der Zeugin, dass die Klägerin "manchmal ein bisschen ruhig" gewesen sei, ist diesbezüglich in keiner Weise ausreichend.
Sonstige Zeugen für das von der Klägerin geltend gemachte Geschehen wurden weder benannt noch konnten solche gefunden werden. Der volle Nachweis eines vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffs im Sinne des § 1 OEG ist damit nicht erbracht.
Der geltend gemachte vorsätzliche rechtswidrige tätliche Angriff ist auch nicht glaubhaft gemacht. Den im Recht der sozialen Entschädigung vorkommenden Beweisschwierigkeiten hat der Gesetzgeber zugunsten der Geschädigten insoweit entsprochen, als nach § 6 Abs. 3 OEG § 15 Satz 1 KOVVfg Anwendung findet. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, soweit nach den Umständen des Falles die Angaben glaubhaft erscheinen. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, das heißt es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht jedoch nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen (BSG, Beschluss vom 08. August 2001, Aktenzeichen B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 und BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006, Aktenzeichen B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr. 3).
Auch unter Heranziehung dieser besonderen Beweiserleichterung ist ein Anspruch der Klägerin nach dem OEG nicht zu begründen. Denn die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie als Kind Opfer der von ihr behaupteten Missbrauchshandlungen wurde. Dies ergibt sich für den Senat aus den Einvernahmen der Klägerin in den Terminen vom 7. März 2008, 8. Januar 2009 und 30. April 2009 und den überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. S in dessen Stellungnahme vom 24. April 2007 zum Gutachten der Dr. D vom 24. März 2006. Auch vor dem Hintergrund der aussagepsychologischen Stellungnahmen der Dr. D und des Prof. Dr. S verkennt der Senat nicht, dass es ausschließlich Sache des Tatrichters ist, sich die notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit bzw. der Glaubhaftigkeit eines Parteivortrages zu verschaffen. Dabei begegnet es zur Überzeugung des Senats keinen Bedenken, wenn sich das Gericht Sachkenntnis von neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Aussagepsychologie verschafft und bei Anwendung dieser Erkenntnisse sachverständige Hilfe in Anspruch nimmt (vgl. zum Ganzen Keller in Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl. 2008, Rdnr. 6a; Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22. Februar 2005, Aktenzeichen 1 B 10/05, Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 36).
Nach den Ausführungen des Prof. Dr. S bestehen nicht lediglich gewisse, sondern durchaus erhebliche Zweifel, dass sich der von der Klägerin behauptete Missbrauch, so wie von ihr dargestellt, tatsächlich zugetragen hat; die verbleibende bloße Möglichkeit, dass die Klägerin tatsächlich Geschehenes berichtet, reicht aus den aufgezeigten Gründen nicht aus. Der von der Klägerin vorgetragene Geschehensablauf ist auch nicht relativ gesehen am wahrscheinlichsten, sondern lediglich denkbar und möglich. Das Gericht hatte hier und im Folgenden keine Bedenken, sich den fundierten Ausführungen des Prof. Dr. S anzuschließen, der als Leiter des Instituts für Forensische Psychiatrie der C, Universitätsmedizin B, C F, ein ausgewiesener und allgemein anerkannter Spezialist für die aussagepsychologische Begutachtung ist. Das von ihm und Köhnken entwickelte System der Realkennzeichen (Steller, M., Köhnken, G.: Criteria-based Statement analysis, Credibility Assessment of Children´s Statements in Sexual Abuse Cases, in: Raskin D.C. (ed): Psychological Methods für Investigation and Evidence, Springer, New York 1989, 217 – 245) wurde im Übrigen auch von der Gutachterin Dr. D herangezogen.
Die von Dr. D dargestellten Realkennzeichen, die nach ihrer Einschätzung für die Richtigkeit der Angaben der Klägerin sprechen sollen, reichen für den von ihr gezogenen Schluss, dass die Angaben der Klägerin glaubhaft seien, keineswegs aus. Prof. Dr. S hat ausgeführt, dass mehrere gewichtige Aspekte erhebliche Zweifel begründen, dass sich das von der Klägerin berichtete Geschehen tatsächlich zugetragen hat. Die von Dr. D vorgenommene Realkennzeichenanalyse sei aufgrund der knappen Angaben der Klägerin in ihrer Auswertung nicht nachvollziehbar. Auch fehle es diesbezüglich am unbedingt erforderlichen Qualitäts-Kompetenz-Vergleich, erst durch diesen gewinne die Realkennzeichenanalyse jedoch Aussagekraft. Hier hätte gewürdigt werden müssen, dass der Erlebnisbezug der Klägerin aufgrund ihrer allgemeinen Kompetenz und Sexualerfahrung prinzipiell ausreiche, um die Aussage erfinden zu können. Verschiedene Umstände sprächen für die Wahrscheinlichkeit von autosuggestiven Prozessen, wie beispielsweise die bei der Klägerin bereits seit Jahren andauernden Angstzustände. In dem im Rentenverfahren eingeholten Gutachten der Dr. L vom 10. Juni 2005 hatte die Klägerin angegeben, dass ihre Angstzustände bereits kurz nach der Geburt ihres Sohnes 1985 begonnen hätten. Eine Erklärungssuche nach den Gründen für die subjektiv erlebten Beeinträchtigungen könne zur Entstehung autosuggestiver Prozesse ausreichen. Auch zeitgeistige Einflüsse spielen nach Prof. Dr. S hier eine Rolle. Beispielhaft hat er ausgeführt, dass sexueller Missbrauch als Verursachung für psychische Leiden in den letzten Jahren vielfach öffentlich in verschiedenen Medien thematisiert worden sei, so dass es nahe liegend sei, dass psychisch belastete Personen zu Reflexionen angeregt werden können, ob ein solcher Missbrauch auch für ihre bis dato unerklärlichen Probleme eine Erklärung darstellen könne. Angesichts der von der Klägerin berichteten Probleme im Erleben von Sexualität sei auch eine "Suchrichtung" zur Auffindung einer Ursachenerklärung für ihre Probleme logisch vorgegeben gewesen. Bereits aufgrund dieser Aspekte kam Prof. Dr. S zu dem Schluss, dass hier ein Non Liquet gegeben sei, also keinesfalls mehr für die Richtigkeit der Angaben der Klägerin spreche. Ferner gab er zu bedenken, dass unter gedächtnispsychologischen Aspekten die von der Klägerin behaupteten Erinnerungen angesichts des Umstandes, dass sie im Zeitpunkt der Missbrauchshandlungen erst 5 bis 6 Jahre alt gewesen wäre, eher unwahrscheinlich seien und dass angesichts ihres geringen Alters und der Behinderung ihres Onkels es weiterhin auch unwahrscheinlich sei, dass sie den behaupteten Missbrauch seinerzeit nicht in irgendeiner Weise thematisiert oder angesprochen habe.
Den entgegenstehenden Schlussfolgerungen der Dr. D in deren Gutachten vom 24. März 2006 konnte hingegen nicht gefolgt werden. Diese begründet die Einordnung der Angaben der Klägerin als glaubhaft zum einen damit, dass unter Zugrundelegung von erwartet konstanten und erwartet inkonstanten Inhalten nach Arntzen der Wahrheitsgehalt der Aussage wahrscheinlich sei. Die im Gutachten hierzu gegebene Begründung, die sich im Übrigen auf einen Absatz beschränkt, überzeugte jedoch nicht. Als konstante Beschreibungen wertete die Gutachterin ein Kerngeschehen mit konstanten unmittelbaren Handlungspartnern und handlungsrelevanten Gegenständen und dem Ort des Geschehens. Ebenfalls fänden sich zu erwartende Inkonstanten wie Reihenfolge, Datierung, Motive früherer Handlungen und Unterlassungen, Zahlen und eigene frühere Aussagen. Gänzlich unerwähnt bleibt jedoch, worauf auch Prof. Dr. S hingewiesen hat, die ins Auge fallende Diskrepanz bei der Schilderung der Klägerin, bei welcher Gelegenheit ihr nach jahrzehntelanger Amnesie der behauptete Missbrauch wieder eingefallen sei. Während sie im Gutachten gegenüber Dr. L angab, dass dies plötzlich nachts im Bett liegend geschehen sei, berichtete die Klägerin im Termin vor dem Sozialgericht von einem Geschehen aus Anlass eines Tierheimbesuchs, infolge dessen der Onkel sich einen Hund auf den Schoß gesetzt habe. Angesichts der insgesamt ausgesprochen spärlichen Angaben der Klägerin zum gesamten Geschehen durfte eine derartige Diskrepanz nicht ungewürdigt bleiben, damit das gefundene Ergebnis noch tragbar erscheint.
Neben dieser Bewertung von Konstanz und Inkonstanz der Darstellung stützte Dr. D das von ihr gefundene Ergebnis auf die Kategorisierung von Realkennzeichen von S und K. Es versteht sich hier bereits aufgrund der Konstellation, dass der Auswertung dieser Kataloge durch dessen Verfasser, nämlich den vom Beklagten befragten Prof. Dr. S der Vorrang zu geben ist. Dieser hat die Ausführungen der Dr. D jedoch als "naiv" bezeichnet; es handele sich um einen sehr an der "Oberfläche" verhafteten Umgang mit "tiefen"psychologischen Modellen. Abgesehen davon hat Dr. D ihre Schlussfolgerung aus dem psychodynamischen Konfliktmodell im Wesentlichen mit Prozentzahlen begründet, in denen einer späteren Angststörung ein vorheriger Missbrauch zugrunde lag. Dies sagt jedoch schlechthin nichts über die Bewertung von Vorgängen im Einzelfall. Aus den von Prof. Dr. S insgesamt gegen die Begründung der Dr. D vorgebrachten Gründen, denen sich das Gericht auch insoweit anschließt, konnte den Ausführungen der Gutachterin Dr. D daher nicht gefolgt werden.
Weitere Ermittlungen sind nicht angezeigt. Der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. S zufolge, der das Gericht folgt, sind erneute Versuche einer aussagepsychologischen Exploration der Klägerin zu den berichteten sexuellen Übergriffen nicht mit Erfolg möglich. Eine zukünftige Exploration zur Sache könne keine positive psychologische Beweisführung mehr ermöglichen. Denkbar sei insoweit nur, dass durch eine zukünftige Begutachtung der Klägerin das derzeitige aussagepsychologische Non Liquet in Richtung einer stärkeren Gewichtung der Scheinerinnerungshypothese verändert werden kann. Aus diesem Grund war von der Einholung weiterer Sachverständigengutachten abzusehen. Abgesehen davon ist es in der Regel ohnehin Sache des Tatrichters, sich selbst die nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit eines Parteivortrages zu verschaffen (BVerwG, a. a. O.).
Die Nichtfeststellbarkeit der gegen die Klägerin gerichteten Misshandlungen geht nach den Grundsätzen der objektiven Beweis- oder Feststellungslast zu Lasten der Klägerin (vgl. auch BSG, Urteile vom 22. Juni 1988, Aktenzeichen 9/9 a RVG 3/87, BSGE 63, 270 und vom 3. Februar 1999, Az. B 9 V 33/97 R, SozR 3-3900 § 15 Nr. 2), was zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und sowohl zur Zurückweisung der Berufung der Klägerin als auch zur Abweisung ihrer Klage führte.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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BRB
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