L 11 KA 16/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 33 (25) KA 140/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 16/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.11.2000 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung von Leistungen des Abschnitts G II Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM-Ä) nach Abschnitt 4a Nr. 7 Abs. 5 der Ergänzenden Vereinbarung zur Reform des EBM-Ä vom 14.09.1995.

Der Kläger ist als praktischer Arzt mit der Zusatzbezeichnung "Psychotherapie" in L niedergelassen und nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Vom 10.01.1990 bis zum 30.09.1992 war er ganztägig als Assistenzarzt an der Psychosomatischen Klinik C tätig. Diese war im fraglichen Zeitraum mit 76 Psychiatrie-Betten, davon 36 Betten Suchtbehandlung für Drogenabhängige und 40 Betten Suchtbehandlung für Alkoholabhängige in den Krankenhausplan des Landes Nordrhein-Westfalen aufgenommen (Bescheid des Regierungspräsidenten L vom 20.02.1991). Chefarzt war der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. I, der von der Ärztekammer Nordrhein zur Weiterbildung auf den Fachgebieten Psychiatrie und Psychotherapie ermächtigt war. Die Klinik gliederte sich in drei Stationen, von denen zwei zur Langzeitrehabilitation Suchtkranker und eine als psychiatrische Akutstation genutzt wurden. Vom 10.01.1990 bis zum 30.09.1990 arbeitete der Kläger auf einer Station für Langzeitrehabilitation, danach auf der Akutstation.

Den Antrag des Klägers auf Genehmigung von Leistungen des Abschnitts G II EBM-Ä lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 06.10.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.1998 ab, u.a. weil der Kläger keine zweijährige psychiatrische Weiterbildung belegt habe.

Mit der hiergegen zum Sozialgericht Düsseldorf (SG) erhobenen Klage hat der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 06.10.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.1998 zu verurteilen, ihm die Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung von Leistungen des Abschnittes G II EBM nach Nr. 7 der Ergänzenden Vereinbarung zur Reform des EBM vom 14.09.1995 zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 29.11.2000 hat das SG der Klage stattgegeben, weil die Erbringung von Leistungen des Abschnitts G II EBM-Ä einen Schwerpunkt der Praxistätigkeit des Klägers darstelle und dieser auch die Anforderungen einer zweijährigen psychiatrischen Weiterbildung erfüllt habe.

Mit der hiergegen erhobenen Berufung trägt die Beklagte vor: Der Kläger sei gleichwertig im psychotherapeutischen und psychiatrischen Bereich eingesetzt gewesen, bei einer Gesamtbeschäftigungszeit von 33 Monaten also weniger als zwei Jahre im psychiatrischen Bereich. Dabei habe er nur ein sehr eingeschränktes Patientengut behandelt, sodass auch qualitativ eine allgemeine psychiatrische Weiterbildung nicht belegt sei.

Die in der mündlichen Verhandlung nicht vertretene Beklagte beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.11.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, dass sich bei den Suchtpatienten die gesamte Palette psychiatrischer Erkrankungen gezeigt habe, die auch im Rahmen einer allgemeinen Weiterbildung zu behandeln seien. Die von der Beklagten vorgenommene Trennung zwischen Psychotherapie und Psychiatrie sei künstlich. Darüber hinaus hat er eine ergänzende Bescheinigung von Dr. I vom 23.07.2002 vorgelegt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Die Verwaltungsakte der Beklagten ist beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, da sie mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die zulässige Berufung ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Genehmigung der Abrechnung der Leistungen des Abschn. G II EBM-Ä.

Diese Leistungen sind grundsätzlich nur für Ärzte mit den Gebietsbezeichnungen Nervenarzt, Psychiater, Kinder- und Jugendpsychiater berechnungsfähig. Hierzu gehört der Kläger nicht. Anderen Ärzten, also auch praktischen Ärzten wie dem Kläger, kann nach Abschn. 4a Nr. 7 Abs. 5 der Ergänzenden Vereinbarung der Partner der Bundesmantelverträge zur Reform des EBM-Ä vom 14.09.1995 die Genehmigung zur Abrechnung der Leistungen des Abschn. G II EBM-Ä im Einzelfall erteilt werden, wenn sie eine gleichwertige fachliche Befähigung nachweisen, die Versorgung der Patienten im Rahmen ihres Fachgebietes einen Schwerpunkt ihrer Praxistätigkeit darstellt und die Erbringung der Leistungen zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist. Die Rechtmäßigkeit dieser Regelungen, insbesondere ihre Vereinbarkeit mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art 12 Abs. 1 Grundgesetz), ist vom Bundessozialgericht (BSG) und vom erkennenden Senat mehrfach bestätigt worden (vgl. u.a. BSG, Urt. v. 20.01.1999 - B 6 KA 23/98 R - SozR 3-2500 § 72 Nr. 8; BSG, Urt. v. 15.05.2002 - B 6 KA 22/01 R - SozR 3-2500 § 72 Nr. 14; Senat, Urt. v. 14.02.2001 - Az L 11 KA 80/00 - JURIS-Dok. KSRE 083320518). Dabei bestehen auch keine Bedenken, eine zweijährige psychiatrische Weiterbildungszeit zu fordern. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für eine Ausnahmegenehmigung nicht, weil er keine gleichwertige fachliche Befähigung nachgewiesen hat.

Für die Gleichwertigkeit kommt es allein auf den psychiatrischen Anteil der Ausbildung an. Das ergibt sich eindeutig aus der Präambel zu Abschn. G II EBM-Ä, der die Abrechnung der Leistungen den Nervenärzten und Psychiatern vorbehält.

Im Hinblick hierauf wird die Gleichwertigkeit der psychiatrischen Befähigung nicht bereits durch den Erwerb der Zusatzbezeichnung "Psychotherapie" belegt. Denn die hierfür erforderlichen psychiatrischen Kenntnisse werden im Laufe einer klinischen Tätigkeit von lediglich mindestens drei Monaten erworben.

Für die Frage, welche Weiterbildungsinhalte zur Vermittlung der Gleichwertigkeit erforderlich sind, kommt es allein auf den Inhalt des Weiterbildungsrechts, d.h. die Bestimmungen der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Nordrhein (WBO No) an. Dass das Weiterbildungsrecht maßgeblich ist, ergibt sich daraus, dass der Normgeber des EBM-Ä hinsichtlich der Berechtigung zur Durchführung und Abrechnung von Leistungen des Abschn. G II EBM-Ä ersichtlich auf die üblichen, von den Weiterbildungsordnungen festgelegten Gebietsbezeichnungen abgestellt hat. Da es die isolierte Gebietsbezeichnung "Psychiatrie" dabei nicht gibt, sondern nur die Gebietsbezeichnung "Psychiatrie und Psychotherapie", lassen sich die spezifisch psychiatrischen Weiterbildungsinhalte am besten aus einem Vergleich der Fachkundeanforderungen dieser Gebietsbezeichnung (Abschn. 36 WBO No) mit denjenigen der Gebietsbezeichnung "Psychotherapeutische Medizin" (Abschn. 37 WBO) ermitteln. Sieht man insoweit die im Wesentlichen übereinstimmenden Ausbildungsinhalte als charakteristisch für das Gebiet der Psychotherapie an, so bleiben als maßgebliche Inhalte für den Bereich Psychiatrie insbesondere Kenntnisse über

- die psychopathologische Symptomatik und die neuropsychologische Diagnostik organischer Erkrankungen und Störungen des zentralen Nervensystems

- die Verlaufsformen psychischer Erkrankungen und Störungen auch bei chronischen Verläufen

- die Entstehungsbedingungen psychischer Krankheiten und Störungen

- Krankheitsverhütung, Früherkennung, Rückfallverhütung und Verhütung unerwünschter Therapieeffekte

- allgemeines und spezielles Labor

- Pharmakologie

- sozialpsychiatrische Behandlung und Rehabilitation

- Indikationsstellung und Bewertung von Elektroenzephalogrammen

- Indikationsstellung, Methodik und Befundbewertung bildgebender neuroradiologischer Verfahren.

Dabei unterstellt der Senat zugunsten des Klägers, dass auch in einer Klinik, die überwiegend Suchtpatienten behandelt, zumindest die wichtigsten psychiatrischen Krankheitsbilder ebenso wie in allgemeinpsychiatrischen Kliniken auftreten und dass insbesondere - wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat - im Stadium des Entzuges, also während des Aufenthaltes auf der Akut-Station, häufig psychotische Episoden auftreten. Es bestehen auch keine Bedenken, der im Berufungsverfahren vorgelegten Bescheinigung von Dr. I dahingehend zu folgen, dass in der Ausbildung besonderer Wert auf die Diagnostik aller Formen von Persönlichkeitsstörungen, Psychosen und psychischer Störbilder sowie auf die gezielte medikamentöse Behandlung mit Psychopharmaka gelegt worden ist.

Jedenfalls in den Bereichen "Verlaufsformen psychischer Erkrankungen und Störungen auch bei chronischen Verläufen", "Entstehungsbedingungen psychischer Krankheiten und Störungen", "Krankheitsverhütung und Rückfallverhütung" und "Rehabilitation" hat der Kläger nach den von ihm vorgelegten Bescheinigungen zur Überzeugung des mit zwei Vertragsärzten fachkundig besetzten Senates keine Kenntnisse erworben, die derjenigen einer allgemeinen psychiatrischen Ausbildung gleichwertig wären:

Unabhängig von Zahl oder Vielfalt der in einem auf Suchterkrankungen spezialisierten Krankenhaus auftretenden Krankheitsbilder haben bei allen behandelten Patienten ausweislich der Bescheinigung von Dr. I stoffgebundene Abhängigkeitssyndrome vorgelegen. Auch der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung lediglich dargelegt, dass psychotische Erkrankungen im Rahmen des Entzugs aufgetreten seien. Angesichts dessen hält es der Senat nicht für erwiesen, dass der Kläger die Entstehungsbedingungen psychischer Erkrankungen und Störungen in demselben Ausmaß kennen gelernt hat, wie dies in einer allgemeinpsychiatrischen Station der Fall wäre.

Letztlich kommt es hierauf aber nicht entscheidend an. Denn maßgebend ist, dass der Kläger den weitaus größten Teil seiner 33monatigen Tätigkeit, nämlich 24 Monate, auf der Akutstation beschäftigt gewesen ist. Wie Dr. I selbst einräumt, betrug die generelle Behandlungsdauer dort zwei bis drei Wochen. Die Rehabilitation ebenso wie die Rückfallverhütung waren demnach zwangsläufig den beiden Stationen zur Langzeitrehabilitation vorbehalten, wo der Kläger jedoch weniger als neun Monate tätig war. Entsprechend hat er gerade auch im Bereich der Störungen bei chronischen Verläufen nur über einen vergleichsweise kurzen Zeitraum Erfahrungen sammeln können. Dies erscheint nicht als ausreichend, um die Gleichwertigkeit mit einer psychiatrischen Ausbildung herzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), bestehen nicht, da die grundsätzlichen Rechtsfragen geklärt sind und es lediglich um die Beurteilung eines Einzelfalles geht.
Rechtskraft
Aus
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