S 104 AS 11370/06 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
104
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 104 AS 11370/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verurteilt, der Antragstellerin Arbeitslosengeld II in der Zeit vom 11. Dezember 2006 bis zum 31. Mai 2007 i.H.v. monatlich 23,62 Euro auf Darlehensbasis zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ein Siebtel der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

Der (sinngemäße) Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verurteilen, ihr für die Zeit ab 1. Dezember 2006 Arbeitslosengeld II (Alg II) i.H.v. monatlich 177,62 Euro zu gewähren, hilfsweise als Darlehen, hat nur zum Teil im Sinne des Hilfsantrages Erfolg.

Der Antrag ist zulässig. Insbesondere steht der Zulässigkeit des Antrags nicht entgegen, dass der Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Dezember 2006, mit welchem sinngemäß Alg II für die Zeit ab 1. Dezember 2006 abgelehnt und damit der Fortzahlungsantrag der Antragstellerin vom 20. November 2006 abgelehnt worden ist, bestandskräftig geworden wäre. Denn in dem bei Gericht am 11. Dezember 2006 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung muss bei verständiger Würdigung des Vorbringens zugleich ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2006 erblickt werden. Dieser wurde am 8. Dezember 2006 zur Post gegeben und ist damit der Antragstellerin gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) 3 Tage später am 11. Dezember 2006 - dem Tag der Antragstellung bei Gericht - bekannt gegeben und damit nach § 39 SGB X wirksam geworden. Die Antragsgegnerin wird daher in einem Vorverfahren nach §§ 78 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) über den Widerspruch der Antragstellerin zu befinden haben.

Soweit die Antragstellerin die Gewährung von Alg II für die Zeit vom 1. Dezember 2006 bis zum 10. Dezember 2006, also für die Zeit vor der Antragstellung bei Gericht am 11. Dezember 2006, geltend macht, besteht für die von ihr begehrte Regelungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG) zumindest kein Anordnungsgrund. Denn der Antragstellerin ist es in den in der Vergangenheit liegenden Zeiträumen offensichtlich gelungen, mit den ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Insoweit erscheint der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht nötig, um wesentliche Nachteile abzuwenden (vgl. Keller in; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage, § 86 b, Rdnr. 28). Soweit die Antragstellerin die Gewährung von Alg II für die Zeit ab 11. Dezember 2006 geltend macht, ist der Antrag im tenorierten Umfang begründet. Insoweit besteht bereits ein Anordnungsanspruch. Die Antragstellerin ist hinsichtlich eines monatlichen Betrages von 23,62 Euro im Sinne von § 7 Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) anspruchsberechtigt. Denn sie hat das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet, sie ist erwerbsfähig, hilfebedürftig und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Anspruchsberechtigung entfällt auch nicht aufgrund der Vorschrift des § 7 Abs. 5 SGB II, wonach Auszubildende, deren Ausbildung u.a. im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben. Zwar handelt es sich bei der von der Antragstellerin betriebenen Ausbildung zur Maskenbildnerin um eine dem Grunde nach nach dem BAföG förderungsfähige Ausbildung (vgl. Bescheid des Bezirksamts C-W von B vom 18. August 2006), die Vorenthaltung des Alg II würde jedoch für die Antragstellerin einen besonderen Härtefall darstellen (§ 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II). So ist es für die Antragstellerin unzumutbar, ihre am 1. September 2004 begonnene Ausbildung kurz vor ihrem Ende am 31. August 2007 noch abzubrechen, wodurch der vorangegangene Teil der absolvierten Ausbildung vollständig entwertet würde. In solchen Fällen dient die Leistung nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II nur zur Überbrückung einer vorübergehenden Notlage. Mit der (darlehensweise) zu gewährenden Hilfe wird dazu beigetragen, dass Hilfebedürftige ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten können und sie bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit entsprechend den Zielvorstellungen des § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB II unterstützt werden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14. April 2005 -L 8 AS 36/05 ER-; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. April 2005 -L 2 B 7/05 AS ER-). Im Übrigen wird auf die Ausführungen der Antragsgegnerin in der Leistungsakte vom 3. Januar 2007 Bezug genommen.

Einer einstweiligen Anordnung steht nicht entgegen, dass es sich um eine Leistung handelt, bei der die Antragsgegnerin ein Ermessen auszuüben hat. Bei dem Vorliegen eines Härtefalls ist die Hilfeleistung indiziert, d.h. sie kann nur in Ausnahmefällen abgelehnt werden (vgl. Brühl in LPK - SGB II § 7 Rdnr. 75; Hessischer VGH, Urteil vom 10. Dezember 1991 -9 UE 3241/88 = NVwZ-RR 1992, 636; Valgolio in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch SGB II, Loseblattsammlung Stand XI/04, § 7, Rdrn. 36). Dass im vorliegenden Fall solche besonderen Umstände vorliegen würden, die trotz des gegebenen Härtefalls eine andere Entscheidung als die, der Antragstellerin Alg II auf Darlehensbasis zu gewähren, zuließen, ist nach dem Vortrag der Beteiligten sowie aufgrund des Akteninhalts nicht ersichtlich.

Die Antragstellerin ist auch hinsichtlich eines monatlichen Betrages von 23,62 Euro hilfebedürftig. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Im vorliegenden Fall besteht bei der Antragstellerin ein monatlicher Gesamtbedarf i.H.v. 605,50 Euro (= 345,00 Euro Regelleistung gemäß § 20 Abs. 2 SGB II + 260,50 Euro Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II). Hiervon muss jedoch nach § 11 SGB II ein zu berücksichtigendes monatliches Gesamteinkommen i.H.v. 581,88 Euro abgezogen werden. Dieser Betrag setzt sich sowohl aus einem (bereinigten) Erwerbseinkommen aus ihrer Tätigkeit bei der "S C Deutschland GmbH" i.H.v. 347,78 Euro und eine Halbwaisenrente von der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg i.H.v. monatlich 80,10 Euro - diese Posten sind zwischen den Beteiligten unstreitig -, als auch dem Kindergeld i.H.v. monatlich 154,00 Euro zusammen. Ausweislich der eidesstattlichen Versicherung vom 20. Januar 2007 hat die Mutter der Antragstellerin - als Anspruchsberechtigte bezüglich des Kindergeldes - erklärt, dass sie zur Finanzierung der Ausbildung der Antragstellerin zur Maskenbildnerin das Kindergeld verwende. Damit wird die Antragstellerin faktisch aber so gestellt, als ob sie selbst anspruchsberechtigte Kindergeldbezieherin sei, was es rechtfertigt, das Kindergeld als ihr Einkommen anzurechnen. Auch wenn es sich bei den übrigen 46,00 Euro, welche die Mutter der Antragstellerin monatlich zur Finanzierung der Ausbildung der Tochter verwendet, um zweckbestimmte Einnahmen handelt, die gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II nicht als Einnahmen zu berücksichtigen sind (s.u.), gilt dies jedoch nicht in gleicher Weise für das ebenfalls zur Finanzierung der Ausbildung herangezogene Kindergeld. Denn es ist nicht gerechtfertigt, dass eine staatliche Leistung, die wie das Kindergeld der allgemeinen Absicherung des Lebensunterhalts dient, auf Kosten der Antragsgegnerin durch Umwidmung seitens der Berechtigten nunmehr als "zweckbestimmte Einnahme" bei der Bestimmung der Hilfebedürftigkeit nicht mehr zu berücksichtigen wäre.

Damit ergibt sich eine Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin in Höhe von monatlich 23,62 Euro (605,50 Euro ¬¬- 581,88 Euro). Hierauf kann jedoch nicht der Differenzbetrag i.H.v. 46,00 Euro aus dem von der Mutter der Antragstellerin monatlich gezahlten Schulgeld i.H.v. 200,00 Euro und dem hierin enthaltenen Kindergeldanteil angerechnet werden. Insoweit handelt es sich um ein zweckbestimmtes privatrechtliches Einkommen, welches nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II von der Anrechnung auszunehmen ist (vgl. auch § 1 Abs. 1 Nr. 2 Alg II-VO). Mit der monatlichen Zahlung von Schulgeld verfolgt die Mutter der Antragstellerin nämlich eine erkennbare Zielrichtung in Form der Finanzierung einer qualifizierten Ausbildung ihrer Tochter. Dieser Betrag wird folglich in der Erwartung gezahlt, dass er von der Antragstellerin für den genannten Zweck auch tatsächlich verwendet wird, so dass die Anrechnung auf den Unterhalt eine Zweckverfehlung darstellen würde (vgl. Brühl in: Münder, Sozialgesetzbuch II, 2. Auflage, § 11, Rdnr. 54). Die Leistungen der Mutter der Antragstellerin dienen auch einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II. Insoweit wird ein anderer Zweck als die Gewährung von Unterhalt oder Arbeitseingliederung (§ 1 Abs. 2 SGB II) verfolgt. Des Weiteren wird hierdurch die Lage der Antragstellerin auch nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Bei einem Vergleich mit anderen Hilfebedürftigen unter Beachtung der fiskalischen öffentlichen Interessen erscheint die insoweit ungekürzte Leistung nach dem SGB II als gerechtfertigt. Insbesondere ist nicht festzustellen, dass durch die Zweckbestimmung ein Missbrauch in der Weise verschleiert wird, dass etwa eine regelmäßig höhere Unterhaltszuwendung als zweckbestimmt für einen besonderen, nicht bestehenden Aufwand deklariert wird (vgl. Brühl in: Münder, a.a.O., Rdnr. 55).

Des Weiteren besteht auch ein Anordnungsgrund. Ohne die monatliche Zuwendung von 23,62 Euro wäre die Antragstellerin, jedenfalls über den tenorierten Zeitraum hinweg, nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt und ihre Kosten für Unterkunft und Heizung zu finanzieren. Die Beschränkung auf die Zeit vom 11. Dezember 2006 bis zum 31. Mai 2007 trägt dem vorläufigen Charakter der einstweiligen Anordnung sowie der Regelung des § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II Rechnung.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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