L 16 LW 8/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 Lw 192/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 LW 8/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit in § 51 Abs. 2 SGB I ist eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung als Teil der Einkünfte zu berücksichtigen.
2. Der Versicherungsträger darf mit Beitragsansprüchen gegen eine GmbH gegenüber dem Anspruch von deren Geschäftsführer auf Altersgeld aufrechnen, wenn dieser bezüglich der Beitragsschuld eine Schuldbeitrittserklärung abgegeben hat.
3. Dasselbe gilt für eine Verrechnung, wenn Beitragsgläubiger der Träger der Krankenversicherung, Rentenschuldner der Rentenversicherungsträger ist.
i. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. Oktober 1997 wird zurückgewiesen.
ii. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
iii. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Beklagten, eine Forderung der AOK Rosenheim nach §§ 51, 52 SGB I mit der aus der Landwirtschaftlichen Alterskasse zu gewährenden Altersrente zu verrechnen.

Der am 1931 geborene Kläger ist seit 1957 Mitglied der Beklagten und bewirtschaftete ein landwirtschaftliches Unternehmen mit rund 35,24 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche sowie 29 ha forstwirtschaftlicher Nutzfläche. Es handelte sich jeweils um Eigen- und Pachtflächen. Der Kläger beantragte am 21.08.1995 für sich und seine Ehefrau Altersrente ab Vollendung des 65. Lebensjahres. Die AOK Bayern, Direktion Rosenheim, richtete mit Datum vom 26.02.1996 einen Antrag auf Verrechnung nach §§ 51, 52 SGB I an die Beklagte. Als Art der Forderung gab sie Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 73.718,84 DM für einen Zeitraum von August 1985 bis März 1986 an. Die AOK teilte mit, daß die Säumniszuschläge bis zur endgültigen Tilgung der Forderung sich noch erhöhen würden und die genauen Beträge noch mitgeteilt werden. Es wurde beantragt, die Forderung gegen die Rentenleistung zu verrechnen.

Im Schreiben vom 26.03.1996 wurde der Kläger aufgefordert, im Hinblick auf das Verrechnungsersuchen der AOK seine Einkommensverhältnisse darzulegen. Der Klägerbevollmächtigte teilte im Schreiben vom 06.05.1996 mit, daß der Kläger außer der zu erwartenden Altersrente von der Beklagten lediglich eine Unfallrente aus der Steinbruch-Berufsgenossenschaft in Höhe von monatlich 427,70 DM beziehe. Außerdem wurde mitgeteilt, daß die Ehefrau neben der Altersrente von der Beklagten eine Zusatzversorgung in Höhe von monatlich 17,55 DM sowie eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 585,33 DM und monatlichen Mietzins in Höhe von 300,00 DM beziehe. Dieser Mitzins stehe der Ehefrau des Klägers zu zur Sicherung von Aufwendungen, die sie aus ihrem Elterngut für das Anwesen des Klägers und zur Sicherung des Familienunterhaltes erbracht habe. Die Unfallrente könne bei einer Pfändung nicht berücksichtigt werden. Es werde daher beantragt, die zustehenden Beträge beschleunigt auszubezahlen.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 28.05.1996 bewilligte die Beklagte ab 01.05.1996 beginnend Altersrente für den Kläger. Nach Abzug des Beitrags zur Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung betrug die Nettorente ab 01.07.1996 770,31 DM. Für die Zeit vom 01.05. bis 30.06.1996 errechneten sich 766,05 DM. Von dieser Rentenleistung behielt die Beklagte monatlich 411,50 DM für die AOK Bayern auch für die nachzuzahlenden Monate ein. Dem Bescheid lag eine Einkommensberechnung bei, worin die Beklagte aus dem Gesamteinkommen der Eheleute einen pfändbaren Betrag nach § 850 c ZPO von monatlich 501,50 DM bzw. ab 01.07.1996 411,50 DM errechnete. Den Widerspruch gegen den Bescheid begründete der Klägerbevollmächtigte, soweit die Abführung der Rente an die AOK Bayern angegriffen wurde, daß beim pfändbaren Einkommen lediglich die Einkünfte des Klägers zu berücksichtigen seien. Nicht berücksichtigt werden dürfe die Unfallrente. Außerdem wurde gerügt, daß bei Berücksichtigung des Einkommens der Ehefrau auch die 300,00 DM Mietzins berücksichtigt werden. Diese Einkünfte würden ausschließlich zur Bedienung eines Darlehens verwendet, das aufgenommen wurde, um den landwirtschaftlichen Besitz zu retten.

Im Widerspruchsbescheid vom 22.08.1996 hielt die Beklagte zunächst an dem Rentenbeginn 01.05.1996 fest, da der Nachweis über die Abgabe erst am 05.04.1996 bei der Landwirtschaftlichen Alterskasse eingegangen sei. Zur Frage der Berechnung des Auszahlungsbetrages unter Berücksichtigung des Einbehaltes zugunsten der AOK wies die Beklagte darauf hin, daß sehr wohl die Einkünfte beider Eheleute heranzuziehen seien bei der Prüfung, ob Sozialhilfebedürftigkeit entstehe. Dies sei beim Kläger und seiner Ehefrau nicht der Fall, so daß die Rentenzahlung nach § 52 SGB I iVm § 51 SGB I zur Hälfte einbehalten und an die AOK abgeführt werden könne. Soweit im streitgegenständlichen Bescheid mehr zugunsten der AOK einbehalten worden sei, werde eine Neuberechnung für die Monate Mai bis August erfolgen. Diese Neuberechnung erfolgte im Schreiben vom 27.09.1996. Mit diesem Schreiben wurde dem Kläger mitgeteilt, daß die zuviel abgeführten Beträge in Höhe von 116,50 DM im Oktober ausbezahlt werden und laufend ab 01.11.1996 385,00 DM an die AOK überwiesen werde.

Mit der Klage verfolgte der Klägerbevollmächtigte sowohl die Gewährung von Altersrente ab 01.04.1996 als auch die Auszahlung der vollen Rente. Es wurde erneut vorgetragen, daß die Pfändungsvoraussetzungen der ZPO nicht vorlägen, insbesondere dürfe die Unfallrente und das Einkommen der Ehefrau nicht berücksichtigt werden.

Im Urteil vom 10.10.1997 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, daß die Abgabevoraussetzungen erst im April 1996 vollständig vorlagen, rechtsfehlerfrei die Rente deswegen erst am 01.05.1996 beginne. Soweit der Kläger die Aufrechnung der Rente mit den der AOK Bayern geschuldeten Beitragsrückständen angreife, könne die Klage ebenfalls keinen Erfolg haben. Die Beklagte habe zu Recht diese Aufrechnung vorgenommen. Es bestehe keine fehlerhafte Aufrechnung, da sehr wohl die Einkünfte der Ehefrau zur Prüfung der drohenden Sozialhilfebedürftigkeit heranzuziehen seien und unter Berücksichtigung dieser Einkünfte der Kläger nicht sozialhilfebedürftig werde. Im übrigen bewohnten die Parteien ein eigenes Haus, so daß keine näheren Ausführungen zur Höhe der Einkünfte erforderlich seien.

Mit der Berufung begehrt der Kläger die Aufhebung des Urteils, den früheren Rentenbeginn sowie die Auszahlung der vollen Rente. Der Vortrag entspricht im wesentlichen dem Vortrag in erster Instanz.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 09.03.1998, die Berufung zurückzuweisen. Sie ist der Meinung, das Urteil sei nicht zu beanstanden. Weder könne der Kläger den früheren Rentenbeginn verlangen, noch sei das Verrechnungsersuchen der AOK fehlerhaft ausgeführt worden. Auf Anfrage des Senats teilte die AOK Bayern mit, daß die Firma GmbH & Co.KG der AOK Bayern Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 63.868,84 DM einschließlich Säumniszuschläge und Gebühren am 01.08.1998 geschuldet habe. Als Geschäftsführer der Firma GmbH & Co. KG habe der Kläger im Januar 1985 ein notarielles Schuldanerkenntnis mit Vollstreckungsunterwerfung unterzeichnet, das mit einem weiteren Schuldbeitritt vom 27. Februar 1992 auf die Summe von 65.177,72 DM erhöht worden sei. Im übrigen hafte der Kläger auch als Geschäftsführer für die Abführung der Unternehmeranteile zur Sozialversicherung. Andere Schuldner konnten nicht in Anspruch genommen werden.

In der mündlichen Verhandlung vom 24.02.1999 nahm der Klägerbevollmächtigte mit Einverständnis des Klägers die Berufung insoweit zurück, als ein früherer Beginn des Altersgeldes beantragt war.

Der Kläger beantragt,

in Abänderung des Urteils des Sozialgerichts München vom 10.10.1997, des Bescheides der Beklagten vom 28.05.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.1996 und des Bescheides vom 27.08.1996, die Beklagte zu verpflichten, ungekürzt das Altersgeld an den Kläger auszubezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung als unbegründet zurückzuweisen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung (§§ 141, 143, 151 SGG) ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Nach der teilweisen Rücknahme der Berufung bezüglich der Frage des Beginns des Altersgeldes ist Streitgegenstand nur noch die Frage der zulässigen Verrechnung der Forderung der AOK Bayern mit der Altersrente durch die Beklagte gemäß §§ 51, 52 SGB I. Streitgegenstand des Verfahrens ist dabei auch der Bescheid der Beklagten vom 27.08.1996, der nach Erlaß des Widerspruchsverfahrens und nach Klageerhebung erteilt wurde (§ 96 SGG).

Die Verrechnung der Forderung der AOK Bayern mit der laufenden Rente des Klägers richtet sich nach § 52 iVm § 51 Abs.2 SGB I. § 52 SGB I bestimmt:

"Der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger kann mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 die Aufrechnung zulässig ist." § 51 SGB I lautet:

"(1) Gegen Ansprüche auf Geldleistungen kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs.2 und 4 pfändbar sind.

(2) Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, soweit der Leistungsberechtigte darauf nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes über die Leistungen zum Lebensunterhalt wird."

Diese Aufrechnung nach Abs.2, wie sie die Beklagte im Widerspruchsbescheid und dem Bescheid vom 27.08.1996 vorgenommen hat, stellt nicht auf die Berechnung des pfändbaren Einkommens nach § 51 Abs.1 SGB I iVm der ZPO ab, sondern geht zu Recht davon aus, daß die Forderung der AOK auf Bezahlung von Beiträgen eine bevorrechtigte Forderung im Sinne des § 51 Abs.2 SGB I ist und deshalb die Aufrechnung bis zur Hälfte der zu gewährenden Leistungen erfolgen durfte, da eine Sozialhilfebedürftigkeit des Klägers nicht eintritt. Die Beklagte ist somit im Widerspruchsbescheid von der zunächst gewählten Berechnung des pfändbaren Einkommens abgerückt und hat eine Aufrechnung bzw. Verrechnung nach § 51 Abs.2 SGB I bis zur Hälfte der laufenden Leistung vorgenommen. Diese Berechnung der Beklagten ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Die Beitragsforderung der AOK gegen den Kläger ist sowohl in der Höhe als auch nach der Art der Forderung unstreitig. Aus der Schuldbeitrittsurkunde ergibt sich eindeutig, daß es sich um rückständige Krankenversicherungsbeiträge handelt. Diese Charakterisierung der Forderung als Beitragsanspruch verliert ihren Rechtscharakter nicht dadurch, daß der Kläger eine zivilrechtliche Schuldbeitrittserklärung abgegeben hat. Darüber hinaus bewirkt der genannte Schuldbeitritt des Klägers, daß er nicht im Rahmen seiner Eigenschaft der Geschäftsführer der GmbH für diese Beitragsschuld gegenüber der AOK in Anspruch genommen wird, sondern vielmehr ein direkter Anspruch gegen ihn besteht. Insoweit hat sich der Kläger schließlich auch durch den Schuldbeitritt der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen unterworfen. Die in der Rechtsprechung geäußerten Bedenken, ein Geschäftsführer einer GmbH könne nur dann wegen Beitragsansprüchen gegen die GmbH in Anspruch genommen werden, wenn er Alleingesellschafter dieser GmbH ist, können daher im vorliegenden Fall nicht durchgreifen, da eine persönliche Haftung des Klägers wegen der geltend gemachten Beitragsansprüche besteht. Soweit ist die Voraussetzung des § 51 Abs.2 nach der Gegenseitigkeit und der Gleichartigkeit der Forderung erfüllt. Diese Forderung ist im Zeitpunkt der Aufrechnung auch fällig gewesen.

Eine Aufrechnung der Forderung gegenüber dem Kläger scheitert aber auch nicht an einer drohenden Sozialhilfebedürftigkeit des Klägers, denn bereits seine eigenen Einkünfte, bestehend aus der Unfallrente aus der berufsgenossenschaftlichen Versicherung als auch der Hälfte der Rente von der Beklagten, führen dazu, daß ihm ein höherer Betrag als der Sozialhilfesatz verbleibt. Beispielhaft seien die Sätze nach BSHG zum Zeitpunkt der Entscheidung herangezogen. Danach hatte nach Auskunft des Landratsamtes Rosenheim ein Haushaltsvorstand Anspruch auf einen Regelsatz in Höhe von 514,00 DM, wobei ein Mehrbedarf wegen Alters bei Vollendung des 65. Lebensjahres in Höhe von 20 v.H. des Regelsatzes gewährt wird. Damit steht z.B. am 01.08.1996 ohne Berücksichtigung von Aufwendungen für Wohnung ein Sozialhilfesatz von 616,80 DM (514,00 DM + 102,80 DM) einem Einkommen des Klägers von 812,70 DM (Unfallrente 427,70 DM + halbe Altersrente 385,00 DM) gegenüber. Damit tritt eine Sozialhilfebedürftigkeit des Klägers bereits aus eigenen Einkünften nicht ein, denn entgegen seiner Auffassung kann die Unfallrente als Einkommen bei der Prüfung der Sozialhilfebedürtigkeit gemäß §§ 76, 77 BSHG herangezogen werden. Nach § 77 Abs.1 BSHG sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Darunter zählen nicht Leistungen der Unfallrente nach §§ 580 ff. RVO bzw. nach den Bestimmungen des SGB VII (vgl. Kommentar zum BSHG § 77 Anm.3 ff. bzw. 72). Als solche Leistungen gelten grundsätzlich nur Leistungen, die ausdrücklich der Bedarfsdeckung dienen, wie z.B. Pflegegeld, Kranheitshilfe oder Hilfe zum besonderen Bekleidungsaufwand etc. Da die Unfallrente, die der Kläger aus der gesetzlichen Unfallversicherung bezieht, dazu nicht rechnet, kann diese Leistung bei seinem Einkommen Berücksichtigung finden. Eine Heranziehung des Einkommens der Ehefrau, die nach Ansicht des Senats zwar zulässig wäre, kann daher außer acht bleiben, da bereits das eigene Einkommen des Klägers auch bei Verrechnung der halben Altersrente nicht zur Sozialhilfebedürftigkeit führt. Unberücksichtigt bleiben dabei Aufwendungen für die Wohnung. Nach den Aktenunterlagen wohnt der Kläger im eigenen Haus. Er hat auch nichts vorgetragen, was auf zusätzliche Belastungen oder Aufwendungen für den Wohnwert sprechen würde. Da also keine Sozialhilfebedürftigkeit beim Kläger eintritt und die Beitragsforderung eine bevorrechtigte Forderung nach § 51 Abs.2 SGB I darstellt, konnte die Beklagte, wie geschehen, bis zur Hälfte der laufenden Altersrente aufrechnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 Ziffer 1 und 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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