B 11 AL 80/01 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Oldenburg (NSB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 80/01 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. September 2001 wird zurückgewiesen. Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Der Rechtsstreit betrifft die Höhe des Insolvenzgeldes (Insg). Der Kläger verlangt die Zahlung von weiteren 2.441,47 EUR, mit der ein vor dem Insg-Zeitraum erarbeitetes Zeitguthaben abgegolten werden soll.

Der Kläger war bis zum 28. Februar 1999 bei der E. KG beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis, welches ab 1. März 1999 auf das Nachfolgeunternehmen M. GmbH überging, war der Manteltarifvertrag für das Metall verarbeitende Handwerk Niedersachsen vom 25. Februar 1997 (MTV) anwendbar. Nach § 2 Abs 3 MTV werden Abweichungen von der regelmäßigen Wochenarbeitszeit einem Arbeitszeitkonto zugeführt, auf dem innerhalb eines Ausgleichszeitraumes von 12 Monaten Arbeitszeitguthaben bis zu einem Umfang von 165 Stunden angesammelt werden können. Bis einschließlich November 1998 waren beim Kläger 179,30 Überstunden aufgelaufen. Das Amtsgericht (AG) Oldenburg eröffnete am 1. März 1999 über das Vermögen der Firma E. KG das Insolvenzverfahren.

Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 18. März 1999 Insg in Höhe von 12.539,85 DM. Diesen Betrag hatte der Insolvenzverwalter in der Insg-Bescheinigung vom 1. März 1999 als noch zustehendes Netto-Arbeitsentgelt für die Monate Dezember 1998 bis Februar 1999 mitgeteilt. In diesem Betrag sind ua Überstunden in den Monaten Dezember 1998 (561,60 DM) und Januar 1999 (862,42 DM) sowie zusätzliches Urlaubsentgelt für die Monate Dezember 1998 (1.038,36 DM) und Januar 1999 (346,12 DM) als Brutto-Arbeitsentgelt enthalten.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, sein Arbeitszeitguthaben von 165 Stunden sei bei der Berechnung des Insg zu berücksichtigen. Er habe mit Schreiben vom 18. Februar 1999 gegenüber dem Insolvenzverwalter und der Geschäftsführung der Firma E. KG die Abgeltung eines Arbeitszeitguthabens nach § 2 Nr 6 MTV geltend gemacht. Bei einem Stundenlohn von 23,15 DM ergebe sich mit dem Mehrarbeitszuschlag von 25 vH eine Mehrforderung von insgesamt 4.775,10 DM. Den Widerspruch wies die BA mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1999 zurück, weil bei der Bemessung des Insg grundsätzlich nur von den Stunden auszugehen sei, die der Arbeitnehmer im Insg-Zeitraum tatsächlich geleistet habe. Davor geleistete Mehrarbeitsstunden seien nicht zu berücksichtigen.

Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht, das Arbeitszeitguthaben sei wie Urlaubsentgelt zu berücksichtigen. Es sei dem Zeitraum zuzuordnen, für den es zum Lebensunterhalt bestimmt gewesen sei. Nachdem er die Abgeltung des Arbeitszeitguthabens geltend gemacht habe, habe sich sein Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht gegen den Arbeitgeber im Umfang von 165 Stunden in einen Anspruch auf Zahlung umgewandelt. Es komme nicht darauf an, wann er seine Arbeitsleistung für das Zeitguthaben erbracht habe.

Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts vom 10. März 2000; Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 27. September 2001). Das LSG hat ausgeführt, über den Betrag von insgesamt 12.539,85 DM stehe dem Kläger weiteres Insg nicht zu. Die Abgeltung von Arbeitszeitguthaben beruhe auf Mehrarbeit, die der Kläger bis einschließlich November 1998 und damit vor dem Insg-Zeitraum geleistet habe. Die Bemessung des Insg folge dem "Erarbeitungsprinzip", an dem der Gesetzgeber des Sozialgesetzbuchs - Arbeitsförderung - (SGB III) ausdrücklich festgehalten habe. Demgegenüber sei der Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf Abgeltung von Arbeitszeitguthaben unerheblich.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 183 Abs 1 SGB III. Er vertritt die Ansicht, bei der Behandlung der Abgeltung eines Arbeitszeitguthabens läge es nahe, nicht die Grundsätze für die Urlaubsabgeltung, sondern die zur Jahressonderzahlung heranzuziehen. Entscheidend sei, dass es sich um Arbeitsentgelt handele, das für einen bestimmten Zeitraum erarbeitet werde und das im Gegensatz zum Urlaubsanspruch im laufenden Arbeitsverhältnis in Geld auszuzahlen sei, wenn - wie hier - die tariflichen Voraussetzungen erfüllt seien. Zu diesen gehöre auch die drohende Zahlungsunfähigkeit oder Eröffnung des "Konkurs- oder Vergleichsverfahrens". Es komme also nicht allein auf eine einseitige Erklärung des Arbeitnehmers für die Fälligkeit und Auszahlung des Wertbetrages an. Ein Missbrauch sei hier von vornherein ausgeschlossen, weil der Kläger ohne drohende Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz des Arbeitgebers eine Auszahlung des Zeitguthabens nicht hätte verlangen können. Das Zeitguthaben sei auch für den Insolvenzzeitraum erarbeitet worden; denn der Ausgleichszeitraum umfasse den Insg-Zeitraum, der am 1. Dezember 1998 begonnen habe, denn "laut Tarifvertrag beträgt er 12 Monate und kann auch bis 15 Monate betragen (§ 2 Ziffer 4 MTV)". Nach § 183 Abs 1 Satz 2 SGB III gehörten zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis. Der Anspruch auf Abgeltung des Zeitguthabens sei durch die Geltendmachung des Klägers am 18. Februar 1999 entstanden und fällig geworden. Somit stehe dem Kläger das Insg in der beantragten Höhe zu. Hilfsweise mache er jedoch drei Zwölftel der Forderung geltend und zwar zur Abgeltung seines Zeitkontos für die drei dem Insolvenzereignis vorausgehenden Monate. Dies ergebe sich daraus, dass der Abgeltungsanspruch für ein Zeitguthaben am ehesten einem Urlaubsabgeltungsanspruch gleichzusetzen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kein Anspruch für einen Zeitpunkt, sondern für einen Zeitraum sei (BSG Urteil vom 27. September 1994 - 10 RAr 6/93 -).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. September 2001 und das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 10. März 2000 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 18. März 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Mai 1999 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger weiteres Insg nach einem Arbeitsentgelt von 2.441,47 EUR brutto, hilfsweise ein Drittel dieser Summe, zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend und weist darauf hin, dass die Arbeitsleistungen, die das Arbeitszeitkonto aufgebaut hätten, außerhalb des Insolvenzzeitraums erbracht worden seien. Im Insg-Zeitraum sei der Kläger nicht von Arbeitsleistung freigestellt gewesen. Die Zweckbestimmung des Arbeitszeitguthabens schließe es aus, sie in der Gestalt des Abgeltungsanspruchs als für den Insg-Zeitraum vorgesehenes Entgelt zu behandeln.

II

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg, denn die Entscheidung des LSG beruht nicht auf einer Gesetzesverletzung (§ 170 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

1. Zutreffend hat das LSG die Vorschriften über das Insg (§§ 183 ff SGB III) seiner rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt. Aus der Übergangsvorschrift des § 430 Abs 5 SGB III ergibt sich, dass die Vorschriften über das Konkursausfallgeld (§§ 141a ff Arbeitsförderungsgesetz (AFG)) nur für Insolvenzereignisse gelten, die vor dem 1. Januar 1999 eingetreten sind. Dies trifft hier nicht zu, denn das AG hat das Insolvenzverfahren über das Vermögen des früheren Arbeitgebers des Klägers - der E. KG - am 1. März 1999 eröffnet.

2. Anspruch auf Insg haben Arbeitnehmer, wenn sie bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses (Insolvenzzeitraum) noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Zu diesen Ansprüchen gehören alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis. Der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gleichrangige Insolvenzereignisse sind zwar auch die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (§ 183 Abs 1 Nr 2 und 3 SGB III). Für den Eintritt eines dieser Insolvenzereignisse, die für die Bestimmung des Insolvenzzeitraums maßgebend wären, wenn sie vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten wären, ist jedoch nichts ersichtlich. Es besteht deshalb auch kein Anhaltspunkt für die Annahme, der Kläger habe in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weiter gearbeitet, sodass der Insolvenzzeitraum nach dem Tag der Kenntnisnahme durch den Arbeitnehmer zu bestimmen sei (§ 183 Abs 2 SGB III). Das LSG hat danach den Insolvenzzeitraum vom 1. Dezember 1998 bis 28. Februar 1999 zutreffend bestimmt.

Auch wenn nach § 183 Abs 1 Satz 2 SGB III alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören, begründen jedoch nur solche Entgeltansprüche einen Anspruch auf Insg, die für den Insolvenzzeitraum zu erbringen waren. Die Insg-Versicherung deckt also den Ausfall von Arbeitsentgelt für die letzten drei Monate vor dem Insolvenzereignis - hier: der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des früheren Arbeitgebers des Klägers. Für die gleichsinnige Regelung des § 141b Abs 1 Satz 1 AFG hat das BSG mit Hinweis auf entsprechende Vorschriften des früheren Konkursrechts entschieden, die Zuordnung von Ansprüchen auf Arbeitsentgelt zu den dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monaten richte sich danach, ob das ausstehende Arbeitsentgelt im Insolvenzzeitraum erarbeitet worden sei; dagegen komme es nicht darauf an, ob dieser Anspruch im Insolvenzzeitraum fällig oder bezifferbar geworden sei (BSGE 43, 49, 51 = SozR 4100 § 141b Nr 2; BSG SozR 4100 § 141b Nr 29; BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 11). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten, zumal der Gesetzgeber - worauf das LSG zutreffend hingewiesen hat - an dieser Rechtslage bei Erlass des § 183 Abs 1 SGB III ausdrücklich festgehalten hat (BT-Drucks 13/4941 S 188). Der Anspruch auf Abgeltung des Arbeitszeitkontos ist zeitlich ohne weiteres zuzuordnen, weil er in dem Zeitraum erarbeitet worden ist, in dem der Kläger einen positiven Saldo an Arbeitszeit begründet hat. Nach den tatsächlichen Feststellungen, die nicht mit Revisionsrügen angegriffen und mithin für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), hat der Kläger das Zeitguthaben durch Mehrarbeit in der Zeit bis November 1998 und damit vor dem Insolvenzzeitraum erarbeitet. Der Abgeltungsanspruch ist damit nicht geeignet, den Anspruch des Klägers auf Insg zu erhöhen.

Das erörterte Erarbeitungsprinzip gilt für die Zuordnung ausstehenden Arbeitsentgelts allerdings nicht uneingeschränkt. Ausnahmen kommen in Betracht für Sonderzahlungen, die sich zeitlich nicht zuordnen lassen (Hauck/Noftz/Voelzke, SGB III, § 183 RdNr 85 - Stand Dezember 1999); wenn das Zeitguthaben im Insolvenzzeitraum "abgefeiert" und Arbeitsentgelt nicht gezahlt wird oder Zahlungen des Arbeitgebers nicht als Arbeitsentgelt für den Insolvenzzeitraum, sondern für frühere Zeiträume zu behandeln sind (EuGH vom 14. Juli 1998 - C-125/97 - EuGHE I 4493). Anhaltspunkte für solche Ausnahmetatbestände sind nicht ersichtlich. Eine Ausnahme vom Erarbeitungsprinzip ist für den Anspruch auf Abgeltung eines vor dem Insolvenzzeitraums erarbeiteten Abgeltungsanspruchs nicht zu machen, weil dieser sich - wie ausgeführt - zeitlich zuordnen lässt.

Die Grenzen des durch Insg vermittelten Schutzes für die Abgeltungsansprüche aus Zeitguthaben werden zudem durch die weitere Rechtsentwicklung bestätigt. Nach dem durch das Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) vom 10. Dezember 2001 (BGBl I 3443) eingefügten und am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen § 183 Abs 1 Satz 4 SGB III gilt als Arbeitsentgelt für Zeiten, in denen auch während der Freistellung eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht (§ 7 Abs 1a Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV)), der auf Grund der schriftlichen Vereinbarung zur Bestreitung des Lebensunterhalts im jeweiligen Zeitraum bestimmte Betrag. Damit soll klargestellt werden, dass im Rahmen einer flexiblen Arbeitszeitregelung mit verstetigtem Arbeitsentgelt (§ 23b Abs 1 Satz 1 SGB IV) für Zeiten der Freistellung, ebenso wie bei Zeiten, in denen das Wertguthaben angespart wird, von dem Zeitraum auszugehen ist, für den das Arbeitsentgelt zum Lebensunterhalt bestimmt ist (BT-Drucks 14/7347 S 74). Dies schließt eine weiter gehende Absicherung eines angesparten Wertguthabens durch die Insg-Versicherung (Kaug-Versicherung) aus. Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage erklärt sich schließlich die Regelung über die erforderlichen Vorkehrungen zum Insolvenzschutz von Wertguthaben einschließlich des Arbeitgeberanteils am Sozialversicherungsbeitrag bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (§ 7d SGB IV), die von den Vertragsparteien im Rahmen der Vereinbarungen über die Arbeitszeitflexibilisierung getroffen werden sollen.

Danach kann dahinstehen, ob der Anspruch auf Abgeltung von Arbeitszeitguthaben ein Anspruch auf Arbeitsentgelt ist, den der Arbeitnehmer wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erworben hat (§ 184 Abs 1 Nr 1 SGB III). Die Einwände der Revision sind nicht geeignet, den mit dem Haupt- und dem Hilfsantrag verfolgten Anspruch auf höheres Insg zu begründen.

3. Die Festlegung und die Auswirkungen des Insolvenzzeitraums sind mit Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht vereinbar, wie der Senat bereits in anderem Zusammenhang näher ausgeführt hat (BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 23 mwN). Darauf wird Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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