L 2 AL 84/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 2 AL 327/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AL 84/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 30/09 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bemessungsrahmen bei unbilliger Härte nach § 130 Abs. 3 Ziffer 2 SGB III
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Höhe des Anspruchs der Klägerin auf Arbeitslosengeld, wobei es ihnen um die Frage geht, ob wegen einer unbilligen Härte der Bemessungsrahmen gem. § 130 Abs. 3 Nr. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) auf zwei Jahre zu erweitern ist.

Die Klägerin war vom 5. November 1990 bis zum 31. Dezember 2004 bei der D A ... GmbH (D.), in deren Niederlassung in M beschäftigt. Ausweislich der Angaben des Arbeitgebers in der Lohnsteuerbescheinigung von Dezember 2003 erzielte sie vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Dezember 2003 einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 31.170,25 EUR. Im ersten Quartal informierte der dafür angereiste Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats die Mitarbeiter in M. darüber, das bundesweit die Anzahl der Teilnehmer an den von der D ... veranstalteten Seminaren zurückgegangen sei. Zur Sicherung der Arbeitsplätze sei es daher erforderlich, im Jahr 2004 einem Wegfall der Sonderzahlungen zuzustimmen. Damit erklärten sich die Mitarbeiter einverstanden. Aufgrund einer Betriebsvereinbarung fielen im Jahr 2004 die in den Vorjahren gezahlten besonderen Einmalzahlungen (Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Prämie) weg. Die Klägerin erzielte vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2004 infolge des Wegfalls der Sonderzahlungen nur noch einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 26.095,95 EUR.

Die Klägerin beantragte am 5. Oktober 2004 für die Zeit ab 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 25. Februar 2005 gewährte die Beklagte ihr ab 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld in Höhe von 32,30 EUR täglich (Bemessungsentgelt: 70,64 EUR). Dabei berücksichtigte die Beklagte bei der Leistungsbemessung das von der D bescheinigte Bruttoentgelt der Kläger im Zeitraum vom 1. November 2003 bis zum 30. November 2004. Hiergegen legte die Klägerin am 18. März 2005 Widerspruch ein und führte aus: Es sei ein höheres Bemessungsentgelt zu berücksichtigen. Das Arbeitsentgelt für Dezember 2004, das erst Ende Dezember gezahlt worden sei, müsse in die Berechnung einbezogen werden. Mit Schreiben vom selben Tag beantragte sie zudem die Berücksichtigung des Arbeitsentgeltes der letzten zwei Jahre vor der Arbeitslosigkeit wegen unbilliger Härte und fügte die Gehaltsabrechnungen und die Lohnsteuerkarte des Jahres 2003 bei.

Mit Änderungsbescheid vom 6. April 2005 stellte die Beklagte ein tägliches Bemessungsentgelt in Höhe von 71,30 EUR fest und bewilligte der Klägerin einen täglichen Leistungsbetrag in Höhe von 32,54 EUR (Leistungsgruppe C/0). Sie berücksichtigte mit diesem Änderungsbescheid – dem Widerspruch entsprechend – auch das Dezembergehalt und berechnete das Bemessungsentgelt nach dem vom Arbeitgeber bescheinigten Bruttoarbeitsentgelt für den Zeitraum 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2004: 26.095,69 EUR geteilt durch 366 Tage im Jahr 2004 = 71,30 EUR täglich. Mit weiterem Bescheid vom 6. April 2005 lehnte sie jedoch den Antrag der Klägerin auf eine Erweiterung des Bemessungsrahmens ab und führte aus: Das Bemessungsentgelt aus dem erweiterten Bemessungsrahmen übersteige nicht das um 10 % erhöhte Bemessungsentgelt aus dem Bemessungsrahmen gemäß § 130 Abs. 1 SGB III.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 2. Mai 2005 Widerspruch ein und begründete diesen wie folgt: Da sie im Jahr 2004 einen Gesamtverdienst von 26.095,69 EUR gehabt habe, im Jahr 2003 dagegen einen Gesamtverdienst von 31.170,25 EUR ergebe sich eine Differenz von 19,4 %.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine unbillige Härte im Sinne von § 130 Abs. 3 Nr. 2 SGB III liege erst vor, wenn das Bemessungsentgelt aus dem erweiterten Bemessungsrahmen das um 10 % erhöhte Bemessungsentgelt übersteige. Dies sei nicht der Fall. Denn das Bemessungsentgelt aus dem erweiterten Bemessungszeitraum (1. Januar 2003 bis 31. Dezember 2004) betrage 78,33 EUR täglich (57.265,94 EUR geteilt durch 731 Tage); das um 10 % erhöhte Bemessungsentgelt aus dem (Regel-) Bemessungsrahmen gemäß § 130 Abs. 1 SGB III betrage 78,43 EUR täglich (71,30 EUR plus 10 %).

Hiergegen hat die Klägerin am 2. Juni 2005 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben und vorgetragen: Sie habe in den letzten zwei Jahren vor der Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld überwiegend ein höheres Entgelt bezogen. Es wäre unbillig, dies nicht zu berücksichtigen. Die von der Beklagten angewandte 10 %-Regelung finde sich nicht im Gesetz und berücksichtige nicht die konkreten Umstände des Einzelfalles. Die Differenz betrage auch 9,87 %, so dass die Ablehnung des Begehrens nicht gerechtfertigt erscheine.

Das SG hat mit Urteil vom 23. Mai 2006 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Februar 2005 in der Fassung des Bescheides vom 6. April 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2005 verpflichtet, der Klägerin Arbeitslosengeld ab Antragstellung nach dem Bemessungsentgelt zu bewilligen, das sich unter Berücksichtigung des erweiterten Bemessungsrahmens nach § 130 Abs. 3 Nr. 2 SGB III ergibt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Das Bemessungsentgelt nach § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III liege bei 71,30 EUR, während das Bemessungsentgelt aus dem erweiterten Bemessungszeitraum nach § 130 Abs. 3 Nr. 2 SGB III 78,33 EUR täglich betrage, so dass sich eine Differenz von 9,87 % ergebe. In der Nichtberücksichtigung dieser Differenz liege eine unbillige Härte. Mit dem SGB III habe der Gesetzgeber das Versicherungsprinzip stärker als im Arbeitsförderungsgesetz zur Geltung bringen wollen, was bedeute, dass sich die Versicherungsleistung an den gezahlten Beiträgen orientieren solle. Das Arbeitslosengeld diene der Erhaltung des letzten Lebensstandards. Im zweijährigen Bemessungsrahmen sei auch der Regelbemessungszeitraum erfasst. Damit würden auch alle niedrigen Entgelte in die Berechnung einfließen. Im Ergebnis könnten lediglich geringe Abweichungen der Arbeitsentgelte im Hinblick auf eine Festlegung des Bemessungszeitraumes als unbeachtlich betrachtet werden. Eine unbillige Härte sei in jedem Fall anzunehmen, wenn der Arbeitslose im Bemessungszeitraum einen für ihn außergewöhnlichen Minderverdienst erzielt habe. Die Klägerin habe nicht nur im Jahr 2003 ein höheres Arbeitsentgelt erzielt, sondern auch in den Jahren davor. Lediglich im Jahr 2004 sei wegen Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld und wegen des Wegfalls von Prämien ein relativ niedriges Arbeitsentgelt erzielt worden. Die Praxis der Beklagten, von einer starren 10 %-Regelung auszugehen, finde im Gesetz keine Stütze.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 27. Juni 2006 zugestellte Urteil am 25. Juli 2006 Berufung eingelegt und diese wie folgt begründet: Die Differenz liege - anders als vom SG angenommen - bei 8,97 %. Nach dem Gesetz sei das Regelbemessungsentgelt mit dem Entgelt der letzten zwei Jahre zu vergleichen. Der Wegfall von Einmalzahlungen sei eine ganz normale Erscheinung und präge den künftigen Lebensstandard, wenn keine Aussicht auf baldige Wiedererlangung dieser Ansprüche bestehe. Es dürfe nicht auf die Ursachen des Minderverdienstes, auf sonstige Gesamtumstände oder gar auf die Verdienste in weiter zurückliegenden Jahren Rücksicht genommen werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 23. Mai 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt ergänzend aus: Schon bei einem Unterschied von 5 % und zum Teil auch darunter sei von einer unbilligen Härte auszugehen. Im Vergleich zu den Vorjahren sei für die Klägerin von einem ungewöhnlichen Minderverdienst auszugehen. Gerade das Weihnachtsgeld im Jahr 2003 sei prägend für ihren Lebensstandard gewesen. Im Jahr 2004 sei im Unternehmen über Arbeitsplatzverluste geredet worden. In einer Betriebsversammlung im März oder April 2004 habe der Gesamtbetriebsratsvorsitzende den Mitarbeitern erklärt, dass der Verzicht auf die Sonderzahlungen erforderlich sei, um die Arbeitsplätze zu sichern. Daraufhin hätten alle entsprechend zugestimmt. Dies habe für das Jahr 2004 gegolten. Es sollte abgewartet werden, wie die Situation sich im Jahr 2005 entwickeln würde.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und berücksichtigt worden sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere gem. §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft sowie form- und fristgerecht gem. § 151 SGG eingelegt worden.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Urteil des SG ist zutreffend. Der Bescheid der Beklagten vom 6. April 2005 in der Fassung ihres Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2005 ist wegen der Nichtberücksichtigung des Bemessungsentgelts im erweiterten Bemessungsrahmen rechtswidrig.

Dem Grunde nach erfüllt die Klägerin unstreitig die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 1. Januar 2005. Sie war arbeitslos, hatte sich bei der Beklagten arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt. Der Höhe nach hat sie einen Anspruch auf Bemessung ihres Arbeitslosengeldes unter Berücksichtigung des Bemessungsentgelts im erweiterten Bemessungsrahmen nach § 130 Abs. 3 Nr. 2 SGB III.

Die Höhe des Arbeitslosengeldes beträgt nach § 129 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz SGB III für die Klägerin 67 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelts), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, welches sie im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Nach § 130 Abs. 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die bei Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechungszeiträume im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst grundsätzlich ein Jahr, das mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor Entstehung des Anspruchs endet (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Nach § 130 Abs. 3 Nr. 2 SGB III in der seit dem 1. Januar 2005 gültigen Fassung wird der Bemessungsrahmen auf zwei Jahre erweitert, wenn es mit Rücksicht auf das Bemessungsentgelt im erweiterten Bemessungsrahmen unbillig hart wäre, von dem Bemessungsentgelt im Bemessungszeitraum auszugehen. Diese Vorschrift ist nach Satz 2 nur anzuwenden, wenn der Arbeitslose – wie hier – dies verlangt und die zur Bemessung erforderlichen Unterlagen vorlegt.

Auch eine unbillige Härte i. S. d. § 130 Abs. 3 Nr. 2 SGB III liegt im Fall der Klägerin vor. Bei der unbilligen Härte handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung durch die Beklagte der vollen Überprüfung des Gerichts unterliegt. Die Härtefallregelung erfasst Fälle, in denen das geringere Arbeitsentgelt des Bemessungszeitraumes – gewissermaßen im Sinne einer Momentaufnahme – nicht repräsentativ für die Höhe des Arbeitslosengeldes die wahren Verhältnisse widerspiegelt, die sich aus höheren Arbeitsentgeltansprüchen eines längeren Bemessungszeitraumes ergeben (BSG, Urteil vom 29. Januar 2008, B 7/7a AL 40/06 R, juris). Zur näheren Konkretisierung wird zunächst auf die prozentuale Höhe der Differenz zwischen dem Bemessungsentgelt abgestellt, das sich für den erweiterten Bemessungsrahmen errechnet, und demjenigen Bemessungsentgelt, das sich unter Berücksichtigung des Regelbemessungsrahmens ergibt.

Von diesem prozentualen Differenzwert ausgehend werden verschiedene Auffassungen zur Frage der unbilligen Härte nach § 130 Abs. 3 Nr. 2 SGB III vertreten: Nach einer Meinung ist ohne weitere Prüfung bei einer Differenz von 10 % zwischen dem Bemessungsentgelt, das sich für den erweiterten Bemessungsrahmen errechnet, und demjenigen Bemessungsentgelt, das sich unter Berücksichtigung des Regelbemessungsrahmens ergibt, von einer Härte auszugehen. Eine solche Minderung bewirke bei dem ohnehin durch Bereinigung des Bemessungsentgelts um den Satz von 60 bzw. 67 % herabgesetzten Entgeltersatz, dass mit der weiteren Minderung durch Entgeltabfall nicht mehr die Hälfte des früheren überwiegenden Arbeitsentgelts erreicht würde. Eine unbillige Härte liege aber auch bei geringeren Differenzen vor, wenn das niedrigere Arbeitsentgelt im Bemessungszeitraum z. B. auf Maßnahmen der Arbeitsagentur zurückzuführen sei oder auf eine nicht sachgerechte Vermittlung. Ferner müsse eine Härte angenommen werden, wenn besondere Opfer für die Allgemeinheit oder die Betreuung eines Kindes zu dem geringen Verdienst geführt haben. Schließlich erscheine eine unbillige Härte immer dort gegeben, wo der Arbeitslose dann, wenn man vom Entgelt im Bemessungszeitraum ausgeht, Leistungen der Grundsicherung in Anspruch nehmen müsste, bei der Anwendung von § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB III aber nicht (Gagel, Kommentar zum SGB III, § 130 Rdnr. 66 und 67). Nach anderer Auffassung liegt jedenfalls bei einer Differenz von etwa 25 % eine unbillige Härte vor (Brandt in Niesel, SGB III, Kommentar, 4. Aufl. 2008, § 130 Rdnr. 16). Es müsse ein deutlicher Unterschied vorliegen. Die Norm sei als Ausnahmeregelung eng auszulegen. Sachgerecht erscheine eine Differenz von 10 % zur Begründung einer Härte. Soweit je nach Grund für den Minderverdienst schon eine geringere Differenz für genügend gehalten werde, sei dies abzulehnen. Soweit aus der Formulierung des Gesetzes "mit Rücksicht auf" geschlossen würde, auch die Gründe, aus denen es zu der Einkommensreduzierung gekommen sei, seien zu berücksichtigen, sei dies ebenfalls abzulehnen. Maßgeblich sei allein der Unterschied im Entgelt. Diese Auffassung, nach der es darauf ankomme, dass der Vergleich beider Entgelte die unbillige Härte ergebe, erleichtere den Behörden die Erkenntnis, wann ein Härtefall gegeben sei und gewährleiste eine gleichmäßige Anwendung der Härtevorschrift (Pawlak in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 11 Rdnr. 89). Auch in der Rechtsprechung werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Das LSG Baden-Württemberg meint, dass eine unbillige Härte nur zu bejahen sei, wenn eine erhebliche Verschlechterung in der Entgeltsituation vorliege, welche die Anknüpfung der Bemessung an die allgemeinen Regeln als im Einzelfall unzumutbar erscheinen lasse. Dabei sei darauf abzustellen, ob eine Vergleichsberechnung ein Missverhältnis zwischen dem im Bemessungsrahmen nach § 130 Abs. 1 SGB III und im erweiterten Bemessungsrahmen erzielten Arbeitsentgelt ergebe, das nach einer Erweiterung verlange, um die Indizfunktion des Bemessungsentgelts zu gewährleisten. Bei einem Gehaltsunterschied von nur 8 % sei ein solches Missverhältnis noch nicht gegeben (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 6. März 2009, L 8 AL 3880/08, juris). Das LSG Nordrhein-Westfalen geht davon aus, dass eine unbillige Härte jedenfalls dann vorliege, wenn der Unterschied zwischen den Bemessungsentgelten mehr als 10 % betrage. Dagegen sei eine unbillige Härte regelmäßig ausgeschlossen, wenn die Differenz unter 5 % liege. Liege der Unterschied zwischen 5 % und 10 % sei zu prüfen, ob sich eine unbillige Härte aus den Umständen des Einzelfalles ergebe. Der Rechtsbegriff der unbilligen Härte stelle kein rechnerisches, sondern ein wertausfüllendes Kriterium dar (LSG NRW, Urteil vom 4. März 2009, L 12 AL 66/08, juris).

Der letztgenannten Auffassung schließt sich der Senat im Wesentlichen an. Zur Handhabung des unbestimmten Rechtsbegriffs der unbilligen Härte ist es zunächst geboten, auf die prozentuale Höhe der Differenz zwischen dem Bemessungsentgelt, das sich für den erweiterten Bemessungsrahmen errechnet, und demjenigen Bemessungsentgelt, das sich unter Berücksichtigung des Regelbemessungsrahmens ergibt, abzustellen. Dies gewährleistet im Regelfall eine einheitliche Verwaltungspraxis. Abweichend von oben genannten Auffassungen darf diese Prozentgröße nicht starr gehandhabt werden, sondern muss Raum für die Berücksichtigung von Besonderheiten des Einzelfalles lassen. Dies ergibt sich aus dem wertenden Aspekt des Begriffs der "unbilligen Härte" (ebenso LSG NRW a.a.O.). Ginge der Gesetzgeber von einer festen Grenze aus, hätte er diese in das Gesetz aufnehmen können und nicht den Begriff der unbilligen Härte gewählt. Es ist daher unzutreffend, entsprechend der Dienstanweisung der Beklagten eine unbillige Härte ausnahmslos ohne Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten des Einzelfalls nur dann anzunehmen, wenn das Bemessungsentgelt aus dem erweiterten Bemessungsrahmen das um 10 % erhöhte Bemessungsentgelt aus dem Bemessungsrahmen gemäß § 130 Abs. 1 übersteigt (Dienstanweisung Stand: 1/2005, abgedruckt bei Gagel, a.a.O. Rdnr. 64).

Bei einer Differenz der maßgeblichen Bemessungsentgelte von unter 5 % ist die Annahme einer unbilligen Härte regelmäßig ausgeschlossen. Auch ohne besondere Ansehung des Einzelfalles ist die Differenz von weniger als 5 % so gering, dass keine Umstände des Einzelfalles vorstellbar sind, wonach eine unbillige Härte bejaht werden könnte. Ließe bereits jede geringe Abweichung der maßgeblichen Bemessungsentgelte Raum für die Annahme eine unbillige Härte, würde die gesetzliche Systematik des Regel- und Ausnahmeverhältnisses nicht hinreichend beachtet. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich keine Günstigkeitsprüfung vorgesehen, sondern den erweiterten Bemessungsrahmen als Ausnahme vorgesehen. Dagegen ist eine Differenz von 10 % und mehr bereits wirtschaftlich derart erheblich, dass sie die Annahme einer unbilligen Härte auch ohne die Hinzunahme weiterer Umstände des Einzelfalles rechtfertigt. Der dem Arbeitslosengeld zugrundeliegende Verdienst im Regelbemessungszeitraum ist dann deutlich geringer als der überwiegende Verdienst der maßgeblichen zwei Jahre. Insoweit ist die 10 %-Grenze in der Arbeitsanweisung der Beklagten sachgerecht.

Liegt dagegen die Differenz zwischen 5 % und 10 %, lässt sich nicht ohne Weiteres feststellen, ob eine unbillige Härte anzunehmen ist. Es ist dann zusätzlich zu prüfen, ob sich eine solche unbillige Härte aus den Umständen des Einzelfalles ergibt (ebenso LSG NRW, a.a.O.).

Hier liegt die Differenz zwischen dem Bemessungsentgelt, das sich für den erweiterten Bemessungsrahmen errechnet, und demjenigen Bemessungsentgelt, das sich unter Berücksichtigung des Regelbemessungsrahmens, nach der folgenden Berechnung bei 9 %, so dass es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt:

- 01. Januar 2003 bis 31. Dezember 2004: 57.256,94 EUR (31.170,25 EUR + 26.095,95 EUR geteilt durch 731 Tage = 78,34 EUR täglich - 01. Januar 2004 bis 31. Dezember 2004: 26.095,95 EUR geteilt durch 366 Tage = 71,30 EUR täglich - 78,34 abzgl. 71,30 = 7,04; 7,04 von 78,34 = 8,99 %

Bei den Umständen des Einzelfalles sind auch die Gründe zu berücksichtigen, die zur Einkommensminderung geführt haben (a. A.: Brandt a.a.O.; LSG Baden-Württemberg a.a.O.). Denn Grundzweck des Arbeitslosengeldes ist es, den Arbeitnehmern das solidarisch versicherte Risiko des Lohnverlustes für einen angemessenen Zeitraum auszugleichen. Die Frage, wann eine unbillige Härte vorliegt, kann daher nicht unabhängig vom Versicherungs- und Solidargedanken beurteilt werden. Dieser wird unter anderem dadurch geprägt, dass der Versicherte die versicherte Gefahr – nämlich den Wegfall des Arbeitsplatzes – durch zumutbare eigene Anstrengungen möglichst klein halten soll, um so die Solidargemeinschaft zu entlasten. Folglich wäre es ein Widerspruch, insbesondere solche pflichtgemäßen Anstrengungen bei Eintritt des Versicherungsfalls nicht zu Gunsten, sondern zu Lasten des Versicherten zu bewerten (LSG NRW, a.a.O.). Dem schließt sich der Senat jedenfalls für die Fälle an, in denen die betroffenen Arbeitnehmer zum Erhalt des Arbeitsplatzes einer Redzierung des Arbeitsentgelts für einen befristeten Zeitraum (wie hier für das Jahr 2004) zugestimmt haben. In solchen Fällen liegt kein Endgültigkeitscharakter eines Lohnverzichts in diesem Sinne vor, dass dieser auf Dauer prägend für den Lebensstandard geworden ist. Denn nach Überwindung des Verzichtszeitraums leben die Ansprüche auf die Entgeltanteile wieder auf. Sofern es nicht gelungen ist, zwischenzeitlich die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu überwinden, wären neue Verhandlungen zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern bzw. dem Betriebsrat erforderlich.

Hier liegen solche Umstände des Einzelfalls vor, die die Annahme einer unbilligen Härte rechtfertigen. Der Senat berücksichtigt die (gemeinsam mit den anderen Arbeitnehmern unternommenen) Anstrengungen der Klägerin zur Erhaltung des Arbeitsplatzes zu ihren Gunsten. Es wäre unbillig hart, wenn sich diese Anstrengungen im Hinblick auf die Höhe des Arbeitslosengelds nachteilig auswirken würden. Sie hat aufgrund der schlechten Auftragslage gemeinsam mit anderen Mitarbeitern auf einen Teil ihres Lohns im Jahr 2004 verzichtet, um die gefährdeten Arbeitsplätze zu sichern. Damit wollten die Arbeitnehmer dem Wegfall der Arbeitsplätze entgegenwirken. Durch den Lohnverzicht fiel mit den Sonderzahlungen ein ins Gewicht fallender Teil des bisherigen Arbeitsentgeltes weg. Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Jahresprämie waren auch bisher mit prägend für den Lebensstandard der Klägerin. Der Wegfall machte sich finanziell erheblich bemerkbar. Dieser Lohnverzicht sollte zunächst nur auf das Jahr 2004 begrenzt sein, um die Arbeitsplätze zu sichern. Es sollte abgewartet werden, wie die Situation sich im Jahr 2005 entwickeln würde und dann neu entschieden werden. Die Klägerin ging nach ihren glaubhaften Angaben davon aus, dass der Lohnverzicht nicht auf Dauer angelegt war.

Die Kostentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Denn das Bundessozialgericht hat bislang weder über die Mindestgrenze für das Vorliegen einer unbilligen Härte im Sinne des § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB III noch über die zu berücksichtigenden Gründe für einen Gehaltsunterschied entschieden.
Rechtskraft
Aus
Saved