Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 55/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger. Der Streitwert wird auf 60.500,63 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, wer die Kosten der Eingliederungshilfe in Form der Unterbringung des Beigeladenen in einer Tagesgruppe des Kinder- und Jugendhilfe e.V. vom 21.11.2007 bis 06.11.2009 zu tragen hat.
Bei dem am 00.00.1900 geborenen Beigeladenen bestehen eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung/ADHS (ICD-10: F 90.0), eine hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (ICD-10: F 90.1) bzw. eine Anpassungsstörung (ICD-10: F 43.23) und eine im Grenzbereich zwischen Lernbehinderung und leichter geistiger Behinderung liegende Intelligenz/Grenzbereich zwischen unterdurchschnittlicher Intelligenzleistung und leichter Intelligenzminderung (ICD-10: F 70). Dies wurde von den Ärzten der in der Trägerschaft des Beklagten stehenden Kliniken W. - Fachbereich Kinderpsychiatrie - im Wesentlichen bereits anlässlich einer Untersuchung im Mai 2005 festgestellt (Bericht der Klinik vom 10.05.2005) und zuletzt im Bericht von 29.06.2009 aufgrund einer Untersuchung am 26.03.2009 bestätigt. In einem Bericht der E.-C.-Förderschule vom 20.04.2007, die der Beigeladene damals besuchte, wird von unsozialem, z.T. aggressiven Verhalten gesprochen. In einem Protokoll des Jugendamtes vom 07.03.2007 über ein "Fachgespräch gemäß § 36 SGB VIII" wird ebenfalls von aggressivem Verhalten, Schlafstörungen, Suizidgedanken, ADHS-Symptomatik (psychosomatischen Symptomen) und Erziehungsproblemen berichtet und in der Aufnahme in Tagesgruppe gute Möglichkeiten für die soziale Entwicklung des Beigeladenen gesehen.
Am 20.11.2007 beantragte der Beigeladene beim Kläger Jugendhilfe in Form von Eingliederungshilfe nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Der Kläger veranlasste für den 21.11.2007 die Aufnahme des Beigeladenen in die Tagesgruppe des Kinder- und Jugendhilfe e.V ... Am 07.12.2007 meldete der Kläger einen Erstattungsanspruch beim Beklagten an mit dem Hinweis, beim Beigeladenen sei eine geistige Behinderung (ICD-10: F 70) diagnostiziert worden; der Kläger verwies auf § 10 Abs. 4 SGB VIII. Durch Bescheid vom 19.12.2007 bewilligte der Kläger dem Beigeladenen vorläufige Sozialleistungen entsprechend einer "Hilfe zur Erziehung in Form einer Tagesgruppe gem. §§ 27 und 32 SGB VIII". Durch Schreiben vom 21.11.2007 lehnte der Beklagte einen Erstattungsanspruch des Klägers ab mit der Begründung, auch nach wohlwollender Prüfung sei nicht ersichtlich, dass beim Beigeladenen eine wesentliche geistige Behinderung vorliege; vielmehr sei deutlich erkennbar, dass er zum Personenkreis der seelisch behinderten Kinder und Jugendlichen gehöre, da bei ihm eine ADHS-Symptomatik festgestellt worden sei. Durch Bescheid vom 24.04.2007 setzte der Kläger gegenüber dem Beigeladenen dessen Kostenbeitrag gem. §§ 91 ff. SGB VIII auf monatlich 45,00 EUR für die Zeit vom 21.11.2007 bis 31.08.2008 und 50,00 EUR ab 01.04.2008 fest.
Ausweislich der Rechnungen der Tagesgruppen-Einrichtung sind für die "Hilfe zur Erziehung" des Beigeladenen "nach § 32 SGB VIII" folgende Kosten entstanden:
Aufwendungen K.T. von bis Rechnungsdatum Rechnungsbetrag 21.11.2007 31.12.2007 30.11.2007 3.489,10 EUR 01.01.2008 31.01.2008 31.12.2007 2.433,86 EUR 01.02.2008 29.02.2008 31.01.2008 2.467,90 EUR 01.03.2008 31.03.2008 29.02.2008 2.590,00 EUR 01.04.2008 30.04.2008 31.03.2008 2.465,86 EUR 01.05.2008 31.05.2008 30.04.2008 2.654,22 EUR Summe Klage 20.06.2008 16.100,94 EUR 01.06.2008 30.06.2008 31.05.2008 2.465,86 EUR 01.07.2008 31.07.2008 30.06.2008 2.654,22 EUR 01.08.2008 31.08.2008 31.07.2008 2.384,52 EUR 01.09.2008 30.09.2008 29.08.2008 2.568,60 EUR 01.10.2008 31.10.2008 30.09.2008 2.654,22 EUR 01.11.2008 30.11.2008 31.10.2008 2.568,60 EUR 01.12.2008 31.12.2008 28.11.2008 2.654,22 EUR 01.01.2009 31.01.2009 31.12.2008 2.551,48 EUR 01.02.2009 28.02.2009 31.01.2009 2.474,64 EUR 01.03.2009 31.03.2009 27.02.2009 2.686,76 EUR 01.04.2009 30.04.2009 31.03.2009 2.651,40 EUR 01.05.2009 31.05.2009 30.04.2009 2.607,21 EUR 01.06.2009 30.06.2009 29.05.2009 2.598,38 EUR 01.07.2009 31.07.2009 30.06.2009 2.686,76 EUR 01.08.2009 31.08.2009 31.07.2009 2.474,64 EUR 01.09.2009 30.09.2009 31.08.2009 2.651,40 EUR 01.10.2009 31.10.2009 30.09.2009 2.739,78 EUR 01.11.2009 06.11.2009 30.10.2009 327,00 EUR Summe bis Hilfeeinstellung 60.500,63 EUR
Am 24.06.2008 hat der Kläger Klage auf Erstattung seiner Aufwendungen für die Unterbringung des Beigeladenen in der Tagesgruppeneinrichtung erhoben. Er trägt vor, beim Beigeladenen sei eine geistige Behinderung diagnostiziert; diese ergebe sich aus seiner leichten Intelligenzminderung im Sinne einer geistigen Retadierung/Lernbehinderung. Ob es sich um eine wesentliche geistige Behinderung handele, werde im Gutachten der Landesklinik W. nicht erörtert. Der bestehende erhebliche erzieherische Bedarf sei im Wesentlichen auf die Intelligenzminderung zurückzuführen. Dies löse beim Kläger eine Leistungsverpflichtung nach Jugendhilferecht, beim Beklagten eine Leistungsverpflichtung nach Sozialhilferecht aus. Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII gingen aber gem. § 10 Abs. 4 SGB VIII den Leistungen nach dem SGB VIII vor. Dies begründe die Erstattungsfpflicht des Beklagten "gem. § 102 SGB X". Auch der behandelnde Kinderarzt bestätige eine leichte intellektuelle Behinderung; eine seelische Behinderung habe dieser nicht feststellen können. Selbst bei Vorliegen einer seelischen Behinderung bestehe für den Sozialhilfeträger eine Leistungsverpflichtung zur Eingliederungshilfe. Wenn zu dieser seelischen eine geistige Behinderung hinzutrete und eine deckungsgleiche Leistungspflicht sowohl des Jugendhilfe- als auch des Sozialhilfeträgers bestehe, trete die Verpflichtung des Jugendhilfeträgers hinter die des Sozialhilfeträgers zurück. Darüber, ob beim Beigeladenen eine seelische Behinderung vorliege, lägen keine belastbaren Erkenntnisse vor und ergäben sich solche auch nicht aus der Stellungnahme des Einrichtungsleiters.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihm die im Eingliederungshilfefall des Beigeladenen vom 21.11.2007 bis 06.11.2009 entstandenen Kosten in Höhe von 60.500,63 EUR abzüglich des vom Beigeladenen zu zahlenden Kostenbeitrags zu erstatten und Zinsen in Höhe von 8,32 % von 16.100,94 EUR seit dem 24.06.2008 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, es handele sich bei der gewährten Leistung um typische Maßnahmen der Jugendhilfe, da die Eltern mit der Erziehung und Betreuung überfordert gewesen seien. Bei ADHS handele es sich um eine Verhaltensstörung mit Krankheitswert. Wenn diese nicht medizinisch-psychotherapeutisch kurzfristig behoben werden könne, sei von einer seelischen bzw. drohenden seelischen Behinderung auszugehen. Darauf habe die gewährte Hilfe abgezielt.
Der Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt und sich im Verfahren nicht geäußert.
Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts einen Befundbericht von dem Kinderarzt Dr. G., einen Bericht des Leiters der Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe e.V. (Dipl.-Soz. Päd. F.) und des Leiters der Tagesgruppe (Dr. F.) sowie zwei Berichte des Dipl. Psych. L. (Abteilung Kinderpsychiatrie der Klinken W.) eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf die Berichte vom 24.10.2008, 31.03.2009, 29.06.2009 und 11.08.2009 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Klägers und des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Es handelt sich um eine Leistungsklage auf Kostenerstattung zwischen zwei Sozialleistungsträgern im Gleichordnungsverhältnis; ein Vorverfahren ist nicht notwendig und auch nicht durchgeführt worden.
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Als Grundlage des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs kommt nicht, wie der Kläger im Schreiben vom 04.12.2007 gegenüber dem Beklagten sowie in der Klageschrift gemeint hat, § 102 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Betracht, weil der Kläger jedenfalls im Verhältnis zum Beklagten nicht "aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufige Sozialleistungen erbracht hat"; einschlägig ist auch nicht § 105 SGB X, weil der Kläger die Sozialleistungen nicht als zuständiger Leistungsträger erbracht hat. Sein Erstattungsbegehren kann der Kläger gegenüber dem Beklagten allenfalls darauf stützen, er sei im Verhältnis zum Beklagten nachrangig und dieser vorrangig verpflichtet gewesen. Jedoch sind auch die Voraussetzungen des § 104 SGB X, der den Kostenerstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers regelt, nicht erfüllt, weil der Kläger vorrangig und der Beklagte nachrangig verpflichtet war, die Eingliederungshilfe für den Beigeladenen zu leisten. Das ergibt sich aus § 10 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB VIII.
§ 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII bestimmt, dass Leistungen nach diesem Buch den Leistungen nach dem Zwölften Buch vorgehen. Abweichend von diesem Grundsatz gehen jedoch gem. § 10 Abs. 4 Satz 2 Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach dem Achten Buch vor.
Dem Beigeladenen stand ein Anspruch auf Eingliederungshilfe wegen seiner seelischen Behinderung nach § 35a SGB VIII zu. Er litt im streitbefangenen Zeitraum an einer Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (ADHS) und einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens bzw. einer Anpassungsstörung. Dieses sind Störungen von Krankheitswert, die dem Bereich der seelischen Behinderung zuzurechnen sind. Sie bestanden bereits im Jahre 2005 und insbesondere auch im hier streitgegenständlichen Zeitraum von November 2007 bis November 2009. Dies ergibt sich aus dem Bericht der Ärzte der Kliniken W. - Fachbereich Kinderpsychiatrie - vom 10.05.2005, dem Bericht der E.-C.-Förderschule vom 20.03.2007, dem Protokoll des Jugendamtes des Klägers vom 07.03.2007 über ein "Fachgespräch gem. § 36 SGB VIII", dem Befundbericht des Kinderarztes Dr. G. vom 24.10.2008, den Berichten der Leiter der Einrichtung und der Tagesgruppe des Kinder- und Jugendhilfe e.V. vom 31.03.2009 und zuletzt dem Bericht des Dipl. Psych. L. von der Abteilung Kinderpsychiatrie der Kliniken W.iersen vom 11.08.2009. Die seelische Behinderung des Beigeladenen war wesentlich und löste den Eingliederungsbedarf nach § 35a SGB VII aus. Diesen Bedarf hat der Kläger auch durch die Aufnahme des Beigeladenen in die Tagesgruppe des Kinder- und Jugendhilfe e.V. und die Übernahme der Kosten hierfür in der Zeit vom 21.11.2007 bis 06.11.2009 befriedigt.
Wegen der wesentlichen seelischen Behinderungen stand dem Beigeladenen aber auch ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem 6. Kapitel des SGB XII zu. Denn nach § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe zu Lasten des Sozialhilfeträgers, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Menschen sind im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten (§ 53 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Aus den bereits erwähnten Berichten ergibt sich, dass der Beigeladene wegen seiner seelischen Behinderung einen Eingliederungsbedarf hatte. Dieser Eingliederungsbedarf ist deckungsgleich mit dem nach Jugendhilferecht und deshalb ebenfalls in der Tagesgruppeneinrichtung gedeckt worden.
Soweit jedoch nicht der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe, sondern der Kläger als Träger der Jugendhilfe die Eingliederungshilfe erbracht hat, war der Kläger hierfür auch vorrangig zuständig. Dies ergibt sich aus § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII. Nur dann, wenn Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, gewährt werden, gehen diese den Leistungen nach dem SGB VIII vor. Die Abgrenzung zwischen Satz 1 und Satz 2 des § 10 Abs. 4 SGB VIII hängt allein von der Art der mit einer Jugendhilfeleistung konkurrierenden Sozialhilfeleistung ab; ist diese eine Maßnahme der in Satz 2 bezeichneten Art, gilt nach Satz 2 der Vorrang der Sozialhilfe; ist diese eine andere Sozialhilfeleistung, gilt nach Satz 1 der Vorrang der Jugendhilfe (BVerwG, Urteil vom 23.09.1999 - 5 C 26/98 = BVerwGE 109,325 = FEVS 51,337). Die Regelung eines Vor- bzw. Nachrangs zwischen Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe nach § 10 Abs. 4 SGB VIII setzt notwendig voraus, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind. Das Gesetz stellt nicht auf einen Schwerpunkt in Bezug auf eine der beiden Hilfeleistungen ab, sondern allein auf die Art der miteinander konkurrierenden Leistungen (BVerwG, a.a.O.). Nur wenn Jugendhilfeleistungen nach dem SGB VIII mit den in § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII genannten Maßnahmen der Eingliederungshilfe wegen körperlicher oder geistiger Behinderung konkurrieren, ist nach Satz 2 die Sozialhilfe vorrangig. Konkurrieren Jugendhilfeleistungen mit anderen als den in § 10 Abs. 4 Satz 2 genannten Sozialhilfeleistungen, also z.B. mit Eingliederungshilfe wegen seelischer Behinderung nach Sozialhilferecht, so ist nach § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII die Jugendhilfe vorrangig.
Ein solches Konkurrenzverhältnis bestand im Fall des Beigeladenen nicht. Denn er war nicht wesentlich körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht, und es bestand wegen einer solchen Behinderung auch kein Eingliederungshilfebedarf. Die Ärzte und Psychologen, die ihn untersucht haben, haben eine Intelligenzminderung festgestellt, die im Grenzbereich zwischen Lernbehinderung und leichter geistiger Behinderung liegt. Selbst wenn hiernach eine (leichte) geistige Behinderung beim Beigeladenen bestand, war diese jedoch nicht wesentlich im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Denn der Beigeladene war zu keinem Zeitpunkt infolge einer Schwäche (auch) seiner geistigen Kräfte in erheblichem Umfang in seiner Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt (vgl. § 2 Eingliederungshilfe-Verordnung). Wesentlich ist eine Behinderung, wenn Gefahr besteht, dass der behinderte Mensch durch sie aus der Gesellschaft ausgegliedert wird oder bereits ist (SG Karlsruhe, Beschluss vom 18.09.2007 - S 4 SO 4036/07). Dies war - davon ist die Kammer aufgrund der zahlreichen in den Akten befindlichen Berichte über den Beigeladenen überzeugt - bei diesem nicht der Fall. Seine geistige Behinderung, wenn sie denn zu bejahen wäre, zeichnete sich durch eine Intelligenzminderung im Grenzbereich zwischen Lernbehinderung und leichter geistiger Behinderung aus. Ein Hilfebedarf wegen einer geistigen Behinderung bestand beim Beigeladenen aber weder im Jahre 2007 noch im Jahre 2009. Dies hat der Dipl. Psych. L. ausdrücklich im Bericht vom 11.08.2009 festgestellt. In Bezug auf eine geistige Behinderung wäre die Unterbringung in der Tagesgruppe und die durch Kinder- und Jugendhilfe e.V. durchgeführten Maßnahmen auch nicht zielgerichtet gewesen. Dies wird bestätigt durch die Leistungsbeschreibung der Tagesgruppe des Kinder- und Jugendhilfe e.V.; dort heißt es unter Ziffer 1.3. (Zielgruppe und Aufnahmekriterien): "Aufgenommen werden Jungen und Mädchen im Aufnahmealter zwischen sechs und zwölf Jahren, die einen erhöhten Betreuungsaufwand notwendig erscheinen lassen, insbesondere solche Kinder, die starke Defizite im Sozialverhalten aufweisen und insbesondere durch aggressive Verhaltensmuster und/oder durch ständige Unruhe auf sich aufmerksam machen ..." Und unter Ziffer 1.4. (Ausschlusskriterien) heißt es: "Die Aufnahme eines Kindes in die Gruppe ist ausgeschlossen, wenn im Einzelfall eine körperliche oder geistige Behinderung vorliegt ..." Der Kläger hat selbst im Schriftsatz vom 10.10.2009 eingeräumt, dass es "unstreitig" sein dürfte, "dass die vorliegende geistige Einschränkung des jungen Menschen für sich alleine betrachtet keinen Hilfebedarf begründet. Auch dürfte klar sein, dass in der Einrichtung Kinder- und Jugendhilfe e.V. der geistigen Behinderung etwa durch Training des Arbeitsgedächnisses nicht entsprochen wurde." Aus alledem wird deutlich, dass die geleistete Eingliederungshilfe allein und ausschließlich wegen der seelischen Behinderung des Beigeladenen nach Sozialhilferecht und Jugendhilferecht geleistet wurde, im Bereich der Jugendhilfe auch wegen der bestehenden erzieherischen Probleme. Eingliederungshilfe wegen körperlicher oder geistiger Behinderung des Beigeladenen wurde jedoch erbracht, da insofern auch kein Eingliederungshilfebedarf bestand.
Entgegen der offenbar von der Klägerin vertretenen Auffassung führt nicht allein das Bestehen einer körperlichen oder geistigen Behinderung, die aber keinen Eingliederungsbedarf begründet, zu einem Konkurrenzverhältnis im Sinne von § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII. Aus der Regelung des Abs. 4 Satz 2, die geistig und körperlich behinderte Menschen in der Sozialhilfe belässt, kann nicht geschlossen werden, dass diese Kinder und Jugendlichen niemals Leistungen nach dem SGB VIII erhalten könnten. Ihr Verbleiben in der Sozialhilfe ist nur für den Fall geregelt, dass sie wegen ihrer körperlichen oder geistigen Behinderung Leistungen der Eingliederungshilfe bedürfen (Mrozynski, Kommentar zum SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, 5. Auflg. 2009, § 10 Rn. 20). Dies war beim Beigeladenen nicht der Fall. Die Auswirkungen seiner Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (ADHS) und seine Anpassungsstörung und damit der seelischen Behinderung stand ganz im Vordergrund der Hilfsmaßnahme und ließ die (leichte) geistige Behinderung zurücktreten. Die bedarfsauslösende Teilhabeeinschränkung des Beigeladenen beruhte auf der seelischen Behinderung, nicht aber auf einer (leichten) geistigen Behinderung (wenn sie überhaupt bestanden hat). Damit liegen aber die tatbestandlichen Voraussetzungen der Gewährung sozialhilferechtlicher Eingliederungshilfe wegen (körperlicher oder) geistiger Behinderung nicht vor, mit der Folge, dass eine echte Konkurrenzsituation von Jugendhilfe- und Sozialhilfe zu verneinen ist. (vgl. in diesem Sinne auch: OVG NRW, Urteil vom 20.02.2002 - 12 A 5322/00 = FEVS 54, 182; Dillmann/Dannat, "Forever young" - Ewig junge Abgrenzungsprobleme zwischen Leistungen für junge behinderte Menschen nach dem SGB VIII und dem SGB XII, in: ZfF 2/2009, S. 25, 28).
Hat nach alledem der Kläger die Leistungen der Eingliederungshilfe für den Beigeladenen als vorrangig verpflichteter Leistungsträger erbracht, so besteht kein Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen gegenüber dem (nachrangig) verpflichteten beklagten Sozialhilfeträger nach § 104 SGB X.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, wer die Kosten der Eingliederungshilfe in Form der Unterbringung des Beigeladenen in einer Tagesgruppe des Kinder- und Jugendhilfe e.V. vom 21.11.2007 bis 06.11.2009 zu tragen hat.
Bei dem am 00.00.1900 geborenen Beigeladenen bestehen eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung/ADHS (ICD-10: F 90.0), eine hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (ICD-10: F 90.1) bzw. eine Anpassungsstörung (ICD-10: F 43.23) und eine im Grenzbereich zwischen Lernbehinderung und leichter geistiger Behinderung liegende Intelligenz/Grenzbereich zwischen unterdurchschnittlicher Intelligenzleistung und leichter Intelligenzminderung (ICD-10: F 70). Dies wurde von den Ärzten der in der Trägerschaft des Beklagten stehenden Kliniken W. - Fachbereich Kinderpsychiatrie - im Wesentlichen bereits anlässlich einer Untersuchung im Mai 2005 festgestellt (Bericht der Klinik vom 10.05.2005) und zuletzt im Bericht von 29.06.2009 aufgrund einer Untersuchung am 26.03.2009 bestätigt. In einem Bericht der E.-C.-Förderschule vom 20.04.2007, die der Beigeladene damals besuchte, wird von unsozialem, z.T. aggressiven Verhalten gesprochen. In einem Protokoll des Jugendamtes vom 07.03.2007 über ein "Fachgespräch gemäß § 36 SGB VIII" wird ebenfalls von aggressivem Verhalten, Schlafstörungen, Suizidgedanken, ADHS-Symptomatik (psychosomatischen Symptomen) und Erziehungsproblemen berichtet und in der Aufnahme in Tagesgruppe gute Möglichkeiten für die soziale Entwicklung des Beigeladenen gesehen.
Am 20.11.2007 beantragte der Beigeladene beim Kläger Jugendhilfe in Form von Eingliederungshilfe nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Der Kläger veranlasste für den 21.11.2007 die Aufnahme des Beigeladenen in die Tagesgruppe des Kinder- und Jugendhilfe e.V ... Am 07.12.2007 meldete der Kläger einen Erstattungsanspruch beim Beklagten an mit dem Hinweis, beim Beigeladenen sei eine geistige Behinderung (ICD-10: F 70) diagnostiziert worden; der Kläger verwies auf § 10 Abs. 4 SGB VIII. Durch Bescheid vom 19.12.2007 bewilligte der Kläger dem Beigeladenen vorläufige Sozialleistungen entsprechend einer "Hilfe zur Erziehung in Form einer Tagesgruppe gem. §§ 27 und 32 SGB VIII". Durch Schreiben vom 21.11.2007 lehnte der Beklagte einen Erstattungsanspruch des Klägers ab mit der Begründung, auch nach wohlwollender Prüfung sei nicht ersichtlich, dass beim Beigeladenen eine wesentliche geistige Behinderung vorliege; vielmehr sei deutlich erkennbar, dass er zum Personenkreis der seelisch behinderten Kinder und Jugendlichen gehöre, da bei ihm eine ADHS-Symptomatik festgestellt worden sei. Durch Bescheid vom 24.04.2007 setzte der Kläger gegenüber dem Beigeladenen dessen Kostenbeitrag gem. §§ 91 ff. SGB VIII auf monatlich 45,00 EUR für die Zeit vom 21.11.2007 bis 31.08.2008 und 50,00 EUR ab 01.04.2008 fest.
Ausweislich der Rechnungen der Tagesgruppen-Einrichtung sind für die "Hilfe zur Erziehung" des Beigeladenen "nach § 32 SGB VIII" folgende Kosten entstanden:
Aufwendungen K.T. von bis Rechnungsdatum Rechnungsbetrag 21.11.2007 31.12.2007 30.11.2007 3.489,10 EUR 01.01.2008 31.01.2008 31.12.2007 2.433,86 EUR 01.02.2008 29.02.2008 31.01.2008 2.467,90 EUR 01.03.2008 31.03.2008 29.02.2008 2.590,00 EUR 01.04.2008 30.04.2008 31.03.2008 2.465,86 EUR 01.05.2008 31.05.2008 30.04.2008 2.654,22 EUR Summe Klage 20.06.2008 16.100,94 EUR 01.06.2008 30.06.2008 31.05.2008 2.465,86 EUR 01.07.2008 31.07.2008 30.06.2008 2.654,22 EUR 01.08.2008 31.08.2008 31.07.2008 2.384,52 EUR 01.09.2008 30.09.2008 29.08.2008 2.568,60 EUR 01.10.2008 31.10.2008 30.09.2008 2.654,22 EUR 01.11.2008 30.11.2008 31.10.2008 2.568,60 EUR 01.12.2008 31.12.2008 28.11.2008 2.654,22 EUR 01.01.2009 31.01.2009 31.12.2008 2.551,48 EUR 01.02.2009 28.02.2009 31.01.2009 2.474,64 EUR 01.03.2009 31.03.2009 27.02.2009 2.686,76 EUR 01.04.2009 30.04.2009 31.03.2009 2.651,40 EUR 01.05.2009 31.05.2009 30.04.2009 2.607,21 EUR 01.06.2009 30.06.2009 29.05.2009 2.598,38 EUR 01.07.2009 31.07.2009 30.06.2009 2.686,76 EUR 01.08.2009 31.08.2009 31.07.2009 2.474,64 EUR 01.09.2009 30.09.2009 31.08.2009 2.651,40 EUR 01.10.2009 31.10.2009 30.09.2009 2.739,78 EUR 01.11.2009 06.11.2009 30.10.2009 327,00 EUR Summe bis Hilfeeinstellung 60.500,63 EUR
Am 24.06.2008 hat der Kläger Klage auf Erstattung seiner Aufwendungen für die Unterbringung des Beigeladenen in der Tagesgruppeneinrichtung erhoben. Er trägt vor, beim Beigeladenen sei eine geistige Behinderung diagnostiziert; diese ergebe sich aus seiner leichten Intelligenzminderung im Sinne einer geistigen Retadierung/Lernbehinderung. Ob es sich um eine wesentliche geistige Behinderung handele, werde im Gutachten der Landesklinik W. nicht erörtert. Der bestehende erhebliche erzieherische Bedarf sei im Wesentlichen auf die Intelligenzminderung zurückzuführen. Dies löse beim Kläger eine Leistungsverpflichtung nach Jugendhilferecht, beim Beklagten eine Leistungsverpflichtung nach Sozialhilferecht aus. Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII gingen aber gem. § 10 Abs. 4 SGB VIII den Leistungen nach dem SGB VIII vor. Dies begründe die Erstattungsfpflicht des Beklagten "gem. § 102 SGB X". Auch der behandelnde Kinderarzt bestätige eine leichte intellektuelle Behinderung; eine seelische Behinderung habe dieser nicht feststellen können. Selbst bei Vorliegen einer seelischen Behinderung bestehe für den Sozialhilfeträger eine Leistungsverpflichtung zur Eingliederungshilfe. Wenn zu dieser seelischen eine geistige Behinderung hinzutrete und eine deckungsgleiche Leistungspflicht sowohl des Jugendhilfe- als auch des Sozialhilfeträgers bestehe, trete die Verpflichtung des Jugendhilfeträgers hinter die des Sozialhilfeträgers zurück. Darüber, ob beim Beigeladenen eine seelische Behinderung vorliege, lägen keine belastbaren Erkenntnisse vor und ergäben sich solche auch nicht aus der Stellungnahme des Einrichtungsleiters.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihm die im Eingliederungshilfefall des Beigeladenen vom 21.11.2007 bis 06.11.2009 entstandenen Kosten in Höhe von 60.500,63 EUR abzüglich des vom Beigeladenen zu zahlenden Kostenbeitrags zu erstatten und Zinsen in Höhe von 8,32 % von 16.100,94 EUR seit dem 24.06.2008 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, es handele sich bei der gewährten Leistung um typische Maßnahmen der Jugendhilfe, da die Eltern mit der Erziehung und Betreuung überfordert gewesen seien. Bei ADHS handele es sich um eine Verhaltensstörung mit Krankheitswert. Wenn diese nicht medizinisch-psychotherapeutisch kurzfristig behoben werden könne, sei von einer seelischen bzw. drohenden seelischen Behinderung auszugehen. Darauf habe die gewährte Hilfe abgezielt.
Der Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt und sich im Verfahren nicht geäußert.
Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts einen Befundbericht von dem Kinderarzt Dr. G., einen Bericht des Leiters der Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe e.V. (Dipl.-Soz. Päd. F.) und des Leiters der Tagesgruppe (Dr. F.) sowie zwei Berichte des Dipl. Psych. L. (Abteilung Kinderpsychiatrie der Klinken W.) eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf die Berichte vom 24.10.2008, 31.03.2009, 29.06.2009 und 11.08.2009 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Klägers und des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Es handelt sich um eine Leistungsklage auf Kostenerstattung zwischen zwei Sozialleistungsträgern im Gleichordnungsverhältnis; ein Vorverfahren ist nicht notwendig und auch nicht durchgeführt worden.
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Als Grundlage des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs kommt nicht, wie der Kläger im Schreiben vom 04.12.2007 gegenüber dem Beklagten sowie in der Klageschrift gemeint hat, § 102 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Betracht, weil der Kläger jedenfalls im Verhältnis zum Beklagten nicht "aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufige Sozialleistungen erbracht hat"; einschlägig ist auch nicht § 105 SGB X, weil der Kläger die Sozialleistungen nicht als zuständiger Leistungsträger erbracht hat. Sein Erstattungsbegehren kann der Kläger gegenüber dem Beklagten allenfalls darauf stützen, er sei im Verhältnis zum Beklagten nachrangig und dieser vorrangig verpflichtet gewesen. Jedoch sind auch die Voraussetzungen des § 104 SGB X, der den Kostenerstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers regelt, nicht erfüllt, weil der Kläger vorrangig und der Beklagte nachrangig verpflichtet war, die Eingliederungshilfe für den Beigeladenen zu leisten. Das ergibt sich aus § 10 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB VIII.
§ 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII bestimmt, dass Leistungen nach diesem Buch den Leistungen nach dem Zwölften Buch vorgehen. Abweichend von diesem Grundsatz gehen jedoch gem. § 10 Abs. 4 Satz 2 Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach dem Achten Buch vor.
Dem Beigeladenen stand ein Anspruch auf Eingliederungshilfe wegen seiner seelischen Behinderung nach § 35a SGB VIII zu. Er litt im streitbefangenen Zeitraum an einer Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (ADHS) und einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens bzw. einer Anpassungsstörung. Dieses sind Störungen von Krankheitswert, die dem Bereich der seelischen Behinderung zuzurechnen sind. Sie bestanden bereits im Jahre 2005 und insbesondere auch im hier streitgegenständlichen Zeitraum von November 2007 bis November 2009. Dies ergibt sich aus dem Bericht der Ärzte der Kliniken W. - Fachbereich Kinderpsychiatrie - vom 10.05.2005, dem Bericht der E.-C.-Förderschule vom 20.03.2007, dem Protokoll des Jugendamtes des Klägers vom 07.03.2007 über ein "Fachgespräch gem. § 36 SGB VIII", dem Befundbericht des Kinderarztes Dr. G. vom 24.10.2008, den Berichten der Leiter der Einrichtung und der Tagesgruppe des Kinder- und Jugendhilfe e.V. vom 31.03.2009 und zuletzt dem Bericht des Dipl. Psych. L. von der Abteilung Kinderpsychiatrie der Kliniken W.iersen vom 11.08.2009. Die seelische Behinderung des Beigeladenen war wesentlich und löste den Eingliederungsbedarf nach § 35a SGB VII aus. Diesen Bedarf hat der Kläger auch durch die Aufnahme des Beigeladenen in die Tagesgruppe des Kinder- und Jugendhilfe e.V. und die Übernahme der Kosten hierfür in der Zeit vom 21.11.2007 bis 06.11.2009 befriedigt.
Wegen der wesentlichen seelischen Behinderungen stand dem Beigeladenen aber auch ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem 6. Kapitel des SGB XII zu. Denn nach § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe zu Lasten des Sozialhilfeträgers, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Menschen sind im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten (§ 53 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Aus den bereits erwähnten Berichten ergibt sich, dass der Beigeladene wegen seiner seelischen Behinderung einen Eingliederungsbedarf hatte. Dieser Eingliederungsbedarf ist deckungsgleich mit dem nach Jugendhilferecht und deshalb ebenfalls in der Tagesgruppeneinrichtung gedeckt worden.
Soweit jedoch nicht der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe, sondern der Kläger als Träger der Jugendhilfe die Eingliederungshilfe erbracht hat, war der Kläger hierfür auch vorrangig zuständig. Dies ergibt sich aus § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII. Nur dann, wenn Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, gewährt werden, gehen diese den Leistungen nach dem SGB VIII vor. Die Abgrenzung zwischen Satz 1 und Satz 2 des § 10 Abs. 4 SGB VIII hängt allein von der Art der mit einer Jugendhilfeleistung konkurrierenden Sozialhilfeleistung ab; ist diese eine Maßnahme der in Satz 2 bezeichneten Art, gilt nach Satz 2 der Vorrang der Sozialhilfe; ist diese eine andere Sozialhilfeleistung, gilt nach Satz 1 der Vorrang der Jugendhilfe (BVerwG, Urteil vom 23.09.1999 - 5 C 26/98 = BVerwGE 109,325 = FEVS 51,337). Die Regelung eines Vor- bzw. Nachrangs zwischen Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe nach § 10 Abs. 4 SGB VIII setzt notwendig voraus, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind. Das Gesetz stellt nicht auf einen Schwerpunkt in Bezug auf eine der beiden Hilfeleistungen ab, sondern allein auf die Art der miteinander konkurrierenden Leistungen (BVerwG, a.a.O.). Nur wenn Jugendhilfeleistungen nach dem SGB VIII mit den in § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII genannten Maßnahmen der Eingliederungshilfe wegen körperlicher oder geistiger Behinderung konkurrieren, ist nach Satz 2 die Sozialhilfe vorrangig. Konkurrieren Jugendhilfeleistungen mit anderen als den in § 10 Abs. 4 Satz 2 genannten Sozialhilfeleistungen, also z.B. mit Eingliederungshilfe wegen seelischer Behinderung nach Sozialhilferecht, so ist nach § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII die Jugendhilfe vorrangig.
Ein solches Konkurrenzverhältnis bestand im Fall des Beigeladenen nicht. Denn er war nicht wesentlich körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht, und es bestand wegen einer solchen Behinderung auch kein Eingliederungshilfebedarf. Die Ärzte und Psychologen, die ihn untersucht haben, haben eine Intelligenzminderung festgestellt, die im Grenzbereich zwischen Lernbehinderung und leichter geistiger Behinderung liegt. Selbst wenn hiernach eine (leichte) geistige Behinderung beim Beigeladenen bestand, war diese jedoch nicht wesentlich im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Denn der Beigeladene war zu keinem Zeitpunkt infolge einer Schwäche (auch) seiner geistigen Kräfte in erheblichem Umfang in seiner Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt (vgl. § 2 Eingliederungshilfe-Verordnung). Wesentlich ist eine Behinderung, wenn Gefahr besteht, dass der behinderte Mensch durch sie aus der Gesellschaft ausgegliedert wird oder bereits ist (SG Karlsruhe, Beschluss vom 18.09.2007 - S 4 SO 4036/07). Dies war - davon ist die Kammer aufgrund der zahlreichen in den Akten befindlichen Berichte über den Beigeladenen überzeugt - bei diesem nicht der Fall. Seine geistige Behinderung, wenn sie denn zu bejahen wäre, zeichnete sich durch eine Intelligenzminderung im Grenzbereich zwischen Lernbehinderung und leichter geistiger Behinderung aus. Ein Hilfebedarf wegen einer geistigen Behinderung bestand beim Beigeladenen aber weder im Jahre 2007 noch im Jahre 2009. Dies hat der Dipl. Psych. L. ausdrücklich im Bericht vom 11.08.2009 festgestellt. In Bezug auf eine geistige Behinderung wäre die Unterbringung in der Tagesgruppe und die durch Kinder- und Jugendhilfe e.V. durchgeführten Maßnahmen auch nicht zielgerichtet gewesen. Dies wird bestätigt durch die Leistungsbeschreibung der Tagesgruppe des Kinder- und Jugendhilfe e.V.; dort heißt es unter Ziffer 1.3. (Zielgruppe und Aufnahmekriterien): "Aufgenommen werden Jungen und Mädchen im Aufnahmealter zwischen sechs und zwölf Jahren, die einen erhöhten Betreuungsaufwand notwendig erscheinen lassen, insbesondere solche Kinder, die starke Defizite im Sozialverhalten aufweisen und insbesondere durch aggressive Verhaltensmuster und/oder durch ständige Unruhe auf sich aufmerksam machen ..." Und unter Ziffer 1.4. (Ausschlusskriterien) heißt es: "Die Aufnahme eines Kindes in die Gruppe ist ausgeschlossen, wenn im Einzelfall eine körperliche oder geistige Behinderung vorliegt ..." Der Kläger hat selbst im Schriftsatz vom 10.10.2009 eingeräumt, dass es "unstreitig" sein dürfte, "dass die vorliegende geistige Einschränkung des jungen Menschen für sich alleine betrachtet keinen Hilfebedarf begründet. Auch dürfte klar sein, dass in der Einrichtung Kinder- und Jugendhilfe e.V. der geistigen Behinderung etwa durch Training des Arbeitsgedächnisses nicht entsprochen wurde." Aus alledem wird deutlich, dass die geleistete Eingliederungshilfe allein und ausschließlich wegen der seelischen Behinderung des Beigeladenen nach Sozialhilferecht und Jugendhilferecht geleistet wurde, im Bereich der Jugendhilfe auch wegen der bestehenden erzieherischen Probleme. Eingliederungshilfe wegen körperlicher oder geistiger Behinderung des Beigeladenen wurde jedoch erbracht, da insofern auch kein Eingliederungshilfebedarf bestand.
Entgegen der offenbar von der Klägerin vertretenen Auffassung führt nicht allein das Bestehen einer körperlichen oder geistigen Behinderung, die aber keinen Eingliederungsbedarf begründet, zu einem Konkurrenzverhältnis im Sinne von § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII. Aus der Regelung des Abs. 4 Satz 2, die geistig und körperlich behinderte Menschen in der Sozialhilfe belässt, kann nicht geschlossen werden, dass diese Kinder und Jugendlichen niemals Leistungen nach dem SGB VIII erhalten könnten. Ihr Verbleiben in der Sozialhilfe ist nur für den Fall geregelt, dass sie wegen ihrer körperlichen oder geistigen Behinderung Leistungen der Eingliederungshilfe bedürfen (Mrozynski, Kommentar zum SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, 5. Auflg. 2009, § 10 Rn. 20). Dies war beim Beigeladenen nicht der Fall. Die Auswirkungen seiner Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (ADHS) und seine Anpassungsstörung und damit der seelischen Behinderung stand ganz im Vordergrund der Hilfsmaßnahme und ließ die (leichte) geistige Behinderung zurücktreten. Die bedarfsauslösende Teilhabeeinschränkung des Beigeladenen beruhte auf der seelischen Behinderung, nicht aber auf einer (leichten) geistigen Behinderung (wenn sie überhaupt bestanden hat). Damit liegen aber die tatbestandlichen Voraussetzungen der Gewährung sozialhilferechtlicher Eingliederungshilfe wegen (körperlicher oder) geistiger Behinderung nicht vor, mit der Folge, dass eine echte Konkurrenzsituation von Jugendhilfe- und Sozialhilfe zu verneinen ist. (vgl. in diesem Sinne auch: OVG NRW, Urteil vom 20.02.2002 - 12 A 5322/00 = FEVS 54, 182; Dillmann/Dannat, "Forever young" - Ewig junge Abgrenzungsprobleme zwischen Leistungen für junge behinderte Menschen nach dem SGB VIII und dem SGB XII, in: ZfF 2/2009, S. 25, 28).
Hat nach alledem der Kläger die Leistungen der Eingliederungshilfe für den Beigeladenen als vorrangig verpflichteter Leistungsträger erbracht, so besteht kein Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen gegenüber dem (nachrangig) verpflichteten beklagten Sozialhilfeträger nach § 104 SGB X.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
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